Music. Einen schönen guten Morgen Richard. Guten Morgen Markus. Wo erreiche ich dich? In der neuen Kemenate. In der du dich wohlfühlst. Ja, in der ich mich sehr wohlfühle. Ja, sehr gut. Deine Stimme ist auch besser als meine. Meine ist so ein bisschen angeschlagen heute. Aber ich freue mich sehr auf die Folge, Richard, weil ich mit dir über ein Thema sprechen wollte, von dem ich den Eindruck habe, das wird ein großes Thema in den nächsten Jahren. Es ist schon ein großes Thema.
Ich wollte mit dir über Meinungsfreiheit sprechen. Über die Frage, was ist eigentlich noch sagbar? Was ist gedeckt vom Grundgesetz? Was darf man eigentlich alles sagen? An welchem Punkt sind möglicherweise auch Positionen, die uns nicht gefallen, dennoch von der Meinungsfreiheit gedeckt? Und wie gehen wir eigentlich damit um?
Ich habe einen schönen Satz von Gerhard Baum, der leider verstorben ist und der häufiger unser Gast war und den ich diesbezüglich sehr, sehr geschätzt habe, weil er immer differenziert darüber gesprochen hat und ich habe ihn deswegen so geschätzt, weil immer klar war, wo der steht. Und dennoch sagt jemand wie Gerhard Baum, Demokraten sind gefordert, Leute, die die Demokratie abschaffen wollen, klar zu sagen, wo die Grenze ist.
Aber eben unter Nutzung der Meinungsfreiheit, die auch die anderen haben. Und dann kommt der entscheidende Satz, auch Populisten haben Meinungsfreiheit.
Das ist aus der Zeit, als die Liberalen in Verpflichtung ihrer Grundsätze überzeugte Liberale wie Burkhard Hirsch, wie Gerhard Baum, wie Hildegard Hambrücher mit Argus Augen darauf warten, dass wir keine Kratzer auf unserer liberalen Demokratie bekommen und für die die Meinungsfreiheit ein ganz, ganz hohes Gut war und sie deswegen auch häufig thematisiert haben. Es geht ja schon damit los, dass eigentlich mal definiert werden muss, was ist eigentlich eine geschützte Meinung.
Es gibt ein interessantes Urteil, Bundesverfassungsgericht aus 2011, wo es heißt, Meinungen sind unabhängig davon geschützt, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen. Also so weit geht das. Also durch Artikel 5 des Grundgesetzes. Genau, Grundgesetz. Es ist völlig egal, ob es wahr oder unwahr ist, ob es begründet ist oder grundlos, ob es emotional oder rational ist, ob sie wertvoll oder sogar wertlos sind, ob sie gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden.
Sogar das Letzte, ob sie gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Also es kommt bei einer Meinungsäußerung juristischen Sinne nicht darauf an, ob es stimmt, was ich sage und es kommt nicht darauf an, ob es gefährlich oder harmlos ist. Und es gibt ja bestimmte Dinge, die man trotzdem nicht sagen darf. Die sind auch ganz klar festgelegt. Du darfst keine schweren Beleidigungen von dir geben. Das hat strafrechtliche Konsequenzen.
Du darfst nicht zu Gewalttaten aufrufen und keine Volksverhetzung begehen. Das sind so die drei großen Eckpfeiler, was du nicht darfst. Und damit müsste man doch eigentlich sagen, wäre im Prinzip juristisch alles klar. Ist es aber nicht. Jetzt gibt es auf der europäischen Ebene seit 2022 einen sogenannten Digital Service Act.
Das ist eine Reaktion auf die Kultur oder Unkultur des Internets, wo man die Betreiber großer Plattformen im Zweifelsfall zwingt oder nötigt, bestimmte Dinge, die auf diesen Plattformen verbreitet werden, zu löschen und auch die Benutzer zu sperren. Und da werden vor allen Dingen zwei Begriffe in den Mittelpunkt gestellt. Das eine ist der Begriff Desinformation und das zweite ist der Begriff Hassrede.
Und das Schwierige daran ist, diese beiden Begriffe tauchen im Grundgesetz oder auch in den Kommentaren des Bundesverfassungsgerichtes gar nicht auf. Weil wir hatten ja gerade zitiert, das Bundesverfassungsgericht, dass es egal ist, ob eine Meinungsäußerung wahr oder falsch ist. Da stellt man die Frage, wie kann man dann Desinformation im Netz unter Strafe stellen.
Und das Zweite ist auch, dass es egal ist, ob eine Aussage jetzt irgendwie bösartig oder freundlich ist und dann stellt sich die Frage, wie kann man Hassrede unter Strafe stellen, es sei denn, Es erfüllt diese drei gerade genannten Dinge, Aufrufe zur Gewalt, schwere Beleidigung oder Volksverhetzung. Und über den Umweg der EU fangen wir jetzt an, die Interpretationen anders auszulegen, als wir das bisher gemacht haben.
Weil wir in Desinformationskampagnen im Internet durch feindliche Mächte zum Beispiel, sei es Elon Musk auf der einen Seite, sei es Putin auf der anderen Seite und so jetzt hoch sensibilisiert sind. Und auf einmal anfangen, über das, was in der Bundesrepublik über viele Jahrzehnte gegolten hat, hinausgehen zu wollen, weil wir meinen, wir müssen uns schützen.
Das ist so quasi, wenn man jetzt sich um die Meinungsfreiheit von oben kümmert, die Einschränkung der Meinungsfreiheit von oben, es gibt ja auch noch eine andere, über die wir auch reden sollten, sind das im Augenblick die strittigen Themen. Das ist im Grunde, weil wir gerade über Gerhard Baum gesprochen haben, es ist interessant, wenn du dir mal anschaust, wie da die Entwicklung ist.
Also du kannst es auch innerhalb der FDP, kannst du sehen, muss gerade an die ehemalige Bildungsministerin, an Bettina Stark-Watzinger denken, FDP, von der manche sagen, das war im Grunde die illiberalste Inhaberin dieses Amtes seit vielen Jahren, weil sie anfing, unter ihrer Ägide hat das Ministerium angefangen zu prüfen, ob man Professorinnen und Professoren das Fördergeld streichen kann, wenn sozusagen die politischen Äußerungen nicht so richtig genehm sind.
Das ist eine Vorstufe zu Donald Trump. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Richtig. Dann nochmal dazu gesagt, wir hatten sie damals auch dazu in der Sendung. Da wird man natürlich wahnsinnig hellhörig, wenn man dann sowas hört. Damals ging es um Israel und die Frage, was genau ist Antisemitismus und wann ist es antisemitisch und so weiter. Und das wurde sehr schnell glücklicherweise einkassiert. Natürlich darf sie nicht Fördergelder streichen, wenn einem die politische Meinung nicht passt.
Und sie hat dann auch öffentlich zurückgerudert. Und zwar auch sehr, sehr schnell. Aber du merktest sozusagen den Impuls. Und das ist ganz oberflächlich oder ganz grundsätzlich gefragt, Richard. Wie schaust du auf das, was da passiert? Ich weiß, dass dir, Harald Welzer und so weiter, ihr habt ja euch auch in Büchern darüber Gedanken gemacht.
Mir geht es manchmal so, ich sitze dann in Diskussionen mit Menschen, wir reden über Meinungsfreiheit und dann wird sozusagen so rhetorisch gefragt, sie glauben doch nicht im Ernst, dass man in diesem Land nicht weiterhin alles sagen darf. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass der öffentliche Diskurs irgendwie eingeschränkt ist. Und bis vor ein paar Jahren hätte ich das auch immer in Bausch und Bogen von mir gewesen. Hätte immer gesagt, ja nee, klar, natürlich darfst du alles sagen.
Aber wenn ich mir mittlerweile teilweise anschaue, wie Diskussionen verlaufen, auch wenn du an unsere Folge über die AfD beispielsweise denkst, wenn ich zum Beispiel sage. Dass Chrupalla im Deutschlandfunk im Interview sagt, wir müssen unseren Ton verändern und ich sage daraufhin, dann lass ihn uns beim Wort nehmen.
Dann lass uns schauen, ob er das wirklich ernst meint und wenn er es nicht tut, dann lass uns danach ein sehr hartes Urteil darüber fällen und dann ist sozusagen klar, dass er es nicht so gemeint hat, dass es nur eine taktische Äußerung war. Aber erstmal würde ich das gerne ernst nehmen wollen und werde ihn dann an seinen Worten messen. Der freundlichste Vorwurf ist naiv, wie kann man sowas glauben und das andere ist dann sofort die Nazikeule.
Das heißt, ich hätte mich direkt schon nochmal distanzieren müssen, hätte sagen müssen, der Chrupalla ist doch ein Nazi und das kann man doch nicht alles ernst nehmen und so weiter. Ich denke, wenn wir auf diese Art und Weise weitermachen, wenn wir so miteinander sprechen, dann gehen wir exakt den Weg, den Amerika jetzt gerade geht. Und davor habe ich Riesenschiss. Ich auch. Dass wir genau auf diesem Pfad sind,
der Amerika an dem Punkt geführt hat, an dem es heute ist. Ja, das ist ganz genau meine Angst. Ich habe gerade meine Arbeiten zu meinem Buch über die Meinungsfreiheit beendet, das im Oktober rauskommt. Du machst ein neues Buch dazu, ja? Neues Buch zum Thema Meinungsfreiheit, weil ich mir genau die gleichen Sorgen mache, die du dir auch machst. So, jetzt würden deine Kritiker entgegnen, du kannst doch sagen, was du willst.
Du hast doch diesen Chrupalla-Satz sagen können und wir hören dabei ganz viele Leute zu und dir ist nichts passiert und so weiter. Also jetzt muss man zwei Dinge mal unterscheiden. Das, was man sagen darf, das ist immer noch ganz, ganz viel. Das hat sich jetzt nicht so ganz wesentlich verändert. Wie gesagt, im Internet wird es gerade strenger. Da ist gerade umkämpfter Raum. Aber man kann immer noch ganz viel sagen. Aber die sozialen Kosten steigen.
Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Das heißt also, die Spannbreite von Äußerungen, die man machen kann. Damit sie keinen Unmut hervorrufen oder heftige Aggressionen oder heftige Anklagen oder moralisierende Repliken, diese Spannbreite wird kleiner. Und deswegen gibt es viele Leute, die Dinge denken, die sie in der Öffentlichkeit nicht mehr aussprechen.
Vielleicht, bei manchen fängt das schon im Bekanntenkreis an und bei anderen eben in der größeren Öffentlichkeit, weil sie denken, wenn ich das sage und dann kommt die Reaktion und so. Und dann wandern diese Meinungen quasi in den Untergrund und schmoren da vor sich hin und in den Menschen wächst das Gefühl, ich darf ja hier nicht mehr sagen, was ich will.
So jetzt hatte ich, war ich ja vor einiger Zeit in Österreich beim ORF in einer Talkshow zu dem Thema und habe mich dort mit einer Grünen unterhalten und einer ungefähr gleichaltrigen, so um die 40-jährigen Journalistin. Und die sagt mir gleich am Anfang der Talkshow, also es gibt überhaupt kein Problem mit der Meinungsfreiheit, weder in Deutschland noch in Österreich. Das ist ja völlig klar, es gibt Probleme mit der Meinungsfreiheit in Russland
und es gibt die in Afghanistan und so. Aber nicht bei uns. Bei uns gibt es überhaupt gar keine Probleme. Die einzigen, die sich hier beschweren würden, dass bei uns die Meinungsfreiheit nicht mehr richtig gegeben ist, das sind Leute, die gerne rassistische, sexuelle. Chauvinistische und so weiter Kommentare posten wollen oder ihre übel meinenden, menschenverachtenden Meinungen preisgeben wollen und sich darüber wundern, dass sie das nicht dürfen.
Und damit war für diese beiden jungen Damen ja das Thema erledigt. Das heißt, diese ganze Grauzone, die ich so richtig spannend finde, die man subjektive Meinungsfreiheit nennt, also wie hoch sind die Kosten für Meinungsäußerungen, die gerade nicht der gesellschaftlichen Mitte entsprechen oder der Meinung der Leitmedien oder so. Dieser Bereich wird damit ja nicht abgedeckt.
Und solange ich nur in der Kategorie denke, was ist erlaubt und was ist verboten, Und wenn ich jeden, der das kritisiert, als dem rechten Rand zugehörig etikettiere, begreife ich das Problem, das wir haben und was uns möglicherweise irgendwann amerikanische Verhältnisse beschert, nämlich dass quasi aus einer Trotzreaktion Rechtspopulisten an die Macht kommen, die dann auf ihre Art und Weise die Meinungsfreiheit einschränken, aber genau umgekehrt, als es bisher der Fall ist.
Das ist ja das, was in den USA passiert ist. Das wird befeuert durch diese Entwicklung. Und das ist sehr, sehr gefährlich. Und das Wichtigste ist, wir dürfen den Verlust der subjektiven Meinungsfreiheit, den in Deutschland mehr als 60 Prozent der Bevölkerung Eilensbach-Umfrage fühlen, den dürfen wir nicht weiter tabuisieren.
Damit machen wir nur die Rechten stark. Ich meine, das musst du dir mal vorstellen, nur noch 40 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass es sowas wie echte Meinungsfreiheit in diesem Land gibt. Und das waren noch in den 90er Jahren weit über 80 Prozent. Und das ist dann rapide in den Nullerjahren zurückgegangen. Das hat dann einen richtigen Absturz gekriegt in der Corona-Zeit. Da sind wir dann bei 43 Prozent, die noch meinten, man könnte in Deutschland
frei sagen, was man denkt. und ist seit Corona nicht wieder in die andere Richtung gegangen, sondern nochmal um weitere drei Prozent auf inzwischen 40 Prozent abgesackt. Und wenn man von 83 Prozent kommt und 20 Jahre später bei 40 Prozent liegt, dann kann man das nicht marginalisieren und sagen, die Leute spinnen alle, sondern muss man sagen, okay Houston, wir haben ein Problem. Das ist interessant, weil du gerade den historischen Rückgriff machst, Richard.
Das ist ja eng gekoppelt mit der Polarisierung, die wir feststellen. Und wir haben gerade Amerika schon genannt. Ich habe mich dieser Tage mit Lars Feld unterhalten. Ich weiß nicht, ob du den kennst. Das ist einer der Top-Ökonomen dieses Landes. Ich meine jetzt persönlich kennst. Persönlich nicht. Ich habe den mehrfach erlebt. Der ist ein sehr liberaler Ökonom, war man in der SPD, ist dann ausgetreten, war dann lange Zeit der oder galt so als der wichtigste Berater von Christian Lindner.
Er ist aber einfach ein exzellenter Wissenschaftler und wirklich kluger Kopf, tauscht mich immer wahnsinnig gerne mit dem aus. Und wir haben im Nachgang zur Sendung über Amerika gesprochen, weil er gerade in Amerika war. Und er sagte, du kannst dort mithilfe eines Datensatzes, den es so nur in Amerika gibt, diese Polarisierung messen. Und ich fragte ihn dann, wie? Und dann hat er mir das erklärt und sagt, es gibt in Amerika ungefähr 80 Prozent der Abstimmungen, sind namentliche Abstimmungen.
Das ist anders als bei uns. Also du weißt sehr genau. Und wie Abgeordnete abgestimmt haben. Und deshalb gibt es da über die lange Zeit, die diese amerikanische Demokratie besteht, gibt es eine interessante Datensammlung, die Aufschluss darüber gibt, wie sich sozusagen die Polarisierung in den Vereinigten Staaten entwickelt hat. Also man sieht genau, bei welchen Vorhaben Demokraten mit Republikanern oder Republikaner mit Demokraten gestimmt haben.
Also mit anderen Worten, wann sie wie nah beieinander oder eben auch auseinander waren. Du kannst sozusagen genau sehen, wie das läuft. Und in diesem Datensatz sieht man, dass sich sozusagen von den Anfängen, wo man in den Abstimmungen immer sehr nah beieinander gelegen hat, die treffen sich und dann reden wir über die Dinge, über das Gemeinwesen und welche Gesetze müssten wir verabschieden, hat sich dann so langsam eine Polarisierung entwickelt.
Man driftet immer weiter auseinander, die schließlich sich im amerikanischen Bürgerkrieg entlädt, sozusagen mit einer gewaltigen Explosion. Das ist das, wohin das dann führt. Danach sozusagen Mütchen gekühlt, hohen Preis gezahlt, schreckliche Geschichten und Dinge erlebt, das Grauen einmal wirklich in den Abgrund geguckt. Danach nimmt das ab. Die Leute reißen sich wieder am Riemen, man kommt wieder miteinander ins Gespräch und man bleibt relativ konstant bis Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre.
Und dann kommt, du ahnst das, das ist auch häufig dein Thema, Vietnamkrieg und all das. Und dann nehmen diese Verhärtungen wieder zu, die Konfrontation wird wieder deutlich spürbarer in diesem Abstimmungsverhalten. Und das nimmt dann aber auch nicht mehr ab, sondern seit Anfang der 70er, sagt er, sieht man in diesen Sätzen, steigt das immer weiter an.
Die amerikanische Politik entzweit sich immer weiter, die Gesellschaft polarisiert sich immer weiter, bis sie dann unter Trump einen absoluten Höhepunkt erreicht und mehr noch, man kann in diesem Datensatz sehen, dass die Polarisierung unter Trump heute stärker ist, als sie jemals war, auch stärker als damals, als der amerikanische Bürgerkrieg losging. Das ist die Situation in Amerika des Jahres 2025. Und dahinter steht dann für mich die bange Frage, wie und wo wird das enden?
Also ich fand das beklemmend, wie er das so erzählt hat. Und du kannst es sozusagen wirklich sehen in diesen Protokollen. Und denke, ja, und wenn wir nicht aufpassen, dann laufen wir genau darauf zu. Ja, also jetzt kann das sein. Das ist auch alles sehr plausibel und auch alles sehr gefährlich. In Deutschland sieht die Situation leicht verändert aus gegenüber den USA.
Steffen Mau, den wir hier schon häufiger zitiert haben, ein deutscher Soziologe, ein sehr umfangreiches Buch, Triggerpunkte, mit seinen Kollegen geschrieben. Sehr toller Schreiber. Ja, genau. Und in diesem Buch hat er also immer wieder und immer wieder herausgearbeitet und betont, dass wir in Deutschland keine polarisierte Gesellschaft sind, wie es die USA sind. Zu einer polarisierten Gesellschaft gehört, dass es zwei klar identifizierbare Lager gibt, die einander gegenüberstehen.
Also etwa die nationalistisch-konservativen auf der einen Seite und die links-progressiven auf der anderen Seite. Wir haben diese Lager, die gibt es, aber sie sind nicht repräsentativ, dass die Gesellschaft quasi in diese zwei Lager zerschnitten wäre. Also wir haben das Lager der AfD, klar, wir haben auch die Grünen und wir haben auch die Linkspartei, aber wir haben auch dazwischen eine SPD und eine CDU.
Und wir haben viele Menschen, die sich überhaupt gar keinem Lager von den beiden zugeordnet fühlen, sondern sagen würden, dass sie seelische, gemischbaren Läden sind. Würde ich nicht zum Beispiel zuzählen. Würde sagen, ich habe konservative Anteile in mir und ich habe progressive Anteile in mir. Und in manchen geht mir der Fortschritt zu schnell und in anderem geht er mir zu langsam. Und ich glaube, so denken, wenn man das in Gruppen einteilen würde, sogar die allermeisten Menschen.
Die würden sich also nicht sauber einem solchen Lager zurechnen, wie das in den USA der Fall ist. Deswegen diese Zweierpolarisierung haben wir oft nicht. Zum Beispiel, wenn du dir die Bewertung des Vorgehens Israels gegen die Hamas anschaust. Kannst du dann die Leute, die sagen, das ist gerechtfertigt auf der einen Seite und die anderen, die sagen, das ist Genozid auf der anderen Seite, könntest du die in gesellschaftliche Lager einsortieren?
Wo stehen denn die Linken? Wo stehen denn die Rechten? Wo stehen denn die Nationalistischen? Wo stehen die Progressiven? Wo stehen die universellen Humanisten und so weiter? In Deutschland ist doch die Einschätzung dieses überhaupt nicht an Milieus, an Lager oder an so fixierbare Weltanschauungen gebunden. Das ist übrigens auch bei Corona so gewesen. Du konntest auch bei Corona nicht jetzt ganz sauber unterscheiden, dass diejenigen, denen die staatlichen Maßnahmen zu weit gingen, was waren die?
Ja, nationalistisch, rechtskonservativ, links, progressiv, liberal. Du findest ja überhaupt kein Etikett, was du da drauf machen kannst. Wogegen diejenigen, denen die Maßnahmen nicht weit genug gingen und die eine Impfpflicht haben wollten und so weiter. Ich wäre auch gespannt, was für ein Etikett du da drauf machen kannst. Du könntest die noch nicht mal nach Parteien, die die wählen, auseinandersortieren.
Und deswegen muss man sagen, wir haben zwar ganz harte Frontlinien, wir haben eine Aufregungskultur, eine Erregungskultur, eine Scham- und Beschämungskultur, die alle hochproblematisch sind, aber eine Zwei-Lager-Theorie beschreibt die Lage nicht wirklich gut. In Deutschland meinst du jetzt? In Deutschland. In USA ist das damit klar beschrieben. Das geht ziemlich gut, aber bei uns ist der Fall viel komplizierter. Jetzt muss man sagen, es gibt da auch sozusagen eine andere Seite.
Ricarda Lang hat da neulich darauf hingewiesen. Die sagte, wenn nach der Meinung von Elon Musk in dieser Welt echte Freiheit bedeutet, dass zumindest auf deren Plattformen aufs Übelste beleidigt und folgenlos gehetzt werden darf. Was ist dann eigentlich mit der Meinungs- und Redefreiheit all derer, die sich eben wegen dieser Beleidigungen und Hetze zurückziehen?
Da hat sie einen Punkt, finde ich. Das ist die gleiche Argumentation, die von den österreichischen Grünen oder von der österreichischen Vertreterin der Grünen gekommen ist, die dieses Thema dahin auflöst, dass es sagt, es gibt auf der einen Seite die Pöbler. Ja, meistens vom rechten Rand und auf der anderen Seite gibt es auf der linken Seite im Zweifelsfall die Opfer, die sich nicht mehr trauen, was zu sagen. Da hat sie einen Punkt und umgekehrt wird auch ein Punkt draus.
Es gibt auch genauso die linken Beschämer und Aufreger, Kanzler und so weiter, die dazu führen, dass Leute, die anderer Meinung sind, sich auch nicht mehr trauen, was zu sagen. Also das so darzustellen, als gäbe es nur eine gesellschaftliche Bewegung, dass die pöbelnden Rechten die Linken verunsichern. Die pöbelnde Linken verunsichern auch viele Rechte oder sagen wir zumindest konservative oder nationalgesinnte oder rückwärtsgewandte oder wie auch immer wir sie nennen wollen.
Das gibt es in beide Himmelsrichtungen und das anzuerkennen wäre die Voraussetzung, damit Ricarda Lang versteht, was hier auf dem Spiel steht. Ja. Ich meine, man muss dazu etwas verstehen. Auch das hat wieder mit Gesetzgebung zu tun. Ich verstehe Ricardo Lang da total. Ich weiß zum Teil aus persönlichen Gesprächen, welchen Preis Leute bezahlen, die heute in die Politik gehen. Und es gibt mittlerweile auch Studien darüber.
Zwei Drittel aller Bürgermeister und Lokalpolitiker sind mittlerweile harten Anfeindungen, Drohungen ausgesetzt. 80 Prozent, so eine Studie sagt, kämpfen mit den Folgen. Das geht hin bis zu schlaflosen Nächten, das geht aber auch hin bis zur Depression und anderen psychischen Folgen. Und man kann das alles sehr gut nachvollziehen. Und um diese Menschen besser zu schützen, wurde ja zuletzt 2021 die sogenannte üble Nachrede, Paragraf 188, Strafgesetzbuch, reformiert und erweitert.
Also da heißt es wörtlich gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung. Das ist sozusagen das, worum es geht. Voraussetzung für eine solche Tat wurde vereinfacht. Das heißt, selbst der Strafantrag des Betroffenen ist nicht mehr immer unbedingt erforderlich. Und da kommst du jetzt genau zum Punkt. Der Ausgang war Renate Künast, die sich immer wieder unglaublichen Beleidigungen
und Hassposts ausgesetzt sah. Pädophilen, Truller, Gehirn amputiert, kranke Frau, Schlampe, ich will das alles gar nicht weiter ausführen. Und sie hat dagegen geklagt, hat sich gewehrt mit Erfolg. 2022 hat das Bundesverfassungsgericht eben dem Hass im Netz sozusagen Grenzen gesetzt. Politiker müssen sich Beleidigungen in sozialen Medien seitdem nicht mehr gefallen lassen. Das hat aber auch eine andere Seite. Ja, da bezahlen wir für diesen Schutz, bezahlen wir einen verdammt hohen Preis.
Weil die Schattenseite dieses 188ers besteht darin, dass Politiker jetzt aufgrund ziemlicher Bagatellen sofort alle Gründe der Welt haben können, sich beleidigt oder verleumdet zu fühlen. Der berühmteste Fall davon ist, dass ein Jurist, ein pensionierter Jurist in Bayern, die Werbung oder das Logo der Firma Schwarzkopf für Haarpflegeprodukte, Schwarzkopf Professional ersetzt hat durch Schwachkopf Professional und statt der Silhouette einer Frau das Konterfei von Robert Habeck eingesetzt hat.
So und dann würde jetzt ja jeder sofort sagen, ja Moment mal, also Schwachkopf, ist das jetzt eine schwere Beleidigung oder Verleumdung und so weiter. Aber juristisch wurde das so interpretiert, weil Politiker werden unter einen heiligeren Schutz gestellt als normale Zivilisten, damit sie weiterhin ihren Job machen können und nicht irgendwie in großer Serie beleidigt werden. Deutlich mehr gefallen lassen müssen.
Und bezeichnend ist auch, Habeck hat das nicht eingeleitet, aber Habeck hätte es unterbinden können. Aber er hat es zugelassen. Also er fand es richtig, das strafrechtlich verfolgen zu lassen. Und damit ist natürlich Tür und Tor geöffnet. Du hast ja über Politiker fast gar nichts mehr sagen, wenn du schon nicht mal mehr Schwachkopf sagen darfst. Und das ist eine große Schattenseite. Ich verstehe das Ansinnen, dass man sagt, wir müssen Politiker besser vor Beleidigungen schützen.
Aber auf der anderen Seite kommt dann am Ende raus, dass KI-Systeme das Netz durchforsten und irgendwie gucken, ist über den irgendwo da was gesagt worden und hier und so weiter und wenn bereits bei Schwachkopf die Beleidigungen anfangen, dann haben wir ein Problem mit der Meinungsfreiheit. Das darf nicht sein. Führt dann auch zu unglaublichen Klagewellen. Es gibt ein Startup von Franziska Brandmann, das ist die Vorsitzende der Julis.
Ich glaube, die suchen mit einer KI systematisch nach Beleidigungen im Netz. Das heißt, du kannst daraus ein Geschäftsmodell machen. Ich glaube, über Robert Habeck heißt das, habe ich im Netz gefunden, er hätte bereits über 400 Mal geklagt. Ja, ich glaube, du kommst da noch auf mehr. Du kommst auf 800 und mehr. Weißt du eigentlich, wer die Spitzenreiterin ist? Ich glaube, Maria Agnes Strack-Zimmermann. Exakt.
Das hat mich überrascht. Ich will das gar nicht werten, weil ich maße mir nicht an, sozusagen darüber urteilen zu wollen, was Menschen als Beleidigung empfinden oder was nicht. Ja, aber wir könnten das doch auch machen. Das ist eine Entscheidung, die du triffst. Also es gibt Leute, die ganz andere Begriffe für mich benutzen als Schwachkopf und das passiert jedoch genauso.
Ich würde aber jetzt niemals auf die Idee kommen, eine Firma mit KI zu beauftragen, das alles zu durchforsten, in der Hoffnung, dass ich da jemanden verknacken kann oder jemanden Angst machen kann oder am Ende noch einen geldwerten Vorteil daraus ziehe. Und deswegen ist es überhaupt gar nicht gut. Das war ja in der Corona-Zeit, dass wir damals den 188 da entsprechend verschärft haben.
Das müssen wir unbedingt rückgängig machen. Ich bin sogar mal gefragt worden, ob ich Interesse hätte, das für mich machen zu lassen. Und also diese Idee kam irgendwie an mich heran und ich habe das damals sofort abgelehnt, weil es passt nicht sozusagen zu meinem Selbstverständnis. Interessant ist, dass Angela Merkel in 16 Jahren kein einziges Mal, Das finde ich souverän. Und das macht keinen Spaß.
Wie beim Beispiel von Renate Künast hast du ja einige von diesen Internetäußerungen gegen sie aufgelistet. Natürlich würde man sich wünschen, das gäbe es alles nicht. Aber man muss sich überlegen, welchen Preis wir bezahlen, wenn wir bereits harmlose Äußerungen im Netz verfolgen lassen.
Was das für eine Stimmung in der Bevölkerung macht, dass man sagt, man darf über Politiker keine, auch nur halbwegs anrüchigen Bemerkungen mehr machen oder man hat den Staatsanwalt vor der Tür oder kriegt eine Hausdurchsuchung oder Handy abgenommen oder Festplatte rausgebaut. Ich meine, das darf in Deutschland nicht sein.
Ja, es gab ja dann auch diese Bilder, die dann, glaube ich, die Kollegen von CBS genommen haben, um daraus eine große Reportage zu machen, um zu belegen, wie schlecht es um die Meinungsfreiheit mittlerweile in Deutschland bestellt ist, wo du dann diese Ermittler da gesehen hast, die dann reingehen in Wohnungen und Festplatten konfistieren und so weiter. War trotzdem heikel. Auch da, immer der Kontext, es war der Aktionstag sozusagen gegen genau das. Der findet einmal im Jahr statt.
Oder sogar mehrmals. Auf jeden Fall sind das spezielle Tage, an denen man sozusagen kumulativ vorgeht. Genau, dann nimmst du das und sagst, guck mal, das ist der Beleg dafür, wie schlecht es um Meinungsfreiheit in Deutschland bestellt ist. Und es gibt ein anderes, ganz berühmtes Beispiel, Nancy Faeser, die tatsächlich selber geklagt hat. Sie hat selbst Anzeige gegen David Bendels erstattet, vom sehr rechten, radikalen Deutschlandkurier.
Genau, das ist der Chefredakteur da, glaube ich. Bendels hat ja eine Fotomontage gepostet, wie erinnerst du dich, ne? Faser mit einem weißen Blatt Papier. Und auf dem Plakat stand dann drauf. Auf dem stand ich hasse Meinungsfreiheit. Ursprünglich stand da drauf, we remember, im Hinblick auf den Holocaust. Genau, Opfer des Nationalsozialismus und er hat das gemacht. Und auch da, Paragraf 188, das Amtsgericht in Bamberg verurteilt ihn zu sieben Monaten Haft auf Bewährung und 1500 Euro Geldstrafe.
Und ich erinnere mich, wie Andreas Rosenfelder, über den wir hier schon ein paar Mal gesprochen haben, der hat das kommentiert damals für die Kollegen der Welt und sagte, das ist ein Urteil wie aus einer Diktatur und sagte, für mich zeigt das deutlich, wie schlecht es um die Meinungsfreiheit am Ende von Fesers Amtszeit bestellt ist. Ich finde den Gedanken nachvollziehbar. Ich auch. Also es ist natürlich eine wahnsinnige Geschmacklosigkeit.
Ausgerechnet ein Plakat, wo es um die Verbrechen des Nationalsozialismus geht, dafür zu nehmen. So, da sind wir uns, glaube ich, einig. Das ist unappetitlich und eklig und doof. Aber der Punkt ist, der Satz, ich hasse Meinungsfreiheit auf dem Plakat. Ist das eine Beleidigung? Ja, ist der Punkt. Ja, es ist eine Unterstellung. Ist das eine Desinformation? Sind das falsche Fakten, zu sagen, Frau Faeser hasst Meinungsfreiheit?
Also wir gehen mal beide davon aus, dass sie nicht Meinungsfreiheit hasst, aber in letzter Instanz kann das keiner überprüfen. Wir wissen auch nicht, wie sehr Nancy Faeser umgekehrt Meinungsfreiheit liebt. Letztlich weiß sie das nur selber. Und eine schwere Beleidigung ist das Ganze nicht. Das segelt ja normalerweise, segeln ja solche Dinge unter Satire. Ich erinnere mich an die Plakate von Klaus Stegg. Sagen die dir was? Das war so in den 70er, 80er Jahren waren die sehr, sehr beliebt.
Ein Künstler, Grafiker, der alle erdenklichen politischen Satiren gezeichnet hat oder kolportiert hat und Fotomontagen gemacht hat und so weiter. Ich habe so ein ganzes Set von Karten noch aus meiner Kindheit. Da stehen auch ziemlich harte Sachen drauf, wo man sagt, das haben die natürlich so nie irgendwie gesagt oder gedacht und so weiter. Also es ist genau selbe Unterstellung oder üble Nachrede. Ich fand das damals ziemlich witzig.
Kein Mensch hat gegen Stegplakate oder irgendwie sowas in irgendeiner Form geklagt. Der hätte sowas ähnliches machen können wie Schwachkopfprofessional oder ich hasse Meinungsfreiheit oder so. Das hätte jetzt inhaltlich nicht gemacht. Ein überzeugter Linker, der sieht die Welt ganz anders, aber es sind die gleichen Mittel und Methoden, mit denen das damals gemacht worden war.
Und auch hier hätte ich gedacht, souverän bleiben wäre deutlich besser gewesen, als ein solches Urteil anzustrengen, das dann auch noch entsprechend hart ausgefallen ist. Weil das am Ende ist das alles Wasser auf die Mühlen der Rechten. Die sagen, da kann man mal sehen, in diesem Land darf man nicht mehr sagen, was man darf. Und wer legt hier eigentlich fest, was zulässige Satire ist und nicht zulässige Satire ist?
Am Ende geht es doch eigentlich immer um die Frage, wer ist eigentlich die moralische Instanz, der darüber befindet, was hier in Deutschland gesagt werden darf und was nicht gesagt werden darf. Und da geht im Kern der Streit drum. Also dieser Bewertungshorizont. Was darf man sagen, was darf man nicht sagen? Wer liegt den eigentlich fest? Und das ist in der Tat, diese Frage zu stellen, ist eine Gretchenfrage.
Die ist nämlich wirklich entscheidend darüber. Man darf sich daran erinnern, dass 2017 das Satire-Magazin Extra 3 Alice Weidel als Nazi-Schlampe bezeichnet hat. Wir sind uns ziemlich sicher, Nazi-Schlampe ist eine ganze Spur härter als Schwachkopf und auch als Ich-Hasse-Meinungsfreiheit. Und damals wurde dieser Nazi-Schlampe-Satz als rechtens und strafrechtlich nicht verfolgbar eingeschätzt, weil es Satire ist.
Kann man nicht sagen, ich hasse Meinungsfreiheit und Schwachkopfprofessionelle waren auch Satire. Wer entscheidet dann am Ende darüber und wer garantiert, dass da in alle Richtungen ausgewogen beurteilt wird? Ja, es ist, also man wird so hellhörig, wenn dann auch Blätter wie beispielsweise der Economist, ja? Und der schreibt zum Beispiel, das Verbot der Leugnung des Holocaust, Nancy Faeser, ist angesichts der deutschen Geschichte nachvollziehbar. Und ich verstehe das auch.
Gerade wenn es um so etwas geht, das dann derart zu missbrauchen. Ich verstehe, dass dir da die Hutschnur hochgeht und dass du sagst, nee, das lasse ich mir jetzt einfach nicht gefallen. Aber die schreiben weiter, das Gesetz gegen die Beleidigung von Politikern ist dennoch eine Farce und die Mächtigen nutzen es schamlos aus. Das ist das Urteil des Ekonomisten. So und das hat jetzt nicht der Deutschlandkurier geschrieben. Nee, auch nicht J.D. Vance gesagt. Genau. So, das ist der Punkt.
Das ist genau der Punkt. Und es rührt ja sozusagen auch an den Grundfesten der Demokratie. Ich meine, Harari hat das glaube ich in seinem letzten Buch auch nochmal so betont und geschrieben. Denn Demokratie ist Austausch, ist Dialog. Demokratie ist genau das. Wir streiten um Meinungen, wir streiten um Positionen und dazu muss man ziemlich weit gehen und das muss man im Zweifel auch aushalten.
In dem Zusammenhang, du erinnerst dich an Sylt, Ausländerhaus wurde da gegrült, das fanden wir alle unglaublich unappetitlich und unangemessen, einfach total Banane und daneben, ekelhaft, um es mal deutlich zu sagen. Braun werden auf Sylt. Ja, schöner Braun werden auf Sylt. Alles eingestellt, wurde relativ wenig darüber berichtet, gedeckt von der Meinungsfreiheit und ich erinnere mich an ein Gespräch mit Kai Ambos, der Völkerrechtler, der damals bei uns war.
Das hatte sich damals zufällig so ergeben, wir wollten über was anderes sprechen. Und er sagte damals schon, Meinungsfreiheit, das ist mutmaßlich alles von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das war für ihn eine sehr, sehr klare Sache. Und jetzt gerade aktueller Fall, die Kollegen rund um Jan Böhmermann, die sich auf einen rechten YouTuber einschießen. Arno Frank im Spiegel hat das überschrieben, mit Kanonen auf einen Spatzen geschossen.
Das war eine gemeinsame Recherche vom ZDF-Magazin Royal und der Zeit und die haben sozusagen versucht, diesen rechten YouTuber, der immer anonym auftritt, keiner wusste so genau, wer das ist, zu identifizieren. Um es vorweg zu sagen, der hatte vorher 227.000 Abonnenten, jetzt hat er eine halbe Million.
Das ist sozusagen das Ergebnis davon und es gibt diesen berühmten Barbra Streisand-Effekt, die irgendwann mal ein legendäres Medienurteil geklagt hat gegen die Veröffentlichung von Bildern ihres Hauses. Das hatte kein Mensch großartig mitgekriegt. Das haben die Leute erst dann mitgekriegt, als sie dagegen geklagt hat. Da wurde es plötzlich ein Riesenthema.
Das heißt, sie hat sozusagen gegen ihren eigenen Willen… Das erzeugt man dadurch oder man macht den, den man bekämpfen will, macht man groß dadurch, dass man ihn so öffentlich hinrichtet. Ganz genau. Und die Frage ist, sollte man das so machen? Die Argumentation der Kollegen ist, der hat gegen die Auflage zur Impressumspflicht verstoßen. Ja, also wenn du Dinge veröffentlichst, dann musst du dich zu erkennen geben, musst sagen, wer der Absender ist und so weiter.
Das hat er nicht getan. Und jetzt ging es darum, diese Recherche zu machen. Ja, man geht an das private Umfeld dieses YouTubers ran und macht dann so lange und so viele Andeutungen. Du zeigst zwar nicht das Gesicht, aber irgendwann ist klar, Herkunft, ungefährer Wohnort, Hobby, Musikgeschmack und so weiter. Du hangelst dich so langsam von Andeutung zu Andeutung und irgendwann weiß jeder, um wen es geht, obwohl du offiziell nicht gesagt hast, wer es ist.
Und die Frage ist, ist das noch Recherche oder ist das sogenanntes Doxing? So nennt man das dieses unautorisierte Sammeln von personenbezogenen Daten. Wo läuft die Grenze? Ist das Denunziantentum, um es mal ganz deutlich zu sagen? Wie siehst du das? Ist das Journalismus oder ist das Aktivismus? Also auf jeden Fall wird jemand in bester mittelalterlicher Tradition an den Pranger gestellt, nackt ausgezogen und dem öffentlichen Spott und dem öffentlichen Hass preisgegeben.
Und die Frage ist, ob das die journalistische Aufgabe ist, sowas zu tun. Die Frage ist ja auch immer, hat man sich dann sozusagen inhaltlich wirklich mit dem Stück auseinandergesetzt? Jan Böhmermann sagte damals in der Sendung, wer vor 227.000 Abonnenten, er hat es gegendert, AbonnentInnen im Internet die Wahrheit sagt, der kann doch auch sein Gesicht zeigen. Die Kollegen in der Zeit haben sich auch bemüht, so beschreibt es Arno Frank. Dieses sehr robuste Vorgehen irgendwie zu rechtfertigen.
Der Satz dazu war, das öffentliche Interesse überwiegt den Wunsch nach Anonymität. Das ist übrigens ein interessanter Satz. Das öffentliche Interesse überwiegt den Wunsch nach Anonymität. Wann gilt das und wer entscheidet eigentlich darüber? Wer entscheidet darüber, dass ein öffentliches Interesse überhaupt vorliegt? Und wer entscheidet darüber, dass es überwiegt gegenüber der Anonymität? Also wer macht sich hier zum Richter in einer solch komplizierten und sehr intimen Geschichte?
Ja, es ist auch, Arno Frank weist zu Recht darauf hin, in dieser Kritik steht ein sehr kluger Satz, Wut ist ein Wachstumsgeschäft. Und da hat er recht. Und all das, worüber wir hier gerade reden, ist ja eigentlich genau das. Also wenn Leute wie Elon Musk zum Beispiel oder auch J.D. Vance sagen, da ist die Meinungsfreiheit in Gefahr, dann muss man sagen, schau nach Amerika und dann siehst du, da geht es aber um die eigene Meinung.
Also wenn Meinungsfreiheit bedeutet, auch die Meinung der anderen, dann sind gerade J.D. Vance und Konsorten, Elon Musk und Trump und wie sie alle heißen, gerade das gute Beispiel dafür, dass das damit nicht gemeint ist. Also nach sozusagen der Wokeness von links kommt jetzt eine ganz harte Wokeness von rechts. Genau. Und die werden all die Mittel nutzen, die die Woknis von links zur Verfügung gestellt hat. Und das ist in erster Linie, andere zu beschämen, möglichst öffentlich zu beschämen.
Und das zweite ist, andere zu canceln. Und interessanterweise, ich bin ja linkssozialisiert, würde ich sofort sagen, ein Linker tut sowas nicht. Also Cancel Culture, ausgrenzen, mit Leuten nicht mehr reden, Leute von der Öffentlichkeit abschneiden, Leute kalt stellen. Das ist doch keine, ich meine gut, es gab Linke, die das getan haben, der Stalinismus hat sowas gemacht. Aber ich halte Stalin ehrlich gesagt auch nicht für links, da können wir lange drüber diskutieren.
Aber sagen wir mal, links im Sinne des moralischen Universalismus, links im Sinne der Humanität, der grundsätzlichen Anerkennung aller Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe und so weiter, also dieses von mir so verstandene Links, ein solcher Linker würde sowas nicht tun. Der würde nicht canceln und der würde auch nicht in einer solchen Situation einen Beschämungspranger aufstellen.
Das sind eigentlich Mittel, die aus einer anderen Zeit kommen und auch aus einer ganz anderen politischen Richtung. Und leider ist es so, dass sie Einzug in die Wurgniskultur gehalten haben, was sehr, sehr schade ist. Aber sind diese Mittel einmal da? Sind sie Teil des gesellschaftlichen Umgangs miteinander? Dass immer irgendeine Sau durchs Dorf getrieben wird, irgendjemand angeprangert wird, irgendjemand moralisch angefeindet wird bis ins Mark. Ist das alles in einer Gesellschaft etabliert?
Dann können die Rechten das alle übernehmen. Und das ist das, was in den USA passiert ist. Und da kommen wir zum Eingang unserer Sendung zurück. Und das ist das, was ich für Deutschland auch befürchte. Und deswegen sage ich, wehre den Anfängen und fahre die Mittel zurück. Wenn man sich anschaut, was alles am Ende von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Wir haben über Sylt gesprochen. Auch die Forderung nach dem Kalifat, die in deutschen Innenstädten zu hören war.
Mich hat das damals wahnsinnig aufgeregt. Aber ist gedeckt von der Meinungsfreiheit. Müssen wir aushalten. Ja, weil es ist keine direkte Aufforderung zu Gewalttaten. Es ist keine Beleidigung. Also ich meine, wir machen da aus guten Gründen eine ganz große Ausnahme, wenn es um den Holocaust geht, wenn es um den Nationalsozialismus geht. Und das halte ich auch für gut und für richtig, dass wir das machen.
Aber du darfst dich auf eine Bierkiste stellen und darfst sagen, Stalin war der größte Politiker in der Geschichte. Das ist legitim, obwohl es sich auch um einen fürchterlichen Massenmörder handelt. Oder du kannst Mao-Plakate in der Fußgängerzone verteilen oder sowas alles. Ich finde das gut und richtig, dass das so ist. Du darfst jeden politischen Schwachsinn von mir geben, mit Ausnahme über das Dritte Reich.
Und ich finde, dass das gut ist und dass es richtig ist und dass wir da eine gute Tradition haben und jahrzehntelang auch richtig mit umgegangen sind. Das muss eine liberale Gesellschaft aushalten. Eine liberale Gesellschaft muss aushalten, dass Leute wirres Zeug im Netz verbreiten. Sie muss aushalten, dass Leute Meinungen haben, die man völlig unmöglich findet. Ich meine, es ist nicht die Aufgabe anderer Menschen, die gleiche Gesinnung und die gleichen politischen Ideen zu haben wie ich.
Es macht natürlich einen Unterschied, wenn jemand unsere liberale Demokratie abschaffen will. Und wenn das ganz klipp und klar ist und wenn er zur Gewalt aufruft, da gibt es Grenzen. Aber diese Grenzen gab es schon immer. Die müssen jetzt nicht neu gezogen werden und die müssen auch nicht enger gezogen werden. Wir müssen nicht unsere Gesetzeslage verändern. In der heutigen Situation eine Gesetzeslage, mit der wir 80 Jahre sehr, sehr erfolgreich waren.
Ja, das ist das, was Kai Ambos auch sagt. Ich habe mich im Vorfeld für unser Gespräch mit ihm ausgetauscht. Ich diskutiere ab und zu mal mit dem, weil ich so ein interessanter Mann ist, der immer sehr kluge Dinge sagt. Und der zum Beispiel sagt, offener Diskurs, das ist das, was Demokratie weiterbringt. Wir müssen grundsätzlich alles diskutieren dürfen und wir müssen vorsichtig sein, auch mit Begriffen wie beispielsweise Verfassungsfeinden.
Er hat zum Beispiel im Zusammenhang mit den Berichten und der Hochstufung des Verfassungsschutzes, AfD, auf etwas Interessantes hingewiesen. Er sagt, wir müssen uns doch die Frage stellen, ob es ausreicht, wenn irgendwelche braunen Typen auf der untersten Ebene oder mittleren Ebene dieser Partei zum Beispiel komisches Zeug sagen. Ja, manche Sachen, die da in diesem Bericht jetzt zum Beispiel drinstehen, die haben auch schon Helmut Schmidt und Helmut Kohl benutzt.
Man muss mal daran erinnern, darauf hat Kai Ambos hingewiesen, Peter Ramsauer hat im Zusammenhang mit Migranten mal von Ungeziefer gesprochen und ähnliche Äußerungen findest du jetzt auch bei der AfD. Und er sagt, es ist ein Unterschied, ob zum Beispiel ein Netanyahu sagt, wir müssen Gaza säubern oder ob es irgendein Soldat sagt. Und analog bei der AfD.
Wenn Chrupalla etwas sagt, was eindeutig rechtsextrem ist oder wenn Weidel es sagt, dann kann man daraus schließen, dass die Partei in Toto sozusagen gesichert rechtsextremistisch ist. Aber was ist, wenn es irgendjemand aus der zweiten, dritten, vierten Reihe sagt? Dann kann man die Frage stellen, ob man daraus schließen darf, dass die Partei grundsätzlich rechtsextremistisch ist. Und er sagt, das kann man unter Umständen nicht. Man kann den aber sehr wohl
persönlich dafür bestrafen. Das ist eine ganz, ganz andere Sache. Und er hat dann etwas herausgearbeitet, von dem ich denke, dass es der Punkt ist. Er sagt, im Kern geht es immer um eine ganz andere Frage. Es geht um die Frage, wird da gerade die Verfassung unterwandert? Und es geht um die Frage, will diese Bewegung, will diese Partei die Meinungsfreiheit aushebeln?
Also Islamisten, Extremisten, Trumpisten berufen sich auf die Meinungsfreiheit und kaum sind sie dann im Amt, heben sie sozusagen aus. Dann musst du hellhörig werden, dann muss man auch hart rangehen. Überall dort, wo sozusagen dieses, wie soll man sagen, instrumentelle Verständnis von Recht da ist. So nach dem Motto, es gilt nur dann, wenn es mir passt. Das ist ja das, was du gerade in Amerika siehst. Das versteht jeder vernünftige Mensch.
Aber Recht gilt immer gleich, sagt Kai Ambos, und für alle. Ja, und das hat mich erinnert an ein Gespräch, das ich neulich mit Jason Stanley hatte, den Philosophen aus Amerika, der war bei uns in der Sendung. Der sagte zu mir hinterher, weißt du, Gaza, die Kritik an der Kriegsführung von Netanyahu, sagt, eins ist klar, nie wieder bedeutet auch an dem Punkt, nie wieder für alle. Das muss einfach klar sein und da ist Recht sozusagen nicht korrumpierbar und
das ist nicht verhandelbar. Das muss einfach für alle und für immer klar sein. Ich finde, das ist ein guter Punkt. Ja, das ist ein sehr, sehr guter Punkt. Und um es nochmal anschaulich für die Gegenwart zu machen. Wir haben jetzt in Rumänien erlebt, da gibt es jetzt eine neue Gesetzesvorlage. Und diese Gesetzesvorlage, die legt dann fest, dass eine bestimmte Kommission das Netz säubern dürfen.
Und zwar immer, wenn sie irgendwas finden, was sie desinformativ finden oder was sie auf feindliche Einflussnahme zurückführen und so weiter. Und dann können Nutzer gesperrt werden. Also das geht jetzt noch weit über den Digital Service Act, den die EU gemacht hat, hinaus. Das ist eine absolute Radikalisierung dessen, weil diejenigen, die das Netz säubern, sind nicht rechtfertigungspflichtig für das, was sie tun.
Sie können das einfach machen, weil sie der Überzeugung sind, das sollte da besser nicht stehen. Ich meine, das machen Autokratien, das machen Diktaturen, das machen keine liberalen Demokratien. Und wenn du dann dagegen klagen willst, dann kannst du einen langen Rechtsweg beschreiten. Aber diejenigen, die deine Inhalte löschen und die, die sperren, die müssen überhaupt keinen Rechtsweg mehr beschreiten.
Und das Merkwürdige ist, dass die Europäische Union jetzt keinen Druck auf Rumänien gemacht hat und gesagt hat, hör mal, was macht ihr denn da? Sondern wahrscheinlich dachten, das ist ziemlich praktisch. Wir haben jetzt gesehen, also es war noch vor der Wahl, aber man musste Angst haben, dass ein Rechtspopulist an die Regierung kommt, jemand, der Putin-freundlich ist und so weiter. Und dann hat die Europäische Union, die wahreren der liberalen Demokratie, da mal gar nichts gesagt.
Zum Gesetz in Rumänien. Sie ist doch sofort sagen müssen, Entschuldigung, hier wird ja mal ganz klar gegen liberal-demokratische Grundsätze verstoßen. Das verträgt sich überhaupt nicht mit der Europäischen Union. Das habe ich aber nicht gehört von der EU. Und das wäre ganz wichtig, dass man das macht. Und dass man auch versichert, dass das falsch ist, was da in Rumänien passiert. Dass das mit dem Geist der EU nicht vereinbar ist. Dass der Digital Service Act für so etwas nicht gedacht ist.
Sondern ist nur dafür gedacht, sozusagen das Allerschlimmste zu verhindern. Aber nicht politische Meinungsmanipulationen im Land zu machen. Da ist jetzt die Europäische Union in der Bringschuld. Und ich bin gespannt, was wir da in Zukunft zu erwarten dürfen. Sonst gießen wir am Ende das Kind mit dem Bade aus. Ja, ich habe noch eine persönliche Frage an dich, Richard. Du bist ja jemand, der viel Zeit an Universitäten verbracht hat. Im Gegensatz zu mir.
Und ich mache mir letzte Zeit oft Gedanken, Um Universitäten, weil ich das so mitkriege, auch wenn du mit Professoren in Amerika sprichst, aber auch in Deutschland ist das plötzlich ein riesiges Thema. Da gibt es eine große, große Verunsicherung in Amerika jetzt ja in den letzten Wochen und Monaten sowieso. Nämlich die Frage, was ist eigentlich heute noch eine Universität?
Nach meinem Verständnis war gerade eine Universität, um deine Argumente zu schulen, um sozusagen deine, auch im Zweifel deine diskursive und rhetorische Standfestigkeit zu schulen, Zu trainieren. Ist doch eine Universität ein Ort, wo alles prinzipiell diskutiert werden muss, solange es nicht die Tatbestände erfüllt, über die wir vorhin gesprochen haben. Ich habe ein langes Stück von Ronan Steinke gelesen, vor ein paar Monaten schon in der Süddeutschen Zeitung, wo er das mal aufgelistet hat.
Uni Leipzig, da wird ein israelischer Historiker eingeladen, Benny Morris, berühmt dafür, dass er in seinem Land einst das Schweigen über die Vertreibung der Palästinenser 1948 gebrochen hat. So, dann merken die von der Universitätsleitung, da gibt es Theater, da gibt es Proteste und da wird er einfach kurzfristig ausgeladen mit der Begründung, er sei zu pro-israelisch und dann sagt man, da gibt es irgendwie Sicherheitsbedenken und deswegen kann man das irgendwie so nicht weitermachen.
Und ich denke dann jedes Mal, ist das ernsthaft der Weg, den wir da irgendwie gehen wollen? Das gleiche wird es mit Sicherheit auch umgekehrt sein, dass jemand zu pro-palästinensisch ist und so weiter. Aber warum soll ja nicht der Pro-Palästinenser genauso reden wie der Pro-Israeli? Warum diskutieren wir denn da nicht darüber? Wir können im Zweifelsfall ja in dem einen oder anderen Punkt entsprechend widersprechen, in Podiumsdiskussionen und alles Mögliche.
Warum sollen diese Diskussionen nicht mehr stattfinden dürfen? Warum verengen wir den Raum des Zulässigen, über das wir überhaupt reden? Ich meine, die Folge ist doch völlig klar. Wenn der Raum des Zulässigen, worüber gesprochen werden kann, kleiner wird, sind doch die Gedanken, die wir für Unzulässigkeiten nicht weg, sondern die haben dann nur noch eine Möglichkeit, sich an gesellschaftlichen Rändern zu artikulieren.
Und dann kommen wir in eine Gesellschaft, die Kritik aus der Mitte nicht mehr kennt, sondern die jede Kritik automatisch, weil sie Kritik ist, also jede substanzielle Kritik, gleich einem Rand zuordnet und jemanden gleich irgendwie zur umstrittenen oder problematischen Figur macht, nur weil man Kritik äußert. Sind alles überhaupt keine guten Entwicklungen. Universitäten sind ein schönes Beispiel, aber nicht das einzige. Guck dir unseren Kulturbetrieb an. Guck dir mal die Kunstszene an.
Kunst ist sehr interessant. Die gesellschaftliche Rolle der modernen Kunst ist es, zu provozieren. Seit der Avantgarde hat die Kunst die Rolle in der Gesellschaft zu provozieren. Es gibt natürlich Formen der Provokation, die du heute machen kannst. Du tanzt in der Kunst, die Rechten provozieren. Das kannst du natürlich machen. Aber du kannst umgekehrt, versuch mal die Wognis-Bewegung zum Gegenstand kritischer Kunst zu machen.
Was meinst du, was dir da um die Ohren fliegt? Die Wognis-Bewegung ist nirgendwo so stark wie in der Kunstszene und in den Universitäten. Und damit verliert die Kunst ihre gesellschaftsverändernde Funktion. Man kann sagen, die hat sie sowieso weitgehend aus anderen Gründen verloren. Kunst ist heute in erster Linie Ware und sie hat diese gesellschaftliche Sprengkraft nicht mehr.
Aber ihrem Selbstverständnis nach war es immer wichtig, guck mal, der Weimarer Republik, die Künstler der Weimarer Republik, die politischen Künstler der Weimarer Republik, von Georg Rost über Otto Dix bis zu John Hartfield und so weiter. Da war es das Normalste von der Welt, dass Kunst sich mit den Mächtigen anlegten, gegen etablierten Strukturen vorging, die Formel der Erfahrung sprengen wollte und so weiter. Das ist nicht mehr möglich.
Und das darf überhaupt nicht passieren. Also ausgerechnet da, wo die Gesellschaft sich jetzt die heftigsten Provokationen, die größten Kontroversen, das ist sozusagen der Experimentalraum der Gesellschaft. Genau den haben wir verblombt. Und das sind wirklich gefährliche Entwicklungen, weil sie am Ende zu einem Stillstand in unserer Gesellschaft führen. Wir können uns dann nicht mehr erneuern.
Und deswegen ist ein weiterer Grund, neben dem, den wir genannt haben, dass wir alle irgendwann mit einer Flinte aufeinander losgehen, also amerikanische Verhältnisse, ist das andere. Wir verlieren die Möglichkeit weiterzudenken oder uns gesellschaftlich zu erneuern, indem wir zu viele Räume, Universität, Kunst- und Kulturbetrieb mit solchen Schutzzäunen umgeben und den Raum des Zulässigen in ihnen viel zu sehr reduzieren. Aber ein Gedanke noch, Richard, und das würde mich mal interessieren,
wie du das siehst. Wo ist eigentlich das Problem? Also es gab ja auch den Fall von Nancy Fraser, ja nicht Fraser, du erinnerst dich, eine Professorin, die 2024 nicht in Köln auftreten durfte, aus anderen Gründen, sie sei zu Israel kritisch und so weiter. Genau umgekehrt als bei Morris, über den wir gerade gesprochen haben. Auch sie wird dann plötzlich einfach ausgeladen.
Und ich habe Ähnliches gehört, als ich vor Jahren haben wir gedreht in Oxford, Und da gab es eine Veranstaltung, da sollte Steve Bannon, der Vordenker von Trump, des Trumpismus, auftreten. Und es wurde dann blockiert und ich erinnere mich bis heute an die Enttäuschung dieser Studenten, die sagten, Mann, wir hatten uns so gut auf den vorbereitet. Wir kannten alle Argumente. Wir waren richtig gut drauf. Wir wollten den auseinandernehmen mit guten Argumenten.
Und dann haben diese Störer das sozusagen unmöglich gemacht und die waren wahnsinnig enttäuscht darüber. Und diese Veranstaltung wurde abgesagt und hat nicht stattgefunden. Das waren in dem Fall Demonstranten, die das verhindert haben. Aber häufig sind es ja die Universitätsleitungen, die das machen. Die dann aus Sicherheitsbedenken vorgeschobenen, oh, da müssen wir dann die Polizei rufen. Ich denke, ja, dann ruf die Polizei, die kümmern sich. Aber das muss doch möglich sein.
Ich finde, es muss doch beides möglich sein. Es muss doch möglich sein, dass ein israelkritischer oder ein pro-israelischer Redner irgendwo auftritt an einer Uni und es muss gleichzeitig möglich sein, dass es Leute gibt, die von links oder von rechts dagegen protestieren und dann muss aber eine Universität und da ist das Beispiel Columbia, die vor Trump dann einfach direkt so eingeknickt sind.
Dann muss doch eine Universitätsleitung, wir, unsere Generation, wir sind doch diejenigen, die dann im Zweifel für die jungen Leute das Vorbild sein müssen und denen sagen müssen, pass mal auf, das halten wir entspannt aus. Also ich habe das Gefühl, die jungen Leute sind bereit, die wollen diskutieren, die streiten sich. Wir sind die Memmen, die sich dann in der Hose machen und sagen, die Verantwortungsträger sind die Memmen. Exakt.
Also das ganze Problem existiert nur deshalb, weil die Hierarchen in dieser Rolle, die Verantwortungsträger, die Universitätspräsidenten und so weiter, das gleiche gilt für den Kulturbetrieb, die Museumsdirektoren und so weiter, in vorauseilendem Gehörigen. Genau das. denken, sie könnten persönlich Ärger kriegen und das könnte ihnen vielleicht an den Kragen gehen.
Und die Situation, diese Angst, im Zweifelsfall keine Eier zu haben, kein Rückgrat zu haben und zu sagen, ich stehe nicht zu dem, was der Redner da inhaltlich sagt, aber ich möchte, dass er hier sprechen kann. Ich stehe vielleicht nicht zu dieser Kunst, die ihr alle ganz schlimm und unmöglich findet, aber ich möchte, dass diese Kunst hier gezeigt wird, Ja, weil ich sie für einen interessanten Debattenbeitrag in der Kunst halte. Und die Angst der Hierarchen.
Ist das, was am Ende das hervorbringt, was ich in meinem Buch titelgebend Angststillstand nenne. Im Zweifelsfall ist es doch immer besser, komm, nee, machen wir nicht und so weiter, lassen wir uns nicht drauf ein, weil dann kann mir nichts passieren. Aber jetzt mal ansonsten, was kann denn passieren?
Also ich meine, muss man nicht dieses Rückgrat haben, wenn man auch so ein Verantwortungsträger ist, sich dahinter zu stellen und ehrlich gesagt der Ärger und die Aufregung, die versenden sich sowieso. Ein paar Wochen später ist davon gar nicht mehr die Rede. Richtig. Und das durchstehen zu können, das ist ganz, ganz wichtig, weil wenn jeder einknickt, dann geben wir diesem Druck immer weiter nach und der gefährdet am Ende unsere liberale Demokratie. Das ist das, was ich meine.
Lass die jungen Leute demonstrieren, lass sie streiten, lass sie verbal aufeinander losgehen, aber wir müssen doch den Rahmen dafür sicherstellen. Wir müssen klar machen, dass es okay ist, hart zu streiten und hart zu diskutieren. Das ist mein Punkt. Mir geht das immer zu schnell, weil man sagt, da sind diese jungen linken Spinner und keine Ahnung was oder rechte Irre und so. Mir geht das immer zu schnell. Ich denke immer, nee, nee, nee. Wir müssen überlegen, welche Rolle wir dabei spielen.
Und in dem Zusammenhang, Richard, und damit schließen wir auch nur noch ein kurzer Gedanke. Harari. Sagt in seinem letzten Buch, Demokratie ist ein Gespräch. Und als es sozusagen noch keine richtige Informationstechnologie gab, gab es Demokratien nur in ganz kleinen Stadtstaaten, in Rom oder in Athen.
Genau. Und erst mit dem Aufkommen moderner Informationstechnologie, Zeitung, Telegraf, Radio und so weiter, wurden große Demokratien möglich und erinnert in dem Zusammenhang, auch als der Buchdruck aufkam. Ja, die ersten Bestseller waren Bücher über Hexenverbrennung und andere schlimme Dinge. Also das waren sozusagen harte Dinge, die da verbreitet wurden. Und trotzdem hat es in der Folge Demokratien, wie wir sie heute kennen, erst möglich gemacht.
Und deswegen ist Information, Meinung, die Möglichkeit, sich austauschen zu können, auf welchen Plattformen, auf immer, ob es Buchdruck ist oder ob es heute Social Media ist, das ist im Grunde das. Was Demokratie an vielen Stellen erst ermöglicht. Und wir müssen dieses Verhältnis, glaube ich, was geht und was nicht geht,
immer wieder neu austarieren und ausverhandeln. Ja, und uns nicht in eine Richtung bewegen, dass wir immer mehr Angst vor Andersdenkenden haben, weil wir dann gleich glauben, dass unsere Demokratie den Bach runtergeht. Weil sie kann auch den Bach dadurch runtergehen, dass wir zu viel Angst vor Andersdenkenden haben und dann anfangen, unsere Demokratie an den falschen Punkten einzuschränken, also die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Und enden würde ich gerne mit einem Satz von Helmut Schmidt.
Ja, eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine. In diesem Sinne. Richard, dank dir sehr. Ich danke dir sehr, Markus. Bis bald. Habt eine gute Woche. Ciao, ciao, ciao. Eine Produktion von M hoch 2 und Hotstars bei OMR im Auftrag des ZDF.