AUSGABE 171 (Die Ungleichzeitigkeit in Europa) - podcast episode cover

AUSGABE 171 (Die Ungleichzeitigkeit in Europa)

Dec 13, 202454 min
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Syrer jubeln weltweit, Assads Terrorsystem ist implodiert. Aber wohin wird die Entwicklung gehen? Klar scheint bisher nur, ein demokratisches System nach europäischem Vorbild liegt noch in weiter Ferne. Anders in Georgien. Dort gehen Tausende mit der Europaflagge auf die Straßen. Sie fordern die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Aber kann Europa diese Erwartung erfüllen? Das fragt sich Markus Lanz. Eine ganz „eigenartige Ungleichzeitigkeit“ können wir gerade beobachten, erwidert Richard David Precht, denn zugleich nehmen in der EU die Zahl ihrer Kritiker zu. „Europa kann sterben“ resümiert der französischen Präsident Emmanuel Macron, einer der letzten großen Europäer. Aber ist er das wirklich oder folgt auch Macron nur seinen nationale Interessen?

Transcript

Music. Schönen guten Morgen Richard. Guten Morgen Markus. Ich muss ehrlich zugeben und ich vermute dir geht es genauso, ich bin immer noch völlig gefesselt von diesen Bildern und den Nachrichten aus Syrien, insbesondere aus diesen Folterkellern in Damaskus.

Wir sollten nächste Woche, finde ich, wenn du einverstanden bist, mal ausführlicher darüber sprechen, warum Diktaturen einerseits in atemberaubender Geschwindigkeit kippen und auf der anderen Seite aber dann doch auch so resilient sind, so unglaublich widerstandsfähig. Ich würde aber gerne in dieser Woche, Richard, mit dir über Europa sprechen. Und das ist so ein Thema, da wenden sich viele ab und sagen, Europa interessiert keinen Menschen.

Wenn man mal genauer hinguckt, gibt es gerade kaum ein spannenderes Thema als die Frage, was ist dieses Europa, wer wollen wir sein, was wird aus diesem Europa und wer Europa ein bisschen verstehen will oder kapieren will, was da gerade passiert, der muss, finde ich, auf seine Ränder schauen. Du siehst die Situation in Georgien. Da gehen Zehntausende auf die Straße, weil sie zur Europäischen Union gehören wollen. Wir sehen Demonstranten, die verletzt werden, die in Gefängnissen sitzen.

Wir sehen die Europa-Flagge, die sie sich sozusagen um ihre Mützen binden und so weiter. Und es sieht so aus, als wäre da sozusagen ein ganzes Volk beseelt von dem dringenden Wunsch, nach Europa zu kommen. Und ich sehe das und es kann nicht anders sein, als an Moldawien zu denken, an die Situation beispielsweise in Kischenau. Genau dort habe ich das gesehen. Ich denke immer, Obacht, Obacht, was machen wir hier eigentlich gerade? Was machen wir gerade für Versprechungen?

Wir deuten an, tun so, ja, wir holen euch alle in die EU und dann sind wir eine große glückliche Familie. Ein Versprechen, von dem alle, die sich ein bisschen intensiver damit beschäftigen, wissen, die heute schon wissen, das können wir in nah und in mittlerer und auch in ferner Zukunft niemals einlösen. Das heißt, wir produzieren riesige Enttäuschungen. Und gleichzeitig fliegt uns gerade unser eigener Laden um die Ohren.

Wir haben zwei kranke Männer in Europa, Frankreich und Deutschland, politisch praktisch handlungsunfähig, geopolitisch in dieser Situation absolut desaströs. Das ist die Situation, in der wir gerade sind. Was geht dir durch den Kopf, wenn du dieser Tage über Europa nachdenkst? Du beschäftigst dich ja auch in der Sendung immer wieder damit. Ja, mir geht ziemlich genau das Gleiche durch den Kopf wie dir auch.

Ich sehe die Bilder aus Georgien und ich denke mir immer, wenn ich ein junger Georgier wäre, dann wäre ich sicher dabei bei der Demonstration. Dann hätte ich auch Hoffnungen darauf, dass ein Beitritt zur EU und eine Westintegration und so weiter mein Leben deutlich verbessern würde. Gleichzeitig denke ich immer die ganze Zeit, wir nehmen die doch sowieso nicht auf. Warum erzählen wir denen das?

Wir haben so dermaßen große Probleme und wir müssen so damit rechnen, dass uns der ganze Laden, also die Europäische Union auseinanderfliegt, dass wir nun überhaupt nicht darüber nachdenken können, Länder aufzunehmen, in denen die Haltung zu Europa, wie man ja ganz ehrlich sein muss, gespalten ist. Das ist in Waldawien so, das ist in Georgien so, das ist ja nicht die ganze Bevölkerung, die jetzt in die Europäische Union möchte.

Und wenn man ein solches Land dann im Zweifelsfall aufnehmen würde, dann reicht ein ganz kleiner Windstoß und die Stimmung kippt in dem jeweiligen Land, wenn sich Hoffnungen nicht erfüllen. Ja, und dann hat man ein Land in der Europäischen Union, bei der die Mehrheit Europa ablehnt. So, und das große Problem ist, wir sind ja dabei, im Kern Europa auch solche Länder zu bekommen. Ja, in dem also die Stimmung immer stärker gegen Europa geht.

Und deswegen werden wir weder die Ukraine noch Moldawien noch Georgien in absehbarer Zeit, du hast das gesagt, in die Europäische Union aufnehmen können. Egal, ob wir das nun wollen oder davon träumen oder ob die Menschen dort davon träumen. Es wird mit... Ziemlicher Sicherheit nicht passieren. Und dann ist es sehr fahrlässig, mit einem Preis zu winken, den man am Ende nicht bekommt. Und ich frage mich auch, ob wir nicht aufhören sollten, das zu tun.

Ja, also ich frage mich manchmal, wie unglaublich leichtfertig wir da eigentlich sind. Also auch dieses geraune Bezug auf die Ukraine zum Beispiel. EU-Beitritt, klar, machen wir jetzt in irgendeiner Form. Das ist das Gefühl, das wir verströmen. Keiner sagt, wir Wir machen das in einer ganz bestimmten Zeit. Aber das Gefühl, das wir im Land wecken, ist, wir holen euch in die EU. Ihr gehört zu uns und wir holen euch.

Und wenn man sich mal klar macht, ich meine, vor dem Krieg war die Ukraine ein Land, das so tief korrupt war, dass ein EU-Beitritt nicht ansatzweise denkbar war. Ein Land in der Hand weniger Oligarchen, eine richtige harte Oligarchie. Wenn man sich anschaut, wer der Mann hinter dem Aufstieg von Zelensky war, Iho Kolomoisky, Das ist der einflussreichste, weil im Besitz von Fernsehsendern und so weiter, der einflussreichste Oligarch in der Ukraine.

Dieses Land war in der Hand weniger schwerreicher Leute und ohne Korruption ging überhaupt gar nichts. Wenn man mit Ukrainern spricht, dann sagen die das auch ganz offen. Die sagen, natürlich war das so und das einzig Gute, wenn man so will, was dieser Krieg bewirkt hat, ist, dass dieses Problem ein bisschen kleiner geworden ist. Was übrigens erstaunlich ist, denn normalerweise werden ja nun in Kriegszeiten und unter der Wucht eines Angriffskrieges ein Land sehr selten demokratischer.

Also ich weiß auch nicht, ob es jetzt wirklich tatsächlich demokratischer geworden ist oder ob nicht der eine oder andere Oligarch ist entmachtet worden. Der eine oder andere ist noch genauso mächtig, vielleicht sogar mächtiger geworden. Also wir können auch schwer sehen, ob es wirklich eine Liberalisierungsbewegung ist oder ob das Feld des Bären neu oder anders aufgeteilt worden ist. Ich glaube, das kann im Augenblick auch kein westlicher Beobachter ganz genau beurteilen.

Richtig. Aber wir wecken die Hoffnung bei den Leuten. Das andere ist die NATO. Da wird dann so in Sonntagsreden irgendwie so ganz fahrlässig davon geredet, ja, dann stehen die unter dem Schutz der NATO oder sie werden vielleicht sogar Mitglied der NATO. Und ich denke immer, um Himmels Willen, wie könnt ihr sowas erzählen? Wie könnt ihr sowas überhaupt laut denken? Und da hilft es auch nicht, wenn man dann hinterher sagt, na, wir haben ja nichts versprochen.

Aber die Erzählung ist erstmal in der Welt. Und ich denke immer, also wenn doch dieses russische Narrativ ist, wir haben Angst vor der NATO, was so natürlich glatt gelogen ist. Aber in der Propaganda und ich habe das selber auf den Straßen immer und immer wieder gehört. Es ist völlig unwichtig, ob das stimmt oder nicht. Entscheidend ist, die Leute glauben es. Ganz genau, das ist der entscheidende Punkt und mittlerweile ja auch bei uns.

Dann muss man dem doch Rechnung tragen und dann kann man doch nicht leichtfertig sagen und jetzt NATO. Wo doch in der Erzählung der russischen Propaganda und auch in der Erzählung der deutscher Politiker genau diese NATO, genau diese Idee, der vermeintliche Grund für diesen Krieg ist. Ich glaube, wir erleben gerade eine ganz große mentale Ungleichzeitigkeit.

Weißt du, das sind die Bilder der 90er Jahre oder vor allen Dingen auch der Nuller Jahre, als tatsächlich die Rede damals davon war, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Und die EU-Osterweiterung immer weiter ging, die NATO-Osterweiterung immer weiter ging und man gesagt hat, da gibt es keine natürliche Grenze, außer vielleicht dann tatsächlich Russland. Aber auch ehemalige sowjetische Staaten wie die Ukraine oder wie die Georgien.

Die gehören ja irgendwie zumindest teilweise kulturell zu uns und die gehören zu Europa und die gehören zum Westen. Und das erzählen wir so 90er Jahre, Nullerjahre, Zehnerjahre. Und gleichzeitig hat sich in unseren Ländern selber etwas ereignet. Richtig.

Ja, in unseren Ländern selber ist dieses starke Gefühl, so wie wir sind, liberale Demokratien, westlich, freiheitlich und so weiter, Mitglieder der NATO, ja, so ist das alles gut und so ist das alles richtig und so wird das alles weitergehen und nach und nach werden wir dann irgendwann all diejenigen, die sich dagegen sträuben, besiegen. Ja, und dieser Glaube ist doch völlig verloren gegangen.

Plötzlich entsteht in diesen westlichen Ländern ein wirklich eklatanter Zweifel relevanter Bevölkerungsgruppen. Also je nach Land 20, 30, 40 Prozent der Bevölkerung, die anfangen an dem Fortbestand und der Zukunft dieser liberalen Demokratien zu zweifeln. Also während wir nach außen noch so missionieren, als würden wir ganz sicher sein, die Sieger der Geschichte zu sein. Richtig. Zweifeln wir innenpolitisch inzwischen mehr und mehr daran.

Das ist eine ganz, ganz eigenartige Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung. Und ich habe ja häufig in Vorträgen schon gesagt, meistens mit China als Beispiel, die Wahrscheinlichkeit, dass China eine liberale Demokratie wird in absehbarer Zeit, ist viel geringer als die Gefahr, dass wir keine bleiben.

Und ich glaube, das wird jetzt erstmal das große Problem der nächsten zehn Jahre, wird nicht sein, wie wir Europa noch weiter vergrößern, und noch mehr Länder in unserem Einflussbereich haben, beziehungsweise zugehörig haben zu dem, was wir unter Europa als westliche Wertegemeinschaften und so weiter sehen. Sondern ich glaube, das große Problem wird darin bestehen, liberale Demokratien zu bleiben. Und wenn man sich, da wird es ja dann wirklich interessant, mal die Akteure anschaut, Richard.

Ich habe mich jetzt mal nach einem Telefonat mit Gerald Knaus, den ich wirklich sehr schätze, weil es wenige gibt, die sich in Osteuropa so gut auskennen wie er, weil er in vielen dieser Länder auch gelebt hat. Mit Gerald Knaus kannst du dich tagelang über die Ukraine unterhalten, aber auch über Georgien und anderes. Und der sagt, schaut euch mal Dr. Kobachice an, Doktor des Rechts, der aktuelle Premier Georgiens.

Das ist ein wahnsinnig interessanter Fall für psychologische Studien, könnte man sagen. Der sagt, es werden wahnsinnige Gelder ausgegeben, um unser Land zu korrumpieren, um die Ideologie des liberalen Faschismus in Georgien zu implementieren. So ein russischer Kampfbegriff. So ein richtiger russischer Kampfbegriff. Weißt du, was interessant ist in dem Zusammenhang? Dieser Mann hat 2006, ich weiß nicht, ob dir das so klar ist, deine Kemenate ist ja in Düsseldorf, Richard.

Der hat quasi vor deiner Haustür promoviert. 2006 an der Heinrich-Heine-Universität. Da war ich noch nicht in Düsseldorf, muss ich zu meiner Ehrenreizung dazu sagen. Ich hätte es nicht verhindern können. Aber überleg doch mal, jemand, der hier promoviert hat, also in Teilen auch hier studiert hat, Der sozusagen versteht, wie wir ticken, wie wir atmen, wer wir eigentlich sind. Das ist ein schlauer Typ und das ist auch das Problem dabei.

Der redet jetzt von liberalem Faschismus, den der Westen sozusagen in Georgien implementiert. Da wird mir Angst und Bange, wenn ich sowas mitkriege, weil ich denke, okay, also der kennt unser System und der hat offenbar ganz genau die weiche Flanke verstanden. Er hat ganz genau verstanden, wie schwach wir gerade sind. Der hat genau verstanden, wo das Einfallstor ist. Der hat ganz genau kapiert, wie leicht es ist, im Moment dieses Europa und unser System sozusagen zu unterwandern.

Das ist der gleiche Mechanismus, den du in Ungarn siehst. Das ist der gleiche Mechanismus, den du in Polen gesehen hast und so weiter und so weiter. Wobei man sagen muss, also dieser Begriff liberaler Faschismus, damit wir mal verstehen, wie man auf sowas kommt, das ist ja jetzt erstmal ein Widerspruch in sich. Faschistische Gesellschaften sind ja gerade dadurch charakterisiert, dass sie totalitär sind und dass sie nicht liberal sind.

Gemeint ist, Faschismus ist in der russischen Diktion ein Synonym für Imperialismus. Also damals hatte Hitler-Deutschland, das imperialistisch-faschistische Hitler-Deutschland, die Sowjetunion überfallen. Und diese Sache ist, wenn der Westen sich immer weiter ausbreitet, dann tritt er quasi in die Schwuren Hitlers, in dem Versuch mit seiner Ideologie und seiner Weltanschauung sich Russland untertan zu machen.

Das ist sozusagen der geistige Hintergrund, vor dem ein so merkwürdiger Begriff wie liberaler Faschismus entstanden ist und so wird davon auch verwendet. Also als Abwehrbegriff gegen einen neuen imperialistischen Feind, der versucht, der Russland nicht Russland sein lässt, sondern der versuchen möchte es zu unterjochen und am besten auch noch die Bodenschätze alle zu holen und so weiter. Das ist das russische Narrativ. Das Dramatische ist, Richard, das funktioniert, das verfängt.

Ich habe die Leute selber gesehen, wir haben ja darüber gesprochen, in den Straßen von Moldau, von Kisinau insbesondere, jeden Sonntag für 20 Euro und ein Gulasch und ein Bier stellen die sich vor einen Präsidentenpalast und grölen, was immer gerade erwünscht ist. Die werden mit Bussen da hingekarrt und dann versucht man so langsam, aber sicher diesen Staat einfach auszuhöhlen und immer weiter zu verhetzen und sozusagen dieses Gefühl, die da oben gegen uns da unten.

Und da bist du dann jetzt in einer direkten Linie mitten in Europa. Da bist du mitten in Deutschland. Wenn man sich das mal anschaut, die Kollegen vom Wall Street Journal, glaube ich, waren es, die hatten vor einiger Zeit eine sehr interessante Analyse und es ist immer interessant, die zu lesen, weil der Blick von außen auf Europa, finde ich, ein klarerer ist, als es der eigene jemals sein könnte.

Die haben damals sehr genau analysiert, wie die Unzufriedenheit der Wähler mit der Mainstream-Politik zu dieser Fragmentierung geführt hat. Also wenn du dir das anschaust, in Deutschland sieben bedeutende Parteien. Von denen drei mittlerweile am politischen Rand stehen, was eine kohärente Koalition im Grunde fast unmöglich macht und zwar sowohl auf Bundesebene als auch in den meisten Bundesländern. Das siehst du mittlerweile auch.

Und ich habe vor einiger Zeit ein Interview mit Manfred Güllner, dem Gründer von Forsa, der wichtigsten deutschen Meinungsforscher, dazu gelesen. Der sagte, ich mache das wahnsinnige Sorgen, weil wir hatten in der Vergangenheit immer die Situation, dass sich sozusagen Mehrheiten rund um ein Zentrum, rund um eine bürgerliche Mitte, wenn man es mal so sagen will, formiert haben. Das ist vorbei.

Das gibt es sozusagen nicht mehr. Und das führt dann Regierungen, und das war ja auch das Problem von Olaf Scholz, wenn du so willst. Das führt dazu, dass du zu immer komplizierteren Koalitionen kommen musst. Es zwingt dich sozusagen da rein, um irgendwie ein Land noch zu regieren, was dann zu weiterem riesigem Frust führt, weil natürlich nichts dabei rauskommt. So wie jetzt gerade zu besichtigen. Genau, Stillstandspolitik als Folge von zu vielen Koalitionspartnern.

Da können natürlich andere Länder wie Italien schon lange ein Lied von singen.

Wenn man sich jetzt mal die europäische Landkarte anguckt, dann sieht man ja, wie viele Länder es gibt, denen es drei oder vier Parteien in Koalitionen gibt und eben eigentlich überhaupt keine richtigen Regierungsbildungen mehr möglich sind, weil die natürlichen Feinde zueinander gemeinsam auf der Regierungsbank Platz nehmen und sich wechselseitig blockieren, so wie wir das in den letzten drei Jahren ja eben auch erlebt haben.

Jetzt muss man natürlich sagen, wir waren ja auch auf einer merkwürdigen Insel der Seligen. Was ich immer sage, die Merkelsche Konsensgesellschaft, die wir gewesen sind. Es ist ja auch eigentlich nicht der Normalfall einer Demokratie, dass wir vier Parteien haben. Also die Grünen, die FDP, die SPD und die CDU, die eigentlich prinzipiell grundsätzlich mal eigentlich, wenn die Zeiten gut wären, alle miteinander auch gut koalieren könnten.

Dass wir es in den letzten drei Jahren nicht gemacht haben, gibt es eine Reihe von Gründen, haben wir viel darüber gesprochen. Aber im Prinzip sind die ja alle untereinander koalitionsfähig. Die haben Freunde untereinander in der jeweiligen Partei, die kennen sich und die sind auch nicht weltanschaulich im Herzen, sind die auch nicht so weit voneinander entfernt wie in ihren Wahlkämpfen. Entschuldigung, Richard, nur ein Gedanke, nur ganz kurz eingefügt.

Du sprichst da was total Gutes an. Ich erlebe das oft in der Sendung, dann streiten die sich und sagen, sie sind. Und hinterher wechseln sie dann zum entspannten Du-Idiot. Und dann denke ich immer, gut so. Die kennen sich, die reden miteinander, die trinken offenbar auch mal ein Bier zusammen, streiten sich wie die Kesselflicker, FDP und Grüne oder wer auch immer. Aber eigentlich sind sie sich dennoch zu getan. Eigentlich sind sie auch weltanschaulich

viel näher beieinander, als es den Anschein hat. Der Unterschied zwischen wir sind Gegner und Feinde, das ist was ganz anderes. In kleineren Ländern wie den Niederlanden zum Beispiel, Schweden, ist sozusagen die Lähmung ja längst schon, wie soll man sagen, ein strukturelles Merkmal geworden. Aber jetzt ist sie auch in den größten politischen Systemen Europas geworden. In Deutschland ist sie das geworden, in Frankreich ist sie das geworden.

In Frankreich ist es viel extremer als bei uns. Ja, da fliegt gerade die Regierung in die Luft. Und das ist das eine. Und dann lese ich aber, dass Macron, und da geht es dir kalt den Rücken runter, Macron hat noch 20% Zustimmung für seine Politik in der Bevölkerung. 20%. Das heißt, er hat die gleichen Werte wie Olaf Scholz. Ja, und da sitzt jemand, der bis 2027, das ist noch ein bisschen hin, im Elysee bleiben will, den aber keiner mehr dort will.

Und dessen Regierung, die ja auch da mühsam versucht hat, irgendwie zusammenzuschustern, jetzt in die Luft geflogen ist. Und wo du siehst, was passiert, wo sich die extreme Rechte und die extreme Linke zusammentun und sagen, und jetzt jagen wir das Ding in die Luft. Genau, Weimarer Verhältnisse, wie wir das immer nennen. Die Mitte zerbröselt. Die Mitte, die völlig uneinige Mitte zerbröselt unter dem Druck von links und rechts.

Und damit ist die Dissensgesellschaft komplett da. Und eigentlich sind das Vorboten für einen entsprechenden Machtwechsel. So, jetzt würde man sagen, wie kann man sowas nur tun, Richard? Wie kann sowas eigentlich sein? Und wenn man dann, die Reden von Macron hört, dieser elegante Politiker, der wie kein anderer ist, Pathos einzusetzen, große Reden zu schwingen. Die EU könnte sterben. Wir stehen an einem sehr, sehr wichtigen Wendepunkt.

Immer sozusagen die ganz großen Dinge. Und dann schiebt er hinterher und sagt, unser bisheriges Modell funktioniert nicht mehr. Wir regulieren zu viel und investieren viel zu wenig und so weiter. Und in den kommenden Jahren wird sich also nichts weniger als die Zukunft Europas entscheiden und so weiter. Und das Publikum klatscht und alle sind ganz begeistert. So nach dem Motto, endlich sagt es mal einer.

Und ich glaube, Gabor Steingart war es, der sagte, naja, also wenn man dann das so hört, dann klatscht man innerlich irgendwie mit und dann guckt man mal genauer hin und merkt, das ist ein Kaiser, der ziemlich ohne Kleider dasteht. Wenn überhaupt, ist es ein sehr dünnes Negligé, das er an seinem Körper trägt. Das fand ich ein interessantes Bild.

Und dann Dann zerpflückt er das mal und sagt, da gibt es bei diesem Mann so ein paar Dinge, die unglaublich widersprüchlich sind und die die Leute, glaube ich, dann doch auch durchschauen. Also zum Beispiel die Tatsache, dass da auch nicht nur ein französischer Präsident spricht, sondern auch ein ehemaliger Investmentbanker. Und das ist sozusagen der wichtigste Treiber hinter der Idee einer Schuldenunion.

Und deswegen unterstützt er natürlich Leute wie Draghi, die sagen, wir müssen jetzt dringend investieren, 800 Milliarden Euro pro Jahr und so weiter. Dazu muss man allerdings wissen, den Italienern steht das Wasser bis zum Hals. Die Italiener haben eine Schuldenquote von fast 140 Prozent. Frankreich 110 Prozent. Die sind kaum noch handlungsfähig. Deutschland im Vergleich 63 Prozent. Was die wollen ist, und das verstehen die Leute ganz genau, die wollen Schulden machen.

Und das geht dann an dem Punkt natürlich in einer Schuldenunion, für die Deutschland gefährlichst haften soll. Ja, mithaften und als sozusagen stärkstes Land, die die meisten Schuld hat muss. So, und da sagen deutsche Wähler natürlich, nee, diese EU wollen wir nicht. Und ich verstehe deutsche Steuerzahler, die an dem Punkt sagen, nee, pass auf, ihr hält große Reden, aber wenn man sich das mal anschaut, was ihr dann so macht.

Ich meine, es ist ja sehr interessant, aus der Staatsschuldenkrise 2007, 2008, an dem Punkt waren Deutschland und Frankreich ungefähr auf Augenhöhe. Seitdem haben sich die Dinge fundamental auseinandergewickelt. Man muss ja sagen, Macron steht mit dem, was er da sagt. Knie tief in der gesamten französischen Tradition. Ist richtig. Warum haben wir in Europa den Euro? Wer wollte den denn? Die Franzosen wollten den Euro. Die Franzosen mit ihrem windelweichen Franc,

wollten von der Härte der D-Mark profitieren. Ja, und man muss ja sagen, die Geschichte des Euro ist jetzt nicht so eine katastrophale Geschichte. Wenn man überlegt, was wir am Anfang für irrsinnige Ängste davor gehabt haben, ja, dass all die anderen Länder, die im Gegensatz zu Deutschland nicht mit Geld umgehen können und die vorher riesige Inflationsquoten hatten, ja.

Unter anderem eben Frankreich, dass die irgendwie dazu sorgen würden, dass wir hier über 20 Jahre lang Hyperinflation oder sowas kriegen. Alles das ist nicht passiert. Wir haben dann viel später eine Inflation gekriegt, aus mehreren Gründen, aber die nicht so viel damit zu tun hatten. Und deswegen würde Macron sagen, das haben wir damals erfolgreich gemacht. Warum machen wir nicht den nächsten Schritt?

Die Schuldenunion wäre nichts anderes als der nächste logische Schritt und beim Euro hat es doch auch funktioniert. Das ist die französische Denkweise. Und deswegen mag ich Steingarts sehr harte, wenn auch schön formulierte Worte nicht. Ich glaube, dass tatsächlich Frankreich im Augenblick der stärkste Motor der europäischen Idee ist.

Und dass Deutschland überhaupt kein Motor mehr ist. Und das ist deswegen so schade, weil wir mal der wichtigste Motor waren, also in den Zeiten von Helmut Kohl, der damals, wie ich das immer gerne sage, nicht nur den Zug gezogen hat, sondern den ganzen Bahnhof Europa gezogen hat und verrückt hat. Und das auch noch in einem Rekordtempo und mit der ganzen Wucht, die ihm in jeder Hinsicht, also die Wucht der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands, die Wucht seines Auftretens zur Verfügung stand.

Und danach ist es unter Schröder noch eine Weile weitergegangen, aber unter Merkel ist Europa porös geworden, weil sie diesen Bahnhof eben nicht mehr gezogen hat und weil natürlich auch viele von der Geschwindigkeit des Zusammenwachsens verschüttete Probleme aufgetaucht

sind. Aber anders die Franzosen. Die Franzosen haben immer viel stärker dann als Merkel-Deutschland und viel stärker als Scholz-Deutschland an der europäischen Idee festgehalten und auch an der deutsch-französischen Freundschaft als zentrale Achse. Zum Beispiel wollten die Franzosen immer schon. Eine eigenständige europäische Armee, eine eigenständige europäische Außenpolitik. Warum wollten sie das? Weil sie ein anderes Verhältnis zu den USA haben.

Richtig. Ja, das ist ja eine komplizierte Angelegenheit. Frankreich hat ja eigentlich den Zweiten Weltkrieg verloren und dann wurde ein bisschen so getan, als hätten sie ihn gewonnen. Ja. Und dann wurden sie auch mit an ein Boot geholt und waren offizieller Sieger.

Aber die Franzosen litten sehr stark darunter. Ich habe mich jetzt in letzter Zeit viel mit Sartre beschäftigt und mit de Gaulle und mit Frankreich in den 50er Jahren, dass sie ihre Eigenständigkeit verloren hatten, sondern dass der große, starke Mann in Europa waren die USA und auch die Franzosen waren absolut abhängig von den Vereinigten Staaten. Und das hat den Franzosen, die offiziell Sieger des Zweiten Weltkriegs gewesen sind, sehr, sehr geschmerzt.

De Gaulle hat wilde Kämpfe mit den USA ausgetragen und diese Kämpfe verloren. Und es war für die Franzosen immer wichtig, Stück für Stück wieder sich aus dem Schatten der Vereinigten Staaten zu befreien, in Form eines Vereinigten Europas, das also durchaus auch von französischem Geist getränkt sein sollte. In Deutschland war die Situation was anderes. Wir waren moralisch völlig diskreditiert und die USA waren unsere Befreier.

Ja, und wir hatten innerhalb sehr, sehr kurzer Zeit eine sehr positive Stimmung gegenüber den USA. Marshallplan und amerikanische Kultur, die dann kam, Jeans, Coca-Cola, Strumpfhosen und was weiß ich was alles. Und für Frankreich ist aber diese Schmach. Ja, nicht mehr die Grande Nation zu sein, als die man sich immer noch feiert, anders als Deutschland, wo man von Grande Nation, also im übertragenen Sinne, großes Reich und so, gar nicht mehr zu träumen und zu reden wagt nach den ganzen

Verbrechen, die unter diesen Namen begangen worden sind. Unsere Taktik war uns eher klein zu machen. Wir haben uns immer ganz klein gemacht, wir haben uns wirtschaftlich groß gemacht. Wir sind Wirtschaftsweltmeister geworden und Weltmeister im Fußball und so weiter. Franzosen auch. Politisch haben wir uns immer ganz klein und unschuldig und so weiter. Ja, aber wir 54 schon, also wir konnten schon sagen, wir sind wieder. Wie war erster, meinst du? Und nicht erst 98, genau.

Nein, aber ich erzähle diese Geschichte in dieser Länge, um zu sagen, für die Franzosen war die deutsch-französische Freundschaft die Grundlage für ein eigenständiges Europa. Und diesen Kurs hat Deutschland vor einiger Zeit verlassen. Stück für Stück in der Makelzeit und gänzlich in der Ampel. Gänzlich in der Ampel. Also dieser Gedanke, wir Europäer treten eigenständig politisch und so weiter auf oder militärisch und so weiter.

Jetzt ist die Rede davon, angesichts von Donald Trump, dass wir das vielleicht jetzt mal dringend tun sollten. Aber man muss wirklich sagen, dass Deutschland in den letzten Jahren im Hinblick auf europäische Einigung, europäische Zusammenhalt, europäische Weiterentwicklung ein Ausfall war. Und daher kommt das Paterson Macron. Irgendeiner muss es doch nochmal versuchen oder zusammenhalten und so weiter. Genau und sozusagen den Versuch machen zu wollen, ist ja ehrenwert.

Aber am Ende geht es um ganz handfeste Dinge. Und wenn du dir zum Beispiel anschaust, da wo es um Geld geht, da wo es wirklich um das Portemonnaie der Dämonischen, der Bevölkerung geht, um das Portemonnaie derer, die den ganzen Karren, in dem Fall mehr als nur metaphorisch gemeint, voranziehen. Autoindustrie beispielsweise. Ich meine, die Autoindustrie in Frankreich und in Italien und auch in Deutschland immer mehr ist global ins Hintertreffen geraten.

Ich habe dieser Tag einen Ökonomen gehört, der sagte, naja, macht euch drauf gefasst. Wolfsburg wird sowas wie das europäische Detroit und Baden-Württemberg wird sowas wie das nächste Ruhrgebiet. Und zwar nicht wie das Ruhrgebiet zu strahlenden Zeiten, als Kohle und Stahl noch das große Thema dort waren, sondern alles, was danach kam. Man hofft und betet wirklich, dass das nicht passiert.

Nur wenn du weißt, dass ungefähr 200.000 Arbeitsplätze nur in Baden-Württemberg direkt an der Autoindustrie hängen, kriegst du so eine Vorstellung davon, was das möglicherweise bedeuten könnte. Und dann geht jemand wie Macron, der Mann, den du gerade lobst, der diese großen in Pathos getränkten Reden hält, geht dann hin und sagt, naja gut, aber das mit den Zöllen machen wir jetzt trotzdem. Dann sagt ein deutscher Kanzler, nee bitte nicht, das könnt ihr nicht machen,

weil wir leben davon, dass Grenzen offen sind. Wir leben von freien Märkten. Macron sagt, ist uns egal, das ist unser Gegengift dazu. Scheißegal, was aus deutschen Autobauern wird, um es jetzt mal ganz brutal zu sagen. Klimaschutz ähnlich. Ich meine, wir regulieren die EU. Green Deal ist das Stichwort. Erstmal gut gemeint, aber im Ergebnis eine unglaubliche Regulatorik. Eine Bürokratie, die mittlerweile jeden erstickt. Überleg mal, wie lange wir davon reden, dass Bürokratie abgebaut werden muss.

Der Letzte, der es ernsthaft versucht hat, war ein gewisser Edmund Stoiber. Ernsthaft versucht. Würde ich schon sagen. Also dem war auf jeden Fall klar, dass da dringend etwas passieren muss. Und er hat es versucht und er ist, würde er wahrscheinlich selber sagen, einfach gescheitert, weil das System schlicht und ergreifend stärker ist. Ein Edmund Stoiber scheitert nie. Das kann ich mir nicht vorstellen. Naja, aber Edmund Stoiber war jemand, weißt du, kann sagen, okay,

der hat ein paar lustige Sachen gesagt, Transrapid und alles mögliche. Problem wären. Ja, aber Edmund Stoiber war einer, der von Verwaltung was verstanden hat. Du meinst, der war innerlich aufgeräumter als rhetorisch? Seine Verwaltung war deutlich aufgeräumter als seine Rhetorik, würde ich sagen. Der hat Bayern sozusagen schuldenfrei an seine Nachfolger übergeben. Das ist jemand, der hat genau kapiert, wie diese Abläufe sind.

Vielleicht hätte er nicht so viele Reden halten sollen möglicherweise, aber der hatte was drauf. Ich will dir mal eins zum Bürokratieabbau sagen, weil alle sind für Bürokratieabbau. Ja, seit 20 Jahren. Es gibt niemanden, der dagegen ist. Also wahrscheinlich würden selbst viele Bürokraten sich wünschen, weniger Arbeit zu haben und sind auch für Bürokratieabbau. Weißt du, wo das Problem beim Bürokratieabbau wirklich drin besteht? Bürokratie sind in Recht gesetzte Ansprüche.

Das ist Bürokratie. Das heißt, ich muss berücksichtigen, wenn ich das und das mache, nein, dann geht das nicht, dann widerspricht das dem. Weil der und der hat ja auch ein Recht darauf. Ich muss also überlegen, dass die Natur und die Rechte des Hamsters in diesem Fall und die Rechte der Anwohner und was weiß ich. Das sind ja alles Ansprüche.

Das sind alles Ansprüche, die berücksichtigt werden müssen und die Verfahren ganz lang und kompliziert machen und Gesetze unglaublich kompliziert machen und aus lauter Ebenen bestehen. Unter dem Gesichtspunkt muss man das noch berücksichtigen. Es geht also um Ansprüche, um Sensibilitäten, um Ansprüche. Und wenn du Bürokratieabbau machst, dann musst du notwendigerweise Ansprüche, die bisher galten, als illegitim wieder ausweisen.

Das heißt, die Gesellschaft muss ihre Anspruchshaltung runterschrauben. Das ist ein guter Punkt. Und dafür mal viel Spaß, weil wo auch immer du ansetzt, also entweder ist es dann das Recht der Natur oder was sozusagen Landschaftsschutz und Klimaschutz oder Wettbewerbsrecht und überall kollidieren diese Dinge miteinander.

Und wenn du sagst, ich mache jetzt mal Bürokratieabbau, ich nehme mal die und die und die Dimension raus, dann erzeugst du einen politischen Widerstand, den du dir kaum vorstellen kannst. Es ist ja nicht so, als wäre die Bürokratie, weißt du, wie so ein Krebsgeschür einfach nur so vor sich hin gewuchert. Sondern die Bürokratie ist ein Spiegelbild der Anspruchshaltung in unserem Land. Das macht es sehr, sehr schwierig, das zu verkleinern.

Ja, und jetzt nochmal runtergebrochen. Wenn du sagst, du redest am Sonntag über das große grüne Wirtschaftswunder, das jetzt entstehen soll. Olaf Scholz hat das getan, auf europäischer Ebene wird das getan und so weiter. Wir werden den Rest sozusagen dazu inspirieren mit grüner Technologie, ein großartiges Wirtschaftswunder und du erinnerst dich an Olaf Scholz, Zahlen wie in den 50er Jahren, so etwas werden wir jetzt wieder herstellen.

Was passiert ist, ist aber ganz was anderes. Passiert ist, dass sozusagen der Versuch, Investitionen in immer klimafreundlichere Projekte zu lenken, dazu geführt hat, immer strengere Auflagen, das worüber du gerade gesprochen hast, deutlich höhere Standards für den Finanzsektor und so weiter und so weiter. Wir haben heute den wahrscheinlich am dichtesten regulierten Finanzmarkt der Welt.

Das erstmal so einfach stehen gelassen, bedeutet das aber in der Konsequenz, das hatte den Abstieg der europäischen Geldhäuser zufolge. Ich habe mir neulich mal den, hast du mal den Börsenwert von JP Morgan in New York gesehen? Der ist höher als der, glaube ich, aller europäischen Banken zusammen. Aller deutschen, italienischen, französischen Banken zusammen. 600 Milliarden. Die Deutsche Bank im Gegensatz dazu ist gerade nochmal bei 30.

Du meinst, es liegt an Regulierung? Unter anderem. Ich habe immer den Eindruck, besonders reguliert worden sind die Kleinen. Also Basel 3 und so, die Sparkassen und so weiter. Also die Lehren aus der Finanzkrise war, den Kleinen ganz dicke Fußfesseln anzulegen, obwohl gar keine ernstzunehmende Fluchtgefahr bestand. Aber auf dem Sektor der semikriminellen Spekulationen ist erstaunlich wenig passiert.

Also man müsste auch da bei der Regulierung mal gucken, wer wurde reguliert und ich glaube tatsächlich, dass wir überreguliert haben, aber an den falschen Stellen. Ja, möglicherweise auch das, weil sich die Großen, die entsprechenden Lobbyisten natürlich einkaufen können, das ist alles kein Problem für die. Ich will nur trotzdem sagen, auch ich als jemand, der zutiefst daran glaubt, dass man die soziale Frage wirklich mitdenken muss.

Also ich finde, wir sollten nicht diesen harten amerikanischen oder angelsächsischen Turbokapitalismus haben wollen. Also du willst nicht mehr Milley oder mehr Maske sagen. Genau, und es ist auch so. Ich fand es ja nur mal ganz kurz eingeschoben, Friedrich Merz, der sagt, ich habe das mit den Sätzen gehört, das fand ich ein Statement, dachte ich, wow, weil das hätte ich von Friedrich Merz, Stichwort Blackrock, nicht erwartet.

Der hatte Riesenangst, wenn er dem nicht widerspricht, dass die SPD einen Wahlkampf macht. Jetzt kommt der Blackrocker Friedrich Merz, der deutsche Millet. Deswegen hat er sich da ganz, ganz deutlich von distanziert. Ja, aber ich fand das überraschend und ehrlich gesagt, der Versuch jetzt von Christian Lindner, ihm dann zu widersprechen und es immer kleiner zu reden.

Also erst sagt man, wir müssen ein bisschen Musk und ein bisschen Millet wagen und dann, ich wollte ja nur ein ganz, ganz kleines bisschen. So eine homeopathische Dosis.

Genau, es wurde von Rede zu Rede immer weniger und immer kleiner, was die Glaubwürdigkeit nicht erhöht und was ehrlich gesagt auch an dem Punkt die ganze Verzweiflung zeigt, weil ich denke, okay, das ist das Einzige, was euch einfällt, zu sagen, jetzt müssen wir es mal machen wie in Argentinien, wo jemand wirklich, und das hat ganz andere Gründe.

Argentinien ist ein Land immer noch, auch ein Jahr nach Amtsantritt von Millay, das wirklich mit dem Rücken zur Wand steht, wo zwei Drittel der Renten gekürzt worden sind. Wo Leute rausgeflogen sind in einer Zahl, das wäre hier absolut nicht denkbar, wo es eine Hyperinflation gegeben hat und so weiter.

Wo man irgendwie sagen muss, da war sozusagen tatsächlich etwas zu tun auf der anderen Seite und das ist das, was daran verstörend ist und deswegen, glaube ich, haben auch viele darauf so reagiert und jetzt sagt man ja, das ist wieder typisch und Deutschland ist nicht in der Lage, mal irgendwie was anderes zu denken. Denke ich, nee, nee, Millet ist ja schon auch mehr. Das ist ja sozusagen ein, also wenn du das große Interview im Economist mit

Millet liest, dann kannst du das runterdampfen. Das ist ein ganz langes Interview. Ich weiß nicht, ob du das gesehen hast, das er jetzt gerade gegeben hat. Das kannst du runterdampfen auf einen einzigen Satz. Und der Satz lautet, absolute Verachtung für den Staat. Genau. Paleo-libertär ist der Fachbegriff dafür. Paleo-libertär, genau. Paleo-libertär. Ja, so wieder zurück wie in der Steinzeit. Da gab es auch keinen Staat.

Da konnte jeder machen, was er wollte. Jeder hatte seine Freiheit und so weiter. Und Staat, hau ab. Der Staat ist das Problem, nicht die Lösung. Paleo-libertär. My pony, my rifle and me. So, und das ist nicht in Ordnung. Also das dann einfach so mal nebenbei zu sagen, die Hälfte der Argentine ist mittlerweile wirklich arm. Die haben ein echtes Problem. Und die Frage, wie das alles weitergeht, ist irgendwie in Argentinien noch lange nicht ausgemacht.

Aber was klar ist, und ich glaube, Aber es verbindet ihn mit Leuten wie Musk und auch mit Leuten wie Peter Thiel. Diese grundsätzliche, es ist keine Skepsis gegen den Staat. Eine gesunde Skepsis. Das ist eine Verachtung. Staatsverachtung. Das ist was ganz, ganz anderes. Aber was mich interessieren würde, Richard, du hattest und abschließend gefragt, eine sehr schöne Sendung mit Robert Menasse. Da habt ihr über die Frage geredet.

Wie dieses Europa eigentlich von morgen aussehen könnte und was Europa eigentlich ist und was eigentlich die Kernthemen sind, wenn es um die Akzeptanz dieser Europäischen Union geht, die irgendwie immer weiter abnimmt. Was ist dir davon in Erinnerung geblieben? Also ich kenne Robert Menasse schon sehr lange. Ich mag ihn sehr gerne. Ihr duzt euch, ne? Wir duzen uns, genau. Wir haben uns kennengelernt als junge Männer auf einem Robert-Musil-Seminar

Ende der 80er Jahre. Also das ist schon eine ziemlich lange Zeit. Danach hatte er einen sehr großen Durchbruch, hatte tolle Essays geschrieben, hat die Frankfurter Buchmörse eröffnet und ist seitdem eine der großen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Und Robert Menasseh ist etwas, was inzwischen selten geworden ist, ein europäischer Idealist, der an der idealistischen Idee Europas trotz all der Widerstände, die er natürlich genau kennt und die er seziert, weiterhin festhält.

Und der Kernpunkt seiner Überlegung ist, Europa stirbt, wenn es sich nicht weiterentwickelt. Und Europa hat ein Problem nie gelöst und das ist der Nationalstaat. Er erinnert sich an die Zeit zurück, als er Raumpatrouille Orion geguckt hat oder Raumschiff Enterprise. Da gab es immer eine Weltregierung. Und Europa war für ihn von den Anfängen an so etwas wie der Versuch, eine zumindest europäische Weltregierung hinzubekommen.

Das heißt also, er hat geträumt von dem, was man am Anfang in Europa dann auch häufig gehört hat, von einem postnationalen Europa. Das heißt, einem Europa, in dem Nationen keine Rolle mehr spielen. Es gibt etwas, ich frage ihn dann und sage, naja, aber für viele Leute ist Nationen für die Identität zentral und sehr wichtig und so. Und er sagt, naja, da muss man aber von Land zu Land ganz, ganz genau hinschauen, was ist überhaupt gemeint.

Und da meinte ich als Beispiel, naja, für den Dänen, es gibt ja irgendwie nur so 5,5 oder 6 Millionen Dänen. Da ist Dänemark doch sozusagen eine ganz, ganz wichtige familiäre Größe. Und er sagt, ja, und Dänemark ist auch ein einheitliches Land. Dänemark ist ja auch in dem Sinne keine Nation, sondern eine Region. Also was so einheitlich und so homogen ist, das können wir auch eine Region nennen.

Und in einem künftigen Europa, ja, da ändert sich für den Dänen überhaupt nichts, wenn sein Land eben eine Region geworden ist und keine Nation. Und dann spricht er von all den merkwürdigen Nationen. Das Problem, was Spanien hat mit den Basken und mit den Katalonen und so weiter, die gar nicht zu Spanien gehören wollen. Und er sagt, allein die Vorstellung, ein Volk, ein Land, ist doch ganz eigenartig.

Ja, wie viele Länder in der Welt gibt es, mein Lieblingsbeispiel wäre wahrscheinlich Nigeria oder Südafrika, in dem bis zu 100 verschiedene Völker leben, eingesperrt quasi in eine Nation, mit der sie sich eigentlich nicht identifizieren, sondern sie identifizieren sich eben mit ihrer ethnischen Herkunft oder bei uns würden wir eben sagen mit Kultus. Mit dem Kulturraum, in dem man lebt oder als was man sich fühlt, als Basque oder Katalonier oder Südtiroler. Ja, genau.

Und er sagt, dieser Nationenbegriff, der steht der europäischen Einigung zentral im Weg und der führt dann zu solchen Problemen, die Martin Schulz hat das ganz häufig gesagt, dass die Regierungschefs in Europa, wenn sie sich in Brüssel großartig durchgesetzt haben, ihre Erfolge nationalisiert haben und wenn sie sich nicht durchgesetzt haben, gesagt, naja, man kennt ja den Verein. Und Europa die Schuld in die Schuhe geschoben haben.

Also die Misserfolge europäisiert, die eigenen Erfolge nationalisiert. Und die Politik, die so betrieben wurde, die hat dann verhindert, dass ein postnationales Europa irgendwann entstanden ist. Das ist sozusagen die Leitlinie seines Denkens. Jetzt musste ich ihn natürlich damit konfrontieren, dass wir heute in einer Zeit leben, in dem der Nationalismus viel stärker ist als vor 20 oder vor 40 Jahren. Also im Augenblick fährt das Schiff ja in die Gegenrichtung. Richtig.

Und er sagt, das ist die Krankheit, von der Europa befallen ist, dass die Leute glauben, man könnte auf nationaler Ebene die Probleme besser lösen als auf europäischer. Was auch daran liegt, dass die europäischen Erfolge den Menschen völlig selbstverständlich geworden sind. Und bei dem, was schief läuft, man immer denkt, es liegt an irgendwelchen Bürokratisierungen oder Überregulierungen, die aus Brüssel kommen.

Also er gibt auch den nationalen Regierungen sehr die Schuld daran, dass sie also im Zweifelsfall immer auf Europa schimpfen und diese Vision eben auch nicht mehr teilen. Das war die Gegenstand des Gesprächs. In der Sendung, Richard, das war ein spannender Moment. Du hast damals gesagt, es gibt so zwei große Erzählungen zur europäischen Integration. Das eine ist sozusagen diese große Friedenserzählung. Und die andere Geschichte, hast du damals gesagt, sei viel pragmatischer.

Man hat erkannt, dass man Kriege in Europa nicht mehr gewinnen kann. Ja, weil die Gewinnernationen, Franzosen, Engländer, die waren schon zehn Jahre später wirtschaftlich schlechter dran als die Verlierer. Und es gab dann sozusagen keinen Grund mehr in Europa Kriege zu führen, weil Europa ja auch nicht mehr über die Bodenschätze der Zukunft verfügte. Und dann sagt Menasse etwas sehr Interessantes, die Friedensidee war sicher sozusagen die Grundlage dieser Europäischen Union.

Und dann sagt er, man darf aber nicht vergessen, worin die Generalität dieser Idee liegt und ist dann mit dir im Kopf mal zurückgegangen in diese Zwischenkriegszeit. Also nach dem Ersten Weltkrieg, der ja ein riesiger Schock war. Dieser Erste Weltkrieg war so grauenhaft, sagt Manasseh, dass Millionen Menschen in Europa auf die Straße gegangen sind und Frieden gefordert haben. Und trotzdem hat es so kurze Zeit später wieder einen noch grauenhafteren Weltkrieg gegeben und er sagt, warum?

Weil diese Friedensbewegung Friedensverträge gefordert hat. Und wenig später hat sich herausgestellt, diese Friedensverträge sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Er sagt, Friedensverträge sind Termingeschäfte, die einem die Zeit geben, wieder aufzurüsten. Und dann war die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg zu sagen, wenn wir wirklich nachhaltig Frieden wollen, dann machen wir das jetzt ohne Friedensverträge. Und er sagt, das ist die geniale Idee.

Weil ohne Friedensverträge bedeutet das, wir müssen dann stattdessen etwas zusammenwachsen. Wir müssen Ökonomien so ineinander verschränken, dass keiner mehr etwas tun kann gegen einen anderen, ohne sich selber dabei auch zu schaden. Das finde ich einen großartigen Gedanken. Ein großartiger Gedanke. Es ist wahrscheinlich für einen Schiedsrichter nicht leicht zu sagen, ob ich eher recht hatte oder mir nasse.

Also ob diese Friedensidee das allerzentralste war und das Lernen aus dem Scheitern nach dem Ersten Weltkrieg oder ob das Zentrale war, dass sich die rheinische Industrie und ihr Vertreter Konrad Adenauer mit der französischen Kohle- und Stahlindustrie zusammengesetzt hat und gesagt hat, auf einem künftigen Weltmarkt müssen wir zusammenarbeiten, weil wir alleine sind zu klein.

Wir haben uns in 100 Jahren langen Kriegen insgesamt über einen Zeitraum von über 100 Jahren abgeschlachtet und versucht uns wechselseitig die Bodenschätze wegzunehmen oder die Stahlwerke dann irgendwann kaputt zu machen. Es ist doch viel besser, wir arbeiten von nun an zusammen. Das ist ja eigentlich der Ursprung der EU, also die Kohle- und Stahlunion. Natürlich gehört der Friedensgedanke, wie Robert Ihnen erzählt hat, sicherlich auch dazu. Und der spielt sicher auch eine große Rolle.

Ich würde ihn aber nicht priorisieren. Ich würde sagen, im Zweifelsfall, man kennt die Menschen. Also werden die wirtschaftlichen Argumente doch auch sehr, sehr stark gewesen sein. Und auch eben die Aussicht, es lohnt sich nicht mehr, andere Länder zu überfallen. Deswegen finden die Kriege ja auch heute in der Welt dort statt, wo es was zu holen gibt. Übrigens unter anderem in der Ostukraine, wo es Lithium und Gas und was weiß ich, was alles gibt.

Da gibt es noch tatsächlich Bodenschätze Lithium, für das sich aus der Sicht der Beteiligten, also neben dem Sinne von Russland, ein Krieg lohnt. Verkehrswende, E-Mobilität und Lithium und Ostukraine, da gibt es eine direkte Linie. Aber kein Land der Welt träumt davon, Deutschland anzugreifen oder zu erobern. Hier gibt es nichts zu holen. Wir lassen unsere Kohle aus guten Gründen in der Erde, weil es sich nicht mehr lohnt, sie hochzuholen.

Oder weil wir es aus Umweltgründen nicht mehr können. Also das ist der Grund, warum Deutschland keine unmittelbaren Feinde hat, die davon träumen, morgen hier einzumarschieren. Und das ist der Grund, warum die Kriege, man denke an den Nahen und Mittleren Osten und so weiter, vor allen Dingen da stattfinden, wo es besonders viel zu holen gibt. Abschließend Richard, ist es nicht. Und tragisch, wie wir da so reingeschlittert sind, im Grunde sehenden Auges.

Ich meine, all das, was wir jetzt gerade auch so beschrieben haben, auch wie sich das aufgefächert hat, wie sich das entwickelt hat, das ist ja eine Entwicklung, die vor sehr langer Zeit schon begonnen hat. Und im Grunde wurde sie übertüncht, denkst du an die Ära Merkel, einfach durch grandios gute Wirtschaftsdaten. Es lief, es lief jedes Jahr immer noch ein bisschen besser. Und deswegen hat man gesagt, lass laufen. Und lass uns diese strukturellen Dinge, die damals aber schon klar waren.

Ich meine, auch in der Ukraine herrscht seit 2014 Krieg, nicht seit 2022. Sollte ich mal nochmal klar machen. All diese strukturellen Dinge, auch die Abhängigkeit von russischem Gas und so weiter, immer weiter gesteigert, obwohl man irgendwie ahnte. Und wenn du die Memoiren von Merkel liest, sie sagt, ich wusste, mit wem ich es da zu tun habe. Na gut, also wenn das klar war, warum haben wir denn dann die Abhängigkeit von Gas von 30 auf 50 Prozent gesteigert in der Zeit?

Weil es so verführerisch war, weil es ökonomisch enorm verführerisch war, weil Deutschland so gigantisch wirtschaftlich davon profitiert hat, dass man als Bundeskanzlerin die Finger davon nicht lassen konnte. Ja, genau. Aber jetzt würde mich am Ende natürlich interessieren. Also wir haben auf der einen Seite ganz pragmatisch gesehen, starkes Aufkeiben des Nationalismus mit entsprechenden auch Gefährdungen der liberalen Demokratie hängt ja beides oft miteinander zusammen.

Also Anschlag auf die liberale Demokratie und Hypernationalismus sind zwei Dinge, die sich ja im Rechtspopulismus und im Rechtsextremismus paaren miteinander. Und auf der anderen Seite solche idealen Gedanken wie Menasse, der sinngemäß sagt, weil wir Europa nicht weiterentwickelt haben. Hat es sich zurückentwickelt. Sagt der Motto, wir haben Stillstand, wie weitgehend in der Merkel-Zeit. Das war das, was wir uns genau nicht haben leisten können.

Oder wie ich auch ergänzen würde, auseinanderdriften der deutsch-französischen Freundschaft, was immer der Motor Europas gewesen war, hätten wir uns niemals zu keinem Zeitpunkt ernsthaft leisten dürfen. Das ist alles passiert, diese Risse sind alle entstanden. Dadurch ist Europa langsamer geworden, der Motor kam ins Stottern und da, wo der Baumstamm morsch wird, da wachsen die Pilze drauf.

Und das ist der Rechtspopulismus, den wir halt im Augenblick fast überall, nahezu jedem europäischen Land haben.

Und jetzt würde ich natürlich dich gerne fragen, würde sagen, okay, wenn mir das jetzt sozusagen der Lagebestand ist und den haben wir jetzt gut beschrieben, wenn die Träume klar sind, dass Europa in zukünftigen multipolaren Weltordnung auf Gedeih und Verderb gezwungen ist, näher zusammenzurücken, eine gemeinsame Verteidigungspolitik zu machen, unabhängiger von den USA, eine gemeinsame Friedenspolitik zu machen, eine gemeinsame Diplomatie zu machen, Außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen.

Das sind ja alles die Dinge, die zwingend notwendig sind, auch wenn der Weg dahin noch so schwer ist. Was würdest du dir wünschen? Ich will gar nicht sagen, was du für realistisch hältst, sondern mich interessiert vielmehr, welche Art von Dynamik oder Veränderung in welche Richtung innerhalb Europas würdest du dir wünschen? Du stellst dir eine Million Dollar Frage, Richard. Ich glaube, es gibt auch die eine Antwort nicht. Die hat ja in Wahrheit auch gerade kein Politiker.

Und ich würde mir wünschen, ich ganz persönlich ja als jemand, der gerade aus so einer Region kommt, aus so einer kleinen Region, die sich sehr früh schon als europäisch begriffen hat. Ja, Südtirol ist genau das Paradebeispiel. Und ich weiß auch, dass bei den UN in New York irgendwie wird häufig, wenn es um die Frage geht, wie kriegt man verschiedene Sprachen, verschiedene kulturelle Hintergründe, wie kriegt man die zusammen, friedlich zusammen.

Wir haben in diesem kleinen Land drei Sprachen, die wir sprechen und so weiter. Und das geht alles sehr, sehr gut. Aber wir dienen da häufig als Vorbild und das wird dann auch zitiert. Aber das geht natürlich nur, weil in diesem kleinen Land die wirtschaftliche Prosperität in den letzten Jahren eine so großartige war. Es hat einfach funktioniert. Und die Leute haben gemerkt, es zahlt sich unmittelbar für mich aus.

Wenn wir weltoffen sind, wenn wir tolerant sind, wenn wir uns anstrengen, wenn wir eben nicht nationalistisch denken. Und wenn du sagst, was könnte die Richtung sein, weißt du, man ist ja mittlerweile sehr bescheiden geworden. Und ich wäre schon zufrieden, wenn wir mittlerweile mal aufhören würden, selbst den kleinsten Mist, der vermeintlich aus Brüssel kommt, politisch zu nutzen und zu verhetzen. Jüngstes Beispiel, dieses angebliche Rauchverbot. Unvorstellbar.

Sich Kubicki gleich schon draufgesetzt. Genau. Sie werden immer bekloppter. Und jetzt wollen sie uns noch das Rauchen im Freien verbieten. Nichts davon ist wahr, sondern das war eine Idee, das war eine Empfehlung. Und es sind ausschließlich Nationalstaaten, die darüber entscheiden, wo zur Hölle geraucht wird und wo nicht. Das macht nicht die EU.

Und Wolfgang Kubicki, und das werfe ich ihm auch wirklich vor, der ein so gerissener Anwalt ist, der ein echt kluger Mann ist und den ich sehr respektiere, Dass der auf dieses Ding drauf geht, auf diese Art und Weise und sagt irgendwie, ich bin echt wütend auf diese EU und die werden immer bekloppter, das ist nicht in Ordnung. Und gerade in diesen Zeiten macht man das nicht. Es gibt nicht nur Rechtspopulisten und Linkspopulisten, es gibt auch Liberalpopulisten.

Also Populismus ist an keine bestimmte Farbe gebunden. Der kann auch gelb daherkommen. Also es ist wirklich großer Unsinn. Aber ich will dir am Ende, weil du bist der Frage natürlich wieder professionell ausgewichtigt. Tatsächlich und das unterscheidet mich ein bisschen von Robert, zumindest in einigen Punkten, Robert Manasseh. Der Punkt ist, ich glaube, dass wir in einigen Teilen deutlich weniger EU brauchen, um in anderen mehr bekommen zu können. Das ist ein schöner Gedanke.

Also Europa ist zusammengewachsen und in einigen Punkten vielleicht gut zusammengewachsen, darüber reden wir selten und in anderen schief zusammengewachsen. Und dass Landwirtschaftspolitik in allererster Linie aus Brüssel gemacht wird, hängt mit der Entstehung der EU zusammen. Das hing damit zusammen, die Franzosen als Agrarstaat wollten das, wollten natürlich da auch entsprechende Subventionen bekommen und so weiter. Ist alles historisch erklärbar, ist aber vielleicht nicht mehr so aktuell.

Und vielleicht brauchen wir nicht wieder Renationalisierung, sondern Re-Regionalisierung. Dass man also auf regionaler Ebene, Landkreise, Kommunen, Städte und so weiter, mehr Entscheidungskompetenz für Dinge bekommt, die jetzt in Brüssel geregelt werden. Ich glaube, dass das sehr, sehr wichtig ist.

Und wenn wir an den Punkten, wo uns die Gängelung aus Brüssel stört und wo wir sagen, wieso können die das festlegen, wer bei wie viel Anbaufläche welche Subventionen und so weiter kriegt, dieses System müsste neu gedacht werden, wieder mehr Macht an die einzelnen Regionen geben in allen europäischen Ländern, um gleichzeitig auf einer anderen Ebene europäische Sicherheitspolitik, europäische Außenpolitik, mehr Europa hinzubekommen.

Also ich denke, wenn das eine weniger wird, werden die Leute dem mehr auf der anderen Ebene auch eher zustimmen. Und so eine Revision der Europäischen Union brauchen wir. Die steht da nicht mehr unter der Frage mehr oder weniger Europa, sondern ein besseres Europa. Das ist wahr. Energiepolitik zum Beispiel ist auch so ein ganz neuralgisches Thema. In Südtirol hatten wir das. Südtirol hat viel Wasserkraft beispielsweise. Dann muss das europäisch ausgeschrieben

werden. Das macht viele Leute wütend, weil sie sagen, warum? Warum soll ein großer deutscher Konzern oder französischer oder woher auch immer, warum soll der in Südtirol Wasserkraftwerke betreiben können? Es ist unser Land, es ist unser Wasser, das machen wir bitte selber, weil wir dieses Geld dann irgendwo sinnstiftend einsetzen. Und das wissen wir im Zweifel besser als irgendein internationaler Multi. Genau, das Wettbewerbsrecht, so wie es im Augenblick gehandhabt wird,

auch bei diesen Ausschreibungen, nutzt den Großen. Richtig. Ja, und kann für regionale Wirtschaft tödlich sein. Und das sind einfach Dinge, die müssen heute auf den Prüfstand. Es ist nur irrsinnig schwer. Dinge, die einmal in Zement gegossen sind, auf europäischer Ebene, die wieder aufzulösen zu Pulver und Wasser. Das ist das, was normalerweise nicht gut funktioniert. Und ich denke, selbst ein Edmund Stoiber würde daran scheitern. Ja gut, grüß Gott, Herr Lanz.

Das war so mein Lieblingstelefonat aller Zeiten. Ein Anruf, ich kannte die Nummer nicht und am anderen Ende sagte jemand, grüß Gott, Herr Lanz, hier spricht Edmund Stoiber. Und ich dachte, das ist Matze Knob, weil Edmund Stoiber weiß ja im Zweifel, wie er heißt. Der würde nie ein Ä zwischen Vor- und Nachnamen packen. Aber er war es wirklich. Er hat es geschafft. Herrlich. Richard, ich danke dir. Ich danke dir. Das war ein guter Austausch und wir hören uns nächste Woche.

Alles Liebe, ich bin gespannt. Ja, mach's gut. Tschüss, Markus. Music.

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