LdN416 Merz untergräbt die Brandmauer, Feedback Causa Stefan Gelbhaar, KI-Überraschung DeepSeek, Interview Maral Koohestanian (Spitzenkandidatin Volt), Buchtipp: "Perlen des Lokaljournalismus" - podcast episode cover

LdN416 Merz untergräbt die Brandmauer, Feedback Causa Stefan Gelbhaar, KI-Überraschung DeepSeek, Interview Maral Koohestanian (Spitzenkandidatin Volt), Buchtipp: "Perlen des Lokaljournalismus"

Jan 30, 20250Ep. 416
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LdN416 Merz untergräbt die Brandmauer, Feedback Causa Stefan Gelbhaar, KI-Überraschung DeepSeek, Interview Maral Koohestanian (Spitzenkandidatin Volt), Buchtipp: "Perlen des Lokaljournalismus"

Transcript

Philip BansePhilip Banse

Herzlich willkommen zur Lage der Nation, Ausgabe Nummer 416 vom 30. Januar 2025. Die Aufnahme haben wir gestartet um 10:03. Mein Name ist Philip Banse.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und ich bin Ulf Buermeyer. Ja, herzlich willkommen auch von mir zu dieser neuen Folge. Wie fast in jeder Woche steigen wir ein mit einer Hausmeldung, mit so ein bisschen Plaudern aus dem Maschinenraum. Und in diesem Fall gibt es gute Nachrichten, jedenfalls aus unserer Sicht zum Thema Lage Live.

Philip BansePhilip Banse

Richtig Lage live. Die Lage live in Stuttgart ist fast ausverkauft. Die Lage live in Köln in der Flora ist ausverkauft. Und wenn ihr jetzt denkt: Ach du meine Güte, ich wollte doch noch mal vorbeikommen. Jetzt gibt es da keine Tickets mehr. Dann lasst euch an dieser Stelle gesagt sein, wenn euch das nicht noch mal passieren soll, abonniert einfach plus unter plus.LagederNation.org.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Denn die Menschen, die uns mit einem plus Abo unterstützen, sind ja so quasi unsere treuesten Fans. Und deswegen haben wir uns bei denen jetzt mal bedankt, indem wir sie mit einer Email eingeladen haben. Und das wollen wir in Zukunft weiter so machen. Das heißt also, die plus Menschen werden als allererste eingeladen zu Lage live und was es sonst noch so an Events und Specials geben sollte, denn sie sind einfach das Fundament unserer Arbeit und da möchten wir uns ein bisschen erkenntlich zeigen.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und deswegen hatten wir jetzt hatten die ein bisschen Vorlauf, konnten sich Tickets klicken, nur sind sie halt weg. Also wenn euch das nicht noch mal passieren soll, dann abonniert ein plus Abo.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Zu unserem ersten Thema. Die Reaktionen auf das Attentat von Aschaffenburg dominieren auch in dieser Woche die innenpolitische Debatte in Deutschland. Interessant dabei: Wir hatten ja gesagt und das hatte auch zum Beispiel die CSU Abgeordnete Andrea Lindholz gesagt, von der wir einen O-Ton gespielt hatten: Bei diesem Attentat gibt es viele Themen, die man diskutieren könnte. Vieles ist da gesellschaftlich nicht richtig gelaufen. Und an vielen Stellen könnte Politik jetzt ansetzen.

Philip BansePhilip Banse

Also Betreuung von psychisch Kranken, Zusammenarbeit der Behörden, Konzentration von Zuständigkeiten, Digitalisierung etc.. Es gäbe also viel Felder, auf denen man was machen könnte, wo man sinnvolle Maßnahmen schließen könnte. Friedrich Merz, der Spitzenkandidat der Union, Fraktionschef der Unionsfraktion im Bundestag und Vorsitzender der CDU Deutschlands, hat sich für ein anderes Thema, für einen anderen Fokus entschieden.

Er stellt nun in den Mittelpunkt die Begrenzung der Migration nach Deutschland.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und dafür hat er diese Woche, so beklagen viele, so beklagen zum Beispiel auch Tausende Demonstrierende in Berlin vor dem Konrad Adenauer Haus der CDU Zentrale, er hat in dieser Woche erstmals auf Bundesebene mit der AfD zusammengearbeitet.

Philip BansePhilip Banse

Und die Brandmauer ist eingebrochen, hat Risse bekommen. Das ist natürlich eine Interpretationsfrage, aber ich würde sagen, es wird heiß darüber diskutiert, wie stabil sie noch ist. Also Brandmauer bedeutet keine Zusammenarbeit mit der AfD. Das ist auch ein offizieller Parteibeschluss des Vorstands. Und der Parteitag der CDU ist auf kommunaler Ebene, haben wir auch schon gesagt, seit langem nur noch Theorie. Nicht nur bei der Union, auch bei anderen demokratischen Parteien.

Aber neu ist schon, dass die Mauer jetzt zumindest im Bund ich glaube, so kann man das sagen, doch leichte Risse bekommen hat. Auch weil Merz sein eigenes Versprechen nicht eingehalten hat. Und das wirft eben unter anderem die Frage auf: Was passiert eigentlich nach der Wahl mit dieser Brandmauer? Aber wie er das nicht anders kennt und ja, vielleicht auch erwartet, wir müssen das hier mal der Reihe nach auf.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag hat zwei Anträge und einen Gesetzentwurf zum Thema Migration insbesondere und auch zum Thema Innere Sicherheit in den Deutschen Bundestag eingebracht. Bei dem Gesetz geht es unter anderem um den Stopp von Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige. Dieser Gesetzentwurf, der liegt schon länger in den Ausschüssen des Bundestages, wurde dort bisher nicht fertig beraten.

Nach der Geschäftsordnung des Bundestages könnte er auch nur mit einer Zweidrittelmehrheit überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt werden. Da ist das vermutlich eher eine Nebelkerze, denn die Union hat für die sogenannte Aufsetzung, also dafür, dass das ein Gegenstand der Tagesordnung wird, diese Zweidrittelmehrheit nicht. Deswegen blenden wir das mal so ein bisschen aus und konzentrieren uns auf die beiden Anträge, die und das ist der Punkt ja gerade keine Gesetzentwürfe sind.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Der erste Antrag hat den Titel "Für einen Politikwechsel bei der Inneren Sicherheit", umfasst letztlich Teile aus dem CDU Wahlprogramm, enthält insgesamt 27 Punkte mit Sofortmaßnahmen, wie es heißt, für eine wirksame Stärkung der inneren Sicherheit und zur Beendigung der illegalen Einwanderung. Da geht es zum Beispiel unter anderem um die Speicherung, umfassende Speicherung von IP Adressen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also die sogenannte Vorratsdatenspeicherung.

Philip BansePhilip Banse

Vorratsdatenspeicherung. Und der zweite Antrag hat das Ansinnen, von der Regierung eine Begrenzung der Migration zu fordern. Da geht es um fünf Punkte, letztlich die für "sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration." Und Merz hat diese fünf Punkte in seinen Worten so zusammengefasst.

Friedrich Merz

Erstens die dauerhaften Grenzkontrollen an allen deutschen Staatsgrenzen, zweitens die Zurückweisung ausnahmslos aller illegaler Einreiseversuche. Drittens Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, dürfen nicht mehr auf freiem Fuß sein. Sie müssen unmittelbar in Abschiebegewahrsam oder Abschiebehaft genommen werden.

Viertens Die Bundespolizei soll die Befugnis erhalten, die ausreisepflichtigen Personen auch selbst und unmittelbar Haftbefehle für Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen. Und fünftens Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder müssen in einen zeitlich unbefristeten Ausreisearrest.

Philip BansePhilip Banse

Das sind jetzt also diese beiden Anträge und dieses Gesetz, was vielleicht noch am Freitag abgestimmt werden soll. Über diese beiden Anträge wurde am Mittwoch gestern abgestimmt, nach heißer Debatte. Der eine Antrag hat keine Mehrheit bekommen, Aber dieser Fünf Punkte Plan, über den Friedrich Merz eben gesprochen hat, der hat eine knappe Mehrheit bekommen von der Union und der AfD.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und mit den Stimmen der FDP.

Philip BansePhilip Banse

Mit den Stimmen der FDP eine knappe Mehrheit bekommen. Und das ist das, wenn ich das richtig sehe, das erste Mal, dass bei einer Abstimmung eine Mehrheit erreicht wurde mit den Stimmen der AfD.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also es gab schon schon Abstimmungen, wo die AfD mitgestimmt hat, da kam es aber auf ihre Stimmen nicht an. Das ist jetzt quasi die erste Abstimmung, wo die AfD Fraktion oder Menschen aus der AfD Fraktion die entscheidenden Stimmen abgegeben haben. Daher dieser Vorwurf der Kooperation zwischen Union insbesondere und AfD. Ja, SPD und Grüne hatten im Vorfeld schon angekündigt, wir können bei diesem Fünf Punkte Programm zur angeblichen Begrenzung der Migration nicht zustimmen.

Sie kritisieren, dass die Vorschläge europarechtlich unzulässig seien und auch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die SPD will stattdessen lieber das gemeinsame europäische Asylsystem in Deutschland umsetzen. Das heißt auf Deutsch, die Menschen sollen schon noch ins Land können. Keine Zurückweisung an den Grenzen, aber sie sollen dann festgehalten werden. Manche kritisieren, inhaftiert werden, solange ihr Asylverfahren noch läuft. Diese sogenannten Grenzverfahren.

Philip BansePhilip Banse

Die SPD setzt da einfach auf europarechtliche Regelungen, während die Union mehr auf nationale Regelungen setzt. Grenzschließung usw Inhaftierung. Das glaube ich, ist der zentrale Unterschied. SPD und Grüne haben gesagt, stimmen wir nicht zu und haben sie auch nicht gemacht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, und das Argument von Merz ist eben, dass das deutsche Recht hier Vorrang hätte. Darüber sprechen wir gleich. Fragt sich natürlich erst mal aber warum denn überhaupt diese Aufregung Philip? Es geht doch nur um Anträge. Es geht noch nicht mal oder um einen Antrag, der dann letztlich durchgekommen ist mit den Stimmen der AfD. Das hat zunächst mal gar keine rechtlichen Folgen. Das sind doch nur Forderungen des Parlaments an die Regierung. Warum ist das so ein Problem?

Philip BansePhilip Banse

Tja, also das erste Problem ist natürlich, dass das jetzt nur durchgekommen ist, weil die AfD zugestimmt hat. Und das Problem wird glaube ich deshalb noch größer, weil es nicht mal ein Gesetz ist, sondern es ist einfach nur eine Meinungsäußerung, für die Merz bereit war, diesen Weg zu gehen und zu sagen wir bringen die ein, wissend, dass das nur eine Mehrheit bringt, wenn die AfD zustimmt, also FDP und AfD. Aber ohne AfD wird das Ding keine

Mehrheit kriegen. Und dabei geht es nicht mal um Gesetz mit materiellen Folgen, wo sich wirklich was ändert, sondern es ist allein eine Meinungsäußerung, eine Aufforderung an die Regierung, für die er bereit war, diesen sehr hohen Preis zu bezahlen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also wenn man ehrlich ist, einfach ein Wahlkampfmanöver. Ich glaube, das ist der zentrale Vorwurf. Merz ändert nicht die Rechtslage.

Das heißt, selbst wenn diese Merz Forderungen in irgendeiner Art und Weise rechtlich haltbar wären, selbst wenn sie faktisch irgendwas ändern würden wir diskutieren das gleich noch ausführlich selbst dann wäre es völlig egal, weil sie ja eben die Rechtslage in Deutschland nicht ändern, weil diese diese Forderungen von von der Union ja gar nicht umgesetzt werden durch dieses Papier, sondern eben nur Forderungen sind. Deswegen sagen viele das ist kann doch wohl nicht wahr sein.

Wenn du jetzt wenigstens die Rechtslage ändern würde, wenn du quasi wenigstens wirklich versuchen würdest, Migration zu begrenzen, meinetwegen immer noch schlimm genug, mit einer rechtsextremen Partei zusammenzuarbeiten im Deutschen Bundestag. Aber hier macht Merz das ja nur für die Symbolik, um Punkte im Wahlkampf zu machen. Und das ist schon hardcore. Merz allerdings verteidigt sich natürlich. Merz sagt: Wir tun das, was wir für richtig halten, und zwar egal, wer da

zustimmen wird. Viele werden das Argument kennen. Das kam ja auch in Thüringen schon, als die Union in Thüringen in der vergangenen Legislaturperiode dort mit der AfD zusammengearbeitet hat und die Grunderwerbsteuer gesenkt hat und so. Wir tun das, was wir für richtig halten, egal wer da zustimmt. Und so ist es jetzt auch gekommen. Und zwar obwohl die Union quasi ein AfD Vergrähmer, so einen Anti AfD Spruch eingebaut hat in den Antrag.

Philip BansePhilip Banse

In dem Antrag, dem die AfD jetzt auch zugestimmt hat, steht: "Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen." Das hatte die Union in diesen Antrag eingebaut, um sich von der AfD abzugrenzen. Um deutlich zu machen, Wir sind ja gegen die AfD, wir wollen nicht mit ihr zusammenarbeiten. Und wenn sie diesem hier zustimmen, sind sie selber schuld.

Dieser Vergrämer, diese Abschreckungsmaßnahmen hat nicht funktioniert und ich glaube, da wird auch niemand mehr drüber nachdenken und irgendwie morgen drüber reden, dass die AfD diesem Antrag zugestimmt hat, sondern es ist völlig klar, dass hängenbleiben wird: Die Union hat mit der AfD, wie man es auch immer nennt kooperiert, in Kauf genommen, zusammengearbeitet, aber doch einen historischen Schritt getan, um symbolische Wirkung zu erzielen.

Und die AfD, wie gesagt, hat das dann in Kauf genommen. Die hat das nicht abgeschreckt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Im Gegenteil, die AfD hat das sogar noch zu ihrem Vorteil gedreht. Die haben nämlich einfach gesagt Ja, ja, wir sind es ja gewöhnt, dass gegen uns polemisiert wird. Und sie können sich jetzt sogar noch als staatstragend inszenieren in ihrer eigenen Bubble. Sie können nämlich jetzt sagen: Obwohl da gegen uns geholzt wurde, verbal haben wir da zugestimmt, weil Deutschland eben die Grenzen dicht machen muss.

Philip BansePhilip Banse

Ich denke noch mal über das Argument von Friedrich Merz nach. Wir entscheiden das, was richtig ist und wer da zustimmt, ist uns egal. Das verhängt natürlich politische Entscheidungen auf eine rein inhaltliche Ebene und blendet eine strategische Ebene total aus. Mit dieser Logik ist die Brandmauer eigentlich nicht zu halten, weil jetzt sagt er: Wir haben nicht zusammengearbeitet, sondern wir haben uns nicht abgesprochen. Wir haben einfach was eingebracht. Und die AfD, die hat da zugestimmt.

Und wenn er sagt, wir lassen uns nicht davon abhalten, guten Gesetzen zuzustimmen, nur weil die Falschen zustimmen, mit dieser...

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder sie einzubringen.

Philip BansePhilip Banse

Oder sie einzubringen. Mit dieser Logik kannst du die Brandmauer natürlich einstampfen, weil selbst wenn du dann sagt wir haben ein gutes Gesetz, das müssen wir durchbringen, und wenn das nur mit den Stimmen der AfD geht, dann könnte man nach dieser Logik auch sagen Dann reden wir halt mit denen, weil wir müssen dieses gute Gesetz durchbringen. Und die anderen stimmen nicht zu. Also mit dieser Logik kannst du die Brandmauer beliebig weit einreißen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich würde dir eher zustimmen bei dem bei der These, dass es dann einfach keine Brandmauer mehr gibt, wenn angeblich nur noch die Sache entscheidet und eben nicht mehr die Frage, ob eine Partei rechtsextrem ist oder nicht, dann gibt es keine

Brandmauer mehr. Oder mit anderen Worten: Das immerhin viele Jahrzehnte im Grunde seit Gründung der Bundesrepublik eingehaltene Dogma, dass man mit Rechtsextremisten oder wenn es sie denn mal geben sollte, auch mit Linksextremisten selbstverständlich nicht zusammenarbeitet. Dieses Dogma hat die Union eingerissen und wie gesagt noch nicht mal für einen Gesetzesentwurf, sondern nur für einen Wahlkampfgag.

Und konsequenterweise wird das eben sehr hart kritisiert von SPD, von Grünen, Linken, der Zivilgesellschaft und so und SPD und Grüne setzen noch einen drauf. Sie kritisieren das nicht nur in der Sache, die Brandmauer sei gefallen, sondern sie werfen Merz außerdem auch noch Wortbruch vor. Denn Friedrich Merz hatte erst vor wenigen Wochen im Deutschen Bundestag gesagt, genauer am 13. November, kurz nach Ende der Ampel.

Friedrich Merz

Wir sollten vereinbaren, mit Ihnen, den Sozialdemokraten und Ihnen, den Grünen, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, so dass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen hier im Haus in der Sache auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da zustande kommt.

Philip BansePhilip Banse

Mit denen da meint er die AfD, die hat er dabei im Blick gehabt und auf sie hingedeutet. Dieser O-Ton ist natürlich insofern schon frappierend, weil Friedrich Merz exakt, aber wirklich exakt das gemacht hat, was er dort damals versprochen hat nicht zu tun.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Er hat SPD und Grünen vorgeschlagen, zu vereinbaren, was aber natürlich ein Commitment beinhaltet.

Philip BansePhilip Banse

Jetzt macht er also genau das Gegenteil. Ich glaube, ernsthaft bestreitet das auch niemand, nicht mal in der Union. Sie begründen es nur halt, dass sich die Lage jetzt halt verändert hätte durch die Attentate in Magdeburg und Aschaffenburg.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Friedrich Merz sagte genau das im Deutschen Bundestag: Wir hätten einen Notstand. Deswegen könne auch Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU gezogen werden. Dieser Artikel bedeute, so Merz, nationales Recht gehe ausnahmsweise vor EU Recht. Deswegen seien Zurückweisung von Menschen an den deutschen Außengrenzen rechtens, auch wenn das EU Recht eigentlich eine individuelle Prüfung verlangt.

Friedrich Merz

Und dieser Artikel eröffnet dem nationalen Recht den Vorrang bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Und jetzt will ich Sie einmal fragen: Was muss eigentlich in Deutschland noch passieren? Wie viele Menschen müssen noch ermordet werden? Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt? Was muss eigentlich noch geschehen?

Philip BansePhilip Banse

Ja, also du hast es eben schon angedeutet. Europarecht schreibt eigentlich vor, jeder, der hier an die Grenze an der Grenze kommt, dessen Fall muss mindestens mal geprüft werden. Merz will das aussetzen und quasi Europarecht umgehen mit der Begründung Wir haben hier ein Notstand und deswegen sei es okay, auch Leute abzuweisen, ohne ihren Fall zu prüfen. Und er argumentiert mit Aschaffenburg und Magdeburg.

Und er sagt Was muss eigentlich noch passieren, damit Ihr, liebe Sozialdemokraten und Grünen, sagt Ja, wir haben hier ein und eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wir haben uns das mal angeschaut. Notstand ja, Nein vielleicht ja. Man muss natürlich zugestehen in Aschaffenburg hat ein Mensch mit Migrationshintergrund zwei Menschen ermordet, mutmaßlich wohl allerdings im Zustand der Schuldunfähigkeit. Müssen wir mal schauen. Interessanterweise sind ja nicht nur der mutmaßliche Täter, sondern auch die beiden Opfer Menschen mit Migrationshintergrund. Darüber wird nicht so viel gesprochen.

Ja, ein Migrant ermordet sechs Menschen in Magdeburg auf dem Marktplatz, hat fast 300 verletzt. Also schon ein echtes Massaker. Das ist alles grauenhaft, das ist überhaupt gar keine Frage. Die Frage ist aber: Ist die politische Einordnung als Notstand tatsächlich gerechtfertigt? Gefährdet das die öffentliche Sicherheit und Ordnung? In Deutschland ist quasi die öffentliche Ordnung im Zusammenbruch begriffen? Ich sage mal so, man kann das so sehen.

Ja, wenn Friedrich Merz das wirklich meint, ab wann etwas eine Notlage ist, ist zunächst eine politische Entscheidung, die dann natürlich juristisch geprüft werden kann, gerade vom Europäischen Gerichtshof, aus der Perspektive des Europarechts. Aber was man doch zumindest verlangen würde, ist, dass diese Einordnung als Notstand tatsächlich konsequent ist. Also dass man sich nicht nur einen Notstand rauspickt aus politischen Gründen, sondern dass man quasi die Maßstäbe gleichmäßig

anwendet. Also insbesondere müsste man wahrscheinlich sich die Frage stellen, wie viele Menschen kommen aus welchen Gründen zu Tode, um sich dann die Frage zu stellen, ob das tatsächlich ein Notstand ist. Und da muss ich sagen, da habe ich einige Fragen.

Philip BansePhilip Banse

Es gibt natürlich andere Beispiele. Also es gibt diese Beispiele, die wir auch schon genannt haben, die Femizide, also Frauen werden umgebracht, ermordet, weil sie Frauen sind. Mindestens alle drei Tage wird eine Frau in Deutschland umgebracht, weil sie eine Frau ist. Weil ein Mann nicht akzeptieren kann, dass eine Frau zum Beispiel ihn verlassen hat.

Immerhin hat die Union, muss man auch sagen, am Mittwoch dem Gewalthilfegesetz von Lisa Paus zugestimmt, dass also mehr Plätze in Frauenhäusern schaffen soll. Aber die Union spricht hier nicht von einem Notstand. Beispielsweise ist natürlich auch offensichtlich Straßenverkehr Bis zum 20. 01. sind statistisch in diesem Jahr rund PI mal Daumen 150 Menschen, gemessen an dem, was im Vorjahr passiert ist, im Verkehr gestorben. Jeder Tote eine Tragödie, überhaupt keine Frage.

Aber ist das ein Notstand? Und die Union weigert sich zum Beispiel, Maßnahmen zuzustimmen, die diese Zahl nachweislich mit wissenschaftlich begründet sofort senken könnte, nämlich ein Tempolimit. Bei diesen Argumenten wenn ich die so vortrage, frage ich mich: Ist das nicht Whataboutism?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Na, das ist natürlich kein Whataboutism, sondern es ist die Frage danach, ob die Maßstäbe der Union konsequent sind, ob es der Union wirklich darum geht, Menschenleben zu schützen. Die Union sieht vergleichsweise entspannt zu, dass statistisch 150 Menschen in diesen Tagen statistisch fast 3000 Menschen im Jahr im Straßenverkehr sterben. Wie gesagt, die eine Maßnahme, die das beenden könnte, wäre ein Tempolimit. Das würde nicht dazu führen, dass

niemand mehr stirbt. Aber jedenfalls deutlich weniger. Ist für die Union total undenkbar, obwohl es dafür eine Mehrheit in Deutschland gäbe. Fall zwei Femizide. Ja, die Union stimmt jetzt diesem Frauenhäusern nach monatelanger Diskussion endlich zu. Aber auch das scheint mir aus Sicht der Union kein großes Problem zu

sein. Jedenfalls kann ich mich jetzt nicht an eine flammende Rede von Friedrich Merz erinnern: Wir müssen endlich was dagegen tun, dass Männer Frauen als so eine Art Besitztum behandeln. Das passiert halt nicht. Mir geht es nicht darum, von dem Thema abzulenken. Wir reden ja jetzt auch noch eine halbe Stunde über Migration, sondern mir geht es darum, sich nicht die Frage zu stellen: Ist das konsequent? Sind die Maßstäbe, die Friedrich Merz anlegt, bei der Frage Notstand ja, nein, vielleicht?

Sind diese Maßstäbe wenigstens konsequent und mir scheint das nicht der Fall zu sein. Merz scheint sich aus meiner Perspektive ein vergleichsweise kleines Problem herauszupicken. Einzelne Todesfälle auf Grund der Tatsache, dass Migranten in Deutschland leben und über viel höhere Todeszahlen durch deutsche Täter:innen redet er lieber nicht.

Philip BansePhilip Banse

Und selbst wenn man aber diese Beispiele rauslässt und sich wirklich nur auf diese Fälle konzentriert, die er nennt ja diese beiden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ohne die Vergleiche.

Philip BansePhilip Banse

Ohne die Vergleiche, diese beiden Morde und wenn man sich wirklich mal zurücklehnt und sich fragt Ist das ein nationaler Notstand?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Als ich in Berlin noch in der Schwurgerichtskammer tätig war, hatten wir, also alle Schwurgerichtskammern zusammen, so über den Daumen 100 Fälle im Jahr, Tötungsdelikte und versuchte Tötungsdelikte allein in Berlin. Ich habe die Zahl nicht nachgeprüft, aber so über den Daumen. Wir hatten immer so etwa 100 Fälle im Jahr, alleine im Bezirk des Landgerichts Berlin. Man kann sich schon die Frage stellen, ob zwei Tote oder wenn man Magdeburg dazuzählen will, acht Tote ein nationaler Notstand sind.

Und ich würde behaupten, Friedrich Merz, der ja immerhin mal kurz auch Richter war, der weiß das ganz genau.

Philip BansePhilip Banse

Was man natürlich ergänzen könnte, ist ja, die Kommunen ächzen. Ja, es gibt viele Probleme, reden wir gleich auch noch drüber. Aber dann müsste er das wenigstens so auch benennen und nicht auf diese beiden Morde runterdampfen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und mir stößt ehrlich gesagt auch vor allem diese populistische Rhetorik so auf. Was muss noch passieren? Er greift halt Einzelfälle heraus. Und jazzt die hoch zu einer extrem emotionalisierten Debatte, in der Hoffnung, damit irgendwie im Bundestagswahlkampf Punkte zu machen. Und das finde ich, finde ich schon extrem, sagen wir, gefährlich, weil sich die Union ja eigentlich als eine Rechtsstaatspartei begreift.

Philip BansePhilip Banse

So, aber selbst wenn man jetzt das mal kauft und wir gehen davon aus, es ist ein Notstand, so wie er den skizziert, dann müssten die Maßnahmen, die er fordert, mindestens geeignet sein, diesen Notstand auch zu beheben. Stellt sich natürlich die Frage, was ist denn jetzt von diesen Ideen, die ja hat, inhaltlich zu halten. Wir haben erst überlegt, breiten wir das ein bisschen aus? Es ist ja nur ein Antrag. Es sind nur fünf Punkte und es ist nicht mein Gesetz und er ist in der Opposition.

Aber wir rollen es ein bisschen aus, weil das ja nun mal letztlich das Programm der Union ist, der Partei, die die größten Aussichten hat, die Wahl zu gewinnen. Und Friedrich Merz ist der Kandidat, der die größten Chancen hat, der nächste Kanzler zu werden. Und es ist davon auszugehen, dass dieser Spirit, der aus diesen fünf Punkten rauskommt, erhalten bleibt. So will ich es mal sagen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nehmen wir den Vorschlag eins. Also wir gehen nicht auf alle fünf ein, aber so 2 bis 3. Nehmen wir den Vorschlag 1: Dauerhafte Grenzkontrollen. Das hatten wir in der Lage schon mal ausführlich, deswegen wirklich nur in Stichworten. Deutschlands Außengrenzen sind mehr als 3800 Kilometer lang. Das ist deutlich länger als die Grenze der USA nach Mexiko. Die Bundespolizei hat zurzeit etwa 54.000 Beschäftigte, das sind etwa fünf Beamte pro Kilometer.

Wenn man mal davon ausgeht, dass die acht Stunden von 24 Stunden arbeiten und dann darf auch niemand Urlaub haben oder krank werden. Deswegen kann man sich schon aus den Zahlen easy ableiten, dass eine komplette Überwachung der Außengrenze schwierig wird, um es

mal vorsichtig zu sagen. Die Gewerkschaft der Polizei sagt völlig unrealistisch mit dem gegenwärtigen Personal wenn wir das wollen, wenn wir dauerhafte Grenzkontrollen wollen, dann brauchen wir erst mal ein paar 1000, etwa 8000 neue Beamtinnen und Beamte.

Philip BansePhilip Banse

Und dann gibt es ja auch noch die Kosten. Die sind heute schon nicht ohne. Also der MdB Leon Eckardt hat das Bundesinnenministerium mal gefragt: Was kosten denn jetzt schon die Grenzkontrollen, die ja stattfinden? Stellt sich raus, die bisherigen Kontrollen seit Mitte September kosten fast 28 Millionen € bis Ende 24 und wenn man das mal aufs Jahr dann hochrechnet, dann sind das rund 100 Millionen €.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Davon könnte man eine Menge Psychotherapie bezahlen, und zwar eben nicht nur für Geflüchtete. Das war ja in diesem Fall das Problem, ein Mensch mit psychischen Problemen, sondern man könnte damit die Psychotherapie für alle Menschen in Deutschland drastisch verbessern. Denn mal ganz ehrlich es sind ja nicht nur geflüchtete Menschen, die psychische Probleme haben, sondern es gibt viele, viele andere Menschen, die völlig zu Recht beklagen, dass sie über Monate keinen Therapieplatz bekommen.

Also dieses Geld könnte man nicht nur an dieser Stelle besser anlegen. Aber jetzt mal bezogen auf den konkreten Fall Aschaffenburg ist anzunehmen, dass die Investition nicht in Grenzkontrollen, sondern stattdessen Psychotherapie weitaus wirksamer wäre. Denn Philip, an der Wirksamkeit dieser Grenzkontrollen kann man gewisse Fragen haben.

Philip BansePhilip Banse

Hat ja auch die Gewerkschaft der Polizei gesagt, haben wir in Frankfurt an der Oder selber gesehen, so wie sie jetzt existieren also sind sie mindestens extrem löchrig. Ich meine, du hast das ja, glaube ich, neulich auch erfahren.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, das war, Das war wirklich richtig geil. Ich war neulich in Österreich und bin ausnahmsweise mit dem Auto gefahren und wollte dann zurück nach Bayern über den Grenzübergang bei Füssen. Da gibt es so eine Schnellstraße, einen Tunnel, wollte ich zurück nach Bayern fahren und da war dann mega Stau, ging einfach gar nichts mehr voran. Was habe ich also gemacht? Kurz in OpenStreetMap nachgeschaut Ah, hier.

Zwei Kilometer weiter gibt es eine kleine Brücke, also U-Turn gemacht und zwei Kilometer Umweg ohne Kontrolle nach Deutschland reingefahren. Nun weiß ich nicht mit Sicherheit, ob dieser Stau 100 pro an der Grenzkontrolle lag, aber das Beispiel macht ja auf jeden Fall deutlich, wenn irgendwo die Grenze dicht ist, weil die Bundespolizei sich diesen Grenzübergang mal ausgesucht hat, dann fährt man eben zwei Kilometer weiter.

Und wenn die Bundespolizei irgendwann auf die Idee kommt, sämtliche Grenzübergänge zu besetzen, wie gesagt, was tausenden neue Menschen erfordern würde, dann gibt es ja immer noch Feldwege. Also gerade in diesem Bereich, da guckst du in Open Streets, da siehst du halt Feldwege ohne Ende. Die sind mit Sicherheit nicht alle vermint. Also das ist einfach völlig unrealistisch. Und das sagen uns ja auch Leute von der Bundespolizei.

Philip BansePhilip Banse

Ja, die schreiben uns Mails und sagen das bringt nichts, die Leute kommen einfach an einem anderen Tag. Also wir weisen sie ab, dann kommen sie an einem Tag zurück oder über einen anderen Übergang wieder, wo nicht kontrolliert wird. Und notfalls gehen sie halt irgendwo durch den Wald. Also die deutschen Grenzen dicht zu kriegen, das scheint relativ aussichtslos.

Dann kommen wir zum Vorschlag zwei, den Friedrich Merz gemacht hat im Zuge der Grenzkontrollen alle zurückweisen, die an der Grenze ankommen und keine Asylanträge zulassen. Und da muss man sagen, haben wir oben schon angedeutet, das sieht das Europarecht so nicht vor, sondern jeder, der kommt, und sei der Verdacht auch noch so groß, der Fall muss geprüft werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Gegebenenfalls können die Menschen durchaus in ein anderes Land überstellt werden. Aber wenn das nicht klappt, wird Deutschland eben doch für das Asyl zuständig und deswegen muss das geprüft werden. Deswegen darf man Menschen eben europarechtlich gesehen an den deutschen Grenzen nicht einfach so zurückweisen. Die Idee dahinter ist: Kein Migrant soll zwischen EU Ländern hin und her irren. Also keine Ahnung. Wenn Deutschland ihn nicht reinlässt, dann steht da halt in Tschechien oder in Österreich.

Und was dann? Also die Union geht so ein bisschen davon aus, wenn man das einmal in Deutschland anfängt, dann wird es einen Dominoeffekt geben. Aber der viel wahrscheinlichere Effekt ist ja, dass Menschen irgendwo dann doch mal über die Grenze kommen, irgendwo anders zurückgewiesen werden. Und dann entstehen einfach Gruppen von Zehntausenden von Menschen in Europa, die nirgendwo untergebracht

werden. Und dann entsteht, wäre jetzt meine Interpretation, die eigentliche für die öffentliche Sicherheit von ich sag jetzt mal herumziehenden Migranten, Migrantinnen, die nirgendwo mehr Unterkunf finden.

Philip BansePhilip Banse

Und deswegen, weil das natürlich auch die Union weiß, das Europarecht eine Zurückweisung ohne Prüfung eigentlich verbietet, ruft die Union oder Friedrich Merz eben diesen Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU auf. Und ja, der sieht eine Aussetzung von EU Recht im Falle eines Notstands vor. Also das dann EU Recht eben nicht wirkt und man nicht unbedingt jeden prüfen muss. Aber das gilt eben nur in Extremfällen. Und der Europäische Gerichtshof ist da sehr streng.

Professor Dr. Daniel Thym, Experte für diese Fragen, der schreibt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

"Im Normalfall müssen die Mitgliedsstaaten ihre Interessen innerhalb des Unionsrechts realisieren. Nur höchst ausnahmsweise erlaubt die Klausel eine vorübergehende und verhältnismäßige Abweichung von einzelnen Bestimmungen."

Philip BansePhilip Banse

So, jetzt ist natürlich die Frage: Was heißt höchst ausnahmsweise konkret? Dazu sagt Thym:

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

"Bisher scheiterten alle Versuche der Mitgliedsstaaten, sich vor dem Europäischen Gerichtshof auf eine Notlage zu berufen. Häufig handelte es sich um bloße Schutzbehauptungen, die die Regierungen weder juristisch noch tatsächlich substanziert hat."

Philip BansePhilip Banse

So auf Deutsch: Der Europäische Gerichtshof schaut sehr genau hin, ob überhaupt eine Notlage vorliegt. Und solange Deutschland bei Femiziden, Verkehrsunfall weitgehend wegschaut, wird man kaum Zurückweisungen an den Grenzen auf einen angeblichen Notstand stützen können. Zumal die Bewerberzahlen im letzten Jahr um 1/3 gesunken sind. Das kommt ja auch noch dazu.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also wenn man denn davon ausgehen will, es gibt einen Migrationsnotstand in Deutschland, dann war der 2016/17 oder meinetwegen noch 2022/23, aber in diesem Jahr jedenfalls nicht.

Philip BansePhilip Banse

Oder im letzten Jahr. Aber schon im letzten Jahr von 23 auf 24 sind die Zahl derjenigen, die nach Deutschland kommen und einen Asylantrag stellen, um rund 30 % gesunken, spricht nicht für Notstand.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber selbst wenn die Maßnahmen Migration begrenzen sollten, es würde halt nicht vor Taten psychisch kranker Menschen schützen. Und man muss ja einfach mal sagen, wir haben halt einfach natürlich Menschen in diesem Lande, die unter einer psychiatrisch relevanten Erkrankung leiden und darauf geht Merz leider überhaupt nicht ein. Also die Brandmauer wird eingerissen, ohne dass das in der Praxis etwas ändern dürfte und mit Forderungen, die europarechtlich wohl kaum zu halten sind.

Hinzu kommt dann, um es nur im Nebensatz noch zu sagen, diese Forderung, alle ausreisepflichtigen Menschen zu inhaftieren. Das ist ja auch noch mal so ein richtig steiler Move. Und dazu gibt es jetzt, soweit ich das kurzfristig überblicken konnte, noch keine ausführliche juristische Debatte, weil das bislang einfach als komplett undenkbar galt. Ich meine, bis eine Abschiebung gelingt in viele Staaten, dauert es Jahre.

Mit anderen Worten: Wir reden von der Inhaftierung von Zehntausenden von Menschen, zurzeit akut ausreisepflichtig, fast 50.000 Menschen. Wenn man die alle einsperren will, unter Umständen Jahre lang, bis irgendwann mal der Heimatstaat einen Pass ausstellt, dann haben wir da ein massives Problem mit der Verhältnismäßigkeit.

Philip BansePhilip Banse

Und auch mit der Logistik, weil wir aktuell, ich habe das jetzt nicht noch mal nachgeguckt, aber die Plätze, die dafür vorgesehen sind, für so eine Abschiebehaft, das ist eine Zahl in den Hunderten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also bundesweit, soll es, habe ich vor kurzem in Hintergrundgesprächen mit Polizeibeamten gehört soll es 700 sein.

Philip BansePhilip Banse

Und vollziehbar Ausreisepflichtige gibt es aktuell gute 40.000. Um die ging es. Die müssten eingesperrt werden, bis sie abgeschoben werden. Über mehrere Jahre in Zellen, die es aktuell nicht gibt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das muss man immer dazu sagen.

Philip BansePhilip Banse

Und das ist auch Geld.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das ist jetzt nicht die AfD, die das fordert. Die hat das nämlich schon immer gefordert. Das fordert jetzt die Union. Die Partei, die mit einiger Wahrscheinlichkeit den Kanzler stellen wird, macht Vorschläge, die verfassungsrechtlich komplett Bullshit sind und die auch praktisch kaum umsetzbar sind. Da wird dann so gesagt, wir nehmen dann irgendwelche Kasernen her.

Na, die müssen natürlich dann erst mal für dutzende Millionen Euro aufgemöbelt werden wie eine Kaserne halt von Haus aus natürlich keine Haftanstalt ist. Vielleicht hat die einen Zaun, aber sie hat jedenfalls keine Zellen. Das ist alles so jenseits von Gut und Böse. Und hinzu kommt Philip: Das waren ja nur Anträge!

Philip BansePhilip Banse

Es waren nur Anträge und nichts ändert sich jetzt dadurch, dass die AfD diesem Antrag zugestimmt hat. Also es geht hier um die Brandmauer, ob sie jetzt eingerissen ist?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich würde sagen ganz weg oder?

Philip BansePhilip Banse

Ganz weg oder einem Riss hat? Kann man debattieren. Ich würde sagen, ein Riss hat sie auf jeden Fall bekommen. Und dann kommt natürlich das Gegenargument Brandmauer, Brandmauer, ihr mit eurer blöden Brandmauer! Die Brandmauer hat bisher nichts gebracht. Die AfD ist bei über 20 %, würde ich sagen. Ja klar, das ist mehr als natürlich bei der letzten Bundestagswahl 2021.

Aber man kann auch sagen: Ja genau, sie ist eben nur bei 20 % und stellt nicht den Kanzler wie die FPÖ demnächst in Österreich wahrscheinlich.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ist das eine Argument. Und zum anderen muss man sagen: Ja, Brandmauer. Aber was den Diskurs angeht, haben wir natürlich die Union, aber ehrlich gesagt genauso FDP, SPD und in Teilen sogar die Grünen, natürlich die AfD seit Jahren massiv gestärkt. Jedenfalls wenn man die Warnungen aus der Politikwissenschaft zum

Beispiel ernst nimmt. Wir hatten da in Folge 396 Dr. Julia Reuschenbach zu Gast, die noch mal ganz ausführlich eine Stunde im Interview mit uns erklärt hat, wie man in der öffentlichen Diskussion sich verhalten sollte, wenn man verhindern will, dass rechtsextreme Parteien Stimmen gewinnen. Und da macht die Union ganz konkret in der Person von Friedrich Merz genau das Gegenteil.

Denn sein Argument ist, dass er ja auch wieder stark gemacht hat, sinngemäß: Magdeburg und Aschaffenburg zeigen Es reicht, es muss was passieren. Die Gesellschaft hält die illegale Migration nicht mehr aus. Und für dieses Argument ist politikwissenschaftlich betrachtet brandgefährlich. Aber bevor wir die zu dieser Bewertung kommen, haben wir uns zunächst mal gefragt: Stimmt es denn eigentlich inhaltlich?

Philip BansePhilip Banse

Also die Zahlen habe ich ja oben schon angedeutet. Asylanträge in Deutschland 2024, ungefähr 250.000 Anträge. Das ist ein Minus zum Vorjahr von circa 29 %, rund 1/3 weniger. Ein Teil dieser Menschen hat von vornherein kein Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland. Das sind diese sogenannten Dublinfälle, also Leute, die halt Europa in einem anderen Land betreten haben. Dann ist dieses Land zuständig, eben ein anderes Land als Deutschland.

Und eigentlich müssten die Leute dann wieder in dieses Land zurück, weil dieses Land zuständig ist für deren Asylverfahren. Aber diese sogenannten Dublinabschiebungen, die klappen eben sehr schlecht. Rund 74.000 Überstellungen aus Deutschland in ein anderes EU Land hat Deutschland deswegen beantragt. Rund 44.000 dieser Überstellung hat der europäische Partnerstaat auch zugestimmt. Das ist ja schon mal eine große Zahl. Aber tatsächlich abgeschoben wurden dann nur knapp 6000. Das hat viele Gründe.

Italien zum Beispiel sagt Ja, kommt zurück, aber setzt dann so hohe Bedingungen, dass es de facto nicht klappt. Auch Behörden in Deutschland haben wir jetzt gesehen, brauchen sehr, sehr, sehr lange und reißen Fristen, weshalb die Abschiebung da nicht stattfindet. Auch Gerichte unterbinden manchmal solche Abschiebungen, zum Beispiel nach Kroatien, weil sie sagen, da kriegen die Leute kein rechtsstaatliches

Verfahren. Also das sind die Gründe, warum diese Dublin, diese sogenannten Dublinabschiebungen 75.000, nicht wirklich klappen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das heißt also, 250.000 Menschen kommen ins Land. Davon müssten, na sagen wir mal 75.000 eigentlich in ein anderes europäisches Land. Der Rest aber hat von vornherein ein Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland. Muss man ja auch mal sehen. Also von diesen 250.000 haben bis auf diese 75.000 zunächst mal alle ein Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland. Und das sind alles Menschen, die Friedrich Merz an der Grenze direkt zurückweisen würde. Muss man sich mal überlegen. Also das ist...

Philip BansePhilip Banse

Ohne Prüfung ihres Falls.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ohne Prüfung! 100, also wirklich über den Daumen 2/3 von denen haben Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland, das sie dann natürlich nicht mehr bekämen. Was aber die Kapazitäten in Deutschland eigentlich viel mehr beansprucht, das sind geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Die sind nämlich in diesen Zahlen nicht mit drin, denn sie müssen in Deutschland keinen Asylantrag stellen. Und aktuell leben rund 1 Million Menschen aus der Ukraine in Deutschland.

Philip BansePhilip Banse

Und da würde ich sagen wenn es denn wirklich darum geht, die Belastung der deutschen Gesellschaft, Infrastruktur, Schulen, Wohnraumsituation zu verringern, indem man weniger Migration in Deutschland hat, wenn man das denn will, dann sind das nicht oben die Maßnahmen, die Friedrich Merz schildert, sondern dann wäre es viel wirksamer, die Menschen, die hierher kommen aus der Ukraine, um hier Schutz zu suchen, in Europa besser zu verteilen.

In Deutschland leben plusminus, genau weiß man es nicht, eine Million Leute aus der Ukraine. In Frankreich leben so viel Geflüchtete aus der Ukraine wie alleine in Baden Württemberg. Die kriegen da weniger Geld, das ist weniger attraktiv, blablabla.

Aber wenn es darum geht, die Belastung der Schulen und Wohnungen usw und Behörden zu senken, dann wäre es finde ich viel zielführender und auch europäisch kooperativer mit Frankreich darüber zu reden, die ukrainischen Geflüchteten besser zu verteilen. Wenn wir das hinbekämen, auf diese Weise 200, 300.000 weniger Ukrainer und Ukrainerinnen hier in Deutschland zu beherbergen, dann wäre das eine signifikante

Entlastung. Und selbst wenn es Friedrich Merz schaffen würde, 180.000 Leute im Jahr einfach an der Grenze abzuweisen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Selbst wenn!

Philip BansePhilip Banse

Was völlig fiktiv ist, wäre die Entlastung durch eine bessere Verteilung der ukrainischen Geflüchteten auf ganz Europa, aber mindestens auf Frankreich eine viel größere.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber jetzt mal polemisch dazwischengerufen: Philip, die Ukrainer sind ja nicht so schlimm, die sehen ja aus wie wir. Das eigentliche Problem ist natürlich, dass bei der Union und genauso natürlich bei der AfD dahinter rassistische Motive stehen. Das ist jedenfalls meine Vermutung. Wenn ich mir diese Diskussion anschaue mit den Ukrainer:innen, die aussehen wie wir schön weiß, hat kaum jemand ein Problem.

Das wird ja immer so ein bisschen verbrämt mit der Solidarität, weil man ja die Ukraine in ihrem Abwehrkampf unterstützen muss. Dies ist alles völlig richtig. Trotzdem finde ich es eine interessante Beobachtung, dass man sich immer kapriziert auf Menschen aus Syrien, Afghanistan oder noch schlimmer auf Menschen aus Afrika, während mit Geflüchteten aus der Ukraine niemand ein Problem hat. Also finde ich einfach eine interessante Beobachtung. Schauen wir auf die Zahlen der Ausreisepflichtigen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, es sind in Deutschland ungefähr 220.000 Leute ausreisepflichtig also, deren Verfahren eigentlich durch sind, abgelaufen sind. Und man sagt okay, Verfahren abgeschlossen ist ja keine Art von Schutz, du musst ausreisen. Das war zu Ende letzten Jahres. 220.000 Leute, das sind schon nicht so wahnsinnig viel Leute, also 0,26 % der Bevölkerung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

1/4 eines Prozents, 1/4 eines Prozent.

Philip BansePhilip Banse

Davon von diesen Leuten, die eigentlich ausreisen müssten, sind aber rund 80 % geduldet. Das heißt, sie müssen eigentlich ausreisen, werden aber nicht abgeschoben, zum Beispiel weil sie krank sind oder weil sie in ihrer Heimat nicht behandelt werden können. Und es gibt dann Gründe, da werden also 80 % nicht abgeschoben können, also erst mal hierbleiben. Das heißt, es bleiben 42.000 Leute, die als unmittelbar ausreisepflichtig angesehen werden.

Also das sind die Leute, die ausreisepflichtig sind, keine Duldung haben. Und die müssten eigentlich sofort ausreisen und die könnten auch abgeschoben werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Theoretisch, theoretisch. Und wenn man sich da mal anschaut, das sind 0,05 % der Bevölkerung in Deutschland, also das sind die Menschen, die wirklich eigentlich raus müssten. 0,05 % der Bevölkerung. Und die können aber in der Regel deswegen nicht abgeschoben werden, weil das natürlich nur funktioniert, wenn das Heimatland mitspielt. Viele Länder tun das nicht.

Das heißt also auch diese Menschen, die keinerlei Recht mehr haben, jetzt da nicht mehr irgendwelche, ich sag jetzt mal Notfallrechte, die können dann meistens nicht abgeschoben werden. Im vergangenen Jahr ist das ja nur in, ich glaube 19.000 Fällen etwa gelungen. Mit anderen Worten: Das ganze Asylthema ist in der innenpolitischen Diskussion extrem hochgekocht. Aber wenn man sich mal so ein bisschen die Zahlen anschaut, ist das eigentlich alles nicht so ein Riesenproblem.

Philip BansePhilip Banse

Na ja, also die Kommunen stöhnen natürlich schon. Nicht alle, aber es sind schon einige, die sagen: Unsere Behörden sind überlastet, unsere Schulen haben sehr viel Arbeit, der Wohnraum ist ohnehin schon knapp und teuer.

Und natürlich wird es nicht leichter dadurch, dass Leute einwandern und auch und natürlich Wohnungen haben wollen und auch nicht immer dorthin gehen, wo die Wohnungen günstig sind und wo vielleicht Leerstand herrscht, sondern dahingehen, wo Arbeit ist und deswegen auch Wohnraum knapp und so, also das verteilt sich jetzt auch nicht optimal.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber Philip. 0,26 % der Bevölkerung, 0,26 % der Bevölkerung, die ausreisepflichtig sind. Da gehen die Geduldeten noch mal von runter. Und wenn man die anschaut, die wirklich gehen müssten, die keinerlei Bleiberecht mehr haben 0,05 % der Bevölkerung. Nix gegen die Kommunen. Es gibt eben Kommunen, die haben das aus irgendwelchen Gründen nicht im Griff. Aber ich finde, man kann schon mit Mathematik belegen, dass das Unsinn ist, dass es wirklich an den Geflüchteten liegt.

Wie sollen bitte 0,26 % der Bevölkerung den entscheidenden Einfluss haben auf die Versorgung mit Wohnraum?

Philip BansePhilip Banse

Ja, na gut, aber 220.000 sind ausreisepflichtig. Aber es gibt ja viele, die auch Schutz kriegen. So, die müssen auch untergebracht. Wenn es um die Belastung der Kommunen geht, dann sind das nicht primär die, die eigentlich ausreisen müssen oder nur geduldet sind, sondern es eben Leute, die hier Schutz bekommen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nämlich aus der Ukraine.

Philip BansePhilip Banse

Dazu haben wir oben was gesagt. Also das ist ja mit die größte Belastung. Aber es drängt sich schon so ein bisschen der Eindruck auf, dass in diesen Bereichen, also Verwaltung, Digitalisierung, Schulen, günstiger Wohnraum, dass da einfach zu wenig passiert ist. Die Leute sehen auch, wir sind da nicht leistungsfähig genug und kommen da eben schnell an die Grenzen. Und das es eben nicht von heute auf morgen zu fixen.

Und weil man dann eben vielleicht auch eigene Fehler einräumen müsste, ist es eben viel leichter, die Schuld auf Migranten zu schieben. Und dazu zählt vielleicht noch ein anderer Punkt und der passt hier vielleicht auch ganz gut rein. Man fragt sich natürlich, woher kommt dieses dringende Bedürfnis, Beschlüsse zu fassen, die unrealistisch sind, die eh nicht umgesetzt werden und die einfach nur Rhetorik und Symbolik sind.

Und ich glaube, es herrscht eine allgemeine Verunsicherung, die sich speist aus der nicht ausreichenden Leistungsfähigkeit vieler gesellschaftlicher Ebenen. Es gibt Infrastrukturprobleme, wir haben zu wenig Wohnraum, die Schulen sind nicht gut aufgestellt, überall herrscht Krieg. Dazu kommen noch viele Falschinformationen über soziale Netzwerke, Propaganda aus Richtung Russland. Die Leute sind verunsichert, dann sinken die Reallöhne, die Leute haben weniger in der Tasche.

Die Vermögensverteilung ist ungleich. Die Leute haben ein allgemeines Verunsicherungsgefühl und wünschen sich Kontrolle. Sie wünschen sich, dass wenigstens der Staat Kontrolle hat über das, was passiert. Das ist schwer. Und die Versuchung, die politische Versuchung ist enorm groß, diesen Eindruck zu vermitteln bei der Migration

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Deswegen hat Friedrich Merz ja auch in einem anderen O-Ton, den haben wir jetzt nicht gespielt in der vergangenen Woche im Trumpstyle gesagt: Am ersten Tag meiner Kanzlerschaft werde ich alles Mögliche anordnen. Auch das ist aus einer juristischen Perspektive kompletter Unsinn. Der Kanzler kann das Innenministerium oder die Bundespolizei nicht anordnen. Wir haben bei uns ein Kabinettsprinzip, ein Ressortprinzip. Wenn überhaupt, kann der Bundesinnenminister das anordnen.

Den kann Merz aber auch nicht unmittelbar per Kommando zu irgendwas zwingen. Also das ist schon diese Rhetorik von Merz war wieder rechtlich nicht haltbar, aber sie zeigt wahrscheinlich genau das, was du gesagt hast. Er versucht, auf dieses Kontrollbedürfnis der Menschen zu reagieren. Er macht auf Deutsch den starken Fritz. Und das große Problem ist dabei: Merz wird niemals liefern können.

Selbst wenn die Union eine absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag hätte und wenn es dann keine Blockademacht der SPD im Bundesrat gäbe, selbst dann könnte Merz nicht liefern. Wir haben seine Vorschläge oben analysiert. Sie sind teils praktisch nicht umsetzbar, teils offensichtlich rechtswidrig. Selbst die AfD alleine könnte Migration nach Deutschland nicht kontrollieren. Dementsprechend riesig wird der Frust derer, die jetzt auf Merz vertrauen. Merz macht den

starken Mann. Merz tut so, als könnte er auf dem Feld der Migration Kontrolle herstellen. Und er wird genau das nicht können. Und er produziert damit mutwillig eine weitere Verschärfung dieser Vertrauenskrise. Und das ist ja nicht zuletzt eine Demokratiekrise. Und das würde ich sagen, das ist das eigentlich Unseriöse an dem Vorschlag von Merz. Er will jetzt im Bundestagswahlkampf gewinnen. Das ist total legitim, das ist eben Politik. Er kämpft für eine Mehrheit.

Das Problem ist bloß, dass er das eben mit ungedeckten Schecks tut.

Philip BansePhilip Banse

Zwei Punkte dazu. Der eine ist, das Einzige, was Merz in die Karten spielen könnte, ist, wenn die europäische Initiative, die europäischen Maßnahmen gegen Zuwanderung weiter Früchte tragen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Stichwort GEAS.

Philip BansePhilip Banse

Frontex soll verdreifacht werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die europäische Grenzschutztruppe.

Philip BansePhilip Banse

Die europäische Grenzschutztruppe, es sollen weitere Kooperationen mit diesen Autokratien, Diktaturen in Nordafrika geschlossen werden usw. Also diese Maßnahmen haben einen hohen Preis, einen hohen menschenrechtlichen Preis. Aber wenn die dazu führen, dass die Zuwanderung nach Europa wirklich zurückgeht, kann Merz politisch argumentieren. Siehste, habe ich doch gesagt, unsere Maßnahmen, auch wenn sie das nicht tun und nicht die Ursache dafür sind, haben Erfolg.

Nummer eins Nummer zwei ist, was Merz natürlich auch macht, mit dem, was er hier fordert, es ist eine total antieuropäische Politik. Er will die Grenzen dicht machen. Wo landen diese Leute? Die landen in europäischen Nachbarstaaten. Die werden damit alleine gelassen. Auch die Nachbarstaaten werden dann irgendwie ihre Grenzen zumachen. Und dieser große, unglaublich wertvolle Bewegungsraum, dieser große Erfolg Schengen wird damit torpediert in einer Zeit, wo wir genau das Gegenteil bräuchten.

In einer Zeit, wo wir nichts mehr brauchen als europäische Solidarität und Zusammenarbeit gegen Trump, gegen China, aber eben auch für eine gerechtere Verteilung der Lasten, die durch Migration zumindest kurzfristig erst mal entstehen. Auch das torpediert Merz mit solchen Vorschlägen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Okay, aber trotzdem führen wir eine innenpolitische Debatte, als sei Zuwanderung das zentrale Problem, als könne man Migration begrenzen mit extremen Kosten. Philip, Du hast es gesagt auf europäischer Ebene, mit extremen Kosten, abtzer auch für die demokratische Kultur. Stichwort Zusammenarbeit mit der AfD. Stichwort Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit der Demokratie.

Das hat Merz alles über Bord geworfen, alles ignoriert, mutmaßlich um im Bundestagswahlkampf zwei, drei Prozentpunkte mehr zu kriegen. Also das überlassen wir euch, das inhaltlich für euch zu bewerten. Was wir besonders tragisch finden an dieser Debatte ist, dass ja zugleich die langfristigen Vorteile von Migration aus dem Blick geraten. Ja, Merz macht ja Stimmung ohne Ende.

Philip BansePhilip Banse

Er hat in seiner Rede gestern im Bundestag im Rahmen dieser Antragsabstimmung zwar darauf hingewiesen: Hier geht es nicht um die Millionen von Menschen, die hier mit Migrationshintergrund leben, hat explizit darauf hingewiesen. Es geht ihm nur um Illegale, wie er das nennt. Migration, nicht um die Leute, die seit Generationen hier leben und hier arbeiten und auch in die Sozialkassen zahlen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Guter Syrer, schlechter Syrer. Das ist die Unterscheidung.

Philip BansePhilip Banse

Ohne diese Leute, die hierher migriert sind, gesagt, er könnte unser Land nicht bestehen. Das Problem ist, das geht halt in dieser Kommunikation unter. Das wirkt so ein bisschen wie dieser Vergrämmersatz im Antrag. Der steht halt drin, um sagen zu können, wir haben uns ja abgegrenzt. Und er sagt hier, ich habe das ja gesagt. Es geht nicht um die Leute mit Migrationshintergrund, die hier leben und das Land schützen, sondern es geht um die illegale Zuwanderung.

Das Problem ist, in der Kommunikation geht das halt total unter.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das erleben ja auch Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Alltag. Dieses ganze ständige Hetzen gegen sogenannte illegale Migration (an den Zahlen sieht man meistens ist sie legal). Dieses ständige Hetzen gegen diese Menschen führt natürlich dazu, dass das Manny und Cindy auf der Straße eben auch Menschen angreifen anpöbeln, die völlig legal in Deutschland leben, mitunter seit Jahrzehnten.

Das ist ja genau die Erfahrung, die Menschen mit, sagen wir mal Phänotyp, als seien sie nicht seit 500 Jahren in Deutschland, dass Menschen, die eben so aussehen, als hätten ihre Vorfahren vielleicht keine Ahnung wo gelebt, dass diese Menschen auf der Straße ständig angepöbelt, angespuckt, mitunter auch geschlagen oder sonst wie misshandelt werden. Und genau in dieses Feuer gießt Friedrich Merz natürlich mit dem ständigen Gerede von illegaler Migration wiederum Öl.

Philip BansePhilip Banse

Und damit geraten so ein bisschen aus dem Blick diese langfristigen Vorteile, die Migration ja nun mal hat. Es gab jetzt gerade den Rentenbericht und da wurde auch noch mal darauf hingewiesen: Na ja, Anfang 2000 wurde prognostiziert, dass die Rentenbeiträge extrem steigen werden. De facto sind sie über die 2010 aber ziemlich stabil geblieben bei plusminus 18 19 %. Warum? Na ja, weil halt wahnsinnig viele junge Migranten und Migrantinnen nach Deutschland gekommen sind.

Ja, die haben nicht sofort gearbeitet und in diese Kasse eingezahlt. Das hat eine Weile gedauert, bis die eine Sprache lernen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und bis wir sie arbeiten lassen.

Philip BansePhilip Banse

Das ist wie eine Infrastrukturinvestition, das dauert. Und der gesellschaftliche Mehrwert zahlt sich nicht an Tag eins oder in Jahr eins aus.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber wenn wir die Menschen mal rechtzeitig arbeiten ließen. Ich meine, mal ganz ehrlich, wo fehlen denn Leute? Auch in der Gastronomie, zum Beispiel auch im öffentlichen Personennahverkehr. Und so lange dauert es dann auch wieder nicht, bis du Busfahren kannst. Also finde ich auch ganz spannend. Ich war vor ein paar Tagen bei der Gewerkschaft der Polizei zu Gast. Die hatten eine spannende Veranstaltung aus Anlass des Holocaust Gedenktag in Mainz.

"Nie wieder" war so ein bisschen das Stichwort und ich hatte da so eine Paneldiskussion. Und vor mir dran war Professor Dr. Stefan Sell. Der beschäftigt sich mit Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik und so einen ausgesprochen spannenden Vortrag gehalten, und zwar zur Bedeutung der Migration nach Deutschland, für den Arbeitsmarkt und für die Rentenkassen.

Er hat gesagt und natürlich mit Daten unterlegt: Die Geburten in Deutschland haben sich zwischen 1964 und 1994 fast halbiert und seitdem sind sie auf diesem Niveau geblieben. Mit anderen Worten es werden halt quasi von Biodeutschen immer weniger Kinder geboren. Und das hat natürlich Folgen für den Arbeitsmarkt. Beispiel aus Rheinland Pfalz. Die Zahl der Deutschen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, blieb von 2000 bis 2023 praktisch gleich. Das heißt also...

Philip BansePhilip Banse

Ich hab hier so eine Grafik, wenn ihr in eurem Kapitel Bilder reinkommt, haben so eine Grafik eingeblendet. Ich weiß nicht, ob man die im Detail lesen kann, aber ihr werdet zwei Linien sehen. Die eine ist mehr oder weniger waagerecht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ist die blaue.

Philip BansePhilip Banse

Das ist die quasi die Anzahl der Deutschen, die arbeiten sozialversicherungspflichtig. Und dann gibt es eine rote Linie, die doch recht steil nach oben zeigt und das ist die Anzahl der, wie es heißt hier Ausländer, die sozialversicherungspflichtig angestellt sind.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also die Zahl der Menschen ohne deutschen Pass, die in die Sozialkassen einzahlen, hat sich in dieser Zeit von 2000 bis 2023 verdreifacht, verdreifacht und bei den Deutschen ist die Zahl gleich geblieben. Und bei den Deutschen sind natürlich auch viele dabei, die ein sogenannte Migrationshintergrund haben, aber inzwischen einen deutschen Pass. Also wären da nur Biodeutsche, also seit fünf Generationen deutscher Pass, dann wäre die Zahl der Deutschen sogar noch gesunken.

Mit anderen Worten: Schon heute könnten wir die heute fälligen Renten niemals bezahlen, wenn nicht so viele Menschen mit Migrationshintergrund, ob mit oder ohne deutschen Pass, in die Rentenkassen einzahlen.

Philip BansePhilip Banse

Zumindest wäre der Beitrag deutlich höher.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder wir müssten viel mehr Geld in die Rentenkassen aus dem Steuertopf subventionieren und so. Also dass das System uns nicht längst um die Ohren geflogen ist, verdanken wir maßgeblich auch der Migration.

Philip BansePhilip Banse

Wir müssen noch mal auf den Fall Gelbhaar schauen. Stefan Gelbhaar, Bundestagsabgeordneter, noch, der jetzt nicht mehr im Bundestag sitzen wird, der seinen Job losgeworden ist, weil es Vorwürfe gegen ihn gab wegen sexuellen Übergriffen. Aber die schwerwiegenden und maßgeblichen Vorwürfe haben sich erledigt und als falsch erwiesen. Darüber haben wir letzte Woche ausführlich geredet. Da gab es viel Feedback.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, da gab es einfach viele, die sagten Ja, okay, na klar, die Unschuldsvermutung ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, der ist auch eigentlich wichtig. Aber diese Unschuldsvermutung könne doch nicht bei diesem Thema gelten und schon mal gar nicht bei Ombudsstellen. Und da haben wir auch mal bei uns im Team diskutiert. Unser Team besteht ja fast ausschließlich aus Frauen, Interessanterweise insofern gerade auch jüngeren Frauen. Und da haben wir einfach eine spannende Perspektive mal eingeholt.

Philip BansePhilip Banse

Genau. Und zwar hat sich die neue Leiterin unseres Social Media Teams gemeldet Ciara Cesaro-Tadic.

Ciara Cesaro-Tadic

Ich habe danach lange über eure Aussagen nachgedacht, mit Kolleginnen von der Lage gesprochen und im Forum gelesen. Und ich muss sagen, für mich als junge Frau sind da ein paar Aspekte zu kurz gekommen. Ihr habt im Podcast mehrmals gesagt, dass sich Missverständnisse durch ein nettes Gespräch aufklären lassen können. Aber sexuelle Übergriffe und Gewalt sind in der Regel eben keine Missverständnisse.

Sie geschehen meist im Rahmen von patriarchalen Machtstrukturen, in dem Täter die eigenen Machtposition ausnutzen. Und damit hängt eben zusammen, dass unsere Gesellschaft schon seit tausenden Jahren von männlich dominierten Strukturen geprägt ist. Das führt auch dazu, dass Opfer im Bereich sexualisierte Gewalt immer noch häufig nicht ernst genommen werden und meistens schweigen. Deshalb gibt es auch eine so hohe Dunkelziffer.

Vor dem Hintergrund ist es umso wichtiger, den Betroffenen erst mal grundsätzlich zu glauben. Denn Zweifel und Misstrauen führen dazu, dass noch weniger Menschen den Mut finden, Hilfe zu suchen und solche Vorfälle zu melden. Zu kurz kommt mir auch, dass es weiterhin Vorwürfe gegen Gelbhaar gibt. Und zuletzt will ich noch mal darauf hinweisen, wie selten es vorkommt, dass Frauen gezielt falsche Anschuldigungen erheben, um Männern zu schaden. Auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird.

Denn mal ehrlich: Welche Frau will sich die ganze Debatte dann schon antun, wenn ihr nichts passiert ist? I guess nicht viele.

Philip BansePhilip Banse

Okay, also so weit glaube ich dieses Feedback. Das fasst Chiara so ich denke mal so die Kernkritik zusammen, die so im Forum aufgelaufen ist. Gehen wir jetzt mal ein bisschen darauf ein. Ich hab mich natürlich auch gefreut, dass sich auch im Team die Leute gemeldet haben. Wir haben ja fast nur Frauen im Team und das finde ich auch sehr wertvoll, diese Perspektive so reinzuholen. Das ist so das Ding, wo ich sagen würde, das hätten wir besser machen

können. Ich denke, wir hatten diese Perspektive, diese weibliche Perspektive natürlich drin. Aber nun sind wir zwei Männer und wir hätten schon diese, diese weibliche Perspektive, die hätten wir schon mal als Stimme reinholen können, so wie wir es mit Ciara jetzt gemacht haben.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also als Stimme, das ist der Punkt. Wir hatten natürlich im Vorfeld mit X Frauen gesprochen. Das ist ja ein sehr selbstverständlicher Teil der Recherche. Aber wir hätten das explizit als Stimme machen können. Wir hatten da auch überlegt, wen man da mal so anfragen kann, aber das dann so ist.

Philip BansePhilip Banse

Also würde ich auch sagen, das hätten wir besser machen können. So, aber fangen wir mal inhaltlich an, also was Ciara sagt, Falschbeschuldigungen seien die Ausnahme.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, das mag natürlich sein, dass das selten ist, ehrlich gesagt, niemand weiß das so richtig, wie oft das eigentlich vorkommt. Also ich muss gestehen, ich kenne allein aus dem privaten Umfeld eine ganze Reihe von falschen Verdächtigungen. Ich habe auch als Journalist schon verschiedene Gerüchte dieser Art gehört über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Ich denke aber, vor allem ist diese Quote, wie oft kommt das vor, ist nicht der entscheidende Punkt.

Ich persönlich würde denken, natürlich ist es ein großer Fortschritt, dass Machtmissbrauch jetzt häufiger aufgedeckt wird. Ich glaube, es hat vor allem auch was damit zu tun, dass jetzt einfach mal gesellschaftlich klar ist, dass das nicht geht, dass man also de facto Frauen irgendwie mit Ausnutzung einer einer Machtposition zum Sex zwingt. Die Frage ist nur, was ist der Preis dafür, dass Machtmissbrauch jetzt häufiger aufgedeckt wird?

Und ich denke, der Fall Gelbhaar zeigt, dass es eben doch vorkommt, dass falsche Beschuldigungen erhoben werden. Und hier war es ja sogar offenbar so nach den weiteren Recherchen, dass gleich mehrere Frauen, und zwar offenbar wohl aus politischen Motiven, eine ganze Kampagne auf die Beine gestellt haben. Es ist ein ziemlicher Abgrund, kommt jetzt auch nicht dauernd vor, aber es zeigt einfach, welches Risiko es da gibt.

Und da denke ich, glauben wir Philip, ich weiß, wie du das siehst, unsere Gesellschaft braucht einfach schon auch bei nicht staatlichen Stellen so eine Art Spamfilter, damit solche Vorwürfe dann rechtzeitig auffallen.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Sehe ich genauso. Ich würde sagen, diese metoo Bewegung, die ja letztlich dafür steht, dass Frauen sich melden, dass Strukturen auch dafür geschaffen werden, niederschwellige Strukturen geschaffen werden, damit Frauen sich mehr trauen und die Infrastruktur haben, um solche Übergriffe zu melden und auch zu sanktionieren.

Das ist unterm Strich ein riesiger Gewinn, hat schon viele Fälle aufgedeckt, die wahrscheinlich vorher nicht aufgedeckt worden wären, die auch gerichtlich geahndet wurden, wo Leute eingesperrt wurden. Das ist ein riesen Gewinn unterm Strich. Und trotzdem gibt es, wie wir hier bei Gelbhaar sehen, Missbrauch. Und unser Anliegen war wie können wir diesen Missbrauch denn es gibt der die Ausnahme. Und der wahrscheinlich.

Natürlich weiß man nicht genau, aber seltener passiert, als dass es positive Ergebnisse gibt. Aber trotzdem finde ich es eine legitime Frage danach zu gucken, wie können wir diesen Missbrauch begrenzen und was können wir einziehen, damit das noch seltener vorkommt?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Es geht um so ein Optimierungsprozess. Es geht eben nicht darum, Ombudsstellen zum Beispiel wieder abzuwickeln. Christine allerdings gibt uns mit den Worten wieder:

Philip BansePhilip Banse

"Ombudstellen, Wer braucht die schon? Der Staat hat das schon alles im Griff." So paraphrasiert sie unsere Aussage. Und da würde ich sagen das haben wir weder gesagt noch gemeint, noch zwischen den Zeilen angedeutet. Wir haben ganz klar gesagt und auch Stefan Gelbhaar hat das ja sogar formuliert: Ombudstellen sind eine gute und sinnvolle Einrichtung, die sollten nicht abgeschafft werden, haben wir mehrmals darauf hingewiesen, hat Gelbhaar darauf hingewiesen.

Unser Punkt war Ombudstellen können auch erstmal anonym und niederschwellige Beschwerden aufnehmen. So eine Art Kummerkasten. Und wenn der Vorwurf sich dann mit einem klärenden Gespräch erledigen lässt, umso besser. Auch wenn das vielleicht nicht die Regel ist. Aber ich finde es problematisch, das, was Chiara ja auch angedeutet hat, diese Prämisse. Wir müssen den Menschen Frauen in aller Regel erst mal glauben. In diesen Ombudsstellen und an dem Begriff störe ich mich.

Wofür ich eher plädieren würde und wo ich auch den Mehrwert im Vergleich zu einer Polizeidienststelle sehen würde, ist, wenn diese Ombudstellen eine Atmosphäre schaffen, wo Frauen sich sicher hinwenden können, wo sie das Gefühl haben, hier gibt es Empathie für meine Lage, hier gibt es Empathie für diese strukturellen Probleme, die wir haben. Stichwort Patriarchat. Hier wird empathisch mir zugehört und hier gibt es eine kooperative und konstruktive, einfühlsame Art, der Wahrheit näher zu kommen.

Das, finde ich, wäre der Mehrwert solcher Ombudstellen. Aber es kann nicht sein, dass man sagt Du kommst, wir glauben dir.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und natürlich, das hat Ciara ja auch zu Recht angedeutet, kann man nicht alles in einem Gespräch klären. Aber da würde ich schon an unserer Position festhalten, wenn diese Berichte, Vorwürfe, Schilderung irgendwelche Konsequenzen haben sollen, die eben über so ein empathisches Eingangsgespräch hinausgehen, dann können sie nicht mehr einseitig eine Beschuldigung als wahr unterstellen. Denn dann muss man, dann muss man auf der nächsten Stufe schon ein bisschen genauer hinschauen.

Ein weiterer Punkt, der wichtig ist: Wir leben doch in einer patriarchalen Gesellschaft. Viele Fälle von Übergriffen werden von der Strafjustiz nicht geahndet. Von Betroffenen werde von der Polizei oft nicht geglaubt. Ja, ganz genau. Deswegen haben wir ja gesagt, Das sagt auch selber Ombudsstellen sind wichtig. Ombudsstelle sollen Vorwürfe ernstnehmen, empathisch prüfen, so wie das ja zum Beispiel auch Journalist:innen idealerweise

machen. Aber auch Ombudsstellen müssen ab einem bestimmten Zeitpunkt klären, was an einem Vorwurf überhaupt dran ist. Und dafür hatten wir als ein pragmatisches Mittel so eine eidesstattliche Versicherung vorgeschlagen.

Philip BansePhilip Banse

Und wo ich sage ja, die Unschuldsvermutung schützt manchmal auch Täter.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das stimmt.

Philip BansePhilip Banse

Das ist so. Also auch Täter klar werden, manchmal durch die Unschuldsvermutung geschützt, aber das ist eben eine kulturelle Errungenschaft. Lieber Schuldige davonkommen lassen als Unschuldige bestrafen. Das ist eine kulturelle Errungenschaft.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und ein rechtsstaatlicher Grundsatz, auch verfassungsrechtlich abgesichert. Das machen wir sogar bei Mord und Totschlag so. Wir lassen sogar einen mutmaßlichen, vielleicht sogar wahrscheinlichen Mörder frei rumlaufen, wenn wir es ihm nicht hundertProzentig nachweisen können. Und da muss ich schon sagen Warum sollte man von diesem rechtsstaatlichen Grundsatz ausgerechnet bei diesem Deliktsfeld sexueller Übergriffe abweichen? Also, das muss ich sagen, das überzeugt mich nicht.

Wie gesagt, empathisches Eingangsgespräch, Zuhören, Verständnis, alles schön und gut, niedrigschwellig, alles wunderbar. Aber wenn man irgendwann an den Punkt kommt, sagt: Das ist jetzt nicht mehr im Gespräch zu tun. Das ist auch nicht mit dem Gespräch mit der beschuldigten Person zu haben, dann irgendwann muss man sich schon die Frage stellen: Da braucht man mehr.

Philip BansePhilip Banse

Ja, ich finde es ein bisschen analog, dieses Vorgehen der Journalistin, die wir letztes Mal auch zitiert haben vom Spiegel, die natürlich auch sehr einfühlsam und sehr zeitaufwändig mit diesen Frauen redet, die zu ihr kommen und natürlich empathisch mit der Situation vertraut, versucht der Wahrheit näher zu kommen. Aber nach einer bestimmten Zeit kommt einfach der Punkt, wo man sagt okay, wir haben das jetzt erörtert.

Wir gehen auch so mit einer hohen Wahrscheinlichkeit daran, dass du recht haben könntest. Aber unterm Strich brauchen wir irgendwann eine eidesstattliche Versicherung, wann genau dieser Punkt da ist. Das mag von Fall zu Fall ändern.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber auf jeden Fall, bevor das irgendwelche Folgen hat für die Beschuldigte. Ein klärendes Gespräch, da braucht man das vielleicht noch nicht, denn oft genug sind es ja auf dieser, auf dieser Relevanzebene dann vielleicht doch nur Missverständnisse. Weiter hat mich persönlich an dem Feedback dieses Framing gestört Mann gegen Frau.

Und da merkt man ganz deutlich, da sind dann Menschen emotionalisiert und dieses Framing verliert aus dem Blick Zunächst mal, dass natürlich auch Männer Opfer werden können. Das ist viel seltener, als dass Frauen Opfer werden. Aber da auch das passiert Männer werden Opfer von Männern. Ich kenne aber aus dem privaten Umfeld auch den Fall, mag ja verstörend für viele sein, dass eine Frau einen Mann zum Sex gezwungen hat. Ich will die Details jetzt nicht ausführen, aber auch das gibt es.

Ja, mag selten sein, aber diese Fixierung auf diese Perspektive Mann gegen Frau, die macht diese Diskussion nicht gut. Es macht Menschen nämlich automatisch parteiisch. Und das ist nie eine gute Basis, um Regeln aufzustellen. Darauf hat mich eine Freundin von mir hingewiesen. Die hat mich nämlich gestoßen auf den Rechtsphilosophen John Rawls. Ich kannte das, aber ich hatte das bislang nicht in diesem Kontext bedacht.

Die Überlegung von John Rawls sind nämlich unter diesem Stichwort Schleier des Nichtwissens bekannt geworden. John Rawls hat sich Menschen in einer fiktiven Entscheidungssituation vorgestellt. In dieser Situation können die Menschen völlig frei darüber nachdenken, wie sie eine künftige Gesellschaftsordnung aufbauen wollen. Und insbesondere welche Regeln sollen in dieser Gesellschaft

gelten? Und der Witz dabei ist, die Menschen wissen nicht bei der Überlegung, welche Regeln aufgestellt werden, in welcher Rolle sie später in dieser Gesellschaft leben werden. Sie befinden sich also, daher kommt der Name, unter einem Schleier des Nichtwissens, bezogen auf ihre Rolle in der Gesellschaft.

Philip BansePhilip Banse

Auf Deutsch heißt das: Stell dir vor, du weißt nicht, in welcher Lebenssituation du geboren wurdest, überlegte, ob die Rechtslage für dich in jeder denkbaren Lebenslage passt. Männer müssen überlegen, ob die Regeln okay sind, wenn sie Opfer eines Übergriffs werden. Aber auch Frauen müssen sich demnach überlegen, ob sie jemals in die Situation von Gelbhaar geraten möchten. Und da würde ich denken, da es halt in dieser Konstellation ist, das ist selten, nicht das Entkräften der Argumente.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ganz im Gegenteil. Es geht darum, ob die Regeln für alle fair sind. Und das ist, glaube ich, ein sehr guter Test, um sich zu überlegen, wir wollen ja nicht nochmal einsteigen. Wir haben ein paar Gesichtspunkte oben genannt, aber ein guter Test, Um zu prüfen, ob die Regeln für so eine Ombudsstelle zum Beispiel fair sind, ist: Funktioniert das für alle Beteiligten?

Möchten sich die Frauen zum Beispiel, die eine Beschuldigung erheben möchten, die in der Position eines Beschuldigten sein, der die Vorwürfe nicht zur Kenntnis erlangt, der nur heißt es Wir haben da irgendwas von dir gehört, wer da was gesagt hat, Sagen wir nicht, wann das gewesen sein soll. Möchte man in die Situation geraten, wie Stefan Gelbhaar uns das letzte Woche geschildert hat, mit Vorwürfen konfrontiert zu werden, die so allgemein sind, dass man sich dagegen in keiner Weise

verteidigen kann? Ich glaube, das würden die wenigsten Menschen für gut halten. Ich habe das letzte Woche als mittelalterlich bezeichnet, denn genau das ist es. Das ist halt keine Lösung, ein System zu schaffen, aus dem man nicht mehr, nicht mehr heil rauskommt.

Philip BansePhilip Banse

Also ich finde das aus einer Meta Perspektive betrachtet haben wir das hier mit einer sozialen Bewegung zu tun, die enorme Errungenschaften zu verzeichnen hat. Also wenn man sich metoo anguckt, diese Errungenschaft, dass Menschen Übergriffe, sexuelle Übergriffe niederschwellig melden können, dass das Konsequenzen hat, dass es Strukturen gibt, wo das möglich ist, die es vorher nicht gab, das ist eine große

Errungenschaft. Ich glaube aber, dass eben soziale Bewegungen, eine kinetische, sag ich mal, Energie aufbringen müssen, um Veränderungen zu bewirken. MeToo. Es ist aber bei vielen sozialen Bewegungen so und ich glaube, auch hier ist das so, dass diese Energie, ich würde sagen fast zwangsläufig dazu führt, dass man an bestimmten Stellen über das Ziel hinausschießt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das Pendel schlägt von der einen Seite ein bisschen weit auf die andere Seite.

Philip BansePhilip Banse

Das muss eigentlich so sein, weil du halt eine gewisse Menge an Energie brauchst, um sinnvolle Veränderungen und wünschenswerte Modernisierung herbeizuführen. Und das ist auch, glaube ich, hier so zu 90 % irgendeine Zahl. Unterm Strich ein großer Erfolg, eine riesige Errungenschaft. Und trotzdem gibt es ein paar Nebenwirkungen und um die kümmern wir uns.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das war übrigens unser Punkt. Um das noch mal deutlich zu machen: Niemand will hier Ombudsstellen abschaffen, sondern unser Plädoyer ging in die Richtung Ein faires Verfahren, vor allem ein definiertes Verfahren. Ich bin wirklich vom Glauben abgefallen, als sie gehört hat, dass es offenbar ein schriftliches Verfahren nicht gab bisher bei diesen grünen Ombudsstellen, also ein faires Verfahren. Und zwar ein Verfahren, das für alle Beteiligten funktioniert.

Ja, das kann am Anfang total empathischen niedrigschwellig sein. Aber irgendwann, bevor es Konsequenzen gibt, muss man, glaube ich, ein bisschen genauer hinschauen.

Philip BansePhilip Banse

Eine Sache noch ein bisschen technisch, juristisch zu dieser eidesstattlichen Versicherung beim Notar. Da haben uns Notare und Richter und Richterinnen auch geschrieben und noch eine kleine Korrektur angebracht, die wir euch nicht verschweigen wollten. Die haben zwei Punkte angebracht. A) Wir Notare sind nicht für jede eidesstattliche Versicherung zuständig. Punkt Eins. Und dann ist auch eine falsche eidesstattliche Versicherung nicht immer und in jedem Fall

strafbar. Das sind die beiden Punkte, die angebracht sind.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Punkt 1: Zuständigkeit der Notare. Ja, das ist formal korrekt. Das hatte uns damals auch unser Notar, mit dem wir gesprochen haben so gesagt. Aber dieser Punkt ist so leicht zu umschiffen, dass wir das in der Sendung nicht ausdrücklich erwähnt hatten, um es nicht komplizierter zu machen, als es ohnehin ist. Denn wenn man den Notar sagt: Ich brauche das vor Gericht zur Glaubhaftmachung in einem presserechtlichen Verfahren, dann ist der Notar zuständig.

Und was man dann mit dieser eidesstattlichen Versicherung macht, das ist natürlich jedem selbst überlassen. Ob man die dann wirklich bei Gericht einreicht oder zunächst mal bei einer Ombudsstelle, das ist letztlich Privatvergnügen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, und dann der zweite Punkt: Auch nicht jede eidesstattliche Versicherung von einem Notar ist in jedem Fall strafbewehrt, wenn sie falsch ist. Auch das ist richtig. Da hat uns ein Amtsgerichtsdirektor hingewiesen auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aus dem Jahre 1986.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, da ist tatsächlich jemand freigesprochen worden. Also ich halte diese Argumentation rechtlich für ausgesprochen fragwürdig. Da wird dann differenziert nach der Zuständigkeit der Notare. Ja, nein, vielleicht. Und hier ging es irgendwie um eidestaaltiche Versicherung in einem Asylverfahren, wo der Notar wohl doch nicht zuständig war. Ich würde mal sagen, es ist natürlich kann es da im Einzelfall auch Freisprüche geben. Trotzdem denke ich, bleibt es im Kern bei dem, was wir gesagt

hatten. Wenn man sicherstellen will, dass eine Aussage stimmt, dann ist eine eidesstattliche Versicherung vor dem Notar der beste Weg. Ja, auch nicht hundertProzentig wasserdicht, aber immer noch viel besser als eine selbstverfasste, weil immer die Identität geklärt ist. Und in den allermeisten Fällen ist es auch strafbar, wenn sie falsch ist. Zu spätestens dann, wenn man sie tatsächlich vor Gericht einreicht.

Und ich denke, wenn man sich die Situation mal vorstellt, der Unterschied ist doch eindeutig. Ich sitze auf dem Sofa, tippe auf meinem Laptop eine eidesstattliche Versicherung oder ich setze mich ins Auto oder in die U Bahn Fahrt zum Notar und ein strenger Mann guckt mich an und sagt: Wollen Sie das wirklich so behaupten?

Da merkt man schon Allein diese Situation der Abgabe vor dem Notar birgt eine ganz andere Gewähr für die Richtigkeit, weil schon eine ganze Menge an Dreistigkeit dazugehört, der Notarin stumpf ins Gesicht zu lügen. Das bringen glaube ich, die wenigsten Menschen. Deswegen denke ich, dass unsere Schilderung jedenfalls im psychologischen Ergebnis und auch rechtlich in den meisten Fällen schon zutrifft.

Philip BansePhilip Banse

Nächstes Thema: KI ist ja das Technikthema, muss man eigentlich sagen schlechthin, weil es einfach seit langem so die technische Errungenschaft, Revolution ist, die so am meisten Mehrwert im Alltag bringt. Nicht zuletzt jetzt haben wir auch gesehen, neues Update von Apple.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ich finde es so spannend. In der IT, quasi bei Expertinnen ist das schon seit längerem das Thema schlechthin. Aber so langsam kommt die KI halt auch bei uns im Alltag an. Also Apple hat jetzt gerade iOS 1803 veröffentlicht, wo jetzt erstmals auch für die breite Masse der Apple nutzenden KI Systeme ausgerollt werden. Ja, das ist noch nicht so richtig perfekt, aber immerhin schaut Apple mal was geht und es kommt eben damit im Alltag der Menschen so richtig

spürbar an. Da werden dann irgendwie von der KI Emails zusammengefasst und man bekommt da in zwei drei Sätzen gesagt, was steht in einer ellenlangen Email.

Philip BansePhilip Banse

Viele haben natürlich auch schon so Sachen wie ChatGPT und so was ausprobiert und jeder, der das mal gemacht hat, hat glaube ich ein Gefühl dafür bekommen: Alter, das ist was Neues. Hier verändert sich wirklich etwas und dementsprechend viel Geld ist zum Beispiel auch in Firmen geflossen, in Aktien geflossen. Investoren haben auf Firmen gewettet und gesetzt, die in diesem Bereich unterwegs

sind. Nicht zuletzt und vor allen Dingen zum Beispiel Nvidia, Hersteller von sehr potenten Rechenchips, Computerchips, die halt sehr viel eingesetzt werden beim Training von KI Modellen. Und wie gesagt, Nvidia ist einer der wichtigsten Hersteller da, hat eine enorme Wertsteigerung vollzogen bis zu dieser Woche.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Genau. Da ist nämlich der Kurs von Nvidia massiv eingebrochen. Und zwar soll das der größte Tagesverlust sein im US Hightech Index Nasdaq, in der Geschichte dieses Indexes überhaupt. Und da können Sie schon die Frage stellen Was ist denn da los? Sind die Chips mit einmal nicht mehr so gut? Nein, das chinesische KI Unternehmen DeepSeek hat nur den Aufwand um Größenordnungen reduziert, den man betreiben muss, um KI Modelle zu

trainieren. Und damit könnte potenziell, das ist die Sorge der Börse, die Nachfrage nach den Chips von Nvidia drastisch sinken.

Philip BansePhilip Banse

DeepSeek hat diese Woche für sehr viel Aufsehen gesorgt, unter anderem, weil die App eben auch im AppStore bei Apple Nummer eins meist heruntergeladene App. Viele haben das ausprobiert und eben festgestellt: Alter, das ist ja mehr oder weniger genau so gut wie ChatGPT, hat aber und das ist das besondere nur ein Bruchteil der Kohle gekostet, wie ChatGPT von OpenAI.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und um das zu verstehen, was da eigentlich dahinter steckt, müssen wir kurz schauen, was gerade so die aktuellen Entwicklungen bei künstlicher Intelligenz sind. Also bisher klassisch war quasi die Idee, um künstliche Intelligenz zu verbessern, muss man die Modelle immer mehr trainieren. Und trainieren bedeutet, man muss diese Computersysteme quasi füttern mit immer mehr Daten aus dem realen Leben, damit sie aus diesen Daten dann ihre Modelle entwickeln können.

Das Problem dabei ist, dass die Qualität der Modelle nicht etwa proportional steigt mit der Menge der Daten, die man diesem Modell verfüttert, sondern ganz stark degressiv. Das heißt also, man muss diese Trainingsdaten nicht nur verdoppeln irgendwann, um das Modell doppelt so gut zu machen, sondern vervierfachen oder noch viel mehr. Je besser das Modell schon ist, desto mehr Daten braucht man, und zwar überproportional mehr Daten braucht man, um noch Fortschritte zu

erreichen. Und da kam einfach die KI Technologie an gewisse Grenzen und hat vor allem enorm viel Energie verbraucht.

Philip BansePhilip Banse

Weil man eben nicht nur Daten braucht, sondern eben auch Rechenpower, um diese Daten zu verarbeiten, um die Systeme zu trainieren. Und für die Rechenpower gilt genau dasselbe wie für die Daten. 10 % mehr Rechenpower ist eben nicht 10 % besseres Ergebnis, sondern für 10 % besseres Ergebnis brauchst du unter Umständen ein Vielfaches der vorherigen Rechenpower. Das war so die Annahme, wie KI funktioniert, wie es Fortschritte in der KI gibt. Deswegen war KI extrem teuer.

Deswegen haben Unternehmen überlegt, ob sie Atomkraftwerke bauen, um ihre Rechenzentren mit Strom zu versorgen, weil so viel Energie benötigt wurde, um diese Modelle zu trainieren, um diese ganzen Chips zu betreiben. Und deswegen galt es als extrem teuer und aufwendig, moderne gute HochleistungsKI zu betreiben und zu entwickeln.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und dann gab es eine technische Innovation, die da sagen wir mal, schon die ersten Fragezeichen angebracht hat. Und das ist das sogenannte Reasoning. Also die Idee dabei ist, dass man eine KI nicht nur durch besseres Training verbessern kann, sondern auch dadurch, dass man quasi nach diese erste Antwortphase - also man wirft eine Frage in die KI, sie spuckt eine Antwort aus - dass man hinter dieser erste Antwortphase quasi so noch mal so eine Phase der Selbstreflexion steckt.

Also mit anderen Worten die KI spuckt erst mal verschiedene Sachen intern, ohne sie dem Kunden anzuzeigen. Die KI spuckt intern eine ganze Reihe von Ergebnissen aus und evaluiert die dann noch mal intern.

Und erst nach diesem zweiten Prozess, diesem sogenannten Reasoning, was ja auf Deutsch bedeutet, noch mal drüber nachdenken, nach diesem nochmal drüber Nachdenken Prozess erst kommen die Ergebnisse beim Kunden an und das bedeutet, man braucht deutlich weniger Training und kann einfach durch schlaues Reasoning die Ergebnisqualität steigern.

Philip BansePhilip Banse

Einige Forscher haben von so inneren Monologen gesprochen, also dass die KI mit sich so ein bisschen selber redet. Das dauert natürlich länger, das kostet auch mehr Energie, um eine Antwort zu generieren. Und diese Antwort ist auch bei vielen banalen Fragen im Alltag nicht unbedingt spürbar besser, aber bei komplexen Problemen, naturwissenschaftlich mathematischen Problemen können diese Reasoning Antworten schon deutlich besser sein. Das heißt, es wurde mehr Energie in dieses Reasoning

gesteckt. Aber die Fortschritte, die man mit dieser Energie gemacht hat, waren proportional größer, als wenn man einfach dieselbe Energie nur in besseres Training und mehr Chips gesteckt hat. Also das war so der erste Schritt, um mit der gleichen Energie bessere Fortschritte zu bekommen. Das hatten auch die kommerziellen Modelle schon, also von OpenAI, die neuesten Modelle haben auch das schon implementiert.

Jetzt kommt aber DeepSeek um die Ecke und stellt ein Modell vor, was mehr oder weniger nach allem was wir wissen, gleichwertig ist eigentlich, was so was den Output angeht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das hat quasi so ein bisschen anderen Akzent. Also ich habe ich habe mal ChatGPT und DeepSeek dieselben Fragen vorgeworfen, vor allem so aus dem Techbereich. Ich stelle immer so Testfragen, wenn ich jetzt iOS programmiere, also wenn ich dabei bin, eine iPhone App zu schreiben, ich will das und das machen, wie gehe ich denn das an? Und da zum Beispiel finde ich, kann man sehen, dass die Antworten von DeepSec jedenfalls für dieses Themengebiet genauso gut sind wie die von ChatGPT.

Sie sind nur sagen wir mal so ein bisschen ausführlicher, pädagogischer. Also die haben quasi einen etwas anderen Stil, aber man kann, also jedenfalls bei meinen paar Tests kann man nicht sagen, dass es da irgendwie einen Qualitätsunterschied gibt.

Philip BansePhilip Banse

Okay, aber und das ist das interessante: DeepSeek hat viel weniger, ich glaube, so kann man sagen, viel weniger Geld gekostet in der Entwicklung, im Training und im Betrieb als die kommerziellen Modelle von Open AI und anderen. Also Google, Facebook machen ja alle irgendwie ihre eigenen KI Modelle.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Sogar X hat ja ein eigenes Modell.

Philip BansePhilip Banse

Es gibt viele kommerzielle Modelle, die das machen. Der Aufwand, den DeepSeek für nach dem, was wir heute wissen, dasselbe Ergebnis, dieselbe Qualität mehr oder weniger betreiben muss, ist deutlich, manche sagen um Größenordnungen geringer, auch wenn man das jetzt nicht auf Euro und Cent oder Dollar und Cent genau beziffern kann, ein bisschen umstritten. Aber klar ist, die haben viel weniger Aufwand treiben müssen, um dieselbe Qualität

zu erreichen. Und das versetzt natürlich die Börsen in Aufruhr, weil natürlich da viele Fragen entstehen. Ja, sind die ganzen Investments, die diese großen westlichen Techkonzerne gemacht haben, vielleicht für den Eimer? Sind die in die falsche Richtung gelaufen? Kommt da jetzt aus China eine viel billige Konkurrenz, die dasselbe macht? Mit viel weniger Aufwand verbrennen wir hier Investitionen? Ist so eine Frage, die ich glaube

ich noch nicht beantwortet ist. Andere sagen: Na ja, ist doch super. Jetzt haben wir hier eine Technik, die mit viel weniger Geld ähnliche Ergebnisse produzieren wird. Das heißt, wenn man viel mehr Geld zur Verfügung hat wie diese westlichen Techkonzerne, dann kann man mit dieser Technik eben auch viel bessere KI produzieren. Noch dazu kommt ja, dass das Modell, was die Chinesen veröffentlicht haben, Open Source ist.

Das heißt, es steht also einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung, mit diesem Modell zu arbeiten. Und ich glaube, für viele war es dann auch nicht so irre überraschend, dass dieses Modell gekommen ist, dass es aus China gekommen ist. Für viele überraschend war, dass es so schnell gekommen ist und dass die die Effizienz dann doch so groß ist. Aber es ist so viel, glaube ich kann man sagen enorm Bewegung in diesen KI Markt gekommen.

Und es muss jetzt mal abgewartet werden in welche Richtung das geht. Werden die Anwendungen besser? Also werden KI Modelle zu so was wie so einer Commodity was irgendwie jeder hat und jeder betreiben kann. Und das was den großen Mehrwert schafft und den großen Gewinn verspricht, sind eben die konkreten Anwendungen. Also so was wie Apple zum Beispiel macht. Ist das der Mehrwert, der am Ende bezahlt wird? Wir müssen abwarten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ich finde auf jeden Fall auch sehr spannend, dass das jetzt eben Open Source ist. Denn was bedeutet Open Source? Das bedeutet, dass der Quelltext dieses DeepSeek Modells grundsätzlich mal im Internet zum Runterladen bereitsteht. Das heißt also, Programmiererinnen können sich den jetzt runterladen, können den Code weiterentwickeln, können den in eigene Anwendungen einbauen.

Ich finde im Grundsatz das deswegen spannend, weil es auch so ein bisschen diese Macht der Techkonzerne wieder relativiert. Wenn jetzt also tatsächlich DeepSeek sagt hier liebe Weltgemeinde der Programmierenden, wenn ihr Lust habt, schnappt euch den Code, verbessert den weiter, dann führt das ein Stück weit auch wiederum dazu, die KI Anwendung zu demokratisieren, denn dann ist man eben nicht mehr zwingend angewiesen auf Microsoft und andere Konzerne.

Philip BansePhilip Banse

Und es gab auch schon vorher Open Source Modelle, die waren aber nicht annähernd so leistungsfähig.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ist schon ein Quantensprung.

Philip BansePhilip Banse

Das ist schon ein Quantensprung nach dem, was man so sieht. Und kleines Learning auch: Diese Entwicklung, die wir diese Woche gesehen haben, ist auch der Grund, warum es eben sehr riskant ist, sein Erspartes in Einzelaktien wie Nvidia zu stecken. Das war natürlich mega attraktiv. Man hat irgendwie nur diese unglaublich steile Kursentwicklung von Nvidia gesehen, wo Leute ihr Geld verdrei, vervierfacht haben innerhalb eines Jahres.

Meinetwegen, hab die Zahlen nicht nochmal nachgeguckt, aber es war schon irgendwie wirklich erstaunlich. Und dann haben Leute gesagt, auch die, die es damit nicht so ganz intim beschäftigt haben. Ah, da will ich mitmachen. Und das Risiko ist eben genau das. Es passiert irgendwas, was du als Laie schwer vorhersehen kannst und der Kurs fällt einfach um 20 %.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Da bin ich schon ehrlich gesagt sehr froh, dass ich meine Nvidia Calls rechtzeitig verkauft habe. Nein, also deswegen sagen wir in der Lage immer: Wenn ihr euer Geld an der Börse anlegen wollt, sind ETFs das Mittel der Wahl, einfach weil da ein breiter Index abgebildet wird und das das Risiko, dass ihr dann von den Schwankungen einzelner Werte hart getroffen werdet, ist dadurch einfach minimiert.

Philip BansePhilip Banse

Die Bundestagswahl rückt natürlich unaufhaltbar näher. 23. Februar noch irgendwie gut drei Wochen, dann findet sie statt. Es treten aber nicht nur die üblichen großen Parteien an CDU, SPD, Grüne, FDP usw, sondern zugelassen sind insgesamt 41 Parteien.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Eine davon ist Volt. Eine relativ junge Partei, die sich vor allem als europäische Partei versteht, bei der Europawahl auch von den kleinen Parteien den größten Stimmenanteil bekommen hat. Auch deswegen zwei Mandate im Europaparlament. Und deswegen haben wir uns mal verabredet mit der Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 von der Partei Volt, nämlich mit Maral Koohestanian.

Philip BansePhilip Banse

Die ist wie gesagt Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 von Volt. Und im Zivilleben hätte ich jetzt fast gesagt Dezernentin für Smart City Europa und Ordnung bei der Stadt Wiesbaden. Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation Maral Koohestanian.

Maral Koohestanian

Hallo!

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Frau Anja, wie überlebt man denn eigentlich als kleine Partei? Insbesondere wie finanziert sich Volt?

Maral Koohestanian

Also wir sind ja eigentlich keine kleine Partei mehr. Wir sind seit der Europawahl um das Doppelte gewachsen. Wir haben unsere Mitgliederzahl verdoppelt. Aber wir leben natürlich auch ganz stark vom ehrenamtlichen Engagement, von unseren Mitgliedern. Die Finanzierung sieht bei uns natürlich, wie man sich das vorstellen kann, ganz anders aus als jetzt beispielsweise bei einer CDU oder bei einer SPD, die einfach ganz andere Mittel zur Verfügung haben.

Wir leben ganz stark von unseren Mitgliedern, von dem Ehrenamt, was wir mit reinbringen. In Europa sind wir ja 30.000 Mitglieder. Darauf können wir auch ganz gut zurückgreifen, beispielsweise jetzt bei dem Unterschriftensammeln, was wir ja auch noch machen mussten. Wir sind im Schnitt 35 Jahre alt, also damit auch wirklich eine der jüngsten Parteien. Und wir merken, dass wir immer

mehr werden. Das heißt, ich, ich sprech immer nicht so gerne von uns als kleine Partei, weil wir mittlerweile gar nicht mehr so klein sind.

Philip BansePhilip Banse

Und sie arbeiten aber im zivilen Leben noch Vollzeit in einem Job und machen diese Spitzenkandidatur und die Parteiarbeit ehrenamtlich?

Maral Koohestanian

Genau im zivilen Leben bin ich Teilzeit im Job. Ich bin Stadträtin, hauptamtlich hier in Wiesbaden. Das ist ja unsere Landeshauptstadt, und das mache ich genau in Teilzeit auch noch.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nun ist ja die Bundestagswahl vorgezogen. Es gab also insgesamt für alle Parteien sehr wenig Zeit für die Vorbereitung. Aber als bisher nicht im Bundestag vertretene Partei mussten Sie ja noch ein paar Hürden mehr überspringen. Was mussten Sie denn da so alles machen, um überhaupt antreten zu können? Und wie haben Sie das geschafft?

Maral Koohestanian

Also das, worüber glaube ich die meisten sich Gedanken gemacht haben oder auch berichtet haben, war zum einen das Unterschriftensammeln, da mussten wir ja deutschlandweit 30.000 Unterschriften sammeln. Aber das war für uns zum Beispiel auch kein Problem. Wir hatten ja gerade erst die Europawahl hinter uns, wo wir auch angetreten sind und auch für Volt jetzt mit ins Europäische Parlament mit drei Sitzen eingezogen sind.

Und das war so die größte Herausforderung, die, glaube ich, die nicht in Bundestag oder Landtagen vertretenen Parteien noch mal entgegen gestanden ist. Wir haben aber in der kurzen Zeit 45.000 Unterschriften gesammelt, das heißt, das war für uns erst mal in Ordnung und ich glaube, dass es allerdings viele kleine Parteien gibt, die daran gescheitert sind. Ich weiß nicht genau, wie viele jetzt am Ende antreten. Wir werden als Volt auf jeden Fall in allen Bundesländern antreten können.

Philip BansePhilip Banse

Jetzt kommen wir zur Politik. Sie haben das eben schon so ein bisschen angeschnitten. Volt versteht sich ja als eine europäische Partei mit so einem Fokus auf so eine supranationale Zusammenarbeit. Jetzt gibt es natürlich auch eine sozialdemokratische und christdemokratische Partei, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas. Und die treffen sich ja auch und arbeiten auch zusammen im Europäischen Parlament.

Aber wie unterscheidet sich denn Volt Ihrer Meinung nach von diesen anderen Parteien, die aber auch europäische Schwesterparteien haben?

Maral Koohestanian

Vielleicht kann man dazu sagen: Unsere DNA ist ja erst mal europäisch. Wir wurden ja gegründet von einer Französin, einem Italiener und einem Deutschen. Das heißt, die Idee war von Anfang an, Europa als Europa zu denken und nicht als einzelne nationale Kapitel, die wir dann am Ende vielleicht irgendwie europäisch einfärben. Das heißt, unsere Forderung ist langfristig auch, dass wir wirklich Europa als Ganzes denken, dass wir einen europäischen föderalen Staat am Ende gründen.

Philip BansePhilip Banse

Aber wie zeigt sich das in Ihrer Partei?

Maral Koohestanian

In unserer Partei zeigt sich das zum einen, dass es uns ja jetzt von uns gibt es in 30 europäischen Ländern, und wir haben 30.000 Mitglieder in ganz Europa. Und wir gucken, was die Best Practices sind, die in europäischen Ländern schon existieren, die wir voneinander lernen können. Das heißt, wir treffen uns auch europäisch.

Es gibt europäische Parteitage, bei denen wir uns treffen und uns austauschen, bei denen wir auch wirklich mit Amts und Mandatsträgern gemeinsam schauen, was gibt es in eurer Umsetzung vor Ort, von dem wir jetzt bei uns zum Beispiel in Deutschland auch ganz konkret noch lernen können? Und was können wir so von euch übernehmen? Bzw was sollten wir vielleicht eher nicht übernehmen? Es gibt ja auch die Best Practices, ganz klar.

Aber das zeigt sich auch so, dass wir beispielsweise im Europäischen Parlament als eine Partei antreten. Also wir sind als Volt aus den Niederlanden ins Europäische Parlament eingezogen und aus Deutschland. Und wir wollen langfristig natürlich auch, dass wir mit Volt dann eine eigene Fraktion werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nun schauen wir doch trotzdem, weil es ja um die Bundestagswahl geht, um die Politikansätze Ihrer Partei für Deutschland. Unser Land steckt nämlich in einer Wirtschaftskrise. Die Wirtschaft schrumpft oder stagniert, zumindest die Produktivität sinkt.

Und gleichzeitig braucht es Milliardeninvestitionen in Bildung, Transformation hin zur Klimaneutralität, Infrastruktur und hinzugekommen seit Russlands Überfall auf die Ukraine auch in Verteidigung und dazu braucht es jedes Jahr einfach eine Menge Geld, kann man natürlich verschiedene Schätzungen nehmen, aber 100 Milliarden mehr im Topf als heute ist jedenfalls eine realistische Zahl. Und wenn man dann so in ihr wollt Programm schaut, dann finden sie das inhaltlich im Prinzip

richtig. Aber sie wollen jedenfalls soweit das im Programm nachzuvollziehen ist keine Steuern erhöhen, nur die Schuldenbremse reformieren und konsequent vorgehen gegen Steuerhinterziehung. Wie soll die Mathe aufgehen? Also wo soll das Geld konkret herkommen?

Maral Koohestanian

Also wir haben uns auch mal die Wahlprogramme von den anderen Parteien angeguckt und bisher hat in unseren Augen keine Partei ihre Investitionen klar gegengerechnet oder gegenfinanziert.

Philip BansePhilip Banse

Und deswegen müssen sie das auch nicht machen?

Maral Koohestanian

Doch genau deswegen haben wir das gemacht. Wir sind ja eine evidenzbasierte Partei. Wir haben gesagt, wir möchten die Abschaffung von allen klimaschädlichen Subventionen und wurde mal ausgerechnet, wir kommen da bis zu 65 Milliarden €, die wir jährlich einsparen, zusätzlich zu den Mengen an CO2, die wir dann einsparen. Das heißt, wir möchten da reingehen, da gehört die Steuervergünstigungen für Diesel dazu, Dienstwagenprivileg, die Steuerbefreiung für Flugbenzin und alles da drumherum.

Zusätzlich haben wir natürlich auch eine Reformierung der Schuldenbremse mit aufgeschrieben. Aber wir denken auch, dass es längst Zeit ist für eine Reform der Erbschaftsteuer. Wir möchten die Erbschaftsteuer so weit ändern, dass sie wirklich gerecht wird, dass man auf große Vermögen mehr Steuern zahlt, während normale und kleine Vermögen geschützt werden können. Und dazu kommt für uns natürlich auch noch das Thema Vermögenssteuer.

Wir würden gerne eine Vermögenssteuer einführen, damit auch an der Stelle besonders die großen Vermögen mehr zum Gemeinwohl beitragen. Das heißt, dass Privatpersonen und Betriebe zwar hohe Freibeträge halten können und wir die Mittelschicht und die kleinen Vermögen damit schützen.

Aber diese Vermögenssteuer, die wirklich denjenigen, die über 10 Millionen € kommen, dass wir da eine Steuer haben, die für mehr Gerechtigkeit sorgen kann, das die Einnahmen generieren kann für wichtige Projekte wie zum Beispiel Klimaschutz oder eine Investition in Bildung und Digitalisierung. Das ist auf jeden Fall etwas, was wir da mitdenken müssen. Und das heißt, wir haben unser Programm auf jeden Fall gegenfinanziert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Eine Nachfrage noch zum Stichwort Vermögenssteuer. Die gab es ja in Deutschland schon, die gibt es auch in vielen anderen europäischen Staaten. Sie ist also definitiv eine Möglichkeit. Aber eine zentrale Gegenposition geht ja in die Richtung, dass die Vermögenssteuer einfach extrem komplex sei, überhaupt festzusetzen, zu erheben. Die Menschen müssten dann jedes Jahr quasi so eine Art Bilanz ihres Vermögens aufstellen. Was halten Sie von diesem Einwand gegen die Vermögenssteuer?

Maral Koohestanian

Na ja, also man kann es vielleicht mal so formulieren: Reiche Leute haben Vermögen und kein Einkommen. Das heißt, da gibt es, glaube ich, nicht so viel, was wir jedes Jahr neu bilanzieren müssen. Wir haben das relativ einfach festgesetzt. Privatpersonen und Betriebe mit einem Freibetrag von 10 Millionen € lässt sich relativ einfach bilanzieren.

Und dazu muss man vielleicht auch sagen, wir wünsche uns natürlich auch eine digitalere, besser ausgebaute Infrastruktur, so dass wir am Ende solche Dinge vielleicht auch irgendwann digital einfacher einreichen können. Jeder macht ja am Ende seiner Steuererklärung und dann kann man so was auch relativ einfach daraus ableiten. Eine Vermögenssteuer ist für uns aber auf jeden Fall ein Muss.

Egal wie komplex es ist, egal was ich dann am Ende für Hürden dabei herausstellen, es ist für uns einfach Grundlage, dass wir gerade diejenigen, die viel Vermögen, haben, dass diejenigen auch ihren Beitrag für unsere gerechte Gesellschaft leisten.

Philip BansePhilip Banse

Mit was für einem Aufkommen rechnen Sie denn bei der Erbschaftssteuer, wenn die scharf gestellt würde nach ihren Ideen und bei der Vermögenssteuer, wenn die denn wieder eingeführt würde?

Maral Koohestanian

Also wenn wir insgesamt rechnen, wir haben ja einmal, ich habe eben einmal von unseren klimaschädlichen Subventionen gesprochen, wo wir von 65 Milliarden € rechnen. Wenn wir die EU Förderung vom Green Deal beispielsweise noch mitnehmen. Dann könnten wir hier auch noch mal 100 bis 150 Milliarden € mit reinholen. Was wir jetzt für den finalen Betrag bei einer Vermögenssteuer haben, das kann ich so nicht sagen.

Und ich glaube, das kann jetzt auch Deutschland noch gar nicht sagen, weil wir und das müssen wir ehrlich sagen wir einfach nicht wissen, was jetzt in Deutschland ist. Wir wissen, es gibt viele Gelder, die so noch nicht berechnet wurden, Steuern, die noch nicht gezahlt wurden. Und das sind alles Dinge, die wir endlich angehen müssen, um am Ende wirklich eine faire Finanzierung von unserem Staat gewährleisten zu können.

Philip BansePhilip Banse

Eine andere Möglichkeit, die ja so von FDP und CDU favorisiert wird, ist, um die Wirtschaft wieder nach vorne zu bringen, Steuern zu senken, also vor allen Dingen von Unternehmen, damit die weniger Steuern zahlen und dann mehr investieren können, Arbeitsplätze schaffen können, Wachstum generieren können. Was halten Sie davon?

Maral Koohestanian

Wir unterstützen auf jeden Fall auch kleine Unternehmen. Wir möchten das eigentlich so denken wie in Skandinavien. Wir haben jetzt gerade eine Europatour gemacht, wo wir uns Best Practices angeguckt haben, und haben da festgestellt: In Skandinavien zahlt man sehr gerne Steuern. Und da haben wir dann natürlich noch mal nachgefragt, woher kommt denn dieses Narrativ, dass man gerne Steuern zahlt? Und da wurde uns als Antwort ganz einfach erklärt, weil wir sehen, was passiert mit unserem Geld.

Sprich die Steuern werden investiert in eine funktionierende Infrastruktur, die natürlich nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen zugutekommt. Und das ist für uns der Hebel, an dem Steuern auch Unternehmen natürlich wieder Leistungen mit reinbringen. In Dänemark werden die Steuern genutzt, um eine Klimaanpassung zu unterstützen, oder beziehungsweise in Kopenhagen.

Also wir sehen einfach, das ist ein anderes Verständnis von einer Steuer, wie sie genutzt wird, um wirklichen Mehrwert für alle zu schaffen, der natürlich auch sich dann wirtschaftlich abzeichnet.

Philip BansePhilip Banse

Aber Steuern senken für Unternehmen und hohe Einkommen würden Sie jetzt nicht?

Maral Koohestanian

Nein, ich würde sagen, jetzt gerade ist nicht Zeit für Steuersenkungen. Das können wir, und das können wir uns dann überlegen, wenn wir aus unseren Krisen raus sind.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Als eine der Bremsen in Deutschland wird von vielen, auch der ich sage jetzt mal etwas zugespitzt real existierende Föderalismus in Deutschland gesehen. Historisch gibt es natürlich gute Gründe dafür, die staatliche Macht in Deutschland auf verschiedene Ebenen zu verteilen, um eine zu starke Machtkonzentration zu verhindern nach den Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus. Das Problem ist aber, dass er in der Praxis die politische Verantwortung in Deutschland total verwischt.

Da ist jetzt der Bundestag verantwortlich, der Bundesrat, die Länder, wer auch immer genau, ist eigentlich verantwortlich für bestimmte politische Entscheidungen? Und vor allem liefert der real existierende Föderalismus vor allem im Bildungsbereich seit Jahrzehnten schockierend schlechte Ergebnisse. Volt hat sich auf die Fahnen geschrieben, den Föderalismus zu reformieren. Wie soll das konkret aussehen?

Maral Koohestanian

Also gerade im Thema Bildung, da müssen wir den Bildungsföderalismus aufheben. Das macht einfach keinen Sinn. Wir müssen hier gucken, dass wir wirklich ein gemeinsames Programm haben und das gemeinsam denken. Aber grundsätzlich kann man zum Thema Föderalismus natürlich sagen, dass es viele Stellen gibt, an denen wir in Deutschland nachfragen müssen. Ich sage immer gerne: Wir müssen schlauer werden. Wir müssen als Deutschland schlauer werden, aber natürlich auch als Bundesländer.

Das heißt, wir brauchen eigentlich, so sag ich das immer, das ist mein Begriff, ein Smarte Republik, eine Smart Republic. Und die Smart Republik an sich, die bedeutet für mich, dass wir Innovationen schaffen, dass wir Klima resilient sind bzw nachhaltig, dass wir eine Resilienz auch in der Bevölkerungsstruktur ist und dass wir Raum für alle schaffen und damit inklusiv sind.

Philip BansePhilip Banse

Aber was hat das mit dem Föderalismus zu tun?

Maral Koohestanian

Der Föderalismus heißt für mich in dem Sinne, dass wir das alles gemeinsam denken, also dass wir gemeinsam als Deutschland denken. Wie kriegen wir smarte Infrastruktur umgesetzt, wie kriegen wir eine smarte Verwaltung, die nicht an jeder Stelle, ich sehe es ja in meinem täglichen Leben. Wir müssen uns eigentlich alle Ideen selbst überlegen. Vielleicht eine kurze Anekdote dazu.

Ich war in meinen ersten drei Monaten hier im Dezernat in Wiesbaden und es gibt ja diesen 100 Tage Plan und ich habe da angeschaut, was wir hier alles in den 100 Tagen umsetzen können. Und dazu gehörte, das Videoidentverfahren für die An- und Ummeldung des Wohnsitzes einzuführen. Haben wir gemacht.

Hat am Ende super viel Presse generiert, so dass wir dreimal den Raum wechseln mussten und es stellte sich raus, dass wir die erste Stadt deutschlandweit sind, die das Videoidentverfahren in der Kommune umgesetzt hat. Das ist für mich eigentlich ein ganz klarer Indikator dafür, dass es super viele Lösungen gibt, die wir aus der Wirtschaft oder auch aus anderen europäischen Ländern oder auch aus anderen deutschen Städten übernehmen können und die einfach skalieren müssen.

Und das lässt sich auf ganz viele andere Bereiche übertragen. Das heißt, wir brauchen eine zentrale Steuerung von vielen solchen Dingen. Der digitale Rückstand in Deutschland, der kostet uns jährlich 52 Milliarden €. Und wenn wir ein Digitalministerium beispielsweise als Ministerium für digitale Themen einführen würden, hätten wir. Kein Kompetenzwirrwarr mehr zwischen fünf, sechs Ministerien, sondern wir hätten die ganz klar definiert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Okay, also Sie setzen im Bereich Digitalisierung auf eine stärkere Zuständigkeit, auf ein stärkeres Engagement des Bundes, auf eine Konzentration von Zuständigkeiten bei einem Digitalministerium. Aber kommen wir doch noch mal zu diesem Stichwort Abschaffung des Bildungsföderalismus zurück. Da stellen sich mir als Jurist natürlich schon, sagen wir mal vorsichtig verfassungsrechtliche Fragen. Denn die Zuständigkeit für Bildung und Kultur ist ja so Kernbestand der Identität der Bundesländer.

Rechnen Sie da nicht mit extremem Widerstand von von den Bundesländern, wenn Sie daran wollen? Und wie wollen Sie da die Mehrheiten generieren für eine Verfassungsänderung?

Maral Koohestanian

Wenn wir in den Bildungssektor rein denken, dann müssen wir uns natürlich überlegen: Was sind jetzt die größten Herausforderungen? Bildung muss sich auf jeden Fall ändern in Deutschland. Niemand traut sich, das Bildungssystem in Deutschland überhaupt in Frage zu stellen. Alle Schulen sind marode, wir haben einen krassen Investitionsstau in den Gebäuden, wir haben keine digitalen Ansätze. Wir haben das ja in Corona gesehen.

Wir sind jetzt gerade auf einem Niveau aus den 60er Jahren, und es sieht ehrlich gesagt in die Zukunft auch nicht so aus, als ob wir uns jetzt großartig weiterentwickeln. Das heißt, wir müssen einmal neu denken: Wie können wir unseren Schülerinnen und Schülern beibringen, nicht mehr nur auswendig zu lernen und und Materie zu pauken und dann vielleicht auch wieder abgefragt zu werden?

Sondern wie können vielleicht auch solche Dinge wie wie das Island macht, vielleicht nur für Mädels dann irgendwie Handwerksberufe und für Jungs emotionale Stärke? Wie kommt man vielleicht auch auf solche Softskills eingehen?

Philip BansePhilip Banse

Ich gehe mal davon aus, das ist alles richtig. Wie wollen Sie die Länder davon überzeugen, dass der Weg dahin über eine Entmachtung der Länder und eine Zentralisierung in Berlin geht?

Maral Koohestanian

Ich glaube, das ist genauso wie auch in den anderen Bereichen. Wir brauchen den Dialog. Wir brauchen eine Bildungsrevolution. Ich glaube auch, dass die Länder einzeln für sich wissen, dass es da Herausforderungen gibt, die wir angehen müssen. Und wenn wir sinnige, neue Strukturen aufzeigen, wenn wir neue Lösungen aufzeigen, dann gehe ich schon davon aus, wir sind ja alle dialogfähig, dass wir dann in Dialog gehen können und solche Dinge auch entsprechend anpassen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Kommen wir mal zum nächsten Thema: Volt setzt sich ja auch ein für starken Klimaschutz. Sie haben eben schon angesprochen Ausstieg aus klimaschädlichen Subventionen bis 2028 sogar. Sie wollen aus fossilen Energieträgern insgesamt aussteigen bis 2035. Sie wollen ein europäisches Hochgeschwindigkeitsbahnnetz. Wenn man sich das so anschaut, fragen wir uns ein bisschen: Was unterscheidet Volt denn dann eigentlich noch von den Grünen in diesem Bereich?

Maral Koohestanian

Ja, also die Grünen legen natürlich immer noch mehr Gewicht auf die nationalen Maßnahmen. Aber gerade Klimaschutz ist ja eigentlich das Paradebeispiel, wie wir europäisch denken müssen. Gerade beim Klimaschutz haben wir so viele Herausforderungen, die wir einfach national gar nicht lösen können. Das heißt, wir brauchen da einen europäischen Ansatz. Wir brauchen alles das, was Sie jetzt gerade gesagt haben, worüber wir gerade schon gesprochen haben, und das auf europäischer Ebene.

Und das unterscheidet uns ganz klar von den Grünen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, und der andere Punkt ist ja auch Stichwort Streichen klimaschädlicher Subventionen. Ist ja so ein Punkt, da profitieren natürlich auch Leute davon, was weiß ich, die nicht so wahnsinnig viel Geld haben momentan von diesen Subventionen. Pendlerpauschale wird der Weg mit dem fossilen Auto zur Arbeit deutlich billiger. Wie wollen Sie denn diesen Klimaschutz gestalten, ohne dass da Leute mit weniger Geld auf dem Konto draufzahlen und drunter leiden und Ihnen das sozial um die Ohren fliegt?

Maral Koohestanian

Also ich finde, es ist immer super schwierig, Klimaschutz gegen andere Ressorts auszuspielen, dass man sagt, was machen denn diejenigen, wenn wir Klimaschutz umsetzen? Weil wir sollten eigentlich mal so umdenken. Wenn wir jetzt nicht konsequent Klimaschutz umsetzen, dann haben wir in ein paar Jahrzehnten überhaupt nichts mehr, wofür es sich lohnt, jetzt irgendwelche anderen Ressorts zu stärken.

Philip BansePhilip Banse

Richtig, Aber trotzdem werden bestimmte Produkte und Dienstleistungen erst mal teurer. Und diese Produkte und Dienstleistungen nehmen in dem Budget von Leuten, die relativ wenig Geld zur Verfügung haben, einen sehr großen Teil ein. Und die haben am Anfang zumindest nicht das Geld, um sich da raus zu investieren aus ihrer fossilen Heizung und eine Wärmepumpe installieren oder sich ein teures eAuto zu kaufen. Und die werden, wenn das alles teurer wird, erst mal mehr zahlen.

Und es braucht eine soziale Lösung, die das verhindert, die das ausgleicht, weil das sonst soziale Spannungen vertieft und rechte Parteien womöglich stärkt. Was ist da Ihr Rezept?

Maral Koohestanian

Genau. Also da muss man natürlich sagen, wir steuern als Staat gegen, wir lenken das mit. Da muss man natürlich an den ÖPNV denken. Machen wir den ÖPNV günstiger und das wird auch bei uns im Programm. Wenn wir uns kein e Auto leisten können, dann ist natürlich auch wichtig, dass man den ÖPNV erhält, den man dann als Ersatz nutzen kann und der gut ausgebaut ist und der funktioniert.

Bei uns im Wahlprogramm steht auch drin und das war mir persönlich auch noch mal ein wichtiges Anliegen, das habe ich mit rein reingebracht, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel zu senken, also auf Brot, auf Obst und Gemüse, weil das natürlich auch gerade diejenigen, denen das alles teuer auf der Tasche liegt, auch noch mal anders entlasten wird. Ja, es gibt einen ganzheitlichen Ansatz, den man denken muss. Aber man muss den natürlich auch ganzheitlich denken wollen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Schauen wir doch mal auf die soziale Ungleichheit. Die ist ja in ganz vielen europäischen Ländern ein drängendes Problem. Auch in Deutschland ist es so und viele Expertinnen und Experten sind sich einig: Das kann man mit einer Besteuerung von Einkommen alleine nicht erreichen. Sie haben eben schon gesagt Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer.

Wie wollen Sie es damit schaffen, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland tatsächlich zurückgeführt werden kann, sodass also die Chancen in Deutschland wieder fairer verteilt sind?

Maral Koohestanian

Wir haben bei uns im Wahlprogramm auch ein existenzsicherndes Grundeinkommen mit eingeführt. Wichtig ist für uns, nicht mehr so sehr die Einkommen zu besteuern, sondern auf Vermögen zu gehen. Und das existenzsichernde Grundeinkommen ist für uns auch eine Möglichkeit, allen Bürgerinnen und Bürgern dadurch noch mal eine Grundlage zu bieten, die quasi die Lebenshaltungskosten deckt.

Und das würde dann aber auch Sozialleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld oder ein Kindergeld, was ja auch noch mal viel mehr Bürokratie mit sich bringt, ersetzen und würde dann finanziert werden durch genau solche Steuerreformen wie jetzt eine Vermögens- oder eine Erbschaftssteuer oder die Befreiung von klimaschädlichen Subventionen.

Philip BansePhilip Banse

Sie haben ja in Ihrem Programm auch Digitalisierung groß geschrieben. Das haben wir eben schon gehört. Sie fordern da auch eine digitale Verwaltung nach estischem Vorbild. Sie sind ja selber beteiligt, haben Sie schon gesagt, an Digitalisierungsprojekten in Wiesbaden. Mal angenommen, Sie würden jetzt Bundeskanzlerin werden, was würden Sie denn da als erstes machen, um Deutschland da nach vorne zu bringen?

Maral Koohestanian

Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass wir einfach einen Lösungskoffer haben auf Bundesebene, den Städte und Kommunen nutzen können. Weil Städte und Kommunen entwickeln ihre digitalen Lösungen jede einzelne. Am Ende haben wir einen riesen Flickenteppich von verschiedenen Lösungen, die nicht zusammenpassen, die nicht zusammen funktionieren.

Dann muss man hier irgendwie seinen Personalausweis noch mal hochladen und da seine SteuerID und dann da noch mal seine SteuerID und dann noch die Geburtsurkunde mit rüber tragen, dass wir das einfach einmal runterbrechen und sagen, wir haben hier nur once only Prinzip, Ihr reicht eure Dokumente, eure Daten einmal ein und wir als Staat nutzen die, wie wir da gerade Bedarfe haben, natürlich immer unter dem Aspekt Datensicherheit.

Diese Lösung haben wir dann für euch als Bund quasi für alle Städte und Kommunen bereitgestellt und ihr könnt sie nutzen, ohne euch Gedanken zu machen, was ihr vielleicht für eigene Lösungen noch mal entwickeln könntet, die dann auch am Ende wieder gar nicht zusammenpassen. Wir waren jetzt gerade in Estland, auch auf unserer Europareise und haben das auch auf Instagram dokumentiert.

Und wir haben da auch gelernt: Estland hat durch diese Digitalisierung diese einfach 20 Jahre vor uns angefangen, haben ihre Demokratie extrem gestärkt. Es funktioniert alles viel besser. Die Menschen vertrauen in den Staat, man hat eine höhere Wahlbeteiligung. Also es ist einfach ein anderes Level an Vertrauen was geschaffen wurde. Und das würde ich mir auch total für Deutschland wünschen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Letzte Frage zur Wahltaktik. Wer für Volt stimmt, läuft natürlich Gefahr, seine Stimme zu verschenken. Sagen jedenfalls viele Menschen, weil sie sich fragen, wie denn eigentlich ihre Chancen stehen, in den Deutschen Bundestag zu kommen. Es war er bei unserer Recherche überraschend schwierig, quasi aktuelle Umfragen zu finden, die Volt eben nicht unter Sonstiges ausweisen und die genau Prozente

angeben. Aber bislang sagen wir mal, wenn's gut läuft, stehen sie bislang so bei drei, vielleicht knapp 4 %. Was sagen Sie Menschen, die sich sorgen, dass ihre Stimme eventuell nicht zählen könnte?

Maral Koohestanian

Also vielleicht sollte man zu den Umfragen noch sagen, da wird Volt natürlich nicht mit abgefragt, deswegen sind wir da auch nicht drin. Es wäre für uns natürlich auch schön, wenn Volt mit abgefragt werden würde, weil spätestens ab dem Moment, wo wir auch aufgeführt werden, kann man dann denjenigen, die noch mal Angst haben, auch die Angst nehmen. Wir gehen davon aus, dass wir in den Bundestag einziehen.

Und wir gehen auch davon aus, dass es sehr, sehr nötig ist, dass wir in den Bundestag einziehen. Und ich möchte da gerne noch mal darauf eingehen, was wir jetzt gerade für Verhältnisse in den anderen Ländern sehen. Wir haben jetzt in den USA die Republikaner und die Demokraten die zwei Parteien, die immer gegeneinander antreten. Dann haben wir in Österreich jetzt gerade einen rechtsextremen Kanzler, der dann wahrscheinlich die Regierungsverantwortung übernehmen wird.

Und in Deutschland haben wir irgendwann, wenn es nicht gut läuft, wenn FDP und Linke und Volt auch nicht einziehen, haben wir auch irgendwann als demokratische, wählbare Parteien die SPD, die Grünen und die CDU. Und wenn wir uns jetzt nicht trauen, auch noch mal neue Ideen zuzulassen, neue Ansätze zu fahren, dann laufen wir Gefahr, im Alten, in dem, was wir bisher gemacht haben, was wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben, zu versinken.

Philip BansePhilip Banse

Maral Koohestanian, Spitzenkandidatin für Volt bei der Bundestagswahl 2025 im Februar. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch in der Lage der Nation.

Maral Koohestanian

Vielen Dank!

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Dann haben wir diese Woche noch einen kleinen Buchtipp für euch, nämlich zu den Perlen des Lokaljournalismus. Philip, ich glaube, da hast du Post bekommen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, ich habe Post bekommen. Der Deutsche Journalistenverband, glaube ich, war es, hat mir ein Buch geschickt oder uns wahrscheinlich in der Lage. Das heißt Zentralfriedhof. Wie ausgestorben. Ein Buch von Ralf Heimann und Jörg Homering, würde ich sagen. Also es ist eine Sammlung, wie das schon heißt, Perlen des Lokaljournalismus. Also wo Kollegen und Kolleginnen interessant getextet haben, würde ich es mal nennen. Und ich musste bei der flüchtigen Lektüre zweimal an die Lage

denken. Und deswegen habe ich gedacht, kann man das ja hier mal kurz reinwerfen, weil das ja auch wie auf eine Art ganz amüsant ist. Und zwar ist das erste Beispiel, wo ich ein bisschen schmunzeln musste und auch an unsere Berichterstattung denken musste, wo habe ich es jetzt hier?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die Sanierung der Freiherr von Stein Grundschule?

Philip BansePhilip Banse

Genau, diedie Sanierung der Freiherr von Stein Grundschule. Also da gibt es einen Bericht. Ich kann leider die Quelle hier nicht genau nennen, also steht halt in dem Buch. Ist offensichtlich eine Lokalzeitung und da ist ein Bild von dieser Freiherr vom Stein Schule abgebildet. Und die Bildunterzeile, also das, was als Beschreibung für das Bild darunter steht, lautet:

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

"Eine Sanierung der Freiherr vom Stein Grundschule wäre zu teuer, deshalb soll sie neu gebaut und dann abgerissen werden."

Philip BansePhilip Banse

Ja, und es ist natürlich bei diesen Perlen manchmal so, es ist eine missverständliche Formulierung oder so, aber hier dachte ich kurz, ich glaube, das kann tatsächlich der Plan sein. Also ich traue es Deutschland zu, dass das wirklich der Plan ist. Die Sanierung ist zu teuer, also bauen wir sie neu und reißen sie dann ab, weil...

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Weil war halt Geld da. Dezemberfieber.

Philip BansePhilip Banse

Musste ich so ein bisschen an unsere Infrastrukturfolge denken und die Probleme mit den Schulen. Und das wäre natürlich der Gipfel. Sanierung zu teuer. Deswegen Neubau und dann Abriss.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber richtig schön fand ich persönlich ja den Rezepttipp. Ist auch nicht so ganz klar aus welcher Zeitung.

Philip BansePhilip Banse

Musste ich dran denken, weil wir uns natürlich auch oft. Wir versprechen und korrigieren uns natürlich und einfach um die Bedeutung, bei uns sind das ja meistens so inhaltliche Sachen, falsche Zahlen oder so, aber das Korrekturen natürlich auch lebensrettende würde ich mal sagen Funktion haben können, wurde bei dieser Rezeptkorrektur deutlich. Auch eine Zeitung, deren Namen ich hier gerade nicht mehr lesen kann bei unserem Screenshot, aber zu finden in den Perlen des Lokaljournalismus.

Und dort ist die Überschrift:

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Rezeptkorrektur Blauer Wackelpudding.

Philip BansePhilip Banse

Und in dem Text heißt es: "Das war eine Null zu viel. Die korrekte Zutatenangabe im Rezept Blauer Wackelpudding für Erwachsene am vergangenen Mittwoch Seite drei lautet natürlich 100 Milliliter Vodka, nicht 1000 Milliliter Wodka.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also es muss quasi nur ein halbes Glas Wodka in den Wackelpudding. Kein ganzer Liter.

Philip BansePhilip Banse

Fand ich ja wie lustig. Perlen des Lokaljournalismus. Also es sind noch ein paar andere Sachen drin. Ist halt ganz amüsant, was da so in den Zeitungen steht. Also meine Frau und ich haben uns köstlich amüsiert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Dann haben wir noch einen kleinen Hinweis für Betreibende von Mailservern. Also wir haben seit ein paar Wochen auch einen neuen Lage Mailserver und das läuft doch alles wunderbar, wir haben einen modernen Spamfilter drauf, modernen Server für Mailinglisten und so, aber KI hat eben nicht nur Vorteile. KI kann eben auch mal Probleme verursachen, insbesondere wenn sie sich irrt.

Philip BansePhilip Banse

Denn unsere IPs, also quasi die Absenderadressen unserer Emails, werden öfter mal geblockt. Also das heißt, da wird die Email beim Empfänger einfach nicht angenommen, nicht zugestellt, verschwindet im Nirwana. Am Anfang war das so bei Google, aber Google hat das inzwischen gelernt, dass Mails mit der Absenderadresse unserer IP nicht schwierig sind. Bei Microsoft sieht das anders aus. Die haben das noch nicht geschnallt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Genau das ist es. Ganz interessant. Wir haben das auch schon bei Microsoft an allen möglichen Stellen gemeldet. Da gibt es dann so 1000 Websites, da klickt man sich durch endlose Formulare, kriegt dann wenig hilfreiche Mails zurück. Das bringt aber alles nix. Es kommt leider immer noch vor, dass Mails von Microsoft zurückgewiesen werden.

Philip BansePhilip Banse

Also wenn von unserem Mailserver an eine E Mail Adresse von Microsoft schreibt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Hotmail, live.com und so was.

Philip BansePhilip Banse

Dann verschwindet die im Nirvana.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nee! Das würden wir gar nicht mitkriegen, das Problem gibt es leider schon immer. Diese Microsoft Adressen sind notorisch unzuverlässig, weil einfach Mails gelöscht werden, kommentarlos. Das kriegen wir aber ja gar nicht mit. Das Problem ist, dass unsere IP Adressen auf irgendeiner schwarzen Liste gelandet sind bei Microsoft, so dass die Mails gar nicht erst angenommen werden. Wie gesagt, wenn ein Spamfilter falsch ausschlägt, das ist wahrscheinlich nicht komplett

zu vermeiden. Das Problem ist, dass diese Mailserver die Mails gar nicht erst annehmen.

Philip BansePhilip Banse

Weil sie denken, ist evil.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ehrlich gesagt ist die Website von Microsoft ganz ehrlich. Die sagt nämlich, ihre IP muss erst mal irgendwie eine Reputation aufbauen. Und so lange nehmen wir die Mails häufig einfach gar nicht an mit. Wahrscheinlich werden dann einfach mit den Mails irgendwelche KIs trainiert, die dann sagen, diese IP ist vertrauenswürdig. Ja, nein,

vielleicht. Das ist aber natürlich für uns ausgesprochen ärgerlich, insbesondere deswegen, weil wir ja zum Beispiel gerade einen Onlineshop laufen haben für unsere Tickets von der Lage live. Und wenn dann Menschen Tickets klicken, deswegen aber jetzt schon Warnhinweis einbauen müssen in Gottes Namen, verwendet keine E Mail Adressen von Microsoft, weil das halt einfach schiefgehen kann.

Philip BansePhilip Banse

Und wenn dann die Bestätigung an eurer Adresse geschickt wird und die Bestätigung aber zurückgewiesen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja und vor allem die Tickets sind weg. Deswegen also falls hier jemand von Microsoft zuhört, tretet doch bitte mal gegen euren Server und macht dem Server klar, dass unser E Mailserver, der hört auf den schönen Namen mx.plc.is, der muss auf die White list für IP V4 und dann selbstverständlich auch für IP V6. Also werden wir uns, wenn wir euch sehr verbunden, wenn ihr euren Systemen beibringen könntet, das ist eine gute API. Selbstverständlich sind unsere Emails nämlich perfekt gesichert.

Wir haben SPF aktiviert, wir haben die Decim signiert und so, also was wir tun können, tun wir auch. Insofern sorgt doch bitte dafür, dass E Mails ankommen. Dann müssen wir auch nicht mehr davor warnen, Hot Mail Adressen zu verwenden. Gilt natürlich genauso für die Admins anderer Provider, wie sie alle heißen mögen, von web.de bis mailbox.org. Und sehr schön, wenn unsere Mails ankommen.

Philip BansePhilip Banse

Noch ein weiterer Hinweis. Seit einiger Zeit gibt es ja die Möglichkeit, auch zu Podcasts Kommentare auf Spotify abzugeben. Das machen viele von euch auch und haben das gemacht und wir haben das auch uns immer angeguckt und auch moderiert. Es stellt sich nur raus, es ist aufwendig, aber vor allen Dingen unproduktiv, weil man eben auf Spotify nicht wirklich diskutieren kann.

Man kann da nur einmal antworten, aber komplexere Diskussionen sind einfach unmöglich und deswegen ist es letztlich ineffektiv, dass wir Kommentare beantworten auf Spotify. Und deswegen der Hinweis: Bitte geht ins Forum, wenn ihr Kommentare abwerfen wollt über eine Anmerkung loswerden wollen. Wenn ihr inhaltlich diskutieren wollt, geht zu talk.LagederNation.org und tut das da. Und weil das eben aufwendig ist, haben wir die Kommentarfunktion abgeschaltet.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, und weil vor allem auch ganz viele gute Inhalte einfach verloren gehen bei Spotify, weil man da nicht sinnvoll diskutieren kann, also im Sinne der Diskussionskultur, geht ins Forum talk.LagederNation.org. Da wird professionell moderiert, da lesen wir auch mit. Manchmal können wir da auch antworten, je nachdem, wie viel Zeit wir haben.

Philip BansePhilip Banse

Zum Beispiel Ciara hat ja jetzt auch fürs Feedback ins Forum geguckt. Da gibt es einen Ort, da kriegt man super Überblick, was sind die Argumente, was sind die Diskussionsfäden? Und das hilft der Sache einfach enorm.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und damit ist die Lage der Nation für diese Woche umfassend und abschließend erörtert, so wie das gewohnt seid. Wir danken euch für euer Interesse, wenn euch die Lage gefallen hat, überleg doch mal, ob ihr euch ein plus Abo klicken wollt plus.LagederNation.org. Da laden wir euch dann auch zu unseren Liveshows als allererste ein. Aber vor allem wünschen wir euch ein schönes Ende der Woche. Ein schönes Wochenende.

Philip BansePhilip Banse

Bis bald! Bis nächste Woche. Alles Gute! Ciao.

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