AUSGABE 187 (Trumps Zoll-Hammer: Das Ende des Welthandels?) - podcast episode cover

AUSGABE 187 (Trumps Zoll-Hammer: Das Ende des Welthandels?)

Apr 03, 202553 min
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Trumps Zoll-Hammer schockt die Welt. Nur, welchen Sinn haben diese Maßnahmen? Wem nützen sie? Dieser Frage gehen Markus Lanz und Richard David Precht in dieser Folge nach. „Der Kapitalismus hat die Weltrevolution gemacht. Die Menschen sind heute viel kapitalistischer als frühere Generationen“, meint Precht. Sucht sich der Kapitalismus nun seinen Weg in die Politik? Klar ist, dass die Probleme der deutschen Autobauer nicht erst mit den Zöllen und der zweiten Amtszeit von Donald Trump begonnen haben. Der Kapitalismus scheint sich gerade selbst zu überholen und Europa steht verwundert am Seitenrand.

Transcript

Music. Schönen guten Morgen Richard. Guten Morgen Markus. Wie geht es dir? Hast du auch Frühling in Düsseldorf? Blüts? Ist das Wetter schön? Ist das Leben gut? Ja, ja. Frühlingserwachen. Ja. Und dieses, hast du auch gerade dieses seltsame Gefühl? Also irgendwie will man sich doch jetzt freuen, dass wieder losgeht und dass die Kirschen blühen und irgendwie kommt jetzt eine schöne.

Aber das passt so gar nicht zur allgemeinen Gemengelage, weil ich schaue mich um, ich traue mich gar nicht mehr links und rechts zu gucken. Es ist nur noch Weltuntergang, egal wo ich hinkomme. Ja, aber man sollte seinen inneren Frohsinn nicht von der allgemeinen Gemengelage abhängig machen. Es gibt durchaus ein Recht darauf, sich über das schöne Wetter zu freuen, auch wenn einem in erster Linie die Natur leid tut, weil es so lange nicht geregnet hat. Das ist wahr.

Ich habe neulich, das tröstet mich dann immer so ein bisschen, was unglaublich hilft, ist Perspektivwechsel. Ich habe neulich mich mit einem Freund darüber unterhalten, was eigentlich wäre, wenn wir eine Generation, die es ja wirklich gut hatte, wir hatten es gut, wir hatten viel Glück. Und wenn man sich mal für eine Sekunde einen Perspektivwechsel erlaubt und du überlegst dir mal, was wäre eigentlich, wenn du zum Beispiel im Jahr 1900 oder 1901 auf die Welt gekommen wärst.

Dann bist du mit 14 an dem Punkt, da beginnt der Erste Weltkrieg. Und dann kommt 1918 und dann sterben wieder Millionen Menschen. Allein in dieser kurzen Zeit sterben schätzungsweise 70 Millionen Menschen um dich herum. Stell dir das mal vor. Das wäre dein Leben. Da bist du gerade mal 18. Also mein Großvater ist Jahrgang 1902. Er lebt natürlich nicht mehr. Und der hat das alles so mitgemacht. Wahnsinn, oder? Da fuhren noch keine Autos auf den Straßen, da gab es keine Telefone.

Und der hat diese ganze Welt mit all den Veränderungen bis zum Computerzeitalter mitgemacht. Und der sagte dann immer, als er über 80 war, dass der Computer die Welt verändern würde. Also er war sozusagen, da war Bill Gates und Steve Jobs nicht der einzigen. Mein Großvater wusste das auch. Wusste das auch, ja. Ja, aber überleg mal, so viel ist so vergleichbar. Plötzlich reden wir auch wieder über solche Dinge, aber glücklicherweise in einer anderen Dimension.

Wir reden plötzlich wieder über Krieg, wir diskutieren über Wehrpflicht, wir denken darüber nach, was der Handelskrieg jetzt bedeutet, den die Amerikaner auslösen und so weiter. Aber die Zahlen, wenn du die schiere Zahl dir anschaust und das mal in diese Perspektive stellst und dir anschaust, wie viele Millionen Menschen in der Zeit sterben und da reden wir jetzt noch gar nicht über den Zweiten Weltkrieg.

Da sterben dann nochmal 75 Millionen Leben, die einfach verloren gehen, darunter 6 Millionen im Holocaust und so weiter. Also das sind Zahlen und das sind Krisen, davon macht man sich eigentlich gar keine Vorstellung. Das ist richtig. Außerdem, wenn wir jetzt jammern, das dürfen wir nie vergessen, wir jammern als Deutsche und vielleicht als Europäer. Wir sind nicht die Weltbevölkerung. Also es gibt andere Länder, da wird im Augenblick gar nicht gejammert.

Es gibt auch viele, viele Länder, die die Veränderungen, die gerade in der Welt vor sich gehen, tendenziell positiv sind. Eine Weiterentwicklung auf dem Weg zur multipolaren Weltordnung. Die Inder sehen das so, die Chinesen sehen das so. Ich meine, da leben allein in diesen beiden Ländern zusammen fast drei Milliarden Menschen. Ja, ist richtig. Für die das eher eine hoffnungsvollere Zeit ist, in der wir jetzt leben.

Und die übrigens auch, wenn sie zurückgucken, in die Totalkatastrophe zurückgucken. Wenn man sich die indische Geschichte anguckt, die Geschichte der Befreiungskriege, die Geschichte des Abschlachten der Muslime und der Hindus. Wenn man die chinesische Geschichte zurückguckt, an den Bürgerkrieg, an Mao, an die Kulturrevolution. Also man kann nicht sagen, dass die Welt jetzt in einem ganz besonders schlechten Zustand ist. Das ist eine sehr einseitige Betrachtungsweise aus alteuropäischer Sicht.

Ich habe mich gefragt in der Vorbereitung und in den Gedanken für unser heutiges Gespräch. Hat die Tatsache, dass die Welt heute so ist, wie sie ist, hat die auch was damit zu tun, dass es diese älteren Herrschaften sind, die gerade weltweit den Ton angeben? Ich meine, Trump ist 80. Ja, vor allen Dingen ist es unglaublich spannend, dass das so ist. Putin ist auch über 70. Putin ist weit über 70. Ja, es ist sehr interessant, dass in Zeiten der großen

Veränderung diese großen Veränderungen von alten Männern gemacht werden. Richtig. Michael Thumann war in der Sendung in dieser Woche der Russland-Korrespondent der Zeit, von dem ich einen riesen Respekt habe, weil der nach wie vor aus Russland berichtet. Michael Thumann sagte, was Neues an dieser Weltordnung, die gerade entsteht, deswegen komme ich auf ihn, ist, dass es sozusagen nicht mehr um Interessen geht. Staaten haben Interessen, immer, und versuchen diese Interessen durchzusetzen.

Aber er sagte, wir gehen jetzt in eine Phase... In der es plötzlich so um Kumpeltum geht, um die Frage, mit welchem Autokraten verstehe ich mich besonders gut. Trump, der sich an Putin ranwirft und so weiter. Aber das ist doch das einzige Beispiel, oder? Nee. Ich finde, das ist keine gute Analyse. Findest du nicht? Bei Kumpeltum spielt die immer schon eine Rolle. Kumpeltum habe ich jetzt gesagt. Helmut Kohl hat sich mit halb Europa versucht zu verkumpeln.

Und das war nicht unbedingt einfach. Aber er hat immer von seinen Freunden gesprochen, von seinem Freund Mitterrand, nur nicht von seiner Freundin Margaret Thatcher gesprochen, aber Gorbatschow war sein Freund. Der Mann hatte überall Freunde und er legte auch Wert daran, darauf die in Oggersheim zu bewirten und mit Strickjacke gegenüber zu stehen und so. Also dieser Faktor der Männerfreundschaft, damals Schröder Putin und so,

das ist ja kein neuer Faktor. Nein, nein, nein, das meint Michael Thumann auch nicht. Dann habe ich mich etwas missverständlich ausgedrückt. Michael Thumann meint, dass das sozusagen plötzlich das einzige Kriterium ist. Und die Frage, wie stützen wir uns gegenseitig? Was nützt dir? Was nützt mir? Ich glaube nicht, dass das Kriterium ist. Also ich glaube, die Wende, die die USA in der Ukraine vollziehen, hat nichts mit Freundschaftsgefühlen zwischen Putin und Trump zu tun.

Ich glaube, das schätzen wir falsch. Ich glaube, es gibt eine Menge anderer Gründe, die eine viel größere Rolle dabei spielen. Ich würde da wirklich widersprechen. Ich habe das Gefühl, da verbindet diese Leute sozusagen dieser Hang zum Autokratischen definitiv. Trump ist noch keine 80 Tage im Amt. Und wie schnell da ein ganzes Land plötzlich weggibt, das ist wirklich atemberaubend. Und wie schnell man so eine Demokratie einfach umbauen kann, das sollte uns eine Warnung sein.

Wir haben die Warnung ja aus der eigenen deutschen Geschichte und nichts anderes ist das, was auch in Russland passiert ist. Wenn du siehst, wie plötzlich in Amerika eine türkische Studentin von der Taft University einfach auf offener Straße von maskierten Männern weggegriffen wird, weil sie irgendwo ein kritisches Meinungsstück über Gaza geschrieben hat und die sich noch nicht mal ausweisen, die noch nicht mal genau weiß, was da eigentlich gerade passiert.

Zufällig gefilmt, eine Szene, die auch in Amerika wirklich viele Leute geschockiert hat. Das sind Szenen, die kennt man so aus richtig autokratischen Systemen. Aber ich glaube trotzdem, dass das hier sozusagen der Phänotyp überschätzt wird. Also ich glaube, dass es andere Gründe gibt. Ich glaube, dass einfach Trump sich die Frage stellt, ob der Krieg in der Ukraine für die USA effizient ist.

Also ich glaube, dass hier eine bestimmte Art von Denken eine viel größere Rolle spielt, als die Frage, ob er sich mit Putin gut oder schlecht versteht. Wenn ich das richtig sehe, zanken sie sich ja im Augenblick auch und verstehen sich gerade mal wieder nicht so gut. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, dass Trump überlegt, wie viele Milliarden die USA in diesen Krieg investiert haben.

Und wir wissen jetzt mittlerweile ja durch neuere Veröffentlichungen, wie direkt die USA in diesem Krieg beteiligt sind und den auch von Deutschland aus gesteuert haben. Und auf der anderen Seite überlegt, was können denn überhaupt maximal für die USA dabei rausspringen? So, also ein Zusammenbruch Russlands ist inzwischen ausgeschlossen. Davon hat man mal geträumt am Anfang des Krieges.

Der ist nicht mehr drin und da kann man doch jetzt sicher jetzt die Frage stellen, wenn wir aus Russland Bodenschätze kriegen, offensichtlich ist Putin dabei, Trump welche anzubieten. Und wenn wir aus der Ukraine Bodenschätze kriegen und so weiter, dann haben wir doch ein Maximum da rausgezogen und müssen nicht weiter rein investieren. Also meine These ist eine andere. Ich glaube nicht, dass es so viel um Psychologie

geht. Ich glaube, das ist eher Theater an der Oberfläche. So, da sind wir jetzt beim Thema. Und ich habe deine Sendung mit Ivan Krastev gesehen, in der Mediathek, glaube ich, immer noch zu sehen. Und du vertrittst darin eine sehr interessante These. Du sagst, wir leben heute in einer Welt, in der der Kapitalismus über alles gesiegt hat. Und Trump geht jetzt den Weg ins 21. Jahrhundert und überträgt sozusagen die gesamten kapitalistischen Spielregeln einfach nicht.

Auf die Politik. Und du fragst dann, Krassdeff, ob es denn sein könnte, dass das nicht nur sozusagen so eine Laune jetzt der Geschichte ist, sondern vielleicht tatsächlich unsere Zukunft. Das heißt, dass du dich verabschiedest von politischen Spielregeln, von der Idee von Gemeinwesen, von der Idee, dass Politik eben mehr ist, ein Staat mehr ist als ein Unternehmen, das du nach rein marktwirtschaftlichen Prinzipien führst, sondern reingehst genau in diese ganz krasse neoliberale Haltung.

Ja, also das ist das zumindestens, worüber wir jetzt meines Erachtens viel mehr nachdenken müssen als über alles andere. Ich meine, der Kapitalismus beherrscht die ganze Welt, er beherrscht auch Länder wie China, die sich offiziell nicht kapitalistisch nennen, aber durch und durch kapitalistisch sind. Es ist eigentlich fast nichts mehr übrig geblieben, vielleicht Nordkorea noch oder so, aber eigentlich ist da fast nichts mehr übrig geblieben. Ja, also der Kommunismus ist komplett tot.

Der Kapitalismus hat die Weltrevolution gemacht. Er hat sich überall hin ausgebreitet, aber nicht nur flächenmäßig, sondern auch mentalitätsmäßig. Also Menschen, die heute leben, in Deutschland leben, aber in vielen Teilen der Welt genauso, sind heute viel kapitalistischer als die Generation unserer Eltern oder unserer Großeltern. Das heißt also, wir leben ein Leben, das viel mehr durch Markten rumbestimmt ist. Und das wird auch von uns erwartet.

Wegwitz nennt das den kulturellen Kapitalismus. Es wird erwartet, du musst was Besonderes sein, die beste Version deiner selbst, wie ein Produkt. Du musst ultimativ performen, du musst dich voneinander unterscheiden, du musst dich auf dem Markt durchsetzen und behaupten, Cherrypicking, sich zu überlegen, was springt dabei raus, wo habe ich am meisten von. Also so haben meine Eltern nicht gedacht. Und auch in den bürgerlichen Familien wurde so nicht gedacht.

Das ist aber heute absolut repräsentativ. Das heißt also, der Kapitalismus hat keine Grenzen mehr. Und jetzt gibt es Felder. Wie zum Beispiel die Politik, die bisher noch nicht durch und durch vom Kapitalismus beherrscht wurden. Die wurden zwar auch von sagen, wer ist der Stärkere, wer ist jetzt nicht durch und so, das alles schon, aber nicht so radikal kapitalistisch. Und jetzt kommt Trump hin und sagt, jetzt lass nochmal das ganze Gedöns weg.

Jetzt reden wir nicht mehr über Werte und Weltanschauungen und die Guten und die Bösen. Es geht nicht darum, dass wir die Besten sind, es geht darum, dass wir die Stärksten sind. Das ist ganz simpel. Und da brauchen wir keine moralische Verbrämung mehr für das, was wir machen und mit einer schonungslose Ehrlichkeit werden die Interessen angeführt und die Interessen richten sich einzig und allein danach, wie viel springt dabei raus.

Trump hat überhaupt kein Gefühl dafür, dass die Grönländer nicht gerne Amerikaner wären. Dass sie vielleicht stolz darauf sind, Grönländer zu sein und gerne noch mehr Grönländer wären und vielleicht überhaupt gar keine Kolonialmacht mehr im Hintergrund hätten wie Dänemark. Das interessiert ihn nicht. Es gibt nur ein Land auf der Welt in seiner Vorstellung, das ein Anrecht darauf hat, eine patriotische Identität zu haben. Und das sind die USA selber. Mit anderen Worten, die eigene Firma.

Und wie das Betriebsklima in den anderen Firmen aussieht, das ist ihm aber sowas von herzlich egal. Das ist die Konkurrenz. Und die kann man nur unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz sehen. Das heißt, es gibt keine Freunde, es gibt nur Konkurrenten. Aber es gibt Konkurrenten, mit denen man mal zusammenarbeitet und mit welchen nicht. Und das alles hat nichts mehr mit Werten oder mit der innenpolitischen Verfasstheit anderer Länder zu tun. Und da fragt man sich...

Wenn der Kapitalismus sich bisher überall hin ausbreiten konnte, im Privaten, im Persönlichen, über den ganzen Globus, ist das nicht eigentlich folgerichtig, dass das dann auf so eine Politik hinausläuft? Das ist meine Frage. Und da hätte ich gerne, wenn dem jemand widersprechen würde, dann müsste der ziemlich gut analysiert haben, wie dieser Prozess funktioniert und erklären, woher denn dann noch tatsächlich glaubwürdig Werte und Weltanschauungen dauerhaft kommen sollen.

Es könnte sein, dass die sich im 21. Jahrhundert auflösen. Das ist die Hypothese. Nicht, dass ich mir das wünsche. Das kann sich nicht denken, dass ich mir das nicht wünsche. Aber irgendwie, finde ich, liegt in dem, was Donald Trump macht, schon eine Logik. Es liegt darin vor allen Dingen eine Wahrheit. Also ich sage mal, eins muss man dem zugutehalten. Der hat im Grunde deutlich gemacht, worum es eigentlich geht.

Der hat eigentlich sozusagen mal ganz unverhohlen einfach gesagt, was jetzt Phase ist. Nämlich wir führen das jetzt wie ein Unternehmen, wir kümmern uns den Dreck um die soziale Frage, die in Amerika ja wirklich hart tickt, sondern wir machen das jetzt einfach so wie ein Unternehmen.

Deswegen spielen da so Leute wie Musk und andere da auch so eine große Rolle und für diese, vielleicht muss man ihm für diese, das ist jetzt eine gewagte These, aber vielleicht muss man ihm für diese Klarheit an einem bestimmten Punkt sogar dankbar sein, weil sich sozusagen daraus ergibt, dass man den Leuten nicht mal irgendeinen Mist erzählen kann. Das ist jetzt für jeden offensichtlich, worum es geht.

Was übrigens interessant ist, der auf der privaten Ebene größte Lügner praktiziert die größte politische Aufrichtigkeit, indem er nicht mehr vorgibt, etwas zu sein, was er nicht ist. Das ist schon ein bisschen verrückt, aber vielleicht muss das so sein. Ja, also wenn man sich das mal anschaut, was da passiert ist, das ist ja etwas, was ja, Nicht mit Trump beginnt, sondern diese Geschichte beginnt ja eigentlich schon so spätestens in den 80er Jahren.

Also die 80er Jahre, haben wir ja schon ein paar mal drüber geredet, aber vielleicht noch nie so deutlich, waren ja im Grunde das Ende einer Epoche, wo sozusagen der Kapitalismus gezähmt worden ist. Durch die Systemkonkurrenz war er gezähmt. Der Sozialstaat entsteht, auch die soziale Marktwirtschaft entsteht nicht nur aus humanistischen Motiven, sondern auch, um den sozialistischen Gesellschaftsentwurf zu übertrumpfen.

Also übernimmt man von den Forderungen der Sozialisten nach einer guten sozialen Absicherung und all dem Schutz am Arbeitsplatz und alles das, was der Sozialismus versprach, das bauen wir alles in den Kapitalismus ein, aber wir sind im Gegensatz zur Planwirtschaft wirtschaftlich effizienter. Wir praktizieren also einen sozialistisch eingefärbten humanen Kapitalismus.

Und das war in dieser Form nicht mehr notwendig, nachdem der real existierende, sich selbst missverstehende Sozialismus implodiert war. Und jetzt werden die Kräfte freigesetzt, die auch vorher schon stark, weil Finanzmärkte zum Beispiel explodieren in unvorstellbarem Ausmaß. Schon seit den Reganomics und den Veränderungen, die Margaret Thatcher gemacht hat. Und dann Deutschland greift auch. In den 90er Jahren heißt das Schlagwort Reformen und gemeint war Neoliberalismus.

Eine Deregulierung, Befreiung der Finanzmärkte. Und da wird dieser Prozess entfesselt, der eben am Ende auch zum kulturellen Kapitalismus führt. Und damit hat sich die Welt verändert. Gegenüber dem Wertekosmos deiner Eltern und Großeltern leben wir heute in einer wirklich ganz anderen Welt. Vielleicht muss man das nochmal ausbuchstabieren, was das eigentlich war.

Die Welt, deswegen sagte ich vorhin, wir hatten Glück, wir hatten sehr viel Glück, weil in den 80er Jahren, in der Zeit, in der wir dann wirklich angefangen haben, in der es dann irgendwann oder Ende der 80er, als es so richtig losging. Das Normalarbeitsverhältnis war zumindest für den männlichen Teil der Bevölkerung, das war sozusagen die Norm. Die Lohnquote war ziemlich hoch. Der Abstand zwischen Spitzengehältern und Durchschnittseinkommen war eher gering.

Und interessant ist, dass auch Arbeiter, einfache Angestellte haben ein so hohes Einkommens- und Konsumniveau damals erreicht, dass erinnerst du dich, es gab da mal diesen soziologischen Begriff Affluent Worker, der wohlhabende Arbeiter. Das war sozusagen ein feststehender Begriff. Und die 80er Jahre, so beschreiben das heute Soziologen und auch Ökonomen, waren. Der Wendepunkt, da kehrt sich plötzlich die Entwicklung um.

Die Ungleichheit der Vermögen, Einkommen nimmt zu und das lässt sich auch messen. Es lässt sich zum Beispiel auch in Amerika mittlerweile messen, dass die klassische Working Class, die Arbeiterschicht, die Leute sind nicht mehr wirklich motiviert. Wir fragen uns ja häufig, was ist eigentlich der Grund, dass man so den Eindruck hat, die Leute sind nicht mehr ultimativ bereit, sich anzustrengen. Und Soziologen sagen dir, ja die Antwort ist einfach, weil es sich nicht mehr lohnt.

Warum soll ich nochmal und nochmal und nochmal reinhauen, wenn doch sowieso die Eigentumswohnung, die in der Zeit unserer Eltern noch möglich war, die ist unerreichbar geworden. Warum solltest du das also tun? Die Aufstiegsgesellschaft ist zu Ende. Aber man muss der Wahrheit halber sagen, in Deutschland greift das alles richtig in den 90ern. Richtig. Also Helmut Kohl legte allergrößten Wert darauf. Der Sozialstaat war nie so ausgebaut wie unter Kohl und Norbert Blüm.

Das darf man nie vergessen. Und diese Entwicklung verstärkt sich dann massiv unter Schröder in den 90ern. Zweite Hälfte 90er geht das richtig los. Richtig. Und dann im Außenland, Osten, Ostdeutschland auch nochmal anders als in Westdeutschland. Das ist auch so ein Thema, mit dem man sich nochmal eine ganz eigene Folge wehrt. Das ist eine andere Geschichte.

Da entsteht ein anderes Gefühl von Ungerechtigkeit. Man hat das Gefühl, ich habe neulich mit jemandem gesprochen, ich weiß nicht mehr, wer es war, der sagte, stell dir einfach nur mal vor, die Sprache, weil du vorhin erzählt hast, wie der Sozialismus implodiert ist. Überleg dir mal, was das mit einer Gesellschaft macht. Ich rede jetzt von Ostdeutschland. Wenn dir ständig aus Westdeutschland heraus erklärt wird, das war ja ein Unrechtsstaat.

Damit entwertest du auch meine eigene Biografie. Natürlich, du hast 40 Jahre Unrecht mitgemacht, selbst wenn du zu dem Zeitpunkt erst 30 warst. Richtig. Du warst 40 Jahre Teil einer sozialistischen Misswirtschaft. Das heißt, was auch immer deine Arbeitsleistung war, sie kann nichts zählen.

Richtig. Leute, die dort nicht gelebt hätten und die sich wahrscheinlich genauso an das System angepasst hätten, halten dir jetzt vor, dass du moralisch, wirtschaftlich und politisch und am Zweifelsfall noch privat alles falsch gemacht hast. Du kennst Sven Kunze, der lange ARD-Korrespondent in Bonny, New York und Washington war und so weiter. Der hat dann auch später das Morgenmagazin gemacht.

Und Sven Kunze hat mal, das ist schon ein paar Jahre her, war damals auch bei uns in der Sendung 2014, 2015, ein bis heute echt gutes Buch geschrieben. Die schamlose Generation. Und da hat er das beschrieben sozusagen, wie die in den 40er Jahren Geborenen als Wirtschaftswunderkinder in einer Atmosphäre grenzenloser Zuversicht aufgewachsen sind. Und er sagte damals, das Gefühl war, es geht ständig aufwärts. Es wurde genommen, was ging.

Wer Fahrrad fuhr, der hatte wenig später ein Motorrad und dann irgendwann das erste Auto und die Urlaubsreisen tasten sich dann unaufhaltsam, aber immer weiter gegen den Süden vor. Allerorten Schwimmbäder, Schulen werden gebaut, der Staat nahezu schuldenfrei. Wohin das Auge des Heranwachsenden auch schaute, so hat er das mal beschrieben, herrschten Aufbruch und Optimismus. Wer damals jung war, brauchte nur noch zuzugreifen.

Das Gefühl ist weg, dieses Gefühl haben junge Leute heute nicht mehr und jetzt passiert etwas und deswegen würde ich deinen Gedanken nochmal gerne aufgreifen aus der Sendung mit Krass, der Frichert. Das, was da jetzt in Amerika mit den Zöllen passiert, das ist ja exakt das. Also da sitzen lauter Milliardäre und Millionäre in diesem Kabinett. Und dann holt man sich noch Berater rein, von denen ein Teil davon die reichsten Menschen dieses Planeten sind.

Und dann bauen die das Ding jetzt nochmal so weiter um zu ihren Gunsten und zu Ungunsten der arbeitenden Leute, der arbeitenden Schicht in Amerika, der Mittelklasse, der klassischen amerikanischen Mittelschicht. Die sie zum Teil gewählt hat, sondern nicht unbeträchtlichen Teil. Dass sie noch reicher werden. Also das Gefühl, es reicht einfach nie. Wenn du Trump zuhörst, dann sagt er, wir machen jetzt aus Amerika das Land, in dem Milch und Honig fließen.

Wir werden so reich sein wie noch nie in unserer Geschichte. Die Frage ist nur, wer ist wir? Nicht jeder, Amerikaner. Genau. Aber das ist doch genau dieses Ding. Dieses Gefühl, so jetzt Kapitalismus und zwar mal ohne diese lästigen Regeln, ohne diese lästige Demokratie, ohne diese lästige Bürokratie. Fachbegriffmäßig ohne Sozialnormen. Also was sich verschoben hat gegenüber früheren Zeiten. Früher gab es ganz viele Sozialnormen. Das tut man, das tut man nicht und so

weiter. Die gibt es zwar heute auch in Zeiten der Wognis-Kultur, Aber die haben sich verändert. Die Sekundärtugenden sind fast weg. Höftigkeit, Pünktlichkeit und so weiter. Dafür sind Tertiärtugenden, nenne ich die, immer an die Stelle getreten. Du musst sehr genau aufpassen, dass du was nicht sagst, was jemanden kränkt oder beleidigt und so weiter. So und Trump geht hin und sagt, alles weg.

Vergesst mal die ganzen Tugende, vergesst mal Moral. Also Moral hat im Kapitalismus eigentlich so viel zu suchen wie Doping im Sport, nach der Vorstellung von Trump. Das System funktioniert viel, viel besser, wenn wir Moral mal gänzlich außen vor lassen, alle sozialen Normen, alle Rücksichten, wie Leute ihre Identität begründen, was wichtig für ihr Selbstbewusstsein ist, wie sie sich definieren, vergisst es alles. Das Einzige, was entscheidet ist, was springt am Ende dabei raus.

Und das ist vor unser aller Augen ein großes Experiment, über das wir im Augenblick wechselweise entweder lachen oder schimpfen. Und ich bin mal gespannt, wie lange es dauert, bis die ersten europäischen Länder anfangen werden, sich genauso zu verhalten. Dass man Zölle erhebt, meinst du? Ja, dass man Zölle erhebt, kann man sagen, ist ja dann eine Trotzreaktion wie du mir, so ich dir, um vielleicht den anderen zu zwingen, seine Zölle wieder zu senken.

Nö, ich könnte mir eher nicht vorstellen, dass dieses kapitalistische Denken pur, dass das irgendwann auch bei uns Schule macht. Ich halte das durchaus für denkbar. Ich glaube, das wird völlig unterschätzt. Im Augenblick machen wir das Gegenteil. Im Augenblick sind wir empört. Im Augenblick versuchen wir Europa zusammenzubasteln. Wir sagen im Gegensatz zu Donald Trump haben wir ja eben Werte und Verpflichtungen und quasi politische Sozialnormen.

Ich weiß aber nicht, ob das lange vorhalten wird. Über die Frage, wie man jetzt darauf reagiert, was die Antwort der EU sein könnte, wird ja gerade sehr viel gestritten und debattiert. Das reicht von der Position, lass uns mit harten Gegenzöllen reagieren bis hin zu Sigmar Gabriel, der sagt, nee, nee, lass uns souverän bleiben, lass uns die Zölle auf Null runterschrauben und lass uns sozusagen dieses Spiel nicht einfach mitspielen.

Ich glaube, das ist noch nicht so ganz klar, wohin da die Reise geht. Interessant finde ich die Empörung auf der einen Seite in Europa, die in Wahrheit auch ein gehöriges Maß an Scheinheiligkeit enthält. Wenn du dir mal anschaust, wie wir zum Beispiel mit Afrika nach wie vor umgehen beim Thema Zölle und wie sehr wir darauf achten, dass die Dinge zu unseren Gunsten laufen, dann würde ich sagen, da sollten wir da möglicherweise auch mal den einen oder anderen Gang runterschrauben.

Mercosur, das Abkommen mit Lateinamerika, hat 20 Jahre gedauert und anderem damit zu tun, dass insbesondere die Franzosen Angst haben vor sehr günstigem Rindfleisch aus Argentinien und Brasilien. Afrika das Gleiche. Da sagen wir dann zwar, ja, Handelszölle und so weiter, wir brauchen eine faire Chance, die geben wir euch natürlich.

Und auf den ersten Blick ist das ja auch so. 34 von 55 Ländern in Afrika, die ärmsten Staaten, können ohne jegliche Zölle zu zahlen Produkte in die Europäische Union ausführen. Aber wenn du mal genauer hinschaust. Ja, die ärmsten Staaten, was haben die denn an Produkten zu leisten und was können wir umgekehrt zollfrei in diese Länder rein importieren, die dann keine Chance haben, in diesen Bereichen eine eigene Wirtschaft aufzubauen. Exakt.

Die sind die großen Verlierer dieses Freihandelsabkommen. Deswegen ist ja die Forderung, die ich auch selber schon ganz lange habe, einseitige Freihandelsabkommen mit den armen Ländern in Afrika. Das heißt, die dürfen ihre Waren bei uns zollfrei verkaufen, aber sie dürfen umgekehrt Zölle auf unsere Produkte erheben. Und das machen wir bis heute nicht. Der europäische Agrarmarkt ist eine Festung, groß geworden über massive Zölle.

Wir wollen nicht so tun, als wären wir Europäer immer in jeder Hinsicht die großen Apologeten des Freihandels gewesen. Was den Agrarmarkt anbelangt, ist die Europa festungsmäßig geschützt. Ich habe neulich mit Rüdiger Bachmann, den du ja auch so schätzt, telefoniert und hat etwas Interessantes gesagt. Er meinte, schau dir mal an, in der Türkei haben neulich zwei Millionen Menschen protestiert gegen die Politik von Erdogan. In Amerika wird zwar diskutiert.

Und auch ein bisschen protestiert, aber es ist immer nur ein kleines Häufchen. Und seine These ist, dass Trump ganz offenbar gezielt gegen Leute vorgeht, die noch sehr, sehr viel zu verlieren haben. Also die Tatsache, dass wir viel zu verlieren haben, wird in dem Moment auch ein Problem. Leute in der Türkei, die haben angesichts ihrer wirtschaftlichen Situation, die haben nicht mehr viel zu verlieren. Die haben gerade eine Inflationsrate, über die sie sich freuen.

Jenseits von 40 Prozent, weil es besser ist als die 80 Prozent, die sie auch schon hatten. Deswegen hat man da nichts mehr zu verlieren und dann gehen einfach zwei Millionen Menschen auf die Straße. In Amerika ist dieser Protest gegen das, was da passiert, erstaunlich leise. Und das, obwohl es ja ganz offensichtlich wirklich gegen das eigene Portemonnaie geht.

Weil das, was da jetzt gerade auch mit den Zöllen passiert, da sind sich Ökonomen fast egal, wenn du fragst, einig, das werden am Ende die kleinen Leute bezahlen. Die werden zwischen 4.000 und 10.000 Dollar mehr für ihr europäisches oder was auch immer Auto aus Mexiko oder woher auch immer bezahlen. Das werden die bezahlen. Und dann stellt sich einer hin, der die Verantwortung für dieses Land hat, der der Präsident ist und sagt, ist mir aber egal.

Der sagt, wir generieren über die Zölle doch enorme Mehreinnahmen. Und die richtig spannende Frage ist, wofür werden die genutzt? Also wenn man jetzt den Sozialstaat weiter ausbauen würde und die Leute kräftig unterstützen würde oder höhere Löhne zahlen würde, damit man sich die verteuerten Produkte leisten kann, dann wird der Deal ja für den amerikanischen Arbeiter aufgehen. Die Zölle lenken von einem Problem ab, was das eigentliche Problem ist und wo man keine Lösung für hat.

Und mit den Zöllen wird jetzt eine Scheinlösung aufgetischt. Das eigentliche Problem besteht darin, dass die USA zu teuer produzieren. Genau wie die Europäer zu teuer produzieren. Richtig. Und damit sind sie dauerhaft in einer Freihandelswelt gegenüber den Produkten, die aus China kommen, die aus Vietnam kommen, die aus Indien kommen und so weiter, nicht konkurrenzfähig.

Und deswegen ist der Gedanke der Amerikaner, vor allem mit Zöllen, Überlegen, die EU kriegt 20 Prozent Zölle aufgebrummt, die Chinesen über 30. Vor den Chinesen hat man ja viel mehr Angst als vor der Europäischen Union. Die Europäische Union liegt sogar im unteren Spektrum. Es gibt irgendwie Staaten, die über 50 Prozent Zölle zahlen, afrikanische Staaten, warum auch immer und was auch immer gegen die hat. Das ist eine ganz eigenartige Liste.

Aber das Problem ist die Angst, auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrieren zu können, weil die Löhne zu hoch sind. Und da gibt es nur zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist, die Löhne zu drücken, was die sowieso schon entsetzliche soziale Situation des durchschnittlichen amerikanischen Arbeiters noch weiter verschärft. Oder Migranten arbeiten zu lassen, die bereit sind, für Hungerlöhne zu arbeiten.

Aber das will Trump ja auch nicht. Und wenn du die Arbeit nicht von Migranten machen lässt Und wenn du nicht die Löhne drücken kannst, dann versuchst du es über Zölle, was aber langfristig vermutlich nicht funktionieren wird. Aber das ist eine Verlegenheitslösung. Ja, ich glaube, du hast da total den Punkt. Man kann das, finde ich, gut erklären an der deutschen Automobilindustrie. Die haben letztes Jahr, glaube ich, 3,4 Millionen Autos exportiert.

Davon ungefähr 13 Prozent nach Amerika. Das sind so eine gute knappe halbe Million. 60.000 Schiffsladungen, so ungefähr. Wenn man mal genauer hinschaut, dann ist es interessant zu sehen, und das ist exakt eine These, die deutschen Autoexporte in die USA stagnieren schon seit mindestens 20 Jahren.

Das heißt, wir haben da ein anderes Problem. Das Hauptproblem der deutschen Autoindustrie ist nicht dieser Protektionismus, sind nicht diese Zölle, sondern die Konkurrenz durch billigere und bessere Autos aus anderen Ländern. Wir schauen nach China, Elektroautos. Du schaust dir mal die Zahlen an, die Autoproduktion. In Deutschland ist seit Jahren mittlerweile rückläufig. 2023 wurden in Deutschland fast 27 Prozent weniger Autos gebaut als 2014.

Also fast ein Drittel ist einfach weg. Aber pass auf, jetzt kommt der interessante Punkt. Die Zahl der Arbeitskräfte ist im selben Zeitraum um sieben Prozent gestiegen. Das heißt, wir sind zu teuer. Wir haben ein Produktivitätsproblem. Genau, das ist exakt das Thema und das ist das, was uns sozusagen in die Bredouille bringt. Und im Grunde, so hat es neulich Alain Posner in der Zeit mal beschrieben, im Grunde bringen Trumps Zölle diese sehr unangenehme Wahrheit jetzt einfach

mal ganz deutlich ans Licht. Richtig. Das ist ein Moment der Wahrheit und der Ehrlichkeit. Die Problematik der deutschen Automobilindustrie beginnt nicht mit Trumps Zöllen, sondern es ist jetzt eine weitere Hürde auf einem dornigen Weg nach unten. Richtig.

Ja, das ist so. Ja, und auch interessant, wir greifen uns dann immer so Themen, Autoindustrie, das hat ja natürlich was wahnsinnig Symbolhaftes, wenn du sozusagen die Metapher suchst für dieses zu Ende gehende deutsche Erfolgsmodell, dann sagst du einfach VW, dann sagst du Volkswagen, sagst du Mercedes, das ist das Ding.

Aber interessant ist auch da, die Transformation der Wirtschaft ist längst im Gange und die hat ein Ausmaß mittlerweile erreicht, von dem ich nicht wusste, dass das so weit geht. 74 Prozent, also drei Viertel aller deutschen Arbeitskräfte sind mittlerweile im Dienstleistungssektor beschäftigt. In Amerika 79, in Großbritannien 83. Die haben ein bisschen früher mit dieser Transformation angefangen, aber wir sind da sozusagen auch längst auf diesem Weg. Das heißt.

Wir führen da manchmal dann auch die Diskussionen um Dinge, die vielleicht in Wahrheit gar nicht mehr so relevant sind und dann wirken wir so hilflos, wenn wir dann sagen, ja, da müssen wir jetzt mal dringend amerikanische Autos auch mit Zöllen belegen. Vielleicht wäre es viel schlauer, sich diesen amerikanischen Dienstleistungssektor mal anzuschauen. Vielleicht wäre es schlauer, mal über Software nachzudenken, die wir aus den USA beziehen.

Da denken wir auch schon sehr, sehr lange drüber nach. Also mit Nachdenken ist es ja nicht getan. Wir bräuchten da gigantische Investitionsprogramme. Ich habe ja auch beim letzten Mal gesagt, ich wünsche mir, wir hätten einen Staatsfonds wie den norwegischen Ölfonds, der da rein investieren würde. Das wäre das, was ganz, ganz dringend notwendig ist. Da sind wir uns einig und

nicht einen toten Gaul durchs Ziel zu reiten. Ja, also wir werden die Autoindustrie hoffentlich nicht so lange künstlich am Leben erhalten, wie wir das mit dem Museumsbergbau im Ruhrgebiet getan haben. Das ist eine Geldverschwendung, eine Geldverbrennung aus politischen Gründen ohnegleichen. Und wir laufen in Gefahr, das zu tun, weil das natürlich Wähler sind.

Und weil auch die symbolische Bedeutung der Autoindustrie neben der symbolischen Bedeutung, die die Kohle ja auch immer hatte für den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands, enorm sind. Aber das werden wir eben nicht dauerhaft erhalten können. Das ist schon völlig richtig. Das heißt also, wir sind ohnehin zu einem Strukturwandel genötigt. Und wir werden das nicht alles auf Donald Trump schieben können, was wir an wirtschaftlichen Problemen in den nächsten Jahren kriegen.

Das ist ein zusätzliches Störfeuer. Und ehrlich gesagt, man kennt ihn ja so ein bisschen. Also es kann auch sein, dass das einfach auch wieder Verhandlungsmasse ist. Ja, machst du dies, machst du das, dann sind wir bereit, die Zölle wieder zu senken. Zölle sind, glaube ich, auch einfach ein Druckmittel im wirtschaftspolitischen Poker. Wer weiß, wie lange es die geben wird.

Was ja interessant ist und deswegen glaube ich, dass du da auf der richtigen Spur bist, wenn du sagst, eigentlich soll das ablenken vom wahren Problem. Rüdiger Bachmann sagt das ähnlich, der sagt, Trump will eigentlich mit diesen Zöllen gestohlenen Wohlstand zurückholen. Das ist das, was die Idee ist. Also sozusagen die Idee, eine Wirtschaftstheorie, die schon lange widerlegt ist, Handel als Nullsummen spielt. Ja, ist auch klar, warum die widerlegt ist.

Also das ist eine Vorstellung, die auch immer in den Köpfen der Linken herrscht. Ich bin doch so sozialisiert in den 70er Jahren. Der Reichtum der einen ist die Armut der anderen. Der anderen, genau. Eine Theorie, die auf eine eigenartige Interpretation von Marx zurückgeht. Das ist nicht Marx eigene Ansicht gewesen, aber das ist sozusagen das klassische linke Denken. Der nicht gezahlte Lohn an den Arbeiter ist der Profit des Kapitalisten.

So, was man bei dem ganzen Spiel übersieht, ist, dass das Bruttoinlandsprodukt seit der Steinzeit global enorm gestiegen ist. Es hat sich einige Mal vermillionenfacht. Wenn es ein Nullsummen-Spiel wäre, müsste die Summe, um die hier verhandelt sind, seit der Steinzeit die gleiche sein. Und das ist es nicht.

Deswegen stimmt diese Nullsummen-Theorie nicht. Durch die Industrieproduktion vor allen Dingen sind dermaßen viele neue Werte geschaffen worden, die das Fell des Bären immer größer, größer und größer gemacht haben. Es ist also nicht die Verteilung eines immer gleich großen Felds an immer gleich viele Leute.

Also erstmal hat die Zahl der Weltbevölkerung sich enorm verändert seitdem und dann hat sich die Produktionsleistung des Maschinenzeitalters einfach enorm verändert und deswegen stimmt die Nullsummen-Theorie so nicht. Rüdiger Bachmann sagt, diese Idee, Zölle sind gut und das bringt uns richtig nach vorne, das beginnt eigentlich schon so im 16. 17. Jahrhundert, wo insbesondere in Frankreich Ludwig XIV. Und sein Finanzminister angefangen haben, Zölle zu erheben.

Kannst du das mal, du beschäftigst dich ja viel mit Wirtschaftstheorie. Ja, es ist die Zeit des Manufakturwesens. Es ist also die Zeit vor der Industrialisierung, aber wo man die heimischen Manufakturen gefördert und ausgebaut hat. Und der Finanz- und Wirtschaftsminister von Ludwig XIV. Colbert hat gesagt, wir müssen uns gegenüber all den Ländern schützen, die in bestimmten Bereichen weiter sind. Das waren allererst in die Niederlande.

Die Frühindustrialisierung beginnt in den Niederlanden mit der Textilproduktion. Und gegenüber den holländischen Tüchern hat man dann sehr hohe Zölle genommen, um die heimische Tuchindustrie, die entsprechenden Manufakturen zu fördern. Und die Folge war dann irgendwann, dass die Holländer das gleiche gemacht haben. Da sind die Franzosen mal schnell in den Niederlanden einmarschiert. Ja, wo kommen wir hin, wenn alle so wirtschaften würden wie wir?

Also Zollpolitik kommt dann an ihre Grenzen, wenn die anderen genau die gleichen Zölle erheben, dann funktioniert es irgendwann nicht mehr. Und letztlich hat sich historisch der Freihandel durchgesetzt, von England ausgehend, weil England war das frühest industrialisierte Land.

Der Freihandel konnte sich erst dann durchsetzen, als die erste industrielle Revolution begonnen hatte und man in England Tücher produzieren konnte in ungeheuerlichen Stückzahlen, dafür aber im eigenen Land keine Abnehmer hatte. Ja, weil die Produktionen waren natürlich damals immer noch teurer, als wir heute sind. Tücher waren teuer und irgendwann ist die Klientel der Leute, die in England diese Produkte kaufen kann, auch erschöpft.

Und also war man sehr, sehr daran interessiert, mit anderen Ländern Handel zu treiben und zwar ohne Zölle. Das heißt also, das merkantilistische Zeitalter zu überwinden und den Freihandel durchzusetzen. Adam Smith ist ein Name, der dafür steht. David Ricardo, also die beiden großen Klassiker. Adam Smith von Hause aus Moralphilosoph.

Dieses Buch über den Wohlstand der Nationen geschrieben hat und dafür den Freihandel plädiert hat und David Ricardo, der quasi die Grundlagen der klassischen Nationalökonomie geschaffen hat. Und das waren beides Anhänger des Freihandels. Aber warum? Aus der starken englischen Position heraus, die Absatzkrisen hatte, die ihre Sachen möglichst breit in der Welt verkaufen wollte. Überwiegend natürlich in den anderen europäischen Ländern, in Frankreich, in Holland, vielleicht auch in Deutschland.

Und deswegen trat man für den Freihandel an. Das heißt, wenn man wirtschaftlich überlegen ist, ist der Freihandel eine ganz große Sache. Aber wenn man im Hintertreffen ist, dann braucht man Zölle. Und gerade der Aufstieg vieler Länder, das gilt ja auch für die USA, der Aufstieg der USA im Windschatten der Weltöffentlichkeit Ende des 19. Jahrhunderts. Und was für ein Aufstieg. Ja, man muss sich nur mal eingucken, wie sah New York 1880 aus und wie sah es 1920 oder 1930 aus.

Da entstand ja fast über Nacht Empire-Staaten, das gleiche in Chicago auch. Und dieser ganze Run, diese goldenen Jahre, in denen man gleichzeitig noch die Spanier aus ihren letzten Besitztümern in Amerika vertrieben hat, natürlich wie immer mit einem fingierten Vorfall und mit einem Zeitungstycoon im Hintergrund, der diesen Krieg eingeheizt hat und so weiter. Das ist für heute für Trump das Vorbild nach dem Motto, damals hat das doch funktioniert.

Damals haben wir uns abgeschottet, wir hatten Riesenzölle, konnten unsere eigene Wirtschaft als Nachholland, Entwicklungsland quasi, konnten wir das ausnutzen, bis wir die ultimative Weltmacht geworden waren. Und das ist das, was in Trumps Kopf rumspukt, dass er denkt, das könnte man doch nochmal wiederholen.

Schützt doch mal für 10 Jahre oder 20 Jahre die US-amerikanische Wirtschaft vor billigen Importen und fördere auf diese Art und Weise wieder die eigene Industrie, bis sie überall weltweit führend geworden ist. Der Witz ist nur, Geschichte kann man nicht einfach so eins zu eins wiederholen. Unter den heutigen Bedingungen wird es so einfach nicht gehen, zumal der große Unterschied ist, Damals lag der Reichtum in Maschinen.

Ja, also der Volkswohlstand bestand darin, dass man Maschinen hatte, mit denen man produzieren konnte. Aber heute ist ein erheblicher Teil des Reichtums, besteht einfach nur aus Software. Software ist sowas Fluides auf der ganzen Welt, da kann man Märkte nicht schützen in die eine oder in die andere Richtung. Und die Frage ist, ob die alten Hardware-Märkte in den USA sich wirklich erholen würden.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die USA eine Automobilproduktion machen, in ihren alten Produktionsstätten am besten noch, General Motors und Ford und so weiter, und damit in 30 Jahren den Weltmarkt beherrschen. Ich glaube, das sind Illusionen. Aber vielleicht braucht ein Land auch solche Illusionen mal, um sich wieder auf sich selbst zu besinnen oder auf seinen Fehlern und Irrtümen zu lernen. Ja, darauf wollte ich gerade kommen, Richard.

Wir haben ja oft darüber gesprochen, diese Globalisierung, die 600 Millionen Chinesen aus Armut geholt hat und so weiter, die hat natürlich auch wahnsinnig viele Verlierer produziert und das war glaube ich wirklich lange Zeit eines der bestgehüteten Geheimnisse der Globalisierung, dass man sich sozusagen gegenseitig nicht erzählt hat, dass es irgendwann auch die Mittelschicht erwischt hat.

Die hart arbeitenden Leute, die klassischen, auch amerikanischen, auch deutschen Industriearbeiter, die kamen irgendwann immer weiter unter die Räder. Und das ist etwas, von dem Trump glaubhaft offenbar für die Leute glaubwürdig vermittelt hat, ich werde das zurückdrehen. Es gibt noch einen anderen interessanten Aspekt, den Rüdiger Bachmann ins Feld führt, der sagt, Steuern. Man könnte ja sagen, lass uns Steuern erheben, lass uns irgendwie die Dinge anders lösen.

Zölle sind für jemanden wie Trump deswegen auch so interessant, weil Zölle beim Präsidenten liegen. Steuern waren immer schon etwas in Amerika, wo am Ende der Kongress die Macht hatte. Und es gibt ja auch dieses Prinzip, no taxation without representation. Das ist eine Losung der Boston Tea Party. Da kommt das her. Keine Steuern, wenn ich dafür nicht Mitspracherecht habe. Das war übrigens im Kampf gegen die Engländer. Genau.

Und bei Zöllen ist das anders. Das liegt beim Präsidenten. Das heißt, sagt Rüdiger Bachmann, Zölle sind bei Licht betrachtet auch ein Instrument für Kleptokratie. Das wussten auch schon die englischen Könige. Die wollten immer schon Zölle haben. Ja, klassisches Mittel der Monarchen, um die Schatulle zu füllen. Richtig, um die Schatulle zu füllen, genau. Zölle nützen ihm und seinen kleptokratischen Freunden. Und dann denkst du weiter an den Kulturkampf, den du da gerade erlebst.

Du siehst, wie amerikanische Universitäten einknicken. Harvard haben sie gerade in den Raum gestellt. Euch streichen wir neun Milliarden über die nächsten Jahre. Wichtige Forschungsprojekte. Columbia University ist eingeknickt. In New York, genau. Da ging es um 400 Millionen und so weiter.

Das heißt, da passieren Dinge. Was spannend ist zu sehen oder spannend sein wird zu sehen, ist wie sich einerseits dieser Protektionismus mit Zöllen, dieses sehr rabiate Auftreten auf dem Weltmarkt auswirkt im Zusammenspiel mit dieser sehr, sehr restriktiven Migrationspolitik. Das ist ja die andere Frage in Amerika. Das ist das, was für mich nicht zusammenpasst. Genau, das geht überhaupt nicht zusammen. Wenn du billig produzieren willst, dann am ehesten mit Migranten. Richtig.

Weitestgehend ohne Rechte, Leute, die… Natürlich, Leute, die du total ausbeuten kannst. Richtig. Und Illegale, die alles machen, aus Angst, die werden irgendwie abgeschoben und so weiter. Davon lebt die amerikanische Volkswirtschaft zu einem nicht unbeträchtlichen Teil, gerade der untere Dienstleistungssektor, aber auch in der Fertigung. Und deswegen kann ich mir nicht ernsthaft vorstellen, wie Trump beides machen will. Ja, das ist, glaube ich, wirklich die spannende Wette.

Denk an den Familienvater aus Maryland zum Beispiel. Der wurde jetzt abgeschoben, weil er irgendwie die falsche Tätowierung hatte. Da ging es um irgendeine Krone. Soll irgendwie ein Symbol irgendeiner venezolanischen Gang sein. In Wahrheit war die Krone einfach nur das Symbol in dem Fall von Real Madrid. Das ist ein Fußballfan. Und der wurde einfach gecached und abgeschoben, ausgeflogen in diesen Horrorknast nach El Salvador. Mittlerweile hat die Verwaltung zugegeben, dass das ein Fehler war.

Dieser Mann ist völlig harmlos, harmloser Familienvater. Und sagen jetzt, ja, aber leider können wir ihn aus technischen Gründen nicht zurückholen. Das heißt, sein Leben, das Leben der ganzen Familie, vollkommen ruiniert. Und ich frage mich schon, was das für eine Botschaft ist. Du siehst auch, die Zahlen an der Grenze, die Zahlen derer, die da versuchen reinzukommen, gehen signifikant zurück.

Das wird als politischer Erfolg verkauft. Und ich glaube, das ist auch wichtig für Amerika, dass man das Gefühl hat, wir haben da jetzt die Situation ein bisschen unter Kontrolle. Aber was sozusagen die Wirtschaftskraft angeht, da gibt es Hunderttausende. Es gibt ja so ein, ich weiß nicht, ob du das weißt, es gibt ja in Amerika ein System, das sozusagen die Wirtschaftskraft auch von illegalen Einwanderern mit einpreist.

Im Sinne von, und ich habe eine dieser Frauen getroffen in ihrem Wohnwagen, die da seit 30 Jahren illegal lebt, gemeinsam mit ihrem Mann, der auch seit 30 Jahren da illegal lebt. Und die in diesem Niemandsland irgendwo zwischen Grenze Texas und sozusagen der nächsten Stufe, wo man dann kontrolliert, in diesem schmalen Streifen leben die. Die Behörden wissen, dass die da leben. Aber du kannst dir sozusagen die amerikanische

Staatsbürgerschaft dann so langsam erarbeiten. Das heißt, die leben dort illegal. Es gibt sie offiziell nicht. Gleichzeitig weiß man, dass es sie natürlich gibt. Diese Leute kriegen auch Kinder. Die sind amerikanische Staatsbürger, die gehen dort zur Schule, die tauchen in Kliniken auf und so weiter, wenn sie ein Problem haben. Man lässt das also zu, unter der Bedingung, dass sie arbeiten, dass sie sich zum Teil heftig ausbeuten lassen und als Steuerzahler.

Das heißt, wenn die brav ihre Steuern zahlen, dann erwerben sie sich sozusagen irgendwann die Möglichkeit, Amerikaner zu werden. So funktioniert das System. Wenn du jetzt so willkürlich einfach Leute rausgreifst und einfach rausschmeißt, dann ist das natürlich auch eine Botschaft an die. Am unteren Ende, am oberen Ende wiederum, schau dir mal an, die Hälfte der Nobelpreise, die Amerika in den letzten Jahrzehnten angehäuft hat, ging an Leute, die nicht in Amerika geboren worden sind.

Aber wer geht jetzt in einem solchen Klima noch nach Amerika? Ich habe mit Katrin Klüver-Eschburg diese Woche gesprochen, mit Elmar Thewissen gesprochen. Ich meine, solche Leute überlegen sich jetzt, mit welchem Handy reise ich eigentlich in die Vereinigten Staaten noch ein? Welcher BMW-Manager, der jetzt vielleicht in Alabama ein neues Werk aufbauen soll, geht noch nach Amerika, wenn er vielleicht zufällig Juan Martinez heißt oder so? Wer macht das noch?

Das ist das, was, wie du richtig sagst, das geht nicht zusammen und ich weiß nicht, was da am Ende steht, ob da am Ende möglicherweise ein gigantisches Desaster steht. Ja gut, wir haben von Donald Trump gelernt, dass er flexible Grundsätze hat. Das heißt also, seine Wähler vertrauen ihm ganz offensichtlich darauf.

Auch wenn er ganz schnell das eine oder andere Ideal oder die eine oder andere Ankündigung vollmundig über Bord wirft, noch gekrönt wieder von irgendeiner anderen bizarren Theorie, dann kriegt er das glaube ich bei seinen Wählern durch. Also den bisherigen Kurs ist ganz einfach. Wenn jemand zu viele Versprechungen in zu viele Himmelsrichtungen macht, dann muss er sich von der einen Hälfte irgendwann verabschieden.

Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es weiterhin symbolische Abschiebungen gibt, aber dass unter der Hand Trump ganz genau weiß, wie sehr die US-amerikanische Ökonomie auf die Einwanderer und auf die Illegalen angewiesen ist. Ich glaube, daran werden sie nicht grundsätzlich was ändern. Sie werden sich jetzt nicht den Teppich unter den Füßen wegziehen.

Das weiß ich eben nicht und wenn du siehst, im Moment ist das noch eher auch symbolisch, aber wenn du dir mal anschaust, jemand wie Timothy Snyder, der berühmte Historiker zum Beispiel, auch seine Frau und andere, die gehen.

Naja, es sind drei Leute, die gegangen sind, ein Ehepaar und ein anderer und sie gehen alle an dieselbe Universität in Toronto, die also offensichtlich groß im Aufbau begriffen ist, eine private Uni, die von dem Besitzer der größten Goldgräberfirma der Welt aufgebaut wurde, dessen Erbe jedenfalls finanziert wird, die Stiftung, die das macht und die haben davor irgendwas Großartiges aufzubauen und das ist vielleicht auch gar nicht unverlockend, dann da hinzugehen.

Also ich nehme schon an, dass das jetzt, ich weiß, die haben erzählt, also ein sehr guter Philosoph, der gegangen ist, der auch sich mit Faschismus beschäftigt hat, der vielleicht tatsächlich Angst hat. Aber ich glaube, das ist im Fall von Timothy Snyder und seiner Frau vielleicht auch hat das auch andere Motive. Also ich würde das mal nicht sagen. Und drei Leute, die gehen, ein Ehepaar und ein anderer, sind noch kein Beweis für einen Braindrain.

Also der Braindrain würde dann eintreten, wenn sich wirklich die Hälfte der Universitäten entfört. Und das sehe ich im Augenblick noch nicht. Ich sage nicht, das kann nicht passieren, aber drei Leute, die gehen, ist für mich noch kein Beweis. Ich finde, da hast du recht, aber man hört das ja auch allen Teilen, irgendwie auch die ganze Tech-Community, die sind aufgestreckt. Die sagen, sind wir da noch sicher?

Was passiert da eigentlich, wenn plötzlich auch Leute festgehalten werden, in den Knast gesteckt werden, die auch eine Green Card haben, also eine ganz offizielle Arbeitserlaubnis? Auch dieses Klima, in dem ja eigentlich Wissenschaft ja gedeihen nur kann, wenn es ein wirklich offenes, liberales Klima ist. Das ist etwas, das empfinden diese Leute tatsächlich als starke Einschränkung. Und Jason Stanley ist der Mann, auf den du ansprichst, der Philosoph.

Auch Yale-Professor, der sich in erster Linie mit Faschismus beschäftigt. Ja, im letzten Buch. Eigentlich ist er ein analytischer Philosoph und Vertreter des Pragmatismus, dem ich auch nahe stehe und ein exzellenter Wissenschaftler. Er hat sein letztes Buch über Faschismus geschrieben. Genau, und er sagt, das ist Faschismus, was wir da sehen. Ich bin immer vorsichtig bei der Wortwahl. Ja, du weißt, warum ich vorsichtig bin.

Nicht, weil ich alles Schlechte dieser Welt Donald Trump zutraue, sondern ich bin vorsichtig, weil es den real existierenden Faschismus des 20. Jahrhunderts dann plötzlich auf einmal sehr relativiert. Also wenn ich jetzt eine Aufzählung mache und sage Hitler, Mussolini, Franco und Trump, dann ist mir noch unbehaglich dabei. Also diese Anzahl von Massenmorden wie die anderen hat Trump nicht auf dem Konto. Und ich finde, wir gewinnen nicht viel durch den Vergleich.

Also wenn ich jetzt sagen würde, da gibt es bestimmte Dinge, die haben faschistoide Züge oder allgemeiner totalitäre Züge. Ja, also wird jetzt hier die liberale Demokratie nicht durch gewisse totalitaristische Elemente ausgehebelt. Also Totalitarismus, ein Begriff, der für das stalinische System genauso zutraf wie für das hitlersche oder das mussolinische. Dann kann ich sagen, ja gut, Elemente davon oder in dem einen oder anderen Bereich.

Aber zu sagen, der Mann ist ein Faschist, relativiert mir den Faschismus zu sehr. Vielleicht ist es so, dass wir den richtigen Begriff für das, was da passiert, noch gar nicht haben. Vielleicht ist es tatsächlich eine Revolution, die wir nochmal genauer definieren müssen und für die wir dann auch die entsprechenden Wörter finden. Ja, vielleicht ist das einfach eine Form von autokratischem Kapitalismus. Genau.

Ja, und wenn wir schon über Colbert geredet haben und Ludwig XIV und den Merkantilismus, also dieser Tech-Feudalismus, Feudalismus ist auch kein schlechter Begriff. Es gibt sozusagen eine Adelselite, das sind jetzt nicht die Blaublütigen, sondern es sind die Herren der Tech-Konzerne, die das Geschehen angeben. Also wir verfügen ja eigentlich über viele Begriffe, mit denen wir das, was passiert, viel origineller und viel präziser beschreiben können, als ausgerechnet mit dem Begriff Faschismus.

Ich glaube, was unterm Strich bleibt, ist einfach, und das ist auch das, was für mich so am Ende dieser Woche bleibt, die Übergriffe der Regierung nehmen ganz offensichtlich zu. Und das, was zum Beispiel mit der Columbia University passiert ist, das ist, glaube ich, schon eine klare Warnung. Seht her, was passiert, wenn ihr aufmuckt. Und deswegen sind auch alle gerade so leise. Und wie das weitergeht, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen.

Ich finde die Geschwindigkeit, in der das passiert, das ist das eigentlich Beunruhigende. Und die Bachmann-Beobachtung, dass er gesagt hat, in der Türkei gehen zwei Millionen auf die Straße. Und was passiert denn in den USA? Wie können sich denn die Kaderschmieden der westlichen Elite wie Yale, wie Harvard, wie Columbia und so weiter, da auf einmal so unter Druck setzen lassen?

Und was für ängstliche Mechanismen greifen da eigentlich? haben die eigentlich nicht mehr Selbstbewusstsein, sich entsprechend zu verteidigen, Widerstand zu organisieren und so weiter. Das wundert einen schon. Ja, in der Tat. Richard, ich danke dir sehr. Es war ein interessanter Austausch. Ja, ich danke dir auch, Markus. Genieß den Sommer und wir hören uns nächste Woche. Mach's gut, ich wüsste Markus. Music.

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