Frankfurt am Main, 26. Februar 1904. Ein grauer, verregneter Freitagmorgen. Der 52-jährige Klavierhändler Hermann Lichtenstein ist wie immer pünktlich um 8 Uhr in seinem Geschäft. Es ist gegen Mittag, als plötzlich zwei Männer in der Tür stehen. Kurz zögert er, dann erkennt Hermann Lichtenstein die beiden wieder. Vor wenigen Tagen hatte er ihnen einige Instrumente gezeigt und auch Klaviere vorgeführt. Dann hatten die Männer den Laden recht abrupt verlassen.
Doch diesmal scheinen sie nicht auf der Suche nach einem Instrument zu sein. Mach den Tresor auf. Kurze Zeit später ist Hermann Lichtenstein tot. Gerichtschemiker Georg Popp soll bei der Aufklärung des Mordes helfen. Die Polizisten haben einen blutigen Fingerabdruck am Hemdkragen von Hermann Lichtenstein sichergestellt. Sie hoffen, dass Georg Popp damit die Mörder identifizieren kann. Music. Ich bin Mirko Drotschmann, ihr hört Terra X History, der Podcast.
Und in dieser Folge sprechen wir über die Geschichte der Kriminalistik. Also über Methoden und Verfahren, die sich zur Aufklärung von Verbrechen oder auch zu deren Verhinderung im Laufe der Zeit entwickelt haben. Mord, Diebstahl, Raubüberfall, Entführung. All das, was wir heute als Verbrechen einstufen, gibt es vermutlich schon seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Und natürlich haben die Menschen zu allen Zeiten versucht herauszufinden, wer ein Verbrechen begangen haben könnte.
Historische Quellen belegen, schon in der Antike haben die Menschen Zeugen befragt. Auch wenn die moderne Kriminalistik als Disziplin kaum älter als 200 Jahre ist, reichen eine ganze Menge Verfahren viel weiter in die Geschichte zurück. Der Mordfall Hermann Lichtenstein, über den ihr am Anfang schon etwas gehört habt, ist in die Geschichte eingegangen. Es war gelungen, einen Mörder zweifelsfrei anhand seines Fingerabdrucks zu überführen.
Und der Fingerabdruck galt fortan als probates Beweismittel vor Gericht. Im Herbst 1904 berichtete Gerichtschemiker Georg Popp über den spektakulären Fall. Der Abdruck zeigt in der Mitte eine Spirale und darüber 20 Linien, die größtenteils doppelt abgedrückt sind. Es fragt sich nun, ist der Abdruck des Fingers entstanden während des Mordes oder etwa beim Transport des Leichnams oder als man die Schlinge vom Hals des Opfers losmachte?
Pop interessierte sich nicht nur für den Fingerabdruck, sondern auch für das Blut, auf dem er gefunden wurde. Es ging in diesem Mordfall auch darum, zu beweisen, dass es zwei Täter gab. Der Blutspritzer ist lackartig ausgetrocknet, mit glänzender Oberfläche. Er kann deshalb nur von frischem und flüssigem Blut entstanden sein.
Nun liegt dieser Blutfleck auf dem Fingerabdruck. Er verglich den Fingerabdruck mit anderen Spuren und stellte fest, es mussten tatsächlich zwei Täter gewesen sein, die den Mord begangen haben. Die Täter wurden kurze Zeit später anhand ihrer Fingerabdrücke überführt. Fingerabdrücke in der Kriminalistik waren Anfang des 20. Jahrhunderts die Innovation der Polizeiarbeit. Aber Fingerabdrücke wurden in anderen Bereichen schon lange verwendet.
Zum Beispiel unterzeichnete man damit um das Jahr 1200 v. Chr. Bereits in Babylon oder in China Verträge. Oder Künstler signierten damit ihre Werke. Historische Quellen belegen, dass auch in Persien im 14. Jahrhundert bereits Regierungsdokumente mit einem Fingerabdruck unterschrieben wurden. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts bewendete man Daumen oder Zeigefinger auch für die Identifikation.
Und zwar von einem gewissen William James Herschel, der damals als Kolonialbeamter in Britisch-Indien arbeitete und von 1860 an für die Auszahlung von Pensionen zuständig war. Er unterstellte den indischen Arbeitern, die in Diensten der britischen Kolonialregierung gestanden hatten, dass sie bei den Pensionen betrogen und mehrmals Geld kassierten, weil man sie nicht eindeutig identifizieren konnte.
Jeder, der Geld von Herschel bekam, musste deshalb ab sofort den Erhalt mit seinem Finger- oder Handabdruck quittieren. Herschel will als erster erkannt haben, dass Fingerabdrücke nicht nur von Mensch zu Mensch verschieden sind, sondern sich auch ein Leben lang nicht verändern. Es war aber der britische Universalgelehrte Francis Galton, der als erster für die Fingerabdruckmethode eine solide wissenschaftliche Basis schuf.
Wir schreiben das Jahr 1892. In England erscheint ein bahnbrechendes Buch, Fingerprints, zu Deutsch Fingerabdaten. Mein Interesse daran war bei einer Freitagabend-Vorlesung in der Royal Institution geweckt worden. Das war 1888. Ich hörte einen Vortrag über die Arbeit von Alphonse Bertillon und dessen System, Menschen anhand ihrer Körpermaße zu identifizieren. Alphonse Bertillon ist damals Leiter des Polizeilichen Erkennungsdienstes in
Paris. In jahrelanger Arbeit entwickelt er ein System, mit dem Verbrecher anhand ihrer Körpermerkmale eindeutig identifiziert werden können. Es wird zum Standard bei der Polizeiarbeit. Für jeden gefassten Täter werden Karteikarten angelegt, mit Foto- und biometrischen Daten wie Kopfumfang, Armspannweite oder Länge des rechten Ohres. Fingerabdrücke werden nicht genommen, denn Bertillon lehnt sie als zu ungenau ab. Es war bis dahin noch nie etwas über Daumenabdrücke geschrieben worden.
Und so forschte ich über deren Verwendung nach. Schon 1684 beschreibt der britische Botaniker und Arzt Nehemiah Grew die Rillen, Linien und Schweißdrüsen auf Fingerkuppen. An der Universität Bologna forscht zur selben Zeit ein gewisser Marcello Malpigi ebenfalls dazu. Und Johannes Purkinje, Physiologie-Professor aus Breslau, verfasst 1823, also gut 150 Jahre später, seine Habilitation über Fingerabdrücke. Doch keiner von ihnen ahnt, dass man damit Menschen eindeutig identifizieren kann.
Ich schrieb an die Zeitschrift Nature und bat um mehr Informationen. Und das hatte den schönen Effekt, dass sich eine Antwort von Sir William Herschel erhielt, der als Befehlshaber in Indien solche Abdrücke seit vielen Jahren verwendete. Aber das System geriet nach seiner Abreise aus Indien wieder in Vergessenheit. Auch Henry Fords, schottischer Missionar und Arzt, beschäftigt sich damals mit Fingerabdrücken. Fords arbeitet gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einem Krankenhaus in Tokio.
Er will der Erste gewesen sein, der den Wert von Fingerabdrücken für die Identifizierung von Verbrechern erkannt hat. Einen wissenschaftlichen Beweis aber kann auch er nicht liefern. Die Kunst, einen guten Fingerabdruck zu nehmen, ist sehr leicht und kann jedem intelligenten und praktisch begabten Mann schnell beigebracht werden. Für die Kriminalistik schafft der britische Universalgelehrte Francis Galton die Grundlagen.
Er weist zum ersten Mal wissenschaftlich nach, dass die Fingerabdrücke eines Menschen ein Leben lang unveränderlich sind. Diese Dinge habe ich unternommen, aber es war ziemlich viel Arbeit. Francis Galton untersucht in akribischer Kleinarbeit hunderte von Fingerabdrücken. Dabei erkennt er auch, dass die Rillen und Linien der Fingerkuppen bei jedem Menschen, und das gilt auch für Zwillinge, einzigartig sind.
Dass man sie so klassifizieren kann, dass ein Experte in der Lage ist, anhand eines Lexikons oder etwas Ähnlichem nachzuschauen, ob ein ähnlicher Satz mit Fingerabdrücken bereits erfasst worden ist. Dank Francis Galtons Klassifizierungsmethode wird der Fingerabdruck bald Standard bei der polizeilichen Arbeit. Schon 1892 wird in der argentinischen Provinz Buenos Aires ein Doppelmord mit Hilfe von Fingerabdrücken aufgeklärt. Und das weltweit erste Fingerabdruckbüro eingerichtet.
1901 füllt Scotland Yard diese neue Ermittlungsmethode ein. 1903 wird bei der Polizei in Dresden die erste Fingerabdruckdatenbank angelegt. Aber ab wann spricht man eigentlich von Kriminalistik? Seit wann werden Kriminaltechniker eingesetzt? Seit wann gibt es Kriminalkommissare? Und wann sind die ganzen Verfahren und Methoden entstanden, um Verbrechen aufzuklären und Täter zu überführen? Dazu forscht Peter Becker. Er ist Professor für die Geschichte des 19. und 20.
Jahrhunderts an der Universität Wien. Und er hat ein Buch über die Geschichte der Kriminalistik geschrieben. Herr Becker, schön, dass Sie sich die Zeit für unseren Podcast nehmen. Hallo. Guten Morgen. Herr Becker, die moderne Kriminalistik gibt es ja erst seit etwa 200 Jahren. Viele Verfahren, die wir heute anwenden, um ein Verbrechen aufzuklären, die gab es vorher ja gar nicht. Da brief man sich vor allem auf Zeugenaussagen.
Was ändert sich denn konkret im 19. Jahrhundert? Der Punkt, weshalb eben Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine Änderung eintritt, hängt damit zusammen, dass in dieser Zeit etwa, sozusagen abgeschlossen ist dieser Prozess dann in den 1870er Jahren. Beginnt sich eben eine neue Strafprozessordnung zu etablieren, in der ein modernes Beweiswürdigungsverfahren eingeführt wird.
Und das nun dem Richter ermöglicht, die vorliegenden Beweismittel, sowohl Zeugenaussagen, die Aussagen des Beschuldigten, die Aussagen des Opfers, aber eben auch eine ganze Reihe von Indizienbeweisen freizuwürdigen, ohne dass man jetzt gebunden wäre an ein striktes Regelsystem, das die Zeit des frühen Neuzeit bis eben in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmt hat. Und diese freie Beweiswürdigung, die gibt nun den Indizien, sprich eben auch den Sachbeweisen, eine ganz neue Wertigkeit.
Und in der Auswertung dieser Sachbeweise ist ja letztlich auch die Stärke einer modernen Kriminalistik zu finden. Jetzt taucht in dieser Zeit mutmaßlich zum ersten Mal ein Begriff auf, über den wir ein bisschen genauer sprechen wollen, nämlich Kriminalistik. Wann genau kam dieser Begriff Kriminalistik zum ersten Mal auf? Kriminalistik ist an sich auch ein alter Begriff.
Er meint lange Zeit auch so etwas wie eben sozusagen eine systematische Auseinandersetzung auch mit Verbrechen, aber stärker aus einer Strafrechtsperspektive. Kriminalistik im modernen Sinn entsteht als Begriff, aber dann vor allen Dingen als Forschungsbereich und gewissermaßen auch Praxis im späten 19. Jahrhundert. Und da sind einige Wegbereiter ganz maßgeblich. Einerseits ist das Hans Gross aus Graz.
Im Bereich der Forschung gibt es eben dann den Franzosen Edmond Locard aus Lyon oder Alfredo Nicoforo aus Rom, Rudolf Reis aus Lausanne. Im Grunde sind das alles Praktiker, die eben ihre eigene praktische Erfahrung im Umgang mit Verbrechensaufklärung systematisieren und die Themen, die damals, das ist so in der Zeit der Jahrhundertwende, die damals einfach zentral sind, ist eben einerseits Fragen der Identifikation. Das heißt, da geht es um biometrische Angaben, die eben verwendet werden.
Da ist Alphonse Bertillon aus Paris, einer der Wegbereiter, oder Francis Gerlton aus England, der eben den Fingerabdruck erstmals wirklich systematisiert und damit auch nutzbar macht. Aber es geht eben auch um Spurenanalyse, das heißt Tatortspurenerhebung und eine systematische Auswertung eben von Staubspuren, von Fußspuren. Und dann eben auch die Überlegung, in welcher Weise man eben hier mit wissenschaftlichen Experten zusammenarbeiten kann.
Das sind eben Physiker, Chemiker vor allen Dingen in dieser Zeit, Ballistiker, aber natürlich eben die forensische Medizin eben auch schon sehr lange. Wann entsteht denn eigentlich die Kriminalpolizei, also eine eigene Abteilung, die sich genau um solche Dinge kümmert innerhalb der Polizeibehörden? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, diese Frage, weil es da selbst innerhalb Deutschlands ganz unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt.
Eine eigene Verbrechensermittlung gibt es im Rahmen der Gerichte sehr früh. Das beginnt sich dann teilweise auf die Gendarmerie überzugehen. Aber weiter innerhalb der Polizeibehörden der Aufbau einer eigenen kriminalpolizeilichen Abteilung, das beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ist oft eng angebunden an dieses neue Feld des Erkennungsdienstes. Anfang der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts beginnt das mal mit dem Aufbau von einem Verbrecheralbum, das immer umfangreicher wird und immer stärker systematisiert wird und dann ergänzt wird um biometrische Informationen und dann unser moderner Erkennungsdienst eben entstehen. Da sind wir schon bei einem ganz spannenden Feld, denn heute ist ja alles deutlich einfacher. Man hat die DNA-Analyse, die schon viele Verbrecherinnen und Verbrecher überführt hat.
Damals gab es das nicht. Wie können wir uns denn den Alltag vorstellen, so eines Kriminalkommissars oder eines Kriminaltechnikers im 19. Jahrhundert? Ja, im späten 19. Jahrhundert oder sagen wir mal so um 1900. Als ganz viel eben auch an neuen Techniken verfügbar wird oder eben auch ausprobiert wird, erweitert sich ja der Rahmen dessen, was eben hier möglich wird, ganz rasch.
Und das, was eben den innovativen Kriminalbeamten auszeichnet, damals war eben auch eine starke Neugierde und auch eine Offenheit, sprich eben auch die Bereitschaft, sich immer wieder mit neuen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Das betrifft zum Beispiel diese ganze Frage der Tatortfingerabdruckerhebung und da gibt es ganz viele neue Entwicklungen, die teilweise von den Praktikern selbst vorgenommen werden.
Ein Wiener Polizeibeamter, der entwickelt eben eine eigene Folie, mit der eben diese Tatortfingerabdrücke sehr gut konserviert werden können und vertreibt diese Folie dann auch von der Wiener Polizeidirektion aus an andere interessierte Polizeibehörden. Aber das heißt, der Alltag war sehr stark bestimmt eben durch die ganz konventionelle Polizeiarbeit, wie auch heute eben im sozusagen Nachforschen, Verhöre. Auch Beobachtungen und Spurenanalyse.
Diese technischen Seiten der Spurenanalyse haben nur einen geringen Teil dieser Tätigkeit tatsächlich ausgemacht. Jetzt haben Sie gerade die Befragungen erwähnt. Das ist ja auch ein ganz spannendes Feld. Zeugenaussagen gab es schon vorher, aber hat sich denn in der Art und Weise, wie Zeuginnen und Zeugen befragt worden sind, etwas verändert? Haben dann auch die Entwicklungen bei Disziplinen wie der Psychologie eine Rolle gespielt dabei? Ganz wesentlich.
Also das beginnt schon im Laufe des 19. Jahrhunderts, dass man sich beginnt, Gedanken zu machen, welche Aussagen zuverlässig sind. Weil um das geht es ja letztlich. Es geht um die Zuverlässigkeit der Aussagen. Wie erkennt man Lügen? Wie erkennt man eben bewusstes Verfälschen von Sachverhalten? Und das ist ein Teil, der sich eben zurückbezieht auf diese Verhörpsychologie, die sich im späten 18.
Und frühen 19. Jahrhundert entwickelt. Da gibt es eine sehr klare Traditionslinie, eben sozusagen diese Auseinandersetzung mit den körperlichen Anzeichen von Stress. Die man eben deutet als Anzeichen einer Lüge, weil man davon ausgeht, dass jemand, der eben hier die Wahrheit spricht, einfach entspannter ist als jemand, der hier versucht, diese Wahrheit zu verdrehen.
Aber im späten 19. Jahrhundert kommt unter dem Einfluss der neuen psychologischen Forschung ein ganz anderes Bewusstsein dazu, dass eben hier auch unbewusste Verfälschungen der Wahrnehmungen, die man gemacht hat, passieren können. Und das bezieht man dann auch auf das Profil einzelner Personengruppen, zum Beispiel Kindern, schreibt man dann einfach eine stärkere Beeinflussbarkeit zu. Das heißt, Kinder sagen dann nicht die Wahrheit, sondern Kinder sagen das, was von ihnen erwartet wird.
Dann Frauen hält man für ähnlich manipulierbar, deshalb auch für weniger zuverlässig als Zeuginnen. Also lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass jemand, der zum Beispiel einen akademischen Abschluss hat, eigentlich immer... Korrekte Wahrnehmungen macht, weil er aus der Sicht der Zeit eben auch über die entsprechenden intellektuellen Kompetenzen verfügt. Aber durch diese psychologischen Experimente, die man anstellt, merkt man dann.
Dass zum Beispiel ein Professor im Wald deutlich weniger zuverlässigere Wahrnehmungen macht als ein Waldarbeiter, weil eben der Waldarbeiter über entsprechendes Erfahrungswissen verfügt. Haben Sie denn einen historischen Fall aus der Zeit im Kopf, der nur gelöst werden konnte, weil man jetzt diese neuen Erkenntnisse hatte, weil man neue Methoden hatte und Dinge anwenden konnte, die man vorher nicht angewandt hatte?
Ein Fall, das ist ein Fall, der mir bekannt geworden ist aus der Darstellung eines forensischen Chemikers Hermann Denstedt aus dem Buch, das er 1910 geschrieben hat. Und ich fand das so beeindruckend, weil darin das erste Mal eben auch ein Mord oder ein versuchter Mord ausschließlich anhand einer hochdifferenzierten chemischen Analyse einer Arbeitsschürze erfolgt ist.
Und zwar dadurch, dass auf dieser Arbeitsschürze die Chemiker durch eine wochenlange penible Sucharbeit unter all den Verunreinigungen eben Blutspritze gefunden haben, die entstanden sind, als der Arbeiter eine Frau mit einem Hammer versucht hat zu töten, um im Besitz von einer sehr kleinen Geldsumme zu gelangen. Die Frau hat überlebt, war aber dann nicht mehr aussagefähig. Und das Einzige, wo man das festmachen konnte, war eben dieses verdreckte Kleidungsstück.
Ähnliches kann man dann auch für den Tatortfingerabdruck sagen. Da gibt es damit plötzlich die Möglichkeit, Personen, die eben nicht gesehen worden sind, wo es eben auch keine Beziehungen gibt zu dem Opfer oder keine offensichtlichen Beziehungen zum Opfer gibt, dass man die plötzlich dann doch eindeutig hier der Tat zuordnen kann. Und das sind die großen Durchbrüche in der Kriminalistik, die gerade um 1900 durch diese enge Zusammenarbeit mit hochspezialisierten Wissenschaftlern möglich werden.
Gibt es denn noch Verfahren oder auch Methoden aus der Kriminalistik, die sich im Prinzip seit dieser Zeit, also seit dem 19. Jahrhundert bis heute nicht oder nur kaum verändert haben? Ganz wesentlich damals wie heute ist einfach das Erfahrungswissen der Kriminalisten auf den unterschiedlichsten Ebenen. Das heißt, dieses Erfahrungswissen ermöglicht hier sehr viel einfach einen kompetenten Umgang mit den Informationen, die hier aus unterschiedlichen Quellen bereitgestellt werden.
Und dafür hat man in der Mitte des 19. Jahrhunderts den sehr schönen Begriff des praktischen Blicks verwendet, um eben dieses Erfahrungswissen auf den Punkt zu bringen und das finde ich, das ist etwas, was heutige Kriminalisten selbstverständlich auch auszeichnet, wenn sie erfolgreich sind, dass sie eben ihr Erfahrungswissen in einer sehr reflektierten Art und Weise dazu einsetzen können, um mit den Informationen, die vorliegen. Produktiv umgehen zu können.
Etwas weniger präsent ist, aber was, glaube ich, die deutlichste Kontinuitätslinie ausmacht, ist eben dieser Prozess der Verschriftlichung. Die Verfahren sind sehr stark schriftlich geprägt, auch wenn sehr vieles davon eben im mündlichen Austausch erfolgt, wie etwas Verhöre, aber Verhöre werden dann weiter verfolgt. Gewissermaßen eingespeist in das weitere Verfahren in einer verschriftlichten Form. Diese Protokolle oder Protokollieren von Sachverhalten bzw.
Eben Protokollieren von Gesprächen bzw. Eben auch von Verhören, das ist eine Kulturtechnik, die schon im 18.
Und 19. Jahrhundert reflektiert wird und dann auch Anleitungen produziert, damit eben hier diese Protokollierung in einer kompetenten Art und Weise erfolgt, weil sie ist eben kein Transkript, sondern sie ist eine analytische Zusammenfassung der wesentlichen Punkte und das ist eben diese Art der Informationsaufbereitung, Informationsverarbeitung, das zieht sich eigentlich am deutlichsten durch die gesamte Kriminalistik seit dem 18. Jahrhundert bis heute. Ganz herzlichen Dank für die Einblicke,
die Sie uns gegeben haben. Sehr gerne. Danke für die Entladung zum Mitmachen. Einer, der für die Entwicklung der deutschen Kriminalistik sehr wichtig war, ist Georg Popp. Über den haben wir ja schon gesprochen. Popp interessierte sich nicht nur für Fingerabdrücke und Blutspuren, sondern auch für den Ort des Verbrechens. Im Frühsommer 1908 wird Popp an einen mysteriösen Tatort gerufen. Am Samstag wurde die Leiche gefunden. Der Kopf, welcher durch einen glatten Schnitt vom Rumpfe getrennt, fehlte.
Die Tat ist augenscheinlich an einer anderen Stelle verübt und der Leichnam dann in das Gebüsch geschleift worden. Bei der Leiche handelte es sich um die 38-jährige Margarete Filbert. Durch Zeugenaussagen konnte ein Verdächtiger ermittelt werden. Ein Bauer aus der Nachbarschaft. Aber es fehlten Beweise. Pop untersucht die Schuhe des Verdächtigen und erfindet tatsächlich verschiedene Erdpartikel an den Sohlen, die zum Fundort der Leiche passen.
Die Unterschiede in den Böden von Ort zu Ort machen wertvolle Hinweise, um die Verknüpfung zwischen einem Verdächtigen und einem Tatort zu beweisen. Der Boden ist ein komplexes Gemisch mit einer Vielzahl von mineralogischen, chemischen, biologischen und physikalischen Eigenschaften. Der Mörder von Margarete Filbert kann zweifelsfrei überführt werden. Es ist einer der frühesten Mordfälle, in dem die sogenannte forensische Geologie maßgeblich dabei geholfen hat, den Täter zu fassen.
Etwa um diese Zeit herum begannen viele Kriminalpolizeistellen, chemische Labore einzurichten. Etwa in Dresden, Hamburg, Berlin und in Wien. Die Aufgabe dieser Labore war es, Finger- und Fußabdrücke zu prüfen, andere Spuren zu sichern und zu analysieren. Und zwar möglichst bevor die Spuren verwischt wurden. Wie wichtig die Sicherung des Tatorts war, das hat der österreichische Kriminologe Hans Groß schon Ende des 19. Jahrhunderts aufgenommen.
Er gilt als einer der Pioniere der Kriminalistik. In seinem Lehrbuch für den Ausforschungsdienst der königlich-kaiserlichen Gendarmerie hieß es 1894, man solle ... Diese festgelegten Abläufe sind, wie wir schon von Peter Becker gehört haben, eine Sache der modernen Polizeiarbeit der letzten 150 bis 200 Jahre. Aber wie lief das Ganze davor ab? Wer war dafür verantwortlich, einen Täter zu überführen, wenn zum Beispiel in der griechischen Antike ein Mord geschah?
Mit einem Schlag, ihr Männer, streckte ich ihn zu Boden. Er gestand sein Unrecht ein und bat mich flehentlich, ihn nicht zu töten, sondern Geld von ihm anzunehmen. Ein gewisser Euphiletos steht im alten Athen vor Gericht. Er soll einen Mann namens Eratosthenes getötet haben. Euphilitos gesteht den Mord. Und er hat Zeugen, die vor Gericht aussagen, dass er zu Recht Eratosthenes getötet hat. Tretet auf, die ihr dafür Zeugen seid.
Denn der getötete Eratosthenes hatte eine Affäre mit Euphilitos' Frau. Nach attischem Recht ist es dem betrogenen Ehemann deshalb erlaubt, den Nebenbohler zu töten. Allerdings nur, wenn er ihn auf frischer Tat ertappt und somit einen Beweis für den Ehebruch hat. Euphiletus schmiedet deshalb einen mörderischen Plan. Euphiletus sucht sich Zeugen, die dabei sind, als er seine Frau und Eratosthenes auf frischer Tat ertappt.
Bevor Euphiletus zum Todesstoß ausholt, soll er gesagt haben, Nicht ich werde dich töten. Sondern das Gesetz unserer Stadt, das du übertreten und für geringer erachtet hast als deine Wolllust. Die Zeugen bestätigen den Ehebruch und Euphiletos wird vor Gericht freigesprochen. Aufgeschrieben wurde dieser Fall von einem gewissen Lysias. Der war griechischer Logograf, also Gerichtsredenschreiber, der zwischen dem 5. und 4. Jahrhundert vor Christus lebte.
Die Verteidigungsrede in einer Anklage zur Ermordung des Eratosthenes ist eine seiner berühmtesten Gerichtsnotizen. Es geht darin auch um die Rolle von Zeugen als wichtige Beweismittel vor Gericht. Und viel mehr gab es damals im alten Athen auch gar nicht, um einen Mord oder ein anderes Verbrechen aufzuklären, sagt der Althistoriker Angelos Chaniotis. Die Zeugenbefragung war auch Aufgabe der Familie, das heißt sie versuchten selbst Zeugen zusammen, die dabei waren.
Falls der Mörder auf frische Tat ertappt wurde, dann hatte die Familie oder jeder eigentlich das Recht, ihn auch zu verhaften und an die Gefängnisbeamten zu liefern. In der griechischen Antike gibt es die sogenannte Popularklage. Das heißt, kann nur das Opfer eine Anzeige erstatten. Das ist natürlich bei einem Mord nicht möglich. Das ist die Familie. Bei einem Raubüberfall. In diesen Fällen ist das Opfer dafür verantwortlich, die Sache in die Hand zu nehmen und eine Anzeige zu erstatten.
Aber eine Art Kriminalpolizei, die das untersucht, gibt es nicht. In der Antike gibt es durchaus Polizeikräfte, aber ihre Hauptaufgabe ist vorzubeugen. Das heißt, zu verhindern, dass Verbrechen geschehen, nicht zu untersuchen. Im alten Athen war man auch selbst dafür verantwortlich, seine Unschuld zu beweisen und sich Zeugen zu besorgen. Um damit zum Beispiel, wie im Fall von Euphiletos, beweisen zu können, dass der Mord am Nebenbuhler nach den Gesetzen der damaligen Zeit rechtmäßig war.
Aber nicht immer gab es Zeugen. Wenn man einfach einen Körper findet von jemandem, der getötet wurde, dann hat man Pech gehabt. Es könnte sein, dass man jemanden verdächtigt, aber dann ist es Aufgabe eines geschworenen Gerichtes zu entscheiden, ob diese Indizien ausreichen. Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit, zu bestätigen oder nicht zu bestätigen, ob jemand der Mörder ist, nämlich die Götter zu befragen. Hat er Gift gegen meine Nachkommen, meine Frau und mich verwendet?
Hat der Gott schlechtes Wetter wegen der Unreinheit von jemandem geschickt? Wir haben eine Reihe von Bleitäfelchen aus der Orakelstätte des Zeus in Dodona in Nordwestgriechenland. Und einige von diesen Täfelchen betreffen Verbrechen. Die Besonderheit ist, dass diejenigen, die ihm die Fragen stellen, bereits jemanden verdächtigen. Melantas, hat er das Geld gestohlen? Und die Teffelchen wurden in zweifacher Form an die Götter gegeben, einmal in positiver Form und in negativer Form.
Dann, durch ein Losverfahren, das meines Erachtens manipuliert wurde, wurde die Antwort des Gottes ermittelt. Ich vermute, dass die Hauptaufgabe von diesen Teflchen war, den Konflikt zu beseitigen, denn wir kennen keinen Fall, in dem jemand verurteilt wurde, weil der Gott gesagt hat, ja, der hat es getan. Und dann gab es auch eine andere Möglichkeit, wenn man nicht wusste, wer der Täter war, nämlich den Täter zu verfluchen. In dem man sagt, ich verfluche alle, die mein Kleid gestohlen haben.
Und eine Besonderheit ist manchmal das gestohlene Gut an die Götter zu weihen und zu sagen, jetzt ist es eure Aufgabe, den Täter zu finden, denn das gestohlene Gut ist euer Vermögen, also ihr seid die Opfer. Den Täter erwartete dann die Strafe der Götter. Diese Androhung half auch bei Zeugen, die vorher vereidigt worden waren. Denn wer log? Den bestraften, ihr ahnt es, genau, die Götter.
Auch in der römischen Antike hatte man wenig Möglichkeiten, Verbrechern ihre Taten anhand von Spuren nachzuweisen. Und das blieb bis in das frühe Mittelalter so. Entweder man ertappte die Verbrecher auf frischer Tat oder aber man hatte jemanden in Verdacht. Dann mussten die Geschädigten oder die Familien der Mordopfer allerdings selbst zum Gericht gehen, um denjenigen anzuzeigen.
Und dann kommt ein Gerichtsverfahren in Gang und das Gericht setzt dann die Bedingungen fest, unter denen der Beschuldigte einen Eid leisten kann. Und der Eid beinhaltet die Aussage, ich war es nicht. Und dieser Eid des Beschuldigten, der Reinigungseid, also er reinigt sich von dem Vorwurf, der wird unterstützt durch weitere Eideshelfer, also Personen aus der Familie, aus der Gemeinschaft, die diesen Eid als glaubwürdig bestätigen. Diese Eideshelfer sagen also nichts aus über den Tatvorwurf.
Die waren ja gar nicht dabei. Und wenn er sich dann reinigen konnte, dann ist der Verbrechensvorwurf erledigt. Er hat sich freigeschworen und damit ist die Sache sozusagen vom Tisch. Stefan Dusil lehrt an der Universität Tübingen unter anderem mittelalterliche Rechtsgeschichte. Wenn sich jemand von einer Tat nicht freischwören konnte, dann musste er Schadenersatz an den Geschädigten oder an dessen Familie zahlen.
Peinliche Strafe, also Strafe an Haut und Haar oder das Abschlagen des Kopfes, das Hängen, das sind Entwicklungen, die man eher so im 12., 13., 14. Jahrhundert beobachtet. Im frühen Mittelalter ist Unrechtsausgleich ganz häufig mit Geldzahlungen verbunden, also modern gesprochen mit einem Täter-Opfer-Ausgleich. Viele Verbrechen wurden damals in sogenannten Privatklageverfahren geregelt. Das Gegenteil ist die Offizialmaxime.
Offizialmaxime heißt, dass von Amts wegen verfolgt wird. Also genau wie heute verfolgt der Staat oder die Staatsanwaltschaft von Amts wegen, sobald sie erfährt, dass ein Verbrechen begangen ist. Diese Offizialmaxime ist allerdings eine Entwicklung, die man erst im späteren Mittelalter beobachtet. Erst relativ spät entwickelt sich dann das sogenannte Inquisitionsverfahren. Es wird zu Beginn des 13. Jahrhunderts zuerst von der Kirche eingeführt, dann aber auch von weltlichen Gerichten übernommen.
Dass das Gericht den Sachverhalt untersucht und selbstständig Personen, Zeugen, Urkunden, Augenschein, Beweise sammeln kann. Und dieses Inquisitionsverfahren, das ist an solches erst einmal nicht blutig oder nicht grausam. Es ist rationaler und mit rational meine ich, dass es nicht mehr wie im früheren Mittelalter um eine formale Wahrheit geht. Also kann sich jemand freischwören, hat jemand genügend Eideshelfer,
sondern das Gericht erforscht, wie es wirklich war. Und das würde ich als einen Fortschritt sehen. Also insofern ist das eine Rationalisierung, die so ab 1200 ungefähr 1200 einsetzt. Dieses für damalige Verhältnisse moderne Verfahren der Verbrechensaufklärung hatte aus Sicht der Beschuldigten nur einen Haken. Es führte unter Umständen auch zur Anwendung von Folter. Und als Beweise vor Gericht gelten, zum Beispiel Ohren- und Augenzeugen.
Es wird der Augenschein, also der Tote zum Beispiel, die Tote zum Beispiel, als Beweis akzeptiert. Aber eben auch Urkunden und das Zeugnis von Sachverständigen. Aber in der mittelalterlichen Lehre benötigt man immer für einen vollen Beweis zwei Zeugen. Also ein Zeuge reicht nicht aus, man braucht zwei Zeugen. Das heißt aber, dass bei Taten, bei Straftaten ja häufig überhaupt keine Zeugen da sind.
Und dementsprechend muss man dann zurückgreifen auf ein weiteres Beweismittel und das ist das Geständnis. Aber was, wenn der oder die Tatverdächtige nicht gestand? Dann versucht man, die Wahrheit aus ihm herauszuholen. Und dieses Herausholen der Wahrheit geschieht unter der Folter. Die Art der Folter und der Grad der Folter ist häufig demjenigen überlassen, der die Folter anwendet. Aber es bilden sich nach und nach Regeln heraus. Und das heißt konkret Folter.
Es verschiedene Grade der Folter gibt und dass es auch Institutionen gibt, zum Beispiel juristische Fakultäten, die geben vor, wie gefoltert werden darf. Der erste Grad wäre, die Folterwerkzeuge nur zu zeigen. Der zweite dann zu erklären, welche Schmerzen man damit zufügen könnte. Der dritte Foltergrad wäre dann die tatsächliche Anwendung in einer leichten Form. Und so weiter. Was passierte mit denen, die nicht gestanden haben?
Diejenigen, die nicht gestanden haben, waren frei. Das heißt, der Vorwurf hat sich nicht bestätigt. Der Beweis gegen den Gefolterten konnte nicht geführt werden, weil er nicht gestanden hat. Und dementsprechend brach dieser Vorwurf dann in sich zusammen. Und genau das ist 1621 passiert. In einem der berühmtesten Hexenprozesse der Geschichte. Angeklagt war die in Württemberg lebende Katharina Kepler, Mutter des berühmten Astronomen und Mathematikers Johannes Kepler.
Der Vorwurf? Hexerei. Katharina Kepler wurde 1615 bezichtigt, der Frau eines Glasers einen bitteren Trank gegeben zu haben, an dem die dann angeblich erkrankt sei. Kepler war in ihrem Wohnort dafür bekannt, sich mit Kräutern auszukennen. Die angeblich geschädigte Frau verlangte Schadenersatz. Kepler wurde später dann auch noch ein Schadenszauber angedichtet, wonach sie ein achtjähriges Kind in Stuttgart berührt habe, das daraufhin Lähmungserscheinungen gehabt haben soll.
Keppler wurde am 7. August 1620 in Heumaden in Württemberg verhaftet und bis zu ihrem Prozess, gut ein Jahr später, in den Kerker gesperrt und in Ketten gelegt. Es ist der 20. August 1621. Der Prozess gegen Katharina Keppler beginnt. Ihr Sohn Johannes unterstützt sie vor Gericht. Die 73-Jährige soll sich wegen Hexerei verantworten. Sie bestreitet aber beharrlich, irgendetwas damit zu tun zu haben. Ich möchte nicht das Geringste gestehen oder zugeben.
Das Gericht greift zum letzten Mittel, die mutmaßliche Hexe zum Geständnis zu bringen. Am frühen Morgen des 28. September 1621 erwartet sie der Henker mit seinen Folterwerkzeugen. Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt. Und wenn ihr mir jede Ader einzeln aus dem Leibe zieht. Ich wüsste nicht, was ich zugeben sollte. Katharina fällt auf die Knie. Vaterunser im Himmel. Gott wird die Wahrheit offenbaren. Er wird seinen heiligen Geist nicht von mir nehmen, sondern mir beistehen.
Katharina Kepler bleibt bei ihrer Aussage. Auch die gezeigten Folterwerkzeuge können sie nicht dazu bringen, die ihr vorgeworfenen Taten zu gestehen. Mehr als diesen ersten Foltergrad hat das Gericht allerdings für die 73-Jährige nicht zugelassen. Wenn ich durch Pein oder Martyrium gezogen würde, irgendetwas zuzugeben, wäre es nicht die Wahrheit. Ich würde über mich selbst lügen müssen. Katharina Keppler kommt frei, weil sie standhaft geblieben ist.
Sie stirbt allerdings nur wenige Monate später, im April 1622, vermutlich an den Folgen ihrer langen Kerkerhaft. Folter wurde noch lange als probates Mittel angewendet, um Tatverdächtige zu einem Geständnis zu bringen. Das änderte sich in vielen europäischen Staaten erst im 18. und 19. Jahrhundert. In Preußen verbot am 31. Mai 1740 eine Kabinettsorder von Friedrich II.
Die Tortur. Es gab zwar Ausnahmen, wie zum Beispiel bei Majestätsbeleidigung, Hochverrat oder Mord, aber bei Einbruch und Diebstahl durfte nicht mehr gefoltert werden, um an Geständnisse zu kommen. Andere Länder folgten. So etwa 1776 Österreich. 1815 der Kirchenstaat in Italien. Nun brauchte man andere Methoden, damit Tatverdächtige gestanden. Indizien und Beweise wurden vor Gericht jetzt wichtig.
Und irgendwann waren auch Geständnisse mutmaßlicher Täter nicht mehr ausschlaggebend, um sie hinter Gitter zu bringen. Wie man Verbrecher damals auch mit ungewöhnlichen Methoden überführen konnte und auf kreative Weise an Geständnisse kam, darin war der Franzose Eugène François Vidocq ein Pionier. Er ist der Gründer der Sûr-Té in Paris, die später Vorbild wurde etwa für die Londoner Kriminalpolizei Scotland Yard oder auch das FBI.
Widock ist vermutlich eine der schillerndsten Figuren in der Geschichte der modernen Kriminalistik. 1775 in Arras geboren, Schulschwänzer, richtiger und falscher Soldat, Betrüger und Urkundenfälscher. 1796 wurde er wegen Dokumentenfälschung zu acht Jahren Schwerstarbeit verurteilt. Erschöpft von den Misshandlungen aller Art, erschöpft von einer Überwachung, die seit meiner Verurteilung noch verdoppelt wurde, hütete ich mich wohl, Berufung einzulegen.
Ich hätte dann noch einige Monate länger im Untersuchungsgefängnis bleiben müssen. Bidoc unternahm einige Fluchtversuche und entkam schließlich im Jahr 1800 aus dem Gefängnis in Toulon. Wieder wurde er verhaftet, konnte entkommen, wurde wieder verhaftet und das schließlich zum letzten Mal am 1. Juli 1809. Da war Bidoc 34 Jahre alt. Und was jetzt passierte, war wirklich unglaublich. Denn Bidoc bot dem Pariser Polizeichef in einem Brief einen Deal an.
Keinen Knast mehr? Dafür gehe ich freiwillig ins berüchtigte Gefängnis von Bicetre, südwestlich von Paris, und spioniere Häftlinge aus. Ich glaube, ich hätte ewig Spitzel bleiben können. Sofern war man dem Gedanken, in mir einen Agenten der Polizei zu vermuten. Vidocq wurde Geheimagent der Pariser Polizei. Er nutzte seine Kontakte zur Unterwelt und schleuste sich als entflohener Sträfling in die kriminelle Szene ein. Und nahm auch eigenhändig gesuchte Straftäter fest.
Vidocq hatte so großen Erfolg, dass er nach und nach in die Polizeiarbeit eingebunden wurde. 1811 organisierte er inoffiziell die Sicherheitsbrigade der Pariser Polizei, aus der im Oktober 1812 offiziell die Sûr-Té entstand. Also die Sicherheitsbehörde unter dem Dach der Pariser Polizei. Napoleon Bonaparte persönlich unterschrieb im Dezember 1813 ein Dekret, wonach Widocks Brigade von nun an die staatliche Sicherheitspolizei sein sollte, die Sûr-Té-Nationale.
Widock war dann 16 Jahre lang der Chef der Behörde, die 1824 aus 28 offiziellen Mitarbeitern bestand. Mit diesem so winzigen Personal mussten über 1200 Entlassen aus Zuchthäusern und Gefängnissen und ähnliche Individuen beaufsichtigt, Nachforschungen angestellt, allerhand Gänge besorgt werden. Außerdem musste die Sicherheitsbrigade die Polizeikommissare bei Haussuchungen und beim mündlichen Verhör unterstützen.
Widock gilt als der Vater der modernen Kriminalistik. Er führte während seiner Zeit als Direktor der Svoté die verdeckte Ermittlung ein. Und er entwickelte zum Beispiel ein Dateikartensystem, in dem jeder Verhaftete erfasst wurde. Seither hat sich die Kriminalistik natürlich weiterentwickelt. Vor allem gegen Ende des 19.
Jahrhunderts wurden viele neue Verfahren entwickelt, wie etwa das anthropometrische System zur Personenidentifizierung nach Enfance Bertillon oder die Fingerabdruckmethode nach Francis Galton, über den wir schon gesprochen haben. Dabei gab es aber auch Irrwege der Wissenschaft und höchst fragwürdige Entwicklungen. Zum Beispiel die sogenannte Optographie. Fasziniert davon war übrigens auch der Chemiker Georg Popp. Kann man im Auge des Opfers das Bild des Mörders erkennen?
1924 wird Georg Popp als einer der ersten zum Honorarprofessor für forensische Chemie und Toxikologie an der Universität Frankfurt benannt. Er ist mit Leib und Seele Naturwissenschaftler. Man überdecke, sobald als nach dem Auffinden der Leiche möglich ist, die Augen mit einem lichtdichten Tuch und lasse dann die Augäpfel durch den zuständigen Arzt bei rotem oder mindestens gelbem Licht herausnehmen.
Georg Popp schreibt in einem wissenschaftlichen Artikel 1925, dass die Methode bisher leider noch nicht funktioniere. Der Forscher soll sich aber nie entmutigen lassen. Und wenn die Aussichten auch noch so gering erscheinen. Die Idee hier, die dahinter steht, ist die, dass das Auge permanent so funktioniert wie eine Kamera, nur permanent dann ein Bild durch das andere ersetzt wird, aber im Moment des Todes das letzte dann fixiert wird.
Bernd Stiegler ist Professor für deutsche Literatur an der Universität Konstanz. Er forscht zur Geschichte der Fotografie. Dabei hat er sich auch mit sogenannten Optogrammen beschäftigt. Dem letzten Bild, das sich auf der Retina, also auf der Netzhaut eines Menschen im Augenblick des Todes, vermeintlich abzeichnet. Wenn das funktionieren sollte, dann ist das Auge natürlich der allerbeste Augenzeuge, den man sich vorstellen kann.
Das ist der ideale Augenzeuge eines Kriminalfalls, weil nämlich das Opfer auf der Retina den Täter festgehalten hat und man dementsprechend anhand der Augen des Opfers dann auch den Täter identifizieren kann. Viele Kriminologen hat diese Idee auch fasziniert, weil Fotografien als alleiniges Beweismittel vor Gericht nicht zugelassen waren. Übrigens bis heute nicht.
Augenzeugen hatten ein höheres Gewicht. Es gab einen Siegeszug des Optogramms in der Zeit um 1880, als man damals die Stäbchen im Auge entdeckte. Das ist das sogenannte Rhodopsin. Das ist ein deutscher Wissenschaftler namens Wilhelm Kühne, der erst mit Fröschen experimentiert und dann vor allen Dingen mit Albino-Hasen. Die Entdeckung dahinter ist, dass im Auge nicht nur die Bilder entstehen, sondern eben auch photochemisch festgehalten werden.
Das Rhodopsin funktioniert so, dass es auf Licht reagiert und bei Dunkelheit sich wieder zurückzieht. Also das heißt, in der Tat ist es so, dass auf der Retina Bilder fixiert werden können. Das ist das, was Kühne dann auch in der ganzen Experimentreihe mit Albino-Hasen durchgeführt hat, indem er die Albino-Hasen bestimmten Eindrücken ausgesetzt hat über einen sehr langen Zeitraum.
Dann die Hasen getötet hat und die Augen entnommen hat und in der Tat eine ganze Serie von Optogrammen angefertigt hat. Und man kann da sehr schön sehen, dass die Gitter der Fenster des Labors, in dem er damals arbeitete, sich auf den Augen der Hasen abgezeichnet hat. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hofften die Kriminalermittler noch, mit dieser Methode Mörder finden zu können. Der berühmteste Fall ist eben bei zwei Opfern von Jack the Ripper, deren Augen man dann auch entnommen hat.
Annie Chapman und Mary Kelly, die aber dann am Ende auch nicht zur Aufklärung des Falls beitragen konnten. Aus dem einfachen Grund, weil natürlich die Morde schon viel zu lange zurücklagen, als dass man auf der jeweiligen Retina überhaupt etwas hätte sehen können. Da hätte man unmittelbar nach dem Mord dort sein müssen. Ein Mediziner, ein Ophthalmologe hätte dort sein müssen, um die Retina zu entnehmen. Oder aber ein Fotograf, der die Retina hätte abfotografieren müssen.
Und da die Morde aber schon Tage zurücklagen, war auf der Retina der Opfer natürlich nichts mehr zu erkennen. Die Optografie ist heute allenfalls noch eine Methode für Kunstschaffende oder gibt Filmemachern Stoff für den nächsten Krimi. Auch andere Verfahren in der Kriminalistik konnten sich nicht durchsetzen, weil es an deren Aussagekraft große Zweifel gab. Und dazu gehört auch der Lügendetektor oder Polygraph, wie er eigentlich korrekt
heißt. Schon 1921 wurde der erste Lügendetektor in den USA entwickelt und 1935 dann zum ersten Mal bei einem Verhör eingesetzt. Man glaubte, dass Emotionen bei Menschen körperliche Auswirkungen hätten. Deshalb verkabelte man die mutmaßlichen Verbrecher beim Verhör und stellte Fragen. Man hoffte, dass bei einer Lüge etwa der Puls in die Höhe schießen oder die Atemfrequenz steigen würde. Und der Polygraph, ganz ähnlich wie ein EKG, ganz sicher Ausschläge zeigen würde.
Aber die Fehlerquote war zu hoch. Heute wird der Lügendetektor in das Reich der Pseudowissenschaften verwiesen und ist zum Beispiel in Deutschland schon seit den 1950er Jahren bei Verhören gar nicht mehr zugelassen. Inzwischen hat man auch Versuche mit sogenannten Neuroscans, also Messungen der Hirnströme, gemacht. Die liefern aber auch keine eindeutigen Ergebnisse, ob jemand lügt oder nicht und werden bei der Verbrechensaufklärung bislang nicht eingesetzt.
Neben den vielen Methoden, die in den vergangenen 200 Jahren entwickelt wurden, um Verbrechen aufzuklären, gehört sicherlich die DNA-Analyse mit zu den wichtigsten. Ein zentrales Datum in diesem Zusammenhang ist der 25. April 1953. Damals veröffentlichten James Watson, Francis Crick, Morris Wilkins und Rosalind Franklin ihre Entdeckung der Molekularstruktur der Desoxyribonukleinsäure im britischen Wissenschaftsmagazin Nature.
Die britischen Forscher erkannten als erste, dass DNA aus Paarungen von vier Nukleotiden bestehen, einem Phosphatrest und dem Zucker Desoxyribose. Vielleicht erinnert ihr euch noch an den Bio-Unterricht. Adenin, Thymin, Zytosin und Guanin. Die berühmte Doppelhelix. Dabei wurde die DNA schon viel früher entdeckt, nämlich von dem Schweizer Mediziner Friedrich Miescher 1869, der in Tübingen mit weißen Blutkörperchen experimentierte und als erster die Nukleinsäure in Zellkernen entdeckte.
Er isolierte als erster DNA. Allerdings hatte er damals noch keine Ahnung, dass darin unsere Erbinformationen gespeichert sind. Mitte der 1980er Jahre gelingt es dann zum ersten Mal, Personen anhand ihrer DNA zu identifizieren. Wegbereiter war hier der Brite Alec Jeffreys, der am 10. September 1984 den genetischen Fingerabdruck entdeckte und herausfand, dass mit Ausnahme von eineigen Mehrlingen jeder Mensch über eine unverwechselbare DNA verfügt.
Man fand auch heraus, dass menschliche DNA zum Beispiel gegenüber Eiweißen den Vorteil hat, sich nicht so schnell abzubauen. Winzige Gewebeteile wie Hautschuppen, Haare oder Speichel reichten jetzt aus, um daraus DNA zu isolieren. 1987 wurde zum ersten Mal in Großbritannien tatsächlich ein Doppelmord mit Hilfe von DNA-Spuren aufgeklärt und der Täter gefasst.
Damals machte man eine Reihenuntersuchung mit 5000 Männern und konnte dadurch nicht nur den Täter eindeutig identifizieren, sondern auch Unschuldige ausschließen. Der genetische Fingerabdruck ist also heute aus der Kriminalistik nicht mehr wegzudenken. Und genau darüber spreche ich jetzt mit Carsten Proff. Er ist beim Bundeskriminalamt Sachverständiger und Experte für DNA-Analysen. Hallo. Einen wunderschönen guten Tag. Eine Frage, die sicher häufig gestellt wird.
Ich stelle sie an dieser Stelle auch. Wie sieht der perfekte Mord aus? Ja, ich glaube, es gibt ihn nicht, ehrlich gesagt. Dazu gibt es zu viele Dinge, die heutzutage ermittelt und untersucht werden können. Aber wir sind natürlich auch nicht hier, um irgendwelche Anleitungen zu geben. Absolut. Ich wollte gerade sagen, wir wollen hier niemanden inspirieren. Im Gegenteil, wir wollen darüber sprechen, wie einfach oder zumindest wie viele Methoden es gibt, um Morde aufzuklären.
Und das ist an sich ein spannendes Feld. Ich denke mal, viele kennen das aus Serien, aus Filmen. Da gibt es dann Methoden, die gezeigt werden. Manche kommen vielleicht eher aus dem Bereich der Fantasie. Manche haben viel mit der Realität zu tun. Und das wollen wir jetzt ein bisschen aufrollen. Und wir starten in den 1970er Jahren bei Quincy, der zum ersten Mal die Kriminalistik in den Mittelpunkt gestellt hat, als Rechtsmediziner wohlgemerkt. Seitdem ist viel passiert, oder?
Ja, auf jeden Fall. Quincy kann ich mich auch noch sehr gut daran erinnern. Ich kann mich auch noch ganz gut erinnern an die andere Ermittlungsart von Columbo oder Sherlock Holmes, wo es da ein bisschen mehr um Logik ging, um Cleverness, um Intuition. Es gab aber zu dem damaligen Zeitpunkt auch schon relativ viele Methoden, die man durchaus nutzen konnte. Es gab schon Fingerabdrücke, es gab schon Schuhspuren, es gab natürlich schon Rechtsmedizin.
Aber in den Filmen und Serien hat das nie eine besonders große Rolle gespielt. Da wurde dann mal gesagt, okay, da passt ein Fingerabdruck und weiter geht's. Und irgendwann ist das so ein bisschen geswitcht. Ich würde das sogar festmachen, so ein bisschen mit der Entwicklung in der DNA-Analyse. Da Ende der 80er, Anfang der 90er hat sich relativ viel getan. Und zu diesem Zeitpunkt hat das Ganze auch ein bisschen Fahrt aufgenommen, würde ich mal sagen.
Ich selber kann mich daran erinnern, an das Schweigen der Lämmer zum Beispiel, als ersten wissenschaftlichen Ansatz der Fallanalyse. Und dann ging es, glaube ich, weiter mit Medical Detectives und Anfang der 2000er, meine ich mich, zu erinnern, geht das Ganze dann los mit CSI zum Beispiel. Alles Sachen, die mich beruflich interessiert haben, sozusagen, die ich auch gerne selber geschaut habe.
Dann gab es irgendwann sogar so etwas wie den CSI-Effekt, das vor Gericht man eigentlich immer nur erwartet hat, dass es irgendeinen wahnbrechenden Beweis gibt, der durch hochtechnische Methoden erhalten worden ist. Natürlich auch durch DNA, aber es gibt natürlich auch noch viele andere Methoden, die hochsensitiv sind. Und ich glaube, da haben einfach die Zuschauer irgendwann so ein Interesse mehr für den wissenschaftlichen Ansatz entwickelt.
Und das hat sich ja auch seitdem ehrlich gesagt nicht geändert. Es gibt heutzutage keine, nicht mal vorabend, Krimi oder Serie, wo man letztendlich nicht auch irgendwo einen Rechtsmediziner oder Kriminaltechniker hat. Und das geht halt auch weiter bis heute in diese True-Crime-Podcast-Welt, die ja sehr, sehr groß ist. Und auch da gibt es ja sogar Rechtsmediziner, die eigene Podcasts haben und so weiter.
Wenn man sich diese Serien und Filme anschaut, dann ist es in aller Regel so, dass die Fälle aufgeklärt werden, dass also ein Mord zum Beispiel nicht vertuscht werden kann. Es scheint unmöglich zu sein, die Spuren zu verwischen. Wie realistisch ist das denn? Kann man das heute wirklich gar nicht mehr machen, weil es so viele Methoden gibt, das aufzuklären? Es ist relativ unrealistisch, alle Spuren zu verwischen.
Natürlich vermeiden Täterspuren. Das Klassischste, glaube ich, was viele aus dem Krimi kennen, ist, wie sie so das Handschuh tragen, damit es keine Fingerabdrücke gibt. Dann kennen wir natürlich auch Serien oder speziell Spielfilme, wo es um hochbegabte Serienmörder geht, die den Tatort ganz perfekt hinterlassen und alles säubern.
Aber es wird insgesamt schwerer, einen Tatort, glaube ich, komplett zu reinigen, weil die Nachweismethoden einfach immer sensitiver werden und man eben auch aus kleinsten Partikeln, die man letztendlich nicht sehen kann und die sich auch in der Luft befinden und sich vielleicht irgendwo absetzen, letztendlich Analysen generieren kann. Und dann gibt es natürlich auch viele Spuren, die wir heute hinterlassen, die kann man weder verwischen noch wegwischen.
Ich denke da vor allem so an digitale Spuren, also all das, was wir zum Beispiel mit dem Handy hinterlassen, die Daten, die in den Funkmasten gespeichert werden von den Providern, sämtliche elektronische Daten auf Laptops, Speichermedien und so weiter. All das, was man draußen findet an Kameras, zum Beispiel Bewachungskameras. All das im Hinterkopf zu behalten bei einer Tat ist, glaube ich, relativ schwer. Vielleicht können wir das alles mal an einem fiktiven Fall durchspielen.
Da gucken wir mal, welche technischen Verfahren der Spurensicherung und Analyse es gibt. Also nehmen wir an, jemand wurde ermordet. Da gibt es eine Leiche vom Täter, keine Spur. Es ist auch keine Tatwaffe auffindbar. Und der Tatort ist wirklich penibel gereinigt worden. Das sieht klinisch dort aus.
Wie geht man jetzt am besten vor? Wenn man so einen fiktiven Fall mal durchdenkt, wenn wir an Blut denken zum Beispiel, Hier gibt es sehr, sehr feine Blutstäube, die sich auch in Ecken und Kanten wiederfinden können. Danach wird geguckt, es wird vielleicht mit Luminol eingesprüht, um weggewischte Blutspuren sichtbar zu machen.
Für DNA werden auch viele Verdachtsabriebe vielleicht von Gegenständen oder Oberflächen genommen, wo man vermutet, dass dort eine Interaktion mit dem Täter stattgefunden hat. Man kann so einen Tatort auch noch ableuchten mit forensischen Lichtquellen, um vielleicht zirologische Spuren sichtbar zu machen. Es werden auch viele Asservate grundsätzlich erstmal eingesammelt und mitgenommen. Man weiß ja manchmal gar nicht, ob die in einem Zusammenhang zu Tat stehen oder nicht.
Als nächstes wird wahrscheinlich irgendwann früher oder später auch ein Rechtsmediziner einbezogen, der zumindest bei einer ersten Augenscheinnahme der verstorbenen Person schauen kann. Okay, es gibt vielleicht keine Tatwache, aber man kann vielleicht relativ deutlich sehen, handelt es sich jetzt hier vielleicht um eine Schusswunde, das Hinweise auf ein Erwürgen. Es wird vielleicht schon eine Einschätzung dazu geben, wann die Tat stattgefunden hat.
In der Regel werden Leichen auch komplett abgeklebt von den Spurensicherungsteams, also wirklich von oben bis unten mit Panzerband oder mit einem speziellen Klebeband, was Mikrospuren, Fasern, Hautzellen aufnimmt. Die Leiche wird natürlich irgendwann verbracht in die Rechtsmedizin, da werden so ein bisschen die Todesumstände natürlich genauer untersucht, was war wirklich die Todesursache.
Man findet vielleicht ein Projektil aus einer Waffe, wenn es sich um einen Schuss gehandelt hat, man kriegt vielleicht Hinweise darauf, was für eine Tatwaffe es war, wenn es ein Messer war, wie lang war es. Hatte es Klingen auf beiden Seiten oder nur auf einer Seite und dann hat man schon relativ viele Informationen.
Ich würde jetzt mal nicht den Anspruch haben, dass es die Vollständigkeit ist, weil es gibt mit Sicherheit noch tausend Kleinigkeiten, die man da im Einzelfall machen kann, auch in der Wohnung. Speziell auch, weil die ganzen digitalen Medien auslesen von Handys, hacken von Handys, schauen, wie die Kommunikationswege waren, welche Nachrichten gab es, um vielleicht einen Hinweis zu bekommen, gibt es eine persönliche Verbindung zum Opfer, ja oder nein.
All das sind Dinge, die man erstmal machen kann, auch wenn der Tatort erstmal augenscheinlich sehr sauber aussieht. Und dann gibt es eine Methode, die Columbo zum Beispiel noch nicht in dieser Form zur Verfügung hatte und das ist die DNA-Analyse. Wann beginnt denn die Arbeit damit und in welchen Fällen wird das überhaupt angewandt? Denn das ist ja auch immer mit Kosten und Aufwand verbunden. Also DNA-Analysen werden eigentlich bei nahezu allen Deliktformen benutzt.
Also ich habe in meiner Karriere wirklich vom einfachen Diebstahl, möglicherweise auch aus einer Gartenlaube oder so, bis hin zum Mord, Totschlag und so weiter, wird immer DNA-Analyse fast gemacht, wenn es dort in irgendeiner Form einen Hinweis darauf gibt, dass es Sinn macht. Der Hintergrund ist eigentlich der, dass man sagt, wenn wir ein DNA-Muster haben, dann können wir das vielleicht in der Datenbank abgleichen und wir bekommen vielleicht einen Namen zu diesem Profil.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass man anhand dieser DNA-Spur natürlich auch Tatzusammenhänge feststellen kann. Wann fangen wir an mit der Analyse? Eigentlich ist das natürlich ein bisschen anders, als wir es vielleicht aus Krimis oder dem Fernsehen sehen. Wir bekommen in der Regel einfach einen ganz klassischen Untersuchungsauftrag von der sogenannten ermittelnden Dienststelle.
Mit diesem Untersuchungsauftrag werden dann eine Reihe von Asservaten natürlich übersandt und dann wird meistens gebeten, zu schauen, wo finden sich auswertbare molekularbiologische Spuren. Wichtiger Aspekt dabei ist immer, geht auch manchmal ein bisschen unter in Krimi und Serien, dass es viele DNA-Spuren gibt, die nicht tatrelevant sind. Das heißt, sie stammen von Personen, die berechtigterweise zum Beispiel in dieser
Wohnung vorher waren, wo der Tatort war. Es kann sich auch mal durchaus um Einsatzkräfte handeln, weil zuerst vielleicht auch ein Rettungswagen gerufen wurde. Auch diese Personen untersuchen wir dann, um sozusagen Trugspuren auszuschließen und festzustellen, dass möglicherweise wirklich relevant ist. Und im besten Fall bekommt man das auch, aber sicher gibt es dann auch mal Situationen, in denen man eben nicht weiterkommt. An welchen Stellen gelangt man denn an Grenzen?
Sie haben ja eben schon ein bisschen angedeutet, in Krimis und Serien funktioniert immer alles und zwar wunderbar gut. Da kommt der Ermittler morgens mit einem Haar um die Ecke und hat um nachmittags um 14 Uhr das fertige Ergebnis. Er hat ein vollständiges DNA-Muster, das passt wunderbar zum Tatverdächtigen. Das entspricht nicht der Realität. Es gibt eine Vielzahl von DNA-Spuren, die nicht auswertbar sind oder nicht verwertbar.
Häufiger passiert es, dass einfach die DNA-Qualität nicht so gut ist, wie man sie sich wünscht. Die DNA ist ein biologisches Molekül und unterliegt halt auch Mechanismen des Abbaus, vor allem wenn wir über UV-Licht reden, wenn wir über Bakterien oder Schimmel reden. Insbesondere wenn es feucht und warm ist, ist DNA relativ schnell auch kaputt. Wir nennen das DNA-Degradation. Man kann sich das vorstellen, dass das so schrittweise wird die DNA quasi in
Stücke unterteilt. und dann können wir die Zielregionen, die uns auf der DNA interessieren, nicht mehr richtig darstellen. Und dann gibt es manchmal nur schwache Teil-DNA-Muster oder eben auch gar keine DNA-Muster. Und ich hatte ja anfangs gesagt, wir sind sehr, sehr sensitiv in unseren Methoden. Deswegen analysieren wir eben auch so ziemlich alles, was an DNA zum Beispiel auf einer Oberfläche ist oder an einem Lenkrad. Und da passiert es relativ häufig, dass wir sehr große Mischspuren haben.
Die Mischspur heißt, wir haben nicht nur DNA von einer Person, sondern vielleicht auch von zwei, drei, vier, fünf oder sechs. Und je mehr da in so einer Mischspur drin sind, desto weniger ist die Spur dazu geeignet, eine Person zuzuordnen, weil die Möglichkeit einer zufälligen Übereinstimmung irgendwann zu groß wird. Und damit haben wir zu einem relativ hohen Anteil mit diesen zwei Formen, also schlechte DNA und komplexe Mischspuren, die verhageln, sage ich mal,
schon relativ viel der Ergebnisse. Manchmal kommt man noch auf vergleichsweise kuriosen Wegen zu einem Ergebnis. 2004 hat man einen Mordfall nach sechs Jahren aufklären können und zwar anhand eines Eichenblattes, das man im Kofferraum des Ehemanns des Mordopfers gefunden hat. Wie kam man da denn dem Täter auf die Spur? Ich meine, Eichenblätter sind ja nicht besonders spektakulär, die findet man überall in Deutschland.
Ja, also den Fall haben meine Kollegen aus unserer Abteilung für biologischen Spuren nicht-humanen Ursprung sozusagen bearbeitet. Und Tiere und Pflanzen besitzen natürlich genauso DNA wie wir Menschen. Und die Strukturen, die wir auf der DNA untersuchen für Menschen, die gibt es auch in ähnlicher und gleicher Form bei Tieren und Pflanzen. Das Grundproblem bei solchen Analysen ist, dass für unsere humanen DNA ist es so, dass man relativ viele kommerzielle Reagenzien hat, die man kaufen kann.
Die sind fertig validiert, die funktionieren wunderbar. Und wenn man auf einen speziellen Organismus gucken muss, wie zum Beispiel ein Baum oder ein Tier, wo es diese Reagenzien noch nicht so gibt, dann muss man sich hinsetzen und diese auch etablieren. Und das ist in diesem Fall passiert.
Das heißt, man hat im Prinzip eine forensische DNA-Analyse für Eichenblätter etabliert, hat dort eben die Unterschiede sichtbar machen können, hat eine Vielzahl von Bäumen typisiert, um herauszufinden, wie gut die Zooordnung funktioniert. Und durch dieses Eichenblatt konnte man, glaube ich, nachweisen, dass er an einem bestimmten Ort war. Man hat dieses Eichenblatt dann typisiert und verglichen mit den Bäumen, die in der Nähe dieses Ablageorts der Leiche standen.
Und man konnte so dann eindeutig identifizieren, dass dieses Eichenblatt wirklich von diesem Platz und dem oder den Bäumen stand, die direkt neben dem Ablageort der Leiche sich befunden haben. Und damit hatte man ein wichtiges Indiz, dass eben auch der, ich glaube, der Ehemann dann die Person war, die die Leiche dorthin gebracht hat. Das ist an sich schon ein spektakulärer Fall gewesen, zumindest weil er spektakulär aufgeklärt worden ist.
Was war denn Ihr persönlicher spektakulärster Fall? Ja, also naturgemäß können wir hier im BKA natürlich nicht über alle Fälle sprechen. Es gibt durchaus ein paar spektakuläre Fälle, zu denen ich Ihnen jetzt hier nichts sagen kann. Für mich persönlich war in den vergangenen Jahren, in denen ich hier tätig war, der NSU-Prozess eigentlich so der spektakulärste Fall.
Hier wurden viele, viele tausend DNA-Spuren untersucht und auch bewertet und nicht nur von mir, von einer Vielzahl von Sachverständigen, die diese Spuren bewertet haben. Letztendlich hat dann im Rahmen des Prozesses gegen Beate Zschäpe das Oberlandesgericht uns einen Auftrag erteilt, so eine Auswahl dieser Spuren ein Gutachten zu erstellen. Das ist das, was ich dann gemacht habe. Und dieses dann vor Gericht vorzustellen, Das war natürlich für mich persönlich auch eine sehr, sehr große Sache.
Es ist ein riesengroßer Prozess gewesen. Es hat eineinhalb Tage gedauert. Im Nachgang musste ich noch zum Untersuchungsausschuss des Bundestages und dort meine Aussage machen. Auch das ist etwas, was nicht alltäglich ist. Und die Komplexität und die Anzahl der Spuren, all das, was man dort gesehen hat und auch die Aussage vor Gericht, das war für mich natürlich eigentlich eine wichtige Sache und war auch relativ spektakulär.
Ansonsten würde ich aus meiner persönlichen Sicht noch ein paar Dinge hervorheben wollen. Das BKA hat eine Identifizierungskommission, wo wir auch eben als DNA-Sachverständige mithelfen. Und da sind relativ viele Sachen, die für mich persönlich sehr präsent geblieben sind. Ob das die Opferidentifizierung im Rahmen der Ahrtal-Katastrophe war, beim Tsunami, Germwings.
Das sind natürlich Sachen außerhalb der, sag ich mal, des Kriminalkontextes, die einem auch sehr, sehr teilweise nahe gehen, aber auch im Gedächtnis bleibt für immer. Vielen Dank für die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit. Rangeschehen. Ja, und das war es mit einem spannenden Einblick in die Geschichte der Kriminalistik und mit unserer ersten Folge Terra X History, der Podcast in diesem Jahr. Und damit ihr uns nicht verpasst, noch eine kleine Information zum Schluss.
Die Folgen erscheinen jetzt immer am letzten Freitag im Monat. Die nächste Episode gibt es demnach also am 28. März. Da geht es um den Bauernkrieg. Wenn ihr Feedback für uns habt, dann schreibt uns gerne. Gerne per Mail auf Terra X History bei Instagram oder aber ihr kommentiert diese Folge hier im Community-Tab bei YouTube auf dem Kanal Terra X History. Wir freuen uns über eure Gedanken zur Folge, aber auch über neue Themenvorschläge.
Dieser Podcast hier ist eine Produktion von Objektiv Media im Auftrag des ZDF. Die Autorinnen waren wie immer Janine Funke und Andrea Kahrt. Sie sind verantwortlich für Buch und Regie. Für die technische Umsetzung und Gestaltung verantwortlich ist Sarah Fitzek. Redaktion im ZDF hatte Katharina Kolvenbach. Ich bin Mirko Rotschmann und sage danke fürs Zuhören. Music.