AUSGABE 186 (Arbeit lohnt sich – oder nicht) - podcast episode cover

AUSGABE 186 (Arbeit lohnt sich – oder nicht)

Mar 28, 202557 min
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Episode description

Der Sozialstaat ist teuer, das Geld ist knapp. Können wir uns das noch leisten? Union und SPD werden das Bürgergeld demnächst wohl reformieren, aber das Reizthema bleibt. Markus Lanz fragt sich: „Woher nehmen einige das Selbstverständnis, dass andere morgens aus dem Haus gehen und sich richtig anstrengen müssen und sie selbst einfach nicht arbeiten gehen?“ Richard David Precht hat einen anderen Blick darauf. Er betont, dass wir den Sozialstaat nicht nur aus Idealismus haben, sondern aus ökonomischen Gründen. Der Konsum soll angekurbelt werden. In dieser Folge sprechen Markus Lanz und Richard David Precht über Leistung und Gerechtigkeit, über Wittgensteins Sprachspiel und Machiavellis List des Fuchses.

Transcript

Music. Schönen guten Morgen, Richard. Guten Morgen, Markus. Wo erreiche ich dich? Ich bin derzeit in Berlin. Um was zu machen? Ich bin eine Woche in Berlin. Wir sind in den letzten Proben mit der Komponistenklasse der Musikhochschule Hans Eisler. Da bin ich seit 14 Jahren Honorarprofessor. Schön da, diese Musikhochschule. Ja, so ein schönes altes DDR-Gebäude. Es ist zwar mal saniert worden, aber es sieht irgendwie immer noch nach DDR aus. Aber es ist auch so ein stiller und feierlicher Ort.

Wir haben uns über lange Zeit mit Ludwig Wittgenstein beschäftigt, dem großen österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Und zu dessen Spätwerk haben die Komponisten dazu komponiert. Und wir machen mit Theateraufführung, mit Musik und ich trete da so in der Rolle des Erzählers auf, machen wir da eine große Performance zu Ludwig Wittgenstein. Cool. Das macht absolut viel Spaß, da zu arbeiten. Du liest dann da auch Texte,

ja? Ich muss sie noch auswendig lernen und ich habe literarische Texte gemacht, literarische Texte über Wittgenstein, die dem Publikum helfen sollen. Die Wittgensteinische Philosophie, die Spätphilosophie, die nicht einfach ist, um es besser zu verstehen, dass man so ein bisschen einen sinnlichen Einblick darin kriegt. Ja, und was ist die zentrale Message?

Was ist der USP von Wittgenstein? Also wenn du Wittgenstein selber diese Frage gestellt hättest, dann hättest du eine sehr schnudrige, böse Antwort gekriegt, weil den USP, den hat er gehasst. Die Pointe ist einfach zu sagen, dass Philosophie nicht die Welt erklärt, sondern Philosophie findet immer in Sprache statt und sagt mehr über das Funktionieren von Sprache aus, als über die Welt.

Das heißt, immer wenn wir miteinander reden, zum Beispiel wir beide jetzt gerade, dann befinden wir uns in einem Sprachspiel. Und alles, was wir sagen, macht nur Sinn oder hat nur Bedeutung innerhalb eines solchen Sprachspiels.

Das heißt, wir lösen also diesen direkten Bezug, Philosophie ist Erkenntnis der Welt, auf und sagen, nee, es geht eigentlich nur darum, die Virtuosität von Sprachspielen zu verstehen und genau auszuleuchten, warum wir uns überhaupt verstehen, warum wir überhaupt in der Lage sind, miteinander zu reden. Also das heißt, es geht sozusagen um die Frage der Kommunikation, wie wir kommunizieren.

Es geht, genau, die Frage der Erkenntnis der Welt, das hast du richtig gesagt, löst sich auf in eine Frage, wie wir kommunizieren. Und die sagt was über uns? Die sagt darüber hinaus, also in meinen Worten, dass das menschliche Wirbeltier-Gehirn nicht dafür optimiert wurde in der Evolution, irgendwelche objektiven Wahrheiten zu erkennen, sondern die Sprache hat die Funktion, dass Menschen miteinander klarkommen in sehr unterschiedlichen Situationen.

Und wenn das die Funktion von Sprache ist, dann kann der Mensch mit seinem Erkenntnisapparat keine höheren Wahrheiten oder Weisheiten erkennen. Sondern er kann nur erkennen, wie er miteinander redet, aber er kann keine objektiven Aussagen über die Welt mehr machen. Ist ja irgendwie ja nüchtern, ne? Ja, aber es ist eine Menge dran. Es ist eine Menge dran. Also das ist vielleicht noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber davon war Wittgenstein auch überzeugt.

Und er hat sich zergrübelt und zermatert und hat alles auf kleine Zettel geschrieben. Auf dem Bühnenbild wird man diese ganzen Zettel sehen. Da haben die Studierenden lauter unsinnige Schriftzeichen und Symbole aufgehängt. Und das übrigens sehr, sehr schön aussieht. Und es geht eigentlich wirklich darum, wie so eine Sache, die man sich so einfach vorstellt. Weißt du, es geht ja nur darum, die Realität zu erkennen, sich plötzlich in etwas ganz, ganz anderes auflöst.

Weißt du, ein bisschen wie in einem Tarantino-Film, From Dusk Till Down. Du denkst am Anfang, es ist ein Krimi und am bestimmten Punkt ist es ein Vampirfilm. Und so ähnlich musst du dir das auch vorstellen. Also Wittgenstein I ist dann noch der klassische Krimi und plötzlich über Nacht, nach Mitternacht, verwandelt sich die Philosophie in einen Vampirfilm. und in diesem Fall eben, dass es sich alles auflöst in Sprachspielen.

Das bedeutet ja, dass wir letzten Endes sozusagen in einer ständigen Abfolge von Missverständnissen leben. Richtig und Wildgenschein sagt, es ist aber nicht schlimm, solange wir uns trotzdem verstehen. Das tun wir ja erkennbar nicht. Wenn ich dir jetzt sage, stell dir mal Grau vor, dann hast du genau in diesem Moment, zuckt etwas in deinem Gehirn, Markus, und irgend so ein Grau flackert da auf. Richtig. Aber ob dieses Grau das gleiche Grau ist, was ich gemeint habe, das werde ich nie wissen.

Jeder hat sein eigenes Grau. Jeder denkt in dem Moment an ein anderes Grau. Der eine ein bisschen heller, andere ein bisschen dunkler und wie auch immer und so. Aber das Interessante ist, obwohl jeder sein eigenes Grau hat, gibt es ein paar Eigenschaften, die Grau offensichtlich immer gemeinsam hat. Zum Beispiel sagt Wittgenstein, man kann sich kein leuchtendes Grau vorstellen. Und daraufhin hat eine Komponistin ein Stück gemacht, das ganz grau anfängt, die Musik, fast wie eine Säge.

Eine knirschende Säge und so ganz, ganz allmählich kommt über die Musik Licht und Helligkeit in das Grau rein. Solche schönen Sachen machen wir da. Leuchtendes Grau kann man sich zwar nicht vorstellen, aber man kann es komponieren und man kann es hören. Der nächste Gedanke, der mir dazu kommt, ist ja die Frage, wie sehr du dann Sprache und damit auch dein Gegenüber manipulieren kannst. Ja, also ich meine, dass Sprache manipulativ ist, dass eigentlich jede Form

von Sprechen manipulativ ist. Ich glaube, da sind wir uns einig. Ja. Weil du versuchst natürlich, den anderen mit deiner Sprache in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das machst du ja übrigens nicht nur mit deiner Lautsprache, das machst du ja auch mit deiner Körpersprache. Richtig. Körpersprachlich machst du das die ganze Zeit, manchmal auch unbewusst. Aber sprachlich machst du das auch.

Ich meine, das Faszinierende an der Sprache ist, wir können bedeutungsvolle Worte aus bedeutungslosen Tönen formen. In dem Wort Käse hat das E keine Bedeutung, das S nicht, das E und das K nicht. Auch die Silbe Kä hat keine und die Silbe See hat keine. Aber Käse hat eine Bedeutung. In dem Moment stellst du dir ein Bild, was nicht identisch mit meinem ist, wir haben ein Käse im Kopf und trotzdem können wir uns über das Käseartigen am Käse verständigen.

Wie das funktioniert, das wollte Wittgenstein wissen. Apropos Käse, ich meine es ist auch interessant wie, ich denke jetzt gerade, weißt du warum ich die ganze Zeit schon denke, an Putin und Trump. Das ist das erste, was dein Gehirn assoziiert, wenn du das Wort Käse hörst. Nein, ich war bei Wittgenstein. Also über die Frage sozusagen, wie man über Sprache manipuliert wird,

das erlebst du doch gerade. Wie der eine das Gespräch, da haben wir beim letzten Mal drüber geredet, eine völlig andere Quintessenz aus dem Gespräch zieht als der andere. Obwohl sie das gleiche Gespräch gesprochen haben. Wittgenstein hätte seine Freude daran. Ja, ich habe diese Tage mit Rüdiger von Fritsch gesprochen. Der war während der ersten Amtszeit Trump und schon in dieser Phase, wo es schwierig wurde, in Moskau Botschafter, deutscher Botschafter.

Und der hat mir davon erzählt, wie manipulativ jemand wie Putin mit Sprache umgehen kann und dass das eigentlich sein wahres Talent ist. Und hat mir erzählt, wie der dann Wert darauf legt sozusagen, dann auch im persönlichen Gespräch, da hat ihm ein Abschiedsgespräch, wollte er von ihm.

Der hat sich irgendwann bei so einem Empfang von ihm verabschiedet und dann sagt der Putin, nee, nee, wir sehen uns nochmal und gewährte ihm dann 30 Minuten, was für Putin ziemlich viel ist, nach allem, was ich jetzt so höre. Man muss immer so lange warten, bis man drankommt. Ja, das ist Teil des Spiels. Das ist immer so, dass Putin treffen ist wie ein Arztbesuch. Ja, das ist Teil des Spiels. Und man ist selber leider kein Privatpatient, sondern Kassenpatient und muss ewig warten. Ja, genau.

Offensichtlich, weil der andere davon ausgeht, dass man unbegrenzte Zeit hat. Ne, ich glaube es geht darum, den anderen klein zu machen, dem anderen klar zu machen, wen du gleich triffst. Das bezieht sich zum Beispiel auch auf Journalisten. Das ist sehr interessant, wenn du zu Pressekonferenzen im Kreml, dann kommst du erstmal in so ein... Ich war da nie, aber ich habe mir das mehrfach jetzt von Korrespondenten erzählen lassen.

Dann wirst du erstmal in so einen Raum gebracht, wo drei Etagen unter der Erde des Kremls, irgendwo tief in der Erde, fensterlos, dann sitzt du da. Aber nur manche sitzen. Viele stehen. Du wirst prinzipiell in Räume gebracht, in denen es zu wenige Stühle für die Menge an Menschen gibt, die da gleich kommen. Ich weiß nicht, wie eine Grundausbildung beim FSB aussieht oder damals beim KGB, aber ich bin ganz sicher, sowas lernt man da.

Und das kann man offensichtlich aus Putins Perspektive als Staatspräsident wunderbar gebrauchen. Wenn du gerade Wittgenstein sagst, wir haben jetzt einen neuen Bundestag. Was alle berichten ist, diese veränderte Atmosphäre. Also das ist schon ein historischer Moment offensichtlich gewesen. Da sitzen plötzlich 152 AfD-Abgeordnete. Das ist ein sehr großer Block, mehr als verdoppelt, die mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein auftreten.

Da werden dann Reden gehalten, die Zeugen von diesem neuen Sound. Dann ist da von Schrumpf-Germanen plötzlich die Rede und so weiter. NS-Vokabular wird dann einfach im Bundestag, in so einem historischen Moment, wird dann einfach mal so in die Runde geworfen. Die rot-grüne Mischproke und solche. Ja, das habe ich mitgekriegt. Das ist so ein Sound. Dann kommt der Ordnungsruf, dann sagt Gregor Gysi oder versucht dazwischen zu kommen, der auch einen sehr unglücklichen Auftritt hatte,

wie ich finde. Der ist jetzt Alterspräsident. Ja, ich will ihm wirklich nicht zu nahe treten, aber mit Alter unterstrichen. Also wenn du dann die Errungenschaften der DDR lobst, auch schwierig in dem Zusammenhang oder Teile davon und so weiter. Und dann aufforderst, dass man sich entschuldigt irgendwie bei den Ostdeutschen für was auch immer, hält das auch alles so ein bisschen nebulös.

Ich verstehe den Gedanken dahinter, aber ich finde, so kann man das irgendwie nicht machen, wenn man irgendwie konstruktiv irgendwie so eine Sitzung beginnen möchte, eine neue Legislatur. Und er hat das irgendwie richtig wehgetan. Der große Rhetoriker Gregor Gysi hat sich mit seiner letzten Rede keinen großen Gefallen getan, um es mal ganz neutral zu sagen. Schade. Aber du merkst, da passiert etwas. Man geht da gar nicht drauf ein. Man redet einfach drüber hinweg.

Es gibt unglaublich heftige Zwischenrufe. Und dann siehst du auch, was medial passiert, das haben mir Kollegen berichtet. Normalerweise Parlamentsdebatten, da ist dann jemand von Phoenix, ein paar Leute vom ZDF und ein paar von der ARD und so weiter. Und dann wird das übertragen. Das läuft seit Jahrzehnten, läuft das eigentlich so, sind so eingeübte Rituale und plötzlich gibt es da noch ganz, ganz viele andere, die man da vorher nie gesehen hat.

Plötzlich gibt es da Kamerateams, die da auftauchen, die jeden Schnipsel von AfD-Abgeordneten dann aufbereiten und aufarbeiten für TikTok-Videos, für YouTube-Videos und so weiter. Das heißt, da kommt sozusagen das eigene Social-Media-Team kommt da plötzlich mit. Ist das in irgendeiner Form rechtlich problematisch und haben das die Parteien der Mitte vorher nicht auch gemacht oder haben die das gar nicht gemacht?

Du merkst sozusagen, wie sich, darum geht es mir eher, du merkst die Instrumente, die wichtig werden. Genau, der mediale Kulturwandel, der da stattfindet. Das verlagert sich alles immer mehr hin zu Social Media. Das ist sehr interessant und es stellt auch noch immer die Frage sozusagen nach der, das ist ja für uns im Journalismus ein wichtiges Prinzip. Wir sind ja verantwortlich für das, was wir senden, was wir ausstrahlen.

Wenn irgendjemand in der Sendung komisches Zeug erzählt, dann ist nicht nur er dafür verantwortlich, sondern sind auch wir damit dafür verantwortlich. Das ist bei den großen amerikanischen Plattformen anders. Das haben die irgendwann rechtlich durchgesetzt, dass sie sich auf die Position zurückziehen juristisch. Wir sind ja einfach nur eine Plattform. Wir haben ja mit dem Zeug, was da verbreitet wird, egal was es ist. Ja, das gilt ja nicht ganz.

Also in Deutschland haben wir ja Gesetze, die Hassrede verfolgen und Beleidigungen strafrechtlich im Internet verfolgen und auch die entsprechenden Plattformen auffordern, das zu löschen und so. Also das gibt es. Aber das ist ja das, was J.D. Vance meint, wenn er sagt, die Meinungsfreiheit in Europa ist in Gefahr und deswegen will er das ja unbedingt loswerden, weil ihn das nervt.

Dann möchte er, dass der Digital Service Act, so heißt das Gesetz, dass das eben nicht gilt für die großen amerikanischen Plattformen, also insbesondere für FairX. Und interessante Geschichte in dieser Woche, ist so ein bisschen untergegangen, aber wirklich erwähnenswert. Betrifft dich nämlich auch, betrifft mich auch ganz häufig, betrifft viele andere. Eckart von Hirschhausen, den ich lange nicht gesehen habe, schöne Grüße an der Stelle, hat ein richtungsweisendes Urteil erstritten.

Hast du das mitgekriegt? Ja, das hat er mir geschickt. Ach guck, interessant, weil er die Nase voll davon hatte und das geht ja vielen so, dass du dann Teil von Fake-Videos bist beispielsweise, wo du dann plötzlich dich selber siehst und dann empfiehlst du plötzlich irgendwelche Kryptowährungen oder anderes komisches Zeug oder verbreitest Verschwörungstheorien und sagst, warte mal, das habe ich doch nie gesagt. Da merkst du plötzlich, das sind Deepfakes. Das sind Videos,

die einfach von KI erstellt worden sind. Und die Leute glauben das. Du kannst dir das nicht vorstellen. Ich werde so oft darauf angesprochen von Menschen, die mich fragen, sagen sie, diese eine Krypto-Geschichte, die sie da empfehlen, ist das gut? Ich sage, um Gottes Willen, was meinen sie? Ich würde niemals im Fernsehen eine Kryptowährung empfehlen. Ich empfehle gar nicht. Also es gibt auch von dir irgendwelche Videoschnipsel, wo du Kryptowährung empfiehlst?

Zum Beispiel. und Eckart von Hirschhausen hat jetzt etwas gemacht, das war ja eine unglaubliche Mühe, ich habe das mal versucht.

Diese Leute zu verklagen, du findest die erst gar nicht, dann landest du, ich weiß das auch von anderen namhaften Kollegen, dann landest du bei irgendeiner, Briefkastenfirma in Madrid, die dann dahinter sich verbirgt, du gehst dann auf Spiegel Online beispielsweise und dann taucht da plötzlich etwas auf, von dir irgendeine Geschichte, das muss man sehen, das muss man lesen, alles,

Erstunken und erlogen. Und die veröffentlichen das und die Verlage haben sich immer auf die Position zurückgezogen, wir haben damit nichts zu tun. Wir haben das Geld gerne genommen, aber wir haben damit nichts zu tun. Ihr müsst an die heran, die diese Werbung schalten. Und Eckart von Hirschhausen hat jetzt kurz einen Prozess gemacht und, oder das war eigentlich ein langer Prozess, und hat Meta verklagt, hat die Plattform verklagt und hat gewonnen.

Das heißt, wenn so etwas verbreitet wird, ist dann plötzlich jetzt die Plattform verantwortlich und die Verlage können sich nicht mehr dahinter zurückziehen und sagen, haben wir nichts mit zu tun, macht das Marketing, hat man sich ja immer hier dahinter versteckt. Sondern das ist jetzt plötzlich Verantwortung der Plattform. Und das ist tatsächlich interessant und ich kann da nur mal einen Hut vorziehen. Das ist wichtig, weil Lüge ist mittlerweile ein echtes Geschäftsmodell geworden.

Das ist wirklich unglaublich. Dein Ausgangspunkt war, dass du gesagt hast, dass es einen Kulturwandel im Bundestag gibt. Dass man so ein bisschen das Gefühl hat, es beginnt eine neue Zeit. Also einerseits eine neue Zeit, weil wir 20 Prozent AfD haben und eben in dieser AfD eine ganze Reihe von Politikern sind, die sich nicht entblöden, von den Schrumpfgamanen zu sprechen und von der rot-grünen Bespoke. Und dass Töne waren, die man vorher so im Bundestag eher selten oder gar nicht

gehört hat. Und das ist jetzt eine richtig große Zahl. Die 20 Prozent Partei hat natürlich schon eine gewaltige Fraktion. Dann, was sich verändert hat, das Zweite, was du sagst, ist, die öffentlich-rechtlichen Medien und die klassischen Leitmedien werden in Relation, sind sie weniger vertreten, weil die sozialen Medien einen immer größeren Stellenwert einnehmen. Genau. Auch das verändert natürlich Wahrnehmung von Politik, Wahrnehmung von Berichterstattung.

Würdest du sagen, dass das, was wir hier erleben, ist quasi der Beginn auch einer neuen Zeit? Ich meine, es wird ständig benutzt, solche Formulierungen, aber dass man einfach sagt, man kann an diesen Dingen erkennen, dass in diesem Land sich gravierende Dinge verändert haben, die auch nicht wieder zurückgedreht werden? Ich glaube schon, ja. So sehe ich das. Und wir reden und streiten gerade ja so viel über Lüge und Wahrheit.

Und wenn man sich mal anschaut, auch was Friedrich Merz beispielsweise gemacht hat. Ich sehe immer wieder die Videos, die Ausschnitte, auch CDU-Vertreter aus unserer Sendung, mit welcher Vehemenz die Schuldenbremse und so weiter verteidigt haben. Und wie man dann noch nicht mal im Amt schon mal die erste Billion auf dem Zettel hat.

Warum macht jemand, du kennst ihn im Gegensatz zu mir, jemand wie Friedrich Merz das und er riskiert ja nicht nur seine persönlichen Zustimmungswerte, sondern er riskiert auch das Vertrauen in die Politik. Also danach muss man einfach sagen, man kann überhaupt nichts mehr glauben und das ist natürlich eine schlimme Entwicklung für eine liberale Demokratie.

Also warum macht man das? Also machen tut man es, weil man einen Kassensturz macht und merkt, okay, ich kann überhaupt nicht regieren, wenn ich das nicht mache. Aber das weiß man doch vorher. Ja, das ist der Vorwurf, den man ihm natürlich machen muss. Das ist gar keine Frage. Ich habe mich dennoch gefragt, Richard, und ich würde mich darüber gerne mal mit dir austauschen.

Was dahinter steht, ist ja nichts anderes als die Frage, kann dieser Sozialstaat, der mittlerweile so teuer geworden ist, dass er kaum noch finanzierbar ist, Können wir uns den tatsächlich weiter leisten und ist möglicherweise in dem Zusammenhang, um das große Ganze zu retten, unterstellen wir Friedrich Merz geht es darum, der CDU geht es darum, das große Ganze zu retten und das fühlen wir auch alle, es geht gerade wirklich um was. Das ist mehr als einfach nur eine Worthülse.

Ist es dann möglicherweise legitim zu sagen, okay, dann sind wir an dem Punkt nicht ganz ehrlich und vertun uns mal um eine Billion oder 1,5 Billionen? Das kann ja auch schon mal passieren. Kann mal passieren, man verrechnet sich ein bisschen, 1500 Milliarden kann mal vorkommen, nicht richtig aufgepasst. Aber ist das sozusagen, um jetzt zu einem anderen großen Philosophen zu kommen, Richard, im Sinne des klugen Machthabers Machiavelli, ist das möglicherweise unter Umständen legitim?

Machiavelli, italienischer Philosoph vor 500 Jahren, il principe. Ich bin darüber gestolpert, weil der unter anderem schreibt, Man kann sein Wort brechen und muss sein Wort nicht halten, nämlich dann nicht, wenn das dem Machthaber zum Schaden gereichen würde und wenn die Gründe weggefallen sind, die ihn zu seinem Versprechen veranlasst haben.

Also der gute Nicolaou Machiavelli ist sehr oft missverstanden worden, weil ein Machiavellist da ist, das ist für uns ein kalter Taschenspieler der Macht ohne Gewissen. Richtig. Und darum ging es Machiavelli überhaupt nicht. Machiavelli lebte in der italienischen Renaissance und die bestand aus lauter Kaufmannsstaaten. Und diese Kaufmannsstaaten waren Mafia-Staaten. Nur, dass man das damals noch nicht Mafia nannte. Aber es ging darum, dass einflussreiche Familienclans miteinander konkurrierten.

Und das klappte manchmal etwas besser und oft klappte es überhaupt nicht. Und Machiavelli hat davon geträumt, aus Italien ein Empire State zu machen, wie es das alte Rom war. Das war sein großes Vorbild. Er wollte wieder ein italienisches Imperium und nicht ein unter Mafia-Familien aufgeteiltes Privatterritorium.

Und in diesem Zusammenhang sagt er, dass viele Sachen, die moralisch wichtig sind, dass man verlässlich ist, dass man sein Wort hält und was weiß ich was, müssen einem anderen Zweck untergeordnet sein. Nämlich das Gute zu wollen und sein Land in eine strahlende Zukunft zu führen. Und wenn wir einen guten Herrscher haben, der das macht und der das schafft, dann darf der auch dreckige Mittel anwenden, um das Gute zu verfolgen. Es ging ihm aber um das Gute.

Es ging einerseits um Law and Order, darum war es schlecht bestellt damals, aber es ging auch darum, dass er im Sinne und im Wohl der Allgemeinheit entscheidet. Und dann muss man auch hinzufügen, Machiavelli hat mehrere Bücher geschrieben und nur in einem seiner Bücher ist von einem Fürsten il Principi die Rede und in anderen ist von einer Republik die Rede.

Er wollte nicht unbedingt eine Monarchie oder eine Aristokratie verteidigen, sondern er wollte diesen Gedanken eines funktionierenden, starken Staates. Das war es, worum es ihm ging.

So, und wenn wir jetzt also Friedrich Merz den großen Gefallen tun und sagen, das ist halt machiavellistische Politik, ja, spiele mich zum Hauptanwalt der Schuldenbremse auf, um nachher die größte Verschuldung in der Geschichte dieses Landes durchzuführen, dann würde Machiavelli sagen, dass der Schaden, der dadurch der Republik entsteht, dass die Glaubwürdigkeit von Politik so sehr leidet, größer ist als der Nutzen, den es Friedrich Merz gebracht hat.

Also ich glaube, Machiavelli würde ihn nicht verteidigen. Das ist interessant. Nochmal Richard Sozialstaat. Das ist ja das, was wir im Grunde gerade verhandeln. Und wenn du über Sozialstaat redest, dann muss man ja auch sagen, dass jemand wie Nikolaus Blome, der vor einiger Zeit im Spiegel gesagt hat, da wird jetzt auch gerade die Mutter aller Schlachten geschlagen. Als er einen sehr interessanten Text zum Thema Bürgergeld geschrieben hat.

Das ist ein bisschen zum Symbol dafür geworden, ob man diesen Sozialstaat jetzt weiter aufrechterhalten kann, weiter finanzieren kann, möglicherweise weiter finanzieren muss oder ob man, siehe Amerika, sozusagen diesen libertären Ansatz jetzt wählen muss und der es einfach richtig schreddert.

Ja, mach es kaputt, weil es letzten Endes und das ist glaube ich schon auch ein bisschen der tiefere Hintergrund, wenn man nach Amerika schaut, dass jetzt nicht einfach nur Trump und Musk machen, weil sie es können und weil sie daran glauben, dass ausschließlich das Leistungsprinzip gelten soll, sondern es geht schon auch um die Frage, können wir uns das weiterhin bezahlen? Auch Amerika hat mittlerweile eine Schuldenquote, denen steht tatsächlich das Wasser bis zum Hals.

Und ich lese immer mehr Ökonomen, die sagen, auch in Amerika, ein Land, von dem es immer heißt, die können eigentlich gar nicht pleite gehen. Doch, das kann für die irgendwann ein echtes Problem werden. Aber die kranken nicht an ihrem großartigen Sozialstaat, denn die haben ja kaum einen. Ja, und trotzdem schreddern sie ihn und versuchen ihn einzusparen. Aber in Europa gibt es diese Errungenschaften des Sozialstaates.

Und wenn du dir mal anschaust, ich glaube wir zahlen jedes Jahr mittlerweile allein für Bürgergeld 29 Milliarden. Zahl von der Bertelsmann Stiftung. Angesichts der Beträge, die wir für Rüstung ausgeben, beeindruckt die Zahlen mich nicht. Ja, aber da wird ja noch mehr verhandelt. Es geht ja auch um die Frage sozusagen, ist das Geld, das immer ultimativ und gut eingesetzt wird?

Stichwort Leistungsprinzip, Stichwort Pflicht. Wenn ich so eine Zahl lese, wie die Zahl, dass allein im Februar knapp 1,9 Millionen Bürgergeldbezieher vollumfänglich arbeitsfähig waren. Zitat Ende. Dann denke ich, irgendwas läuft da schief. Warum arbeiten diese Leute nicht? Viele Antworten drauf. Sag mal. Also erstmal müssen wir sagen, wir reden ja meistens gern von der großen Zahl, also den 5,5 Millionen Transferempfängern, die wir haben.

Und davon ist ein sehr erheblicher Teil, besteht aus Kindern oder Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können. Oder Leute, die aufstocken. Und dann kommen wir auf die Restzahl, die liegt so zwischen 1,7 und 1,9 Millionen. Das sind die Menschen, von denen wir sagen, die könnten arbeiten, aber die tun es nicht. Also wir reden über die Einwohnerzahl von Hamburg. Und zwar, Richard, wichtig in dem Zusammenhang.

Also das könnte man ja sagen, das sind alles Menschen, die sind sehr, sehr alt oder nicht mehr in der Lage. Die Hälfte von denen ist ungefähr zwischen 20 und 44 Jahren. Und dadurch werden die Fragezeichen in meinem Kopf ehrlich gesagt noch größer. Und ich verstehe, warum Leute sagen, warte mal, ich quäle mich jeden Morgen.

Das ist auch nicht immer schön, das ist auch kein Spaß. Und der Existenzkampf, insbesondere wenn du in einer teuren Großstadt leben musst, der hat sich in den letzten Jahren wirklich deutlich verschärft. Und dann sehe ich diese Zahlen und denke irgendwie, woher nimmst du eigentlich das Selbstverständnis, dass jemand anderer morgens aus dem Haus gehen muss, sich richtig anstrengen muss und du, der du offensichtlich dazu in der Lage wärst, also zumindest was einfach nur mal das Alter angeht.

20 und 44 ist auch mal eher einer der Höhepunkte der Leistungsfähigkeit, du sagst, ich arbeite nicht, ich lebe vom Staat. Ich lebe also, der Staat ist ja nicht irgendjemand. Das sind die anderen. Die anderen, die sich entschieden haben, ist nicht so. Also ob das sich psychologisch so abspielt, dass da jemand aufwacht morgens und sagt, ich bin froh, dass ich heute nicht arbeiten muss. Es ist natürlich zu gespitzt. Die Diskussionen sind ja auch zu gespitzt.

Also ich verstehe das, dass Menschen, die tagtäglich zu ihrer Arbeit fahren, vor allen Dingen jene Menschen, die eine Arbeit machen, die sie nicht gerne machen.

Also die Leute, die eine Arbeit machen wie du oder wie ich, die haben eigentlich nicht so viel Motiv zu sagen, wir rackern uns ab und wir schinden uns und so, sondern es geht eher um die Leute, die sich wirklich abrackern und wirklich schinden, die schlecht bezahlt werden, schlecht bezahlt werden und netto am Ende unwesentlich mehr rauskriegen, als wenn sie Bürgergeld empfangen werden. Und dass die sich darüber ärgern, kann ich völlig nachvollziehen.

Du hattest vorher die Frage gestellt, warum ist das so? Der Volksmund sagt dann, die sind alle faul. Da muss man sich mit dem Problem nicht näher beschäftigen und nicht näher hingucken. Und das Ärgerliche an dem Thema, das liegt aber in der Natur der Sache, ist, dass wir das nicht genau wissen, warum das so ist. Da wird also jeder zum Volksdeuter und zum Psychologen, weil es gibt darüber keine Zahlen und kann sie nicht geben.

Es gibt keine Umfragen unter der Einwohnerzahl von Hamburg, über die wir gerade gesprochen haben, in dem jetzt in einem sehr ausführlichen Interview von einer Stunde versucht wird, herauszukriegen, was der Grund ist. Und deswegen stochern wir bei den Erklärungen eigentlich ziemlich im Nebel und jeder sucht sich die raus, die am besten zu seinem Weltbild passt.

Kurz gesagt, aus einer liberalen Perspektive sind die alle faul und aus einer linken Perspektive leben die alle in mehr oder weniger tragischen psychischen Umständen. So, und warum kann nicht beides stimmen? Und wir können die Prozentsätze, die können wir nicht genau bestimmen. Aber ich glaube, dass unter diesen Menschen eine nicht unbeträchtliche Zahl ist, die für den Arbeitsmarkt nicht geeignet sind. Ich weiß, als Liberaler denkst du, was heißt hier nicht geeignet und so weiter,

was soll denn das sein? Ja, die sind gesund, die sind im richtigen Alter. Ja, aber die haben vielleicht eine Psychostruktur, die dazu führt, Und dass sie bei der Arbeit keine Leistung abrufen können, freundlich ausgedrückt und die auch nicht eingestellt werden von der anderen Seite, weil man sagt, den kann ich nicht gebrauchen. Also Leute, die, wenn man sie kritisiert, sofort ein Selbstbewusstseinsproblem kriegen und drei Wochen krank feiern, weil sie tatsächlich irgendwie nicht stabil

und belastbar sind. Und Leute, die, wenn man sie kritisiert, aggressiv werden. Leute, die ein Problem damit haben, ihr Leben zu organisieren und nicht pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen. Leute, die sich selbst nicht angemessen motivieren können. Und davon haben wir ziemlich viele in diesem Land. Jetzt kann man, die Frage habe ich mir auch so oft gestellt, woran liegt das? Hat das nicht in früheren, ist das nicht ein Luxusphänomen?

Ist das nicht Wohlstandsverwahrlosung irgendwie, dass das so ist? Ich kann dir die Frage nicht beantworten, aber ich glaube tatsächlich, dass unter der Zahl der Menschen, die arbeiten könnten, aber nicht arbeiten, die Anzahl derjenigen, die sagen, ich bin doch nicht doof, der Staat bezahlt mich, so mache ich das, nicht die Mehrheit ist.

Die gibt es, aber es ist nicht die Mehrheit. Die Mehrheit sind eher Leute, die man im Arbeitsprozess heute nicht wirklich gebrauchen kann, weil sie nicht belastbar sind. Das glaube ich. Aber ich kann es nicht beweisen. Ich kann es nur aus meiner anekdotischen Evidenz derjenigen Menschen, die ich kenne und ich kenne einige, die vom Bürgergeld leben. Du kennst Leute, die vom Bürgergeld leben, ja? Ja, die kenne ich und kenne sogar sehr gut.

Und da trifft genau diese Struktur zu, dass die für langfristige Beschäftigungsverhältnisse aus psychologischen Gründen nicht geeignet sind. Ich meine, lass uns einfach ganz kurz vorne anfangen, Richard. Ja, seitdem ich denken kann, gibt es eigentlich so diesen stehenden Begriff, die feste Redewendung von der sozialen Hängematte. Und ich fand das immer hart, wenn Leute sowas so gesagt haben, weil es so wahnsinnig kalt klingt, so kaltherzig, so unglaublich empathielos.

Aber der Sozialstaat, so wie wir ihn heute kennen und insbesondere der europäische Sozialstaat ist ja, also für uns ist das sozusagen gesetzt. Wir sagen, ja, das muss so sein. Und wenn man dann ein bisschen durch die Welt reist und zurückkommt nach Europa, dann versteht man noch mehr, auf welchem Niveau eigentlich dieser Sozialstaat tatsächlich unterwegs ist.

Das ist auch etwas, was ich gut finde. Wenn du durch amerikanische Innenstädte gehst beispielsweise, dann kannst du sehen, was passiert, wenn ein Sozialstaat nicht funktioniert. Wenn sich ein Staat sozusagen zurückzieht und nicht mal der kümmernde Staat ist, der denen hilft, die es irgendwie nicht so gut erwischt haben. Das verstehe ich alles. Das sind Errungenschaften, auf die wir zu Recht stolz

sind. Und trotzdem schleicht sich in letzter Zeit häufig so ein Gefühl ein, dass die da irgendwie sagt, wir haben es da definitiv übertrieben. Und wenn man das möchte, dann kann man dieses System auch relativ leicht ausnutzen. Und man macht es Leuten zu leicht, die sagen, heute ist mir aber nicht so richtig danach und dann musst du aber auch nicht. Was ist eigentlich der Entstehungsmoment dieses modernen Sozialstaats, Richard, so wie wir ihn heute kennen? Der hatte mit Idealismus nichts zu tun.

Also wir haben den Sozialstaat nicht, weil irgendwelche linken Idealisten gedacht haben, es müsste den Menschen so viel geben, wie sie irgendwie haben können, damit sie sich ein gutes Leben machen. Sondern der Ursprung des Sozialstaates ist ökonomischer Natur. Als man Anfang des 19. Jahrhunderts in der Lage war, durch die veränderte Industrieproduktion in größerer Zahl industrielle Güter herzustellen, hatte man parallel dazu die Kaufkraft dafür nicht.

Der Anfang der industriellen Revolution war, wie wahrscheinlich die meisten unserer Hörer wissen, die Tuchfabrikation, also Baumwolle, Tücher herstellen und so. Die Weber, die Spinnmaschine, dass man also im großen Stil etwas, was vorher Handarbeit war, von Maschinen machen konnte. Und dann gab es Anfang des 19. Jahrhunderts mehrere sehr schwerwiegende Absatzkrisen, weil plötzlich konnte man sehr hochwertiges Tuch in großer Stückzahl herstellen, aber man hatte keine Käufer in der großen Zahl.

Ich meine, wie viele Leute konnten sich denn hochwertige Tücher leisten? Und das hat den klugen Ökonomen, also ich meine, da haben sich viele mit beschäftigt, aber die klügsten Gedanken dazu hat sich ein französischer Schweizer namens Simon de Dicis-Mondy gemacht, der sehr überzeugend erklärt hat, nur wenn man seine Arbeiter vernünftig bezahlt, kann der Kapitalismus dauerhaft funktionieren.

Und da ist auch was dran. Also die Länder in der Welt, die ihre Arbeiter nicht vernünftig bezahlen, die leben davon, dass andere Länder das tun, die exportieren ihre Wacht. Richtig. Aber es muss doch in gleichem Maße, wie die Produktion gesteigert wird, die Konsumtion gesteigert werden. Es muss also ganz, ganz viele geben, die in der Lage sind, die hergestellten Produkte zu kaufen. Und das waren quasi die ersten ökonomischen Appelle zu sagen, ja, nur wenn die Leute ausreichend Geld haben.

Da war zum damaligen Zeitpunkt ging es erstmal darum, vernünftige Bezahlungen. Ja, und dann kam entstand, parallel dazu, die Gewerkschaftsbewegung und später die Arbeiterbewegung.

Und vor denen hatte man irgendwann ziemlich viel Angst. Und dann war die Überlegung, so entsteht in Deutschland der Sozialstaat unter Bismarck, damit die Sozialdemokraten hier nicht irgendwann eine erfolgreiche Revolution machen, ist es doch besser, ich nehme ein Minimum von dem, was die fordern, auf und sage, guck mal, wir sind der gute Staat, wir richten hier ein Renten- und ein Krankheitssystem ein.

Und im Grunde genommen war das der Anfang des Sozialstaats in Deutschland, Also der Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das war jetzt nicht die Liebe und Fürsorge für das Schicksal der Menschen, die damals unter entsetzlichen und erbärmlichen Bedingungen in lichtlosen Berliner Hinterhöfen gelebt haben. Da, wo heute das Wohnen in Berlin schön teuer war, regierte ja früher das Elend.

Es ging überhaupt nicht darum, dass Leute ein warmes Herz hatten, sondern es ging darum, die Arbeiterbewegung zu schwächen und dann sah man eben, je mehr Geld ein normaler Arbeiter in der Tasche hat und je besser er aufgefangen wird, denn auch das ist ja Kaufkraft. Man darf ja nie vergessen, das Bürgergeld kommt unmittelbar dem Wirtschaftskreislauf wieder zugute. Das soll nicht zu dem Umkehrschluss verführen und sagen, die sinnvollste Investition, die der Staat machen kann, ist Bürgergeldzahlen.

Aber es soll auch mal dem Gerede entgegensehen, dass das verlorenes Geld ist. Wer wenig Geld in der Tasche hat, der gibt dieses Geld im Regelfall auch wieder aus. Der kann ja nichts sparen und der investiert das im Regelfall auch nicht im Ausland, sondern der geht am nächsten Tag zum Netto und geht einkaufen. Und das geht ja durch unmittelbar wieder Geld, was in den Wirtschaftskreislauf zurückkommt. Das sollte man nicht ganz vergessen.

Das ist jetzt kein Plädoyer, zahlt 10 Millionen Leuten Bürgergeld. Das wäre auch falsch verstanden, aber es ist auch falsch zu sagen, dass es verlorenes Geld für einen Staat ist. Was sich da entwickelt hat, wie ich vor einiger Zeit mal damit beschäftigt, zeigt dir ja die sogenannte Staatsquote. Das ist ja ganz interessant. Die Staatsquote, die ja im Grunde das Verhältnis ist zwischen dem Geld, das der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben ausgibt.

Dazu gehört dann eben auch das und dem, was seine Bürger erwirtschaften. Also dem BIP, dem Bruttoinlandsprodukt und das wird sozusagen in Prozent gemessen. Und wenn man sich das mal anschaut, dann merkst du mal, wie atemberaubend dieser Sozialstadt ausgebaut worden ist. Die historische Entwicklung ist irre. 1880, weil du gerade Bismarck sagtest, war die Staatsquote 11,3 Prozent. Ist dann bis 1950 auf 27,4% angestiegen, lag 2022 bei 50%. Überleg mal, von 11% hoch auf 50%. Und was ist die Folge?

Heute haben die ganz, ganz, ganz viele Leute in diesem Land ein materiell sehr gutes Leben und 1880 die aller, aller, aller wenigsten. Das heißt, die Zahl, von der du jetzt wahrscheinlich die Schattenseite beleuchten willst, hat gleichzeitig sehr viel für Glück, Wohlstand und ganz wichtig, für gesellschaftliche Befriedigung gesorgt. Denn wenn du hingehen würdest und würdest bei uns, wie das jetzt so in der Rhetorik da gerade aufgekeimt ist.

Ich glaube Carsten Linnemann hat sowas ähnliches gesagt und Thorsten Frey hat das glaube ich bei dir in der Sendung auch gesagt, so nach dem Motto, wenn jemand partout nicht arbeiten will und so weiter, dann geht es auf null. Also abgesehen davon, das ist natürlich Blödsinn. Das würden Gerichte kassieren. Ach natürlich, das ist verfassungswidrig, das würde überhaupt nicht gehen, Verstöß gegen das Grundgesetz.

Und das Zweite ist, wenn du den Sozialstaat abschaffst, dann schaffst du hier US-amerikanische Verhältnisse, wenn du wirklich irgendwo auf Null schaltest und dann erhöhst du die Kriminalität.

Ja, also Länder, die so schlechte Sozialstaaten haben wie die USA, haben gleichzeitig wahnsinnige Kriminalität und ich weiß nicht, ob nicht die Bekämpfung der Kriminalität mit allem, was dazugehört, also die Leute in den Knästen zu versorgen, diese überbordende Justizaufgaben und so weiter nicht am Ende teurer sind.

Also deswegen ist das mit der Staatsquote so eine Sache. Ich weiß, die hat ihren Pferdefuß, den darfst du auch gleich nochmal ganz ausführlich vorstellen, aber man muss auch gleichzeitig sagen, je höher die Staatsquote wurde, umso besser war das Leben in Deutschland. Ja, deswegen will ich ja mit dir mal versuchen, ein bisschen differenziert genau über dieses Thema zu reden.

Es gibt ja eine Frage, die man stellen kann in dem Zusammenhang, nämlich die Frage, ist der Staat tatsächlich zu gierig geworden? Wenn du dir mal überlegst, dass fast jeder zweite erwirtschaftete Euro geht mittlerweile in öffentliche Kassen. Das war nicht immer so, wie wir gerade gehört haben. Und seitdem steigt sozusagen dieser Wert immer weiter an. Und meine Frage an dich ist, Richard, du hast ja mal ein sehr schönes Buch über die Pflicht gemacht.

Ist das die Falle, in die sozusagen auch die SPD letzten Endes getappt ist? Ich fand das ja so verblüffend, wie oft ich mit SPD-Politikern über dieses Bürgergeld und die Frage, wie es konstruiert ist und so weiter gesprochen habe. Und wie die immer wieder versucht haben, mich davon zu überzeugen, dass das doch eigentlich eine total gute Sache ist. Und sagte, warum verstehst du das denn nicht? Das ist doch eine wirklich gute Sache. Was war deren Argument?

Pass auf, das Argument ist, wir geben Leuten sozusagen eine Chance und glauben dann daran, das ist ein bisschen sozialromantisch, die werden das dann lösen. Und natürlich ist auch das Argument, das was du gerade sagtest, ja, da gibt es die starken Schultern und die müssen die Schwächeren irgendwie mittragen.

Und es ist auch alles d'accord und ich kenne ganz viele starke Schultern, die sagen, absolut unterschreibe ich, ist in Ordnung, sind häufig Leute, die auch viele in der Welt unterwegs sind und rumkommen und wissen, dass wir das, was wir hier in diesem Land haben an Sozialstaat, dass wir das nicht einfach so leichtfertig aufgeben sollten.

Und ich habe das auch in England, ich habe das glaube ich schon mal erzählt, bei Dreharbeiten damals, das ist mir so unter die Haut gegangen, weil ich das bis dahin nicht wirklich wusste. Wir haben im Nordosten von England damals gearbeitet und gedreht, da wo die großen Werften waren und wo dann in den 80er Jahren die große Werftenkrise begonnen hat. Und du denkst an dieses Gefühl, das eigentlich schon in den 80er Jahren beginnt.

Dieses Gefühl, dass sozusagen, irgendjemand hat es mal ein Unbehagen in der Demokratie genannt. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit unter Bürgern, die getrieben von Leuten wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher beispielsweise immer weiter diesen freien Markt ganz, ganz hart befeuert haben. Und dann kommen in den 90ern kommt dann Bill Clinton plötzlich ins Weiße Haus. Tony Blair wird Premier in Großbritannien. Gerhard Schröder wird Kanzler in Deutschland. Alles Vertreter von Mitte-Links-Parteien.

Leute, die eigentlich das Soziale sozusagen in ihrer DNA haben sollten, die aber akzeptiert haben... Diese Prinzipien ihrer konservativen Vorgänger, Marktmechanismus, also diese FDP-Position, der Markt wird es schon richten, diese krasse marktliberale Position und im Grunde lassen wir das einfach laufen und dann merken plötzlich viele Leute, dass diese Kräfte, die ihr Leben jetzt plötzlich bestimmen, dass sie die nicht mehr wirklich beeinflussen können.

Und das war damals so frappierend zu sehen in England, im Nordosten in England, Newcastle, das ist die Ecke, von der ich spreche. Das ist eine so harte Ecke, eine so trostlose Ecke. Und bis heute, ich meine, wir reden jetzt von 2019, 20, das ist ein paar Jahre her, dass wir da gearbeitet haben. Ich war dann später nochmal da und daran hat sich nichts verändert. Bis heute, erwähne dort den Namen Maggie Thatcher und du musst damit rechnen, verprügelt zu werden.

Das hat solche Verwerfungen hinterlassen, dieser Abbau von Industriearbeitsplätzen. Gewerkschaften zerschlagen, Industriearbeitsplätze und stattdessen in die Finanzwirtschaft zu investieren. Und der einzige Trost, den du dann irgendwann nochmal hast, ist sozusagen das Fußballspiel am Samstag oder am Sonntagnachmittag. Das ist der einzige Trost, den du dann noch hast. Michael Sandel ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen.

So Amerikaner und Thomas Piketty, das ist der französische Ökonom, der das Kapital geschrieben hat, der über Nacht weltberühmt geworden ist mit diesem Buch. Und Michael Sandel, das ist auch der Mann, den Olaf Scholz in dem Wahlkampf, in dem er dann zum Kanzler gewählt worden ist, eingehend studiert hat. Und der vieles von diesen Ideen danach umgesetzt hat. Das war der Grund, warum er über Reaktion, Respekt gesprochen hat und so weiter.

Der sozusagen den Arbeitern versucht hat, wieder die Würde zurückzugeben. Und das hat ja auch an dem Punkt für Scholz funktioniert. Sendl bringt einen sehr interessanten Begriff in die Debatte, Meritokratie. Und sagt, eine Meritokratie, also verdient sich sozusagen etwas. Das ist ja im Grunde genau diese Position. Du verdienst dir das, streng dich an, du kannst es schaffen und dann geht es auch für dich aufwärts.

Und er sagt, prinzipiell Sollte man das nicht verteufeln. Verdienste sind eine gute Sache. Wenn ich operiert werden muss, möchte ich einen verdienstvollen, gut qualifizierten Arzt. Das ist Verdienst. Und die Frage, wie ein Verdienst oder die Idee von Verdienst zu etwas werden kann, was dann schwierig wird, zu einer Art Tyrannei, wie er es nennt, das ist natürlich interessant. Und er sagt, das geht tatsächlich zurück genau auf diese Zeit, 1980er Jahre.

Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern hat sich in der Zeit immer weiter vertieft.

Und da geht es nicht nur, und das ist auch das, was ich in England gesehen habe und ehrlich gesagt hat das auch was mit meinem eigenen Lebensgefühl zu tun, da geht es nicht nur um die Frage sozusagen, wer sehr viel Geld zur Verfügung hat und wer sich richtig abstrampeln muss, um irgendwie seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern es geht auch um eine, wie soll man sagen, um eine Aufstiegsrhetorik, eine Wut gegen eine Aufstiegsrhetorik.

So nach dem Motto, strengt euch mal an und dann geht ihr jetzt bitte an die Unis und dann macht ihr eure Abschlüsse und dann seid ihr akademisch gebildet und dann steht eurer glorreichen Karriere nichts mehr im Wege. Leute, auch wie ich zum Beispiel, die diese Chance nie hatten, weil es einfach nicht möglich war. Ich beklage mich nicht darüber, ich beschreibe das nur. Aber das war meine Situation.

Ich hatte diese Möglichkeit nie. Die war mir verbaut, weil der italienische Sozialstaat, in dem ich zu Hause war, eben so nicht funktioniert wie dieser deutsche Sozialstaat. Und das ist auch in Amerika so. In Amerika ist der Zugang zu Bildung eine Frage von Geld. Wenn du amerikanischer Student bist und irgendwann mal von der Uni runterkommst und wirklich gute Uni von innen sehen willst, dann fängst du deine Karriere mit mindestens einer halben Million Dollar Miese an.

Weil du deine Gebühren bezahlen musst und langsam abstottern musst und so weiter. Das heißt, wenn du nicht eine gewisse finanzielle Beweglichkeit hast,

kommst du erst gar nicht sozusagen in Schlagdistanz. Und, Dieses Gefühl, dass du sozusagen einen Minderwertigkeitskomplex entwickelst, weil du eben nicht zu denen gehörst, die privilegiert genug waren, um in Ruhe mal ihr Studium durchziehen zu können, die dann durch die Welt reisen, die Sabbaticals machen, die Austauschstudenten irgendwo sind, die perfekt Englisch lernen können, weil sie ein Jahr in Amerika oder in England

oder sonst wo sind, die nach dem Abitur erstmal ein Jahr auf Reisen gehen. Der Minderwertigkeitskomplex, der daraus entstehen kann, den kann ich total gut verstehen. Das verstehen Leute, die sozusagen die Möglichkeit nicht hatten und zu denen gehörte ich auch. Ich denke da so oft wirklich an meine eigene Geschichte.

Die verstehen das als Überheblichkeit und Arroganz und haben immer das Gefühl, okay, da gibt es diese super schlauen, gerissenen Typen, mit denen kann ich nicht mithalten und das lassen die mich auch spüren. Und daraus entsteht auch oder speist sich sozusagen diese Wut, die dann am Ende in diesem Kulturkampf mündet, den wir gerade wirklich weltweit sehen. Ich glaube auch ein guter Teil der AfD-Klientel speist sich genau aus dieser Wut. In dem Punkt hast du ein paar Parallelen mit J.D.

Vance, der ja auch diesen Weg ohne Förderung und so weiter gegangen ist. Und natürlich hat es ein ganz anderes Elternhaus, aber du hast einen sehr langen Weg gemacht. Was ich interessant finde an den meritokratischen Gedanken, über den du gerade gesprochen hast. Die 80er und 90er Jahre waren der Abschied von der Leistungsgesellschaft. Das war der Abschied von der Leistungsgesellschaft. Verkauft von Politikern, die auf Leistung gesetzt haben. Richtig.

Das heißt also, liberale Politik, sogenannte neoliberale Politik, setzt sich durch und sagt sich, Leistung muss sich wieder lohnen und es geht um Leistung oder was weiß ich. Leistung, wer nichts leistet, ist nichts wert und so. Aber gleichzeitig wird der Begriff der Leistung neu definiert. Unter Leistung verstand man zumindest in Deutschland, ich baue mir was auf, ich bin tüchtig, ich bin fleißig, Ich arbeite deutlich mehr als acht Stunden am Tag und ich setze meinen ganzen Ehrgeiz da rein.

Und dieser Leistungsbegriff galt nach 1945 sehr flächendeckend. Das war egal, ob du Maler und Lackierer warst und dann irgendwann deinen Meisterbrief gemacht hast oder ob du Jura studiert hast oder klassisch für die Zeit über den zweiten Bildungsweg noch Maschinenbau gemacht hast. Immer hattest du das Gefühl, Leistung lohnt sich. Wenn man sich nur tüchtig auf den Hosenboden setzt, wenn man sich richtig anstrengt, egal aus welchem Milieu man kommt, dann kann man es richtig schaffen.

Das ändert sich in den 80er, 90er Jahren. Die Bildungskarrieren sind mehr und mehr verstopft. Das heißt also, allein dadurch, dass du Abitur gemacht hast, heißt das noch lange nicht, dass du es irgendwann zu irgendwas bringen oder schaffen willst. Wir haben in der Zeit auch die Zeit der großen Arbeitslosigkeit. In vielen Berufen wirst du nichts mehr. Wenn du, wie ich, drei Geisteswissenschaften studiert hattest, dann sah es ziemlich finster aus, was du anfangst.

Oder Mitte der 90er Jahre damit machen wolltest. Genau. Ja, da konntest du noch so gute Noten haben. Da stellte sich keiner die Frage nach der Leistung. Auf der anderen Seite. Entstanden Vermögen, Milliardenvermögen ohne Leistung. Richtig. Oder jedenfalls nicht nach der klassischen Leistungsdefinition. Das war auch die Zeit mit Michael Douglas als Börsenmakler, als Gecko. Das war sozusagen die Zeit, wo man sagt, du musst einfach das System ausnutzen.

Du musst mit Milliarden jonglieren und spenden. Du musst der eiskalteste, gerissenste Hund sein. Du musst skrupellos sein. Du kannst dir keine Form von Moral leisten. Richtig. Und dann konntest du Imperien aufbauen, Versicherungsimperien aufbauen nach dieser Maßgabe. Und das alles wurde von der Gesellschaft bewundert.

Aber gibt es noch irgendeine Relation zwischen jemand, der in wenigen Jahren Milliardär wird, darunter, dass er viele Leute übers Ohr haut und das wird als Leistung anerkannt, während gleichzeitig die Leistung einer Krankenschwester in dieser Welt überhaupt nichts zählt? Weil es gibt nur eine einzige Form, wonach die Leistung bemessen wird. Und das ist, wie viel Geld springt am Ende daraus. Wir gehen also nicht mehr von der Leistung aus und sagen, wohin hat sie geführt.

Nein, wir gehen vom Erfolg aus. Und wer Erfolg hat, hat eine Leistung gebracht. Und damit wird der Leistungsbegriff umdefiniert. Das heißt also, die Leistung einer Pflegekraft, die beharrlich über Jahrzehnte gute Arbeit geleistet zu haben, wird weniger anerkannt als der Erfolg von irgendjemand bei Germany's Next Topmodel, wo keine Leistung hintersteht.

Und diese Umwandlung von der Leistungsgesellschaft zur Erfolgsgesellschaft, Die hat weitreichende Folgen für Motivationsstruktur in der Gesellschaft und für das Funktionieren einer liberalen Demokratie, weil das kollektive Aufstiegsversprechen nicht mehr eingehalten werden kann und gleichzeitig ungerechtfertigter Erfolg enorm gefeiert wird oder maßlos überfeiert wird zum Teil.

Das hat schon auch was kaputt gemacht. Dazu passt ja zum Beispiel auch eine Entwicklung und deswegen geht das ja auch immer weiter auseinander. Wenn du zum Beispiel die Unfähigkeit hier anschaust bei der großen Rentenreform, jeder weiß, dass dieses System dringend reformiert werden müsste, aber keiner geht ran. Was dazu führt, dass die Rentenbeiträge, also du redest ja nicht, wenn ein junger Mensch heute in den Beruf geht, dann sind ja die Steuern das eine.

Aber das Thema in Deutschland sind vor allen Dingen die Abgaben, die zahlen Abgaben, dass es sich wirklich gewaschen hat. Und diese jungen Leute, die clever sind, die können sich ausrechnen, dass die Sozialabgaben, die Einzahlungen in die Rentenkasse, das wird immer weiter nach oben gehen, weil immer weniger junge Leute sozusagen an immer größere Kohorte von Rentnerinnen und Rentnern finanzieren müssen. Ja, das funktioniert alles nicht.

Da können wir auch nochmal ganze Folgen drüber machen. Auch mal mit konstruktiven Gegenvorschlägen und nicht immer nur mit destruktiven Gegenvorschlägen, die es nicht besser machen. Aber erklär mir doch mal, ich meine, du hast doch für deine Kinder oder kriegst für deine Kinder Kindergeld. Ich habe das ja für meinen Sohn auch bekommen. Warum eigentlich? Du wirst ja nicht sagen, dass du darauf angewiesen wirst. Und ich würde auch nicht sagen, dass ich darauf angewiesen bin.

Aber warum bekommen wir das dann? Ich glaube, das ist da vor allen Dingen ein juristisches Thema. Da geht es dann sozusagen um das Prinzip der Gleichbehandlung. Ich glaube, da geht es auch tatsächlich um den Rechtsstaat. Wie wäre es denn, wenn man das Kindergeld abschafft? Und stattdessen, also wenn man es auszahlen will, sozusagen als Auszahlung an die Kindergeldbedürftigen macht. So wie es jetzt formuliert ist, ist das Kindergeld unterliegt diesem Gleichheitsgrundsatz.

Wenn du sozusagen diesen Grundanspruch darauf hast, dann hat den jeder. Das habe ich schon verstanden. Aber man könnte es in eine andere Rechtssituation bringen und könnte es sozusagen als Bedürfnisleistung, wie Bürgergeld oder so, überführen. Das ist doch sehr viel sinnvoller. Warum hat man das nicht längst schon gemacht?

Weißt du was, es gibt, finde ich, in dem Zusammenhang eigentlich eine Art von Feigert, das viel größere Thema ist, die Ungerechtigkeiten beispielsweise bei der Erbschaftssteuer. Kollegen vom Spiegel haben neulich ein großes Stück darüber geschrieben und es gibt einen herrlichen Satz in diesem Text. Der geht so, in Deutschland gibt es sagenumwobene Orte, den Brocken, die Loreley, den Schwarzwald und Ommers Häuschen.

Und dann führen die Kollegen weiter aus, wenn man sozusagen die Debatten über die Erbschaftssteuer verfolgt, dann entsteht häufig der Eindruck, wenn man da jetzt mal rangeht, wenn man anfängt große Vermögen zu versteuern, dann ist das erste, was sozusagen unmittelbar bedroht ist, ist Ommers Häuschen. Die bescheidene kleine Immobilie, die von gierigen Finanzbeamten bedroht wird.

Und deswegen empfinden mittlerweile, glaube ich, in Umfragen zwei Drittel der Deutschen die bloße Existenz dieser Erbschaftssteuer als total ungerecht. Wenn du dir das mal genau anschaust, diese ganze Erzählung stimmt nicht. Eine hart erarbeitete Immobilie, das Eigenheim, kann steuerfrei weitergegeben werden, sofern die Erben, Ehepartner oder Kinder anschließend selbst darin wohnen.

Das ist steuerfrei. Aber dann geht es um die Frage, was du noch zusätzlich machen kannst, wenn es um richtig Vermögen geht. Und die Zahlen sind atemberaubend. In Deutschland sind 2024 ungefähr 120 Milliarden Euro vererbt worden. Tatsächlich ist die vererbte Summe ungefähr dreimal so hoch, weil die Finanzämter nur Erbschaften und Schenkungen erfassen, die über diesen Freibeträgen liegen, die du eben gerade genannt hast.

250.000 oder sowas, aber du kannst eben alle zehn Jahre im Wert von einer halbe Million etwas verschenken. Genau, du kannst Ehepartnern alle zehn Jahre eine halbe Million verschenken. Du kannst Kindern alle zehn Jahre 400.000 verschenken und Enkeln 200.000 Euro. Das heißt, ein Kind kann bis zum 10. Lebensjahr 1,6 Millionen Euro von Eltern, Großeltern, steuerfrei erben und bis zum 20. Vollendeten Lebensjahr sogar ungefähr 3,2 Millionen.

Das ist sozusagen die Lobby, die da richtig Arbeit geleistet hat. Also wenn man da rangehen würde, dann brauchen wir über Sozialkürzungen gar nicht mehr nachzudenken. Also wenn man wirklich, überlegen wir mal, welche Billionenbeträge hier in den nächsten kommenden Jahren vererbt werden. Wenn man also eine ernsthafte Erbschaftssteuer bekäme, dann hätte der Staat eine irrsinnig große Einkommensquelle. Aber das hat er nicht vor.

Das hat weder diese Regierung vor, noch hatte die vorhergehende Regierung das vor. Und ich glaube nicht, dass zu meinen Lebzeiten das noch irgendeine Regierung in Deutschland machen wird.

Die Frage ist nur, ich habe abschließend nochmal gefragt, wenn du diese soziale Frage, die da dahinter tatsächlich tickt, dieses Gefühl der Unzufriedenheit, das da entsteht und auch in einem reichen Land wie Deutschland, auch im reichsten Land der Welt, Amerika leistet sich so viele Arme wie kein anderes reiches Land. Wenn du nicht irgendwann anfängst, diese Widersprüchlichkeit, die da immer weiter und immer drängender entsteht, aufzulösen,

was passiert denn dann? Ja, dann kollabieren liberale Demokratien. Das ist die größte Gefahr. Es gibt ja einige Gefahren, die aber eine liberale Demokratie in etwas anderes verwandeln können. Aber die eigentlich größte Gefahr ist wirklich, wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht.

Dann kriegst du sozial immer unruhigere Zustände. Und wir haben ja häufig darüber geredet, liberale Demokratie ist nicht nur irgendwas, was in einem Gesetzestext, in einer Verfassung steht, sondern es ist gelebte Praxis. Wenn diese gelebte Praxis nicht mehr funktioniert, weil die Leute in so unterschiedlichen Segmenten leben und der obere Teil der Gesellschaft mit dem unteren nichts mehr zu tun hat, dann ist der Grundgedanke der liberalen Demokratie zerstört.

Und das wird sich rächen in der einen oder anderen Form. Das ist einfach wahnsinnig gefährlich, was wir da machen. Und das muss man aber ganz ehrlich sagen, kennst du eine deutsche Regierung der letzten 20, 25 Jahre, die irgendwie ernsthaft mit Mitteln, die funktioniert haben, dieses Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich bekämpft haben, also die Schere wieder geschlossen haben? Also am weitesten ausgebaut in Deutschland war der Sozialstaat unter Helmut Kohl.

Der große Arbeiterführer. Zusammen mit seinem kleinen Arbeiterführer Norbert Blüm. Aber das war gleichzeitig die Zeit der größten gesellschaftlichen Stabilität, der größten gesellschaftlichen Zufriedenheit. Und seitdem hat es viele Politik gegeben. Angefangen mit der Politik Gerhard Schröders, der Neoliberalismus, Thatcherismus und was wir alles drüber gesprochen haben. Regonomics. Ja, all diese Politiker, Regonomics, die haben dazu geführt, dass die Wirtschaftsbilanzen gut aussahen.

Das Bruttoinlandsprodukt stieg, die Wirtschaftsleistung stieg, aber sie haben einen Preis dafür bezahlt, der langfristig die Gesellschaft erodieren lässt. Also, Richard, dank dir sehr. War ein spannender Austausch. Dir alles Gute für das Wochenende. Wird volle Hütte, schätze ich mal. Wird volle Hütte und so viele Plätze haben wir nicht in der Musikhochschule. Und ich bin mal sehr gespannt. Müssen wir mal gucken, wie wir da anbauen können. Am Zweifelsfall.

Ich bin am Wochenende in Würzburg, weil wir dort Grünland Vortrag zeigen, Bilder zeigen. Und da wird es sicher auch volle Hütte geben, oder? Ja, wird schön. Freue mich drauf. Einmal mal kurz abtauchen, ein bisschen im Kopf verreisen. Das ist das Schöne daran. Ja, dein inneres Grönland zum Leuchten bringen. Wobei, wenn ich höre, wenn er jetzt gerade mit alles hinfährt aus dem Großraum Washington. Besuchen Sie Grönland, solange es noch geht. Ja, genau.

Also, Richard, danke dir sehr. Hab eine gute Woche. Bis bald. Tschüss, Markus. Music.

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