
Herzlich willkommen zur Lage der Nation. Ausgabe Nummer 432 vom 22. Mai 2025. Und an den Mikrofonen begrüßen euch, wie fast immer, Ulf Buermeyer. Das bin ich, Jurist aus Berlin und...

Philip Banse, ganz herzlich willkommen auch von mir. Lage Universal Time, weil sich die Welt ja schneller dreht, als wir alle glauben, ist 11:34 Uhr und ich würde sagen, wir haben ein volles Pad für euch vorbereitet. Deswegen starten wir gleich rein in die Bewertung der Lage der Nation.

Donald Trump hat in dieser Woche mit Wladimir Putin telefoniert und man könnte von außen denken, sie hätten sich was zu sagen gehabt, denn das Gespräch, so hört man, soll über zwei Stunden gedauert haben. Philip, gut, in zwei Stunden kann man eine Menge besprechen. Frage aber natürlich immer, was ist denn das Ergebnis dieses charmanten Flirts?

Das lässt sich schnell zusammenfassen. Putin sagt so ungefähr, ja ja, wir können gerne weiterreden, ich schreibe dir da mal so ein Memorandum, worum es so gehen könnte. Trump sagt, na ja, also war eine gute Atmosphäre und war irgendwie ganz interessant. Aber eigentlich könnten Russland und Ukraine jetzt ja auch direkt miteinander reden, vielleicht moderiert vom Papst. Der hat dann auch schon gesagt, ja, könnte ich eventuell zur Verfügung stehen, Vatikan könnte ein Verhandlungsort sein.
Trump machte aber hinterher klar, sehr deutlich, wenn da jetzt nicht bald was passiert, dann bin ich raus!
I think something's going to happen. And if it doesn't, I just back away and they're going to have to keep going. Again, this was a European situation and should have remained a European situation.

In diesem Motto sagt er so nach dem Motto, ja ist ja irgendwie auch eine europäische Angelegenheit und wenn da jetzt nicht so wahnsinnig viel passiert, dann sind wir einfach weg.

Ja, man sieht daran denke ich mal schon sehr deutlich, es geht ihm überhaupt nicht um die Menschen in der Ukraine oder um die russischen Soldaten oder so. Diese Sorge um die Opfer, die er oder auch JD Vance, der Vizepräsident, häufig im Munde führen, die scheint mir doch sehr vorgeschoben zu sein. Es geht Donald Trump letztlich um den schnellen PR-Erfolg. Er hatte ja im Wahlkampf angekündigt, dass er den Konflikt innerhalb von ein paar Tagen von 24 Stunden oder so beenden kann.
Und ja, man kann sehen, Trump hat einfach schnell mal ein großes Maul, wenn er vor Schwächeren steht. Oder wenn er irgendwas in seinem eigenen Netzwerk truth social postet, aber wenn er mit Putin am Tisch sitzt oder in diesem Fall mit Putin im Gespräch ist dann kommt da einfach ganz wenig. Philip, oder wie siehst du das? Da hat er sich ganz schön die Butter vom Brot nehmen lassen.

Absolut, er gibt sofort klein bei. Und es gab ja mal auch eine kurze Zeit, da sprach, schien der West mit einer Stimme zu sprechen. Die EU hatte ja eigentlich als Vorbedingung für direkte Gespräche zwischen Russland und Ukraine eine Waffenruhe gefordert. Trump war ja auch mal ganz kurz mit dabei. Das war aber sofort alles vom Tisch. Jetzt hier gar kein Thema mehr. Waffenruhe gefordert von Putin. Kein Wort davon.
Die EU hat ja jetzt auch gehofft, Trump könnte irgendwie weitere schwere Sanktionen androhen um einfach mal Druck auf Putin zu machen damit der sich irgendwie bewegt. Nichts, kein Wort davon.
Angeblich waren ja jetzt irgendwie alle ganz gespannt auf dieses Gespräch was dabei wohl rauskommen sollte und angeblich sind jetzt alle ganz enttäuscht und ich habe mich ja so gefragt jetzt mit Rückblick auf diese Woche: Sagt mal, was habt ihr euch denn gedacht was da passiert wenn die beiden miteinander reden? Trump will einfach einen Friedensnobelpreis haben dafür dass er diesen Krieg zu Ende bringt.
Das klappt nicht in einem Tag, das klappt ja auch in drei Wochen, das klappt auch nicht in drei Monaten, ja dann ist er halt raus, dann wirft er halt hin. Und habt ihr ernsthaft gedacht, der stellt sich dahin und macht Druck auf Putin, fordert harte Sanktionen, droht mit mehr Waffenlieferungen etc.? Also, wer das erwartet hat, weiß ich nicht, in was für einer Welt die leben.

Naja, es gibt ja auch in Deutschland viele Leute, die immer sagen, ja, man muss verhandeln, verhandelt, verhandel, aber wir haben das in der Lage der Nation ja auch in der letzten Woche nochmal ausführlich analysiert. Ich denke, die Interessenlage von Wadimir Putin ist hier völlig klar. Ohne ganz massiven Druck wird er nichts tun, was im weitesten Sinne seine militärischen Aktionen in der Ukraine begrenzt. Er wird einfach nur den Krieg fortsetzen.
Denn er gewinnt ja zurzeit jeden Tag ein bisschen mehr Land in der Ukraine dazu. Er hat null Motivation, diesen, man kann es nicht anders sagen, siegreichen Feldzug zu beenden und gerade gibt es einfach null Druck auf Putin. Der spielt einfach auf Zeit, bis dann vielleicht die US-Waffenhilfe im Sommer mal versiegen wird.
Und Trump, ja klar, er will zwar den PR-Erfolg, aber er will gerade eigentlich keinen Druck auf Moskau machen, weil dieser Druck nämlich mit seinen eigenen Interessen kollidieren würde.

Er hat jetzt ja auch schon so wieder so wirtschaftliche Kooperation ins Spiel gebracht. Die Russen könnten so wahnsinnig viel investieren in den USA, wenn dieser Krieg mal vorbei wäre. Trump könnte selber auch in Russland natürlich viel Geld verdienen. Putins Leute schmeicheln ihm jetzt gerade schon mit charmanten Investmentideen beispielsweise. Könnte es da Trump Towers in Moskau geben? Diese Diskussion gab es ja auch schon mal.
Da will sich der Präsident der USA lieber nicht mit Putin verscherzen. Und man darf einfach nicht vergessen, Putin will keinen Frieden. Er will die Ukraine platt machen. Der will einfach dieses Land zu einem Vasallenstaat degradieren. Und da geht es jetzt nicht darum, irgendwie Menschenleben zu schützen, die Soldaten zu schützten. Das ist alles für Putin nicht wichtig und der wird sich nicht bewegen zu einem Waffenstillstand oder zu einem Frieden, wenn der Druck nicht groß ist.
Und EU und Merz stehen natürlich jetzt auch extrem blöd da. Die haben ein Ultimatum folgenlos verstreichen lassen. Haben wir letzte Woche analysiert, trotz vieler Telefonate, mehrerer Telefonate von Friedrich Merz mit Trump. Trump scheint den Europäern ihren nervigen Krieg jetzt vor die Füße werfen zu wollen. Dabei gäbe es natürlich Hebel für, wie Merz angekündigt hat, massive Sanktionen. Ich meine, es liegen immer noch 200 Milliarden eingefrorene Dollar von der Russischen Staatsbank in der EU.
Die EU bezieht jeden Monat Öl und Gas im Wert von 1,8 Milliarden Euro aus Russland. Jeden Monat. Natürlich könnte man das massiv sanktionieren. Aber dafür brauchst du Einstimmigkeit in der EU. Ja, das ist Herr Orban, gar keine Frage.
Aber es ist eben auch Deutschland, die große Bedenken angemeldet haben, diese 200 Milliarden russisches Geld zu konfiszieren, um es dann an die Ukraine zu überweisen, da gibt es rechtliche Bedenken, aber die haben auch irgendwie Angst vor einem Präzedenzfall, der Deutschland dann anderweitig auf die Füße fallen könnte. Also es ist nicht nur die Ukraine, Europa ist sich da einfach nicht einig genug, um wirklich massive Sanktionen auf den Weg zu bringen.

Ja, das ist jetzt der aktuelle Stand, das kann natürlich morgen auch schon wieder alles ganz anders aussehen, denn parallel zu diesem internationalen Parkett kommt Trump langsam, aber sicher auch innenpolitisch doch ziemlich signifikant unter Druck, denn an ihm vorbei plant der Senat gerade mit breiter Mehrheit ein neues, relativ hartes Sanktionspaket gegen Russland und derzeit zeichnet sich ab, dass etwa 70 Senatorinnen und Senatoren dafür sind, das heißt auch fast die Hälfte der
Senatorinnen und Senatoren von der republikanischen Partei, also von Trumps eigener Partei. Das heißt jetzt noch nicht, dass das auch wirklich hundertprozentig so kommt, denn so ein Sanktionspaket müsste in der Praxis vor allem von der Exekutive umgesetzt werden, von der amerikanischen Bundesverwaltung, die ja eben von Trump kontrolliert wird. Also Trumps Leute müssten an solches Sanktionspaket des Senats umsetzen.
Aber auch schon ein solcher Beschluss alleine wäre natürlich ein ganz klares Signal, dass selbst seine eigene Partei Trump hier an dieser Stelle nicht mehr hundertprozentig folgt. Und wenn Trump das dann boykottieren würde, also einen solchen Sanktionsbeschluss, dann wiederum riskiert er ja den Rückhalt im eigenen Lager. Also da muss man sagen, da droht Trump doch einiges an Unheil. Außerdem hat er ja auch ein PR-Problem.

Also er hat natürlich wahnsinnig schlechte Umfragen und die öffentliche Meinung in den USA immer mehr gegen sich. Die meisten Menschen erkennen einfach immer mehr, glaube ich, wer in dem Konflikt Aggressor ist und wer Opfer ist, auch wenn er das versucht natürlich permanent umzudrehen und so eben auch zu legitimieren, warum er jetzt mit dem Aggressor kuschelt. Die Frage ist, wie lange ist das durchzuhalten? Wie lange macht die Öffentlichkeit in den USA das mit? Das sind viele Fragezeichen.
Es wird einfach spannend bleiben. Wird Trump nochmal irgendwann irgendwie seine Prioritäten verschieben, mehr Druck auf Moskau machen, statt jetzt die Ukraine unter Druck zu setzen, irgendein Abkommen abzuschließen, um irgendwie ein Abkommen zu haben? Es ist einfach nicht vorherzusagen.

Es könnte halt auch sein, dass der Preis seiner bisherigen Politik innenpolitisch irgendwann zu hoch wird, denn wir haben es eben schon angedeutet, eigentlich ist Trump ja Außenpolitik relativ egal. Auf der anderen Seite, was ist zu teuer, wenn auf der anderen Seite ein Trump Tower mit Blick auf die Moskwa lockt? Wir bleiben dran.

In der letzten Woche war Friedrich Merz, der frische Bundeskanzler, beim Wirtschaftsrat der CDU zu Gast. Das ist ein Verein, das hat mit der CDU so direkt als Partei erstmal nicht zu tun, sondern es ist ein Verein, der der CDU aber sehr nahe steht.

Richtig, den gibt’s seit den 1960er Jahren. Seine Eigenwerbung ist: Stimme der sozialen Marktwirtschaft. Viele sagen aber, das ist eher die Stimme der Arbeitgeber. Muss auch kein Zufall sein, denn im Lobbyregister des Deutschen Bundestages beschreibt sich der Verband selbst mit folgenden Worten:

"Der Wirtschaftsrat hat die Aufgabe, die Berufs- und Standesinteressen seiner unternehmerischen Mitglieder wahrzunehmen und zu koordinieren und zu diesem Zweck an der Verwirklichung und Weiterentwicklung der Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung im Sinne der sozialen Marktwirtschaft mitzuwirken. Schwerpunkt sind hier die unternehmerische Mitglieder, dessen Interessen dieser
Verein wahrnimmt." Und das tut er mit sage und schreibe 28 Lobbyisten und Lobbyistinnen, die da im Bundestag unterwegs sind, um die Interessen von Unternehmen und Unternehmerinnen an die Bundestagsabgeordneten heranzubringen.

Also das ist ja CDU-Wirtschaftsrat. Und jedenfalls vor diesem Verein hielt der neue Bundeskanzler am vergangenen Dienstag, also vor einer guten Woche, eine 45 Minuten lange Rede. Und seine Kernthese war, wir müssen wieder mehr arbeiten. So Zitate, die da fielen waren zum Beispiel "Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten." Und: "Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können."

Also dieser Ansatz, der ist ja im Kern nicht verkehrt. Wir wollen uns das jetzt hier mal ein bisschen näher vornehmen, denn unstrittig ist, wir brauchen noch mehr Arbeitsstunden oder vielleicht auch mehr Leistung pro Arbeitsstunde. Aber auf jeden Fall brauchen wir mehr Arbeitskraft, denn Arbeitskräfte fehlen an allen Ecken und Enden und zwar auf allen Ausbildungsniveaus.
Da geht es nicht nur jetzt um Fachkräfte, Studierte, Professoren, Facharbeiterinnen, Ingenieure, sondern es geht wirklich um Tellerwäscher, Busfahrerinnen überall sind Stellen unbesetzt und das ganze wird sich noch verschärfen, weil eben immer mehr Leute in Rente gehen und vor allen Dingen immer weniger junge Leute nachkommen.

Daher ist die Idee auch nicht neu, wieder mehr zu arbeiten, das fordert die Union schon lange und im Koalitionsvertrag mit der SPD ist jetzt auch bereits vereinbart, dass die Regeln zur Arbeitszeit gelockert werden sollen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die tägliche Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Betrachtung zu flexibilisieren. Dazu soll § 3 des Arbeitszeitgesetzes geändert werden und das bedeutet dann, dass die bisherige Grenze von 8 bzw.
10 Stunden pro Tag durch eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden ersetzt werden könnte. 48 Stunden, das ist natürlich sehr weit entfernt von den 35 Stunden, die heute in vielen Tarifverträgen stehen, oder von den so gut 40, 42 Stunden, die zum Beispiel öffentlichen Dienst häufig noch angesagt sind. Die Arbeitgeber, Philip begrüßen das.

Sie sagen, das ist halt eine Flexibilisierung. Mit dieser Flexibilisierung können sie halt die Arbeitsstunden besser an die betrieblichen Erfordernisse anpassen. Die Gewerkschaften warnen vor möglichen Gesundheitsrisiken durch eben längere Arbeitszeiten und fordern bessere Schutzmechanismen.

Und wir haben uns so ein bisschen gefragt, wer hat denn da jetzt eigentlich einen Punkt? Sind wir wirklich so faul geworden in Deutschland, wie das Friedrich Merz angedeutet hat? Und ein weiterer Anlass für diese Diskussion in der Lage ist, dass in dieser Woche nun eine Studie Schlagzeilen gemacht hat, die so klingen könnte, als seien die Menschen in Deutschland tatsächlich zu viel in der Hängematte. Das arbeitgebernahe Institut IW schreibt: "Die Zahlen geben Friedrich Merz Recht."

Genau, in dieser Studie, die sie da veröffentlicht haben oder in dieser Analyse, da schreiben sie, ein Deutscher arbeite im Erwerbsalter 2023 im Schnitt 1036 Stunden. Ein Grieche, so heißt es da, kommt durchschnittlich auf 1172 Stunden, also über 100 Stunden mehr im Jahr. Ein Pole auf 1300 Stunden, also knapp 200 Stunden mehr, Spitzenreiter seien Neuseeländer mit 1400 Stunden. Nochmal im Vergleich zu 1000 Stunden, die ein Deutscher wie es da immer heißt, arbeitet.

Wohlgemerkt, das sind die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland geteilt durch die Zahl aller Menschen im Erwerbsalter, also aller Menschen zwischen 15 und 64 Jahren, ganz unabhängig davon, ob die Menschen tatsächlich arbeiten. Das ist also nicht die Zahl der Arbeitsstunde pro arbeitender Person. Marcel Fratscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, er hält
dagegen. Also er hat auf LinkedIn, diesem sozialen Netzwerk, auf einer Analyse des DIW verwiesen auf Basis des sozioökonomischen Panels und sie kommen zu anderen Ergebnissen.

Das DIW kommt zu dem Schluss und kommt zu dem Ergebnis, dass die durchschnittlichen, wöchentlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten zwar gesunken seien, aber dass das Gesamtvolumen der geleisteten Arbeitsstunden gleichzeitig gestiegen ist. Sie sind sogar 2023 auf einem Höhepunkt gelandet. Da wurden 55 Milliarden Arbeitsstunden verrichtet in Deutschland von der arbeitenden Bevölkerung, so viel wie
noch nie. Und auch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, also dieses wissenschaftliche Institut der Bundesagentur für Arbeit, die kommen zum selben Ergebnis. Haben auch eine Excel-Tabelle veröffentlicht, haben wir verlinkt. Auch da steht drin 2023 wurden 55 Milliarden Arbeitsstunden in Deutschland verrichtete, so viel, wie noch nie. Nur zum Vergleich: In den Nullerjahren, da war das irgendwie so konstant 50 plus minus Milliardenstunden verrichtet worden.
Also die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland sind auf einem Rekord.

Und das ist doch schon mal ein interessantes Ergebnis. Mit anderen Worten: Die Menschen in Deutschland arbeiten in der Summe nicht weniger, sondern immer mehr. Zehn Prozent mehr in der Summe als in den Nullerjahren. Fragt man sich natürlich, wie kommt dieser Widerspruch zwischen den wissenschaftlichen Instituten zustande? Und da muss man sagen, zunächst mal ist das ein statistischer Effekt.
Beide Studien schauen ja, oder drei, wenn man das IAB reinzählt, alle Studien schauen auf die Zahl der Arbeitsstunden, die insgesamt geleistet werden. Aber sie teilen dann anders. Das IW, dieses arbeitgebernahe Institut, teilt durch alle Menschen im arbeitsfähigen Alter, ganz unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht, und das DIW teilt nur durch die Zahl der
Beschäftigten. Auf diese Art und Weise hat das IW bei seiner Studie quasi den größeren Nenner und kommt natürlich dann auf eine niedrigere Zahl der Arbeitsstunden pro Nase. Und das ist, ich will nicht sagen, ist eine Täuschung, aber es ist einfach ein Studiendesign, dass zu dem Ergebnis kommt, dass einfach relativ wenig Stunden pro Nase gearbeitet werden.
Aber Philip, ich glaube, was man schon festhalten muss, auch beim DIW kommt ja raus, pro Mensch wird in der Tendenz ein bisschen weniger gearbeitet, also die Arbeitsleistung pro Person sinkt. Und kann man sich natürlich die Frage stellen, ist das wirklich so schlimm, wie zum Beispiel Friedrich Merz offenbar findet?

Denn das ist ein Argument, was die Süddeutsche gemacht hat. Denn für die Unternehmen ist doch eigentlich entscheidend, wie viele Stunden bekomme ich als Unternehmen oder wie viele Stunden, wenn du die Gesamtheit nimmst, bekomme Ich als deutsche Wirtschaft und da sehen wir 55 Milliarden. Wir sind auf Rekordniveau und dann ist es, glaube ich, eher zweitrangig, wie viele Stunden jetzt pro Mensch da im Schnitt geleistet werden. Entscheidend ist, wie viele Arbeitsstunden gibt es?
Und die stehen auf einem Rekordniveau.

Es bleibt aber das Problem, dass die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland insgesamt nicht reicht. Und da ist eine Idee, wie man das fixen könnte, mehr Stunden pro Kopf arbeiten. Und deswegen bleibt die Frage durchaus spannend, wieso denn eigentlich die Menschen in Deutschland pro Kopf im Schnitt ein paar Stunden weniger arbeiten als früher?

Naja, es sind einfach mehr Menschen in Arbeit, von denen viele aber eben nicht Vollzeit arbeiten. Also mehr Menschen in Arbeit die aber nicht Vollzeit arbeiten. Das senkt den Durchschnitt pro Kopf. Die Arbeit verteilt sich einfach auf mehr Schultern, wird breiter, also wird pro Schulter weniger im Schnitt gearbeitet. So kommt diese Rechnung zustande. 2024 zum Beispiel waren vier Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mehr beschäftigt als noch vor zehn Jahren.

Und wahrscheinlich der wesentliche Faktor, die Teilzeitquote steigt seit Jahren. Das heißt, von diesen vielen Menschen, die da jetzt mehr arbeiten, arbeiten eben ganz viele nicht in Vollzeit. Das hat zum einen damit zu tun, dass viel mehr ältere Menschen weiter arbeiten gehen, was vielleicht wiederum mit dem Remtenniveau zusammenhängt. Aber, und das ist der wesendliche Faktor, viel mehr Frauen arbeiten zwar, aber insbesondere für Mütter ist es immer noch extrem schwierig, Familie und Beruf zu
vereinbaren. Und das führt dazu, dass Frauen häufig viel weniger arbeiten, als sie gerne würden. Knapp die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit.

Ja, und das obwohl sie gerne oft mehr arbeiten würden. Und das andere, was ja Merz angesprochen hatte, ist diese Viertagewoche. Das ist so ein bisschen damit verbunden. Also Viertagewoche insinuiert, die Leute wollen nicht mehr fünf Tage die Woche arbeiten, sondern noch vier Tage. Deswegen arbeiten wir insgesamt alle zu wenig und deswegen liegen wir alle nur noch in
der Hängematte. So jetzt ist die Frage, ist die angesprochene Viertagewoche von März wirklich das Problem, warum Deutschland in der Krise ist, warum wir Rezessionen haben und nicht auf dem Quark kommen. Man muss sagen, Tatsache ist heute, die Viertagewoche ist in Deutschland eine absolute Ausnahme. Da gibt es die Lokführer, aber ich glaube, das ist wirklich ein absoluter Einzelfall. Insgesamt geht der Trend nicht zu einer Viertagwoche, sondern er geht zu viel mehr Flexibilisierung.

Also beispielsweise können im öffentlichen Dienst viele Beschäftigte künftig sogar 42 Stunden arbeiten, wenn sie das möchten. Also ich glaube, dieses Einprügeln auf die Viertagewoche, das war eher so ein bisschen so ein Ausrutscher von März. Aber trotzdem bleibt es natürlich ein Problem, dass wir in Deutschland insgesamt zu wenig Arbeitsstunden leisten. Und Friedrich Merz sagt, wir arbeiten zu wenig, wir müssen raus aus der Hängematte. Ist es denn wirklich Faulheit,
Philip? Ich glaube, wenn man da mal einen Strich drunter macht unter die Studienlage, dann stimmt diese These von Friedrich Merz auf zwei Ebenen nicht.

Also zum einen sind die Gesamtstunden, die geleistet werden, eben auf einem Rekordniveau. Da kann man jetzt nicht davon sprechen, dass alle nur in eine Hängematte liegen und das einfach immer weniger gearbeitet wird. Das ist die eine Ebene. Und diese ohnehin hohe Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ließe sich sogar noch steigern, wenn denn wirklich alle so viel arbeiten könnten, wie sie wollten. Das spricht gegen dieses Argument, die Leute sind einfach zu faul, deswegen gehen sie nicht mehr zur
Arbeit. Sondern das ist eben ein Problem der Rahmenbedingungen, Stichwort Teilzeit für Frauen. Unstrittig bleibt aber, dass wir einfach mehr Arbeitsleistung in Deutschland brauchen, Stichworte demografischer Wandel, Fachkräfte, etc. Und da gibt es eben zwei Wege. Der eine Weg ist, man kann pro Stunde mehr arbeiten, also die Produktivität steigern. Das kann man machen durch mehr Investitionen in Maschinen und Bildung. Das würde jetzt hier ein bisschen weitführen.
Wir konzentrieren uns deswegen auf den zweiten Weg, mehr Arbeitsleistung in einer Volkswirtschaft zu generieren. Und das ist eben einfach mehr Arbeitsstunden zu leisten.

Und da fragt sich, woher sollen diese zusätzlichen Arbeitsstunden kommen? Die Wirtschaft sagt, man könnte einen Feiertag streichen und auf diese Art und Weise gehen die Arbeitsstunde pro Menschen nach oben. Es gibt auch noch ein paar andere Methoden, eben Wochenarbeitszeit und so. Und das Ziel dabei wäre, diejenigen mehr arbeiten zu lassen, die jetzt schon in Arbeit sind. Das erhöht aber auch den Druck auf Arbeitende und gefährdet potenziell auch die Work-Life-Balance.
Und man kann sich schon fragen, ob das wirklich sein muss, dass Menschen, die heute schon Vollzeit arbeiten noch mehr ran genommen werden, denn an anderer Stelle, Stichwort Teilzeitarbeit oder Stichworte Menschen, die gar nicht arbeiten dürfen, schöpft Deutschland sein Potential bei weitem nicht aus. Da liegt eine ganze Menge an Potential brach, sodass man vielleicht auch an die heute schon Vollzeitarbeiten denn gar nicht ran muss, die nicht noch weiter quasi unter Druck setzen muss.

Ja, also die eine Gruppe, das haben wir ja häufig auch schon erwartet, die wahrscheinlich in großer Mehrheit viel mehr arbeiten wollte, als sie das derzeit dürfen, sind Migranten, Migrantinnen, Leute mit Migrationshintergrund, da gibt's, haben wir hier breit ausgeführt, hohe Hürden für die Arbeitsaufnahme, Arbeitsverträge müssen jeweils einzeln genehmigt werden und gelten dann auch nur für diesen einen Job, das dauert oft sechs Monate oder noch länger, aber die Hürden für diese
Arbeitsaufnahmen von Migrantinnen und Migranten sollen nun nach dem Koalitionsvertrag kaum abgebaut werden.

Also, man kann sich ein bisschen die Frage stellen, warum das so ist. Als wir dieses Migrationskapitel analysiert haben, haben wir uns wirklich die Augen gerieben. Da liegt ein riesiges Arbeitskräftepotenzial brach. Man müsste das einfach nur entspannen. Das hatte die Ampel auf den letzten Metern auch noch in den Bundestag eingebracht. Ist da, wie so vieles andere, dann versandet aufgrund des Bruchs der
Ampel. Das Problem scheint mir persönlich zu sein, die Union fürchtet einfach nichts so sehr wie die berühmt-berüchtigten Pull-Faktoren und Integration. Wir erinnern uns an Andi Scheuer, den ehemaligen Unionsminister, der sich fürchtete, dass man einen gut integrierten Senegalesen, Stichwort bei ihm war Fußballspielen, ministrierender Senegalese, dass man solche Menschen ja nicht mehr abschieben kann.
Und wenn natürlich das oberste Ziel ist, Menschen nicht zu integrieren, damit man sie leichter abschieben kann, dann ist es halt schwierig mit der Arbeitsaufnahme. Also da kann man wirklich nur an die Koalition, insbesondere jetzt an die SPD, appellieren.
Macht da Druck! Und sagt, wenn wir mehr Arbeitsstunden brauchen in Deutschland, dann lasst uns doch die paar hunderttausend Leute endlich mal arbeiten lassen und zwar wirklich einfach und unbürokratisch, die wir längst im Land haben, das schont die Sozialkassen und es dient natürlich auch der Integration. Also ist doch klar, wer arbeiten geht, wer Geld verdient, der macht in weitestem Sinne weniger
Probleme. Aber das DEW hat noch einen zweiten Punkt, nämlich was ist mit der Teilzeitarbeit vor allem bei Frauen?

Ja, das ist glaube ich der ganz zentrale Punkt, den das DEW macht. Frauen sollten stärker dabei unterstützt werden, ihre Arbeitszeit über die Teilzeit hinaus zu einer Vollzeit auszudehnen, wenn sie das denn wollen. Das ist die zentrale Forderung. Ja, auch nicht neu. Hat jetzt ja auch nochmal der Sachverständigenrat, die Wirtschaftsweisen, die gerade ihr Gutachten vorgestellt haben. Die haben das auch nochmal gefordert. Das sei ganz, ganz
wichtig. Um eben diese Arbeitsleistung in Deutschland zu erhöhen. Die Politik aber, vor allen Dingen die Politik der Union, verringert nun aber gerade den Reiz, mehr und vor allen mehr Vollzeit zu arbeiten. Da denken wir nur zum Beispiel an den Vorschlag, Zuschläge für Überstunden steuerfrei zu stellen. Da muss man ja erstmal denken, ok super, also wenn ich Überstunden machen, dann muss ich darauf keine Steuern
zahlen. Der Effekt dürfte aber sein, dass vor allem der Mann die Männer einfach länger arbeiten, Stichwort Überstunden machen. So was heißt das in Familien? Für Frauen in aller Regel, na sie haben nun noch größeren Druck und Anreiz zu Hause zu bleiben, um die Care-Arbeit zu machen. Ehegattensplitting ist so ein anderes Thema.

Ja, das Ehegartensplitting führt ja dazu, dass zwei Ehepartner zusammengezählt werden bei der Steuer und dann quasi nur einen Durchschnittseinkommenssteuer bezahlen. Und das lohnt sich einfach am meisten, wenn einer, und das ist häufig die Frau, gar nicht oder so wenig wie möglich arbeitet. Je größer die Einkommensdifferenz zwischen den beiden Ehepaartnern, desto größer ist der finanzielle Ertrag beim Ehegattenspliting.
Mit anderen Worten: Das Ehegattensplitting, so wie es heute ausgestaltet ist, ist im Grunde schon so ein bisschen so eine Art Herdprämie. Bleib zu Hause, dann spart ihr maximal.

Ja, ein dritter Punkt, der häufig genannt wird, sind diese Minijobs, wo du halt kleine Jobs hast und, ja, man zahlt da auch Steuern und sehr wenig Steuerm und es gibt auch Sozialabgaben und so weiter, aber diese Minijobs sind halt ein hoher Anreiz, die Arbeitszeit zu deckeln, weil halt diese ganzen Vorzüge es nur bis zu einer gewissen Maximallohnhöhe gibt und damit sind natürlich auch die Arbeitsstunden gedeckelt, also die Existenz so wie diese Minijops ausgestaltet sind, sind halt ein hoher
Anreiz dafür, seine Arbeitszeit zu deckeln, weil man halt sonst diese Benefits von diesen Minijobs nicht mehr kriegt.

Ihr hört schon, die Politik prügelt zwar ein auf Leute, die angeblich zu faul sind, aber die naheliegenden Stellschrauben werden bislang jedenfalls nicht ausgenutzt. Stattdessen wäre einfach gut, jetzt nur mal in Stichworten, Kinderbetreuung ausbauen, um mehr Vollzeit anzuregen. Ja, theoretisch gibt es ja schon Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz, aber so einfach ist das eben in der Praxis nach wie vor nicht.
Gerade auch, weil dann die Betreuungszeiten in den Kitas häufig zu kurz sind, sodass das dann doch wieder nicht so richtig zusammenpasst mit einem Vollzeitjob.
Wir brauchen natürlich mehr Migration, ohne die ist übrigens alles nichts, von Rente bis Pflege, wir brauchen ja vor allem Menschen, die da einzahlen in die Sozialversicherung, aber auch Menschen, die diese Jobs machen wollen, für die man eben auch nicht zwingend ein Hochschulstudium braucht und dann natürlich die naheliegende Forderung, die Menschen, die schon im Land sind, müssen endlich auch wirklich arbeiten dürfen, weg mit diesen langwierigen Antragsverfahren für
jeden einzelnen Job und ich würde auch sagen, jeder, der hier ist, soll natürlich arbeiten dürfen. Ja, da gibt's tausend rechtliche Begrenzungen und Hürden, die stammen überwiegend aus Zeiten, als wir eben massive Arbeitslosigkeit hatten. Wir haben heute keine Arbeitslosigkeiten mehr. Da muss ich einfach, glaube ich, vor allem die Union endlich verabschieden von diesen Gedanken: Lass uns die bloß nicht integrieren, sonst können wir die nicht mehr
abschieben. Meine Güte, das schafft halt auf allen Ebenen nur Probleme. Wir brauchen die Arbeitskraft und wir wollen auch eigentlich keine schlecht integrierten Menschen im Land haben. Denn die Union ist ja auf der anderen Seite auch die erste Partei, die immer sagt, wer hier ins Land kommt, muss sich integrieren. Ja, insofern, Philip, muss ich schon sagen: Ich sehe März' Attacke auf die Work-Life-Balance so ein bisschen kritisch.
Da scheint er sich einfach, aus meiner Sicht jemals die Punkte rausgepickt zu haben, die ihm so ein bißchen in die Agenda passen, oder? Wie würdest du das einschätzen?

Ja, also wir sind uns einig, wir brauchen mehr Arbeitsleistung, um aus dieser Rezession rauszukommen, um diese Stellen zu besetzen, die alle offen sind. Und das wird ja immer mehr. Und wir haben jetzt hier ja auch so ein paar Punkte aufgezeigt, wie das ginge.
Mir scheint so diese Attacke auf so Work-Life-Balance und wir müssen alle mehr ranhauen und so, das riecht für mich so ein bisschen so nach 60er Jahren: Wir müssen uns alle mehr ausquetschen, und wer Work-Life-Balance hat, der liegt eigentlich
schön ausbalanciert in irgendeiner Hängematte. Und das, finde ich, ignoriert so ein bisschen und diffamiert eigentlich auch so ein bisschen diese Erkenntnisse der letzten Jahre, dass Work-Life-Balance nicht bedeutet, die Leute sind faul, sondern sie achten vielleicht auch ein bisschen mehr auf ihre seelische Balance und auf ihre Ausgeglichenheit und sind dann vielleicht auch produktiver, wenn sie ausgeglichen sind, wenn es dann eine Balance gibt. Und das scheint er mir durch so eine
populistische Attacke zu negieren und zu diffamieren. Und das finde ich verbaut so ein bisschen den Blick darauf, was eigentlich getan werden könnte, um ja dieses total berechtigte Ziel zu erreichen, aber mit vielleicht nachhaltigeren Mitteln und Methoden.

Ja, man könnte etwas sarkastisch formulieren, vielleicht will Friedrich Merz ja so die Probleme der Rentenkassen lösen, wenn wir alle ackern wie Blöde und dann schön mit 70 den Löffel abgeben, dann stimmt die Rechnung.

Letztes Wochenende wurde in Polen ja gewählt. Und zwar gab es die erste Runde der Präsidentschaftswahlen. Knapp gewonnen in dieser ersten Runde hat Rafał Trzaskowski, das ist der Kandidat des liberalen Bündnisses PO, das heißt dieselbe Gruppierung, die auch den liberalen Ministerpräsidenten Donald Tusk stützt.

Aber Trzaskowski erzielte keine absolute Mehrheit, denn der zweite Platz ging an Karol Nawrocki von der PiS. Das ist quasi die polnische AfD, so eine rechtspopulistische Partei. Und daher gibt es nun also einen zweiten Wahlgang am 1. Juni, um zu schauen, wer da die absolute Mehrheiten erringt und neuer Präsident Polens wird.

Diese Wahlen, die haben in der deutschen Öffentlichkeit jetzt nicht gar keine Rolle gespielt, aber sie haben eine doch sehr geringe Rolle gespielt und wir glauben, das ist halt eine krasse Fehleinschätzung.
Denn zum Beispiel von Leuten natürlich in Berlin und Brüssel, da wurde diese erste Runde dieser Präsidentschaftswahl sehr aufmerksam beobachtet, denn vom Ausgang dieser Präsidentschaftswahl in Polen, da dürfte maßgeblich abhängen, ob Polen nun zurück auf den Weg quasi zur Demokratie und zu Rechtsstaatlichkeit findet.
Also ob diese rechtspopulistische PiS das Land weiter blockieren kann, obwohl sie ja mittlerweile in der Opposition ist oder ob Donald Tusk dieses Land wieder zu einer liberalen Demokratie zurückformen kann.

Ja, wir erinnern uns, die PiS, diese rechtspopulistische Truppe, die hatte acht Jahre lang eine Mehrheit im Parlament, wurde dann aber Ende 2023 abgewählt. Mit Ach und Krach wurde der liberale, EU-freundliche Donald Tusk Regierungschef, also Ministerpräsident. Doch der Präsident, Andrzej Duda, von der PiS blieb im Amt und er tut nun sein 18 Monaten alles, damit Tusk und seine Koalition politisch nicht so richtig vorankommen, insbesondere indem er sein Veto einlegt gegen zentrale Gesetze.
Und Philip, warum ist denn das jetzt eigentlich wichtig, wer in Polen Präsident wird, gerade auch für Deutschland und die Europäische Union?

Das sind Fragen, die wir jetzt schön weiter reichen können, nämlich an Martin Adam, unseren Kollegen. Er ist Journalist beim Rundfunk Berlin Brandenburg und arbeitet in dessen Auftrag seit drei Jahren als ARD-Korrespondent in Warschau. Außerdem ist er Podcastkollege, gestaltet das Format mit, was sich da nennt, in Polen. Link dazu findet ihr in den Show notes. Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation, Martin Adam in Warschau.
Hallo!

Ja Martin Adam, warum ist das Amt des polnischen Präsidenten denn eigentlich so wichtig in der polnische Verfassungsordnung? Wir dachten mit Donald Tusk sei jetzt in Warschau wieder ein Demokrat am Ruder?
Ja, das haben viele gedacht. Das ist ja auch so, dass mit Tusk und dieser Regierung an sich ein Teil des Umschwungs 2023 geschafft wurde. Dieses weg vom Rechtspopulismus, die Leute haben, oder zumindest ein großer Teil der Leute, hat eben nach diesen acht Jahren PiS-Regierung, wo die sich tatsächlich in alle denkbaren Strukturen des Staates eingeschrieben haben.
Also wir reden nicht nur von den Gerichten, wir reden von Schul-, von Bildungs-, Kulturpolitik, von den öffentlichen Medien, alles, wo sie ihre Hände rangekriegt haben, haben die ihre Leute reingebracht, haben ihre Strukturen da reingeschrieben und davon hatten die Leute die Faxen dicke nach acht Jahren.
Und dann gab es dieses große auch europaweite Aufatmen '23: Jetzt ist das Problem Rechtspopulismus ja erledigt und wir, die wir hier in Warschau leben, die wir das hier in Polen beobachten, haben da schon so ein bisschen Bauchschmerzen dabei gehabt bei dieser großen Spitze, da können wir jetzt ein Häkchen dran machen, jetzt geht's ja weiter Haltung.
Denn nicht nur, dass die PiS damals trotzdem ja stärkste Kraft geworden ist mit gut 35%, das darf man nicht ignorieren, die Menschen sind ja trotzdem da, eben ihr Präsident, Andrzej Duda, der ist weiter im Amt geblieben und der hat eine ziemlich zentrale Position. Der hat deutlich mehr Macht als der deutsche Bundespräsident.
Der ist in der Verfassung eigentlich so als Check-and-Balances als Gegengewicht zur Regierung gedacht, aber nicht um Politik zu machen, sondern um zu verhindern, dass eine Regierung völlig frei dreht, eigentlich sozusagen Wächter der Verfassung. Andrzej Duda interpretiert das ein bisschen anders und er hat ein Veto-Recht. Das heißt, jedes poenische Gesetz, groß oder klein, alles, was in Gesetzesform verabschiedet werden soll, muss vom Präsidenten unterschrieben werden.
Der ist der Flaschenhals, durch den das durch muss. Und wenn auch in der Verfassung die Idee war, der Präsident legt da nur sein Veto ein, wenn das wirklich grob fahrlässig ist, was da verabshiedet wird, hat Andrzej Duda das so interpretiert, dass er sein Veto einlegt bei fast allem.
Kleine Gesetze hat er durchgelassen, aber die großen, die notwendig sind für die Reformversprechen, für die eben Donald Tusk und diese Regierung gewählt wurden, das Aufräumen mit der PiS, die Reform der Gerichte, auch die Reformen der Medien beispielsweise, der Schulpolitik, alles, wo man Gesetzer braucht, um es dann eben sozusagen den Rechtsbruch im Rahmen des Rechts zu reformieren und wieder zu korrigieren, da stand Andrzej Duda und hat gesagt, nee Leute, nicht mit
mir. Und insofern hat es die PiS geschafft, von der Oppositionsbank diese Regierung ganz effektiv zu torpedieren.

Jetzt hat die PiS ja die Wahlen verloren. Donald Tusk ist in der Regierung. Die Funktion des Präsidenten hast du beschrieben als Bremsklotz. Dennoch hat Tusk ja oder hat die Regierung Tusk versucht, diese autokratischen, autoritären Reform der PiS zurückzudrehen mit den von dir beschriebenen Schwierigkeiten. Wie weit Ist Tusk gekommen? Was haben sie nicht geschafft? Was steht sozusagen noch auf der Agenda, wenn man das Erbe der PiS wieder zurückdrehen will?
Es steht wahnsinnig viel auf der Agenda. Tusk hat damals auch so ein bisschen, ich weiß nicht ob Größenwahnsinnig das richtige Wort ist, aber er hat einen extrem emotionalisierten Wahlkampf geführt, eben dieses Gut gegen Böse, wir bringen das Licht zurück nach den Zeiten der Dunkelheit und hat da 100 Versprechen für die 100 ersten Tage gegeben. Das ist etwa so glaubwürdig gewesen, wie wenn Donald Trump versprochen hat am ersten Tag nach Amtsübernahme den Ukrainekrieg zu beenden.
Das war auch damals schon allen klar, aber von diesen 100 Versprechen sind, ich glaube, 16 oder 17 in Ansätzen erfüllt worden. Was gelungen ist, und das ist auch ein ganz gutes Beispiel, um zu zeigen, womit die sich dann behelfen müssen, ist die Reform der öffentlichen Medien. Denn die Regierung kann im Grunde nur über Verordnungen regieren, wenn es ans Eingemachte geht, weil wie gesagt die Gesetze vom Präsidenten blockiert werden. Die öffentlichen Medien waren im Grund von der PiS gekapert.
Und das kann man, ich hab mich da lange schwergetan mit diesem Wort, aber man kann das irgendwann nicht mehr anders bezeichnen, das war ein Propagandasender, gerade TVP 1, also sozusagen das Pendant zum Ersten in der ARD, ist hier TVP1, war einfach ein Sender, der nur noch ausschließlich auf die Opposition eingeprügelt hat und gleichzeitig erklärt hat, wie toll das alles ist, was die PiS macht. Und dann hat man gemerkt, auf legalem, auf gesetzestreuem Weg kommt man da nicht ran.
Man kann die Leute da nicht wieder rausholen, man kann die PiS-Leute nicht einfach feuern, wenn man nicht selbst den nächsten Putsch anzetteln will.
Und dann musste sich die Regierung solcher zum Teil auch kruden Tricks bedienen, dass man an der Stelle nicht das Medien-, sondern das Wirtschaftsrecht genommen hat und gesagt, naja, TVP und Polskirradio, also die Radiosenderfamilie und auch die Nachrichtenagentur PAP, das ist formell Staatseigentum, ist deutlich in der Struktur deutlich weniger staatsfern als die ARD in Deutschland. Also wir sind Eigentümer.
Und dann ist es unser Recht als Eigentürmer, als Aktionäre gewissermaßen, zu sagen, wir überführen jetzt diese Medien in die Liquidatia, also in so eine Art Insolvenzverfahren. Und an der Stelle haben wir das Recht, einen Insolvensverwalter oben dranzusetzen und der kann dann auch personell Veränderungen vornehmen. Da sagt natürlich die PiS, seht her, das ist genau der Staatsstreich, vor dem wir euch gewarnt haben.
Die Regierung sagt, wir würden es gerne anders machen, aber ihr lasst das nicht zu! Und seitdem senden die Sender TVP und Polskiradio wieder neutraler. Das ist auch alles noch nicht optimal, aber das sind zumindest wieder Nachrichten, die man schauen kann und wo man mehrere Perspektiven bekommt.
Was überhaupt nicht funktioniert hat und das ist was, was Rafał Trzaskowski als Kandidat der regierenden Bürgerkoalition jetzt auch jagt im Wahlkampf, ist die versprochene Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Das polnische Abtreiberungsrecht ist extrem streng und unter der PiS ist es noch mal verschärft worden. Abtreiben sind de facto
verboten. Es gibt kaum legale Möglichkeiten einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen und den Medizinerinnen und Medizinern drohen dort bis zu drei Jahre Haft, wenn sie das machen.

Und das führt ja auch zu Todesfällen. Es gibt ja inzwischen, ich glaube, für mindestens fünf dokumentierte Fälle, wo Frauen mit einer Schwangerschaftskomplikation im Krankenhaus nicht behandelt wurden, weil sie nämlich eine Abtreibung gebraucht hätten aus medizinischen Gründen und dann quasi unter den Händen des medizinischem Personals verstorben sind.
Ja, es sind mehr inzwischen. Ich weiß von neun dokumentierten und die Dunkelziffer wird höher sein. Es gibt Nachrichten von schwangeren Frauen, die sagen, die lassen mich hier sterben. Die dann am Ende einer Blutvergiftung beispielsweise sterben, die also aus medizinischen Gründen wirklich einen Eingriff gebraucht hätten. Und das ist gescheitert. Und das zeigt, wie kompliziert dann das Leben nach dem Rechtspopulismus sozusagen ist.
Das ist dann nicht nur daran gescheitert, dass Andrzej Duda das blockiert hätte, wenn es zu einem Gesetz gekommen wäre, sondern dass die Koalition, die Donald Tusk da zusammenschrauben musste, um überhaupt gegen die PiS noch eine Chance zu haben bei diesen Wahlen '23, von denen viele gesagt haben, das sind die letzten Wahlen, wo man die demokratisch noch besiegen kann, danach ist der Zug abgefahren.
Und diese Koalition ist so groß, die besteht aus drei Parteibündnissen, wenn man das aufsplittert, landet man bei elf Parteien. Wo alle mitreden wollen, die in sich konnten sich gar nicht auf eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts einigen, weil da ist von linksprogressiv bis wirklich, na noch nicht rechts, aber sehr konservativ, in einem sehr katholisch geprägten Land, sind da alle mit dabei.

Also jetzt mal um das, um das ein bisschen plastisch zu machen, also quasi eine Koalition von der CSU bis zur Linkspartei, also einmal quer durchs demokratische Spektrum, wenn man das auf deutsche Verhältnisse übertragen würde.
Der Vergleich, das passt ganz gut und die konnten sich genauso gut einigen, wie man sich eine Koalition von links bis CSU vorstellen kann, nämlich an vielen Stellen erstaunlich gut, aber bei so was wie dem Abtreibungsrecht eben überhaupt nicht.
Und da sind einfach wahnsinnig viele Menschen jetzt sehr, sehr frustriert und gerade die Wählerinnen, die 2023 ganz entscheidend waren für den Wahlausgang sind oft jetzt bei dieser Wahl zu Hause geblieben oder haben Magdalena Biejat gewählt, die Kandidatin der neuen Linken, auch Teil der Regierung, wo aber klar war: Magdalina Biejat hat wenig Chancen, das zu gewinnen.
Dass sie so schlecht abgeschnitten hat wie sie jetzt abgeschnitzen hat mit 4,23 prozent ist auch eine negative Überraschung gewesen. Aber dieses Vorwärts stolpern, wo dann die Leute doch irgendwann auch nicht mehr mitgehen und der Regierung nur begrenzt Kredit geben wollen, weil sie irgendwann sagen, wir sind jetzt trotzdem genervt davon, dass hier nichts passiert und deswegen strafen wir euch jetzt ab.
Plus die Dauerblockade und Sabotage von der PiS, das führt dazu, dass wir jetzt in einer Situation sind, wo der PiS-Kandidat Karol Nawrodzki sehr, sehr gute Chancen hat, in der zweiten Runde, also in der Stichwahl, der nächste polnische Präsident zu werden.

Bevor wir darauf zu sprechen kommen, vielleicht nochmal, weil das ja so in der Debatte war, dieses Verfassungsgericht, was von der PiS umgekrempelt wurde, das hast du jetzt noch gar nicht erwähnt. Wie weit ist Tusk da gekommen mit dem Rollback und das wieder zu einer wirklichen dritten Säule in der Gewaltenteilung zu machen?
Null. Keinen Zentimeter. Ich hab's nicht erwähnt, weil, genau, weil das sozusagen ist, spricht im Moment niemand über das Verfassungsgericht, weil da nix passiert. Die PiS hat damals mit Tricks, zum Teil rechtswidrig, zum teil aber auch basierend darauf, dass die Vorgängerregierung auch mit dem Verfassunsgericht so ein bisschen Schindluder getrieben hat und da versucht hat, noch schnell ihre Leute reinzubringen.
Die Vorgängerregierung von der Partei von Donald Tusk, also es ist immer dieses Pendel hier hin und her, haben dies geschafft, relativ schnell ihre Leute ins Verfassungsgericht zu bringen, haben acht Jahre lang regiert. In der Zeit sind auch Leute einfach aus Altersgründen ausgeschieden, die konnten nachbesetzen. Das Verfassunggericht ist de facto von der PiS besetzt.
Und die Regeln sind so krude gebrochen worden, dass die Verfassungengerichtsvorsitzende irgendwann selbst nach Ansicht der eigenen Leute im Verfassungsgericht eigentlich illegal auf dieser Position war, weil sie schon lange nicht mehr, also ihre Amtszeit war abgelaufen, sie hätte da schon lange rausgehen müssen, hat sie nicht gemacht. Das hat noch zu PiS-Zeiten dazu geführt, dass das Verfassungsgericht einfach nicht mehr handlungsfähig war. Es gab keine Urteile mehr vom Verfassunggericht.
Und an dem Tag, als gewählt wurde und klar wurde, oh, mit der PiS, das wird jetzt schwierig, die sind hier wahrscheinlich abgewählt, da hat das Verfassungsgericht zweimal kurz nacheinander Urteile rausgehauen, die so klare politische Statements waren. Eines davon war EU-Strafen, das nehmen wir hier gar nicht an. Also Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die gelten gar nicht für Polen. Das ist eine PiS-Programmatik im Grunde, da hat sich also das Verfassungsgericht
positioniert. Die hätten auch Fahnen raushängen können. Und bis heute ist es so, dass Andrzej Duda, der Präsident, entweder ein Veto einlegt oder sagt, ah Leute, ich bin nicht ganz sicher, wir schicken das mal zur Überprüfung ans Verfassunggericht. Und dann wissen alle, das bedeutet, dieses Gesetz ist vom Tisch, weil das Verfassunggericht wird's einfrieren.

Ok, das war jetzt das Verfassungsgericht, aber auch abgesehen vom Verfassunggericht ist die Ppolnische Justiz ja von der PiS ziemlich straff auf Linie gebracht worden, auch mit rechtsstaatlich höchst bedenklichen Tricks, die wiederum auch die EU-Kommission auf den Plan gerufen haben. Wie hat die PiS das geschafft und hat es Donald Tusk mit seinen Leuten inzwischen erreicht, das wieder zurückzudrehen?
In Teilen ist das gelungen. Also du hast die Tricks angesprochen. Einer dieser Tricks war am obersten Gericht, also quasi dem zweitwichtigsten Gerich nach dem Verfassungsgericht, das Rentenalter runterzusetzen. Was dazu führte, dass dort Richterinnen und Richter am Montagmorgen zur Arbeit gekommen sind und es hieß, ne, ne, ihr seid jetzt in Pension. Eure Plätze sind frei, wir können die jetzt neu besetzen.
Und das ist dann nicht mehr ganz so stark, aber letzten Endes in so einem Trickle-down-Effekt bis nach unten, bis dann in die kleinsten Gerichte immer fortgesetzt worden, dass da Gerichtspräsidentinnen und Präsidenten ausgetauscht wurden. Die haben entsprechend auch einfach die wichtigen Fälle den Leuten gegeben, von denen sie wussten, naja, die sind eher auf
unserer Seite. Das hat dann irgendwann auch so einen Zensureffekt nach innen, dass Richterinnen und Richter sich dann wiederum nicht so richtig trauen. Es gab eine ganz starke Bewegung unabhängiger Richterinnen und Richter, die dagegen gekämpft haben und die haben dafür zum Teil einen hohen Preis bezahlt. Also Igor Tuleya ist so die Galleonsfigur dieser Bewegung, der ist für mehrere Jahre glaube ich suspendiert worden. Der ist nicht gekündigt worden.
Der hat weiterhin Geld bekommen, aber er durfte nicht mehr urteilen. Er hat einfach keine Fälle mehr bekommen. Die PiS hat so eine Art Disziplinarkammer eingerichtet, um missliebe Richterinnen und Richtern zu bestrafen. All das hat dazu geführt, dass die Europäische Union also der Europäische Gerichtshof, da hohe Geldstrafen verhängt hat und auch zum Teil gesagt hat, hier sind einfach Gerichte am Werk, das sind keine Gerichte. Die genügen nicht den Voraussetzungen für ein unabhängiges Gericht.
Und viele dieser Reformen laufen dort relativ leise ab, indem einfach solche Praktiken eingestellt wurden, indem diese Disziplinarkammer zwar formell nicht aufgelöst wurde, aber schlichtweg nichts mehr tut. Sie bekommt schlicht weg keine Fälle mehr, in denen sie jetzt irgendwelche Richterinnen und Richter bestrafen könnte. Gerade bei den kleineren Gerichten konnten dann auch Gerichtspräsidenten und Präsidentinnen wieder umbesetzt werden.
Aber das Grundproblem bleibt, dass es so eine Art Sündenfall gab am Anfang der PiS-Zeit, dass der Landesrichterrat, also das Gremium, was dafür zuständig ist, neue Richterinnen und Richter zu berufen oder zu nominieren zumindest, dass das rechtswidrig umbesetzt wurde. Und ich bin kein Jurist, aber so
verstehe ich es. Wenn man jetzt ganz prinzipientreu wäre, müsste man eigentlich sagen, ein Großteil aller Gerichtsurteile, große und kleine, wichtige und unwichtige, in den acht Jahren danach muss man eigentlich aufheben. Aber das geht nicht. Das ist nicht machbar.

So jetzt haben wir so ein bisschen deutlich gemacht, worin die Bedeutung dieser Präsidentschaftswahl besteht und wir haben ja auch gesagt, dieser liberale Kandidat, Rafał Trzaskowski und der eigentlich parteilose Karol Nawrodzki, aber der eben von der PiS ins Rennen geschickt wurde, die haben nun Platz 1 und 2 belegt, es gibt also eine Stichwahl am 1.
Juni. Da waren, als hast du ja auch schon gesagt, nun aber auch danach andere Kandidaten und Kandidatinnen unterwegs und die werden natürlich jetzt bei der Stichwahl nicht mehr zur Wahl stehen oder stellt sich halt die Frage, was machen denn die Leute, die jetzt diese anderen Kandidate gewählt haben. Und dann gibt es im Kern also diese zwei Blöcke, also die liberalen Stimmen kommen so glaube ich auf 47 Prozent und die radikalen Stimmen um Nawrodski rum und eben die anderen Kandidaten kommen
auf 53. Also das heißt, wenn sie jetzt wirklich alle die, die bisher radikale Kandidaten gewählt haben, nach Wort gewählt, dann wird der der Präsident. Wie ist da die Mathe? Wie sind die Erfolgsaussichten für den liberalen Präsidentschaftskandidaten?
Ja, die rechnen natürlich genau so jetzt und beide Kandidaten, Trzaskowski und Nawrodzki, sind unterwegs, um diese Wählerinnen und Wähler der anderen, waren ja insgesamt 13 Kandidatinnen und Kandidate anzusprechen. Man kann das nicht einfach so rüberrechnen.
Also, weil auf beiden "Seiten", in Anführungsstrichen, weil ganz so klar sind die Blöcke dann doch nicht, sind auch einfach viele Kandidanten dabei, die auch jeweils dann mit den großen Rechten oder den großen liberalen Kandidatern nichts zu tun haben
wollen. Ein Beispiel: 21% der Wählerinnen und Wähler hier haben für zwei Kandidaten gestimmt, Sławomir Mentzen und Grzegorz Braun, die beide zusammen bis vor kurzem die Konfederatia geleitet haben, eine extrem rechte Partei, so eine Mischung aus AfD und NPD aus den 90ern vielleicht, die wirklich ganz offen anti-europäisch, anti-LGBT, antisemitisch, Steuern runter und den Sozialstaat abschaffen und jeder kämpft für sich
allein. So eine Mischung aus NPD und FDP auf Superspeed irgendwie, also 21 Prozent, jeder Fünfte. Und um die bewirbt sich natürlich jetzt Nawrodzki. Das sind aber auch Kandidaten, die Nawrodzki auch nicht mögen, die auch sagen, das ist eine Systempartei. Und das sind immer diese beiden großen Blöcke seit Jahrzehnten, die hier die Politik dominieren.
Da muss man davon ausgehen, dass viele von denen, gerade die Wähler von Braun, das sind wirklich Rechtsextreme, dass die nicht für Nawrodzki stimmen werden. Trzaskowski auf der anderen Seite, der liberale Kandidat, hat ähnliche Probleme. Da gibt es linke Mitbewerberinnen, Mitbeweber Adrian Sandberg zum Beispiel. Der Kandidaten von Razem ist eine Partei, die quasi mit in die Regierung gewählt wurde.
Und er hat sie dann sofort wieder rausgeführt, weil er sich eben auch als Antisystemalternative zumindest präsentieren möchte, der überhaupt da gar keine Unterstützung gibt. Der sagt, naja, die Wähler sind intelligent, man kann die nicht einfach so weiterreichen. Aber naja, denken wir mal eigentlich lieber darüber nach, dass wir mit diesem Rückenwind bei der nächsten Parlamentswahl ganz gut abschneiden könnten.
Und dann wäre es ja ganz gut, wenn die bestehende Regierung vielleicht früher kollabiert, weil nämlich Nawrodzki Präsident geworden ist. Insofern ist diese Mathe-Rechnung, die jetzt alle anstellen, so begrenzt belastbar, weil am Ende, ja, kommt es jetzt auf den Wahlkampf der nächsten anderthalb Wochen an und es wird sich zeigen, wie viele Menschen vielleicht auch nicht mehr wählen gehen und durch die gesunkene Wahlbeteiligung sich dann da die Kräfteverhältnisse verschieben.
Die Ausgangsposition für Nawrodzki ist gerade besser.

Schauen wir doch nochmal auf die Stimmung im Wahlkampf, denn interessanterweise spielt ja Deutschland im polnischen Präsidentschaftswahlkampf eine ziemlich große Rolle, also in Deutschland wissen viele Menschen nicht so wahnsinnig viel über Polen, viele interessieren sich auch nicht so besonders, aber ich meine immerhin ist Polen ja unser großes Nachbarland Richtung Osten. Wie sieht es denn dort aus? Wie blicken die Menschen in Polen auf Deutschland?
Das Deutschlandbild der Polinnen und Polen, wenn man sich die entsprechenden Studien anschaut, ist gar nicht so schlecht. Grundsätzlich, das ist nicht so überraschend, du hast es gerade auch schon gesagt, die Polinnen und Polenen wissen viel, viel, mehr über Deutschland, sind viel interessierter auch an ihrem westlichen Nachbarn als die meisten Deutschen, die dann auch wiederum eher nach Westen schauen und nicht so richtig Ahnung von Polen haben.
Gleichzeitig spielt das aber politisch eine immer größere Rolle aus einem simplen Grund. Die PiS betreibt im Grunde seit Jahren so eine Verschwörungsgeschichte, dass sie erklärt, Donald Tusk sei eigentlich so eine Art deutscher Geheimagent und Deutschland an sich sei nicht zu trauen. Deutschland, vor allem Berlin, kontrolliere die Europäische Union. Also auch wenn es Urteile des Europäischen Gerichtshofs gab gegen die polnische "Justizreform", hieß es immer, da steht Berlin dahinter.
Und das alles, das erklärt Jarosław Kaczyński, der PiS-Chef, immer wieder, um Polen klein zu halten. "Pot butem nimnetskim" ist dann immer die Formulierung, also unter dem deutschen Stiefel zu halten, das sind natürlich ganz klare Anklänge an den Zweiten Weltkrieg, an die deutsche Besatzung und an den Widerstandskampf der Poleninnen und Polen damals.
Das ist so ein bisschen absurd, wenn man als Deutscher hier steht und weiß, wie wenig die meisten Deutschen sich tatsächlich für Polen interessieren, diese Erzählung, dass die Deutschen die ganze Zeit da sitzen und Pläne machen, wie sie jetzt Polen klein machen können, das ist natürlich ein bisschen Gagga.
Aber das verfängt bei etwa eben 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler und insofern kommt dann Deutschland immer wieder und das hat so ein Effekt, dass auch Donald Tusk bisschen gucken muss, wie er sich, Friedrich Merz war jetzt hier, Olaf Scholz war vorher hier, es geht um die deutschen Grenzkontrollen, wie sich er in solchen Debatten verhält.
Weil wenn er zu kompromissbereit ist, dann wird das von der PiS sehr schnell so ausgeschlachtet, wie seht ihr, wir haben es euch doch gesagt, der steht eigentlich auf der Gehaltsliste der Deutschen.

Martin Adam, Korrespondent für die ARD in Warschau, ganz herzlichen Dank für deine Zeit und die Information.
Danke euch!

Wir kommen zu unserer beliebten Rubrik, ruft die Lage an oder genau genommen schickt der Lage eine Sprachnachricht. Wir hatten ja vor einigen Wochen mal gebeten, uns Sprachnachrichten zu schicken zu der Frage, sollten Handys in Schulen verboten werden? Und wenn ja, auf welche Weise? Was ist eure Position dazu? Und da ist einfach eine ganze Menge angekommen bei uns. Rekordzahl an Nachrichten, weit über 200 Sprachnachrichten.
Wir haben uns gedacht, deswegen greifen wir das Thema jetzt mal ausführlich auf. Erst mal ganz herzlichen Dank für diese vielen, vielen tollen Beiträge. Waren unglaublich viele spannende Perspektiven dabei. Hat uns großen Spaß gemacht, das anzuhören und durchzuackern. Und ich denke mal, Philip, die Diskussion ist ja so aktuell wie nie. Gerade die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien von der CDU hat da in den letzten Tagen nochmal Druck auf den Kessel gemacht.

Ja, sie hat in einem Interview mit der Funke Medien Gruppe gesagt, es bräuchte jetzt eben Smartphone-Verbote. Sie hat das ein bisschen ausdifferenziert. Also es brächte quasi differenzierte Handyverbote an Schulen. Sie sagte, die private Handynutzung sollte weitgehend, aber altersgerecht aus den Schulen verbannt werden. An den weiterführenden Schulen sollten möglichst altersgerechte Regeln gefunden werden. Also ganz klare Forderung nach einem Verbot, aber eben nach einem differenzierten Verbot.
Sie begründet das damit: Zu lange Bildschirmzeiten führen zu schlechteren Lernleistungen, zu geringeren sozialen Kompetenzen und zu psychischen Problemen.

Nun muss man sehen, der Bund, wo ja Frau Prien Ministerin ist, ist nicht wirklich zuständig für das Thema. Das ist also eher ein Beitrag zur politischen Debatte als eine konkrete politische Initiative. Aber diese Diskussion wird ja auch in den Ländern geführt. Also beispielsweise möchten mindestens Hessen und das Saarland Handys in der Schule verbieten. Bayern hat sogar schon ein entsprechendes Gesetz. Elea, selbst Lehrerin, sagte zwar in ihrer Sprachnachricht, alles gar kein Thema.
Ich muss ehrlich sagen, ich finde diese Diskussion darum, das Handy generell zu verbieten, erinnert mich so ein bisschen an diese Gender-Diskussion, weil sie einfach einen Fass aufmachen, da wo es eigentlich keins gibt. Weil die Schulen selbst schon eine Regelung dafür gefunden haben und das eigentlich an allen Schulen mehr oder weniger gut funktioniert. Und dass ich es absolut sinnfrei finde, dass es da jetzt eine landesübergreifende Regelung gibt.

Ja, also das ist so dieser Tenor, alles gelöst, nicht zu sehen, ist geregelt, bitte gehen Sie weiter. Ich würde mal sagen, aus euren Sprachnachrichten spricht eine andere Sprache. Und alle, wirklich eigentlich alle dieser Nachrichten, bis auf die eine von Elea, die sagen, ey, Smartphone, das ist alles andere als gereglt, das is ein riesen Problem. Und selbst da, wo es irgendwie gereglt zu sein scheint, gibt's einfach noch wahnsinnig viele Fragezeichen.
Deswegen, in dieser Sendung, Smartphoneverbot, ja oder nein, und wenn ja, wie?

Unbestritten ist, dass Kinder sehr viel am Smartphone hängen. Das deutsche Schulportal der Robert-Bosch-Stiftung gibt einen Überblick über die Studienlage. Und da hat mich persönlich eine Sache wirklich geschockt, nämlich 36,9 Stunden. 36, 9 Stunden. So viel Zeit verbringen Jugendliche in Deutschland jede Woche am Smartphones. Das zeigte die Postbank Jugenddigitalstudie aus dem Jahr 2023. Umgerechnet hingen die befragten 16- bis 18-Jährigen also jeden Tag über fünf Stunden lang am Handy.

Das ist ja quasi ein Job. 35-36 Stunden, so viel arbeiten andere.

Das ist der berühmte Teilzeit-Job.

Weißt du, soviel hängen die am Telefon. Also das Ausmaß ist schon erheblich. Und dann kommt ein anderer Punkt, den eine Studie der amerikanischen Non-Profit-Organisation Common Sense Media im letzten Jahr rausgefunden hat. Demnach bekommen 11- bis 17-Jährige am Tag 237 Benachrichtigungen auf ihr Handy. 237 Benachichtigungen auf ihr Handy. Rund ein Viertel dieser Meldungen, also 23%, gehen auch während der Schulzeit ein.
Also das macht klar, wie groß das Ablenkungspotenzial und Beschäftigungspotential von Smartphones für diese 11 bis 17 Jährigen ist.

Also die Hälfte erhält mindestens 237, die anderen erhalten ein bisschen weniger, aber das ist natürlich trotzdem, bei 237-Benachrichtigungen, da ist ja an Konzentration auf was auch immer überhaupt nicht mehr zu denken. Und eine weitere Zahl, die mich persönlich wirklich schockiert hat, 24,5%, also fast ein Viertel, das ist der Anteil der 10- bis 17-Jährigen, die Social-Media-Dienste wie TikTok, Instagram oder WhatsApp riskant viel nutzen.
Eine Untersuchung der Krankenkasse DAK Gesundheit und des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf vom Februar 2024 kommt zu dem Schluss: Diese Jugendlichen hätten ein erhöhtes Risiko für schädliche Folgen für die physische oder psychische Gesundheit.

Es gibt ja mittlerweile auch wahnsinnig viele Untersuchungen, die halt die wirklich bedenklichen und schweren Folgen von übermäßigen Smartphone-Konsum für diese Alterskohorte belegen. Ich glaube, das müssen wir jetzt hier nicht nochmal weiter ausbreiten, denn auch Hörer und Hörerinnen, ihr selber berichtet von einer ganzen Reihe negativer Effekte. Also Christoph zum Beispiel ist Lehrer in Hamburg, der sagt uns in der Sprachnachricht, die Schüler können sich einfach nicht mehr konzentrieren.
Wenn ich das richtig verstehe, ist die Studienlage total eindeutig, dass selbst das Smartphone in der Tasche extrem Aufmerksamkeit abzieht in der Schule. Das heißt, es nützt den Kindern eigentlich nur dann was, wenn man sagt, Smartphoneverbot bedeutet, es ist gar nicht verfügbar in der Schule. Hier haben wir in unserer Schule in den Mittelstufen verstärkt das Problem zum Beispiel, dass Kinder, Jugendliche permanent auf Toilette gehen.
Nicht weil sie müssen, sondern weil sie auf diese Weise an das Smartphone können. Und deswegen muss das entweder ganz zu Hause bleiben oder am Morgen eingesammelt werden.

Tja, und dementsprechend verlaufen auch die Schulpausen, erzählte uns Jonas' Lehrer in Hamburg.
Ich beobachte in den Pausen bei uns in der Schule immer wieder, dass Jugendliche hier einfach auf ihr Smartphone gucken, nebeneinander sitzen, nicht miteinander reden. Jeder macht irgendwas für sich auf dem Smartphone und das, was eigentlich eine Pause sein soll, in der man sich regeneriert, in dem man sich bewegt, mal wieder ein bisschen quatscht miteinander und sich erholt von der Konzentration im Unterricht.
Die wird eigentlich total unterwandert oder untergraben dadurch, dass dann weiterhin nur auf dem Bildschirm geguckt wird und nicht geredet wird und sich nicht bewegt wird.
Hallo liebes Lage-Team, ich heiße Elisabeth, ich komme aus Potsdam und war an einer Potsdammer Schule bis letztes Jahr Schulsprecherin und da ist auch immer wieder das Thema Handys und Handys im Unterricht und auch Handys in der Schule insgesamt aufgekommen. Ich war auch Schülervertretung in der Elternschaft, also habe auch sehr die Meinungen in der Elternschaft mitbekommen.
Was mir vor allem aufgefallen ist und was mir auch Schüler mehrmals berichtet haben, ist, dass sie selber es nicht geschafft haben oder auch den sozialen Druck hatten, das Handy auch in den Pausen zu benutzen und aber selber auch mehr das Bedürfnis hatten und artikuliert haben, dass wenn sie das Handy verboten wird, sie zum Beispiel mehr Qualitätszeit mit Freunden verbringen. Besonders eben in unteren Stufen. Im Endeffekt ist meine Schule dann auf die Regelung gekommen, dass bis
zur 10. Klasse das Handy komplett verboten war auf dem Schulgelände. Und dann ab der Oberstufe durfte man das Handy benutzen und auch im Schulgebäude, das durften die anderen eben nicht.

Ja, und viele von euch haben uns eben auch berichtet, dass es nervt, ständig erreichbar zu sein, dass es euch stresst, ständig damit rechnen zu müssen, zum Beispiel, dass jemand ein Foto macht und das dann irgendwo im Klassenchat teilt oder in der Umkleidekabine ein Foto macht und das dann irgendwie bei Insta postet.
Hallo, ich heiße Nala, bin 10 Jahre alt und wohne in Hofheim.

Nala hat zwar noch kein Handy, aber eine sehr differenzierte Meinung zum Handyverbot an Schulen. Ja, sagt sie, Smartphones gehören zu unserem Alltag und man kann mit ihnen auch recherchieren. Und oft haben im Schulen keine eigenen Geräte, um damit eben zu lernen oder zu recherchieren.
Andererseits würde ich zum Verbot ja sagen, weil Kinder sich nicht gut konzentrieren können, wenn ihr Handy neben ihnen in der Tasche liegt. Außerdem schummeln viele Kinder bei Tests mit ihrem Handy und lernen deswegen nicht mehr. Und sie schauen zum Beispiel mit dem Handy dann was auf YouTube, TikTok, Instagram oder zocken irgendwas auf dem Handy. Viele Kinder werden über Medien und in der Schule auch gemobbt.

Und Greta klärt Schülerinnen und Schüler in Berlin in sexuellen Fragen auf. Sie beobachtet, dass es die Kinder ganz wuschig macht, immer erreichbar zu sein, ständig in Angst, etwas zu verpassen. Natürlich seien Smartphones Teil des Lebens und sie würden auch nicht mehr verschwinden.
Aber ich würde mir wünschen, dass sie zumindest in der Schule einen geschützten Raum haben, in dem durch ein Handyverbot keine Handys genutzt werden können.
Gerade im Thema Sexualität deswegen, weil sich sehr viel, viele Informationen über Social Media und eben über Handys auch in Chatgruppen verbreiten und vielleicht die Schule dann eine Art Gegenraum zu diesem sozialen Raum sein könnte, eben auch ein sozialer Raum, in dem aber andere Argumente gelten, Also die, das echten Leben, sage ich mal, oder in der diskutiert wird und eben unabhängig von den Social-Media-Gruppen und ohne Handys, sondern eben im Gespräch.

Ja, und auch Anna, die ist Lehrerin in Schleswig-Holstein, bestätigt das im Kern, also diese Idee von Schule als Schutzraum, denn das sei notwendig, sagt sie, weil eben alle Probleme rund um diese Smartphones, auch wenn sie primär vielleicht in der Familie auftauchen, letztlich dann doch in der Schule landen. Und die Schule als Institution, aber eben auch die Lehrer und Lehrerinnen, die seien damit schlicht und ergreifend überfordert.
Ja, die Probleme gehen los mit Cybermobbing, dann geht's weiter über durchgemachte Nächte, weil der TikTok-Algorithmus die Kinder in den Bann zieht, von denen Eltern überhaupt keine Ahnung haben. Und dann geht es weiter über antisemitische Inhalte, die geteilt werden, und rechtsextreme Propaganda, die dann in irgendwelchen Gruppen einfach verschickt werden.
Und ja, das geht dann tatsächlich ohne Witz bis hin zu Kinderpornografie, also Kinder schicken anderen Kindern, wie noch andere Kinder missbraucht werden, also in Gruppen, sodass man, man wird einfach damit geflutet. Ich finde das ganz, ganz krass, also was ich da schon alles gehört habe, also wirklich aus erster Hand von anderen, die das dann klären mussten in der Schule, da müssen Lehrkräfte sich darum kümmern, wie damit aufgeräumt wird und das ist einfach zu viel.

Jetzt kann man natürlich sagen, wenn die Kinder mit Smartphones nicht klarkommen, dann müssen halt die Erziehungsberechtigten ran, insbesondere indem sie ihren Kindern kein Smartphone geben, jedenfalls nicht, keine Ahnung, vor dem 16. Geburtstag oder so. Aber Marie aus Leipzig berichtet uns, warum das kaum durchzuhalten ist.
Ich bin Marie aus Leipzig und bin selber Mutter von zwei Mädels. Die eine ist davon jetzt sechste Klasse und hat quasi als einzige in ihrer Klasse noch kein Smartphone. Also wir sind da wirklich ganz alleine auf weiter Flur. Eigentlich würden wir es auch gerne noch ein bisschen hinauszögern, aber demnächst wird sie wohl doch eins kriegen. Und unsere Erfahrung war ganz doll, dass von allen das Argument kommt, wir wollen es ja eigentlich auch noch nicht. Wir finden es ja auch eigentlich
blöd. Aber es haben ja alle und da muss man ja mitmachen.

Also ich finde, das liegt auf der Hand, dass man so ein umfassendes und wirklich auch komplexes Problem nicht einfach bei den Eltern abladen kann. Also zumal ja auch Kinder selber massiv Druck machen. Wer will schon als uncool dastehen? Das war auch irgendwie ein Grund, warum wir unserem ersten Sohn doch relativ zeitig so ein Smartphone geschickt haben oder geschenkt haben. Man kann dann irgendwie nicht mitschatten, ist nicht erreichbar. Ist irgendwie ausgeschlossen.
Und all das führt dann eben dazu, dass Eltern vielleicht alleine auch überfordert sind, zumal wenn es in der Schule stattfindet.

Und deswegen führen in Europa immer mehr Länder flächendeckend allgemeine Handyverbote an Schulen ein, zuletzt zum Beispiel Finnland, Dänemark, England und auch die Niederlande. Aber was heißt das eigentlich konkret Handyverbot? Solche Handyverbote können ja sehr unterschiedlich ausfallen. Deswegen haben wir uns gedacht, wollen wir das mal so ein bisschen sortieren und bevor wir zu den einzelnen Formen kommen, müssen wir mal eins klarstellen.
Es geht natürlich hier nicht darum, den gezielten Einsatz von Handys oder auch iPads zum Beispiel im Unterricht zu verbieten. Das kann sehr sinnvoll sein. Auch ganz viele von euch haben darauf hingewiesen, dass natürlich Medienkompetenz, Smartphonekompetenz ein wichtiger Unterrichtsinhalt ist. Und wenn die Geräte gezielt im Unterricht eingesetzt werden, ist dagegen ja auch gar nicht zu sagen.
Nein, es geht hier um Verbote, die den privaten, nicht in den Unterricht eingebetteten Umgang mit Smartphones so im Schulkontext betreffen, also im Untericht, in den Pausen und so. Und da gibt es ganz verschiedene Formen, wie man da Handys verbieten kann.

Ja, also die Pisa-Studie von '22, die hat da ein paar ganz interessante Zahlen zutage gefördert. Demnach haben über die Hälfte der weiterführenden Schulen in Deutschland ein allgemeines Handyverbot. Bei Schulen in sozialen Brennpunkten liegt die Quote noch drüber, bei Privatschulen sogar bei 87 Prozent. Also ich würde mal sagen Pi mal Daumen fast alle Privats Schulen haben einfach die private Handynutzung verboten.
Und das scheint vor allem die private Nutzung des Handys zu betreffen, also ein Verbot das Handy wirklich rauszuholen, in der Pause zu nutzen oder sogar im Unterricht zu chatten.

Es gibt aber noch viele andere Formen von Handyverboten, nämlich zum Beispiel ein generelles Verbot, auf dem Schulgelände überhaupt ein Handy zu nutzen. Also insbesondere auch in den Pausen oder sogar das noch weiter gehende Verbot ein Handy auch nur bei sich zu tragen. Das wird dann oft mit so einem kleinen Safe kombiniert im Schulgebäude, wo man sein Handy morgens einschließen kann.
Die sogenannte Handygarage oder da gibt es neuerdings auch ganz smarte Varianten, von so kleinen Taschen, die dann mit so einem Magnetverschluss versiegelt sind. Und diesen Magnetverschluss kann man erst beim Verlassen des Schulgeländes wieder öffnen. Da ist dann so, man muss sich ein bisschen so vorstellen wie dieser Magnet in manchen Klamottenläden, wo man dann an einer Kasse dieses Sicherungsetikett nur lösen kann mit so Magneten. So ähnlich ist das dann
auch. Dann ist das Handy halt in diesem Täschchen. Man kann da nicht ran und wenn man die Schule verlässt, hält man das da an diesen Magneten und dann geht dieses Täschchen wieder auf und was auch häufig geregelt wird, wenn jemand trotz Verbot mit Handy erwischt wird auf dem Schulgelände, dann kann es zum Beispiel einkassiert werden und dann nur an die Eltern herausgegeben werden.
Da sagen uns Hörerinnen und Hörern extrem wirksam, dann ist das Handy nämlich erstmal weg, bis Mama oder Papa Zeit hat, zur Schule zu fahren, im Sekretariat vorzusprechen und das Handy wieder auszulösen. Also das scheint eine ebenso drastische wie wirksame Methode zu sein. Aber natürlich muss man sich erstmal die Frage stellen, was darf denn der Staat da überhaupt? Das geht ja auch um Eingriff in Grundrechte. Was dürfen die Schulen denn rechtlich überhaupt regeln?

Turns out: Sehr viel. Rechtlich stehen Handy-Regeln auf einem ziemlich soliden Fundament und zwar heute schon, ohne dass es dafür irgendwelche neuen Gesetze bräuchte. Das Verhalten in der Schule, das können die Schulen heute eh schon durch Schulordnungen regeln. Das findet auch seine Grundlage in den Schulgesetzen der Länder. Aber wie sieht das denn mit Sanktionen aus – also Handy wegnehmen, einsammeln, bis dann die Eltern kommen, das wieder abzuholen?

Auch dafür gibt es heute schon in allen Landesschulgesetzen eine tragfähige rechtliche Grundlage. Hat unsere Referendanrin Lemja für uns mal recherchiert, haben wir uns sehr gefreut. Es gibt nämlich in den Schulgesätzen die allgemeine Regel, dass Gegenstände vorübergehend weggenommen werden können. Und das bezieht sich natürlich auch
auf Handys. Wenn also mit so einem Handy entgegen der Schulordnung rumhantiert wird, oder wenn es auch nur bei sich geführt wird entgegen der Schulordnung, dann können Schulen das wegnehmen. Das heißt mit anderen Worten: die Sorge,ja die auch in den Sprachnachrichten immer wieder aufpoppte, Huch, ja das ist rechtlich also kompliziert, diese Sorge kann man den Menschen nehmen, die in der Schule tätig sind. Ihr könnt regeln, was man mit dem Handy darf und was nicht und ihr könnt Handys auch
wegnehmen. Da seid ihr rechtlich auf der sicheren Seite. Aber die Rechtslage alleine ist vielleicht nicht ganz das Ende der Debatte.

Richtig, das sagt Anna, die ist Lehrerin in Schleswig-Holstein bei uns in der Sprachnachricht, und die sagt, das mag ja alles sein, dass das rechtlich auf soliden Füßen steht. Sie wünscht sich trotzdem, und sie kennt auch viele Kollegen, Kolleginnen, denen das ähnlich geht, sie wünschen sich trotzdem ein Verbot zentral auf Landesebene.
Weil so ein Prozess des Verbotes ist sehr bürokratisch. Also man kann nicht einfach das herbeizaubern, sondern es muss eben einen demokratischen Prozess durchlaufen. Also eine Arbeitsgruppe muss Regelungen sich überlegen. Das muss dann in der Lehrerkonferenz geklärt werden und abgestimmt werden. Da muss es in die Schulkonferenzen. Da müssen also Eltern und Schülerinnen darüber abstimmen, die da vielleicht gar nicht so Bock drauf haben.
Also das kann man nicht einfach so in die Hausordnung schreiben.

Ja, das kann man natürlich jetzt nachvollziehen. Wenn das dann gesetzlich geregelt ist, dann nimmt das halt den Druck von der Schule und von den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern. Aber uns war ganz wichtig der Punkt: Rechtlich ist das nicht zwingend notwendig, das gesetzlich zu regeln. Wenn Länder neue Handyverbote in Schulgesetzen planen, dann ist das vor allem eine Serviceleistung für die Schulen. Lehrkräfte müssen sich dann nicht mehr quasi in den Wind stellen.
Und das ist durchaus zu befürchten, weil eben auch viele Eltern keinen Bock auf Handyverbot haben. Wenn man derartige Gesetze erlassen möchte, dann ist es auf jeden Fall auch wichtig, dass es dann tragfähige Ausnahmen gibt für den Einsatz von Handys und iPads im Unterricht, damit also ein Landesgesetzgeber nicht aus Versehen auch die pädagogische Nutzung von Smartphones und iPods
verbietet. Aber wie gesagt, man hilft den Schulen und den Lehrkräften und deswegen gibt es auch in Deutschland zurzeit eine klare Tendenz hin zu strengen Regelungen. Wir haben es gesagt, Bayern hat schon so ein Handyverbot, Hessen überlegt, Saarland wohl auch und die Fürsprecher für ein Verbot werden immer lauter, nicht nur diverseHandy wegnehmen, einsammeln, bis dann die Eltern kommen, das wieder abzuholen?
MinisterInnen in den Ländern, sondern auch die Bundesbildungsministerin, wir haben sie eben zitiert, und auch Kommunalpolitiker, zum Beispiel Gordon Lemm. Der ist ebenfalls für ein Verbot, der ist Kommunal-Politiker in Berlin, war auch mal für Schulen zuständig und er beruft sich auf eine repräsentative Studie der Barmer Ersatzkasse, also einer Krankenkasse die die Wirkung von Smartphones auf Kinder und Jugendliche untersucht hat.
Weil die Auswirkungen derart katastrophal und augenscheinlich sind, dass hier wirklich ein dringender Handlungsbedarf herrscht diesbezüglich. Es sind die physiologischen bzw. auch psychologischen Auswirkung, die das Smartphone-Gebrauch grundsätzlich auch auf Kinder und Jugendliche hat, spielt hier natürlich auch ein. Also Konzentrationsstörungen, Angstzustände, Schlafstörung, Depressionen und viele weitere Dinge, die von zu viel Screentime mit einhergehen.

Ja, auch Stefanie schreibt uns dieses oder hat uns eine Sprachnachricht geschickt. Sie ist selber Mutter und auch sie ist für ein Verbot. Sie sagt Medienkompetenz alles schön und gut. Aber das könnten die Kinder eben auch mit Schulgeräten erlernen. Der Schaden der privaten Smartphone Nutzung durch Menschen oder für Menschen unter 16 sei dagegen so groß, dass sie die Nutzung von Smartphones tatsächlich erst ab 16 Jahren erlauben würde.
Und da habe ich so ein bisschen die Hoffnung, vielleicht ist das wie beim Rauchen. Früher war das ja überall absolut sozial akzeptiert. Im Fernsehen, in Talkshows, in der Öffentlichkeit. Und irgendwann haben wir gemerkt, es tut uns nicht so gut. Vielleicht beschränken wir das. Und vielleicht ist es mit den Handys auch so. Jetzt sind wir vielleicht am Peak der Nutzung von den Smartphones.
Vielleicht schaffen wir es zu verstehen, dass die ja nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selber nicht so gut tun. Und vielleicht schaffen wir das wieder ein bisschen zu reduzieren.

Das fand ich irgendwie eine ganz interessante Analogie, also dachte ich so, ja stimmt, vielleicht ist was dran. Früher war Rauchen total normal, heute ist es eher geächtet. Vielleicht ist das mit Smartphones private Nutzung bei Jugendlichen ja vielleicht dann irgendwann auch so, aber die Frage ist natürlich, wie denn solche Handyverbote auch wirken. Verbessern sich dann wirklich Leistung, Zufriedenheit auch der Schüler und Schülerinnen? Reduzieren sie auch das Mobbing?

Also die Studienlage ist also ein bisschen uneindeutig. Klar ist die Studienlage zu den schädlichen Folgen von Smartphones. Das haben wir oben schon gesagt. Die Frage ist aber, wirken Handyverbote? Also die PISA-Studie von 2022 belegt zwar, je länger das Smartphone in der Schule privat genutzt wird, desto schlechter die Leistungen. Aber sie trauen sich nicht so ganz, die Kausalität auch tatsächlich zu behaupten. Also dass das eine am anderen liegt.
Auf der anderen Seite kann man das Smartphone natürlich auch zum Lernen einsetzen, sagt die Studie. Da gibt es so einen Sweetspot, wo die Leistungen steigen, aber auch hier sei die Kausalität nicht belegt. Also das ist mit einem Strich so wenig hilfreich. Aber die Forscherin Marilyn Campbell und ihr Co-Autorinnen haben 2024 eine Metastudie veröffentlicht, also eine Studie, die sich viele, viele andere Studien mal angeschaut hat, Philip. Und das Ergebnis ist auch da relativ uneinheitlich.

Ja, die schreiben, einige Studien messen nach so einem Smartphone-Verbot tatsächlich bessere Leistung und mehr Zufriedenheit, gerade bei Schüler und Schülerinnen aus einem Umfeld, wie ich das mal sagen würde, mit weniger Ressourcen, also weniger Unterstützung von zu Hause, vielleicht weniger finanzielle Möglichkeiten auch zu Hause. Andere Studien, sagen sie in dieser Meta-Studie, messen dahingegen keinen Effekt eines solchen Smartphoneverbots.
Dieses Autorenteam dieser Meta-Studie mahnt daher zur Zurückhaltung bei politischen Entscheidungen. Sie sagen aber, entscheidend ist nicht nur, ob ein Verbot existiert, sondern vielmehr, wie dieses Verbot auch ausgestaltet und vor allem durchgesetzt wird.

Ja, das leuchtet mir persönlich sofort ein. Die Wirkung hängt zentral davon ab, wie man Smartphones konkret verbietet. Denn beispielsweise einfach nur das private Daddeln am Handy im Unterricht zu verbieten, da sagen unsere Hörerinnen und Hörern, das bringt total wenig. Und das sieht auch Professor Dr. Klaus Zierer so ist. Er ist Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Und er spricht sich für ein sehr umfassendes und regides Verbot privater Handynutzung an Schulen
aus. Er sagt auch, private Geräte an Schulen seien unnötig. Es brauche halt Schulgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler.

Bayern 2, dem Radiosender, sagte er, das private Gerät, das wissen wir aus der Forschung, lenkt zu sehr ab. Private Handys müssen, Studien zufolge, am besten ganz außer Reichweite sein, etwa in sogenannten Handygaragen und bitte, bitte, bitte auch nicht in der Pause rausholen. Er sagt, die Pausen, das haben wir ja oben auch gehört von vielen von euch, die seien dafür da, dass Kinder soziale Kontakte pflegen, dass sie kommunizieren, dass sie interagieren, dass sie miteinander spielen.
Aus seiner Sicht müsse man bei dem Thema eben sehr restriktiv vorgehen, zudem dürfe nicht die Einzelschule entscheiden, das führe zu ungeheuer vielen Diskussionen, das müsste also landesweit geregelt werden und er begründet diese Forderung nach einem sehr restiktiven Verbot der privaten Handynutzung mit Ergebnissen aus der Neuropsychologie.

Entscheidend für die Impulssteuerung ist der präfrontale Cortex, der mindestens bis zum 16. Lebensjahr dauert, bis er einigermaßen ausgereift ist. Mit anderen Worten, wenn man die ganze Zeit am Handy rumdaddelt und da unmittelbare Bedürfnisbefriedigung anstrebt, dann kann sich dieser präfrontale Cortext eben nicht vernünftig ausbilden. Und so der Hochschullehrer andere Studien gingen sogar davon aus, dass dieser Reifungsprozess bis zum 24.
Lebensjahr dauerte. Insofern seien Kinder bis zu einem gewissen Alter gar nicht in der Lage, freiwillig auf das Handy zu verzichten. Ohne Druck, ohne Verbote geht es also nicht aus entwicklungspsychologischer Sicht. Tja kann man sich fragen, sind Handyverbote echte no Brainer Philip, könnte man denken angesichts der Studienlage, aber natürlich gibt es auch Kritik und die spielt sich vor allem auf drei Ebenen ab.

Kritik Nummer eins ist, Handys sind Teil unseres Lebens und auch des Lebens unserer Kinder. Das kann man nicht einfach so verbieten. So argumentiert zum Beispiel Nikolai selber Lehrer.
Ich meine, wir sind in der Schule auch verpflichtet, uns mit dem Alltag der Kinder auseinanderzusetzen. Zumindest uns von den Lehrplänen aus. Da ist der Handy theoretisch auch ein Alltagsgegenstand, der so eingebunden ist mittlerweile, dass man das gar nicht umgehen dürfte.

Ähnlich argumentiert seine Kollegin, andere Schule, aber ebenfalls Lehrerin Friederike.
Wir sind gegen ein Handyverbot, wenn das bedeutet, dass das Handy in der Grundschulzeit einfach völlig ausgeblendet wird. Das geht wahrscheinlich eher in der Realität der meisten Kinder vorbei. Wir sind eher für ganz klare Regeln im Umgang mit den Handys. Das kann dann bedeuten, dass die private Nutzung verboten ist. Aber es sollte eben auch bedeuten dass den Kindern der gesunde Umgang mit den Handy halt schon auch in der Grundschule Zeit vermittelt wird.
Das beinhaltet dann zum Beispiel, wo sind die Gefahren bei Social Media? Warum ist WhatsApp eigentlich erst ab 16? Was macht das mit mir, wenn ich abends ganz lange am Handy bin? Und gleichzeitig ist es auch wichtig, die Eltern mit einzubeziehen. Dann könnte man mit den Eltern auch reflektieren, was lebe ich eigentlich vor? Und damit das einfach zu Hause privat auch noch weiter vermittelt wird. Und man sollte mit den Eltern auch reflektieren, muss ich mein Kind eigentlich immer tracken?
Wie viel Privatsphäre steht meinem Kind zu? Wie kann ich meinem Kind vertrauen?

Ja, das stimmt natürlich alles. Das sind sehr sinnvolle Argumente, aber ist das wirklich auch ein Argument dagegen, dass der Schulalltag by default handyfrei ist? Also mir persönlich scheint das nicht der Fall zu sein. Natürlich kann man gezielt Handys im Unterricht einsetzen. Natürlich muss man im Untericht auch Themen rund ums Handy, wie zum Beispiel sinnvolles Social-Media-Nutzung, Privatsphäre und so was, thematisieren.
Aber das heißt ja nicht, dass alle immer daddeln dürfen mit ihren privaten Geräten. Wenn überhaupt eben solche Geräte im Unterricht eingesetzt werden, pädagogisch sinnvoll eingebettet, dann sollten das eben Schulgeräte sein. Ja, das verursacht einen gewissen Aufwand für Admin und Kosten, schafft damit aber zugleich eben auch so ein bisschen so ein Safe Space, weil eben auf dem von der Schule gestellten iPad hoffentlich nicht ständig TikTok-Notifications aufpoppen.
Also insofern würde ich denken, ja, Handys sind natürlich ein Teil unseres Lebens, aber das heißt eben noch lange nicht, dass man nicht versuchen kann, sie in der Schule nur gezielt pädagogisch zum Thema zu machen, sie aber ansonsten insbesondere als Quelle von Ablenkung, so weit wie möglich zurückzudrängen.

Das führt zum zweiten Kritikpunkt, der so ein bisschen wesensverwandt ist, aber auf das Argument hinausläuft, Smartphones können den Unterricht bereichern. Das sagt noch mal Nikolai, wie gesagt selber Lehrer in einer Schule, die mit sehr wenig und noch dazu schlechten Rechnern ausgestattet ist, sagt er und vor allen Dingen über keine Tablets verfügt.
Also wenn ich bei den großen Kindern, also großen Klassen bin, dann lasse ich die Kinder auch ihre Handys im Unterricht nutzen. Zum Beispiel im Kunstunterricht dürfen sie Musik hören oder man kann auch super tolle Apps im Unterrecht benutzen auf Handys, wenn es sowieso keine Tablets etc. gibt, muss man ja private Geräte benutzen. Sie müssen auch einfach lernen mit ihrem Telefon auch mal andere Sachen zu machen, außer zu zocken oder TikTok und Instagram zu nutzen. Wie recherchiert man etc.?
Wie soll ich das alles mit den Kindern üben, wenn sie ihre eigenen Geräte nicht nutzen dürfen und man von staatlicher Seite nichts anderes bekommt.

Ja, das ist natürlich das zentrale Argument. Wenn man von staatlicher Seite nichts bekommt, klar, dann hast du natürlich nur die privaten Sachen. Aber ähnlich argumentiert auch Simon Henschel, der ist Lehrer an einem Gymnasium in Hamburg Blankenese. Für ihn ist ein komplettes Verbot der Handys an Schulen, des Smartphones an Schulen zwar denkbar, aber irgendwie auch eine Bankrotterklärung.
Mein Name ist Simon Henschel, ich bin Lehrer an einem Gymnasium in Hamburg Blankenese und ich halte ein Verbot von digitalen Endgeräten an Schulen an der Stelle für notwendig, wenn es an der besagten Schule keine Auseinandersetzung auf konzeptioneller Ebene gegeben hat mit dieser Thematik. Heißt also übersetzt, kein Medienkonzept, heißt auch für mich keine mobilen Endgeräte. Sie sind wirkmächtig, teils gefährlich für die persönliche Entwicklung, das wissen wir alle.
Ganz generell halte ich aber ein allgemeines Verbot, gerade von oben herab, für verantwortungslos im Sinne des schulischen Auftrags für Erziehung und Bildung in einer digitalen Welt. KI's, soziale Medien, die sind gekommen, um zu bleiben und werden auch auf die Schülerinnen und Schüler in der Berufswelt auf sie warten, sie werden drauf treffen. Und wir müssen die Kinder kompetent machen im Umgang mit ihnen.
Ansonsten lösen wir meiner Meinung nach keine Probleme, sondern wir verlagern sie schlichtweg, gerade zu dem Zeitpunkt, wo sie die Schule verlassen.

Ja, aber das ist aus meiner Sicht wieder das klassische Missverständnis, dass ein Handyverbot zum privaten Daddeln ja nicht bedeutet, dass man nicht auch über Handys im Unterricht pädagogisch sinnvoll spricht. Also das muss man, glaube ich, ganz scharf trennen. Das geht bei vielen Leuten so durcheinander. Das klang jetzt auch in diesem O-Ton an.
Nein, natürlich geht es nicht darum, so zu tun in dem Schulunterricht, als gäbe es keine Handys, sondern es geht darum, dass niemand sie auf dem Schulgelände privat nutzen sollte, weil die Folgen dieser privaten Nutzung im Gegensatz zur pädagogisch eingebetteten Nutzungen so dramatisch sind.
Aber was ich ganz spannend fand, Simon merkt auch an Medienkonzept, Medienbildung, Umgang mit sozialen Medien, das müssen eben nicht nur die Schülerinnen und Schüler lernen, sondern das Problem beginnt ganz häufig in den Familien.
Wenn wir über Medienkompetenz bei jungen Leuten reden, dann müssen wir auch über die Medienkompertenz der Generation 50 plus reden, nur um ein Beispiel zu nennen. Meiner Meinung nach muss auch diese Generation, die sich auch in sozialen Medien aufhält, auch auf Facebook noch aufhält. Die müssen eine ebenso starke Erziehung und Bildung erhalten müssen. Das ist kein Problem, das ausschließlich junge Menschen betrifft.

Kommen wir zum dritten Punkt der Kritik an einem Handyverbot, an einem kompletten Verbot privater Nutzung in Schulen. Und das geht vor allen Dingen, würde ich sagen, von Eltern aus, ich will einfach mein Kind erreichen können. Das hören wir viel. Ich kann das auch nachvollziehen.
Ich hatte auch ein Schulkind, habe demnächst noch mehr Schulkinder und ich finde schon, dass das nachvollziehbar ist, dass man gerade in Großstädten wissen will, sag mal wo steckst du eigentlich, gerade auch auf dem Land, wo steckste hast, den Bus verpasst, ist nicht rechtzeitig zu Hause, Schule fällt aus, Unterricht fällt aus. Was machen die Kinder? Je älter, desto weniger ist das Bedürfnis sicherlich da, aber gerade bei jungen Kindern kann ich das schon nachvollziehen.

Ja, also wir haben ja jetzt irgendwie so aus den Studien, aber auch aus den O-Tönen gelernt: Die Kinder sind in der Schule oft glücklicher ohne Handy, aber es sind halt die Eltern, die aus ihrem Helikopter einfach nicht mehr rauskommen. Natürlich ist eine gewisse Erreichbarkeit schon praktisch, aber sie lässt sich ja auch herstellen, sagt uns zum Beispiel Marie aus Leipzig, ohne dass die Kinder mit Smartphone rumrennen.
Wir haben dieses Erreichbarkeitsproblem, was ja viele auch so vorschieben, als Grund, dass jetzt unbedingt ein Smartphone her muss, so gelöst, dass wir denen einfach ein Tasten-Handy, also wirklich so ganz oldschool, gegeben haben, wo sie tatsächlich einfach nur anrufen oder auch vielleicht mal eine SMS schicken kann, aber sonst eigentlich nicht, damit sie einfach tatsächlich selbstständig unterwegs sein kann und Bescheid sagen kann, wenn mal was sein sollte.
Und ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass die meisten diese Option überhaupt nicht auf dem Schirm mehr haben, also dass es diese Dinger noch gibt und dass es eben auch möglich ist, wenn man einfach möchte, dass das Kind erreichbar ist oder einen auch erreichen kann in Notfällen und dass man dann eben so ein Tasten-Handy auch einfach zur Verfügung stellen kann. Das funktioniert für uns sehr, sehr gut.
Und vielleicht ist das was, was noch anderen hilft, auch sich da irgendwie anders aufzustellen.

Also finde ich eine interessante Alternative, einfach ein Handy und kein Smartphone. Damit kann man schon eine Menge erschlagen und noch dazu gibt es ja fast umsonst. Du kannst ja diese Candybars, diese Tastendinger für ein paar Euro kaufen, wenn überhaupt.

Und dann gibt es natürlich noch eine andere Lösung, wenn Eltern wirklich nicht loslassen können, dann gibt's dafür ja auch noch diese Smartwatches, die man dann eben Kindern an die Hand hängen kann, die aber eben nicht zum Beispiel in der Apple Watch sind, so bin ich mir nicht ganz sicher, ob der Begriff Smartwatch so hundertprozentig trifft an diesem Punkt, sind halt so spezielle Uhren für Kinder, mit die dann eben nur zwei Nummern anrufen können, die haben zwei Tasten, jeweils mit einer Nummer
belegt, aber man kann die auch anrufern, manche kann man sogar auch tracken. Das könnte also ein ziemlich guter Kompromiss sein. Die Eltern sind erreichbar, die Kids sind erreichbar, aber man kann auch damit eben im Prinzip nicht rumdaddeln.
Also ich würde denken, wenn man da mal einen Strich drunter macht, Philip, es spricht eigentlich alles für Schulen als im Prinzip handyfreie oder doch jedenfalls smartphonefreie Zone mit robustem Besitzverbot auf dem Schulgelände, idealerweise mit Handygaragen und natürlich für den gezielten Einsatz von Handys oder iPads im Schulunterricht.

lass mich dazu eine Sache sagen. Ich würde das auch so sehen. Ich würde aber zwingend auch diesen Aspekt stark machen. Natürlich müssen die Kinder damit den Umgang lernen, in der Schule damit umgehen und das geht halt nicht ohne Spaß am Gerät und ich würde aber diesen Punkt stark machen, dieses Gerät muss von der Schule kommen. Das müssen Smartphones meinetwegen sein oder auch iPads oder irgendwelche anderen Tablets.
Da ist die Marke ja völlig egal und das macht halt einen gigantischen Unterschied ob die auf diesen Geräten die Kinder mit ihren Social Media Accounts angemeldet sind oder nicht. Das Gerät ist in aller Regel ein total dummer Klotz, wenn da nicht dein eigener Insta, TikTok irgendwas Account drauf läuft, dann ist es halt ein Gerät mit dem man viele sachen ausprobieren und auch erklären kann. Ich glaube über Sperren und solche sachen da darf man sich nicht zu große Illusionen
machen. Die Kids finden, je älter desto so einfacher workarounds, wie sie Sperren auch umgehen können. Aber mein Gott, also so ganz problemfrei kriegt man es einfach nicht. Ich glaube aber, dass der Weg eindeutig ist. Ja, die Kinder, das gehört dazu, das gehört zum Leben, da kann man viel positive Sachen machen. Aber es spricht eben sehr, sehr viel dafür, dass das mit Geräten aus der Schule passieren muss, auch wenn das natürlich viel Adminaufwand, auch Kosten und so verursacht.
Aber das ist nun mal eine Sache, die der Staat, die die Schule einfach liefern muss, gerade weil es so ein wichtiger Aspekt des Lebens der Kinder ist und auch in Zukunft sein wird.

Und abschließend weist Anna vom Karl-Liebknecht-Gymnasium in Frankfurt oder uns noch darauf hin, dass Jugendliche sich einfach in einer besonders verletzlichen Lebensphase befinden, anfällig sind für Süchte und auch für Handysucht.
Diese, die nicht mal die Willenskraft teilweise haben, morgens aufzustehen, will man, dass die persönlich die Verantwortung tragen, die Willenskraft zu haben, gegen ein Multi-Milliarden-Dollar-Konzern wie Google oder Meta, die perfektionierte Algorithmen haben, um sie dran zu halten, dagegen ganz alleine antreten.
Ich sehe dort nicht die Schüler in der Pflicht, einen gesunden Handykonsum zu haben, sondern, einerseits natürlich die Eltern, aber vor allen Dingen die Konzerne und da muss die Regierung eingreifen. Wir nehmen die falschen Menschen, die schwächeren Menschen, die weniger Mittel haben, die weniger psychische Kapazitäten haben, in die Verantwortung. Und wir haben nicht mal einen Schulsozialarbeiter. Also ja, technisch auf Papier schon, praktisch nicht. Das ist einfach der falsche Schwerpunkt.

Ja, ich finde das ganz gut, dass sie das noch mit diesem Punkt noch mal gemacht hat, weil wir haben bisher über die Verantwortung der Eltern, über die Verantwortung der Kinder gesprochen, über den Begriff des Staates in Form von Schulen. Was wir halt, wo sie uns halt auch darauf aufmerksam gemacht hat was wir bisher noch nicht so richtig hatten, ist diese Konzerne, ohne die das alles nicht wäre und die enorme finanzielle Anreize haben, die Kids einfach am Bildschirm zu nalten

Und damit ist die Lage der Nation für diese Woche umfassend und abschließend erörtert. Wir hoffen, ihr hattet Spaß an dieser Folge, ihr habt vielleicht was mitgenommen, was gelernt. Wenn ihr Feedback habt zur Sendung, schreibt uns das gerne direkt bei uns ins Forum unter talk.lagedernation.org. Und wenn ihr diese Sendung unterstützen wollt, wenn ihr möchtet, dass es die Lage auch weiter gibt, dann könnt ihr Mitglied bei der Lage werden unter plus.lagedenation.org.
Und damit eine schöne Restwoche, schönes Wochenende, bis bald.

Bis dahin, bis nächste Woche. Tschüss, tschüss und Winke, Winke.