AUSGABE 189 (Syrien: Abschiebung möglich?) - podcast episode cover

AUSGABE 189 (Syrien: Abschiebung möglich?)

Apr 17, 202556 min
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Summary

Markus Lanz berichtet von seiner Reise ins vom Bürgerkrieg gezeichnete Syrien und diskutiert mit Richard David Precht die aktuelle Lage, die Verantwortung des Westens und die Frage, ob Abschiebungen realistisch sind. Sie sprechen über die Armut, Zerstörung, Folter und die komplexen politischen Verhältnisse. Abschließend wägen sie zwischen Fatalismus und Hoffnung für die Zukunft Syriens ab.

Episode description

„Das trifft dich wie ein Hammer“, berichtet Markus Lanz über seine Drehreise in das vom Bürgerkrieg schwer gezeichnete Syrien. Vier Monaten sind seit dem Sturz von Bashar al-Assad vergangen. Wie sieht die Lage im Land heute aus? Wie sinnvoll ist es, den neuen Präsidenten Ahmed al-Scharaa mit Hilfsgelder zu unterstützen? Die künftige Bundesregierung plant, regelmäßig nach Syrien abzuschieben. Ist das überhaupt realistisch? Richard David Precht erinnert an die Verantwortung des Westens, der mit seinen willkürlichen Grenzziehungen die Konflikte mit ausgelöst hat. Außerdem erzählt er von einem Gespräch mit dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf einer Dachterrasse im Jahr 2011, das sich rückblickend als sehr prophetisch herausstellte.

Transcript

Music. Schönen guten Morgen, Richard. Guten Morgen, Markus. Wo erreiche ich dich, Richard? Du erreichst mich in der Kemenate und ich erreiche dich irgendwie wieder zurück. Ja, ich bin wieder zurück. Wir haben ein abenteuerliches, sehr langes Wochenende hinter uns. Wir waren ja unterwegs für eine neue Reportage zum Thema Migration. Das ist eigentlich das, worum es geht. Da spielt Syrien natürlich eine ganz zentrale Rolle und deswegen haben wir jetzt dieselben.

Ich glaube, es ist ein historisches Zeitfenster, das da gerade offen ist, genutzt, um dort hinzukommen und ein bisschen zu verstehen, wie dieses Syrien so tickt. Und wenn du dann ankommst, du kommst ja aus einer völlig anderen Welt, nicht nur aus Deutschland, sondern der Hinflug ging dann über Katar und dann landest du in Damaskus. Dann standen draußen lauter schwere, teure Limousinen, fuhren direkt ans Flugzeug ran. Ich dachte, Mensch, ist aber nett, dass die uns hier so freundlich abholen mit

diesen dicken Autos. Wenig überraschend waren sie dann doch nicht für uns, sondern für einen Herrn, der dann plötzlich so links neben mir stand, ein ganz feiner chinesischer offensichtlich Diplomat mit einer größeren Delegation. Und da merkst du, dass da jetzt schon mal die Claims abgesteckt werden. Dass die Chinesen, es ist egal wohin du gehst auf der Welt, die Chinesen sind immer schon da. Und schauen sich das vor Ort an und wurden da mit großem Bahnhof begrüßt und so weiter.

Und bis dahin war das noch alles so einigermaßen normal. und dir gehen diese ganzen Bilder durch den Kopf. Du siehst diesen 70er Jahre Flughafen, du siehst das Gras wachsen auf dieser Landebahn. Es ist unvorstellbar, dass in Frankfurt mein Gras wächst auf einer Landebahn, weil sie so lange nicht asphaltiert worden ist. Da war ein ziemlich heftiger Wind, so ein Sandsturm, der da gerade tobte.

Und dann setzt du da auf dieser holprigen Piste auf mit einer sehr modernen Maschine von Qatar Airways in dem Fall. Und steigst dann aus und dann kommst du rein und es ist ärmlich. Es wirkt so, wie du das auch aus afrikanischen Ländern kennst. Aber dann setzt du dich ins Auto und dann fährst du Richtung Stadt und dann trifft es dich wirklich wie ein Hammer.

Ich habe sowas wirklich noch nicht gesehen und ich habe so oft nicht nur an dich, sondern auch an Jens Spahn gedacht, der wirklich einen Tag nach dem Sturz von Assad, und ich will ihm da auch nichts unterstellen, Das war auch sicherlich nicht böse gemeint. Das ist Politik, das ist Wahlkampf. Aber diese Forderung zu sagen, jetzt geht ihr einfach mal alle ganz schnell wieder zurück.

So kalt schnurzig wie weltfremd. Ja, ehrlich gesagt weltfremd vor allen Dingen, weil du siehst das und es trifft dich wirklich wie ein Hammer. Du siehst diese unglaubliche Armut. Du siehst sehr, sehr viele Menschen, die am Straßenrand irgendwie versuchen, ein bisschen Brot zu verkaufen. Du kannst den Hunger sehen. Du siehst wirklich den Hunger. Ich habe 14 Jahre Bürgerkrieg. Ja, genau. 14 Jahre. Genau.

Inflation unglaublich hoch. Wenn du im Restaurant dein Essen bezahlst, dann legt der Gast erstmal so ein, wenn ich sage Bündel, dann ist das das falsche Wort, sondern so einen richtig fetten Stapel Scheine auf den Tisch. Da reden wir von 20, 30, 40, 50 Zentimetern Höhe. Darüber redest du. Dann kommt der Kellner mit einer Maschine, steckt das da rein und wird das Geld gezählt. Und dann gehen die Hunderter weg. Einer nach dem anderen. Ich habe ein paar gesehen, die haben ausgecheckt da im Hotel.

Die saßen vor dieser Rezeptionistin. Sie links, er rechts und dahinter die freundliche Rezeptionistin. Und die konnten sich kaum sehen, weil dazwischen waren einfach Stapel voller Geld. Ein Berg Geld. So hoch ist die Inflation. Und ja, es ist so... Das, was ich nicht so klar hatte, ist das Ausmaß der Zerstörung. Selbst in Damaskus.

Wenn du auf dem Berg hochfährst und guckst von da oben runter, dann siehst du wirklich, wie fast mit chirurgischer Präzision ganze Stadtteile einfach rausgebombt sind. Einfach rausgebombt. Jetzt musst du mich ein bisschen aufklären. Also ich kann mich ja sehr an die Bilder von Aleppo erinnern. In Aleppo haben die Russen bombardiert. Da war die Al-Nusra-Front, hatte sich da verschanzt, hatte Geiseln genommen und hatte einen erheblichen Teil der Stadt besetzt.

Und da ist dann durch einen gnadenlosen Luftkrieg ausradiert worden. Und da haben wir auch dann im Fernsehen immer diese Bilder gesehen. Wer hat denn Damaskus bombardiert? Das war tatsächlich Assad, der im Zuge des arabischen Frühlings, wir reden über 2011, 2012, der kam ja auch damals richtig unter Druck. Und die Leute gingen auf die Straße und in den ganzen Stadtvierteln erhoben sich die Leute und dann ging es los.

Also das, was im Grunde dir Christine Hellberg oder auch Bente Scheller zum Beispiel, die beide exzellente Syrien-Kennerinnen sind, das was die dann so erzählen, wenn man sie auch im Fernsehen danach fragt, das habe ich alles genauso von vorne bis hinten bestätigt gefunden. Also es beginnt Ende 2011, 2012, da beginnen in den Vororten die Aufstände und als sich die Leute dann bewaffnen, kommt Assad mit den Fassbomben. Und wenn du den Leuten zuhörst, wie sie über diese Fassbomben sprechen,

da kriegst du heute noch Gänsehaut. Alles, was irgendwie explodieren konnte, wurde mit TNT, mit Nägeln. Ja, quasi eine schmutzige Bombe, eigentlich die Bombe des kleinen Mannes. Also keine Hightech-Bombe, sondern ein Dreck, der bei der Explosion um die Ohren fliegt. Richtig, genau. Ich würde sogar in meiner Erinnerung noch ein halbes Jahr zurückgehen, in den Sommer 2011. Da saß ich mit Frank-Walter Steinmeier auf einer Dachterrasse. Und da hat er mir erklärt, warum Assad bleiben müsse.

Und das war bevor der Bürgerkrieg in Syrien losging. Und zwar mit der Begründung, dass er, das war seine damalige Formulierung, ich habe das im Podcast auch schon mal erzählt, wie das Fettauge auf der Suppe schwimmen würde und die Balance halten würde. A, zwischen den verschiedenen religiösen Gruppierungen, weil er als Al-Avid quasi der unverdächtigsten, harmlosesten Religionsgemeinschaft angehörte, die am wenigsten fanatisiert war.

Dann der verschiedenen Militärorganisationen, da gibt es offensichtlich mehrere, und mehrere Geheimdienstorganisationen. Und dass Assad quasi der Moderator dieses Systems wäre und wenn man das in ein Ungleichgewicht bringen würde, dann gäbe es anschließend einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg. Und interessanterweise, genau so ist es gekommen. Ja, aber die Schlussfolgerung, die man daraus gezogen hat, Richard, also die würde ich sagen ist schwierig.

Man hatte damals einen anderen Blick auf Syrien. Ich weiß, genau. Also heute sehen wir in Assad in erster Linie den Schlechter seines Volkes und den Folterknecht. Das war nicht der Blick, den wir vor 14, 15 Jahren auf Syrien hatten. Das stimmt. Da hatten wir noch ein bisschen in Erinnerung, dass dieser im Westen ausgebildete Augenarzt Assad harmloser ist als sein Vater und dass man, wenn man sich die Despoten der arabischen Welt anguckt, es hier mit einem der harmloseren zu tun hat.

Das war der damalige Blick, den wir auf Assad hatten. Ich meine, die interessante Frage, die hat neulich Mathieu von Rohe im Spiegel gestellt, das ist schon ein paar Monate her, aber da haben wir uns schon mit dem Thema beschäftigt. Und da hat er damals sich gefragt, das weiß ich noch, war ein sehr, sehr guter Kommentar, das ist der Auslandschef vom Spiegel, sagte, wie wären diese vergangenen 13 Jahre wohl verlaufen, wenn Assad nicht erst am 8.

Dezember 2024 gestürzt worden wäre, sondern schon eben 2011, als damals diese Oppositionellen im ganzen Land so allmählich gegen ihn aufgestanden sind. Ich weiß nicht, ob es wirklich besser gewesen wäre, weil wir haben ja dann erlebt, dass ganz, ganz viele um die Macht gerungen haben in Syrien und dass es auch sehr lange gedauert hat, bis sich am Ende der Stärkste da durchgesetzt hat. Das war ja nicht eine Organisation.

Also am Anfang gab es quasi relativ viele einfache Leute, die sich gegen Assad aufgelehnt haben. Aber im Nu haben die Saudis, auch die USA, alle möglichen Rebellengruppen, die sich untereinander nicht grün waren, bewaffnet. Und es hätte auch, wenn Assad früh gestürzt worden wäre, einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg geben können. Ich bin mir da nicht so sicher, dass das der entscheidende Punkt gewesen ist. Denn ich meine, man hat ja ganz, ganz viel dafür getan, dass Assad wegkommt.

Indem man Rebellen bewaffnet hat, die zum allergrößten Teil Islamistenorganisationen waren. Und eine von denen hat sich dann am Ende durchgesetzt. Durch Unterstützung der USA, durch Unterstützung der Saudis und zuletzt ganz verstärkt durch die Unterstützung der Türkei. Ja, alles richtig. Ich fand trotzdem damals dieses Gedankenspiel von Mathieu von Rohr wirklich interessant, weil er dann nicht nur auf 2011 angespielt hat, sondern auf 2013 Chemiewaffen.

Da hat Assad tausende umgebracht mit Chemiewaffen. Und diese Lager, diese Chemiewaffenlager, die sucht man gerade. Davon findet man glaube ich unglaublich viel. Ja, viel mehr als gedacht. Also das zeigt sozusagen, was für ein Abgrund das tatsächlich war. Ich bin mal sehr gespannt, was daraus wird. Also ich bin mal gespannt, ob die neue Regierung die tatsächlich vernichtet. Du erinnerst dich, Barack Obama, der hat damals gesprochen von einer roten Linie.

Genau, und das war damals dieser Chemiewaffeneinsatz. Genau, und die Drohung war, wenn du das machst, das ist die rote Linie, über die du besser nicht gehst. Und genau danach hat er das gemacht. Und es ist nichts passiert. Und wenn man mit Leuten... Naja, es ist nichts passiert. Es hat so eine Koalition gegeben. Die Europäer waren ja auch zum Teil daran beteiligt. Man hat massiv indirekt was getan.

Also man ist nicht mit Soldaten ins Land gegangen. Aber man hat einen ganz großen Stil Rebellengruppen gegen Assad aufgerüstet. Also nichts gemacht kann man beim besten Willen nicht sagen. Man hat sehr, sehr viel gemacht. Das Einzige, was man nicht gemacht hat, ist direkt Truppen hinzuschicken. Genau, das hat ja auch was mit der Erfahrung Irak zu tun, mit 2003 zu tun, mit dem Fiasko in Afghanistan zu tun. Und natürlich kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie die Geschichte ausgegangen

wäre. Aber es ist natürlich vorstellbar, dass Millionen Menschen damals nicht aus Syrien hätten fliehen müssen in die oben liegenden Länder. Ich glaube, das Problem wäre, es wäre das gleiche rausgekommen wie im Irak. Also der Irak war das große Problem. Im Irak hatte man mit Saddam Hussein den Diktator gestürzt und danach war niemand da, der ihn ersetzen konnte. Bis heute nicht.

Der Irak ist das Land in der Region, das den allerstärksten, neben Syrien jetzt, den allerstärksten Absturz von einem Land, in dem es ziemlich vielen Leuten gut ging, in ein bettelarmes Land erlebt hat, das also heute von Warlords kontrolliert wird, weil eben niemand da war, der an die Stelle Saddam Husseins treten konnte. Wegen der Schiiten im Süden und der Sunniten im Norden und all diesen rivalisierenden Warlords, die es dort gibt.

Und die genau gleiche Befürchtung hat man für Syrien auch gehabt. Ja, aber beim Irak ist ja am Ende nichts Gutes mehr rausgekommen. Also dem normalen Menschen geht es im Irak heute deutlich schlechter als in Saddam Husseins Zeiten. Und das hatte man als Warnung im Hinterkopf. Und die mitverstörendste Erfahrung für jemanden, der aus unserer Welt kommt, ist diese Willkür eines Systems.

Was skrupellose Politiker innerhalb kürzester Zeit und in dem Fall dann über Jahrzehnte so langsam aufbauen in ihrer Weltsicht und anrichten können. Dieses Gefängnissystem allein. Du hast überall im Land verteilt diese Folterkeller. Wo dahin dann Leute einfach verschleppt wurden. Das war ein Geschäftssystem. Das war ein System, um Geld zu verdienen. Du greifst dir einfach jemanden von der Straße und sagst, du bist irgendwie ein Terrorist.

Und dann verschwindet der spurlos. Und dann bringst du natürlich seine Familie dazu, jede erdenkliche Summe zu bezahlen, um einfach nur mal überhaupt zu verstehen, wo ist denn der jetzt? Gibt es den noch? Lebt der noch? Frauen natürlich genauso. Das heißt, es ist ein Geschäftsmodell und das haben die irgendwann ganz genau kapiert und haben daraus ein wirklich florierendes Geschäft gemacht.

Diese Folterkeller, musst du dir vorstellen, die stecken dich in ein Loch, du verschwindest dort irgendwo unter der Erde, kein Licht und hängen dich tagelang einfach an dein Handgelenk, an irgendeine Decke. Die Fußspitzen berühren gerade mal so den Boden und wenn du dann irgendwann nach Tagen wieder runterkommst, sind deine Handgelenke dermaßen angeschwollen, die ganzen Adern aufgeplatzt und so weiter. Danach bist du schon das erste Mal sozusagen verstümmelt. Und dann kommst du nach Sydney.

Das ist dieses berüchtigte ehemalige Militärgefängnis, das dann in den letzten Jahren einfach nur noch ein Knast für jeden war, der einem sozusagen nicht passte. Und ich habe dort einen jungen Mann getroffen, das kann man so gar nicht wiedergeben, das muss man sich dann in der Reportage ansehen. Das ist der beklemmendste Ort, an dem ich jemals war. Der hat dort sechseinhalb Jahre überlebt.

Der ist 30 Jahre alt. Da stand vor mir ein gebrochener Mensch, der wirkte wie jemand am Ende seines Lebens mit 80 oder 90 Jahren. Der war seit drei Monaten draußen. Der gehörte zu denen, die sie da jetzt rausgeholt haben. Aber du merkst, der ist zwar physisch draußen, aber im Kopf ist der immer noch da drin. Der fing an zu zittern, der hat diese Kälte beschrieben, die auch im Sommer dort in diesem Gefängnis herrschte. Die lebten mit 20, 30, 40 Leuten einfach in so einem Loch.

Dann erzählte er von der Willkür der Wärter da ab und zu. Man musste dann die Hände einfach raushalten aus diesem Loch und dann hat er draußen mit einem Holzknüppel oder mit Metall so lange auf deine Handgelenke eingedroschen, bis alles gebrochen ist und dann durftest du Blut überströmt wochenlang, die dir in der Zelle liegen, ohne jedwede medizinische Hilfe. Er sagt, ich habe Leute gesehen, die hier gestorben sind an Hunger.

Und dann auch so die Psychomethoden. Er sagt, einmal am Tag gab es so ein bisschen Reis und ein kleines Stückchen Brot. Und manchmal war gar nicht klar, warum. Haben sie dann einfach das Essen vor die Zelle gestellt und haben es dort zwei Stunden stehen lassen. Wir sollten das Essen riechen und haben es dann einfach wieder weggenommen. Also so psychische Folter.

Und dann waren wir unten in diesem, das ist der schrecklichste Ort, den ich je gesehen habe, in diesen Kellern da, wo auch diese berühmte Menschenpresse da war. Da läufst du über so eine Schicht von irgendwas, das riecht auch so, du willst nicht genau wissen, was das ist. Das sind wahrscheinlich Exkremente, Kot, keine Ahnung was, weggetrocknet, wie auch immer. Aber solche Massen an Spinnweben habe ich noch nicht gesehen. Da haben sie Leute einfach komplett in Isolationshaft da reingesteckt.

Monatelang und vielleicht auch jahrelang, bis sie langsam in den Wahnsinn getrieben wurden. Eine Frau hat berichtet, dass ihr Mann, Vater ihrer zwei Kinder, der wurde dort so gefoltert und gequält, dass er nach seiner Rückkehr sie und ihre Kinder nicht mehr erkannt hat. Die hat ihn dann zurück zu seiner Mutter gebracht und lebt jetzt mit ihren beiden Kindern allein in einer Höhle oberhalb der Stadt.

Das ist irre und deswegen sagen die Syrer immer, wer ins Gefängnis geht ist verloren, aber wer rauskommt ist neu geboren. Das versteht man auch, wenn man das einmal gesehen hat. Und es gibt eben keine syrische Familie, die nicht irgendeine Geschichte dieser Art hat.

Und dann muss man denken an Rüdiger von Fritsch, den ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau, der mir erzählt hat, wie er in einem Gespräch mit Putin von dem gesagt bekommen hat, weißt du, ist es nicht traurig, der arme Assad hat nicht mal mehr richtige Waffen, um seine Leute umzubringen. Deswegen muss er auf diese billigen Fassbomben zurückgreifen und deswegen werde ich ihm jetzt ein bisschen helfen mit ordentlichen Waffen.

Das ist die Welt, in der du da bist. Und, Auf dem Rückflug musste ich viel darüber nachdenken, dass ein großer Teil dessen, was wir da sehen, diese jahrzehntelangen Kriege im Nahen Osten, von denen wir ja als Gesellschaft das Gefühl haben, ich kann es nicht mehr hören, die sollen ihr Zeug alleine regeln, lass uns da nicht mehr engagieren, lass uns nicht mehr reingehen, es bringt eh alles nichts. Die Wahrheit ist, wir sind ein guter Teil der Mitverantwortung dafür,

dass das alles passiert, geschichtlich. Wir haben den Nahen Osten irreparabel zerstört. Wir haben ihn irreparabel zerstört nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches. Also viele von denen, die uns zuhören, kennen ja sicher den Film Lawrence von Arabien. Davon handelt er vom Krieg der Engländer im Hintergrund auch der Franzosen gegen die Türken. Und dass man sich damals also die Hilfe der Araber versicherte.

Und man weiß auch aus dem Film, dass die Araber nicht in organisierten Staaten lebten, sondern eben als nomadische Völker. Als Stämme. Als Stämme. So, und jetzt hat man, als man sich die Kriegsbeute aufteilte, die Franzosen und die Engländer, ein junger britischer Abgeordneter namens Mike Sykes und ein französischer Diplomat namens François-Georges Picot, die haben die Einflusssphären aufgeteilt.

Die haben eine Linie gezogen von Ackre bis nach Kirkuk und quasi in den Sand eine Linie gemalt und die Einflusssphären abgesteckt und dann sind Länder entstanden. Da sind Länder entstanden wie der Libanon, wie Syrien, wie Jordanien, wie der Irak, auch Palästina damals, die es vorher als Staaten nicht gab.

Weil die Araber gar nicht in Staaten lebten. Und wenn man solche künstlichen Gebilde schafft, die man mit dem Lineal quasi in den Sand zeichnet, das gleiche zeigt ja auch die Kolonialgeschichte Afrikas, dann produziert man 100 Jahre Konflikte oder in dem Fall hier sogar schon 110 Jahre Konflikte. Und stelle sich mal vor, irgendwelche arabischen Diplomaten oder Generäle hätten Europa aufgeteilt nach ihren Interessen und hätten dann künstlich Länder festgelegt.

Dann wäre das gleiche passiert, was sowas im Mittelalter war. Da haben wir uns ja auch hunderte von Jahren bekriegt, bis überhaupt mal irgendwie zusammengehörige Nationalstaaten entstanden. Vorher waren wir ja auch Warlord-Country, dass von irgendwelchen Herzögen und so weiter regiert wurden, die sich wechselseitig in unendlichen Kriegen das Land streitig gemacht haben.

Und eine ähnliche Situation ist eben dadurch eingetreten. Also wir sind die Grundverursacher dieses riesigen Problems, a, indem wir das Land nach Gutdünken und unseren Interessenssphären aufgeteilt haben, also wir der Westen jetzt, in erster Linie die Engländer und Franzosen, später die Amerikaner auch. Und auf der anderen Seite haben wir auf Kultur, auf Zusammengehörigkeit überhaupt gar keine Rücksicht genommen.

Und drittens haben wir sie mit einer Vorstellung von Nationalstaatlichkeit beglückt, die überhaupt nicht in der Kultur und Tradition dieser Länder lagen. Und damit haben wir diese Konflikte ja alle erst erzeugt. Also Syrien ist ein künstliches Gebilde. Das sieht man ja eben daran. Lauter verschiedene Religionsgemeinschaften, verschiedene Ethnien.

Dann hier die Kurden, die man da bei all dem Übergang hat, haben keinen Staat, sind verteilt auf mehrere Staaten, auf den Irak, auf den Iran, auf die Türkei und auf Syrien und werden, soweit ich das sehe, auch in absehbarer Zeit keinen Staat bekommen, wobei der noch halbwegs klar zu definieren wäre, wo der verläuft. Und dann haben wir Staaten wie den Irak, den hält überhaupt gar nichts zusammen. Kulturell, geschichtlich, überhaupt gar nichts.

Und da darf man sich nicht wundern, dass wenn man den starken Diktator, und mag er noch so ein Arschloch gewesen sein, stürzt, dass man anschließend das Land ins Unheil und ins Unglück stürzt und dass die quasi zu ihrer alten Tradition zurückkennen. Denn was sind denn diese Warlords anderes als die moderne Fortführung von Stämmen, allerdings ausgerüstet mit Waffen und manipuliert durch die Interessen ausländischer Mächte und die mischen alle da nach wie vor mit.

Und diese unheilvolle Konstellation, die ist eben diejenige, die einen auch so leicht pessimistisch macht, wenn man das Gefühl hat, es gibt viele Konflikte dieser Welt, die müssen vielleicht nicht sein und die werden irgendwann gelöst sein, aber hier kann man sich einen dauerhaften Frieden nicht vorstellen. Ich habe mich dieser Tage mit Alfred Hackensberger beschäftigt, ein Korrespondent der Welt, den ich sehr sehr schätze.

Weil das jemand ist, der ist um die 60 rum und es ist einer, den ich immer lese, weil man an jeder Zeile spürt, wie viel der in der Ukraine beispielsweise unterwegs war, schon seit 2014 und noch früher, der aber auch insbesondere den Nahen Osten unheimlich gut kennt. Und der geht so ein bisschen in deine Richtung. Und der geht auch ein bisschen in die Richtung eines Grenzbeamten, den ich jetzt in Beirut getroffen habe.

Der hat uns gefragt, woher wir kommen, als wir da eincheckten auf dem Weg nach Istanbul. Ich rede jetzt von Libanon. Und wir sagten, wir kommen gerade aus Syrien. Und dann sagt er, ah, und hast du den neuen Machthaber da getroffen? Ich sagte, nein, haben wir nicht. Wir haben mit einfachen Menschen da getroffen. Dann sagt er zu mir, do you trust him, dem neuen Machthaber, dem Islamistenchef? Und ich sagte, du, ich kann dir das nicht beantworten. Ich weiß es schlicht

und ergreifend nicht, ob man dem trauen kann. Aber traust du ihm denn? Daraufhin lachte der laut auf und rief zu mir rüber, of course not. Natürlich nicht. Und Hackensperger geht in eine ähnliche Richtung. Du hast das ja so beschrieben. Ich meine, da ist ein Mann, auf den waren vor kurzem noch 10 Millionen Dollar der Amerikaner Kopfgeld ausgesetzt.

Das war ein Terrorist, ein islamistischer Terrorist. Der jetzt, und das hatten wir ja auch schon einmal in einem unserer Podcasts angerissen, quasi über Nacht in unseren Augen zum Guten wird. Ja, er ist jetzt gemäßigt und hat ihm abgeschworen und so. Und das ging ja sogar so weit, als dann dieses Massaker an den Aleviten stattfand, dass die EU da eine offizielle Verlautbarung gemacht hat, in der sie gesagt hat, das waren Assads Leute selber und so weiter, weil eben nicht sein konnte,

was nicht sein durfte. Richtig. Ja, weil nicht nur die Chinesen da sind, sondern wir sind natürlich auch da und jeder versucht jetzt mit dem Mann quasi ins Geschäft zu kommen. Nicht in erster Linie wirtschaftlich, weil Syrien hat ja nun so viel auch nicht zu geben, aber in erster Linie geostrategisch. Und jetzt wird dieser Mann deutlich positiver gesehen.

Er hat auf der Geberkonferenz von Deutschland 300 Millionen gekriegt, insgesamt einen Betrag von über 5 Milliarden Euro für den Wiederaufbau in die Hände dieses Mannes. Nicht in die Hände von Hilfsorganisationen, die dort was machen, sondern in die Hände eines radikalen Islamisten.

Ja und Alfred Hackensberger sagt eben und deswegen schätze ich den so, weil er sehr wohl immer der Lage ist zu differenzieren, der sagt, weil er die Lage dort doch gut kennt und es ist exakt das, was wir dort auch gesehen haben. Diese bittere Armut, ja 90 Prozent derer, die dort leben gerade. Und auch da musst du dann nochmal an diverse Politiker hierzulande und insbesondere auch an ihren Spahn denken. 90 Prozent leben in bitterster Armut, wirklich in bitterster Armut.

Du kannst diesen Hunger an jeder Ecke sehen und du kannst ihn fühlen. Das ist ein fürchterliches Leben, nur wenige Stunden Strom am Tag, wenn er denn überhaupt kommt. Keine funktionierende Infrastruktur, ganze Stadtviertel rausgebombt. Zuerst von Assad mit seinen Fassbomben, haben wir gerade drüber gesprochen, dann auch mit Hilfe der Russen. Also Putins Spur, Putins Blutspur zieht sich wirklich einmal quer durch Syrien.

Und Assad wäre längst Geschichte. Die Frage würde sich gar nicht stellen, was passiert wäre, wenn die Russen nicht so lange unterstützt hätten. Und deswegen sagt Hackensberger genau das. Humanitäre Hilfe ist wichtig und sie ist auch eine Verpflichtung des reichen Westens. Aber die wenigen Druckmittel, die wir haben, einfach aufzugeben. Kann sozusagen angesichts der Entwicklungen in Syrien nur als verantwortungslos bezeichnet werden.

So sagt er das und verweist auf dieses Massaker. Da haben die mitgemacht. Aber warum glaubst du denn, dass jetzt diese Geberkonferenz ihm diese 5,8 Milliarden gegeben hat? Warum glaubst du denn, dass er hofiert wird, dass Leute aus aller Welt, auch aus den liberalen Demokratien des Westens dorthin reisen und versuchen mit ihm mehr oder weniger gut Freund zu werden? Ich glaube, das ist der Grund, aber du darfst gerne deine Antwort dazu geben.

Ich glaube, der Grund ist, dass wir einfach froh sind, dass Assad verloren hat und wir jetzt irgendeinen starken Mann haben, den wir immerhin für besser als Assad halten. Nicht, weil er sich bisher als moralisch besser herausgestellt hat oder nicht auch als ganz großer Verbrecher, sondern weil er eben im Unterschied zu Assad nicht mit den Russen verbündet ist. Ich glaube, dass wir dieses kalte Kriegsschema darüber legen und das kommt mir

so bekannt vor. Aber das haben wir früher in Südamerika gemacht. Da war jedes Arschloch Deluxe mit Marschallstab. War uns recht, solange es unserer Schurke war und nicht der Schurke der Russen oder er den Kommunismus bekämpfte und so weiter. Ich sehe dieses Muster hier wieder. Aber du darfst mir gerne widersprechen. Du warst in Syrien, ich nicht. Nee, ich will dir gar nicht widersprechen, Richard. Nein, ich will dir gar nicht widersprechen. Man denkt, die Liste ist ja eh endlos.

Du denkst an Osama Bin Laden, den haben die Amerikaner unterstützt. Ja, genau. An die Taliban. Taliban, die aus den Mujahedin hervorgegangen sind, die sogenannten Gotteskrieger, die aus aller Herren Länder nach Afghanistan strömten, um die Russen zu bekämpfen und von den Saudis und den Amerikanern ausgebildet und finanziert wurden. Genau so ist es. Und nachher als Taliban Angst und Schrecken verbreitet haben oder der IS, brauchen wir gar nicht drüber zu reden.

Genau so ist es. Das ist genau das Dilemma, das du da hast. Du bist als Politiker in Verantwortung, irgendwann in der Situation dich dazu verhalten zu müssen. Du musst etwas tun. Du siehst, das sind ja keine Deppen. Die sehen ja die Geschichte dieses Mannes. Die wissen ja ganz genau, wer davor entsteht. Dieser Schara ist eine endlos lange Liste von Verbrechen, die auch auf sein Konto gehen. Das wissen die doch alles ganz genau. Das sind ja keine Naivlinge.

Aber dann siehst du, und das ist das Dilemma, dann siehst du diese humanitäre Not, dann siehst du dieses ganze Elend da auf der Straße. Es gab eine Situation, die ist mir persönlich unter die Haut gegangen oder zwei genau genommen, wie keine andere. Die eine spielt in Damaskus, die andere spielt im Libanon.

War Sonntagnachmittag und wir waren in der Innenstadt, in der Altstadt von Damaskus unterwegs und plötzlich fällt mir so ein kleiner Junge auf, der mit so einem wahnsinnig schweren Sack vollgepackt mit Plastikzeugs irgendwie durch die Innenstadt sich schleppt. Was anderes war das nicht. Und dann taucht er immer wieder ab in diese Mülltonnen und geht wirklich, also der halbe Körper verschwindet in dieser Mülltonne und kommt dann mit irgendetwas aus Plastik oder irgendwas Verwertbarem wieder raus.

Und dann stopft er das da rein und so weiter. Du siehst diesen kleinen Jungen, wie der dieses Gewicht durch diese Gassen da zieht und schleppt. Und ich spreche ihn dann irgendwann an und habe ihn gefragt, ob ich ein paar Bilder von ihm machen könnte. Wir haben ihm dann noch ein bisschen was gegeben und haben ihn auch ein bisschen großzügiger bedacht. Und der hat sich unfassbar gefreut. Und ich habe ihn dann nach seiner Geschichte gefragt und er erzählte mir,

er sei 14 Jahre alt. Der sah aus wie acht. Der war erkennbar unternährt, deswegen wächst er auch nicht richtig. Und er arbeitet für seine Familie. Sein Vater hat zwei Frauen, 15 Kinder. Und der muss jetzt irgendwie seinen Existenzkampf da in dieser Straßenschlucht da gewinnen, weil wenn er nicht gewinnt, dann ist er halt morgen tot. So brutal ist das. Das andere war ein Flüchtlingslager auf dem Weg nach Beirut.

Und da siehst du, wo die enden, die Assad im Laufe der Jahrzehnte aus ihren Häusern gebombt hat. Und dann siehst du diese Flüchtlingslager, die sich verstetigt haben, wo dann Kinder sofort rausgesprungen kommen, wenn man anhält, weil sie sich freuen, dass endlich mal irgendwie was passiert ist. Es fing dann an zu regnen, daneben so eine vierspurige Straße und dann stehst du da.

Und ich hatte das richtig mitgenommen, weil du verstehst, aus so einem Flüchtlingslager, aus solchen Umständen kann nichts Gutes kommen. Da kann nichts Gutes kommen. Und wenn die sich dann irgendwann auf den Weg nach Europa machen, dann kann auch das unter Umständen etwas Schlechtes bedeuten, weil da Kinder kommen, die wirklich nur gelernt haben, dass das Recht des Stärkeren das ist, worum es am Ende geht, dass der, der die Knarre in der Hand hat, am Ende immer Recht hat.

Die haben keinerlei Schulbildung, die haben keine Idee davon. Was man aus seinem Leben sozusagen noch machen kann, außer die Ellbogen rauszufahren und irgendwie sich durchzusetzen, weil es nicht anders geht. Diese Zustände verstetigen sich über Jahre und Jahrzehnte und wir lassen das dann irgendwie einfach so geschehen.

Und da frage ich mich wirklich, warum wir an dem Punkt so versagen, warum wir unser vieles Geld nicht schlauer einsetzen, warum wir diese Leute da nicht rausholen, versuchen sie vor Ort zu halten, sie davon abzuhalten, sich in irgendein Boot nach Mittleruropa zu setzen, sondern irgendwie da rauszukommen und irgendwie denen eine Perspektive zu geben. Was meinst du? Gib mir die Antwort auf die Frage, warum tun wir das nicht?

Warum warten wir, dass die Leute hier hinkommen? Das ist tatsächlich, Richard, die große Frage, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Warum lassen wir das einfach so laufen? Warum sind wir nicht in der Lage, an dem Punkt besser zu sein? Und zwar, ehrlich gesagt, auch aus einem eigenen Egoismus heraus.

Weil du hältst so viele Leute davon ab, diese gefährliche Überfahrt zu wagen, wird unser Übersetzer, ein sehr, sehr netter junger Mann, Abdul, ganz herzlich gegrüßt oder Abdel, wie er sich sagt, das kannst du machen, wie du willst, das war alles sehr flexibel, was den Vornamen angeht.

Der in Stuttgart studiert, Maschinenbau studiert und der mir sagte, ich habe gerade wieder drei Freunde verloren, die sind jetzt, obwohl Assad nicht mehr da ist, aus Libyen aus losgefahren und sind im Mittelmeer ertrunken. Das sind diese Dinge, die nach wie vor Alltag sind und die so häufig passieren, dass man sich fragt, warum sind wir da an dem Punkt nicht besser? Und ich muss immer an Kilian Kleinschmidt denken.

Das war ein Mann, der lange für die Vereinten Nationen genau solche Flüchtlingslager geleitet hat, der ziemlich autoritär da, glaube ich, auch unterwegs war. Sehr harte Regeln, weil er sagt, diese Leute kommen aus sehr autoritären, harten Gesellschaften. Die brauchen klare Ansagen. Der es hart sanktioniert hat, wenn irgendjemand Scheiße gebaut hat, sich daneben benommen hat. Der aber es geschafft hat, aus diesen Flüchtlingscamps dann so richtige Kleinstädte zu entwickeln.

Mit Geschäften, mit einem schwunghaften Handel. Ich meine, du bist im Nahen Osten unterwegs. Die Leute sind immer dabei, irgendwas zu handeln und irgendwas zu verkaufen. Das ist ja auch das, was man so mag. Und der hat es damals geschafft, das irgendwann zu so kleinen Siedlungen zu entwickeln. Und ich habe den immer gefragt, wieso machen wir das nicht häufiger? Es ist doch am Ende egal, ob das Dorf oder die Siedlung hier in der Wüste steht

oder 300 Kilometer weiter in der Wüste steht. Es ist und bleibt Wüste. Aber man kann daraus etwas machen, statt zuzusehen, wie sich dieses Elend immer weiter verstetigt und dann kommen da Kinder zur Welt. Die habe ich da getroffen im Libanon. Ich meine, diese Zeltlage, die gibt es seit Jahren. Seit Jahren. Und die leben da, die werden da geboren, die wachsen da auf, die kennen nichts anderes. Außer genau das und das verstehe ich. Keinen geregelten Tagesablauf, keine Staatlichkeit. Keine Bildung.

Keine Bildung, kein Kindergarten, keine Grundschule, keine weiterführende Schule. Richtig, genau. Und da, glaube ich, versagen wir kollektiv. Ja, aber das muss ja mal ein großes politisches Thema werden, oder?

Also bevor wir darüber nachdenken, Leute wieder zurückzuschicken oder denen, wie Jens Spahn vorgeschlagen hat, noch 1000 Euro Prämie zu zahlen, wenn sie dahin wieder zurückkehren, wäre es doch erstmal viel interessanter, dass wir dieses Geld, was wir da als Prämie ausgeben wollen, mal dafür ausgehen, dass nicht noch weitere Leute kommen. Leute, die ein völlig verunfalltes Leben haben, weil sie eben Kinder dieses Bürgerkrieges sind.

Und das müsste doch jetzt ein erster Schritt mal erstmal unser Hauptinteresse sein.

Und dann als zweiter Schritt kann man dann darüber nachdenken, wer kann in welche Regionen, die Regionen, du kennst dich ja jetzt besser aus als ich, sind ja sicher sehr unterschiedlich, aber vom Krieg auch unterschiedlich verheert und auch sagen kann, wer kann dann wohin und wie wieder zurück als pauschal zu sagen, so jetzt ist der Krieg aus, jetzt ist jemand dran, den finden wir gar nicht so übel und jetzt packt mal eure Sachen und geht zurück.

Also das ist einfach eine Kaltschneuzigkeit nicht zu überbieten, wie ich vorhin schon gesagt habe. Das ist einfach jemand, der keine Ahnung hat, worüber er redet. Entschuldigung, aber das muss man in dieser Deutlichkeit sagen. Genau, ich muss ihn aber in Schutz nehmen. Das hat auch was zu tun mit der Unübersichtlichkeit, die das alles hat. Und es hat mit den Dilemmata zu tun, in denen Politikern stecken. Schau mal, wenn du Alfred Hackensberger liest, ja?

Und der sagt, wie könnt ihr diesen Typen Milliarden jetzt überweisen und dann hoffen, das wird schon irgendwie gut gehen. Ihr wisst doch, mit wem ihr es zu tun habt. Wie könnt ihr so wahnsinnig sein, jetzt darüber nachzudenken, die Sanktionen aufzuheben? Die EU will die Sanktionen lockern. So, dann harter Schnitt und dann bist du plötzlich in so einem Elendsviertel in Damaskus unterwegs und dann stehst du da.

Und ich sage dir, Richard, die Frage, die am allerhäufigsten kommt, ist, warum tut ihr das mit uns? Warum hebt ihr eure Sanktionen nicht auf? Warum bestraft ihr uns auf diese Art und Weise? Das ist das genaue Gegenteil dessen. Du stehst da und hast keine gute Antwort und sagst, ja, ich glaube, wir arbeiten ja dran. Die Sanktionen treffen im Zweifelsfall sowieso immer die Ärmsten der Armen am stärksten. Es gibt keine Medikamente und sowas.

Also wir wissen, wie die brutal Wirtschaftssanktionen sind. Und das machen dem neuen Diktator, macht das alles relativ wenig, außer der Bevölkerung sehr viel. Deswegen bin ich ja auch dafür, dass die Sanktionen aufgehoben werden. Aber ist es nochmal ein großer Unterschied, die Sanktionen aufzuheben oder tatsächlich wie auf der Geberkonferenz als Schara tatsächlich all dieses Geld da in die Hand zu geben, was auch immer der damit macht.

Also das sind für mich zwei ganz verschiedene Schritte. Sind es, aber wenn du dir, um das auch nochmal ganz kurz zu erwähnen, die haben ja jetzt so eine Interimsverfassung, so eine neue Interimsverfassung hat er jetzt gerade unterzeichnet. Und dann schaust du dir das mal an und auch da siehst du wieder das Dilemma von Politik. Wie gehst du damit um? Diese neue Verfassung ist im Grunde ein weiterer Schritt, um diese Herrschaft dieser Islamisten zu zementieren.

Der Präsident bestimmt ein Drittel der gesamten Volksversammlung und zudem den Ausschuss, der die restlichen Abgeordneten auswählt. Also die restlichen zwei Drittel. Und die Zusammensetzung des obersten Gerichts fällt auch zufälligerweise in seine Zuständigkeit. Und Hackensberger schreibt darüber, eine bessere Konstellation kann es für eine Autokratie nicht geben. Natürlich, das ist eine Demokratie. Das ist nichts anderes als eine getarnte Diktatur.

Richtig. Und da muss man dann natürlich schauen, was passiert da, wie geht man damit um. Aber das Leben auf der Straße, Richard, weißt du, das bleibt da außen vor. Und die Leute kämpfen wirklich um ihre Existenz. Es gibt aber auch, und ich muss dir kurz davon erzählen, weil sonst immer so das Gefühl entsteht, da ist nur Tod und Elend. Mich hat wirklich beeindruckt, wie unfassbar viel Schmerz.

Ein Mensch in der Lage ist auszuhalten und dennoch irgendwie positiv und einigermaßen optimistisch ins Leben zu blicken und dir ein Lächeln zu schenken, wenn er dich trifft. Und dir nicht das Gefühl zu geben, dass er dir gleich eine über die Rübe zieht oder dass er dich ausrauben will oder dir an die Wäsche will. Das hat mich wirklich beeindruckt. Und wenn du dann da reinfährst, du siehst diese Zerstörung. Du verstehst, da kann man gar nicht zurückkehren. Auch nicht mit 1000 Euro der

deutschen Bundesregierung. Das geht nicht. Du musst da erstmal richtig viel aufbauen, um überhaupt wieder reinzukommen. Aber dann fährst du durch diesen Verkehr zum Beispiel, der wie in allen orientalischen Ländern, aber insbesondere in Syrien chaotisch ist. Das kannst du dir nicht vorstellen. Du verstehst bis zum Schluss eigentlich nicht, nach welchen Regeln es funktioniert. Man merkt nur, dass es irgendwie funktioniert.

Und es gibt da so die üblichen, kennt man auch so aus Afrika, die üblichen ungeschriebenen Gesetze, Südostasien ähnlich. Sri Lanka, glaube ich, der wird auch so Auto gefahren. Wer bremst, verliert. Immer gehen, ohne anzuhalten. Der andere wird schon irgendwie aufpassen. Eine rote Ampel ist eigentlich nur ein Angebot oder ein Vorschlag. Muss man aber nicht annehmen. Und wir hatten so ein schönes Erlebnis. Wir sind in ein besonders armes Viertel auf den Berg gefahren.

Da leben Menschen fast in Löchern. Das sind die Leute aus diesen ausgebombten Vierteln. Die können jeden Tag runterschauen auf ihr altes Zuhause.

Und haben sich da in so, eigentlich kommt das so südamerikanischen Favelas sehr nahe oder Dingen, die ich auch aus Indien kenne, wo du diese Slums hast und dann leben Menschen teilweise wirklich in Erdlöchern, aber teilweise dann in so, mit schlafenden zehn Mann irgendwie auf fünf Quadratmetern oder so, in so ganz ärmlichen Verschlägen, wo sie dann 20 Euro umgerechnet Monatsmiete bezahlen. Mehr können sie sich absolut nicht leisten.

Und du kommst dann nur hin mit so speziellen Tuk-Tuks, mit so einem Fahrer, der uns dann da hochfährt. Die Kupplung hat irgendwann gestunken, weil diese Kupplung schleift und schleift vor sich hin, weil er irgendwie mit dieser alten Karre und diesem ganzen Gewicht versuchen muss, da hochzufahren. Und es war ein interessanter Typ, weil der ist eigentlich von Haus aus Friseur und hat uns dann durch diese engen Gassen da hochgefahren, fluchte die ganze Zeit vor sich hin und sang Friseurlieder.

Das war irgendwie sehr unterhaltsam und sagte dann, um gut fahren zu können, muss man immer gute Laune haben. Das leuchtete mir sehr ein. Und während er darüber schimpfte, wie grauenvoll schlecht gerade wieder alle anderen fahren und wie wichtig es ist, sich an die Regeln zu halten, fährt er wirklich in genau der Sekunde in aller Seelenruhe über eine tiefrote Ampel. Und ich saß da hinten drin, ich habe mich kaputt gelacht, weil es einfach schön.

Und das sind diese Begegnungen, die man ständig hatte in der Innenstadt. Ich bin wahnsinnig oft angesprochen worden. Ich hatte das Gefühl, also du auch, wir sind in Syrien weltberühmt, weil es einfach sehr, sehr viele Menschen gibt, die einen in Syrien erkennen, weil sie einen Bezug zu Deutschland haben. Es sind zum Teil Syrer, die gerade dort ihre Familien besuchen, die jetzt die Chance nutzen, um zu sehen, wie es der Familie geht.

Dann steht da ein Syrer vor dir mit wahlweise schwäbischem Akzent oder ein Syrer mit schwer sächsischem Akzent oder norddeutschem Akzent. Das war interessant, das zu sehen. Und du erfährst dann auch unheimliche Erfolgsgeschichten. Da steht dann ein junger Programmierer vor mir und die sprechen alle ziemlich gut Deutsch. Und ich sage, wann bist du nach Deutschland gekommen? Ja, so 2015, 2016. Das war immer die Erzählung. Da ist wirklich was passiert.

Und die sind sich sehr darüber im Klaren, was Deutschland für sie getan hat. Die sind sich sehr darüber im Klaren, dass das keineswegs einfach normal war, was insbesondere Deutschland in der Zeit für sie geleistet hat. Und da gibt es eine große Dankbarkeit gegenüber Deutschland. Es gibt aber auch ein Gefühl, das dir sagt, und das fand ich interessant, warum seid ihr immer so lieb? Das war die Formulierung.

Mit anderen Worten, warum seid ihr manchmal so naiv? Warum seid ihr nicht viel konsequenter? Wenn euch Leute auf der Nase rumtanzen. Und dann erzählen dir Syrer, die in Deutschland leben, was über Deutschland, das du hier eigentlich so selber nie sagen würdest. Die sagen dir dann, du pass auf, ich kenne Leute, die arbeiten, die allermeisten hängen sich rein, die strengen sich an, die haben Jobs.

Der eine war in so einem Verwaltungsjob, der hat sich gerade ein Häuschen gekauft zusammen mit seiner Frau. Innerhalb von zehn Jahren baust du dir so eine neue Existenz in Deutschland auf. Der kam aus Bad Kreuznach. Sehr nette Leute. Der hat es geschafft, in zehn Jahren sich eine richtige Existenz aufzubauen. Oder die beiden. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt. Und er sagte dann, aber warum lasst ihr euch das gefallen? Warum greift ihr nicht durch bei Leuten, die nicht arbeiten wollen?

Dann sagte ich, ja, was würden sie denn machen? Dann sagte er, ja, eine Hotline. Es muss eine Hotline geben, wo man Schwarzarbeiten melden kann. Und ich gucke ihn so an und sage, würden Sie da anrufen?

Er meinte, ja, klar würde ich da anrufen. Ich dachte, wow, das ist ja in unseren Augen so Denunziantentum, wenn du aus Syrien kommst, aus einer harten Welt, in der man wahrscheinlich sehr viel mit Verrat leben musste und Denunziantentum leben musste, um sich so einen kleinen, miesen Vorteil zu erschleichen, ist das etwas, das zum Leben dazugehörte. Und das verstehen die nicht. Und dann kam der beste Moment, dann sagt er zu mir, sag mal,

und diese Talahon, was ist das mit diesen Talahon? Ich sage, ja, sag du es mir. Dann sagt er, ja, Talahon, das ist ja eine Drohung, das ist ja arabisch, das heißt, komm her. Aber so als Bedrohung, willst du Ärger? So wie in Bayern sagt man, wollen wir rausgehen? aus dem Wirtshaus, dann gibt es ein paar auf die Mütze. Das war sozusagen die Aufforderung für eine gepflegte Schlägerei. Und er sagt, das ist in Deutschland entstanden, diese Tallahon.

Er sagt, ich muss arbeiten, ich habe keine Zeit für Tallahon. Ich stand da, ich habe mich wirklich scheckig gelacht. Und das war einer der Punkte. An den ich an dich gedacht habe, Richard, weil mir dein Buch und deine Gedanken... Beim Ausgehen und Prügeln. Nee, das lese ich bei der Wörtherausschlägerei. Aber bei dem, genau bei diesem Thema, weil ich dachte, ja, wir dürfen auch was verlangen. Und es muss Rechte geben und es muss Pflichten geben.

Und diese Pflichten müssen wir klarer und deutlicher einfordern. Das ist einer der Momente, die sich mir so eingebrannt haben auf dieser Reise, wir haben das Recht, etwas einzufordern. Wir haben das Recht für das, was wir bieten, nämlich Sicherheit. Meinungsfreiheit, ein Leben in Ruhe, wo du nachts einschlafen kannst, ohne dass du Angst haben musst, dass irgendeine Rakete oder eine Fassbombe auf deinen Kopf fällt. Wir haben das Recht, etwas zu verlangen dafür.

Und gerade auch vor dem Hintergrund, dieses kleinen Jungen, den ich da gesehen habe, der da mit seinen 14, 15 Jahren diesen schweren Sack da durch die Innenstadt von Damaskus mehr zieht als schleppt, dachte ich, nee, in einem Land, in dem sowas wie Kinderarbeit und täglicher Existenzkampf normal ist, und du kommst aus diesem Land nach Europa und insbesondere nach Deutschland und dann bist du 18, 19 oder 20 Jahre alt und.

Wenn du irgendwie sozusagen die Dinge ein bisschen anders siehst, dann kannst du sehr entspannt relativ arbeitsfrei durch den Tag kommen. Und damit habe ich nicht gesagt, dass die allermeisten so sind. Die allermeisten Arbeiten haben... Menschen, denen so viel in ihrem Leben zugemutet worden ist, wie die, die den Bürgerkrieg erlebt haben, denen ist natürlich zuzumuten, dass sie Deutsch lernen, dass sie bereit sind, Arbeit aufzunehmen und so weiter. Da sind wir uns doch sofort einig.

Ja, aber ich sage mal, wenn du dir die deutsche Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte anguckst, sind wir uns darüber nicht einig. Ich weiß immer nicht, woran krankt denn die deutsche Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte? An einem völlig idiotischen Idealismus, der sagt, Leute, die man in Ruhe lässt, denen geht es am besten. Oder krankt das einfach daran, dass man das strukturell nicht auf die Kette gekriegt hat, das mal ordentlich anständig anzugehen? Ich bin nur Reporter an dem Punkt, Richard.

Ich kann die Dinge nur beschreiben und ich weiß, dass es komplex ist. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, Dinge zu ändern. Aber wenn ich dann höre, dass es beispielsweise nicht mehr möglich ist, jemanden nach Griechenland abzuschieben, weil deutsche Gerichte sagen, in Griechenland könnte es passieren, dass er dort unter einem deutschen Standard leben muss. Obwohl Griechenland auch ein sicheres Land ist. Niemand wird in Griechenland

vom Tod bedroht. Da haben wir uns in eine Falle rein manövriert, auch mit dem Idealismus, den wir haben, aber auch ehrlich gesagt mit der Weltfremdheit. Und ich frage mich manchmal, woran das liegt? Hat das damit zu tun, dass Politiker, auch wenn sie in solche Länder fahren, dass die dann nur so auf so einer oberen Regierungsebene unterwegs sind? Also wir machen wahrscheinlich keine Reisen, wie die du gemacht hast. Ja, wahrscheinlich. Weil dann würdest du verstehen, dass das so nicht geht.

Das wäre übrigens mal eine schöne Idee, dass alle führenden Außenpolitiker, dass sie wirklich mal einen Monat da leben. Und zwar nicht in irgendeinem Fünf-Sterne-Hotel im Flughafen von Damaskus. Ja, aber wirklich mal, damit man auch weiß, was alles nicht geht. Und damit man auch eine Vorstellung davon kriegt, wie schablonenhaft ja häufig unsere Vorstellungen von diesen Ländern sind und von dem Leben dieser Menschen.

Und so hören sich ja zum Teil eben auch die Vorschläge an. Ja, tatsächlich, aber umgekehrt eben auch. Also was du eben merkst ist, wenn man aus einer solchen Gesellschaft kommt, in der es jeden Tag ums Nackte überleben geht. Weißt du, es war wirklich irgendwie traurig und irgendwie auch zynisch. Wir kommen gerade hier zurück und sind konfrontiert mit der Meldung, dass ein Syrer, wir kamen gerade aus Syrien, in Berlin in der U-Bahn jemanden umgebracht hat, mit dem Messer einfach erstochen hat.

Und wenn du diese Gewalterfahrung, die jede syrische Familie durchzieht, wenn du die mal ein bisschen verstanden hast oder ein bisschen was davon erahnt hast, dann verstehst du natürlich, dass das kein großer Schritt ist. Aber umso klarer muss unsere Konsequenz sein. Wir können nicht akzeptieren, dass Leute hier gewalttätig werden, dass Leute hier den Islamismus ausleben und das Kalifat ausrufen. Wir können absolut nicht akzeptieren, dass junge Männer, die 18, 19, 20 Jahre alt sind,

Und um solche handelt es sich. In der Regel sagen, du pass auf, das mit Arbeit, irgendwie machen wir jetzt vielleicht mal nächstes Jahr oder keine Ahnung was. Es gibt ja vielfältigste Möglichkeiten sozusagen, dieses System auszunutzen, wenn man es denn will. Die, die das am allermeisten nervt, Richard, sind die Syrer selbst. Weil die sagen, das bringt uns alle in Verruf und wir wollen das nicht. Wir wollen arbeiten, wir wollen uns anstrengen.

Das sind die Leute, die ich da getroffen habe. Und dann gibt es diese paar Leute, die wirklich Probleme machen und die eigentlich lieber ein bisschen Drogen ticken und davon träumen, irgendwie mit einem fetten Auto durch die Innenstadt zu ballern und die lachen uns aus. Und die nehmen uns als schwach wahr, die nehmen uns als durchsetzungsschwach wahr, die nehmen uns als inkonsequent wahr, die sagen, dieses System, wenn man es will, kann man unglaublich gut ausnutzen.

Da brauchen wir so viel mehr Realitätssinn. Und ich frage mich wirklich, was ist schlimm daran, wenn wir von einem 18-Jährigen, der in dieses Land kommt. Verlangen, dass er nach sehr kurzer Zeit einfach arbeitet? A, weil er es kann, B, weil es der Integration dient. Am Arbeitsplatz lernst du die Sprache, am Arbeitsplatz lernst du andere Leute kennen, am Arbeitsplatz funktioniert Integration. Warum ist das so schwer zu begreifen? Da funktioniert auch Bestätigung.

Da hat man was geleistet und dann kriegt man die Anerkennung dafür und dann lernt man das Leben seiner deutschen Kollegen kennen und dann eifert man dem einen oder anderen nach und so weiter und so weiter. Da brauchen wir gar nicht lange drüber zu reden. Das ist völlig klar. In dem Moment, wo jemand hier strukturlos ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auf ungute Gedanken kommt, wesentlich höher, als wenn er fest eingebettet

in Strukturen ist. Ja, es ist wirklich interessant, wie sich da Dinge verändert haben. Erinnerst du dich jemand, der völlig sozusagen über jeden Rassismusverdacht erhaben ist und der auch sozusagen über den Verdacht erhaben ist, so ein kaltblütiger Neoliberaler zu sein? Franz Müntefering. Von dem stammt der Satz, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Ja, der hatte ich nicht erfunden. Ich weiß. Weißt du, wo der Satz herkommt?

Ja, der ist alt, ne? Der ist sehr, sehr, sehr, sehr alt. Der stammt vom Apostel Paulus. Das ist ein Satz aus der Bibel. Und der bezieht sich auf die Gründung der frühen Gemeinden. Und da ging es darum, dass man Jan Zehnt von dem, was man verdiente, an die Gemeinden abgeben sollte. So, und jetzt hatte er Angst, dass wenn die Gemeinde zu Geld kommt, es zu viele gibt, die auf Kosten der Gemeinde leben.

Sondern stattdessen sollten die Leute möglichst viel arbeiten, damit sie der Gemeinde möglichst viel geben können, damit man auch vernünftige, starke Gemeinden aufbauen kann. Und sich nicht in die Hängematte legen nach dem Motto, oh ja, über die Gemeinde ist ja für mich gesorgt. Das ist der ursprüngliche Grund für diesen Satz.

Und so ist er eben auch gemeint. Da hieß es ja auch, das meinte ja nicht, dass Kinder nicht essen sollen, weil sie nicht arbeiten oder Alte und Gebrechliche, sondern der bezog sich auf alle Arbeitsfähige. Und der findet sich dann später in der sowjetischen Verfassung wieder. Der gleiche Satz. Also in der Bibel, Kommunismus und Franz Müntefering zitieren alle den gleichen Satz. Die heilige Dreifaltigkeit des einen Satzes über die Pflicht.

Und genau so, aber du erinnerst dich schon, damals gab es die großen Diskussionen darüber, wie kann man so kaltherzig sein, wie kann man sowas sagen. Damals ging es ja im Kontext Hartz IV. Aber ich finde, im Prinzip ist das richtig, wenn immer klar ist, wie es gemeint ist. Aber wir wollen Dinge offensichtlich mittlerweile so wahnsinnig gerne falsch verstehen.

Wir wollen das dann so verstehen, dass denen, die es wirklich brauchen, dann auch nicht geholfen wird und wir wollen, dass dann auch Kindern nicht geholfen wird. Wir suchen immer Gründe, warum es nicht funktioniert. Ich glaube aber, wir haben, auch ein Staat hat die Pflicht, Dinge anzusagen und wir haben das Recht, etwas zu erwarten.

Ich würde gerne von dir am Ende wissen, wenn wir auf der einen Seite sehen, was für ein unglaubliches Desaster der Bürgerkrieg angerichtet hat in den letzten 14 Jahren und diese Zerstörung, diese Verheerung nicht nur an Gebäuden, sondern auch die Zerstörung von Köpfen, von Psychen, von Menschen, die ihre nächsten Angehörigen verloren haben, all das Schicksal, Menschen, wie du erzählt hast, die auf grausame Art und Weise gefoltert wurden und so.

Und gleichzeitig hast du ja auch Geschichten erzählt, so hoffnungsvolle Geschichten also von optimistischen Menschen oder von Menschen, die ihren Humor nicht verloren haben wenn du jetzt auf die Zukunft in Syrien blickst, was überwiegt da bei dir, dass du den Fatalismus siehst in den Ländern wie Syrien ausgesetzt sind und all das Zerstörte und all das Verstörende oder die Hoffnung darauf, dass es doch eine gute Zukunft für ein Land wie Syrien geben kann.

Ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich bin viel zu wenig Syrien-Experte, um das abschließend beurteilen zu können. Aber ich habe ein Gefühl und ich kann versuchen, das ein oder andere Ende irgendwie mal zusammenzufügen. Ich glaube, dass die Recht haben, die sagen, das könnte möglicherweise schief gehen. Das hat damit zu tun, dass diese neuen Akteure, wir haben über Schara eben schon gesprochen, das sind Leute, die haben was anderes vor. Die träumen von einem islamistischen Gottesstaat.

Und wenn sie dann, wir haben eine Ministerin aus dieser Regierung, Ministerin getroffen, das sind Feigenblätter, das tun sie, um dem Besten zu gefallen, weil sie wissen, dass uns das wichtig ist. Gleichberechtigung und so weiter. Aber ich habe wirklich Zweifel, dass das wirklich auch genauso gemeint ist. Man muss auch mal verstehen, woher diese Leute kommen. Das sind ja häufig gar keine Syrer. Der syrische Islam ist ein moderater Islam, auch unter Assad immer gewesen.

Aber da redest du plötzlich über Leute, die kommen von überall her. Das sind Leute aus Afghanistan. Das sind Leute aus Pakistan. Das sind Tatschiken. Das sind genau die Typen, die in Raqqa versucht haben, einen Gottesstaat zu etablieren. Genau über die Leute redest du und du spürst, dass die Syrer und Syrerinnen denen nicht so wirklich über den Weg trauen. Das ist das eine. Das andere ist, wenn du dir mal anschaust,

die verschiedenen Akteure, wer da alles mitmischt. Nur mal die Religion genommen. Du hast Sunniten, du hast Schiiten, du hast die Alawiten, du hast Christen, du hast Drusen, du hast Kurden. Das heißt, du hast da so viele verschiedene Interessen und so viele Leute mit einer Waffe in der Hand. Dann schau dir mal an, wer da staatlicherseits alles operiert. Die Iraner mischen damit, die Türkei mischt damit, die Russen mischen damit, haben immer noch zwei Militärbasen dort, die sie betreiben.

Ist nicht so ganz klar, wie viele Menschen sind da eigentlich. Dann hast du die Amerikaner, du hast die Israelis, die dort ihre ganz eigene Agenda haben und so weiter und so weiter. Das heißt, du hast so viele verschiedene Akteure, dass im Grunde eigentlich nicht so richtig klar ist, wie das am Ende gut zusammengehen soll. Das ist das, was ich persönlich glaube. Das wäre traurig, aber ich sehe diese Gefahr und dann überlege dir nochmal. Da sind ja auch noch Leute aus dem ehemaligen Regime.

Da sind diese 300.000 ehemaligen Soldaten aus Assads Armee. Dazu ungefähr eine Million Angestellte der alten Regierung. Ein Großteil von denen sitzt jetzt arbeitslos zu Hause und fürchtet die Rache der Opfer. Das schießt sich im Zweifel zwei kriminellen Organisationen an. A, um zu Geld zu kommen und B, um geschützt zu sein. Genau. Und auf der anderen Seite hast du Selbstjustiz. Richtig. All die Leute, die jetzt ihren Folterknechten gegenüber sitzen oder den Leuten,

die vorher willfähige Handlanger des Unrechtsstaates waren. Das ist das, was mir durch den Kopf geht. Ja, okay, dann hat aber Steinmeier schon recht gehabt mit der Aussicht, dass es einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Syrien geben wird, in dem Moment, wo diese Machtkonstruktion rund um Assad zertrümmert wird. Möglich. Ohne, dass wir uns Assad zurückwünschen. Aber dass da keine andere denkbare gute Regierung irgendwo in Sicht war, da hat er schon recht mitgehabt.

Und dass die Interessenskonstellation da in Syrien so unversöhnlich ist und da so viele jetzt versuchen, den großen Teil von Kuchen sich abzuschneiden, das macht die Sache schon nach wie vor dauerhaft explosiv. Ja, und wir haben es auch am eigenen Leib erlebt. Wir wollten dann irgendwann Richtung israelische Grenze, wir wollten da Richtung Süden und von einer Minute auf die andere kippte das plötzlich weg.

Nein, ihr könnt auf gar keinen Fall fahren, da sind gerade wieder Gefechte, da sind irgendwelche Rebellen, die da ihr eigenes Ding machen und so weiter. Also das geht ganz, ganz schnell. Das ist alles unheimlich fragil und unter dieser Oberfläche schlummert eine unglaubliche Bereitschaft zur Gewalt. Und die kann jederzeit ausbrechen. Das ist auch klar in einem Land,

in dem ein Menschenleben nicht viel zählt. Und das ist ja auch das, was die harte Lektion der Syrerinnen und Syrer ist, über diese Jahrzehnte der Assad-Herrschaft, also Vater und Sohn. Es ist völlig egal, ob du dein kleines Leben hast oder nicht. Es ist völlig egal, was deine Familie ist oder nicht. Es ist völlig egal, in welchem Loch du verschwindest. Es wird kein Haar nach dir krähen und es hat keinerlei Konsequenzen. Und das ist die harte Lektion, die die gelernt haben.

Ja, Markus, diesmal sage ich den Satz, viel von dir gelernt. Ja, ein bisschen was. Und da werden wir noch das ein oder andere Mal drauf zurückkommen. Ich danke dir für das Gespräch. Sehr gerne, danke dir. Music.

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