AUSGABE 179 (Zwischen Grünen und AfD: Wohin steuert der Konservativismus?) - podcast episode cover

AUSGABE 179 (Zwischen Grünen und AfD: Wohin steuert der Konservativismus?)

Feb 07, 202553 min
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Der Wahlkampf wechselt vom Schlafwagen in den Schnellzug. Die historische Bundestagsdebatte letzte Woche sei „wie ein Aufriss der Erdkruste“ gewesen, sagt Richard David Precht. Er fragt sich: „Was ist unterschwellig in diesem Land los, dass es zu solch heftigen Debatten kommt?“ Markus Lanz beschäftigt die Zukunft des Konservativismus. Er meint, Hauptgegner der AfD sind nicht die Grünen, sondern die Union. Warum rutschen überall auf der Welt gemäßigte Konservative immer weiter in den Autoritarismus? Hat das mit unserer Demokratie zu tun? Beide entwickeln dazu eine Theorie, die bei Platon beginnt.

Transcript

Music. Schönen guten Morgen Richard. Guten Morgen Markus. Wo erreiche ich dich? Am altbewährten Ort. In der Chemenate. Und es gibt viel nachzudenken, finde ich, dieser Tage in der ganzen Aufgeregtheit. Wir haben letzte Woche, Richard, über das gesprochen, was gerade politisch passiert. Wir waren nicht unbedingt einer Meinung. Und ich weiß nicht, wie es dir geht. Ich merke das bei mir selber. Ich merke es bei vielen anderen. Das Ganze wühlt einen gerade wahnsinnig auf.

Und ich habe allmählich ein Gefühl dafür, warum es einen so aufwühlt. Ich merke aber auch bei Politikern, merke es bei mir selbst, merke es bei Freunden. Es gibt eine wahnsinnige Ratlosigkeit darüber, was da eigentlich gerade tatsächlich passiert. Man kann es irgendwie nicht so richtig greifen. Und das ist auch das, was es so unheimlich macht. Und ich habe dieser Tage einen Kommentar gelesen von Mariam Lau.

Sehr geschätzte Kollegin von der Zeit, die einen Satz geschrieben hat, den ich echt gut finde und von dem aus ich heute mal gerne mit dir reden würde. Sie schreibt, in jener Woche hat Friedrich Merz die kostbarste Ressource, die ein Konservativer hat, nämlich sein Ehrenwort, für ein Manöver geopfert, das am Ende nur Verlierer unter Demokraten produziert und triumphierende Extremisten.

Und schreibt dann weiter unten mit dem Tod von Wolfgang Schäuble ging Friedrich Merz der letzte verlässliche Anker verloren und jetzt hört er auf den Rat der CSU und der lautet die Morde von Magdeburg und Aschaffenburg haben einen Notfall ein Es reicht erzeugt und Friedrich Merz habe daher gar keine andere Wahl gehabt als sein Wort zu brechen niemals mit der AfD zu stimmen und schreibt dann und je er erzeugt, CDU-Kanzlerkandidat zum konservativen Habitus zurückfindet, desto besser für alle.

So, und genau darüber, Richard, über die Frage, was eigentlich konservativ sein heute noch bedeutet. Robert Habeck denkt darüber nach und sagt, konservativ sein ist sowas wie anständig sein, verlässlich sein, zitiert Angela Merkel. Also man hat das Gefühl, Robert Habeck würde Angela Merkel wählen in diesen Tagen. Das glaube ich auch. Das ist sehr interessant. Also er identifiziert auch diese Merkel-Lücke und sagt, Da geht gerade was auf und da müssen wir rein.

Und ich habe in der Beschäftigung damit ein Interview mit Maximilian Krah gehört, dem AfD-Mann, der ja bei TikTok so erfolgreich ist. Weil ich mich gefragt habe, wie kann es eigentlich sein, dass die AfD interessanterweise so wenig über die bösen Grünen, Wenn man Markus Söder hört, dann sind die Grünen die Wurzel allen Übels. Die AfD beschäftigt sich nicht mehr mit den Grünen. Die AfD ist über dieses

Stadium hinaus, die AfD beschäftigt sich mit der CDU. Und Maximilian K. Sagt in diesem Interview, ich setze auf die Implosion der CDU. Ich setze darauf, dass es euch irgendwann mal nicht mehr gibt. Und da muss man denken an Bernd Baumann.

Du erinnerst dich an die Debatte im Bundestag letzte Woche. Dieser eine Satz, der wirklich noch lange nachhallen wird, da stehen Sie jetzt, Herr Merz, mit schlotternden Knien und bitten um Entschuldigung und sagt dann ganz selbstsicher, in allen westlichen Ländern sind wir auf dem Vormarsch, folgen Sie uns, wenn Sie noch die Kraft dazu haben. So, das heißt, der Hauptgegner ist die Union. Der Hauptgegner ist diese CDU, die CSU und die muss sozusagen zerstört werden.

Und wenn du diesen Gedanken mal weiterdenkst und schaust dich mal um in der Welt, das ist exakt das, was in Amerika passiert ist, das ist exakt das, was in Italien passiert ist, das ist exakt das, was gerade in Österreich passiert. Das heißt, da rutscht sozusagen etwas, was mal konservativ, bürgerlich war, rutscht plötzlich ab in etwas Rechtsautoritäres, wenn man so will, und geht einfach unter, einfach verschwunden, einfach weg. Die Italiener haben den Anfang gemacht.

Wie schaust du darauf? Ich finde, das ist sozusagen der größere Kontext. Und dann gibt es nochmal einen anderen Hintergrund, über den ich gerne später mit dir reden würde. Der führt direkt zu Platon. Es ist total spannend. Letzte Nacht kaum gepennt, weil ich mich in einem Buch völlig verloren habe. Dazu aber später mehr.

Nur erst mal diese Idee, dass sozusagen das, was bürgerliche Parteien sind und Deutschland ist da, wenn du mal genau schaust, die letzte große Ausnahme, die letzte große Bastion. Da gibt es noch diese CDU und dann steht die da mit 30 Prozent und du sagst, die sollen möglicherweise untergehen, das kann doch gar nicht sein. Aber in Wahrheit könnte das schneller passieren, als man denkt. Das Rechtsautoritäre, von dem du sprichst, war ja früher mal ein Teil des Markenkerns der CDU.

Und sehr viel Gedankengut von dem, was die AfD äußert, hatte früher in der Union seinen Platz. Ich erinnere nochmal an Leute wie Alfred Dregger, die sich unter anderem mit Veteranen der SS getroffen haben, die gesagt haben, der Zweite Weltkrieg war für mich nicht der Tag der Befreiung, wie Richard von Weizsäcker, der Bundespräsident, damals gesagt hat, sondern das war eine Niederlage.

Also der Nationalismus, das Rechtsautoritäre, die Hessen-CDU hat immer Wahlkampf gemacht mit starker Staat, Law and Order. Also das sind eigentlich alles Dinge, die früher mal zur CDU gehörten und die in der Merkel-Zeit in der Union verloren gegangen sind. Und die sind in gewisser Hinsicht dann in die AfD ausgelagert worden und der Wechsel der Zeitläufte macht es, dass eine ganz große Sehnsucht nach diesem Rechtsautoritären wieder aufflackert.

Und diese Entwicklung, die ich hier gerade für Deutschland beschreibe, die hat es in vielen anderen europäischen Ländern auch gegeben. Alle Parteien sind zur Mitte hingedrängt, die CDU war dann irgendwann nicht mehr rechts. Rechts war für die CDU ein Schimpfwort. Ja, die gleiche CDU, die sich früher noch selbstverständlich als Mitte rechts immer definiert hatte, also in den 70er Jahren oder in den 80er Jahren.

Und jetzt sind es sozusagen, es ist ein Teil der CDU, den die CDU aus, ich meine, nicht ganz unnachvollziehbaren Gründen hinter sich gelassen hat. Der hat sich als AfD verselbstständigt und der bedroht jetzt die Reste der Merkel-CDU, die noch in der CDU heute vorhanden sind. Und offensichtlich ist er dabei, sie zu kannibalisieren, denn das Rechtsautoritäre wirkt im Augenblick bei vielen Wählern sehr viel verführerischer als der liberale Konservativismus.

Und die Frage, warum das so ist, der sollten wir gleich mal nachgehen, aber in dem Zusammenhang Thomas Biebricher, ich weiß nicht, sagt dir wahrscheinlich was, Professor von der Goethe-Uni in Frankfurt-Main, der hat mehrfach Bücher über genau das veröffentlicht und beschreibt schon 2018, das ist wirklich interessant, die geistig-moralische Wende, so heißt das Buch, die Erschöpfung des deutschen Konservatismus.

Und dann später nochmal 2023 gibt es ein Buch von ihm Mitte rechts, wo er wieder über die internationale Krise des Konservatismus schreibt und sagt, es gibt diese komische weitverbreitete Vorstellung und das hört man auch hierzulande immer mal wieder man könne sozusagen das, Rechtsautoritäre durch Zusammenarbeit entzaubern, und er sagt, das ist ein Argument das intellektuell, überzeugen mag, das empirisch aber komplett falsch ist. Und er sagt, es gibt keinen einzigen Fall.

Und da geht es ja um die Frage, wie umgehen damit, bei dem eine solche Kooperation, und da bist du bei dem, was letzte Woche passiert ist, nenne es Kooperation, nenne es Mehrheiten herbeiführen durch Zustimmung der AfD. Bei dem eine solche Kooperation dem Konservatismus genützt hätte. Und er sagt, denke an Österreich, denke an Italien, Denk an die Niederlande.

Maximilian Krah, den ich eben zitiert habe, sagt, Italien, Polen, Ungarn, all das zeigt, erst müssen Christdemokraten implodieren, bevor der Weg für die politische Rechte frei ist. Das heißt, das wäre ja sozusagen das klare Petitum zu sagen, wir sollten es nicht auf den Versuch ankommen lassen, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten. Ja, zusammenarbeiten, muss man jetzt mal sagen, will Friedrich Merz ja nicht. Zusammenarbeiten will er nicht, sondern er hat zwei Möglichkeiten.

Also entweder macht er eine andere Politik und bekämpft die AfD oder er versucht, die Politik der AfD Stück für Stück wieder in die Union zurückzuholen. Und da hat sich ja offensichtlich für den zweiten Weg entschieden. Das heißt, das, was die Sozialdemokraten in Dänemark vorgeführt haben, wir haben im letzten Podcast davon geredet, das ist der Traum von Friedrich Merz.

Nämlich der Gedanke, dass man viele von denen, die heute AfD wählen, waren auch mal Unionswähler und dass man die dadurch, dass man das Rechtsautoritäre in der Politik, in der eigenen Partei wieder stärkt, dass man die dann zurückholt. Also das ist die Strategie und das ist der Gedanke dahinter.

Genau, der Gedanke dahinter, ich frage mich manchmal, wenn man da mal so genauer hinschaut und wenn man auch mal so reinhorcht in die Parteien und ich habe im Moment sehr, sehr viele Gespräche auch so im Hintergrund, haben die noch die Kraft dazu?

Anders gefragt, haben die eigentlich noch die Wahl? Wenn du dir mal anschaust, wie sehr es beispielsweise auch in der Thüringer CDU Leute gibt, und das macht denen in Berlin im Adenauerhaus durchaus Sorgen, die immer wieder sagen, nee, wir müssen jetzt mit denen hier mal zusammenarbeiten, das müssen wir jetzt schon mal machen. Weil man sich sozusagen abgrenzen will gegen links. Wenn du dir anschaust, was auf kommunaler Ebene längst gelebte Wirklichkeit ist.

Ich meine, da gibt es Abstimmungen nicht nur gemeinsam mit der AfD von Seiten der CDU. In Ostdeutschland gibt es Kommunen, wo das so stattfindet, sondern auch die SPD stimmt teilweise längst mit der AfD. Und ich verstehe es auch. Aber warum auch nicht? Ich meine, auf der kommunalen Ebene wird ja relativ wenig Weltanschauliches verhandelt. Das ist genau der Punkt. Also wer einen Einblick hat in das, was Kommunalpolitik ist, der weiß, dass es da nicht um die großen ideologischen

Linien geht. Da geht es um den Kinderspielplatz, da geht es um die Kita. Genau, und ob ein Freibad geschlossen werden soll oder nicht und wie eine Schule modernisiert wird und um Bauausschreibungen. Deswegen ist das auf kommunaler Ebene ja eine ganz andere Angelegenheit als auf Bundesebene. Ja, aber da frisst sich ja gerade was rein. Und ich sage mal, jetzt bist du auf der kommunalen Ebene, ist eine Frage der Zeit, bis du es auf Länderebene auch hast.

Und wenn du das mal konsequent weiterdenkst, dann ist es natürlich auch nur eine Frage und ich habe schon das Gefühl, wir haben einen Vorgeschmack darauf bekommen in der vergangenen Woche, auch im Deutschen Bundestag. Plötzlich war das ganz, ganz oben angekommen. Plötzlich war das da. Ja und zwar überraschend schnell.

Und wie ich argumentiert habe, auch ohne Not. Also, dass es Not gibt im Hinblick auf Migration, das räume ich ja sofort ein, das ist auch meine Meinung, dass da vieles sich verändern muss gegenüber vorher, glaube ich auch. Aber dass man das zum zentralen Wahlkampfthema macht, du erinnerst dich, habe ich im letzten Podcast gesagt, wenn man das zum zentralen Wahlkampfthema macht, nützt man nur der AfD.

Das kann man relativ überzeugend damit begründen. Stell dir mal vor, alle Parteien würden jetzt einen Umwelt- und Klimawahlkampf machen. Welcher Partei würde das wohl nützen? Dann würden die Leute deswegen nicht CDU oder SPD wählen, sondern sie würden dann die Grünen wählen, weil sie glauben, dass das noch die Partei ist, die sich am meisten dafür einsetzt. Und genauso ist das in der Migrationsfrage auch. Ich sehe auch in den Wahlumfragen nicht, dass Friedrich Merz davon hat profitieren können.

Was wir im Augenblick noch nicht so genau sehen können, ist, wie viele Federn er deswegen gelassen hat. Aber auf jeden Fall hat er nicht profitiert. Also dieser Dänemark-Effekt ist offensichtlich nicht eingetreten, sondern es sieht eher so aus, als ob die Werte deutlich über 20 Prozent bei der AfD sich stabilisieren. Es ist die große Frage, was wäre passiert, wenn man es einfach hätte so laufen lassen.

So argumentieren ja die Leute aus der CDU und sagen, der Erfolg der CDU-Aktion jetzt besteht oder dieses Manövers, ein steiler Move hat es Markus Söder genannt, der Erfolg besteht genau darin, dass die Dinge in den Umfragen im Wesentlichen so geblieben sind, wie sie vorher waren.

Das heißt, die große Frage ist, und die werden wir nie beantworten können, was wäre passiert, wenn sich Friedrich Merz nicht hingestellt hätte, nicht gesagt hätte, pass auf, wir müssen jetzt zumindest den ernst gemeinten Versuch unternehmen, das nehme ich ihm auch ab, den Leuten ein klares Signal zu setzen, das da lautet, so geht es nicht weiter.

Also das nehme ich ihm schon ab und vielleicht besteht der Erfolg darin, dass die AfD, durch Nichtstun eben nicht Richtung 25, 26, 27 Prozent geklettert ist. Das kann ja auch sein. Also es gab zu dem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte, dass die AfD tatsächlich stärkste Partei werden könnte. Und deswegen glaube ich, dass dieser sogenannte Move nicht notwendig war.

Sondern ich glaube, es wäre eben seriöser gewesen, man hätte seinen Fünf-Punkte-Plan mit seinem künftigen Koalitionspartner abgesprochen und dann geguckt, wie man ihn realisieren kann und ihn nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Ich glaube, dass die Union sich damit geschadet hat. Die Frage ist vor allen Dingen, und daran merkst du, es hat Eva Quattbeck in dieser Woche bei uns gesagt, da ist etwas zerbrochen in der politischen Mitte in Deutschland.

Und das merkst du daran, wenn du jemanden wie Jens Spahn und Wolfgang Schmidt, das Großhirn hinter Olaf Scholz, wenn du die in der Sendung miteinander lebst, hatten wir in dieser Woche. Das war wirklich interessant, das zu sehen. Das sind eigentlich zwei Menschen, die sich erstens bestens kennen. Die duzen sich privat, die sehen sich auch mal privat. Logischerweise, die müssen sich ja austauschen. Zwei absolute Politprofis und trotzdem waren die kaum in der Lage, miteinander ein konstruktives...

Um irgendwie auf Kompromiss ausgerichtetes Gespräch zu führen. Wollen Sie ja vielleicht im Augenblick auch nicht. Markus, guck mal, wir glauben immer, dass die Schlafwagenpolitik der letzten Jahrzehnte, dass es der Normalzustand ist, weil wir in diesen Zustand reingewachsen sind. Guck dir noch an, wie inhaltsleer die Plakate sind. Und jetzt ist etwas passiert. Der Schlafwagen ist kollidiert.

Schluss mit dem Schlafwagen. Die Leute sind alle aufgewacht und versammeln sich in den Abteilen und schreien sich an. Das ist das, was im Augenblick passiert. Und das sind wir eigentlich nicht mehr gewöhnt. Im Frühjahr war das ja schon so, dass die Parteien in der Mitte immer schon wussten, dass sie im Anschluss miteinander koalieren werden. Es war nur nicht richtig sicher, wer mit wem. Und deshalb war man auch entsprechend nett zueinander. Und im Augenblick liegen die Nerven einfach blank.

Jetzt ist wirklich, alle sind in Aufruhr und jeder versucht, aus dem Move von Merz Kapital zu schlagen. Die CDU natürlich selber, sonst hätte sie den Move nicht gemacht. Die anderen, indem sie sich darüber empören und die CDU nicht mehr für eine demokratische Partei der Mitte halten und so. Aber du wirst eins erleben. Nach der Wahl werden die gleichen Leute, die sich jetzt anschreien und überhaupt nicht mehr miteinander können, natürlich wieder wunderbar miteinander zusammenarbeiten.

Sie können sich darauf berufen, dass ihnen ja auch keine andere Wahl bleibt. Da es ja nur schwarz-rot oder schwarz-grün nach der Wahl sein kann, werden die schon dafür sorgen, dass dann nach der Wahl ganz andere Töne angeschlagen werden. Und man wird auch den Move von Friedrich Merz ganz schnell verzeihen, weil man sehr gerne mit ihm koalieren will. Ich bin ziemlich sicher, nach der Wahl wird sich das Ganze sehr stark wieder beruhigen.

Aber der für uns ja eigentlich interessante Punkt ist ja nicht so sehr, dass sich das dann irgendwann wieder beruhigt, sondern was ich ja spannend finde und du ja sicher auch ist, was ist da eigentlich aufgebrochen? Richtig. Weißt du, als hier so die Erdkruste. Und dann plötzlich die Lava rauskam. Was ist das eigentlich? Was ist eigentlich hier unterschwellig los in diesem Land, dass es zu solchen heftigen Debatten kommt? Das finde ich ist das eigentlich spannende Thema unserer Zeit.

Ja, also die klassischen Koordinaten haben sich massiv verändert. Übrigens gerade für Konservativste das Schlimmste, was passieren kann. Die Konservativen lieben die alten Koordinaten und wollen die alten Koordinaten im Regelfall nicht verändern. Gerade das macht sie ja konservativ. Und im Augenblick verändert sich die Welt völlig rasant und wir kommen da mit unseren Gefühlen gar nicht mehr mit.

Wir haben jetzt intellektuell begriffen, dass die USA nicht mehr unsere Freunde sind, sondern dass sie einfach ihr Ding machen und wo wir bleiben, ist ihnen völlig egal. So, das haben wir jetzt intellektuell, aber gefühlsmäßig haben wir das noch nicht verstanden, weil wir unseren Kompass an den USA ausgerichtet haben seit Gründung der Bundesrepublik. Die waren einerseits von existenzieller Bedeutung für uns und auf der anderen Seite haben wir ja auch kulturell alles aus den USA übernommen.

Er hat eine Vorbildfunktion und jetzt auf einmal ist das alles weg und der Kompass so vieler Politiker ist bis heute transatlantisch ausgerichtet und auf der anderen Seite kommen keine Signale mehr oder da dreht der Kompass irgendwie in alle Himmelsrichtungen. Und das ist überhaupt noch nicht so innerlich verstanden.

Auch viele andere Dinge sind noch nicht verstanden. Wir haben ja schon vorher Wutbürgertum und wir haben schon vorher eine entrüstete und eine empörte und eine aggressive Gesellschaft unter anderem in den sozialen Netzen. Also es ist ja ganz, ganz viel Unruhe in dieser Gesellschaft da und ich glaube immer, wenn Modernisierungsprozesse zu schnell ablaufen und sie sind in den letzten Jahren sehr schnell auf vielen Ebenen abgelaufen. Einmal die Veränderung der Lebenswelt durch die Digitalisierung.

Wir haben bis heute, wissen wir nicht, wie wir mit sozialen Netzwerken umgehen sollen. Ja, das ist bislang eine völlige Veränderung. Der Öffentlichkeitsstruktur der Bundesrepublik. Eine Revolution größer als das Radio und das Fernsehen. Das ist alles irgendwie noch überhaupt nicht bewältigt. Und es fehlt auch noch jegliche Reife im Umgang damit auf allen Seiten. Das ist also etwas, was ganz schnell über uns gekommen ist, haben wir nicht

begriffen. Plötzlich ist alles unsicher. Alles, was über Jahrzehnte hinweg gegolten hat. Auf einmal wissen wir nicht mehr, machen wir das alles noch richtig? Ist das noch alles richtig? Und was sich absolut verändert hat, und das ist ja so das Hauptthema, was mich ja seit langer Zeit beschäftigt, ist, die Anspruchshaltung der Menschen hat sich verändert. Die Menschen sind heute anders, die Menschen sind heute individueller oder wie Reckwitz sagt, singulärer.

Jeder ist darauf bedacht, etwas Besonderes zu sein, muss er auch sein. Er muss seine besondere Performance in dieser Welt leisten und so weiter. Und dann stellt sich immer die Frage, wenn jeder was Besonderes ist, der was Besonderes leisten muss und besonders schön und besonders toll sein muss, funktioniert unter solchen Bedingungen noch eine Gemeinschaft? Und was machen wir mit all den Frustrierten, die, obwohl sie versuchen, was Besonderes zu sein, nicht hinreichend Anerkennung kriegen?

Wir haben unheimlich viele Frustrierte, die das Gefühl haben, sie werden nicht hinreichend gehört. Jeder kann sich in den sozialen Netzwerken austoben, aber nur wenige werden dort wirklich gehört. Und da ist so ein Unruhe in der Gesellschaft, die unter anderem durch die neuen technischen Möglichkeiten gekommen ist. Und da gibt es Abwehrbewegungen, da gibt es Überforderungen. Dann hat man das Gefühl, man versteht das nicht mehr und man ärgert sich darüber, dass es so ist.

Die Hauptreaktion darauf ist dann zu sagen, Schluss aus, hier muss irgendwie mit der Faust durchgegriffen werden, wie Donald Trump das macht. Und ein bisschen davon hat Merz in seiner Rhetorik ja auch übernommen, so nach dem Motto, jetzt aber mal und jetzt hier nicht so weiter im alten Trott und so. Also diese Gemengelage, die kann man schon irgendwo verstehen. Das Problem ist nur... Wie will man diese Büchse der Pandora, die wir geöffnet haben, was ja eine positive Entwicklung ist.

Jeder individualisiert sich, jeder versucht was Besonderes zu sein. Eigentlich schön, wir müssen nicht mehr uniformiert sein, wir leben nicht wie die Leute in Maoschina, in blauen Kitteln, jeder kann was Tolles und so weiter sein. Aber du kriegst das Ganze nicht mehr eingefangen als Gesellschaft. Uns fliegt sozusagen die befreite, die emanzipierte, die individualisierte Gesellschaft irgendwie um die Ohren und löst extreme Trotzreaktionen aus.

Und der letzte Punkt. Wir haben einen Umgang mit Moral, der total unmoralisch ist. Wir haben kübelweise Moral ausgeschüttet. Das machen wir vor allen Dingen in den sozialen Netzwerken. Wenn wir im Namen des Guten wieder irgendjemand völlig unmöglich finden. Und der soll sich dafür schämen und der soll das nicht mehr und so weiter. Das heißt, eine Umgangsform, in dem wir immer sofort moralisieren. Und weißt du, warum wir das machen?

Wir moralisieren, weil wir, wenn wir angegriffen oder infrage gestellt oder kritisiert werden, uns immer als ganze Person angegriffen fühlen. Wir sind ja so authentische Menschen, die genau das, was sie sind, auch sein wollen. Und jetzt werden wir als ganze Person infrage gestellt. Wir werden nicht in unserer Meinung infrage gestellt. Uns wird nicht gesagt, warum siehst du das so und nicht anders, sondern es geht direkt auf die ganze Person.

Und diese harte Art der Auseinandersetzung, die eigentlich total infantil ist, hat eine Atmosphäre und ein Klima erzeugt, in dem diese ganzen Debatten sich auch nochmal weiter hochschaukeln. Also zusammengefasst, wir haben einerseits eine totale Orientierungslosigkeit, weil die alten Koordinaten nicht mehr stimmen. Und wir haben auf der anderen Seite unheimlich viele Menschen in dieser Gesellschaft, die ein Anerkennungsdefizit haben.

Heute könnte jeder theoretisch ganz viel Anerkennung kriegen, kriegt er aber nicht. Und das dritte ist, dass wir eine Politik haben, die über die letzten Jahrzehnte schlafwagenmäßig immer gesagt wird, wir schaffen das und alles wird gut und Deutschland ist ein starkes Land und Zuversicht und super und so weiter. Und wir genau wissen, auf die Art und Weise wird es aber nicht weitergehen. So, das war jetzt eine lange, lange, einfache Rede. Ja, aber spannend.

Und im Grunde siehst du jemand wie Friedrich Merz und da merkst du auch, dass dieses Gefühl, das viele gerade so haben, diese Unentschlossenheit, die Frage, wen wählt man, wem vertraut man. Am Ende ist das ja alles eine Frage von Vertrauen, dass das gerade nicht so richtig funktioniert. Und dann wirkte er auch selber wie jemand, der sozusagen aus der Zeit gefallen ist. Und ich habe mich letzte Nacht ewig lange mit einer wirklich spannenden These zu dem Thema beschäftigt.

Dazu will ich gleich kommen, Richard. Ich würde gerne noch einmal mit dir darüber reden, ob Harari, der gerade ein neues Buch rausgebracht hat, da geht es auch um dieses Thema. Ich weiß nicht, ob du das gesehen hast. Da gibt es ein Kapitel, der Selbstmord der Konservativen. Und ich weiß, wir hatten Christopher Clarke vor ein paar Jahren schon in der Sendung. Ein australischer Historiker, der dieses berühmte Schlafwandlerbuch geschrieben hat, also die These Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Genau, die These, wie sozusagen ganz Europa schlafwandlerisch in den Ersten Weltkrieg reingestolpert ist, ohne wirklich zu kapieren. Was man da eigentlich tut. Ganz genau. Und dann hörst du Tony Blair dieser Tage in der Zeit, der sagt, was ich im Moment jedem Politiker sage, ist, besonders denen im Westen, Achtung, wir befinden uns in einer neuen politischen Ära. Und das bedeutet, entweder bist du Disruptor, also du stürzt die Verhältnisse

um, oder die Verhältnisse werden dich umstürzen. Du musst dich aber entscheiden. So, das ist genau das, was gerade passiert. Und Harari sagt, Da ist etwas kaputt gegangen, verloren gegangen, was über Generationen hinweg funktioniert hat und sagt, demokratische Politik war immer so ein Dialog zwischen konservativen und progressiven Parteien. Progressive, also in dem Fall SPD, die Grünen und so weiter, spielen die Bedeutung von Traditionen gerne herunter.

Und dann kommt auch das, was du gerade beschrieben hast, dieser Frust, wenn man den Leuten dann sagt, da hat sich jetzt gerade so viel so schnell verändert. Stichwort Traditionen. Geht ja auch um Identität. Absolut. Das ist ja das, was die Leute wahnsinnig macht. Genau, du hast 40 Jahre was gesagt und nie hat dir einer widersprochen. Und auf einmal stehst du am Schämlichpranger.

Und das ist für viele Leute einfach dann unnachvollziehbar und denken, wieso haben sich die Koordinaten in dieser Gesellschaft so verändert? Ich habe sie doch gar nicht verändern wollen. Wieso zählt meine Stimme in diesem Konzert nicht mehr? Warum darf ich das nicht mehr denken, was ich früher noch ganz normal denken durfte? Und wer maßt sich eigentlich an, mir das zu verbieten? Das ist die konservative oder die trotzig konservative Gegenreaktion. Genau.

Und Harari schreibt, konservativ zu sein war eigentlich immer eher eine Frage des Tempos. Viel mehr des Tempos als der Politik. Also Konservative sind gar nicht so sehr einer bestimmten Religion oder Ideologie verpflichtet, Sondern wollen eigentlich das bewahren, was da ist und dafür sorgen, dass es mehr oder weniger gut funktioniert. Und sagt, konservative Polen sind katholisch und konservative Schweden sind protestantisch und konservative Indonesier sind Muslime und konservative Thais

sind Buddhisten. Und im zaristischen Russland bedeutet konservativ zu sein, den Zaren zu unterstützen. Und in der Sowjetunion der 80er bedeutet konservativ zu sein, die alten kommunistischen Traditionen zu unterstützen. Und dafür Glasnost, Perestroika, Demokratisierung abzulehnen. Und dann hast du plötzlich diese Bewegung weltweit.

Und ich habe das das erste Mal 2016 in Amerika wirklich gespürt, Wie plötzlich diese konservativen Parteien, die Republikaner, werden dann plötzlich gekapert von Nicht-Konservativen wie Donald Trump und werden radikalisiert. Und das beginnt ja schon früher mit der Tea Party, mit Sarah Palin, die mittlerweile wieder in den Untiefen von Alaska verschwunden ist, aber die diesen Geist entscheidend mit aus der Flasche gelassen hat.

Und du siehst plötzlich, dass sozusagen, also der eigentliche Reflex hätte ja sein müssen zu sagen, wir müssen jetzt bitte alles dafür tun, um bestehende Institutionen, Traditionen und so weiter zu bewahren. Aber stattdessen steht plötzlich ein halbes Land diesen Institutionen höchst misstrauisch gegenüber. Du lehnst alles ab. Den Respekt, ich meine, denkt mal darüber nach, wie oft wir in den letzten Jahren Polizeiberichte oder Hör der Gewerkschaft der Polizei zu hatten.

In denen die Rede davon ist, Rede mit Sanitätern, Krankenwagen, dass sie angegriffen werden. Kein Respekt mehr gegenüber Autoritäten, Wissenschaftlern gegenüber, Stichwort Corona. Alles wird in Zweifel gezogen. Beamten gegenüber, anderen Eliten gegenüber. Weißt du, dass das eigentlich eine logische Entwicklung der Demokratie ist? Das ist kein Unfall. Die Demokratie sagt den Menschen, ihr seid gleich. Wir bauen die alten Hierarchien ab und so weiter und damit natürlich auch den

Respekt vor Autoritäten. Genau. Ja und das ist ja natürlich ist die Demokratie eine wunderbare Sache und jeder, dass jeder die gleichen Rechte hat, natürlich gleiche Recht auf Meinungsfreiheit und sich äußern darf und so weiter und seine Meinungen haben und die sozialen Netzwerke haben die Meinungen ja nochmal enorm im Wortsinne demokratisiert.

Das Volk kann überall seine Stimme sozusagen äußern und man muss jetzt hier nicht mehr durch die Gatekeeper hindurch und von irgendeiner Zeitung oder irgendeiner Rundfunkanstalt eingeladen werden oder befragt werden und so weiter. Und diese Demokratisierung auf der einen Seite ist ja eine total positive Entwicklung, aber auf der anderen Seite tritt damit genau der Effekt ein, den du gemacht hast. Im Grunde wird alles nivelliert. Alles ist am Ende nur noch Meinung.

Also nicht Wissen gegen Meinung, sondern alles wird auf die Ebene von Meinung eingedampft. Alles wird prinzipiell gleichrangig. Und was auch noch dazu gekommen ist, und das ist auch Büchse der Pandora gewesen, ist, es reicht, dass ich fühle, dass es richtig ist. Richtig. Ja, wir leben ja heute in einer Kultur, in der Gefühle eine enorme Bedeutung haben und auch respektiert werden.

Wir fragen ja auch unsere Kinder nach unserem Gefühl, wie fühlst du dich dabei und fühlt sich das gut an für dich und so. Eigentlich auch eine schöne Entwicklung. Aber die Kehrseite des Ganzen ist, dass Gefühle ausreichen, um zu absoluten Gewissheiten und Sicherheiten zu kommen. Dass sie sozusagen die letzte Instanz für die Wahrheitsfindung sind.

Und da können Leute mit noch so viel empirischem Material oder logischen Beweisen kommen oder so, interessiert mich nicht mehr, für mich fühlt sich das aber so an. Und die Ermächtigung jedes Einzelnen zum Urteilsbefähigten erodiert traditionelle Herrschaftsstrukturen, aber damit eben auch Gesellschaftsstrukturen.

So, und das ist genau dieser noch größere Kontext, Richard, über den ich mit dir sprechen wollte und der mich letzte Nacht wirklich wachgehalten hat, bis vier Uhr morgens gelesen, in mal wieder dem Buch von Justus Bender. Über das wir letzte Woche schon gesprochen haben. Was will die AfD? Die Kernthese, und damit habe ich mich so lange beschäftigt, ist, die Kernthese ist Tyrannei.

Autoritäres kommt fast zwangsläufig aus einer sich immer weiterentwickelnden Demokratie, weil sozusagen Demokratie irgendwann eine völlig übertriebene Freiheit ist, die fast zwangsläufig in strenge, wilde Knechtschaft führt. Und das Interessante ist, Richard, das schreibt nicht er, das geht direkt zurück zu Platon, also mit anderen Worten, in einer Demokratie.

Und das ist exakt das, was du gerade beschrieben hast und worüber wir vorhin auch geredet haben, dieses immer weiter in Frage stellen von Autoritäten. In einer Demokratie, in der die Bürger einen immer größeren Freiheitsdrang empfinden. Wird sich dieser Freiheitsdrang irgendwann gegen alle Autoritäten wenden, gegen jede Form von Obrigkeit, der in irgendeiner Form Gefolgschaft einen fordert. Und genau das hast du bei Corona gesehen. Genau das siehst du jetzt wieder.

Das hast du eigentlich schon vor dem Auftreten der AfD bei Stuttgart 21 gesehen. Du erinnerst dich an die Zeit, da haben wir ganz viel über Wutbürger gesprochen.

Über Wutbürger schreibt Platon schon vor 2400 Jahren und es führt eine direkte Linie sozusagen zu Bürgern, die Medien dann plötzlich Lügenpresse nennen, dann kommt der böse Staatsfunk, die etablierte Parteien als Altparteien ablehnen und beschimpfen, die große Kirchen ablehnen, die Entscheidungen von Schulbehörden, von Baubehörden, der Europäischen Kommission, der NATO, der Bundesregierung und so weiter ablehnen, die Urteile von Verwaltungsgerichten anzweifeln.

Statistiken, ja, alles gefälscht von Polizeibehörden, Entscheidungen der Zentralbank, ja, sie werden sprechen, so beschreibt das Justus Bender, von Diktatur, von Oligarchie und sie werden immer nur eines fordern, Freiheit von dieser unerträglichen Bevormundung und der Sacklung, genau das ist der Grund, warum viele rechtspopulistische Parteien, sehr interessant, das Wort Freiheit sogar in ihrem Parteinamen tragen.

Das ist wirklich unglaublich spannend, das mal zu durchdenken Und er beschreibt, wie er jahrelang die AfD sich genau anschaut, hunderte Gespräche mit Vertretern dieser Partei führt und so weiter und immer wieder versucht zu verstehen. Wer sind die eigentlich? Was ist eigentlich die DNA? Und es geht gar nicht, das verstehst du dann auch schnell, so sehr und vordergründig um die AfD, sondern es geht darum zu verstehen, was ist das eigentlich für eine Bewegung, die da gerade weltweit entsteht?

Und er sagt dann, was er plötzlich anfing, alles nicht mehr zu glauben. Ganz viele Thesen. Eine These ist ja, dass die maßgeblich von evangelikalen Christen unterwandert sind. Auch die AfD oder die Republikaner in Amerika. Er sagt... Du brauchst keine Verschwörungstheorien dieser Art. Selbst wenn die Evangelikalen da eine Rolle spielen, aber du kommst nicht aus der Nummer raus, indem du einen externen Sündenbock dafür verantwortlich machst,

der da irgendwo seine Finger mit im Spiel hat. So, zweite These. Hat die NPD etwas mit der AfD zu tun? Er sagt nein, weil die NPD ist seiner Meinung nach eine Partei, die immer eine explizite Sehnsucht nach einer Diktatur hatte. Die AfD dagegen will für die Befreiung von vermeintlichen Tyrannen wie der EZB, der Bundeskanzlerin, der bösen Lügenpresse, den Staatsmedien und so weiter kämpfen. Das ist eine ganz, ganz andere Geschichte.

Er sagt auch, die AfD, die will eigentlich, also deren Mitglieder, das ist sozusagen das, was er in hunderten Gesprächen für sich da rausgezogen hat, die wollen eigentlich keine Katastrophe für Deutschland, sondern die glauben daran, dass die Deutschen von einer Unterjochung befreit werden müssen. Und in dieser Logik sozusagen sind die deutschen Faschisten mindestens genauso diktatorisch wie das verhasste Direktorium der EZB oder Merkel und so weiter.

Das heißt, er sagt, die ganzen gängigen Narrative funktionieren eigentlich nicht. Er glaubt auch nicht zum Beispiel daran, dass die Gleichzeitigkeit, mit der diese Bewegungen weltweit kommen, etwas mit Globalisierung wirklich zu tun haben. Er sagt, manche weiße Amerikaner, die im Wahlkampf Trump unterstützt haben, das war auch immer meine These. Sind natürlich wahnsinnig frustriert und da ist auch ein Fundus an Wählern.

Weil der Arbeiter in Ohio, der seinen Job verloren hat, weil seine Stahlfabrik nach China verlagert wird und so weiter. Und er sagt, es stimmt natürlich auch, dass eine gewisse Bevölkerungsschicht in Deutschland sehr schwer kämpft, ja, aber... Trotzdem reden wir eigentlich über eine vergleichsweise wirtschaftlich stabile Gesamtlage, in der der Aufstieg dieser Partei beginnt. Und er sagt, gleichzeitig treffe ich dann aber Leute wie Jörg Meuthen. Das ist ein Professor.

Ich treffe Leute wie Frauke Petri. Das Buch ist 2017 geschrieben. Das ist wichtig, das zu verstehen. Das war sozusagen vor dieser sehr deutlich zu spürenden Radikalisierung der AfD. Er sagt, ich treffe Leute wie Frauke Petry mit lauter Top-Abschlüssen, die in England studiert hat und so weiter. Eine wirklich gescheite Frau. Jörg Meuthen ist ein gescheiter Mann. Das sind keine Verlierer, sondern das sind Leute, die offensichtlich etwas anderes suchen.

Und er sagt auch, und das ist der letzte Gedanke dazu, er glaubt auch nicht, weil wir gerade so viel über Elon Musk sprechen. Was ist die Faszination der AfD für Elon Musk? Und damit dann immer gesagt, ja, es ist dieses ganze Libertäre, sind diese libertären Typen, die den Staat total verachten. Er sagt, die AfD ist im Kern eine Partei, die will den starken Staat, die will nicht den Staat abschaffen. Ja, und das ist der Widerspruch.

Also ich habe im Spiegel ein Essay geschrieben vor einigen Jahren. Cowboy-Kitsch heißt der. Und da habe ich gesagt, die AfD besteht aus zwei Zutaten, die nicht zusammenpassen. Das eine ist das Libertäre, was du gerade beschrieben hast. My Pony, My Rifle and Me, wie Dean Martin in Rio Bravo singt. Das ist sozusagen der Cowboy, der nichts braucht über sich, der sein Pony braucht, also sein Pferd braucht, seine Knarre.

Und damit ist er völlig glücklich und zufrieden und er braucht keinen Staat und er muss keine Steuern zahlen und niemand hat ihn rein zu quatschen, wie er sein Leben zu leben hat. Also das ist sozusagen der Palio-Dibetarismus. So, das ist auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite gibt es genau die Vorstellung, Law and Order, der starke Staat, der starke funktionierende Staat, die Rückkehr zu ganz klar definierten Strukturen.

Ja, zum Beispiel eine Familie ist eine Familie und eine Familie besteht aus Mann und Frau. Ja, also klassische, super konservative Vorstellungen. So, das sind ja wiederum Vorstellungen, die den Menschen durchaus sagen, wie sie zu leben haben. Die sind ja gar nicht libertär, genau im Gegenteil. Die wollen eine gewisse freiheitliche Entwicklung in unserer Gesellschaft wieder zurückdringen und sagen, hier haben wir über die Stränge geschlagen.

Das heißt gemeint ist sozusagen eine totale Entfaltung der Freiheit unter ganz streng vorgegebenen Normen, nämlich wie es immer schon gewesen ist und wie es in den letzten 20, 30 Jahren kaputt gegangen ist. Und diese beiden Zutaten, die autoritäre AfD, die durchgreift, die den starken Staat haben will und die libertäre AfD auf der anderen Seite, so nach dem Motto, lasst doch die Leute leben und reden, wie sie wollen und haltet euch raus, das sind zwei Komponenten, die nicht zusammenpassen.

Aber beide ziehen Wähler. Genau. Und das Interessante ist, wie Justus Bender das beschreibt und sagt, ich habe all diese Fragen mir, genauso wie du offensichtlich auch, all die Jahre gestellt. Und dann stolpert er irgendwann über einen Text im New York Magazine von einem Autor namens Andrew Sullivan. Und der schreibt dort natürlich nicht über die AfD, der schreibt über Donald Trump.

Und er sagt, auf einmal, ich lese die ersten Zeilen und auf einmal dreht sich alles an Theorien in meinem Kopf noch einmal um die eigene Achse. Und plötzlich setzt sich das Ganze zu einem Gefüge zusammen. Und es scheint wie die langgesuchte Lösung für ein sehr kompliziertes Rätsel. Und er sagt, Sullivan erwähnt nur einen einzigen Namen, nämlich Platon. Und geht in dem Text um ein Buch, das du mit Sicherheit gelesen hast, Der Staat.

Das Hauptwerk von Platon? Hauptwerk von Platon, so genau, Politeia, genau. Und Bender schreibt, es ist eine verstörende Lektüre. Und zwar nicht so sehr, weil Platon dort beschreibt, wie eine Demokratie scheitern kann, sondern weil dieser Mann vor 2400 Jahren ein Szenario beschreibt, das schmerzhaft genau dem Zustand der Demokratie in der Bundesrepublik und in der gesamten westlichen Hemisphäre entspricht. Und dann kommt genau dieser Punkt.

Wie entsteht eine Tyrannei? Die Tyrannei entsteht zwangsläufig aus einer Demokratie. Nämlich dann, wenn man es sozusagen mit der Freiheit übertreibt. Wenn dann plötzlich jeder das Gefühl hat, genau das, was du vorhin beschrieben hast, diese Hyperindividualisierung, die irgendwann dazu führt, dass du sagst, pass auf, ich akzeptiere nichts mehr, weil es geht hier um mein individuelles Glück. Und meine Freiheit steht absolut über allem. Mit Betonung auf meine Freiheit.

Nicht deine Freiheit, nicht die Freiheit eines Landes. Meine persönliche Freiheit steht sozusagen über allem. Genau, und das ist der Kerngedanke des Konservativismus ist, wenn jeder nur mit seiner Freiheit beschäftigt ist, geht die Gesellschaft den Bach runter. Aus diesem Geist ist das konservative Denkmal entstanden. Und zwar als Gegenreaktion auf die französische Revolution. In Form von Edmund Burke in England, eigentlich ihre, und ein hohes Mitglied

der Regierung. und des Vicomte de Bonnald, der im Schweizer Exil ein Buch über die französische Revolution schreibt. Und die Kritik der Konservativen ist genau die, also wenn jeder jetzt Rechte kriegt, das muss man natürlich sagen in der damaligen Zeit, und jeder dann Ansprüche entwickelt, dann wird das Gemeinwesen auf die Dauer nicht mehr funktionieren können. Jetzt müssen wir ja sagen, was für ein Blödsinn, gucken wir uns doch mal die

Erfolgsgeschichte der liberalen Demokratien an. Ja, da haben auch die Frauen dann ihre Rechte gekriegt und die Rechte der Minderheiten und siehe da, es hat doch alles bis vor kurzem wunderbar funktioniert. Ja, aber jetzt gucken wir ganz, ganz genau hin und gucken uns die Sollbruchstellen an und da sehen wir, dass die Konservativen da immer den Finger draufgelegt haben und gesagt, ja, aber wenn das alles übertrieben wird, dann bricht und bröckelt das alles irgendwann auch wieder auseinander.

Und dieses Gefühl, das trifft im Augenblick sehr die Lage der Zeit und auch das, was viele Menschen glauben. Also irgendwie, wir haben es mit unserer Demokratie übertrieben. Ja, mit der Freiheit. Und dann kommt eben genau das Phänomen, dass eine Partei kommt, die auf der einen Seite sagt, wir sind völlig undemokratisch. Nämlich die AfD, die das sagt. Wir sind gar nicht weit genug mit unserer Demokratie. Und auf der anderen Seite die Vorstellung der Konservativen von einem ordentlichen

und geregelten Staat einführt. Also eigentlich eine Partei, die ein kompletter Widerspruch in sich ist, aber zwei verschiedene Gefühlsregungen, die ganz viele Leute haben. Dass es hier freiheitsmäßig nicht mit rechten Dingen zugeht auf der einen Seite und auf der anderen Seite, dass es früher besser war und dass wir wieder klare und feste Strukturen brauchen.

Das ist im Grunde genommen etwas, das trifft das Gefühl sehr vieler Menschen und zwar nicht nur der Menschen, die die AfD wählen, sondern das ist wirklich ein Gefühl, was ganz viele Menschen heute haben. Ja, und es gibt auch sozusagen die Verstörung auf der anderen Seite, auch das in diesen Tagen immer wieder zu besichtigen. Wenn immer du einen AfD-Vertreter mit rechten, harten Parolen konfrontierst. Erntest du vor allen Dingen eins, absolutes Unverständnis.

Die fühlen sich vollkommen unverstanden und völlig zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt. Dann weise ich wieder auf Texte von Björn Höcke hin, die ganz ekelhaft sind und dann über Volkskörper sprechen und Teile dieses Volkskörpers, die absterben müssen und all diese Dinge.

Das heißt, da ist etwas passiert. Aber was bei dieser ganzen Diskussion natürlich jetzt nicht beleuchtet wird, ist, wenn wir über die Migrationsdebatte reden, ja, dann sind auch wir dafür, dass straffällig gewordene Migranten möglichst schnell wieder aus Deutschland rausgebracht werden.

Wir sind auch dagegen, wie die EU das regelt, dass man erstmal ein halbes Jahr hier ist und dann wird in aller Ruhe geprüft, ob jemand da bleiben darf und so weiter, dass das schlechte Gesetze sind, dass wir auch Grenzkontrollen brauchen. Über all diese Sachen können wir uns ja sehr schnell einigen. Aber wenn ich mit Leuten rede, von denen ich wirklich weiß, die sind richtig rechts, die haben einen anderen Zungenschlag, wenn die darüber reden.

Die sagen nicht, wir haben das und das Problem und das müssen wir lösen, sondern die reden über Migranten kollektiv, ohne Abstufung von und ob straffällig geworden oder nicht, in einem Zungenschlag, der absolut abwertend ist. Und da kommt jetzt eine ganz wichtige Linie und da kommt das richtig Rechtssein. Das ist dann so der latente oder klar ausgesprochene Rassismus.

Und das gibt einen großen Unterschied, ob ich jetzt habe, ich habe eine Sorge um das Land und ich muss das Problem lösen, dass ich zu viele Menschen aufgenommen habe, die nicht hier sein sollten, zu viele, die straffällig werden auf der einen Seite. Aber dieses grundsätzliche, unterschwellige Ablehnen, das ist ja nur nochmal ein ganz, ganz großer Unterschied. Und diese Strömungen findest du in der AfD und die findest du auch nicht zu knapp.

Ich sage nicht, jeder, der in der AfD ist, sieht das so, aber das ist stark und das wird auch in der AfD toleriert. Richtig. Und das macht es den etablierten Parteien immer noch leicht zu sagen, das sind doch Nazis. Ja und es macht es auch so wahnsinnig schwer, einen vernünftigen Umgang damit zu finden. Wir hatten in dieser Woche Tino Coppola zu Gast und ich konfrontiere ihn mit diesen wirklich ekelhaften Sätzen von Höcke aus seinem Buch von 2018.

Und ich meine, was wäre einfacher als zu sagen, ich distanziere mich davon. Er tut es aber nicht. Er tut es nicht. Er sagt, nein, ich bin nicht verantwortlich für irgendetwas, was jemand anderer aus meiner Partei schreibt. Das ist der Standardsatz. Aber ich glaube, im Augenblick sammelt die AfD einfach jeden ein, den sie kriegen kann. Aber ich denke, wenn sie stärker werden wird, dann wird eines Tages der Marine Le Pen Effekt eintreten.

Also wenn es eine reale Chance für Alice Weidel gibt, Bundeskanzlerin zu werden, dann werden die gegen die echten Nazis, die sie in ihrer Partei haben, einschließlich Björn Höcke, vorgehen.

Das ist für sie jetzt noch zu früh, weil sie jetzt von jedem nehmen, den sie kriegen können und weil sie im Wachstum begriffen sind, aber auf einem bestimmten Punkt, wenn es ganz ernst wird mit der Regierungsverantwortung, bin ich ziemlich sicher, dass man versuchen wird, diese Leute loszuwerden, weil die werden einen dauerhaft daran hindern, tatsächlich politisch an die Macht zu kommen. Aber ich würde noch mal gerne, Richard, zum Schluss mit dir noch mal über diese These sprechen.

Also hältst du das für stringent in der Argumentation, dass man sagt, Platon. Der Freiheitsrausch, der sozusagen irgendwann autoritäre Züge annimmt. Also man muss sagen, Platon selber war ein starker Kritiker der attischen Demokratie. Die attische Demokratie funktionierte nie gut. Und das einzige Mal, wo man sagt, das war aber jetzt hier die große und goldene Zeit Athens, da hatten sie einen nahezu autokratischen Führer namens Perikles.

Der zwar demokratisch an die Macht gekommen ist, der aber eine Machtfülle besaß, wie die Demokratie sie nicht vorgesehen hat. Das war quasi die Sonnenzeit Athens. Und in der restlichen Zeit gab es immer wieder Phasen, wo es Volkstribunen gab, die an die Macht kamen. Und es war ein einziges Auf und Ab. Und die Leute bezahlten auch Leute dafür, dass der politische Gegner denunziert wurde.

Ja und man muss sich mal überlegen, im alten Athen musste sich ja nicht die ganze Bevölkerung auf irgendwas einigen, sondern nur die reichen, freien Männer Athens. Die Frauen waren da nicht drin, die Sklaven waren da nicht drin, die ganzen Ausländer, die da arbeiteten, waren da nicht drin. Das war eine ganz kleine privilegierte Schicht. Und schon die haben es eigentlich nie geschafft, vernünftig zusammenzuarbeiten.

Und in der Zeit, als die große griechische Philosophie entsteht, also Platon und Aristoteles, lag die attische Demokratie in Scherben. Und die Politeia ist nicht nur eine Abrechnung damit zu sagen, was in der Demokratie nicht funktioniert, sondern der Entwurf eines Gegenmodells.

Das ist der umfangreichste Dialog, den Platon geschrieben hat, quasi ein 300 Seitenbuch und dann wird da ausführlich erzählt, wie könnte denn ein idealer Staat oder ein idealer Stadtstaat, das war damals das gleiche, Athen war ja ein Stadtstaat, genannt Kalipolis, die schöne Stadt eigentlich aussehen. Und was dann von Platon entworfen wird, das ist im Grunde genommen sowas wie eine sozialistische Diktatur.

Auch Platon selber wollte dann eine harte und rigide Form, völlig durchstrukturiert, indem die ganze Kontingenz, also all das Zufällige, all das Unkontrollierte und so weiter nicht mehr da ist. Die Kinder sollten frühzeitig von ihren Müttern weggenommen werden, weil die Mütter sie zu Egoisten erziehen und natürlich ihre eigenen Kinder, die Kinder anderer Leute vorziehen. So bekommen die Kinder keinen Gemeinsinn, also sollen sie in die Obhut des Staates.

Das sind eigentlich genauso die Vorstellungen, wie sie im real existierenden Sozialismus dann tatsächlich praktiziert worden ist. Und man sieht, ich meine, man muss eins immer dazu sagen, das ist auch ganz wichtig zur Ehrenrettung Platons. Seine platonischen Dialoge, die sind nicht geschrieben worden nach dem Motto, das ist hier absolut meine Meinung, sondern er lässt mehrere Leute miteinander diskutieren und dann wird dieser Vorschlag gemacht, wie wäre es denn damit.

Und dann hat der gleiche Platon später in Nommoi, in den Gesetzen. Wieder einen Idealstaat konstruieren lassen namens Magnesia und da geht es schon sehr viel liberaler zu. Man muss jeden platonischen Dialog als Gedankenspiel verstehen. Ja, genau. Und nicht als endgültige Wahrheiten, die eins zu eins die Meinung von Platon wiedergeben. Das muss man zur Ehrenrettung sagen, weil Platon war ja wirklich ein Fuchs, ein kluger Mensch.

Unfassbar. Aber wichtig ist, dass sowohl Platon wie auch Aristoteles, der etwas liberaler da war als Platon, den Glauben an die Demokratie verloren hatten. Nach 70 Jahren Demokratie war das ganze Ding so morsch, so ausgehöhlt, so korrupt, so verfault, dass man gesagt hat, mit Demokratie geht es nicht weiter. Das heißt, die beiden größten Geister quasi der klassischen Antike haben sich von der Demokratie abgekehrt aufgrund der schlechten Erfahrungen.

Ja, und das Interessante ist, der beschreibt darin, und deswegen geht es dir so kalt den Rücken runter, wie eine Demokratie immer liberaler wird. Je länger sie dauert, umso liberaler. Wie jede Minderheit, überleg mal die Wortwahl, jede Minderheit immer stärker zu ihren Rechten kommt. Ich meine, exakt das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Was ja eigentlich noch mal eine gute Sache ist. Ja, aber Probleme mit sich bringt,

auf die die liberalen Gesellschaften keine Antworten haben. Pass auf, es gibt eine Stelle, die ich wirklich irre finde. Nochmal ganz kurz zum Schluss, Richard, weil wir auch häufig über die Frage reden, welches Vorbild sind wir eigentlich für unsere Kinder? Was leben wir denn eigentlich vor? Und er beschreibt auch, das ist wirklich spannend. Bezeichnenderweise Dinge, die sich sozusagen unter Menschen verändern, in den Beziehungen verändern. Er sagt, wenn ein Vater sich gewöhnt,

2.400 Jahre alter Text. Pass auf. Ein Vater sich gewöhnt, dem Knaben ähnlich zu werden und sich also vor den erwachsenen Söhnen zu fürchten und ein Sohn dem Vater, also die Eltern, weder zu scheuen noch bange vor ihnen zu sein, beibringt, damit der Recht frei sei, dann ist das sozusagen eine ungute Entwicklung. Ich meine, anti-autoritäre Erziehung, das ist exakt der Erziehungsstil, den du jetzt, du könntest mit ganzen Paketen von Lifestyle-Zeitschriften wedeln, so beschreibt das Justus Bender.

In denen seit Jahren von diesen ewig jung bleibenden Eltern die Rede ist und von Kindern, die gefragt werden, anstatt dass man ihnen etwas sagt und so weiter. Und man könnte auf die Empörung verweisen, die Erziehungsratgeber heute auslösen, die mal striktere Methoden angemahnt haben und so weiter, die vor Jahrzehnten noch Gang und Gäbe waren und so weiter. Und das gilt laut Sokrates, auch das wirklich unfassbar, 2400 Jahre alt für

Schulen. Der Lehrer zittert in einem solchen Zustande vor seinen Zuhörern und Schülern und schmeichelt ihnen. Die Zuhörer aber machen sich nichts aus den Lehrern und so auch aus den Aufsehern. Das ist exakt das Verhältnis zwischen Jungen und Alten, das du da heute zum Teil hast.

Und es gibt einen Abschnitt, in dem man auch über diesen fehlenden Respekt spricht, den das möglicherweise irgendwann mal zur Folge hat und man muss sich immer klar machen, es ist alles ein Gedankenspiel, wie du es ja gerade erklärt hast. Der nimmt sozusagen, und darin besteht diese Klugheit, etwas vorweg, was dann 2400 Jahre später tatsächlich eintreten wird. Und es gibt einen Satz, und den noch ganz zum Schluss zitiert. Der alles auf einen Punkt bringt. Die Summe.

Von diesem allem, wenn man das alles zusammenrechnet, merkst du wohl, wie zart nämlich dadurch die Seele der Bürger wird, sodass, wenn ihnen einer auch noch so wenig Zwang auflegen will, sie gleich unwillig werden und es gar nicht vertragen. Das musst du mal genau lesen. Das ist sozusagen exakt das, was wir gerade erleben. Die kleinste Zumutung ist sofort die ultimative Einschränkung der Freiheit.

Ja, also die entscheidende Pointe besteht ja nicht darin, dass wir die Freiheit, die wir errungen haben, für möglichst viele der Idee nach alle Menschen rückgängig machen, sondern dass das nur funktioniert, wenn wir parallel dazu die Resilienz der Menschen stärken. Genau. Ja, also nur wenn wir resilient genug sind, mit Widerspruch, mit Niederlagen, auch mal mit Anerkennungsdefiziten gut zu leben, nur dann unter diesen Bedingungen ist eine Demokratie zukunftszauglich.

Ja, wenn wir aber diese Befindlichkeitsrevolution, die wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, wenn wir die immer weiter treiben, ja, und wenn wir gleichzeitig schon unsere Kinder von allem fernhalten, was in irgendeiner Form, ja, Widerstand und Gegendruck ist, dann werden wir tatsächlich, ob dieser von Platon schon vor 2500 Jahren beschriebenen Zustände in eine Unregierbarkeit reinkommen. Und daran wird auch nicht die eine oder die andere Partei etwas ändern.

Das heißt also, wir haben ganz interessante, strukturelle, hausgemachte Probleme der Demokratie zu bewältigen. Und das ist diesmal nicht die Fremdeinmischung, das sind nicht die bösen Autokraten von außen, das ist auch nicht Elon Musk, sondern das ist eine Struktur, die aus unseren Gesellschaften selbst hervorgeht. Das meinte ich und das wollte ich mal mit dir ein bisschen ergründen.

Im Grunde ist es die Aufforderung, seid um Himmels Willen nicht so sensibel, seid nicht so empfindlich, wie du sagst, resilient. Mutet euch und anderen auch mal etwas zu. Ich finde das super, dass wir das mal thematisiert haben, weil ich glaube, das kommt viel zu kurz.

Also wir sind viel zu sehr auf der Suche nach Schuldigen, seien es Parteien, seien es Einzelpersonen, seien es Mächte und viel zu wenig damit beschäftigt, mal die Mechanismen zu ergründen, die uns in eine gewisse gesellschaftliche Misere gebracht haben. Deswegen danke Platon und danke dir, Richard. Ja, ich danke dir, Markus. Wirklich guten Austausch. Danke dir ganz herzlich. Wir hören uns nächste Woche, Richard. Bis dann. Tschüss. Music.

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