
Herzlich willkommen zur Lage der Nation. Ausgabe Nummer 425 vom 4. April 2025. Mein Name ist Philipp Banse.

Ich bin Ulf Burmeyer und wir begrüßen heute fast 1.000 Leute in der Urania in Berlin zur Lage live.

Ganz herzlich willkommen!

Ja, wir sind ja irgendwie Berliner und ich muss persönlich sagen, ich freue mich wirklich sehr, mal wieder so eine Lage live in Berlin zu veranstalten, das ist echt eine ganze Weile her und das liegt nicht daran, dass wir nicht etwa Berlin lieben würden, wie das so ist, arm aber sexy, sondern es liegt daran, das es gar nicht so einfach ist, schöne große Säle zu finden.

Ja, deswegen hier mal der Aufruf, also wir hatten jetzt fast 1000 Leute auf der Warteliste, deswegen der Aufruf, wenn ihr Säle in Berlin, aber auch in der Republik habt, mit 2000 Plätzen, dann-

Wo ihr sagt, die würden wohl passen für die Lage.

-die würde passen für uns, dann schreibt doch mal an [email protected], [email protected]. Ist nämlich so eine blöde Größe. Es gibt halt diese Größe so 500, 600, 700, 800, da gibt es ganz viel. Da gibt's ganz viel und dann gibts halt 5.000, 10.000.

Oder Olympiastadion. Fanden wir, haben wir mal überlegt, nein, fanden wir zu unpersönlich. Weil dann sieht man ja nix. Das war irgendwie auch blöd.

Deswegen ist 2000 eigentlich so eine ganz gute Größe, davon gibt es aber offensichtlich nicht so viel. Wenn ihr welche wisst, wenn ihr welche habt, Vorschläge, [email protected].

Und damit hinein in unser Pad.

Hier steht als erstes Joke.

Ja, den habe ich gerade weggemacht, haben wir nämlich vergessen. Wir wollten hier noch einen Witz einbauen, aber wir sind ja ein seriöser Podcast. Deswegen fangen wir jetzt wirklich direkt an mit dem Thema. Philip, wir haben uns nämlich die Frage gestellt, was hat der Donald in dieser Woche wieder getan? Er hat mal wieder Zölle verhängt.

Ja, das hat er natürlich schon vor einigen Wochen getan. Es gibt jetzt ja schon Abgaben auf Aluminium und Stahlprodukte. Dann gibt es auch Abgaben und Zölle auf Importe aus China in die USA. Und seit gestern, glaube ich, gelten auch diese Sonderzölle für Autoimporte in die USA und Autoteile von 25 Prozent. Das war sozusagen schon eingepreist, das wussten alle und haben sich schon staunend umgedreht und geguckt, was macht das denn jetzt alles so? Aber es stand ja ja dieser Liberation Day an.
Es stand dieses Event an, wo Trump noch weitere Zölle verkünden wollte.

Deswegen ahnte die Welt, da kommt noch eine ganze Menge mehr. Die Frage war dann, wird es schlimm oder wird es schlimmer oder richtig schlimm? Und jetzt wissen wir, schlimmestens. Denn gestern veranstaltete Trump eben diesen Liberation Day und er will die USA befreien aus dem System des freien Welthandels, von dem er glaubt, dass die USA da systematisch über's Ohr gehauen werden. Und das führt dazu, dass nun mindestens zehn Prozent Zoll vom 5.
April an für alle Einfuhren fällig werden und einige Länder trifft es noch mal extra hart.

Ja, genau. Also Lesotho zum Beispiel ist ganz oben auf der Liste, 50 Prozent. Einfach 50 Prozent auf alles, was die in die USA einführen, ist nicht viel, aber darauf müssen sie halt 50 Prozent aufschlagen. China, schon eine ganz andere Nummer, 34 Prozent müssen sie für Exporte in die USA zahlen und Europa, und darum reden wir jetzt auch unter anderem darüber, ist halt bei 20 Prozent gelandet. Und Trump stand dann mit seiner Tafel da und diesen ganzen diversen
Zahlen. Und natürlich haben sich alle sofort gefragt. Wie, bitte, kommt er auf diese Zahlen?

Tja, und Philip, ich hab gehört, da gab es so eine schöne Formel mit vielen griechischen Zeichen und Buchstaben.

Am Anfang haben ja alle so gerätselt, wie meint er das mit der Märchensteuer und hier und da und dann hat das Weiße Haus ja so ein Paper veröffentlicht, so nach dem Motto Berechnung dieser Zölle und da steht dann so eine Formel mit lauter griechischen Zahlen, sieht alles wahnsinnig professionell und VWL-mäßig und so aus.
Dann haben sich Leute drüber gebeugt und das alles mal so eingesetzt und ausgerechnet und sind so einfach zu dem Schluss gekommen, also das ist eigentlich nichts weiter als sie teilen das Handelsbilanzdefizit durch die Summe aller In- und Exporte, also des gesamten Handelsvolumens, da kommt dann für Europa eine Zahl raus, 0,39 und weil Trump sagt, 0.39, wir geben denen ein bisschen Rabatt, dann teilt man das Ganze durch zwei und so sind sie halt bei 20 Prozent Zölle.

Weil 0,2 gleich 20 % macht ja total Sinn. Also so ist das eben einfach. Bei Donald Trump wird genau gerechnet und dann gibt es irgendwie so einen unter Freunden so einen kleinen Bonus.

Aber dass sie auch diese ganzen griechischen Symbole eingeführt haben, da du guckst du als Laie drauf und denkst, ja, da haben sich ja immer richtig Gedanken gemacht und es stellt sich raus, sie haben einfach, wie gesagt, Handelsbilanzdefizit durch Handelsvolumen durch zwei, fertig ist das.

Was ist überhaupt ein Handelsbilanzdefizit? Kurz gesagt, dass die USA mehr Waren importieren als exportieren und damit, so jedenfalls ist der Gedanke, wird quasi Kaufkraft aus dem Land abgezogen und deswegen stört sich Donald Trump daran. Was man sich natürlich zu allererst mal fragen muss ist, darf Donald Trump, dürfen die Vereinigten Staaten das? Und die ehrliche Antwort ist rechtlich gesehen überwiegend
nein. Denn es gibt ja sowas wie die WTO, die Welthandelsorganisation, die eben grundsätzlich Regeln fest setzt, wann man überhaupt Zölle erheben kann. Und einfach mal so die ganze Welt mit einem System von Zöllen zu überziehen, ist ein ziemlich offenkundiger Bruch der Regeln dieser Welthandelorganisation.
Insbesondere gibt es die Regel, dass man im Grundsatz, wenn es nicht bestimmte Gründe gibt für eine diskriminierende Behandlung, alle Handelspartnerstaaten gleich behandeln soll, es sei denn natürlich es gibt ein Freihandelsabkommen oder man muss aus irgendwelchen Gründen, keine Ahnung, level playing field herstellen. Stichwort carbon border tax.

Also jetzt ist es also so, Trump stört sich wahnsinnig daran, dass sie zumindest bei Waren eine negative Handelsbilanz haben. Also das heißt, die Amerikaner kaufen mehr Waren im Ausland ein als das Ausland bei ihnen Waren einkauft. Es fließt also mehr Geld ab, zumindest für Waren aus den USA, als reinkommt mit diesem Handel.

Wenn man auf den Appstore schaut, sieht die Welt schon ein bisschen anders aus.

Bei Dienstleistungen sieht das wieder anders aus. Und die Ziele, die Trump, zumindest sagt er das, die er verfolgt, er will halt dieses Defizit verringern.
Er will, dass die Leute mehr bei ihnen einkaufen als umgekehrt und er will außerdem mit diesen Zöllen, das sind ja letztlich Steuern, das ist ja letztendlich Einnahmen, die der Staat macht, dieses Geld will er halt verwenden, um Steuersenkungen durchführen zu können, die natürlich dann Einnahmenverluste für den Staat bedeuten und drittens hofft er halt, dass Unternehmen in die Vereinigten Staaten kommen, weil sie halt diese hohen Zölle vermeiden wollen.

Also ihre Produktion verlagern auf Deutsch. Nach dem Motto, wenn ich meinen BMW nicht mehr irgendwo in Bayern zusammenschraube, sondern vielleicht irgendwo in Alabama, dann kann ich die auf den Wagen sonst fälligen Steuern umgehen oder Zölle umgehen. Das ist so ein bisschen die
Hoffnung. ob das tatsächlich funktioniert, ob das überhaupt realistisch ist und was dieses ganze Zollsystem nun für Deutschland und für die Europäische Union bedeutet, das wollen wir mit einem echten Profi besprechen, den wir jetzt auf die Bühne einladen, denn dazu haben wir uns verabredet mit dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Lage Hörenden, auch schon seit Jahren bekannt.
Herzlich willkommen bei der Lage der Nation, hier bei der Lage live Marcel Fratzscher vom DIW. Ganz herzlich Willkommen!

Kommen Sie einfach hier ran. Kommen sie in die Mitte. So, Hallo Herr Fratzscher. Genau, einmal aufsetzen.

Schön, dass Sie da sind.

Kennen Sie ja schon. Wir machen hier einfach den Knopf weg.

So, hören wir Sie?
Ja, guten Abend.

Perfekt, ganz herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, hier zu dem Thema mal Rede und Antwort zu stehen. Weil ein bisschen was doch gibt's ja zu klären. Als erstes mal gucken wir mal in die USA. Die Zölle kommen jetzt. Die Ziele, die Trump verfolgt, haben wir genannt. Was werden die Folgen sein für auch seine Wähler in den USA?
Erstens mal, die USA zahlen den höchsten Preis dafür, also leiden sehr viel stärker als andere, Mexiko, Kanada auch, aber heißt konkret, wenn ich als Amerikaner jetzt ein deutsches Auto kaufen will oder ein deutsches Produkt, zahle ich jetzt mal 20% mehr. Pi mal Daumen. Nicht nur für Deutschland, sondern, ihr habt es angesprochen, China 34%, andere deutlich mehr. Heißt, ich kann mir weniger mit meinem Einkommen leisten, mein Lebensstandard geht runter.
Heißt auch im Umkehrschluss, ich kaufe nicht nur weniger ausländische Produkte, sondern auch manche amerikanische Produkt, die ich mir nicht mehr leisten kann, weil mein Lebensstandard geringer wird. Das ist die eine Konsequenz, also höhere Preise, höhere Inflation, weniger Lebensstandard, weniger Nachfrage, heißt auch Jobs in den USA gehen verloren und damit Wirtschaftsleistung.
Und das ist, wodurch Donald Trump eigentlich gerade seinen eigenen Wählerinnen und Wählern am meisten schadet, denn das sind die Menschen mit geringem Einkommen, die besonders stark leiden und das sind eben häufig Trump-Wähler.

Das klingt tatsächlich nach einem ziemlichen Eigentor. Nun sagt natürlich der Berater Navarro, das ist ein Berater von Donald Trump, naja, die Menschen, die im Ausland produzieren, die wollen ja weiter ihre Waren in den Vereinigten Staaten verkaufen. Die werden also quasi ihre Netto-Preise senken, damit dann die Produkte mit den aufgeschlagenen Zöllen immer noch konkurrenzfähig sind. Was halten Sie von dem Argument?
Kurzfristig vielleicht ein bisschen, aber langfristig nicht, denn wenn es Wettbewerb gibt, heißt es ja, wenn die Produkte jetzt zu teuer wären, dann hätten sie eh schon die Preise reduziert. Ja, vielleicht der Porsche, der hin exportiert wird, die Margen groß sind, mag geringfügig der Fall sein, aber den größten Preis zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten, also die Preisen werden nach oben gehen.

Und das ist auch wissenschaftlich belegt, weil also Navarro sagt ja, ich habe hier auch Messungen gemacht, das ist ja auch ein Kollege von Ihnen, der ist auch Volkswirt, hat auch ein Buch geschrieben und so. Also die argumentieren, die Preise werden nicht steigen, weil die Importeure quasi unbedingt auf den Markt wollen und daher ihre Kosten und ihre Preise senken werden, um bei den Preisen in den USA stabil zu bleiben. Jetzt sagt ja Trump, ja, okay, die Preise, vielleicht steigen
sie auch erst mal. Und wir müssen hier durch so eine Transitionsphase. Wenn die Unternehmen dann erst mal Fabriken gebaut haben und in die USA gekommen sind und diese Zölle vermeiden und sie nicht mehr zahlen müssen, dann wird diese Transitionsphase, die erstmal ein bisschen schmerzhaft sein wird, vorbei sein und Amerika wird reicher und schlauer. Was ist davon zu halten?
Wenig, weil wenn du Unternehmerin oder Unternehmer bist, dann willst du ja eine Planungssicherheit haben. Du baust ja nicht eine Fabrik, wenn du nicht weißt, was in fünf, zehn oder zwanzig Jahren ist. Und das, was Trump macht, schafft so viel Unsicherheit und so viel Chaos, dass die Unternehmen sagen, Gottes Willen, jetzt in den USA investieren, ich orientiere mich woanders hin. Also genau das Gegenteil passiert nicht nur bei den Investitionen, Fabriken bauen, sondern auch bei den Exporten.
Dass deutsche Unternehmen, europäische Unternehmen sagen, ok, ich kann jetzt nicht mehr so viel in den USA verkaufen, dann lass mich doch gucken, ob ich das anderswo in Europa oder in China. Also es gibt eine Handelsumleitung und auch bei den Investitionen Umleitungen, weil Unternehmen sagen, ich will mich besser lieber woanders aufstellen, als in den USA zu investieren.

Denn man muss da wissen, die USA ist der größte Handelspartner der EU, 10% sind es, aber 90% eben nicht. Genau. Da kann man halt auch umleiten und woanders hingehen.

Mit anderen Worten, für die Menschen in den USA sind das keine guten Nachrichten. Im Zweifel gerade für die, die Donald Trump nicht eher gewählt haben. Das heißt also Menschen, die vielleicht ökonomisch nicht so gut zufrieden sind, die sich von Donald Trump erhofft haben, dass wieder klassische Arbeiterjobs in den Vereinigten Staaten entstehen. Aber blicken wir doch mal in die EU, blicken nach Deutschland.
Wie werden sich denn diese Zölle auf uns auswirken, in Deutschland und in der Europäischen Union?
Unmittelbar relativ wenig. Also wir rechnen 0,3, 0,4 Prozentpunkte weniger Wachstum, heißt-

Das ist aber schon ordentlich, oder?
10, 15 Milliarden Euro, ja, es ist ordentlich. Häufig ist ja der Eindruck, jetzt bricht hier die Wirtschaft zusammen, wir haben eine Rezession, Massenarbeitslosigkeit, das passiert nicht. Aber 10, 15 Milliarden Euro pro Jahr weniger Wirtschaftsleistung.

Weil weniger Dienstleistungen und Produkte in die USA verkauft werden, weil die Preise zu hoch sind, weil sich das nicht lohnt.
Weil es sich nicht lohnt, weil einfach dadurch die Nachfrage sinkt und man eben die zusätzlichen Produkte weniger woanders verkaufen kann. Das trifft natürlich manche Branchen härter, die Industrie, also die Exportunternehmen, Automobile, Maschinenbau, dort ist man eben stärker betroffen. Und für die Konsumentinnen und Konsumenten wird das bedeuten, das ein oder andere Produkt wird teurer, wenn ich das direkt aus den USA importiere oder kaufe, aber andere Produkte werden
günstiger werden. Das ist das Interessante, diese Umleitung des Handels, das heißt die Chinesen, die jetzt weniger auch in den USA verkaufen können, sagen, okay, lass uns doch ein paar der Autos und andere Produkte lieber in Deutschland und Europa verkaufen und dadurch werden wir da tendenziell niedrige Preise sehen.
Das ist ganz interessant, dass wir bei allen ökonomischen Modellen, bei aller Vorsicht, weiß ich, sogar rechnen, dass die Preise in Deutschland deshalb ein wenig fallen könnten im Durchschnitt.

Das ist ja ganz interessant. Diesen Effekt haben wir ja vor einiger Zeit gesehen bei Solarzellen. Da sind ja, weil eben Solarzellen durch bestimmte Schutzzölle von Donald Trump oder, ich glaube, sogar schon von Joe Biden nicht mehr in den Vereinigten Staaten verkauft werden konnten, wurden eben chinesische Solarmodule dann verstärkt nach Europa, gerade auch nach Deutschland umgelenkt.
Und das war dann zum Beispiel das Ende des einheimischen Herstellers Meyer Burger, der, glaube ich, vor allem in Sachsen seine Werke hatte. Da kann man natürlich sagen, gut für die Verbraucher, wenn die Preise sinken. Auf der anderen Seite ist es natürlich schlecht, wenn Arbeitsplätze verloren gehen. Was würden Sie sagen aus einer ökonomischen Perspektive, welcher Effekt überwiegt?
Der zweite. Also China betreibt, was wir Dumping nennen, verkaufen also Produkte, zum Teil unter Herstellungskosten, um einen Markt für sich zu gewinnen. Und wenn sie den Markt mal haben, dann können sie natürlich die Preise erhöhen, wenn kein Anderer das produzieren kann.
Das gab es im letzten Jahr, da haben die Chinesen E-Autos sehr günstig, massiv unter Produktionskosten nach Europa exportiert und da hat die EU gesagt, Moment mal, das ist ein unfairer Wettbewerb, das könnt ihr nicht machen, wir legen Ausgleichszölle
auf. Man hat sich dann einigen können, also es gab eine Schlichtung, aber dieses kurzfristige-langfristige ist wichtig, kurzfristig ja, ist gut, günstige Preise, wenn da Dumping ist, aber langfristig, wenn es da nur noch ein paar Produzenten wie bei Solarzellen gibt, nämlich da hat China fast den gesamten Weltmarkt, dann ist es wirklich schlecht, weil dadurch Arbeitsplätze letztlich in Deutschland verloren gehen.

Da sieht man ja gerade in diesen Tagen, wie die Kurve langsam wieder nach oben geht, weil die Nachfrage eben wieder steigt nach Solarmodulen.

Ja, also jetzt hat ja die EU schon gesagt, wir werden da uns das nicht einfach nur angucken, sondern wir werden reagieren, haben angekündigt, dass bestimmte Zölle auch gemacht werden. Sie haben auch gesagt, wir haben da noch so einen anderen Werkzeugkasten, wir können US-Unternehmen von Ausschreibungen ausschließen und so. Was würden Sie sagen, wäre jetzt der richtige Weg für die EU, um drauf zu reagieren?
Erstens mal müssen wir drauf reagieren. Da ist ja so die Tendenz, lasst uns doch besser keine Zölle, weil dann wird es ja hier teurer und dann könnte das für uns noch schmerzvoller werden.

Bloß kein Handelskrieg, ne?
Bloß kein Handelskrieg, aber das ist ja kurzfristig gedacht und das ist das Schwierige. Wie reagiert man auf Lunatic, wie sagt man, auf den Irren, der unberechenbar ist?
Versucht man gegenzuhalten und dann zu hoffen, dass er dann zurückzieht oder sagt man kommt, lass ihn den Sieg und dann wird er sich vielleicht beruhigen und ich bin überzeugt, es war ein riesiger Fehler, den Trump gemacht hat, weil er sich mit dem gesamten Rest der Welt anlegt und realisieren muss, dass er zu den größten Verlierern gehört. Und ich glaube, es ist richtig, jetzt gegenzuhalten und zu sagen, wir wollen nicht eskalieren. Wir machen eins zu eins.
Das, was ihr in Zöllen auflegt, machen wir auch. Das Problem dabei ist, dass wir, das haben Sie beiden ja eben auch schon angesprochen, gar nicht so viel Güter importieren, sondern mehr digitale Dienstleistung. Und das zu besteuern, das ist wahnsinnig schwierig.

Ein Facebook-Post, ein Euro. Irgendwie sowas. Oder einen Tweet zehn Cent.
Letztlich geht es ja darum, den Preis, den politischen Preis für die Amerikaner zu erhöhen. Und jetzt war eine Idee zu sagen, lasst uns auf Whisky und Harley Davidson, ich hoffe hier fährt keiner Harley Davidson und trinkt Whisky, das ist dann eher schlecht, Zölle auferlegen.

Eher so die Bionade-Fraktion hier. Aber gut, alles gut. Fahrrad!
Weil diese zwei aus Tennessee produziert werden, da sitzen mächtige Republikaner und den wollen wir wehtun. Und die andere Idee ist eben die Digitalkonzerne, das ist letztlich ja die Grundlage der Macht von Trump. Das sind die Unterstützer, die Elon Musks, die GAFAs, Google, Apple, Facebook, Amazon. Wie können wir die treffen, damit der Preis für die politisch hoch wird? Und das ist glaube ich die große Frage, die wir uns stellen müssen.

Und es ist nicht so einfach. Sie haben jetzt auch nicht die eine Maßnahme, wie man die greifen kann?
Doch, es gibt dort Pläne, zum Beispiel, dass man die Werbeumsätze bei diesen Digitalkonzernen besteuert. Also gar nicht so, was wir machen an Transaktionen, das ist ja ein Wahnsinn, wie man das rechnen will, aber man könnte die Werbeeinnahmen besteuern. Und das ist übrigens nicht nur eine Bestrafung, sondern eigentlich ist das ja eine Steuerumgehung, was die Digitarkonzerne machen. Die zahlen zum Teil keine Steuern oder wenig Steuern.
Und daher sehe ich das jetzt auch diesen Konflikt als Chance, Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren. Zu sagen, das haben wir verpasst diese Digitalsteuerung zu machen, jetzt machen wir das, weil es richtig ist und weil es auch ein Ausgleich ist.

Ihre Kollegin Ulrike Malmendier von der University of Berkeley, also in Kalifornien, in den Vereinigten Staaten, die hat allerdings auch die Europäische Union daran erinnert, dass wir vielleicht auch hier und da unsere Hausaufgaben machen müssen, abgesehen mal von Gegenzöllen. Sie sagte nämlich, die Europäischen Union müsse endlich den Binnenmarkt vollenden. Es gäbe einfach immer noch relativ viele Handelshemmnisse in der Europäischen Union.
Theoretisch gibt es ja keine Zölle, oder es gibt jemals keine Zölle mehr. Theoretisch soll es ein Binnenmarkt sein, aber in der Praxis ist das doch nicht so einfach. Ich habe zum Beispiel vor vielen Jahren mal ein Golf-Diesel in Frankreich gebraucht gekauft, irgendwie wie das so ist als Studi. Und irgendwann bin ich wieder nach Deutschland gegangen und wollte mein Auto mitnehmen und da hat mir die deutsche Zulassungsbörde gesagt, also dass das ein Golf, ein Auto
ist, das glauben wir Ihnen nicht. Ich so, wie jetzt? Ja, diese Typenbescheinigung, dass ein Golf ein Auto ist, die war halt nur für in Frankreich gültig und in Deutschland hätte ich nochmal zum TÜV müssen, der mir bescheinigt, dass der Golf ein Auto ist, im Sinne des deutschen Rechts. Und das fand ich schon einigermaßen skurril und solche Handelshemmnisse scheint es wirklich an allen Ecken und Enden zu geben.
Was halten Sie von dieser Idee, quasi nicht nur Zölle zu erheben gegen die USA, sondern auch so eine Art Binnenmarkt-Vollendungsoffensive zu starten?
Das ist so oder so sinnvoll und das ist eine riesige Hürde. Sie haben es eben erwähnt, 10% unserer Exporte gehen in die USA, fast 60% innerhalb Europas. Und wenn man überlegt, wo liegt denn das Potenzial, ist es Europa. Und durch diese Handelshemmnisse legen wir uns halt viele Barrieren auf, nehmen viele Chancen.
Ich glaube, das andere, was wir auch verstehen müssen, wir haben in Deutschland in den letzten 10 Jahren viel zu viele nationale Alleingänge gemacht, häufig Europa ignoriert, gesagt, die wollen alle nur unser Geld. Und realisieren jetzt also Deutschland ist eigentlich das Hauptziel auch von Donald Trump. Er macht das zwar für die EU als Ganzes, aber die größten Handelsüberschüsse weltweit haben wir in Deutschland.
Und so gesehen habe ich Schlimmeres befürchtet vorgestern, dass er Deutschland sich rausnimmt und sagt, ihr kriegt besonders große Strafzölle.

Die Autozölle zielen ja schon auf Deutschland.
Die Autozölle, aber jetzt die anderen, die 20 Prozent, das gilt ja für alle europäischen Produkte. Also erstens, wie können wir das ersetzen, was uns dort wegbricht?
Indem wir Europa stärken, indem wir hier einen konjunkturellen Impuls schaffen, das sollte die neue Bundesregierung tun, indem sie wirklich Investitionen pusht und Menschen mit mittleren geringen Einkommen entlastet, dass hier ein Impuls entsteht und Europa reformieren, Binnenmarkt schaffen, sind viele Elemente, Kapitalmarktunion, aber ebenso auch solche Regulierung abzubauen.

Vielleicht so als Letztes, nur mal zurücklehnen, die USA haben jetzt diese Zölle erhoben, wahrscheinlich wird die EU auch Zölle einführen, ist das so eine wochenweise Verstimmung, die dann wieder weggeht, wenn alle mal miteinander geredet haben und dann die Zölle wieder runtergegangen sind, oder haben wir es hier wirklich für die nächsten Jahre mit wirklich massiven Verschiebungen der Handelsströme und so eine Art Ende dieser Freihandelsglobalisierung zu tun?
Ich glaube, wir unterschätzen, wir verstehen im Augenblick noch nicht, wie dramatisch diese Entscheidung ist und Sie beide haben es am Anfang erwähnt. Das ist wirklich ein Dammbruch, das ist eine Zäsur, weil diese Welthandelsordnung, die auf Nichtdiskriminierung beruht, alle gleich fair zu behandeln, damit gebrochen ist. Und das ist die Grundlage vom Welthandel der letzten 70 Jahre gewesen, das war unser riesiger Erfolg in Deutschland, weil unser Wirtschaftsmodell beruhte auf dieser Offenheit.
Und das ist damit zerstört. Und das kann man natürlich versuchen zu reparieren, indem man die Zölle ein bisschen wieder zurücknimmt. Aber das Problem ist gar nicht so sehr, wie hoch sind die Zösse, sondern es ist einfach diese völlige Unberechenbarkeit. Noch einmal, als Unternehmerin, Unternehmer, brauche ich Verlässlichkeit. Ich muss mich darauf verlassen können, dass ich auch in zwei, in fünf, in zehn Jahren meine Produkte dort verkaufen kann und jetzt nicht auf einmal riesige Zölle habe.
Deshalb ist das wirklich eine Zäsur, ein Dammbruch, und davon werden wir uns nicht so schnell erholen.

Ganz herzlichen Dank. Das war im Gespräch mit der Lager der Nation, Marcel Fratzscher, der Präsident des DIW. Ganz herzlichen Dank, dass Sie da waren.
Dankeschön.

Ja, jetzt haben wir lange über den beginnenden Handelskrieg zwischen USA und EU gesprochen. Krieg, das ist schon ein hartes Wort. Deswegen wollten wir noch ein bisschen besser verstehen, was eigentlich das Problem ist bei diesen Zöllen abgesehen mal von der Kohle.

Also das eine, da haben wir jetzt glaube ich viel darüber gesprochen, ist einfach sauteuer und zwar für alle. Es ist einfach eine neue Steuer, die wir alle in Europa und in den USA werden bezahlen müssen. Die Unternehmen können weniger verkaufen, haben mehr Arbeit, die Leute müssen mehr zahlen. Aber es gibt eben bei diesen Zöllen noch ein zweites Problem, was in dieser Debatte jetzt um diese neuen Zölle so ein bisschen in den Hintergrund geraten ist.
Und zwar ist das, dass Zölle in der Praxis eine echte Bürokratiehölle sind.

Das wusste ich ehrlich gesagt auch nicht. Philip wusste das schon, weil er vor einigen Jahren mal eine Reportage dazu vorbereitet hat. Und da haben wir jetzt noch mal so ein bisschen weiter recherchiert. Was ich gelernt habe diese Woche, jede Ware, jede Wäscheklammer, jede Platine, jede Dose Malzextrakt, die in die EU importiert oder auch exportiert wird aus der EU, muss eine bis zu elfstellige Nummer im sogenannten Zolltarif zugeordnet bekommen.

Überraschungseier, Abgasreinigungsanlagen, Kräuter, Segelboote, Atomreaktoren – alles muss eine Nummer kriegen, wenn es in die EU reingeht oder wenn es rausgeht, selbst wenn auf die Waren kein Zoll erhoben wird.

Wegen der Statistik. Das muss alles schön verbucht werden. Und zu jeder dieser Nummern gehört für den Import ein Zollsatz zwischen 0 und x. Gar nicht so einfach zu klären, was x eigentlich maximal ist. Normalerweise so bis knapp zweistellig. Im Schnitt aber sind die Zollsätze wesentlich niedriger. Im Schnitt haben Konzerne, da haben wir jetzt mal mit einer Expertin telefoniert, noch heute in der Recherche, die sich damit jeden Tag beschäftigt.
Also im Schnitt haben Konzerne so ein Zollsatz von etwa zwei Prozent, den sie zahlen müssen, zwei Prozent und das macht deutlich, wie krass diese 20 oder 34 oder 53 Prozent eigentlich sind, die Donald Trump jetzt erhebt. Das ist nicht irgendwie so ein bisschen mehr, sondern das ist so Faktor 10, Faktor 20 gegenüber dem, was üblicherweise so an Zöllen fertig wird. Aber zurück zur Bürokratie.

Also jede Ware braucht eine Nummer und diese Nummer, die findet sich im Zolltarif, im europäischen Zolltarif. Das war mal ein dickes Buch, gibt es bestimmt heute auch noch als dickes Buch, aber in erster Linie ist das natürlich online und in diesem Zolltarif sind eigentlich alle Waren dieser Erde beschrieben. Das reicht von Kapitel 1, lebende Tiere, bis zu 97 Kunstgegenstände, Sammlungsstücke, Antiquitäten.
Pflastersteine aus Naturstein, Waffen, Fisch, Schienenfahrzeuge, Regen-, Sonnenschirme, künstliche Blumen, alles kann in diesem Zolltarif irgendwie so einsortiert werden und kriegt dann eine Nummer.

Und diese Deklaration in welche Kategorie eine Ware fällt, das machen natürlich die Firmen, die die Waren in die EU importieren oder die sie exportieren, aber der Witz ist, dass das oft sehr komplex ist, denn im Zolltarif werden natürlich nicht einzelne Waren genannt, das sind viel zu viele, sondern es werden Warenkategorien beschrieben, also quasi so Schubladen, in die dann Waren einsortiert werden müssen und strittige Fälle schickt der Zoll dann nochmal weiter, nämlich ans Bildungs- und
Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung, Philip. Du warst da ja mal.

Ich war da mal, ich war bei der Vorgängerorganisation, ZPLA hieß die, und das war ein bisschen her, aber wir haben deswegen nochmal nachrecherchiert. Stimmt das noch alles? Funktioniert das noch alles genauso wie damals? Ja, ist so. Ja, haben wir gecheckt. Ist so. Und bei dieser Behörde landen eben Waren, bei denen nicht so ganz klar ist, zu welcher Nummer im Zolltarif gehören die denn jetzt? Oder welche Nummer gehört genau zu dieser Ware? Und da landen Segelboote, Zierigel, Bärenurin.
Kein Witz. Bärenurin. Da war dann unklar, was ist denn das in dieser Ampulle? Da hängt natürlich kein Zoll dran, aber an diesen Nummern hängen dann auch Einfuhrverbote. Also ist das das Bärenurin von einem geschützten Bären? Oder ist das Bärenurin von einem nicht geschütztem Bären? Da machen die eine DNA-Analyse! Von dem Bärenurin!

Aber der eigentliche heikle Fall, ihr werdet es nicht glauben, ist der Radiohase. Richtig. Also ein Plüschtier mit Radioempfänger. Ihr seht schon, das Beispiel ist ein paar Tage älter, heute hätte das Plüschtier vermutlich irgendeine Videokamera oder so. Die sind verboten.
Oh, das ist ganz heikel, also wenn euch ein Plüschtier mit Videokamera unterkommt, wenn die auf Ebay gehandelt werden, da gibt es immer wieder Hausdurchsuchungen, weil Leute auf Ebay ein Plüschtier mit Videokamera, so als Sex-Toy und so, bestellt haben. Genau, will man natürlich nicht, dass Menschen irgendwie ohne dass sie das mitbekommen, am Ende noch im Schlafzimmer überwacht werden können. Deswegen sind diese Dinger verboten.
Aber Radiohase, der Radiohase ist ja unschädlich, aber er zeigt, wie das Problem liegt.

Richtig. Und zwar macht es das Problem ganz gut deutlich. Plüschtiere finden ihre Zollnummer eigentlich im Kapitel 95 des Zolltarifs. Das heißt Spielzeuge, Spiele, Unterhaltungsartikel und Sportgeräte sowie Teile davon und Zubehör.

Denkt man klarer Fall. Das Problem ist bloß, dieser Hase hat ja noch ein Radio.

Der Hase ist also nicht ein Plüschtier, sondern er ist auch ein Radio und Radios fallen klar in das Kapitel 85. Elektrische Maschinenapparate, Geräte und andere elektrotechnische Waren sowie Teile davon. Und jetzt ist natürlich die Frage, in welches Kapitel zu welcher Nummer gehört denn nun der Radiohase? Und das ist halt für Importeure total wichtig. Das klingt jetzt so ein bisschen blöd. Radiohase, was soll der kosten?
9,99 Euro. Und ob da nun fünf oder sieben oder zehn oder 15 Prozent Zoll drauffallen, das ist egal. Aber wenn du 20.000 Radiohasen importierst, dann ist dir das auf einmal nicht mehr egal, ob auf diesen Radiohasen zwei, zehn oder fünfzehn Prozent Zoll anfallen.

Und aus diesem Grund gehen die Beamten, Beamtinnen, die in dieser Stelle arbeiten, den Dingen auf den Grund und das führt dazu, dass sich schon auch mal ein Turnschuh zerschneiden.

Die sitzen da. Haben einen Turnschuh, Skalpell, Waage, schneiden den Turnschuh auf, trennen diese ganze Außenhaut ab, schneide die Nähte durch, legen das Leder auf die Waage, legen das Nylon auf die Waage, um rauszufinden, was überwiegt denn jetzt?

Das Verhältnis entscheidet über viel oder wenig Zoll. Da gibt es zum einen die Nummer 64041900. Schuhe mit Laufsohlen aus Krautschuk oder Kunststoff und Oberteil aus Spinnstoffen (ausgenommen Hausschuhe, Sportschuhe einschließlich Tennisschuhe, Basketballschuhe, Turnschuhen, Trainingsschuhe, ähnliche Schuhe sowie Schuhe, die den Charakter von Spielzeug haben).

Oder ganz anders 64041100. Sportschuhe einschließlich Tennisschuhe, Basketballschuhe, Turnschuhe, Trainingsschuhe und ähnliche Schuhe mit Laufsohlen aus Kautschuk oder Kunststoff und Oberteil aus Spinnstoffen.

Ihr seht schon, heikel.

Und um das rauszufinden, sitzen die da, schneiden, sezieren, weißt du, wie so Leichenteile, Turnschuhe, wiegen, machen ein Verhältnis und das Ganze muss natürlich auch so eine Einordnung, wenn die dann dazu gekommen sind, muss natürlich europaweit einheitlich sein.
Es kann ja nicht sein, dass der Zöllner in Hamburg und die Zölllerin in Riga ein und denselben Turnschuh in den unterschiedlichen Zolltarif einsortiert und dann unterschiedliche Zölle in unterschiedlichen Importstationen der EU fällig werden, weil das natürlich wettbewerbsverzerrend wäre. Und da gab es, als ich da war, den Problem-Igel. Das war ein Zierigel, da war wirklich bei dem Beamten stand auf dem Schreibtisch ein Zierigel. Faustgroß, ja.
Nase, Augen aus so getrockneten Beeren, Stacheln aus Stroh und er hielt dann so eine Holzsense in der Hand. Aber, und das macht diesen Igel halt zum zolltechnischen Problemfall. Sein Körper war aus Styropor. Und es ist natürlich jetzt die Frage, sortiert man das als pflanzliche Ware ein oder als Kunststoffware? Und die Zollsätze sind nämlich unterschiedlich. Für die einen sind es 17% pflanzliche, Kunststoffwaren eher 6,5 %.

Aber den Zierigel haben die Zöllner dann letztlich nach langer Beratung und internationalen Konferenzen, wirklich! Kein Witz! Ja, die haben die nämlich erst unterschiedlich eingeordnet.
Dann gab es internationale Konferenzen, da haben sich die Beamten aus ganz Europa in Brüssel getroffen, hatten so alle so einen kleinen Zierigel in der Hand, haben ganz tief in die Augen geschaut und das Ergebnis dieser Zierigel-Begutachtung war dann, Ziergegenstände – jetzt gibt es quasi einen Obersatz – werden nach der charakterverleihenden Außenseite eingereiht und nicht nach dem Korpus.

Das heißt, die inneren Werte des Zierigels sind egal. Es geht nur um den Look, es geht nur um die Äußerlichkeit. So ist das im europäischen Zollsystem.

Zollrechtlicher Narzissmus quasi. Es gilt, die Außenseite zählt. So, hier wird klar, warum man Zölle loswerden will. Aufwand, Kosten, Unklarheiten, ohne Ende Bürokratie und die Expertin, mit der wir heute noch mal telefoniert haben, die sagte, das war jetzt nur die Einordnung in die Zollkategorien. Das ganze Fass muss nochmal aufgemacht werden bei der Frage, aus welchem Land kommt ein Produkt. Da denkt man ja ganz einfach, da, wo der Container herkommt.
Aber nein, nein, da muss natürlich auch analysiert werden, welchen Prozentsatz der Wertschöpfung hat welches Land erbracht. Und da könnt ihr euch vorstellen, da geht das ganze Problem nochmal von vorne los. Und deswegen, weil das so die Hölle war, wurden über die letzten Jahrzehnte Zölle, so weit es irgendwie ging, abgeschafft.

Richtig, also die EU hat, wenn man das ernsthaft berechnet, Einfuhrzölle von nicht mal vier Prozent, alles im Schnitt, vieles ist kein Zoll, bei Autos ein bisschen mehr und so weiter, aber im Schnitt waren es vier Prozent und kein Land auf der Welt hat so von diesem System profitiert wie Deutschland, weil wir in alle Welt für fast keine Zölle unsere ganzen Waren verkaufen konnten und die eben hier schon teuer erstellt, hochwertig, hohe Lohnkosten und so weiter, aber eben nicht durch Zölle
noch teurer wurden und also in der ganzen Welt Abnehmer finden konnten.

Und das alles droht der Donald nun über den Haufen zu werfen. Deswegen haben wir uns dieses Thema jetzt mal etwas länger angenommen. Weil wir dachten ,das ist doch mal schön.

Wir sehen schon hier, auch an dem Zollding und auch an vielen anderen Themen, das Verhältnis zu Amerika ist gerade kompliziert, würde ich sagen. It's complicated. Es war schon mal einfacher, aber wir sind ja ein konstruktiver Podcast und wollen natürlich auch beim europäischen-amerikanischen Verhältnissen etwas helfen und konstruktives beitragen.

Das haben wir ja auch in den letzten Wochen immer wieder getan. Wir haben gesagt, ja, es ist eine Zeit großer Herausforderung, auch militärisch. Aber es gibt auch Anlass zur Hoffnung. Nämlich diese Herausforderungen, Russland als Stichwort, könnten nämlich auch dazu führen, dass Europa enger zusammenrückt. Da gibt es ja auch schon erste Anzeichen. Das Problem ist nur, das setzt natürlich auch voraus, dass die Mitgliedstaaten der EU tatsächlich an einem Strang ziehen.

Richtig, also wir hatten ja bisher schon so einzelne Kandidaten, wie Herrn Orbán und in der Slowakei und in Italien, wo man immer schon so ein bisschen sich gefragt hat, sind die eigentlich in der EU noch gut aufgehoben? Aber man konnte sich irgendwie noch mit ihnen zurechtfinden und das konnte man noch einigermaßen lösen, weil es eben auch zum Teil recht kleine Staaten waren.

Das ist natürlich schon wichtig. Also gemeinsame Verteidigung wird natürlich schwierig, wenn quasi Putins Leute mit am Tisch sitzen. Aber wie gesagt, Philip hat es gesagt, Viktor Orbán konnte man bislang noch so irgendwie einnorden. Italien müsste man noch als potenziellen Problemfall nennen, Georgia Meloni ist ja auch so eine Rechtsextreme, aber die spielt jedenfalls in außenpolitischen Fragen bislang überraschenderweise
immer mit. Mal schauen, wie lange das noch gut geht, denn sie versteht sich ja auch beängstigend gut mit der neuen amerikanischen Regierung. Aber gut. Gehen wir mal davon aus, bislang hat das alles noch so sort of geklappt. Bei allen Hürden, die Ungarn insbesondere immer schon mal aufgebaut hat. Doch nun, Philip, da droht am Horizont ein Unheil, das bisher weitgehend verdrängt wird.

Richtig. Weil wir natürlich immer davon ausgegangen sind, und ich glaube, das ist auch völlig unstrittig und jedem klar, wenn wir mit den USA und auch China und anderen Großmächten auf der Welt in Europa auf Augenhöhe kommunizieren wollen und auftreten wollen, dann braucht es diese Achse Polen, Deutschland und Frankreich. Und Frankreich war da bisher immer ein sicherer Kandidat, auch wenn Olaf Scholz das nicht gut gemanagt hat. Aber das lag, wie gesagt, weniger an Frankreich als an Olaf Scholz.

In Frankreich ist nämlich mit Präsident Emmanuel Macron bisher ein überzeugter Europäer am Ruder.
Er arbeitet sehr engagiert mit an einer stärkeren gemeinsamen europäischen Verteidigung, hat ja auch schon verschiedene Treffen in Paris quasi gehostet, hat zu solchen Treffen eingeladen, hat auch schon vor der jetzt aktuellen Zuspitzung im transatlantischen Verhältnis mehrfach angedeutet, dass er sich vorstellen könnte, so den Schutz des französischen Atomschirms auch auf andere europäische Staaten auszuweiten. Das große Problem ist nur bei Emmanuel Macron, seine Amtszeit endet 2027.

Die Amtszeiten in Frankreich sind zwar nicht begrenzt, er könnte also mehrmals Präsident werden, aber er darf eben nicht mehr als zweimal hintereinander sich zum Präsidenten wählen lassen.

Das ist anders als in den USA zum Beispiel.

Richtig. Und deswegen kann er 2027 erstmal nicht mehr antreten und eine natürliche Nachfolge, würde ich es mal nennen, jetzt in seinem Lager, im demokratischen Lager zeichnet sich erstmal nicht ab. Viel mehr dagegen gibt es aber doch auf der anderen Seite eine sehr, sehr populäre Kandidatin.

Marine Le Pen. Das ist die Tochter von Jean-Marie Le Pen, das war der Gründer der rechtsextremen französischen Partei Front National, also nationale Front. Das klingt nicht nur militaristisch, so sind die auch drauf. Dieser FN, dieser Front National wurde zwar vor einigen Jahren umbenannt in Rassemblement National, also nationale Sammlung. Und man versucht auch sich so ein bisschen harmlos und bürgerlich zu
geben. Aber ich denke mal, das ist ein klassischer Fall eines Wolfs im Schafspelz, denn das Programm dieses Rassemblements National oder RN ist weiterhin extrem. Kurz gesagt, Frankreich zuerst.

Frankreich zuerst! Nationalismus, Migrationsbeschränkungen, Skepsis gegenüber der EU, Bestrebung sich aus der EU, nicht auszutreten, aber doch irgendwie sich zurückzuziehen, Skepsis gegenüber Deutschland, Frankreich soll sich abschotten. Also letztlich ist das so eine Art MAGA in der Tricolore, in den drei französischen Farben. Also so muss man sich das irgendwie vorstellen.

Nationalpopulismus einfach. Frankreich soll wieder stark werden, im Prinzip eins zu eins das, was Donald Trump mit MAGA auch will. Außerdem ist das Rassemblement National oder früher der Front National Putin-freundlich bis zum Anschlag. 2014 rechtfertigte die Partei offen die Annexion der Krim. Le Pen nannte sie, Zitat, nicht illegal.

Ja, und dann 2017 bekamen die auch 9 Millionen Euro Kredit von einer russischen Bank, von einer Kreml-nahen Bank. Warum? Französische Banken wollten der Partei halt kein Geld mehr geben, Russland sprang ein. Auch hat sich Rassemblement National nicht sehr eindeutig von einem russischem Überfall auf die Ukraine distanziert, trotz dieser ganzen Kriegsverbrechen, die da passiert sind. Le Pen verurteilt zwar, glaube ich, den Krieg, so fair muss an sein.

Aber so, als wäre das so eine Art Naturkatastrophe, da kann irgendwie auch keiner was für. Und sie kritisiert gleichzeitig die Sanktionen gegen Russland und, was ich persönlich schon stark fand, in ihrem Präsidentschaftsprogramm 2022 forderte sie, Frankreich solle aus dem NATO-Kommando austreten.
Muss man wissen, das ist jetzt nicht das erste Mal, also schon Charles de Gaulle hatte mal irgendwann, wenn ich es richtig weiß, also irgendwann in den 60er Jahren, glaube ich, keine Lust mehr auch dieses gemeinsame NATO-Kommando, 50er, 60er habe ich jetzt nicht recherchiert, also es ist schon länger her.
Das hat es also schon mal gegeben, es gibt einen Präzedenzfall, aber es wäre natürlich eine deutliche Schwächung der NATO, insbesondere wenn man mal die USA wegdenkt, wenn auch Frankreich nicht mehr dabei wäre. Aber dafür gab es dann auf der anderen Seite ein Dankeschön aus Moskau. Denn Marine Le Pen wurde ganz offiziell von Wladimir Putin in Moskau empfangen.

Gibt's nicht viele Oppositionspolitiker in Europa, denen das zuteil wurde. Sie ist jetzt also seit ungefähr zehn Jahren Nachfolger ihres Vaters an der Spitze dieser Partei, also die hieß mal Front, wurde dann ungenannt in Rasseblement. Aber sie ist jetzt quasi an der Spitze. Sie war eine Zeit lang auch Vorsitzende, ist jetzt keine Vorsitzende mehr, aber sie ist ganz klar immer noch die Galleonsfigur, obwohl den Vorsitz mittlerweile ein Ziehsohn von ihr übernommen hat.

Jordan Bardella, das ist jetzt genau ihr Ziehsohn, der ist jetzt formal Parteivorsitzender, aber Marine Le Pen führt weiterhin die Fraktion des RN in der französischen Nationalversammlung, also im Parlament in Paris. Und, und so schließt sich der Kreis, sie will nach wie vor 2027 bei der Präsidentschaftswahl
antreten. Und ich glaube, Philip, da kann man schon sagen, aus der Sicht vieler Regierungschefs in Europa, wahrscheinlich so ziemlich alle mit Ausnahme von Viktor Orbán und vielleicht noch Giorgia Meloni, wäre das der Gau.

Na klar. Weil, die Frage ist natürlich, was macht Frankreich dann in der EU? Klappen die ihren Atomschirm komplett ein? Hat sie schon gesagt, will sie niemanden zur Verfügung stellen. Das ist eine französische nationale Sache. Würde Frankreich die militärische Hilfe für die Ukraine einstellen? Hat Le Pen immer wieder gefordert. Jetzt kann man natürlich sagen, ja, Präsidentschaft hin oder her, aber sie kann ja nicht alleine regieren.

Sie braucht andere Parteien für eine Koalition in der Nationalversammlung, weil sie sehr wahrscheinlich keine absolute Mehrheit einfahren würde.

Nun ist es aber Frankreich und es ist ein Präsident, Präsidentin mit einer völlig anderen Rolle als es in Deutschland der Fall wäre.

Ich glaube auch. Also wenn man sagen würde, die wird ja sich irgendwie Regierungspartner:innen suchen müssen. Damit, denke ich, würde man die Rolle der Präsidentin, des Präsidenten nach der fünften Französischen Republik völlig unterschätzen. Dieses Amt hat sich nämlich Charles de Gaulle 1958 quasi auf den Leib schneidern lassen, der große Retter der französischen Nation im Zweiten Weltkrieg.
Und so bekam der Präsident damals fast unbeschränkte Vollmachten, er ist insbesondere direkt vom Volk gewählt, eben Präsidialsystem und nicht von einer Mehrheit im Parlament
abhängig. Und Marine Le Pen im Élysée-Palast, das wäre also mit einiger Sicherheit das Ende der Europäischen Union, wie wir sie heute kennen, so wie eben Trump die NATO de facto massiv schädigt, wenn er auch bisher nicht ausgetreten ist, so kann man davon ausgehen, dass Marine Le Pen und die EU dann auf Konfrontationskurs wären.

Sie hätte definitiv Chancen. Ich glaube, sie ist ja schon dreimal oder so angetreten. In 2022 hat sie im ersten Wahlgang 23 Prozent der Stimmen bekommen, Macron 28, also noch ein Tick mehr. Aber in dieser entscheidenden Stichwahl unter den letzten beiden Kandidierenden hat sie immerhin 41 Prozent, Macron dann 58. Das macht schon klar, die ist ein ernsthafter Bewerber. Und viele gehen davon aus, würde sie 27 antreten, hätte sie sehr gute Chancen, Präsidentin zu werden.

Und das muss man sich mal überlegen. Das heißt also, so wie, sagen wir mal, das Schicksal der NATO doch ganz massiv beeinflusst wurde durch die letzte Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten, so würde analog das Schicksal der Europäischen Union ganz maßgeblich mitbestimmt von den Wählerinnen und Wählern in Frankreich bei der Präsidenschaftswahl 2027, wenn dort eine Marine Le Pen auf dem Wahlzettel steht.
Und vor diesem Hintergrund ist, glaube ich, ein Urteil eines Pariser Strafgerichts von vor ein paar Tagen. schon von ganz zentraler europäischer Bedeutung.

Richtig. Das Gericht erklärte Marine Le Pen nämlich für unwählbar. Das Gericht entzog ihr das sogenannte passive Wahlrecht. Fünf Jahre lang kann sie nicht mehr in öffentliche Ämter also auch nicht zur Präsidentin gewählt werden und zwar gültig ab sofort. Sie will natürlich Rechtsmittel einlegen und hat das schon getan, aber das hat keine aufschiebende Wirkung. Das gilt ab sofort, sie kann nicht antreten.

Exécution provisoire, so nennen das die Franzosen, Französinnen und das heißt eben, dass diese Berufung zwar die sie natürlich eingelegt hat, daran zunächst mal nichts ändert. Was ist der rechtliche Vorwurf? Untreue zum Nachteil des Europäischen Parlaments. Richtet sich gegen Marine Le Pen und noch circa 20 weitere Personen aus ihrer Partei.
Was haben sie gemacht? Le Pen und andere meldeten als EU-Abgeordnete, als Mitglieder des Europäischen Parlaments, Beschäftigte als Mitarbeiter in ihrem Büro im EP an, bekamen dafür natürlich Geld. Millionen, von 4 Millionen Euro ist die Rede. Haben 4 Millionen Euro aus der Kasse des Parlamentes bekommen. In Wirklichigkeit arbeiteten diese Menschen aber in der Pariser Parteizentrale an anderen Orten, aber gerade nicht als Parlamensmitarbeiter.
Deswegen Untreue, weil sie also quasi diese Mittel, die das Parlament ihnen zur Verfügung gestellt hat, um damit für das Parlament Mitarbeitende einzustellen für ihr Büro im EP, weil sie dieses Geld für Parteizwecke quasi veruntreut hat.

Und die Indizien sind so klar, das ist auch nicht wirklich bestritten. Le Pen argumentiert, naja, so genau kann man das halt nicht trennen. Das eine ist die Parteiarbeit, und wir sind aber auch im Europäischen Parlament. Also die Fakten an sich sind relativ unbestritten, SZ schreibt, ohne dieses Geld aus dem Europäischen Parlament, von der EU, wäre die Partei wahrscheinlich pleite gegangen, weil sie einfach zu wenig Geld hatten. Jetzt wurde Le Pen also für ihre Rolle schuldig gesprochen.
Sie hat also so ein System errichtet, sagt das Gericht, und Le Pen spielte also eine zentrale Rolle.

Klar, sie war ja damals Parteivorsitzende.

Und sie hat halt mehrere Strafen, sozusagen, Ebenen bekommen. 100.000 Euro Geldstrafe. Außerdem eben vier Jahre Haft, davon eben zwei auf Bewährung. Und den Rest muss sie mit einer Fußfessel rumlaufen. Das heißt, sie muss jetzt erst mal nicht in Haft. Aber das zentrale Ding ist halt eben, sie hat ihr passives Wahlrecht für fünf Jahre verloren und kann Stand heute nicht bei der Präsidentschaftswahl 2027 antreten.

Und am Abend dieses Urteilspruchs aus Paris haben auch alle gedacht, das war es jetzt für sie, einfach weil die Rechtsmittel im französischen Strafrechtssystem extrem lange dauern. Von drei Jahren war da die Rede, bis quasi die erste Rechtsmittelinstanz entschieden hat. Aber ganz so schlecht sieht es jetzt für sie nicht mehr aus. Die Wahl ist ja erst 2027, also in etwas mehr als zwei Jahren und das Berufungsgericht hat nun angekündigt, deutlich vor der Wahl entscheiden zu wollen.
Das ist also ein großes Privileg für Marine Le Pen. Da kommt ihr die Justiz extrem entgegen, normalerweise dauert es eben lange, aber das will das Gericht jetzt schnell erledigen und es kann natürlich das Urteil bestätigen oder es kann das Urteil auch wieder ändern.
Und in Frankreich ist es wohl so, dass etwa 90% der Urteile aus erster Instanz, in der zweiten Instanz jedenfalls bestätigt werden, aber klar, man weiß es noch nicht und Marine Le Pen gibt sich auch kämpferisch, sie hofft also jetzt auf eine Änderung in der zweiten Instanz.

Und als ich das so las, ja, okay, ist schon irgendwie Untreue und sind auch ein paar Millionen, aber meine Güte, irgendwie 100.000 Euro, okay. Vier Jahre Haft, zwei auf Bewährung, Fußfessel und sie verliert ihr passives Wahlrecht. Passt das? Ist das verhältnismäßig?

Also, muss man natürlich ganz ehrlich sagen, wir sind jetzt beide keine Experten für französisches Strafrecht. Nachdem, was ich gelesen habe, ist es auch nach französischen Maßstäben also jetzt nicht außergewöhnlich. Da muss man wissen, dass die Franzosen gerade ihr Strafrechtssystem an dieser Stelle gerade nachgeschärft haben. Da gab es in den letzten zehn Jahren immer wieder Skandale und dementsprechend wurde die strafrechtliche Reaktion immer schärfer.
Und auch im Vergleich zu Deutschland ist diese Strafe, denke ich, nicht besonders hart, vielleicht sogar eher milde. Der Bundesgerichtshof zum verlangt bei Steuerhinterziehung ab einer Million Steuerschaden zwingend unbedingte Haftstrafe, also ohne Bewährung. Das heißt, mindestens zwei Jahre Haft ohne Bewährung wären in Deutschland fällig geworden. Und hier geht es ja immerhin um die vierfache Summe, also Schaden für den europäischen Fiskus etwa 4 Millionen Euro.
In Deutschland hätte Le Pen vermutlich ebenfalls vier Jahre Hafte, aber eben nicht auf Bewährungen bekommen, vielleicht auch noch ein bisschen mehr.

Ja, und die Frage ist ja, also der Kern ist ja dieses passive Wahlrecht. Da habe ich mich so ein bisschen gefragt, ist das in Deutschland ein Ding?

Also man hört das so selten.

Man hört das selten, dass jemand wirklich sein passives Wahlrecht verliert, also nicht mehr kandidieren kann für irgendwas. Aber wir haben das halt mal nachgeguckt und stellt sich raus. Also eigentlich ist das schon ziemlicher Standard.

Also in Deutschland ist es insbesondere dann Standard und gängig und sogar gesetzlich zwingende Folge wenn jemand wegen einer besonders schweren Straftat oder eines sogenannten Verbrechens verurteilt wird.
Verbrechen sind ja Straftaten die im Mindestmaß mit einem Jahr Freiheitstrafe bestraft werden und da heißt es so schön in § 45 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs: wer wegen eines Verbrechtens zu Freiheitstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen.
Also bei entsprechend schweren Taten mindestens ein Jahr Mindeststrafe, auch im konkreten Fall mindestens ein Jahr, der ist für 5 Jahre raus. Aber Untreue, was ja hier im Fall Le Pen eine Rolle spielt, ist nach deutschem Recht kein Verbrechen. Daher hätte sie in Deutschland das passive Wahlrecht wohl behalten. Es gibt noch so einen zweiten Absatz in § 45 StGB, wonach eben auch bei weniger schweren Straftaten das Gericht den Verlust des passiven Wahlrechts unter anderem anordnen kann.
Aber nur wenn der Straftatbestand quasi auf diese Norm verweist, das ist der Untreue nicht der Fall.

Ja, aber man könnte das ja fast als eine Art Gesetzeslücke markieren.
Also wenn jemand Gelder veruntreut, Steuergelder zumal von der EU über Jahre in der Höhe von mehreren Millionen Euro, nicht aus Versehen, ist verschiefgegangen, sondern mit einem System und dann für ein öffentliches Amt kandidieren will, wo man A) selber Steuergeldern wahrscheinlich kassiert, aber eben auch für den Umgang mit öffentlichen Geldern zuständig ist, da könnte man schon argumentieren, da ist es schon auch bei Untreue in Deutschland eigentlich legitim zu sagen, also in
so besonders schweren Fällen wie hier könnte man auch sagen, da bist du halt für fünf Jahre raus.

Also ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich finde auch, wer eben so viel öffentliche Gelder an die Seite schafft und eben nicht entsprechend dem gesetzlichen Zweck verwendet, der hat doch damit eigentlich schon dokumentiert, dass er gerade nicht charakterlich geeignet ist, quasi die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten. Also ich finde das eine sehr plausible Argumentation, Philip.
Also da könnte sich die kommende GroKo mal Gedanken machen, ob das nicht tatsächlich eine Gesetzeslücke ist, jedenfalls bei Wirtschaftsstraftaten, die sich eben tatsächlich auf öffentliche Mittel beziehen, dass da der Verweis auf den 45 StGB doch zur Norm werden soll.

Ja, also da ist natürlich jetzt der Aufschrei groß in der rechten Szene, in der rechten Blase. Viktor Orbán sagt Je suis Marine und Elon Musk sagt natürlich auch, schon wieder ist Deutschland oder Europa auffällig geworden. Alles ganz furchtbar undemokratisch. Hier werden Wahlen abgeblasen und aussichtsreiche Kandidaten eingesperrt bzw.
verlieren ihr passives Wahlrecht. Natürlich Rassemblement National auch auf den Bäumen, sehen das sozusagen als, was hat sie gesagt, der Rechtsstaat hätte die Atombombe gezündet, sie ermordet und so, also quasi der Rechtsstaat oder die Justiz im Feldzug gegen sie, um halt dem Volk, wie sie sagt, eine Kandidatin zu entziehen.

Aber Philip, da muss man ehrlich mal sagen, da ist, wenn man sich mal so das Verhalten von gerade dem Rassemblement National oder auch von Marine Le Pen in den letzten Jahren anschaut, ist da einfach eine Menge Heuchelei im Spiel, denn gerade der FN oder später eben das RN setzen sich immer ganz besonders für Law and Order ein.
Also die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel verweist darauf, dass gerade Marine Le Pen immer drakonische Strafen gegen Politiker gefordert hat und in ihrem politischen Programm versprach sie den Wählern, dass sie, wenn sie in die Macht käme, verurteilte Politiker lebenslänglich von öffentlichen Ämtern ausschließen würde. Interessant, ob das auch für sie selber gilt.

Also es kommt hier und deswegen breitet man das auch so ein bisschen aus, weil das halt ein Topos ist und ein Narrativ und eine Sichtweise auf die Gewaltenteilung und auf den Rechtsstaat, die halt immer wieder zu der Frage kommt, trauen wir der Justiz? Vertrauen wir in die Unabhängigkeit dieser Säule der Gewaltenteilung? Vertrauen wir da drauf?
Und in dem Fall muss man sich halt immer fragen, also ich finde grundsätzlich in so einem im Staat wie Deutschland und Frankreich, hat es einen Vertrauensvorschuss. Wir gehen davon aus, dass das so ist, es sei denn, es spricht irgendwas dagegen. Und in diesem Fall, würde ich sagen, spricht eben alles dafür, dass das Gericht seine Arbeit gemacht hat.
Die Indizien sind klar, die Prozessbeobachter sagen, also die Nummer ist eigentlich klar, es gibt keine richtigen Zweifel, auch von Marine Le Pen, an den Indizieren und dem Tatvorwurf.

Das sieht man ja auch schon an dem Wortlaut ihrer Kritik. Wenn du nur sagst, ich werde ermordet, aber dich ansonsten überhaupt nicht substanziell mit den Vorwürfen oder mit dem Urteil auseinandersetzt, dann kann man sich die Frage stellen, ob es überhaupt eine wirklich substanzielle Kritik gibt oder ob das einfach eine reine politische Kritik ist.

Das Urteil ist, haben wir auch gesagt, verhältnismäßig nach allem, was man so sagen kann. Und auf der anderen Seite gibt es eben überhaupt keinen Hinweis darauf, dass das Gericht politisch geurteilt hat. Das mag für das Rassemblement National natürlich unangenehm sein.

Ja, na logo, das ist ja irgendwie so ihre Spitzenpolitikerin, wenn die nicht mehr antreten kann, dann wird es jedenfalls schwieriger. Aber da muss man halt sagen, die Ursache dafür, dass sie nicht mehr antreten kann, hat ja Marine Le Pen selbst mit ihren Leuten gesetzt, hätte sie halt keine Straftaten begangen. Muss man auch mal sagen. Hätte sie halt diese vier Millionen mit den Leuten zusammen nicht quasi zweckwidrig verwendet, dann hätte sie jetzt auch kein juristisches
Problem. Und das ist eben gerade, wie soll ich sagen, ist ja keine Fahrlässigkeit. Sie hat ja nicht irgendwie beim Autofahren aus Versehen jemanden verletzt oder schlimmstenfalls getötet, sondern sie hat ja ganz bewusst und über viele Jahre hinweg dieses Geld zweckwidrig verwendet. Ja, also wie geht es jetzt weiter? Marine Le Pen verkündete direkt nach dem Urteil, sie gehe davon aus, dass sie nicht antreten kann. Da dachte sie aber eben noch, dass das Berufungsgericht viele Jahre brauchen wird.
Müssen wir abwarten, wie die Entscheidung ausgeht. Tatsache ist aber, selbst wenn Le Pen nicht antretend darf, dann hat sie sogar schon einen Nachfolger.

Na klar, das ist ihr Ziehsohn, über den haben wir schon gesprochen, der ist sehr jung, 30 Jahre. Und ich könnte mir vorstellen, natürlich will der, sie ist natürlich jetzt noch bemüht, sich als Kandidatin am Leben zu erhalten, denn wenn jetzt schon klar wäre, dass sie nicht mehr antreten kann, ist sie einfach egal. Dann gucken alle nur auf ihren Ziehsohn.
Aber wenn der wirklich antritt, man braucht nicht so wahnsinnig viel Fantasie, um sich einen Wahlkampf vorzustellen, wo fast egal, wer für das Rassemblement antritt, sagt, Wir sind Opfer einer Verfolgungsjustiz. Unsere Kandidatin wurde aus dem Weg geräumt. Jetzt müsst ihr uns die Stimme geben. Egal, wer da vorne ist.

Damit wir mit diesem korrupten System aufräumen. Man kann sich die Slogans schon vorstellen, aber inhaltlich betrachtet muss man sagen, gilt er als noch sehr jung, der ist noch keine 30, der gute Bardella hat wenig politische Erfahrung, aber wie du sagst Philip, er könnte ja gerade als ein Symbol des Protestes, des Widerstands gegen das vermeintliche System gegen die Eliten gewählt werden. Und er ist TikTok-Star. Eben.

Mehr brauchst du eigentlich nicht. Also, wir werden das sicherlich noch weiter verfolgen, was da in Frankreich passiert, aber ich finde, es ist mal wertvoll, darauf zu gucken, weil diese Erzählung über den Rechtsstaat und ist die Justiz nun gekauft oder agiert sie im Sinne der Regierenden, das taucht ja an allen Ecken und Enden wieder auf. Immer wieder.
Und wir sehen hier, es gibt klare Indizien, dass es ein sauberes, gutes Verfahren war mit einem verhältnismäßigen Urteil und es war transparent und alle, die dabei waren, sagen das passt schon.

Und die Folgen sind halt einfach gravierend. Das betrifft uns in Deutschland ja ganz massiv. Wenn wirklich Marine Le Pen oder sonst jemand vom RN da an die Macht kommt in Frankreich, dann sieht es ziemlich bitter aus für die EU.

Aber schauen wir nochmal auf eine andere Baustelle, jetzt auch auf die Koalitionsverhandlungen hier in Deutschland. Wir haben jetzt gedacht, da gehen wir jetzt mal nicht näher drauf ein, weil die ein bisschen stocken. Der Zeitplan, der läuft so ein bisschen aus dem Ruder, glaube ich. Das kann man sagen. Eigentlich sollte ja jetzt so mehr oder weniger der Koalitonsvertrag vorliegen, wahrscheinlich liegt, also aktuell liegt er nicht vor.
Nächste Woche wahrscheinlich. Und Friedrich Merz wird wahrscheinlich, denke ich nicht am 23. April zum Kanzler gewählt werden, sondern das wird dann sich in den Mai verschieben.

Das hoffen wir jedenfalls. Sonst wird es ein bisschen stressig, das alles noch zu besprechen. Ja, mal schauen wir mal.

Und ja, wir besprechen natürlich auch hier in der Lage viele Themen, die einem so ein bisschen das Wasser abgraben und einem manchmal auch so ein bisschen die Hoffnung raussaugen. Aber es gibt eben auch Themen und deswegen machen wir das jetzt hier nochmal, die auch Mut machen, wo man sieht, Politik kann auch unter schwierigen Umständen wirklich etwas
bewegen. Und das betrifft in diesem Fall jetzt tatsächlich mal wieder Klima- und Umweltgesetzgebung, Klimaschutz, denn wir haben ja bis zum Jahr 2030 das Ziel in Deutschland, die Emissionen im Vergleich zu 1990 zu senken um 65 Prozent. Das war ein ehrgeiziges Ziel und wir sehen jetzt, es könnte klappen.

Das haben wir euch in der Lage auch schon mal gesagt, aber wir wollten das an dieser Stelle noch mal stark machen und wir kommen da gleich auch noch quasi zu einem weiteren Mittel, wie das klappen könnte. Dass das klappten kann, liegt nur zum ganz kleinen Teil an der schwächelnden Wirtschaft.
Viel wichtiger ist eben der starke Ausbau erneuerbarer Energien, der Rückgang der Verstromung von Kohle, also dass Kohle verbrannt wird, um Strom zu produzieren und das ist einfach erstmal ein riesengroßer Erfolg, da muss man sich auch mal freuen. Bei aller Angst vor der Klimakatastrophe muss man sagen, wir haben es noch nicht genug getan in Deutschland, aber wir haben immerhin schon mal eine Menge getan und einige Weichen sind in die richtige
Richtung gestellt. Insbesondere Union und SPD müssen diesen Zug jetzt einfach nur noch in Richtung mehr PV, mehr Wind laufen lassen. Also mehr Solarzellen, mehr Wind und diesem weiteren Ausbau keine Steine in den Weg legen. Dann sind wir in diesen Bereichen eigentlich auf einem guten Track. Aber es gibt natürlich leider auch noch Großbaustellen.

Richtig, es gibt diese beiden Großbaustellen Verkehr und Wohnen und Heizen. Der Verkehr hat eben seine Emissionen seit 2010, also in den letzten 15 Jahren, um gerade mal fünf Prozent reduziert. Heizen in Wohnungen ist kaum besser. Immer noch wird zu dreiviertel im Heizen Gas und Öl verbrannt.

Also fossile Heizungen in Häusern sind einfach ein riesengroßes Problem. Und diese Sektoren, die drohen eben nicht nur nationale Klimaziele zu reißen, auch wenn die von der Ampel gerade noch mal so ein bisschen abgemildert wurden, wie wir wissen. Stichwort Sektorziele. Nein, diese Sektoren drohen vor allem auch die EU Klimaziel zu reißen. Und das hätte dann finanziell drastische Folgen. Denn Deutschland müsste dann Zertifikate für die viel zu großen Emissionen in diesen Bereichen
kaufen. Und dass würde den deutschen Fiskus zig Milliarden Euro pro Jahr kosten. Ich glaube, die Größenordnung, die ich mal gelesen hab, waren so 12 Milliarden im ersten Jahr.

Hängt halt sehr vom Zertifikatepreis ab, aber die Idee ist, es gibt eine Grenze, wenn ihr drüber seid, müsst ihr für das, was ihr drüber seid, Zertifikate kaufen, die müsst ihr im Emissionshandel kaufen. Je nach Preis, das sind mehrere Milliarden, manche sagen auch mehrere zig Milliarden, die da drohen, wenn wir bei Verkehr und Wärme nicht vorankommen.

Da hätten wir einen Vorschlag. Wir finden, das Geld kann man auch besser ausgeben als für Strafzahlungen an die EU. Und damit man eben die Klimaziele einhält, damit man diese Strafzahlungen spart, macht es zum Beispiel auch Sinn, 500 Milliarden aus dem Sondervermögen jedenfalls teilweise in den Klimaschutz zu stecken.
Zum Beispiel in den Umbau der Wohnungsbeheizung, denn wenn Gebäude mit erneuerbaren Energien geheizt werden, dann wird eben weniger CO2 emittiert und es werden keine Strafzahlungen fällig. Mit anderen Worten macht es auch unmittelbar, nicht nur für den Klimaschutz Sinn, sondern ganz unmittelbar fiskalisch Sinn, dieses Geld sinnvoll zu investieren, denn heute noch ist es so, dass circa 30 Prozent der deutschen CO2-Emissionen beim Heizen entstehen. Also einfach nur beim Verbrennen von Öl und Gas.

Ja, und die Frage ist natürlich, wie geht das am besten? Und ja, kleinere Wärmepumpen direkt vor der Hütte sind natürlich ein wichtiger Baustein, bleiben das auch, haben wir immer gesagt. Aber das dauert eben, die kosten Geld und die Installation ist eben von vielen, vielen Einzelentscheidungen von Millionen von Menschen abhängig.

Ja, wir haben auch alle gesehen, was für einen geradezu fanatischen Widerstand das sogenannte Heizungsgesetz, das offiziell Gebäudeenergiegesetz heißt, ausgelöst hat. Also da gibt es einfach wahnsinnig viel Ideologie. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an das Interview mit dem inzwischen thüringischen Ministerpräsidenten Mario Voigt, in der Lage der Nation im Podcast vor so einem guten Jahr, ich glaube im Frühjahr vergangenen Jahres waren wir mal irgendwann bei ihm kurz vor
Ostern. Also da wurden Gruselszenarien entworfen, wie schlimm teuer doch so Wärmepumpen seien und so. Da sieht man, in so einer ganz bestimmten politischen Kultur sind Wärmpumpen so quasi der Anfang vom Ende und dementsprechend sagen wir mal so, klar, wir werden da irgendwann hinkommen müssen, dass mehr Wärmepumpen ausgerollt werden, aber ob das flächendeckend für alle Häuser klappt, schwierig.

Im Neubau sind wir jetzt bei fast zwei Drittel. Fast zwei von drei Heizungen in Neubauten sind Wärmepumpen.

Weil es halt auch Sinn macht, weil es halt auch billiger ist. Aber trotzdem, wenn ihr das überlegt, dass ein Drittel der Leute, obwohl es teurer ist, irgendwelche fossilen Heizungen einbaut. Also deswegen, wir wollten nur den Punkt machen, Wärmepunkten sind wichtig.

Genau, im Neubau nur um das zu sagen, es sind nicht ein Drittel der Leute, ein Teil sind eben Fernwärmennetze. Zwei Drittel sind Wärmepumpen und ein großer Teil von Neubauten sind eben Fernwärmenetze.

Also jedenfalls wollten wir den Punkt machen, Wärmepumpen alleine werden es nicht reißen und deswegen hat die Koalition noch nicht endgültig entschieden, der Koalitionsvertrag ist noch nicht fertig, aber sie überlegt jedenfalls, Alternativen zur Wärmepumpe zu pushen, um dieses letzte Drittel eben auch noch abzuholen und möglichst klimafreundlich zu bekommen. Und da sagst du, Philip, ist ein Stichwort Wärmenetze?

Richtig. Wärmennetze, ein Drittel bei den Neubauten. Aber es gibt ja ganz, ganz viel alten Bestand, wo nicht zwei Drittel Wärmepumpen installiert sind. Und die müssen halt auch klimafreundlich umgerüstet werden, damit die eben ohne CO2-Ausstoß heizen. Und deswegen überlegt halt die Koalition Wärmnetze zu stärken. Also Netze, die halt Wärme transportieren in kleinen Quartieren, aber vielleicht auch in ganzen Stadtteilen oder in ganzen
Städten. Das charmante daran ist, wenn du das Netz einmal hast und die Leute anschließt, kannst du halt sehr große Teile der Bevölkerung relativ schnell auf eine klimaneutrale Heizung umstellen.

Wer das nicht kennt, das Prinzip ist so, da fließt halt einfach heißes Wasser in Rohrleitungen durch die Stadt. Das ist die Idee. Da fließte heißes wasser durch und das fließt dann in die Keller und im Keller steht dann so ein Wärmetauscher, das heißt das heiße Wasser aus dem Wärmenetz fließt nicht direkt in die Heizkörper, sondern es ist ein Wärtetauscher, da gibt es ein Hauswassernetz und dieses Hauswassernetz wird erhitzt mit der Wärme aus dem Wärmenetz und so kann man dann die Häuser heizen.
Aber, Stichwort CO2-Einsparung, die spannende Frage ist natürlich, wo kommt denn die Wärme in den Wärmenetzen her?

Heute ist das eben häufig noch Gas, manchmal ein bisschen Kohle, aber meistens Gas. Aber die Idee ist natürlich, dass du erneuerbare Wärme reinspeist. Das kann dann so was sein wie Abwärme. Rechenzentren zum Beispiel produzieren sehr viel Wärme. Kann man benutzen, um heißes Wasser zu machen und da durchzuleiten. Abwähme von irgendwelchen anderen Industrieprozessen oder Wärme aus der Erde.

Erdwärme, Geothermie. Und damit sind wir beim Punkt. Wir wollen euch mal vorstellen, dass diese Erdärme einfach eine riesengroße Chance ist. Fragen wir uns erst mal, was ist denn Geothermie? Na, das bedeutet eben, dass man Erdwärme nutzt, um Häuser zu heizen oder hier und da auch mal so ein bisschen Strom zu erzeugen. Kann man natürlich zum einen oberflächennah machen. Das hatten wir in der Lage auch schon mal, weißt du noch, als wir vor zwei Jahren oder so mal diesen Energieberater hatten?
Da haben wir uns über diese oberflächennenahe Geothermie unterhalten. Da geht's darum, dass man so die ersten 50 bis 150 Meter tief bohrt. Man legt da ein Rohr rein. In dieses Rohr kommt ein Medium, eine Flüssigkeit. Die pumpt man da rein und wenn sie wieder hoch kommt, dann ist sie eben 10 bis 15 Grad wärmer als sie vorher war. Da schließt man dann wiederum eine kleine Wärmepumpe an und die heizt dann Ein- oder Mehrfamilienhäuser.
Das nennt man Sole-Wasser-Wärmepumpen. Das Problem ist bloß, dass das halt aufwendig und teuer ist und daher nur relativ selten genutzt wird.

Das wären irgendwie 10 Prozent, unter 10 Prozent der installierten Wärmepumpen sind eben solche Sole-Wärmepumpen, weil es eben trotzdem teuer ist. Dann gibt es halt diese mitteltiefe Geothermie, das sind dann so Thermalbäder, damit werden Gewächshäuser beheizt oder eben auch Wärmespeicher, das geht so 400 Meter, irgendwie sowas. Da kommt dann halt durchaus mehr Energie hoch, weil das einfach wärmer wird, je tiefer man bohrt.
Aber das richtig Interessante, man könnte sagen, der richtig heiße Scheiß, der kommt eben aus großen Tiefen, über 400 Meter, eher so 2000, 3000, manchmal auch 4000 Meter.
Und da kommt halt richtig heißes, kochendes unter Umständen Wasser nach oben, wird rausgezogen, dann wird die Wärme oben aus diesem Wasser gezogen, also das wird ein bisschen kühler, jetzt nicht 0 Grad, aber es sinkt halt, man nimmt Wärmenergie raus, macht dann mit warmes Wasser, speist das in eine Kommune ein und das Wasser, was man unten rausgeholt hat, geht halt wieder ein bisschen kühler zurück, damit unten der Druck bleibt. Das ist die Idee von dieser Tiefengeothermie.

Ja und da ist einfach wahnsinnig viel Energie drin. Also so eine normale Wärmepumpe, die zieht ja die in Anführungsstrichen Wärme aus der Außenluft. Und ihr könnt euch vorstellen, bei minus fünf Grad ist die in Anführungsstrichen Wärme in der Außerluft begrenzt. Und außerdem hat Luft auch einfach nicht so eine große Wärmekapazität
wie Wasser. Und das ist das Schöne an dieser Geothermie, da wird Wasser zum einen richtig heiß und zum anderen steckt in Wasser auch einfach wahnsinnig viel an Wärme drin, wenn es warm ist. Und das heißt also, man braucht dann viel weniger Leistung bei der Wärmepumpe oder für so ein Wärmenetz kann man einfach sehr viel Wasser mit Geothermie komplett klimaneutral heizen.

Und da gibt es eben in Deutschland verschiedene Regionen, wo das besonders gut geht. Im Norddeutschen Becken, Oberrheingraben, Südbayern oder im Süddeutschen Molassebecken, also Donau bis Alpenvorland. Da sind so die größten Heißwasservorkommen in Mitteleuropa. Und Geothermie passt natürlich total toll in so ein PV- und Windsystem. PV und Wind schwanken, geht hoch und runter. Geothermie ist super konstant. Da kommt einfach immer Wasser mit derselben Temperatur aus
der Erde. Egal ob Wind, Sommer, Sonne, egal, es ist halt total, wenn man so will, grundlastfähig. Also du kannst damit so eine bestimmte Grundlast an Wärmeversorgung einfach machen.

Du hast ja keine Dunkelflaute.

Du bist wetterunabhängig, du hast relativ wenig Eingriff in die Natur, also die Akzeptanz ist auch relativ hoch, weil du halt nur so eine Pumpenstation hast, aber nicht irgendwie überall Windräder stehen hast. Also da spricht auch einiges dafür. Du hast relativ stabile Endkundenpreise, die du damit erzeugen kannst und der Betrieb selber verursacht relativ wenig Umweltbelastung.

Es sei denn, es geht was schief. Da haben wir leider so ein Beispiel. Kann auch was schief gehen, kann auch was richtig in die Binsen gehen. So und weil das eben so viele Vorteile hat, nimmt Geothermie seit 10 Jahren stetig zu, wenn auch weiter auf niedrigem Niveau. Also vor allem geht es eben tatsächlich um Wärmenetze, Fernwärme, nicht mehr nur Thermalbäder immer, auch ein bisschen Strom wird produziert, aber es geht vor allem um Wärme und
Heizung. Aber wie gesagt, dieser Boom, der kommt noch nicht so richtig vom Fleck. Also von Boom kann man vielleicht eigentlich gar nicht so so richtig sprechen. Jedenfalls deckt die Geothermie bisher nur anderthalb Prozent des gesamten Wärmebedarfs in Deutschland. Aber, und deswegen wollen wir euch das mal vorstellen in dieser Folge, das Potenzial ist enorm.

Das wusste schon das Ampelkabinett. Die haben geschrieben, rund ein Viertel der Wärme in Deutschland, ein Viertel, könnte grundsätzlich mithilfe tiefengeothermischer Systeme erzeugt werden. Ein Viertel der Wäme in Deutschland.

Geht halt nicht überall in Deutschland, aber in den Regionen, wo es geht, wäre das eine naheliegende Möglichkeit.

Auch das Leibniz-Institut für angewandte Geophysik hat vor drei Jahren das sich angeschaut und sagen tiefen- und oberflächennahe Geothermie könnte bis 2045 etwa 40 Prozent des Wärmebedarfs in Deutschland liefern.

Sie meinen sogar Geothermie sei ein Muss, denn:

Ohne den durch Sofortmaßnahmen initiierten massiven Ausbau der Geothermie ist der Aufbau des Ökowärmesektors zur Erreichung der nationalen Klimaziele nicht möglich. Also ohne Geothermie werden wir die Ziele nicht erreichen.

Also München zum Beispiel prescht da vor. München will bis 2040 komplett alles mit Erdwärme heizen. Also mit anderen Worten, die Idee ist ein stadtweites Wärmenetz und das soll eben mit Wärme aus der Tiefe geheizt werden.

Richtig. Also Grünwald bei München macht das ja vor. Also Andreas Lederle, mit dem haben wir gesprochen, der ist seit 12 Jahren Geschäftsführer der Erdwärme Grünwald und die sind ein 100 Prozent kommunales Unternehmen, sind so ein Geothermie-Pionier in Deutschland und die haben in ihrer Kommune über die letzten Jahre zwei Drittel der Haushalte in Grünwald an dieses Geothermiewärmenetz angeschlossen.
Daran sieht man schon, wie hoch der Zuspruch der Bevölkerung ist für erneuerbare Energien in Unterhaching und betreiben damit das größte grüne über Geothermie beheizte Fernwärmenetz Kontinentaleuropas.

Und der kriegt halt sein Wasser aus einer Tiefe von 3600 Metern, ist 127 Grad heiß und mit einem Wärmetauscher, also einer großen Wärmepumpe, wird das halt zu Heizwasser. Das ist, die Nummer, die du eben sagtest, das ist Effizienzkönig. Also mit einer normalen Wärmepumpe kriegst du aus einer Kilowattstunde Strom, die du reinsteckst in die Wärmpumpe, dann nimmt sie die Wärme aus der Umwelt und macht daraus drei vielleicht, wenn es rund läuft, vier Kilowattstunden Wärme.
Wenn du vier schaffst, bist du richtig happy. Diese Wärmepumpe in diesem Geothermie-Ding macht aus einer Kilowattstunde Strom 30 Kilowattstunden Wärme. Also effizienter kannst du Wärme nicht herstellen.

Ja und mit dieser Restwärme von 70 Grad, also 50 Grad gehen in das Wärmenetz und dann ist das Wasser noch so 70 Grad heiß und damit wird Strom erzeugt und gefördert nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ins Stromnetz eingespeist, dann geht das Thermalwasser wieder ins Erdreich zurück und es ist auch für die Menschen in Grünenwald ein ziemlich guter Deal, die zahlen nämlich nur rund 9 Cent für eine Kilowattstunde Wärme. Aber Philip, das ist nun leider nicht überall so.

Das ist nicht überall so. Es gibt auch so Geothermie-Projekte, wo die 14, 15, manchmal sogar 16 Cent zahlen. Das liegt unter anderem auch daran, dass es halt eine schlechte Regulierung gibt. Also du hast halt mit diesen Wärmenetzen, so schön die sind, ein natürliches Monopol. Es gibt halt in jeder Kommune, wenn überhaupt, nur ein Wärmenetz. Und du hängst an diesem Wärmenetz. Und das wird von einer Firma betrieben. Und wenn die Firma sagt, das kostet halt 16 Cent, dann bist du da und zahlst deine
16 Cent. und deswegen muss so ein natürliches Monopol vom Staat reguliert werden. So wie Gasnetze und Telefonnetze auch werden Wärmenetze auch, Fernwärmenetze, aber es ist lückenhaft. Das ist einfach keine richtig gute transparente und wirksame Regulation. Das muss sich definitiv ändern, wenn immer mehr Leute an so ein Wärmennetz angeschlossen werden, damit die nicht ausgeliefert sind irgendwelchen irren Firmen, die halt dann auf einmal irgendwelche Mondpreise für ihre Wärme haben.

Oder da muss man ganz ehrlich sagen, selbst wenn sie nicht irre sind, das sind ja eben häufig kommunale Unternehmen. Über die finanzielle Ausstattung der Kommunen haben wir schon viel gesprochen. Das ist häufig natürlich auch so eine Art Notlage, dass die Kommune sagt, na jetzt haben wir das schöne Wärmenetz, jetzt drehen wir doch mal an der Preisschraube.

Aber wenn man sich das jetzt so anguckt, fragt man sich natürlich, warum ist denn Geothermie nur 1,5 Grad von dem Wärmebedarf? Warum hebt das in Deutschland nicht ab? Warum macht das einfach nicht jeder und seine Schwester?

Also einmal kann man ganz ehrlich sagen, liegt es halt einfach daran, Deutschland ist nicht Island. Also mit anderen Worten, es gibt nicht überall heiße Quellen oder Geysire oder so. Das heißt also, man muss da einfach relativ tief bohren. Das ist aufwendig. Erzählen wir euch gleich noch ein paar Zahlen, wie aufwendig das ist. Und zweites Problem, lange war die Datengrundlage dünn. Man wusste einfach nicht so richtig, wo kann man denn eigentlich erfolgreich nach Geothermie
bohren. Da hat sich aber was getan. Da gibt's nämlich jetzt so eine schöne Website, Philip, namens geotis.de hast du gesagt.

Ja, da sind sie ganz stolz drauf, da sammeln sie so ein bisschen Messdaten und so was. Also da gibt es so eine Anlaufstelle, um sich da zu informieren. Das ist ein Geothermie-Informationssystem. Ja, aber vor allem ist einfach Geothermien sauteuer. Das ist einfach richtig teuer und aufwendig. Und deswegen gucken wir uns jetzt erstmal den Privatbereich an und dann die
Kommunen. Also im Privatbereich kannst du im Prinzip nur im Oberflächennahen Geothermie was machen, musst halt Löcher bohren und irgendwie was reinschicken und kriegst was heißeres raus.

Aber das kannst du prinzipiell überall machen, das ist die gute Nachricht.

Richtig, genau, das hat uns Leo Estrada erzählt, der ist Ingenieur beim Planungsbüro Drees & Sommer und plant halt Geothermieanlagen größerer und kleinerer Art in ganz Deutschland.
Prinzipiell kann man in Deutschland sagen, dass wir überall geeignete Flächen haben für die Versorgung von Wärme aus oberflächennaher Geothermie. Was wirklich bei der oberflächennahen Geothermie immer gilt, ist, dass wir ab 10, 15 Meter Teufe konstante Temperaturverhältnisse halt haben. Und von daher kommt natürlich großflächig, oberflächennahe Geothermie als eine Alternative zur fossilbasierten Versorgung in Frage.

Was ich ja immer so geil finde bei diesen Interviews mit richtigen Fachleuten, das sind die Vokabeln, die man da lernt. Teufe. Teufe. Hast du schon mal was von Teufe gehört? Ich nicht. Ich habe geahnt, es scheint, um die Tiefe zu gehen.

Es ist wahrscheinlich genau so ein Bergbaubegriff. Wahrscheinlich ist das aus dem Bergbaurecht und so. Also er sagt im Prinzip kann man das überall machen, ab 15 Meter ist die Temperatur überall gleich. Es kostet einfach nur echt viel Geld. Ich habe ihn das mal gefragt, wie das denn so gehen würde und für so ein Beispielhaus ihn das mal berechnen lassen. Also wenn du ein Haus nimmst mit 120 Quadratmetern nach so einem relativ okayen Energiehauseffizienzstandard von 70
da gedämmt. Da sagt er, also, du musst natürlich erstmal Löcher bohren. Also du sagst, ich bohre mal 45, 50 Meter, kostet ungefähr 5000 Euro brutto ein Loch, pro Loch. Dazu noch eine Sonde, auch nochmal 5000 Euro. Jetzt kannst du ungefähr sagen, wir machen pro Meter Bohrtiefe 30 Watt, die wir da rausholen. Das macht dann also bei einem 50 Meter tiefen Loch ungefähr 1,5 Kilowatt Energie, die wir rausholt.
Das Problem ist bloß, für dieses Haus brauchst du halt so über den Daumen 8,5 bis 10 KW. Das heißt, du sprichst für ein normales Einfamilienhaus schon von sieben Löchern. Was in etwa 45.000 Euro all in inklusive der Sonden, der Bohrungen kosten würde, um so einen Familienhaushalt mit Wärme aus Geothermie zu versorgen.
Und dann auch noch natürlich müsste man die Wärmepumpe als System der Wärmerversorgung auch noch mit berücksichtigen und gegebenenfalls auch weitere Kosten wie Genehmigungskosten und so weiter. Also all in sind wir bei gut 50.000, 55.000 Euro, wo wir jetzt einen Wert für die Versorgung eines solchen Objektes ansetzen würden.

Ich meine, klar, du hast hinterher kaum noch Stromkosten, das ist das Coole, aber du hast halt bei der ersten Installation mal mindestens das Dreifache investiert, als wenn du dir eine normale Luftwärmepumpe hinstellst.

Aber die Diskussion, die möchte ich wirklich führen mit der Bild-Zeitung. Ja, dann machen wir richtig Geothermie, da bohren sie sich hinten Löcher. Kostet keine 60.000 Euro. Ja, kostet keine 60,000 Euro und du kriegst auch irgendwie noch 10 davon gefördert oder so. Also, du kriegt natürlich ein bisschen mehr gefördert.

Das ist so ein bisschen das Problem.

Ich glaube, bei der Förderung gibt es sogar einen Höchstpreis. Also, das macht deutlich, warum das einfach im Privatbereich nicht wirklich sinnvoll ist, muss man ganz ehrlich sagen. Also das Haus musst du ja 100 Jahre nutzen, damit das sich irgendwie mal rechnet. Ein bisschen anders sieht es bei den Kommunen aus, aber auch bei den Kommunen ist es teuer. Also das fängt schon damit an, dass du dieses Fernwärmenetz hochziehen musst. Da kostet eine Fernwärmeleitung pro Meter schnell mal 5000 Euro.
So der selbe Preis, damit ihr es mal gehört habt, wie eine Autobahn. Die kostet auch so 5000, 6000 Euro pro Meter. Grünwald, also diese Gemeinde, die das ja jetzt zu zwei Dritteln da ihre Leute mit Ökowärme aus Geothermie beheizt, die haben halt 200 Millionen Euro investiert. Dann nimmst du jetzt von diesen 200 Millionen Euro, sagste, da machen wir jetzt mal nur 20 Prozent Eigenkapital. Das sind immer noch 40 Millionen Euro.
Die muss eine Gemeinde erst mal aufbringen, wenn nebenan die Kita im Arsch ist und für 100.000 Euro nicht saniert werden kann. Da muss so eine Gemeinde erst mal an die 40 Millionen kommen.

Auch diese Bohrungen, muss man ganz ehrlich sagen, diese 200 Millionen, die werden nicht umsonst fällig. Es liegt vor allem daran, dass diese Bohrungen wahrlich kein Schnäppchen sind.
Ja, die Bohrung kostet in unserer Tiefe pro Bohrloch, würde ich mal überschlägig sagen, inklusive aller Nebenkosten 15 Millionen, 15 bis 20 Millionen.

15 bis 20 Millionen pro Bohrung. Und dieses Projekt, was sie in Grünwald gemacht haben, da haben die vier Bohrungen gemacht. Das sind knapp 100 Millionen Euro, die die Dinger nochmal gekostet haben. Und, das kommt ja dazu, du bohrst und dann gibt es Bohrungen, bei denen findest du nichts. Trotz Geotis. Die haben in Bayern, haben die 50 Bohrungen gemacht und in zwei Bohrungen haben sie nichts gefunden. Und das ist dann schon 40 Millionen Euro für ein dunkles, echt tiefes Loch.
Das ist schon ein steiler Preis. Kannst du noch nicht mal reinklettern. Also in der Gemeinderatssitzung möchte ich nicht sitzen. Also da ist klar, du musst das fördern, bis der Arzt kommt. Und es gibt ja diese Bundesförderung für effiziente Wärmenetze, hat die Ampel auf den Weg gebracht, ist ein wichtiger erster Schritt, ist sehr populär, aber reicht natürlich noch nicht.

Aber immerhin muss man sagen, Philip, einen zentralen Punkt haben sie ja da drin, dieses Fündigkeitsrisiko. Noch eine geile Vokabel.

40 Millionen Euro für ein schwarzes Loch.

Genau, dieses Fündigkeitsrisiko, das will die Koalition jetzt angehen, die wollen das Fündigskeitsrisiko absichern. Na gut, also hoffen wir mal, dass das jedenfalls kommunale Wärmenetze attraktiver macht. Und weiterer wichtiger Bremsklotz bisher, und da fühlte ich mich sehr erinnert an unser Kapitel zur Windkraft in den Baustellen der Nationen, sind die langwierigen Genehmigungsverfahren.

Ja, also Boden muss natürlich seismisch untersucht werden, bis in 4000 Meter Tiefe. Da fahren die mit so Rüttel-LKWs über Straßen und machen so Rüttellungen und setzen so, Rütteltests. Rütteltests und das geht dann bis runter und dann kommt irgendwas zurück und so messen sie dann halt, was da unten zu finden ist oder nicht. Da musst du halt den geeigneten Standort finden und Andreas Lederle hier von der Erdwärme Grünwald, da habe ich gefragt, sag mal, wie lange dauert das denn?
Also von der Idee, wir würden gerne so eine Geothermie-Nummer machen, bis zur ersten Bohrung.
Ob geschätzt im Moment noch rund fünf Jahre.

Fünf Jahre von der Idee bis zur ersten Bohrung und unser Planer hier Leo Estrada sagt, also da würde es so richtig rund laufen bei fünf Jahren also er sagt, bis das erste warme Wasser läuft, das kann schnell zehn Jahre dauern.

Und eine gute Planung muss schon sein. Das haben die Menschen im Schwarzwaldstädtischen Staufen am eigenen Leibe erfahren. 2007 wollten die ihr Rathaus mit Geothermie heizen, also kein Wärmennetz sondern nur das Rathaus. Ja, und die haben auch munter gebohrt.

Und sind dabei durch eine Anhydridschicht gekommen. Das an sich ist noch nicht das Problem. Da drunter war aber Wasser. Und Anhydrid ist wie so eine Art Kreide. Das quillt halt auf wie Hefe wenn es nass wird. Dann haben die also gebohrt durch diese Schicht. Dann kam das Wasser mit Druck nach oben, hat sich in dieser Schicht verbreitet und die Stadt angehoben. Teilweise um 11 Millimeter pro Monat. Ja. Kann man sich vorstellen. Die Häuser bekamen Risse.
Heute haben sie das so einigermaßen, also das ist jetzt 2007, also 15 Jahre her oder mehr als 15 Jahre.

Muss man sich mal überlegen, 11 Millimeter, das ist über einen Zentimeter im Monat, das heißt im Jahr hast du dann die eine Hälfte deines Hauses zwölf Zentimeter angehoben, das steht das Haus schon ganz schön schief.

Also der Schaden, die haben das jetzt so einigermaßen unter Kontrolle, der Schaden ging aber natürlich in die zig Millionen und das ist so ein bisschen das Horror-Szenario für alle, die irgendwie nach Geothermie suchen und nach heißem Wasser.

Ja, und dann gibt es natürlich noch die sunk costs oder die stranded assets, denn zu diesen Kosten für die neuen Bohrungen müssen die Kommunen ja auch Einnahmeausfälle verkraften, wenn sie nämlich bisher ein Gasnetz hatten. Wenn Geothermie das alte Gasnetz ersetzt, weil die Leute eben keine Gasthermen oder Gasheizung mehr einsetzen, sondern Geothermie, dann sind diese Gasrohre überflüssig. Gasrohre aber bringen den Kommunen natürlich bares Geld.
Denn die Versorgungsunternehmen müssen für die Rohre der Kommunen eine sogenannte Konzessionsabgabe, also auf Deutsch so eine Art Miete bezahlen. Ein Wegezoll, der für Jahrzehnte wegfällt, wenn eine Kommune statt auf Gas jetzt auf Fernwärme setzt.

Richtig. Das sind so Gründe, warum die Umstellung von so einem System auf so einem Geothermie-Warmwasser-Wärmesystem wahnsinnig teuer ist und komplex, sagt Andreas Lederle von der Erdwärme Grünwald, während das fossile System mit Gas einfach so weiterlaufen könne.
Ich glaube einfach, dass es da eine ganz, ganz, ganz starke Lobby gibt, eine ganz starkem Lobby, die immer noch die Wertschöpfung aus Öl und Gas eben auch abschöpfen möchte.

Also, wie ließe sich jetzt Geothermie beschleunigen, wenn man schon der Meinung ist, dass das eine gute Idee ist? Das Leibniz-Institut für angewandte Geophysik in Hannover, die haben mal 18 Experten und Expertinnen befragt. Was würdet ihr sagen? Und die Antwort ist, besonders systemkritisch wäre und es darf nicht fehlen, es muss halt eine Förderung geben für diese erste Bohrung, haben sie gesagt. Es muss dieses Fündigkeitsrisiko versichert werden. Das will die Koalition machen.
Mindestens genauso wichtig, wäre halt ein Hochlauf durch Datenbereitstellung durch Behörden, Förderungen von Wärmepumpen und eben von der Förderung von so Explorationskosten. Also ausmessen und dann mal losbohren.

Und natürlich dann auch so Infrastrukturen, Organisationsgeschichten, es muss natürlich genug Bohrgeräte geben, die sind heutzutage auch ziemlich ausgelastet, man braucht Fachkräfte, wie immer ein Problem und Genehmigungen bündeln, beschleunigen und so und das ist auch eine zentrale Forderung von Praktikern. Eben hören wir nochmal Andreas Lederle von der Erdwärme Grünwald.
Der Staat müsste Genehmigungsverfahren bündeln. Der Staat müsste solche Projekte wie Geothermie bzw. solche Versorgungsformen absolut privilegieren. Das heißt, wenn dort ein hohes geothermisches Potenzial vorhanden ist in einer Region, muss es über ein konzentriertes Genehmigungverfahren deutlich beschleunigt werden.
Wir sind im Moment immer noch in den Einzelgenehmigungen, ob das Naturschutz ist, ob das forstwirtschaftliche Genehmigungen sind, ob das Zuwägungen sind, Straßen sind, ob das Wasser-Abwasser-Genehmigungen sind. Das sind lauter einzelne Genehmigungsschritte. Und das läuft in der Regel alles sequenziell ab. Und was wir bräuchten, ist eine Bündelung der Genehmigungsverfahren gepaart. Und das ist ein ganz, ganz dringender Appell. Gepaart mit einer Digitalisierung.

Ich glaube, mit Digitalisierung muss sich so ziemlich alles in Deutschland packen. So endet jeder O-Ton.

Ja, unterstreichen wir. Nein, aber ich meine, die Ampel hatte sich das ja auch schon vorgeknöpft. Die hatten ein Geothermie-Gesetz in der Mache. Um genau das alles zu machen. Hat es aber nicht mehr durch den Bundestag geschafft. Ist jetzt der sogenannten Diskontinuität anheimgefallen. Neuer Bundestag konstituiert sich. Die ganzen alten Gesetzentwürfe sind Makulatur. Union und SPD wollen den Faden aber wieder aufnehmen.
In dieser AG Klima und Energie von den Koalitionsverhandlern haben sie sich sogar schon geeinigt. Da heißt es so schön, wir werden schnellstmöglich ein verbessertes Geothermie-Beschleunigungsgesetz auf den Weg bringen, aber in diesem Wort verbessert steht natürlich schon, dass sie das nochmal aufschnüren
wollen. Schauen wir mal, wann dann tatsächlich geliefert wird und dann muss man natürlich sehen, ist auch unklar, ob die Union da letztlich wirklich mitziehen wird, denn die Union hat ja so eine ganz besondere Perspektive auf Regelungen im Bereich Heizen.

Richtig, also da steht ja auch zum Beispiel in diesen Papieren, die da jetzt öffentlich geworden sind, die Union will das sogenannte Heizungsgesetz abschaffen. Da ist erstmal völlig unklar, was genau ist damit eigentlich gemeint. Es gibt eigentlich kein Heizungssgesetz, es gibt das Gebäudeenergiegesetz, das gab es schon unter der Großen Koalition. Dann gibt es halt diese Erneuerung, diese Novelle des Gebäudesenergiegesetzes, die unter der Ampel gemacht wurde, das hieß dann Heizungengesetz.
Was die Union da genau wie abschafft will, das ganze Gesetz, geht nicht, ist Basis von einer europäischen Richtlinie. Nur diese Novelle? Es ist völlig unklar, was sie abschaffen wollen. Aber was klar wird, ist, finde ich, aus dieser Diskussion, dass die Union echte Probleme hat mit Ordnungsrecht in diesem Energiebereich. Also dass der Staat sagt, ihr müsst bis dann und dann das und das machen.

Ja, also das könnte man dem Wahlkampf der Union entnehmen, dass sie damit ein Problem haben. Allerdings im Wahlkampf wollte die Union natürlich auch an die Schuldenbremse nicht ran. Also mit anderen Worten, was da noch von jetzt quasi die tatsächliche Regierungsbildung überlebt, müssen wir mal schauen. Denn ganz ehrlich, man sieht ja eben schon an den Beispielen, die wir gebracht haben, das mit der Geothermie ist nicht ganz billig.
Aber gerade für Wärmenetze ist Geothermie eigentlich die beste Lösung, wenn es nicht gerade zufällig einen Industriebetrieb gibt, der sehr viel Abwärme produziert. Geothermie zeigt, wie wichtig eben langfristige, konkrete staatliche Vorgaben sind. Einfach, damit man so ein bisschen weiß, in welche Richtung singelt denn der Dampf.

Richtig. Und dafür ist halt ein anderes Gesetz von der Ampel ein gutes Beispiel. Das ist dieses sogenannte Wärmegesetz. Das hat auch die Ampel durchgebracht. Das Wärmeplanungsgesetz ist so eine Vorschrift. Kommunen müssen sich Gedanken machen. Kommunen müssen einen Plan machen. Wie wollen wir die Wärme in unserer Kommune herstellen? Und es soll eben auch klimaneutral werden in bestimmten Stufen.
Dieses Gesetz, das habe die Geothermie in Deutschland deutlich dynamischer gestaltet und nach vorne getrieben, das sagt uns eben Leo Estrada, der halt Geothermie-Projekte in Deutschland plant.
Ja, das Wärmeplanungsgesetz hat natürlich jetzt auch die Diskussion angeregt in den Kommunen, wie ein Wärmemarkt fossilfrei betrieben werden kann, weil Ziel natürlich des Wärmplanungsgesetzes ist ja auch die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien in der Wärmerversorgung. Und dafür gucken dann die Kommunen auf alle möglichen Potenziale für erneuern Energien. Darunter fällt natürlich auch Geothermie.
Und man kann sagen, dass mit dem Wärmeplanungsgesetz diese Technologie auch ein bisschen in den Vordergrund gerückt ist.

Und ich finde, das macht deutlich, jahrzehntelang ist in der Geothermie nichts passiert. Jetzt gibt es ein Gesetz, das sagt, die Kommunen müssen. Die Kommunen müssen planen. Sie müssen planen, sie müssen keine Geothermien bauen, auch kein Wärmenetz, aber sie müssen planen. Und sie müssen ihre Wärme möglichst emissionsfrei hinkriegen. Und erst durch diese Vorgabe bewegen sich die Kommunen, weil das braucht Leute vor Ort.
Bürgermeisterinnen, Verwaltungsleute, die sagen, wir wollen uns diesen Stein ans Bein binden, wir wollen diese Diskussion führen, wir wollen den Kredit aufnehmen, wir wollen diese ganze Orga machen. Das ist von alleine nicht passiert. Das passiert nur, weil der Staat mit diesem Wärmeplanungsgesetz einen Rahmen vorgegeben hat.

Und das heißt mit anderen Worten, nun mit dem Wärmeplanungsgesetz müssen die Kommunen sich jedenfalls mal Gedanken machen, wie soll das denn bei uns laufen und mit einem Mal läuft da auch was, spät, aber hoffentlich nicht zu spät und damit das aber funktioniert, braucht es eben klare Vorgaben, insbesondere eine konstante Förderung, die dann auch berechenbar ist. Da gibt es ja so eine Bundesförderung für effiziente Wärmenetze, kurz BEW, die soll aber 2026 auslaufen, jedenfalls nach heutigem
Stand. Und ich meine, wenn das so ist, dann fängt man heute gar nicht mehr an zu planen, denn bis nächstes Jahr kriegt man das ja nicht fertig.

Und das ist das klassische Infrastrukturbeispielbilemma. Das braucht ewige Planung, von der Idee bis zum ersten Wasser, zehn Jahre. Du hast für eine Kommune große Millioneninvestitionen und das passiert von alleine nicht. Da brauchst du Vorgaben vom Staat und da bin ich jetzt mal gespannt, was sich die Koalition da ausdenkt.

Das war die Lage live aus Berlin. Ganz herzlichen Dank, dass ihr alle live mit dabei wart. Schön, dass ihr da wart. Vielen Dank, die Lage ist ausführlichst erörtert und umfassend.

Und umfassend natürlich. Schön, dass ihr da wart.