LdN411 D-Day Affäre, Offensive in Syrien (Bente Scheller, Böll-Stiftung), Anmerkungen zum Scholz-Interview, Wahlen in Rumänien, Proteste in Georgien, Umgang mit Rechtsextremismus in Schulen, Update Wölfe in Deutschland - podcast episode cover

LdN411 D-Day Affäre, Offensive in Syrien (Bente Scheller, Böll-Stiftung), Anmerkungen zum Scholz-Interview, Wahlen in Rumänien, Proteste in Georgien, Umgang mit Rechtsextremismus in Schulen, Update Wölfe in Deutschland

Dec 04, 20242 hr 46 minEp. 411
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LdN411 D-Day Affäre, Offensive in Syrien (Bente Scheller, Böll-Stiftung), Anmerkungen zum Scholz-Interview, Wahlen in Rumänien, Proteste in Georgien, Umgang mit Rechtsextremismus in Schulen, Update Wölfe in Deutschland

Transcript

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Herzlich willkommen zur Lage der Nation, Ausgabe Nummer 411 vom 4. Dezember 2024. Und an den Mikrofonen im Berliner Lagestudio begrüßen euch wie fast in jeder Woche Ulf Buermeyer. Das bin ich, Jurist aus Berlin und..

Philip BansePhilip Banse

Philip Banse, ganz herzlich willkommen nach alter Väter Sitte. 14:00 hast du schon gesagt?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

14 Uhr, wir nehmen um 14 Uhr auf.

Philip BansePhilip Banse

Wir nehmen um 14:07 genaugenommen auf und reiten direkt rein ins Pad, weil es bis zum Rand gefüllt ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Javier Milei. Den Namen habt ihr bestimmt schon mal gehört, kam auch in der Lage schon gelegentlich vor. Das ist der relativ neue Präsident Argentiniens seit Ende 2023 im Amt. Und das ist eine ziemlich schillernde Figur. Er bezeichnet sich selbst als Anarchokapitalisten, möchte also den Kapitalismus entfesseln, befreien von staatlicher Regulierung. Er verbindet, sagen Journalist:innenkolleginnen, ultraliberale mit ultrarechten Positionen, wird von anderen als ultrakonservativ eingeschätzt.

Und das zeigt sich auch in interessanten Positionen.

Philip BansePhilip Banse

Der fordert die Privatisierung von Staatsbetrieben, Privatisierung des Bildungssystems, die Auflösung der Zentralbank Argentiniens und der Staat soll nach seiner Ansicht nach nur für die Felder Sicherheit und Justiz noch zuständig sein, also Sicherheit und Justiz. Die einzigen Felder, auf denen der Staat überhaupt noch eine Rolle spielen kann.

Auf Deutschland übertragen würde das so was bedeuten: kein Bürgergeld, kein Bafög, keine Zuschüsse zur Rentenkasse, wenn überhaupt, dann eben privat organisiert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wenn überhaupt. Also libertär. Ein nicht nur schlanker, sondern quasi kaum noch existenter Staat, der sich auf absolutes Minimum konzentrieren soll. Auch Elon Musk ist eine interessante Figur. Ideologisch glaube ich gar nicht so weit entfernt von Herrn Milei. Der Chef von Tesla, der Chef von SpaceX und auch der Chef von X, dem ehemaligen

Twitter. Aber er ist eben auch einer der wichtigsten Förderer von Donald Trump, Unterstützer diversester Verschwörungserzählung und auch aktiver Förderer von Hatespeech auf Twitter, hat sich tausendfach dagegen ausgesprochen, Hassrede im Internet in irgendeiner Art und Weise zu regulieren.

Philip BansePhilip Banse

Zwei Menschen also mit durchaus kontroversen Positionen. Und man fragt sich natürlich: Wie kommen die beide an die Spitze der Lage? Nun, wir verdanken das einer Aussage von Christian Lindner in der Talkshow in der ARD von Caren Miosga.

Christian LindnerChristian Lindner

In Deutschland vielleicht ein klein bisschen mehr Milei oder Musk wagen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wir müssen in Deutschland vielleicht ein klein bisschen mehr Milei oder Musk wagen. Ist schon mal ein hartes Statement. Das hat viele Menschen gelinde gesagt verstört. Unter anderem auch Menschen aus seiner eigenen Partei. Aus der FDP, so sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemaligem FDP-Justizministerin dem Spiegel:.

Philip BansePhilip Banse

"Milei will den Staat zerstören. Er ist frauenfeindlich und hat mit liberaler Demokratie nichts am Hut. Es ist absolut indiskutabel, dass die FDP sich in diese Richtung entwickeln wird."

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also wir haben es gesagt, große Aufregung im Lande, in den sozialen Medien, aber auch in den klassischen Medien in unserem Lande. Wir haben gedacht einmal durchatmen schadet nicht an dieser Stelle, denn es war ein Satz in einer Talkshow. Das ist kein Parteiprogramm.

Philip BansePhilip Banse

Es ist kein Parteiprogramm, ist auch kein Wahlprogramm. Man kann sagen Na gut, da sind ihm vielleicht die Pferde durchgegangen. Oder er wollte nur mal ein krasses Beispiel machen, um einen inhaltlichen Punkt zu verdeutlichen. So argumentiert ja auch Christian Dürr, der Fraktionschef der Liberalen im Bundestag. Im Deutschlandfunk sagt er:

Christian Dürr

Es geht ja nicht um die Personen an sich, sondern um die Frage, ob wir bereit sind, in Deutschland auch neu zu denken. Beispielsweise Bürokratie abzubauen durch den Einsatz von neuen digitalen Technologien, also darüber hinauszudenken, nicht in den alten Mustern zu bleiben.

Philip BansePhilip Banse

Also ja, er hat es gesagt, aber das geht nicht, dass er sich jetzt zu 100 % mit diesen Leuten identifiziert oder allem, was diese Leute machen oder wofür sie stehen. Sondern Christian Lindner wollte einfach den Punkt machen: Wir müssen uns mehr bewegen. Wir müssen in Deutschland mehr Disruption wagen. Wir müssen da die Bürokratie abbauen. Und da könnte uns sozusagen dieser Spirit helfen, für den diese beiden Personen stehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Trotzdem, auch wenn wir jetzt diese Aufregung nicht ganz teilen, finden wir, man sollte dieses Statement, vielleicht auch diesen Lapsus, vielleicht auch diesen Freudschen Versprecher von Christian Lindner im Arbeitsspeicher behalten. Man sollte das im Hinterkopf behalten, wenn man die Programmatik, wenn man den Wahlkampf der FDP in den nächsten Wochen und Monaten verfolgt. Denn es ist ja offensichtlich: Die FDP sucht nach einem neuen Profil.

Sie fragt sich, wie sie Wählerinnen und Wähler im Bundestagswahlkampf jetzt von sich überzeugen möchte. Und da fragen wir uns ein bisschen: Ist sie da etwa gelandet bei der Idee, dass quasi so libertäre Disruption des Staats der Weg nach vorne sein könnte?

Philip BansePhilip Banse

Also ich finde, die Anzeichen mehren sich, so würde ich es mal sagen. Wir müssen mal abwarten, was da jetzt programmatisch hinterher kommt. Ob dieses Narrativ, wir wissen, die FDP plant gerne mit Narrativen, ob dieses Narrativ jetzt öfter auftaucht. Aber wenn das so wäre, dann wäre das schon eine substanzielle Richtungsänderung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder Radikalisierung.

Philip BansePhilip Banse

Staatskritisch waren sie schon länger. Aber Milei und Musk stehen dann doch für eine für eine ganz neue Richtung, den Staat zurechtzustutzen. Man könnte das dann tarnen mit dem Begriff weniger Bürokratie, aber gemeint wäre dann vermutlich Hauptsache weniger Staat und eben mehr Freiräume für besonders Reiche, die dann glauben, sie brauchen den Staat eben am wenigsten. Und so würde ich sagen, dafür stehen Musk und Milei, wäre das dann auch verbunden mit weniger demokratischen Prozessen.

Demokratische Prozesse, Rechtsstaat und so was, das stünde dann im Zweifel nur im Weg der Disruption, um hier mal schnell voranzukommen.

Speaker

Also ich würde ehrlich gesagt noch nicht so weit gehen zu sagen, dass Christian Lindner das intendiert hätte oder auch nur angedeutet hätte, dass er tatsächlich quasi demokratische Fesseln bei der Abwicklung des Staates abstreifen wolle, aber dafür stehen die beiden Leute. Und das, das schwingt einfach mit. Und ich glaube, das kann man nicht völlig ausblenden. Und deswegen, wie gesagt, wir wollen das an dieser Stelle nicht

unterstellen. Aber wir finden es einfach wichtig, auf dem Zettel zu haben, dass Christian Lindner mal in diese Richtung geblickt hat. Stichwort Dog whistling. Vielleicht wollte er auch einfach libertären Geistern in diesem Lande quasi so ein bisschen Futter geben und sagen: Ja, ja, so radikal kann ich das noch nicht sagen, aber wir haben immerhin eure libertäre Disruption auf dem Zettel.

Denn mal ganz ehrlich: Dieses Sparpapier, das Christian Lindner so ein, zwei Wochen vor dem Ende der Ampel in Berlin gestreut hat oder was dann kursierte, offiziell war es ja nur für die Ampel Partner:innen gedacht, dieses Papier, das ging ja auch in die Richtung, den Staat radikal zusammenzustreichen.

Philip BansePhilip Banse

Und ich glaube, die Marktlücke ist da. Es gibt in der deutschen Parteienlandschaft keine Partei, die Positionen vertritt, die auch nur annähernd in diese Richtung gehen, für die Musk und Milei stehen, dieses radikal libertäre Weg mit dem Staat. Ob man die jetzt besetzen will oder nicht. Aber ich fände es aus Perspektive der FDP vielleicht durchaus verlockend, in diese Richtung zu gehen, auch wenn man das dann kritisieren kann.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Man muss natürlich sehen: Die AfD wiederum hat durchaus auch libertäre Ansätze und ich meine, das ist ja auch so interessant, wenn man sich so Analysen anschaut zum Potenzial von Wählerinnen und Wählern gibt es ja die größten Überschneidungen tatsächlich zwischen dem Potenzial der FDP und der AfD. Und das ist quasi die Programmatik, wo sich diese beiden Parteien dann eben doch überschneiden.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Aber und das wäre sozusagen wie soll man das sagen, so wie sich das BSW positioniert hat in diesem Spannungsfeld zwischen Linkspartei und AfD könnte sich die FDP in diesem Spannungsfeld AfD und Milei/Musk positionieren.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Es gibt jedenfalls Anzeichen dafür mit dieser radikalen Staatskritik, mit dieser, mit diesem radikalen die Funding. Und mir kommt da immer dieser Gedanke in den Hinterkopf, der im amerikanischen Diskurs sehr viel Raum einnimmt: starwing the Beast, also auf Deutsch das Untier aushungern. Das ist so ein bisschen so die Idee libertärer Geister in den Vereinigten Staaten. Die Idee geht so grob so: Na, wir geben dem Staat immer weniger Geld, dann werden staatliche Leistungen immer schlechter.

Und dann akzeptieren die Menschen immer weniger, dass sie Steuern zahlen, weil die staatlichen Leistungen ja so schlecht sind. Dann zahlen sie weniger Steuern und dann werden die Leistungen schlecht. Man kommt quasi in so eine Art Abwärtsspirale. Dafür stehen Musk und Milei nämlich auch. Und ich finde schon interessant, dass Christian Lindner, wenn auch vielleicht als Lapsus, diese beiden Figuren jetzt in den deutschen Diskurs einführt.

Philip BansePhilip Banse

Und es passt einfach auch in das deutsche Parteiensystem. Wenn wir jetzt sehen, dass immer mehr Parteien auftauchen und in den Bundestag wollen, ist es, finde ich auf eine Art nachvollziehbar, dass sie natürlich alle ihre Nische suchen müssen. Die müssen alle sichtbar sein, und das ist schon ein harter Anreiz, durchaus extreme Positionen zu besetzen, um sichtbar zu bleiben.

Weil du halt nicht mehr die zwei Volksparteien hast, die auch extreme Positionen in sich vereinen und dann eben SPD heißen und CDU, wenn es die halt nicht mehr gibt und all diese Interessen und Ideen in eigenen Parteien aufgehoben sein müssen, dann sind diese Parteien im Zweifel eben doch extremer. Sehen wir bei AfD, BSW und vielleicht auch FDP. Aber die FDP hat ja in dieser Woche noch mehr Stress gehabt als das Zitat und die Äußerung von Christian Lindner bei Caren Miosga.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, denn vor ein paar Tagen kamen neue Recherchen dazu raus, wie genau die FDP den Exit aus der Ampel geplant hatte. Und da müssen wir ganz ehrlich sagen, da fanden wir, da war die öffentliche Diskussion in Deutschland einen Tick zu aufgeregt. Da hatten die Leute aus unserer Sicht so ein bisschen viel Puls. Philip Wieso?

Philip BansePhilip Banse

Es gab ja vor ein paar Tagen diese neuen Recherchen, die dazu rauskam, wie die FDP den Exit aus der Ampel geplant hat. Da ist vielen der Hut hochgegangen. Wie können die das machen? Wie können die das planen? Und da hieß es immer: Ja, die SPD hat ja nur Szenarien durchgespielt, aber die FDP hat es geplant. Und da würde ich sagen, das ist ihr gutes Recht. Die FDP, jede Partei kann aus einer Koalition aussteigen und sie kann das auch planen. Ja, wir hatten das natürlich auch

vorher berichtet. Nicht ganz, nicht so detailliert wie die anderen Medien wie SZ und andere, die es dafür aber auch erst nachher hatten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Es wusste so ziemlich jeder in der Berliner Politik Bubble, dass solche Pläne geschmiedet werden bei der FDP. Man wusste auch, dass sich die SPD darauf vorbereitet. Auch die Grünen hatten da sich überlegt, wie sie damit umgehen wollen. Also wir finden, dass die Planung des Ampelexit war in der Sache legitim. Zweiter Punkt, der ziemlich hochgejazzt wurde die Wortwahl.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. D-Day, offene Feldschlacht, also D-Day ist der Tag im Zweiten Weltkrieg, an dem die Alliierten in Frankreich gelandet sind, um Europa vom Faschismus zu befreien. Offene Feldschlacht ist natürlich auch ein militärischer Begriff.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und Olaf Scholz ist halt nicht Hitler. Mal ganz ehrlich, es ist maximal geschmacklos zu sagen, das Ende der Ampel ist der D-Day so unpassend.

Philip BansePhilip Banse

Unsympathisch. Aber ich würde sagen kein Skandal. So weit würde ich da nicht gehen. Der Punkt finde ich, an dem man die FDP und dieses Vorgehen kritisieren kann, ist ein anderer. Sie haben die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt in dieser Zeit und ich würde auch sagen getäuscht und vielleicht vielleicht auch belogen. Das ist der Punkt, finde ich dem man kritisieren muss.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ist aus unserer Sicht das eigentliche Problem. Denn die Planungen der FDP wurden ja nicht mit einem Big Bang, mit einer großen Recherche öffentlich, sondern in zwei Schritten. Zunächst mal gab es nur eine Recherche der Zeit und da wurde damals kritisiert, dass die FDP zum einen öffentlich beteuert habe, dass die Ampel weitergehen soll, während sie in Wirklichkeit das Ampelexit plante. Und zum Zweiten wurde eben diese Wortwahl kritisiert, D-Day, offene Feldschlacht.

Und dann kam aus der FDP zu beiden Punkten Dementis. Zum einen seien es keine Planungen gewesen, sondern nur Szenarien oder quasi Vorbereitungen von Reaktion auf Handeln der anderen. Und zweiter Punkt: Es sei auch nie von Feldschlacht und vor allem auch nicht von D-Day die Rede gewesen. Hören wir die Frage der Moderatorin von ntv und die Reaktion des damaligen FDP Generalsekretärs Bihan Djir-Sarai.

NTV-Moderatorin

Dieser Begriff wurde aber auch in FDP Kreisen benutzt, um sich aus der Koalition zu befreien.

Bijan Djir-Sarai

Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden. Das ist, das ist falsch. Und das, was medial unterstellt wird, ist eine Frechheit.

Philip BansePhilip Banse

Und ein paar Tage später, nach dieser Aussage kommen dann die nächsten Recherchen. Die internen Papiere aus der FDP sind offenbar bei der SZ und der Zeit gelandet. Die schicken dann Presseanfragen an die FDP und die FDP sagt, da können wir erst heute Abend was zu sagen und veröffentlicht dann eben gleichzeitig selber dieses angefragte Papier auf der eigenen Website, haben wir auch verlinkt und dann setzt eben ein Sturm der Entrüstung ein.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Denn aus diesem Papier, das die FDP dann auf Druck dieser beiden Presseanfragen selbst veröffentlicht hat, kann man erkennen, dass die Planung eben doch sehr konkret war. Das ist eben gerade nicht eine reaktive Planung, sondern im Gegenteil, es ist eher so eine Art Zeitplan dafür, wie man die Ampel vor die Wand fahren wollte. Und es fielen eben auch die Vokabeln D-Day und Feldschlacht.

Philip BansePhilip Banse

So, dann konnte die FDP Führung das natürlich nicht mehr abschreiten. Erst hieß es so ja, das ist halt ein Papier aus der Geschäftsstelle. Es haben irgendwelche Mitarbeiter formuliert, davon wussten ja nichts. Dann kam raus, dass dieses Papier formuliert wurde vom Bundesgeschäftsführer Reimann persönlich. Der hat sich dann mittlerweile, berichtet der Spiegel, nach Angaben von Teilnehmern bei der FDP Führung entschuldigt.

Er sagt aber, das Papier sei nicht der Masterplan der FDP gewesen, sondern wie er sagt, meine persönliche Vorbereitung für den Fall der Fälle, dass die FDP die Koalition verlassen würde. Damit war klar: Die Worte sind gefallen, die wurden innerhalb der FDP verwendet. Es war falsch, was jetzt Djir-Sarai gesagt hat. Das war komplett unwahr. Deswegen musste er gehen. Der Bundesgeschäftsführer Reimann musste auch gehen als Verfasser dieses Papiers.

Und jetzt ist die Frage, die im Raum steht: Kann es sein, dass der Bundesgeschäftsführer so ein Papier verfasst nicht zu irgendeinem Nebenaspekt, sondern zu diesem geplanten Ausstieg aus der Ampel? Und die FDP Führung, die gesamte Führung wusste davon nichts?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

So ist jedenfalls aktuell noch die Erklärungslage bei der FDP. Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn der Bundesgeschäftsführer so ein Papier schreibt, das ja auch zum Beispiel einzelnen Personen wie nicht zuletzt Christian Lindner bestimmte Rollen zuweist in diesem Ablauf, dann liegt das ja nicht einfach so auf der Festplatte.

Philip BansePhilip Banse

Vor allen Dingen nicht, wir könnten in zwei Jahren mal darüber nachdenken, sondern das Szenario war ja in den nächsten Tagen. Ja, und dass da der Vorsitzende vom Bundesgeschäftsführer nicht eingeweiht wurde, wie gesagt, Lindner ist ja bei Caren Miosga auch befragt worden, hat sie sehr energisch gemacht. Aber Lindner behauptet, er hat es halt nicht zur Kenntnis genommen und wusste davon so nichts.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nicht zur Kenntnis genommen. Natürlich auch wieder maximal spezifisches Dementi. Da kann man, selbst wenn man nachweisen könnte, eine Email ist an ihn gegangen, kann er dann immer noch sagen, ja hab ich aber nicht zur Kenntnis genommen. Also allein schon an der Wortwahl kann man erkennen, so wie soll ich sagen, so richtig vorneweg verteidigt er sich da nicht. Auf der anderen Seite aber muss man sagen, der Beweis des Gegenteils steht halt auch aus.

Niemand kann beweisen, dass Christian Lindner oder zum Beispiel auch Marco Buschmann, jetzt der neue Generalsekretär, dieses Papier tatsächlich kannten. Aber es die FDP sieht einfach gar nicht gut aus. Es gibt zum Beispiel auch innerparteilich ganz massive Kritik. Zwei Führungsfiguren mussten zurücktreten der Generalsekretär und der Bundesgeschäftsführer. Aber Christian Lindner ist noch mal davongekommen.

Sieht zwar nicht besonders gut, aus, sieht ziemlich gestresst und fertig aus in Fernsehbildern, aber er bleibt im Amt und Ex-Justizminister Marco Buschmann wird neuer Generalsekretär. Also ich sag mal so das System Lindner hat sich noch einmal gerettet.

Philip BansePhilip Banse

Stand heute. Na, mal sehen, wie es nach dem 23. Februar aussieht, nach der Bundestagswahl. Also dieses Beispiel verlief mal wieder nach einer Dramaturgie, wie sie doch bei sehr vielen politischen Skandalen zu beobachten ist. Nicht das zunächst kritisierte Verhalten ist so richtig das Kernproblem, über das die Leute dann stolpern und wo Karrieren beendet werden, sondern der Versuch, dieses Verhalten zu vertuschen.

Insbesondere dann, wenn bei diesem Vertuschungsversuch nicht die Wahrheit gesagt wird.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Hätte die FDP offen gesagt ja, wir haben ein Ampelexit geplant. Die Ampel war grottenschlecht für Deutschland. Wir müssen da raus. Und ja, die Vokabeln waren doof. D-Day, blöde Idee von unseren Prakti. Sorry, wenn das die Reaktion auf die erste Zeit Recherche gewesen wäre, hätte es vermutlich keinen solchen Skandal gegeben. Deswegen wäre aus unserer Sicht die Lehre, die man daraus ziehen kann, nicht zum Ersten Mal, Ganz im Gegenteil. Aber hier mal wieder: bleibt bei der Wahrheit!

Es wissen einfach immer zu viele Leute Bescheid. Irgendwer kennt immer einen, der was durchsticht. Und in diesem Fall ist ja interessant, dass die Durchstechereien offenbar Zeit und Süddeutsche quasi zeitgleich erreicht haben. Jedenfalls haben beide Redaktionen der FDP ja in den selben Minuten offenbar diese Presseanfragen geschickt, die dann zu der Veröffentlichung des Papiers führten. Es lässt sich halt einfach in aller Regel nicht unter der Decke halten.

Philip BansePhilip Banse

Wir waren ja in der letzten Woche bei Olaf Scholz, haben ein Interview gemacht und da gab es von euch natürlich viel Feedback und viel Fragen. Und da wollen wir jetzt noch mal ganz kurz darauf eingehen, weil auch die Frage kam und auch in der Redaktion hier bei uns im Team die Frage kam: Warum machen wir eigentlich so ein Interview? Was ist so die Erwartung an so ein Interview und wie wird das vorbereitet?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wir wollten diese Erwartung und unsere Überlegung auch mal so ein bisschen bei euch teilen, weil natürlich zu den Details dieses Interviews auch sehr viel Feedback von euch kam. Also es ist relativ unwahrscheinlich, dass zum Beispiel der Bundeskanzler oder auch ein Bundesminister in einem solchen Interview mit einem Podcast echte Breaking News raushaut. Ist schon mal vorgekommen.

Christian Lindners Angebot damals Tempolimit gegen Atomausstieg war es, glaube ich, kann man sagen, waren irgendwie News, aber im Grundsatz ist das eigentlich eher unwahrscheinlich.

Philip BansePhilip Banse

Und schon gar nicht Olaf Scholz, ein so kontrollierter Politiker. Dem passiert das nicht aus Versehen. Da kann man ja nie ausschließen, wenn man dann nachfragt, nachfragt, nachfragt und er dann irgendwann richtig genervt ist und dann mal sagt Ach, scheiß drauf, ich liefer doch Taurus. Aber es ist eher unwahrscheinlich. Das kann nicht die Erwartung sein. Dann können wir Fragen stellen, um Dinge mal zu verstehen. Und da würde ich denken schon

eher. Also da, das war schon meine Hoffnung, da reinzugehen. Und weil wir ja oft natürlich über ihn und seine Politik gesprochen haben und wir einfach Dinge nicht verstehen, wie er sie macht, warum er sie macht, dass wir die Chance kriegen, wirklich da mal nachzufragen. Zu sagen, wir würden es gern verstehen, bitte erklären Sie.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Da würde ich sagen, das hat, könnt ihr ja selber hören, letzte Folge 410. Aber da würde ich schon sagen, an einigen Stellen habe ich ihn tatsächlich besser verstanden. Also so quasi rational. Ich würde aber immer noch denken, der eigentliche Erkenntnisgewinn so eines ausführlichen Interviews ist immer noch: Wie tickt eigentlich dieser Mensch? Also was triggert den, was berührt den? Was sind so Momente wo er auch mal ein Stückchen emotionaler wird.

Philip BansePhilip Banse

So die informationelle Metaebene?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was ist das für einer? Und zum Beispiel das fand ich wirklich sehr angenehm. Ich meine, über Olaf Scholz gibt es ja nicht umsonst dieses Etwas, diese etwas spöttische Bezeichnung Scholzomat, weil er eben so sehr bürokratisch und sehr trocken rüberkommt. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe ihn persönlich völlig anders erlebt. Also er war so vom persönlichen Umgang, auch vor und nach dem Gespräch einfach total nett und lustig. Und es war so eine lockere Atmosphäre.

Philip BansePhilip Banse

Also ich finde es immer eine Frage der Erwartungshaltung, mit der man reingeht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Na ja, im Vergleich zum Scholzomaten war das Party.

Philip BansePhilip Banse

So würde ich das auch sagen. Also ich bin da wirklich mit sehr niedrigen Erwartungen reingegangen, muss ich ehrlich sagen. Ich dachte, wir kriegen na so ein vorgestanzten Satz nach dem anderen und uns schlafen die Füße ein und wir müssen immer da reingehen und es kommt trotzdem immer noch dasselbe. Das war zum Teil so, aber nicht die ganze Zeit.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber auch so die Emotion vor und nach, ich fand so, die Atmosphäre war wirklich, wirklich total einfach menschlich.

Philip BansePhilip Banse

Menschlich. Genau.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Richtig schön.

Philip BansePhilip Banse

Zum Modus: Natürlich auch die Frage, auch um das transparent zu machen. Natürlich wissen wir, wenn wir eine Stunde haben, haben wir eine Stunde und nicht anderthalb Stunden, vielleicht auch nur 45 Minuten, je nachdem, was auch immer dazwischen kommt. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie nutzen wir diese Zeit. Und die beiden Extreme sind: Wir können natürlich eine Stunde mit ihm über die Ukraine reden. Kein Problem. Themen genug Fragen, genug.

Dann reden wir aber nur über die Ukraine und über nichts anderes. Oder wir reden über 50 Themen gibt's auch von Kinderarmut über Wohnungsnot bis Klima, finden wir problemlos. Dann haben wir aber pro Thema nicht mal eine Minute und nichts, fast nichts verstanden. Man hat keine Möglichkeit nachzufragen. Deswegen muss man sonst Sweet Spot finden und nicht zu viel Themen, aber auch nicht zu wenig suchen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

So ein Kompromiss.

Philip BansePhilip Banse

So haben wir uns daran gerobbt, dass man für jedes Thema noch mal so zwei drei Nachfragen hat und dann aber eben auch weitergehen muss. Ich hätte natürlich noch ewig mit ihm über die Ukraine reden können, weil ich wirklich nicht verstehe. Aber du hast dann ja auch gesagt So, hier bitte gehen Sie weiter. Nächstes Thema.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich hab dann gesagt, das habt ihr ja auch gehört, das war eigentlich so ein bisschen quasi organisatorisch, aber habe das drin gelassen, weil das so ein bisschen, dass die die Atmosphäre in dem Raum auch so spürbar macht. Wir haben ihn ja auch gefragt. Also er kam schon eine Viertelstunde zu spät und ich habe dann halt gefragt: Hängen wir das hinten dran? Und dann wurde genickt Okay, wir hängen das dran. Damit war klar, wir können noch eine Nachfrage stellen, sonst hätten wir an einer Stelle

auch weniger. Aber das ist so ein bisschen das Ding. Wir hatten uns eine Reihe von von Themenkomplexen notiert und dann merkt man so ein bis maximal zwei Nachfragen gehen und dann muss man einfach weiter. Also wir sagen jetzt nicht, dass das immer perfekt gelungen ist, aber wir wollten einfach nur so ein bisschen Verständnis dafür wecken, warum wir nachfragen, aber auch nicht bis zum bitteren Ende.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und dann, dazu kommt ja auch noch, das kann man vielleicht auch noch offenlegen, dass dir besondere Themen am Herzen liegen und mir besondere Themen am Herzen liegen. Und das besprechen wir natürlich auch. Wie wichtig ist dir das Thema, wie wichtig ist dir das

Thema? Und deswegen kann jetzt auch nicht der eine einfach entscheiden: Kommen wir skippen jetzt Thema X oder Y, weil wir vorher drüber gesprochen haben und ich weiß, okay, das Thema ist jetzt Ulf schon wichtig oder auch mir wichtig, weiß Ulf. Das können wir nicht einfach streichen. Das vielleicht auch dazu. Inhaltlich ja. Also Ukraine hat man ja vielleicht auch gehört. Er hatte Gelegenheit, das zu erläutern. Mir erschließt sich das einfach nicht, wie er da denkt und warum er das macht.

Im Gegenteil. Hinterher beim Hören ist mir aufgefallen, dass er eigentlich sogar noch, würde ich sagen, einen kleinen Trick eingebaut hat, eine neue Hürde eingebaut hat, um der Ukraine zu helfen, indem er nämlich die Ukraine Hilfe an neue Schulden und die Reform der Schuldenbremse geknüpft hat.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das ist ja auch sein Statement aus dem Bundestag gewesen, das wir vor zwei, drei Wochen schon mal in der Lage diskutiert haben. Er will eben nicht soziale Investitionen oder soziale Ausgaben ausspielen gegen die Ukraine Hilfe. Dass die logische Konsequenz daraus ist aber, dass dann neues Geld in die Kasse muss für die Ukraine.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und das ist natürlich, was er immer sagen kann ja, wenn die Schuldenbremse haben, können wir der Ukraine auch nicht mehr helden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder gut, ich glaube, eine Reform, eine zwingende Ausnahme reicht ihm auch. Also das war ja dann letztlich der Casus Knacktus, wo er Lindner gefeuert hat, der letztlich der Auslöser des Ampelendes war ja, dass Lindner gesagt hat, nicht mal Ausnahme von der Schuldenbremse um die Ukraine zu finanzieren. Anyway, also ihr habt es vielleicht gehört, fanden wir beide nicht so wahnsinnig überzeugend, aber immerhin hat man mal Olaf Scholz im O-Ton gehört.

Philip BansePhilip Banse

Richtig und die Gelegenheit hatten, ihm wirklich nachzufragen und nachzufragen. Und dann kommt halt das, was kommt und dann erst mal nen Tick schlauer. Bei der Rente, fand ich, hätte man auch noch wieder nachfragen können. Aber mein Eindruck war, dass er wirklich ernsthaft daran zweifelt, was viele Wissenschaftler, was viele Institute mehrfach belegt haben, dass wir es mit einem massiven Rückgang an Arbeitskräften in Deutschland zu tun haben.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also da hat er im Grunde gesagt, dass die, dass er diese Prognosen nicht glaubt. Er hat gesagt, historisch gab es schon öfter mal diese Prognosen, sind alle nicht eingetreten. Wird auch diesmal gut gehen. Aber das ist natürlich das Prinzip Hoffnung.

Philip BansePhilip Banse

Wir haben es gesagt, dieser Beirat für das Wirtschaftsministerium sagt Netto, unterm Strich, nach Zuwanderung wird in den nächsten zehn Jahren jedes Jahr eine Stadt wie Bochum aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden mit 300 bis 400.000 Leuten. Und das ist natürlich ein massives Problem für die Sozialkassen und auch für die Rentenkasse. Und er schien mir das ein bisschen herunterzuspielen. Und das fand ich überraschend.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das Prinzip Hoffnung, also diese Prognosen gab es schon früher, ist damals nicht eingetreten, wird diesmal auch nicht eintreten. Schauen wir mal. Also ich fand ehrlich gesagt fast den Punkt Migration noch so am am spannendsten insofern, als er da am ehesten was gesagt hat, was aus meiner Sicht nicht zu erwarten war. Wir haben ihn ja kritisiert wegen dieses Spiegeltitels. Das ist kein O-Ton von ihm, das hat der Spiegel zugespitzt. Aber gut, nämlich wir müssten im großen Stil abschieben.

Und daraufhin haben wir gesagt, das sei ein großes Problem, dass er sich so zitieren lässt, dass er im Spiegel ein Interview gibt mit diesem Spin, weil eben die politikwissenschaftliche Forschung immer wieder sagt, wenn man quasi rechtsextreme Erklärungsmuster, die ganzen Geflüchteten sind an allem schuld. Wenn man die so bestärkt, in dem man rechtsextreme Forderungen teilweise übernimmt, dann stärkt man eben auch rechtsextreme Parteien. Und das hat er ja richtig vom Tisch gewischt.

Philip BansePhilip Banse

Ja, da hat er gesagt, diese politische Forschung, mit denen würde ich mich auch mal gerne zusammensetzen. Das halte ich für falsch. Das glaube ich nicht. Punkt. Da hätten wir reingehen können.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Da hat er tatsächlich so ein bisschen abgelenkt. Ja, ich glaube ehrlich gesagt, dass man das wahrscheinlich sogar hätte auflösen können, wenn ich glaube, er wollte damit sagen, dass es sich bei den bei den zu geringen Zahlen der Abschiebung tatsächlich um ein Problem handelt, das die Leute umtreibt. Und er meint halt einfach: Wenn das die Leute umtreibt, dann muss die Politik darauf reagieren.

Da würden aber, glaube ich, die Politikwissenschaftlerin sagen: Die Leute denken ja, dass das ein Problem sei, weil du es sagt, weil es erst die Rechten sagen und weil du es dann auch noch als Problem akzeptierst, wird diese Problemanalyse immer mehr bestärkt, anstatt quasi ein eigenes Narrativ dagegen zu setzen, zum Beispiel bessere Integration.

Philip BansePhilip Banse

Wie gesagt, das ist wieder so ein Beispiel dafür, hätten wir nachhaken können, hätten wir nachfragen können. Müssen Sie das so und so? Aber wie gesagt, wir haben halt nicht unendlich Zeit.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und sein Kurswechsel war schon spannend.

Philip BansePhilip Banse

Das war schon spannend. Abschiebungen waren dann kein Thema mehr. Es ging dann am Ende einfach um bessere Integration.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Im Grunde hat er damit ja in unserem Interview genau das gemacht, was die politikwissenschaftliche Kritik an seiner bisherigen Politik war nämlich nicht mehr von Abschiebung geredet, sondern gesagt wir müssen besser integrieren und hat dann mit der erleichterten Einbürgerung und so genau ja Maßnahmen genannt für bessere Integration. Da musste ich dann so ein bisschen schmunzeln,

ehrlich gesagt. Einerseits will er sich mit ihnen streiten, andererseits sagt er bei uns im Interview, dass was die, sagen wir mal, in den Mund gelegt hätten. Ist ja auch ganz spannend.

Philip BansePhilip Banse

Kam natürlich die Frage auch von euch: Gibt es weitere Interviews mit Spitzenkandidaten? Also es ist immer gerade bei Politikern und Politikerinnen sehr, sehr schwer, über Interviews zu reden, weil die wirklich erst dann stattfinden, wenn man da sitzt und auf Record drückt. Man ist einfach bis auf Weiteres nur ein blöder Eintrag in dem

Kalender. Und wenn ein anderer Eintrag in diesem Kalender auftaucht, der irgendwie wichtiger ist, ja, dann fliegt man halt raus, dann wird man angerufen, gesagt sorry, fällt leider aus, Bundeskanzler muss bla. Wir melden uns. Deswegen reden wir nicht darüber, bevor wir wirklich nicht die Aufnahmen im Kasten haben. So viel können wir aber sagen: Robert Habeck haben wir angefragt. Wir reden jetzt über Terminfindung, also die grundsätzliche Bereitschaft, dann da zu sein.

Ich denke mal, das sollte auch klappen, vielleicht sogar noch vor Weihnachten. Das ist so ein bisschen aktuell der Stand. Friedrich Merz, sein Team haben wir natürlich auch angefragt, ganz klar. Der Sprecher schreibt uns: "Leider muss ich Ihnen absagen für den Podcast. Aufgrund des verkürzten Wahlkampfs werden wir das Interview terminlich nicht mehr unterbringen können." Zur Erinnerung: Die Wahlen sind am 23. Februar nächsten Jahres. Das sind noch knapp zweieinhalb

Monate. Wir haben auch geschrieben, wir kommen an jeden Ort in Deutschland gefahren, um das Interview zu machen. Mein Gefühl ist, ein bisschen Zeit wäre noch. Wir wollen ja auch nicht 20 Stunden reden, sondern eine würde uns ja schon reichen. Und wir haben uns gefragt, ob vielleicht in der Union nicht allen klar ist, wie groß das Interesse an so einem Interview mit Friedrich Merz auch ist.

Also wir haben Scholz, wir haben Habeck und natürlich interessieren sich Leute, ihr für ein Interview mit Friedrich Merz.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Vielleicht ist das in der CDU einfach noch nicht so bekannt, wie sehr ihr euch das interessiert. Vielleicht könnte ihr das die ja mal wissen lassen.

Philip BansePhilip Banse

Genau auf Twitter sind die ja zu erreichen. Wenn ihr sagt, per Mail oder so. Mensch, redet doch mal mit der Lage. Das würde uns wirklich interessieren. Vielleicht gibt es da ja noch so eine Mail wegen großer Nachfrage. Jetzt doch im Angebot. Würde uns natürlich freuen. Also die Einladung steht. Wir wollen unbedingt mit Friedrich Merz reden, gar keine Frage. Wir fahren auch ins Sauerland.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Kleine Homestory. Warum nicht?

Philip BansePhilip Banse

Warum nicht? Wäre schade, wenn das das letzte Wort wäre.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wir hatten euch ja mal gefragt, warum ihr eigentlich ein Plus Abo habt, wenn ihr eins habt. Und da haben uns ehrlich gesagt sehr gefreut, denn es kamen viele, viele Sprachnachrichten, wie zum Beispiel diese hier.

Tim

Hallo Lage Team. Mein Name ist Tim. Ich hör schon seit Jahren die Lage und bin vor ungefähr anderthalb Jahren dann Plus Abonnent geworden. Schlicht und ergreifend, weil eure Arbeit schon immer sehr sehr gut ist, ihr ausführlich recherchiert und wenn es mal Fehler gab, sie immer direkt in der Lage danach korrigiert wurden. Und für mich als jemand der im EU Ausland wohnt, ist einfach eine super Quelle um sich über deutsche Politik zu informieren. Ja, vielen Dank für eure Arbeit.

Top Journalismus, mach weiter so!

Philip BansePhilip Banse

Ja und das ist natürlich wirklich einfach total schön und motivierend und toll, euch da wirklich mal zu hören. Wir wissen das natürlich auch aus Mails usw, was euch die Lage so bedeutet. Aber das dann persönlich von euch in diesen Sprachnachrichten auf verschiedene Arten und in verschiedenen Geschmacksrichtungen nochmal dargeboten zu bekommen, ist toll, ist einfach schön motiviert, wahnsinnig.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ganz herzlichen Dank an alle, die uns einen Ton geschickt haben. Und wenn ihr uns unterstützen wollt, wenn ihr das vielleicht sogar überzeugend fandet, was wir da gerade gehört haben, dann ist Plus.LagederNation.org die Seite eures Vertrauens.

Philip BansePhilip Banse

Syrien. Ein Land, das jahrelang in den Schlagzeilen war. Kein Tag verging, an dem nicht berichtet wurde über den Bürgerkrieg in Syrien, über unglaubliche Massaker, die vom Regime Assad verübt wurden mithilfe der Russen. Menschen mussten fliehen in die Türkei, nach Europa, nach Deutschland. Und dann war ganz lange Ruhe. Auf einmal war Syrien aus den Schlagzeilen verschwunden. Alle hatten den Eindruck: Wow, das hat sich so ein bisschen erledigt, da ist jetzt Frieden.

Und dann hören wir dieser Tage - Überraschung - Rebellen versammeln sich und marschieren, stürmen geradezu aus ihrer Hochburg im Nordwesten Syriens Richtung Süden, nehmen Aleppo ein ohne Widerstand. Die Truppen des Regimes Assad fliehen einfach aus ihren Hochburgen und Syrien scheint quasi in einer völlig neuen Situation. Ja, dieses jahrzehntealte Regime Assad scheint vor dem Ende zu stehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und dazu haben wir uns verabredet mit Bente Scheller. Sie leitet das Referat Nahost und Nordafrika bei der Heinrich Böll Stiftung in Berlin, befasst sich seit über 20 Jahren mit Syrien, hat auch mal bei der Deutschen Botschaft in Damaskus gearbeitet, 2013 ein Buch geschrieben über syrische Außenpolitik," The Wisdom of Syrias Waiting Game" heißt das ganz. Herzlich Willkommen in der Lage der Nation, Frau Scheller.

Bente Scheller

Guten Tag.

Philip BansePhilip Banse

Frau Scheller. Bevor wir uns jetzt mit dem aktuellen Vormarsch der aktuellen Offensive beschäftigen, müssen Sie uns ganz kurz mal erklären, warum wir so viele Jahre jetzt von Syrien in den Medien eigentlich nichts mehr gehört haben. Nachdem es ja Bürgerkrieg gab lange und viele Leute geflüchtet sind, haben wir dann wirklich über Jahre jetzt nichts mehr aus Syrien gehört. Warum?

Bente Scheller

Das liegt daran, dass andere Konflikte die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben und Syrien so ein bisschen aus den Überschriften verdrängt haben. Das hat für uns vielleicht auch gewirkt, als sei es ein eingefrorener Konflikt. Aber für diejenigen in Syrien hat sich das ganz anders dargestellt. Da waren es hohe Todeszahl, die weiterhin durch den Konflikt an sich oder durch die Auswirkungen des Konfliktes waren. Also 22 bis 30 Menschen sind da auch zum Teil täglich weiterhin umgekommen.

Deswegen ist es eine Fehlwahrnehmung, dass dort nichts passiert wäre. Wir haben es nur nicht mehr so mitgeschnitten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und nun befindet sich ja in Syrien die sogenannte HTS Miliz in der Offensive. Sie hat die Stadt Aleppo eingenommen. Mit wem haben wir es da zu tun?

Bente Scheller

HTS ist die Rebellenkraft, die in den letzten Jahren schon die letzte von Rebellen gehaltene Provinz Idlib im Nordwesten beherrscht hat. Das ist eine Miliz, die hervorgegangen ist aus Nusra. Das ist eine Form von Al Qaida gewesen. Seitdem hat HTS aber einen recht langen Weg zurückgelegt. Die haben sich sehr stark entwickelt und sind sehr viel pragmatischer und weniger ideologisch geworden. Das heißt, was völlig weggefallen ist, ist die Agenda, die über Syrien hinausreicht.

Sie sind sehr nationalistisch. All ihre Ziele beschränken sich auf Syrien und darüber, dass sie eben in dieser Regierungsverantwortung im Prinzip in Idlib waren, haben sie gelernt. Man muss verwalten, man muss Kompromisse machen, man muss pragmatisch sein und insbesondere auch, damit die Wirtschaft floriert. Es ist ganz wichtig, ideologische Fragen in den Hintergrund zu rücken. Also deswegen hat HTS hier eine wahre Genese hingelegt.

Das sehen wir auch daran, dass sie jetzt auch klüger aufgetreten sind, zum Beispiel Minderheiten Zusicherungen gemacht haben, dass sie nichts zu fürchten haben durch die HTS und die mit ihnen Verbündeten. Und das sind ja auch Absicherungen, die sie an Nachbarstaaten geschickt haben.

Philip BansePhilip Banse

Das müssen Sie noch mal ein bisschen spezifizieren. Sie sagen, diese Truppe ist aus einem Al Qaida Ableger hervorgegangen. Ich glaube, der Anführer war auch mal dem Islamischen Staat zugeneigt. Nun, sagen Sie, sind, ist es eine pragmatische Truppe geworden, die in Idlib auch so eine Art Regierung Pseudo Staat etabliert hat. Gleichzeitig treten diese Leute ja nicht für einen demokratisch freiheitlich orientierten Rechtsstaat in Syrien

ein. Das müssen Sie noch mal erklären, was die Ziele und die Vorstellungen dieser Truppe sind.

Bente Scheller

Es gibt hier mehrere Zielvorstellungen. Das eine ist konkret Gebiete zu befreien von der Herrschaft Assads. Dafür sind sie angetreten. Und jetzt in der jetzigen Offensive, da ging es auch um Gebiete. Viele der Kämpfer kommen aus Aleppo oder der Umgebung. Das waren dann sozusagen Binnenvertriebene. Die wollten auch zurückkehren an ihre Orte. Aber ich denke, insgesamt hat HTS schon auf der Agenda auch einen Sturz des Regimes. Freiheitlich demokratisch sind sie in der Tat nicht organisiert.

Das ist eine autoritäre Herrschaft, die sie in Idlib geführt haben. Dort sind Menschen in Gefängnissen verschwunden, dort wurde gefoltert und wird gefoltert. Also es ist kein angenehmes Leben mit HTS und es ist sehr autoritär organisiert. Aber für viele Syrerinnen muss man trotzdem sagen, HTS erscheint als das kleinere Übel im Vergleich zu Assad, weil die Brutalität von beiden durchaus unterschiedlich ist.

Da übertrifft das Regime einfach jede Miliz noch in einem solchen Ausmaß, dass viele bereit waren, sich damit abzufinden, dass jetzt auch wir durchaus Zeichen das Willkommen heißen in Aleppo sehen. Insofern sehe ich da schon Unterschiede. Wir sollten auch nicht vergessen, in den HTS kontrollierten Gebieten hat es die ganze Zeit auch massive Proteste gegeben. Da ist die Bevölkerung aufgestanden. Sowohl gegen Assad haben sie demonstriert als auch gegen HTS.

Und von denen haben viele dann auch gesagt, wir sind nicht hier als Binnenvertriebene gelandet durch unseren politischen Aktivismus, weil wir uns gegen Assad zur Wehr gesetzt haben, um dann unter einer weiteren autoritären Herrschaft der Islamisten zu landen. Also der Protestgeist in der Provinz ist nie abgerissen. Damit musste HTS die letzten Jahre umgehen. Und ich glaube, das hat durchaus dazu geführt, dass sie sich auch gewandelt haben und pragmatischer geworden sind.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, Sie haben das Stichwort Regime oder Assad jetzt schon mehrfach erwähnt. Mit wem haben wir es denn da quasi bei der völkerrechtlich anerkannten syrischen Regierung zu tun?

Bente Scheller

Das ist ein Regime, das sich über die letzten Jahre nur deswegen an der Macht überhaupt hat behaupten können, weil es so massive internationale Unterstützung hatte. Ganz wesentlich war da für Russland auf zweierlei Arten. Im UN Sicherheitsrat hat Russland stets die schützende Hand über das Assad Regime gehalten. Aber viel wichtiger was den Krieg betraf, war die russische Luftwaffe, die seit 2015 in Syrien aktiv war und bei Bombardierungen immer mitgeholfen hat oder sogar die Federführung hatte.

Am Boden waren verschiedenste Truppen, ganz viele ausländische Kämpfer auf Seiten des Regimes unterwegs. Das waren im Wesentlichen durch Iran unterstützte Milizen hier an vorderster Front die Hisbollah. Ohne diese externen Kräfte hätte Assad sich so nicht behaupten können. Und das finde ich recht wichtig zu verstehen. Gerade auch, wenn wir uns angucken, in welcher Situation er sich jetzt befindet.

Diese militärische Defensive, in der er jetzt eigentlich ist, das liegt daran, dass dieser ausländische Part im Moment etwas wegfällt. Also es ist ein Regime, das sich mit aller Macht an der Macht zu halten versucht, koste es, was es wolle. Dass dafür die Hälfte der eigenen Bevölkerung vertrieben hat und auch Hunderttausende in seinen Gefängnissen hat verschwinden lassen, von denen bis heute eben auch jede Spur fehlt.

Philip BansePhilip Banse

Jetzt sind ja alle wahnsinnig überrascht gewesen, dass diese Miliz sich aus Idlib aufgemacht hat. Warum?

Bente Scheller

Einerseits, weil wir dachten, so wie der Konflikt ist, so hat er sich auch erst mal sozusagen arrangiert. Es wird sich an den Frontlinien nicht mehr viel verändern. War, glaube ich, für uns alle eine starke Annahme. Allerdings ist es so, dass wir die Vorbereitung dieser Offensive schon lange gesehen haben. Also die Rebellen haben schon lange trainiert. Es war auch klar ein Teil der Proteste in Idlib und in der Provinz Nord Aleppo, in der sie eben aktiv

waren. Da hat sich ein Teil der Proteste auch dafür eingesetzt, jetzt endlich einen anderen Weg zu finden, die Rechte derer, die dort sind, zu verteidigen. Also in Idlib und in Nord Aleppo sitzen etwa 5 Millionen Menschen und die Hälfte davon sind Geflüchtete aus anderen Landesteilen. Und da kam eben in letzter Zeit auch viel häufiger die Frage auf: Warum werden denn hier so viele Menschen trainiert?

Warum tragen so viele Leute Waffen, wenn es nicht darum geht, auch für eine Veränderung der Frontlinien zu sorgen und damit auch für Rückkehr von Binnengeflüchteten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Welche Rolle spielen denn jetzt noch weitere Länder in der Region? Also denken wir zum Beispiel an den Iran oder denken wir an den Libanon, wo ja jetzt gerade die Hisbollah eine mehr oder weniger Niederlage im Konflikt mit Israel erlitten hat.

Bente Scheller

Das ist für die HTS und seine Verbündeten ein absolut günstiger Moment gewesen. So günstig standen die Zeichen eigentlich nie. Eben weil die ausländische Unterstützung für Assad so wichtig ist. Russland derweil aber ist sehr stark in der Ukraine gebunden. Die Ukraine ist für Russland auch sehr viel wichtiger als Syrien. Für den Iran ist die Situation auch prekär, weil er sich in einem Konflikt mit Israel befindet.

Diesen hat der Iran wesentlich über die Hisbollah im Libanon immer ausgeübt und die Hisbollah ist aber ja in den letzten Monaten sehr stark getroffen worden. Es ist Israel gelungen, die gesamte Führungselite der Hisbollah auszulöschen. Das ist wirklich für die Hisbollah ganz entscheidend. Sie ist sehr stark geschwächt und deswegen mit sich selbst beschäftigt und auch nicht in der Lage, jetzt für Assad das zu gewährleisten, was sie zuvor konnte.

Ich nehme auch an, dass es sich jeder jetzt vielleicht zweimal überlegen wird, in Syrien aktiver für Assad zu werden auf einem iranischen Ticket. Denn über die letzten zehn Jahre hat Israel immer wieder Luftangriffe geflogen. Also es sind Hunderte von Luftangriffen, die Israel in Syrien geflogen hat, um Hisbollah zu treffen, um iranische Truppen zu treffen. Und deswegen ist auch dort klar wenn Israel es möchte, kann es dort jeden treffen.

Und deswegen ist es vielleicht auch nicht so populär für den Iran, jetzt weitere hochrangige Führungskader abzuordnen.

Philip BansePhilip Banse

Also ich fasse mal zusammen, wir haben es da mit einer autoritären, islamistischen, aber doch irgendwie pragmatischen aufständischen Truppe zu tun, die zwar brutal und autoritär ist, aber bei der Bevölkerung doch oft als das kleinere Übel im Vergleich zum Assad Regime gesehen wird. Gleichzeitig bröckelt die ausländische Unterstützung für das Assad Regime aus Russland und aus dem Iran.

Und dann drängt sich natürlich die Frage auf, wie gefährlich ist denn jetzt diese aufständischen Truppe HTS für das Regime von Assad?

Bente Scheller

Ich denke, sie setzen es schon massiv unter Druck. Das Regime hat jahrelang gebraucht, um auch nur den Ostteil der Stadt von den Rebellen zurückzuerobern. Das war ja im Dezember 2016 gelungen. Aber es war ein wirklich mühsamer Kampf. Und jetzt zu sehen, wie eigentlich innerhalb weniger Stunden die Rebellen die ehemals größte Stadt Syriens, wieder einnehmen und quasi kampflos. Da war ja wirklich ein Charakteristikum, dass das Regime sich eigentlich bereits zurückgezogen hatte.

Also das ist schon etwas, was Assads Ansehen massiv schadet, wo eben auch andere sich fragen, wenn das Regime für sie nicht einsteht. Und wenn es so klar ist, es gibt kampflos ganze Gebiete, auf die ihm vorher sehr wichtig waren. Da fürchten sicherlich auch viele darum, inwieweit das Regime ihre Sicherheit noch gewährleisten wird. Deswegen denke ich von dieser Seite aus ist HTS oder dieser Vormarsch vielleicht gefährlicher für das Regime als tatsächlich durch seine militärische Schlagkraft.

All die Orte, in die es bislang gekommen ist, da gab es kaum Auseinandersetzungen. Deswegen können wir eigentlich die wahre militärische Stärke gar nicht ermessen. Und es könnte durchaus sein, dass sie dort, wenn sie zum Beispiel Homs vorrücken würden und dort eben massiveren Widerstand träfen. Oder gerade auch bei Damaskus, das Assad sicherlich verteidigen wird, dass es da dann vom Kräfteverhältnis ganz anders aussehen würde.

Aber dass das Regime in seinen Grundfesten erschüttert ist, was das Vertrauen betrifft, dass es Landesteile halten und absichern kann, das könnte im sehr viel gefährlicher werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber was bedeutet denn jetzt der Vormarsch der HTS Miliz für den Schutz der Menschenrechte in Syrien oder generell für die menschenrechtliche Lage in Syrien? Können Sie das einschätzen? Wird es sich entspannen?

Bente Scheller

Das wäre die Hoffnung. Darauf setzen können wir natürlich nicht. Davor fürchten sich auch ganz viele Syrer:innen, die denken vielleicht hat HTS jetzt nur Kreide gefressen, möchte international sein Ansehen eben polieren. Aber de facto wird es vielleicht anders aussehen. Ich sehe im Moment eine Reihe von Bemühungen von hatte es dem entgegenzuwirken.

Diese Versicherungen habe ich ja schon erwähnt, aber es ist wohl auch so, dass HTS eine Hotline eingerichtet hat, bei der man Menschenrechtsverbrechen anzeigen kann. Wir werden sehen, wie ernst es zu nehmen ist. Wünschenswert wäre es aber auf jeden Fall. Denn die Menschenrechtsverletzungen in Gesamt-Syrien sind so enorm, dass jeder sich wünscht, dass es jetzt weniger Verfolgung gibt, weniger Folter, weniger Verschwindenlassen.

Das ist wirklich in Syrien in einem Ausmaß geschehen, das man sich kaum vorstellen kann.

Philip BansePhilip Banse

Und das böte dann auch die Chance, dass geflüchtete Syrer und Syrerinnen dann zurückkehren. Gibt es da schon Anzeichen?

Bente Scheller

Ich glaube, dass es viele gibt, die innerhalb Syriens jetzt an ihre Orte zurückkehren oder an das, was davon noch steht. Wie sicher es sein wird, das wissen wir nicht. Denn was auch in den letzten Tagen geschehen ist, ist, dass das Regime zwar den Vormarsch der Rebellen nicht ernsthaft versucht hat aufzuhalten. Es hat aber auch diese Zeit genutzt, um im Prinzip im Hinterland zu bombardieren.

Also in Idlib wurden ja, während eigentlich Aleppo eingenommen wurde, Ziele bombardiert, sowohl durch die syrische Luftwaffe als auch durch die russische Luftwaffe. Das erweckt den Eindruck von Rache, die hier genommen wird an Orten, von denen besonders viele Kämpfer gekommen sind. Also Sicherheit herrscht in diesen Gebieten nicht. Dass es nicht nur die Verunsicherung darüber, wie HTS mit Menschenrechten umgehen wird, sondern es sind eben auch Angriffe, die weiterhin zu fürchten sind.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also mit anderen Worten Rückkehr nach Syrien. Für Geflüchtete, die sich schon in Mitteleuropa befinden, ist er nicht auf der Tagesordnung. Wie sieht es denn andersherum aus? Droht aus Ihrer Perspektive eine neue Fluchtbewegung aus Syrien nach Mitteleuropa? Immerhin ist Syrien ja eines der wichtigsten Herkunftsländer für geflüchtete Menschen in Deutschland zum Beispiel.

Bente Scheller

Der Weg der meisten, die aus Syrien nach Europa gekommen sind, hat durch die Türkei geführt. Und die Türkei hat ein absolutes Interesse daran, dass keine weiteren Geflüchteten aus Syrien in die Türkei kommen. Deswegen nehme ich an, aus Eigeninteresse schon werden sie das einhegen. Aber diese Bewegung sehe ich im Moment auch noch gar nicht, sondern sehr viel interne Vertreibung und Flucht, wie wir ja auch vorher schon gesehen haben.

Also neben den etwa fünfeinhalb Millionen syrischen Geflüchteten außerhalb der syrischen Landesgrenzen gibt es ja auch etwa 6 Millionen Geflüchtete innerhalb der syrischen Landesgrenzen. Und diese Bewegungen sind ja deutlich leichter. Da braucht man keine Grenze zu überschreiten. Und das Leid aber wird trotzdem natürlich groß. Gerade weil viele ja bereits mehrfach vertrieben worden sind und sowieso schon sehr wenig haben.

Weil auch 90 % der Bevölkerung bereits im letzten Jahr unter der Armutsgrenze gelebt haben, könnte die humanitäre Situation in Syrien sich dramatisch verschlechtern.

Philip BansePhilip Banse

Kann man das so deuten, dass es hier einen Anlass für vorsichtigen Optimismus gibt in Syrien?

Bente Scheller

Das ist das, was aus ganz vielen syrischen Kreisen gespiegelt bekommen, wirklich einen Hoffnungsschimmer. Viele haben gleichzeitig Angst, aber ich denke, sie sehen zumindest, es besteht die Möglichkeit, dass sich etwas verbessert. Ich glaube aber, dass politisch auch noch mal die Karten neu gemischt werden. Seit 2012 hat Assad sich nicht mehr so sehr in der Defensive gesehen. Und das hat ja auch alle Verhandlungsversuche in die Irre laufen lassen.

Es gibt ja eigentlich einen UN geführten Verhandlungsprozess, in dem eine Machtübergabe des Regimes an eine für alle Syrer in entstehende Regierung geplant ist. Das ist die UN Resolution 22 54, im Rahmen derer das eigentlich verhandelt werden sollte. Nur hat Assad, solange er sich auf dem Siegespfad sah, nie die Notwendigkeit gesehen, tatsächlich zu verhandeln.

Für ihn haben die Verhandlungen immer nur als schöner Schein gedient und er hat derweil aber mit aller Härte und Kriegsführung seine Ziele weiter verfolgt. Möglicherweise sieht er sich jetzt in einer Position, in der das nicht mehr funktioniert.

Deswegen sollten wir auch noch mal hingucken, ob nicht wieder dieser Genfer Prozess wiederbelebt werden könnte und ob nicht vielleicht doch eine geordnete Machtübergabe stattfinden könnte an eine vielleicht dann repräsentativere Regierung, als jetzt durch einen weiteren Vormarsch der HTS kommen könnte.

Philip BansePhilip Banse

Das war Bente Scheller. Sie leitet das Referat Nahost und Nordafrika bei der Grünen nahen Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Frau Scheller, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit.

Bente Scheller

Sehr gerne.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das Schwarze Meer hat ja große geopolitische Bedeutung. Also in den Schlagzeilen war es in den letzten Jahren vor allem deswegen, weil die Ukraine natürlich Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres ist, weil auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine teilweise auf dem Schwarzen Meer sich zuträgt, weil die Krim ja umgeben ist, zum Beispiel vom Schwarzen Meer. Aber dieses Binnenmeer hat auch große Bedeutung für andere Anrainerstaaten, zum Beispiel für Russland.

Philip BansePhilip Banse

Richtig, also Russland nicht zuletzt, glaube ich, greift auch die Ukraine an, um eben einen besseren Zugang zum Schwarzen Meer zu bekommen. Denn das Schwarze Meer sichert Russland einen schnellen Zugang zum Mittelmeer, zum Nahen Osten, nach Nordafrika, nach Südeuropa und eben auch zu weit entfernten Staaten, in denen es, Russland, militärisch aktiv ist, etwa nach Syrien, siehe oben oder auch

Libyen. Und es kann über das Schwarze Meer eben auch direkt Handel treiben mit Staaten, die Russland nicht sanktionieren, also die sich nicht an den Sanktionen zum Beispiel der EU beteiligen. Da muss es dann nicht durch irgendwelche EU Staaten seine Waren liefern und ausliefern, sondern kann das eben direkt in die Staaten tun über das Schwarze Meer. Und außerdem ist das Schwarze Meer oder bietet das Schwarze Meer für Russland im Winter eisfrei Häfen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

An der Nordküste Russlands.

Philip BansePhilip Banse

Anders als Murmansk zum Beispiel oder Sankt Petersburg oder Wladiwostok oder so, die sind halt nicht immer alle permanent zugefroren, aber doch zu großen Teilen. Und garantiert eisfrei sind eben Häfen wie Sewastopol auf der Krim, wo ja seit über 200 Jahren schon die Schwarzmeerflotte, auch der, der der russischen Marine zu Hause ist. Also da sind die Interessen am Schwarzen Meer doch groß, aber dito. Ähnliches gilt für die Türkei.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, die Türkei zum Beispiel kontrolliert den Zugang zum Schwarzen Meer. Der ist allerdings auch geregelt durch internationale Verträge und ist das wichtigste NATO Land am Schwarzen Meer. Aber auch für die Europäische Union ist das Schwarze Meer durchaus relevant, insbesondere für die beiden Anrainerstaaten Rumänien und Bulgarien. Das ist also einfach ein zunehmend wichtiger Korridor für Waren und auch für Energietransporte zwischen Asien und Europa.

Eben vorbei an Russland und Iran, die man natürlich als westlicher Staat jetzt lieber nicht mehr passieren möchte. Doch Philip, wir haben es eben schon oben angedeutet: An den Ufern des Schwarzen Meeres nehmen einfach die Konflikte zu.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Also Ukraine offensichtlich. Russland hat die Krim besetzt, dann den Rest der Ukraine überfallen. Russland hat auch Teile von Georgien besetzt, unter anderem eben Abchasien, Teil der Schwarzmeerküste. Georgien liegt ja auch am Schwarzen Meer und auch und das macht es jetzt für uns noch ein bisschen brisanter. Deswegen nehmen wir das diese Woche mal hier rein und auch am NATO Ufer, so wie ich das mal sagen des Schwarzen Meeres, rumort es konkret bei Bulgarien und Rumänien.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, Natomitglied Bulgarien hat in drei Jahren nun schon sieben mal gewählt, aber dennoch keine stabile Regierung. Anfang des kommenden Jahres sollen wohl wiedergewählt werden und Auftrieb bekommen hat da innenpolitisch eine Partei, die die NATO gern verlassen möchte. Ich sage jetzt mal etwas platt Team Putin.

Philip BansePhilip Banse

Auch das NATO Mitglied Rumänien spürt diese Zentrifugalkräfte, die sich entwickelt haben, zwischen ich nenne es mal EU, Europa und russisch dominierter Einflusssphäre. Vor kurzem gab es die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Rumänien. Da dachten erst alle Ja, ist business as usual. Keine großen Überraschungen. Turns out. Die moderate Elena Lasconi bekam nur gut 19 %. Die FAZ bezeichnet sie als Gesicht der proeuropäischen Reformkräfte.

Aber für alle überraschend auf fast 23 % kam der Russlandfreund Kalin Giorgescu. Der kam, wie gesagt, auf knapp 23 %, gewann also diese erste Runde und ist nun in der Stichwahl, die an diesem Sonntag stattfinden soll. Und damit hatte nun niemand gerechnet. Keiner den Demoskopen völlig überraschend.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die Wahl landete auch vor dem Verfassungsgericht wegen Manipulationsvorwürfen. Das hat es zurückgewiesen, bestätigte das Ergebnis. Stichwahl nun also diesen Sonntag am 8. Dezember. Wer wird die Stichwahl gewinnen? Schwer zu sagen. William Totok, Journalist, geboren in Rumänien, schrieb in der taz:.

Philip BansePhilip Banse

"Eine Mischung aus christlich orthodoxen Fundamentalismus und archaischen Vorstellungen, wie sie im rumänischen Faschismus zwischen den Kriegen vorherrschend waren, feiert in diesen Tagen fröhliche Urstände. Die mächtige orthodoxe Kirche heizt diese Stimmung an, indem sie empfahl, Politiker zu wählen, die althergebrachte Werte vertreten und sich für die sogenannte traditionelle Familie einsetzen.

Das Ergebnis dieser Propaganda zeigte sich nun bei der Parlamentswahl und könnte am nächsten Sonntag dem rechtsnationalistischen Präsidentschaftsbewerber Carlino Ceausescu in der Stichwahl zum Sieg verhelfen.".

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und dieser Präsident ist einfach wichtig. Denn in Rumänien erteilt das Staatsoberhaupt den Auftrag zur Regierungsbildung. Und die ist natürlich entscheidend, aber eben auch sehr schwierig. Denn letzte Woche haben auch die Parlamentswahlen stattgefunden. Dabei haben zwar 70 % der Wählenden in Rumänien für proeuropäische Parteien gestimmt, aber immerhin 28 % stimmten für eine der drei extrem rechten und in der Tendenz antieuropäischen Parteien.

Das heißt, der prowestliche Kurs Rumäniens wurde zwar bestätigt, aber rund 30 % der Wähler haben antieuropäisch gewählt. Und das proeuropäische Lager, diese 70 %, ist sich wiederum auch nicht einig. Und nun gucken einige schon ins Nachbarland Bulgarien.

Philip BansePhilip Banse

Weil sie befürchten, dass Rumänien auch bulgarische Zustände bekommen könnte. Also laufend irgendwelche Wahlen, aber keine stabile Regierung. Und da kann ein Präsident, der jetzt in Rumänien am 8. Dezember, also nächsten Sonntag gewählt wird, schon sehr viel ordnen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder eben auch nicht.Genau. Und jetzt natürlich die Frage: Bedeutet das Ergebnis der Parlamentswahlen (70 % proeuropäisch) zugleich, dass Rumänien am Sonntag sich auch eine proeuropäische Präsidentin wählt und damit Putin eine Absage erteilt. Nicht automatisch warnt Georgi Gotthelf, Redakteur beim proeuropäischen Medienhaus EurActiv.

Philip BansePhilip Banse

Er schreibt, es wäre falsch, von der Verhältniswahl bei der Parlamentswahl zu extrapolieren. Auf eine Mehrheit für den für die Präsidentschaftswahl, also bei der Parlamentswahl, wird halt im Verhältniswahlrecht gewählt. Der Präsident wird halt mit Mehrheitswahlrecht gewählt, wer die meisten Stimmen bekommt, ist halt

Präsident. Und er sagt nur weil bei der Verhältniswahl bei der Parlamentswahl eben proeuropäische Teams eine Mehrheit bekommen haben, heißt das nicht, dass es auch bei der Präsidentschaftswahl der Fall sein wird. William Totok schreibt in der taz:.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

"Parlamentswahlen in Rumänien bestärken die allgemeine europäische Drift nach rechts. Die steigende Popularität ultrakonservativer, nationalistischer, völkischer und profaschistischer Weltbilder wurde dort sowohl bei den Parlamentswahlen am Sonntag sichtbar als auch in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen eine Woche zuvor.".

Philip BansePhilip Banse

Also diese Wahlen zeigen eben auch mal wieder proeuropäische Regierung sind auch in Rumänien keine Selbstverständlichkeit, wie eben auch in so vielen anderen Ländern der EU. Tschechien, Niederlande, Österreich, Ungarn, Polen hat noch mal eine Rolle rückwärts gemacht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber wie nachhaltig die ist? Also die PiS hat ja immer noch überall ihre Leute sitzen in den Medien, der Präsident ist nach wie vor ein PiS Mann, also ein nationalistisch, europaskeptischer Politiker, also...

Philip BansePhilip Banse

Italien, Meloni hat sich jetzt auf der europäischen Ebene noch relativ mainstreamig und konform verhalten. Das muss aber auch nicht immer so bleiben. Frankreich steht vor dem Platzen der Minderheitsregierung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also harte Zeiten für die europäische Idee. Und auch in Georgien ist nicht mehr sicher, dass sich proeuropäische Kräfte durchsetzen. Wir hatten das schon vor kurzem in der Lage der Nation ausführlich. Wir hatten es vor ein paar Monaten schon mal, sogar mit einem Interview mit einer Expertin vor Ort. Auch in dem Staat am Schwarzen Meer, Georgien, also am Ostende des Schwarzen Meeres gelegen, tobt der Kampf der europäischen Idee gegen Team Putin.

Philip BansePhilip Banse

Denn dort gehen seit einigen Tagen, glaube sechs, sieben sind jetzt, zehntausende Menschen jeden Tag auf die Straßen, auf den Rustarelli, auf dem Boulevard in Tiblisi. Der Grund ist: Im Oktober wurde ein neues Parlament gewählt. So weit, so gut. Die Partei Georgischer Traum hat über 50 % bekommen. Das ist eine Partei, die gegründet und geführt wird von einem Milliardär, der mit Russland sehr, sehr eng verbunden ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Gegen diese Wahlen allerdings gab es zahlreiche Vorwürfe: Stimmenkauf, Bedrohung von Wählenden usw. Vor der Wahl hat der georgische Traum versprochen: Wir wollen nach Europa.

Philip BansePhilip Banse

So wie es ja auch in der Verfassung steht, der georgischen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber hat alles getan, um das zu verhindern. Die EU fror aufgrund bestimmter Entscheidungen der Regierung des georgischen Traums vor der Wahl die Beitrittsverhandlungen ein. Wesentlich war da zum Beispiel so ein Anti NGO Gesetz, ein sogenanntes Agentengesetz nach russischem Vorbild. Nach der Wahl nun sagt der georgische Traum:.

Philip BansePhilip Banse

Ja, die Beitrittsverhandlungen mit der EU, die wollen wir eigentlich erst 2028 wieder aufnehmen. Also die haben sich, so sehen das viele dort die Maske vom Gesicht gerissen. Was viele schon ahnten, steht jetzt quasi für alle sichtbar im Raum. Sie wollen den Beitritt zur EU eigentlich wahrscheinlich auf den Sankt Nimmerleinstag

verschieben. Denn vor einer Woche teilte nun der georgische Ministerpräsident Irakli Kobachidse, dass Tiflis bis Ende 2028 keine Beitrittsverhandlungen mehr mit der EU führen werde.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber die georgische Verfassung, Philip hat es bereits angedeutet, sieht eigentlich einen Kurs der europäischen Integration vor. Die große Mehrheit der Menschen in Georgien will in die Europäische Union. Dementsprechend gibt es jetzt massive Proteste in Tiblisi. große Demonstration wieder Zehntausende von Menschen und vorneweg die vom Volk gewählte und weiter proeuropäische Präsidentin

Salome Surabischwili. Die ist quasi so die Führungsfigur dieser proeuropäischen, anti Georgischer Traum Proteste. Aber wie werden die ausgehen? Ich glaube, das kann heute niemand sagen.

Philip BansePhilip Banse

Nein, das kann niemand sagen. Da hat es ja schon diverse Vorbilder auch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gegeben. Das ging mal in die eine, mal in die andere Richtung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

In Belarus zum Beispiel haben wir heute de facto eine Diktatur. Die Proteste wurden niedergeschlagen.

Philip BansePhilip Banse

In der Ukraine ging es in die andere Richtung. Auf dem Maidan also das weiß man hier in Georgien nicht. Klar ist, die Polizei geht schon sehr brutal vor, gibt fiese Verletzungen, von denen Ärzte und Krankenhäuser berichten, es wird Tränengas eingesetzt, Schlagstöcke. Natürlich berichtet die Polizei auch von verletzten Sicherheitsbeamten und Beamtinnen. Also was klar scheint, ist, dass Georgien eigentlich auf eine Staatskrise zusteuert. Was heißt das?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Eine Situation, in der es einfach so für das Zusammenspiel der wichtigsten Staatsorgane und Institutionen keine Regeln mehr gibt? Zumindest keine, die alle auch wirklich anerkennen. Denn das Parlament hat in diesem Konflikt letztlich auch mit der Staatspräsidentin in den letzten Tagen massiv eskaliert.

Wie gesagt, das Parlament wurde gewählt, die Staatspräsidentin klagte auf Annullierung dieser Wahlen, und Verfassungsexperten in Georgien vertraten daraufhin der Auffassung, dass bis zur Entscheidung über die Annullierung der Wahl das Parlament auch seine Arbeit eigentlich nicht aufnehmen dürfe. Das hat es aber gleichwohl getan und sägt jetzt zugleich am Stuhl der Präsidentin.

Philip BansePhilip Banse

Ja, denn die Amtszeit der Präsidentin läuft aus, und das Parlament hat jetzt eine Präsidentenwahl anberaumt für den 14. Dezember, also in zehn Tagen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Mit anderen Worten: Praktisch keine Zeit für einen Wahlkampf.

Philip BansePhilip Banse

Außerdem, und das ist das Interessante, soll der Präsident, die Präsidentin anders als bisher gewählt werden. Bisher wurde der Präsident, die Präsidentin in Georgien direkt vom Volk gewählt. Nun soll sie oder er gewählt werden von einer Versammlung, die sich zusammensetzt aus dem Parlament und diversen Regionalvertretern.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also so ein bisschen grob vergleichbar mit der Bundesversammlung, die in Deutschland den Bundespräsidenten wählt. Aber Philip, geht das denn so einfach, wie die Präsidentin gewählt wird, da würde man annehmen, das steht auch in der georgischen Verfassung. Wie können die denn da mit einem anderen Wahlmodus festlegen?

Philip BansePhilip Banse

I don't know.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Muss man sich mal überlegen. Also das klingt schon sehr nach einem Staatsstreich des georgischen Präsidenten. Da sieht man einfach, wie sich das zuspitzt. Ein Parlament, das mit Betrug und Fälschung gewählt wurde, (wobei auch westliche Beobachter :innen sich nicht darauf festlegen wollten, dass das tatsächlich die Mehrheitsverhältnisse verschiebt), Man muss sagen, dass manipuliert wurde, klar, kann aber sein, dass der georgische Traum auch ohne die Manipulation knapp gewonnen hätte.

Philip BansePhilip Banse

Ja, und da gibt es auch ein Phänomen, das hat man sich auch gefragt wie kann das eigentlich sein, wenn das in der Verfassung steht und die Leute wollen alle in die EU, warum wählen die dann so eine Partei, die sich verhält wie der georgische Traum?

Und da kam halt von einigen Beobachtern auch das Argument: Na ja, da leben einfach wahnsinnig viele Leute auf dem Land so und die hängen halt häufig noch sehr traditionellen Vorstellungen an von Familie, vom Staat, von der Gesellschaft und haben den georgischen Traum vielleicht auch deshalb gewählt und haben geglaubt Na ja, Europa, das machen die ja, sagen sie.

Und das diese Überlegungen dominiert haben bei der Stimmabgabe und ihnen nicht so richtig klar war, wen sie sich da eigentlich ins Parlament wählen. So ein Erklärungsmuster, wie es denn zu diesem Wahlergebnis gekommen ist. Aber ich finde es ganz wichtig dein Hinweis: Ja, es wurde gefälscht. Es ist belegt. Wie groß das Ausmaß der Fälschung war, ist allerdings nicht klar.

Viele zweifeln wirklich daran, dass der georgische Traum keine Mehrheit bekommen hätte, wenn denn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Viele gehen davon aus, ja, sie hätten die Mehrheit bekommen, aber wahrscheinlich keine absolute Mehrheit. Das ist so ein bisschen die Lage.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wie reagiert jetzt die Europäische Union? Und da, finde ich, ist die ernüchternde Erkenntnis Philip, sie schaut weitgehend zu. Nur Staaten im Baltikum haben Sanktionen gegen führende georgische Regierungsvertreter verhängt, also nationale Sanktionen, keine gemeinsamen Sanktionen der Europäischen Union. Brüssel scheint im Wesentlichen mit der Regierungsbildung mit dem neuen "Kabinett" von Ursula von der Leyen beschäftigt zu sein. Aber scheint sich um die Situation in Georgien wenig zu kümmern.

Philip BansePhilip Banse

Und das ist so ein bisschen auch mit Perspektive auf Bulgarien, auf Rumänien, auf Georgien ein bisschen das Beunruhigende, dass da an den Rändern der EU und auch bei den Ländern, die in die EU streben, dieser Kampf läuft Wollen wir in die EU? Oder wollen wir uns an Russland annähern? Und die EU, Brüssel da, so wirkt das von außen, weitgehend untätig ist und das geschehen lässt. Und das finde ich ist fahrlässig.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, also mich lässt das auch frustriert zurück. Ich würde auch denken, die Europäische Union muss einfach schneller und bestimmter auftreten und eintreten. Es gibt da natürlich quasi auch EU verfassungsrechtliche Grenzen. Die europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist eben auch maßgeblich bestimmt vom Mehrheitsprinzip. Und da gibt es einfach Staaten, nicht zuletzt Ungarn natürlich, die da immer wieder bremsen und blockieren. Insofern ist das auch ein

schwieriges Feld. Aber ich glaube da sollte Ursula von der Leyen einfach einen Akzent drauf legen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, jetzt ist Georgien natürlich auch nicht Mitglied der EU, sondern es gab da mal bei Beitrittsgespräche und so und EurActiv das oben schon erwähnte proeuropäische Medienportal schreibt:.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

"Leider könnte nicht einmal ein Wunder Georgien wieder auf den Weg zum EU Beitritt bringen. Die Masken sind gefallen und der herrschende und sehr mächtige georgische Traum kann nicht mehr behaupten, proeuropäisch zu sein. Zur Verzweiflung der Mehrheit der Bevölkerung setzen sie nachweislich Putins Drehbuch um."

Anonymer Lehrer

Ich sag jetzt extra nicht meinen Namen, weil ich gerne anonym bleiben möchte, weil ich vor nicht allzu langer Zeit die Erfahrung machen durfte, von Rechtsextremisten Morddrohungen zu erhalten. Ich bin selber als Lehrkraft in der Schule tätig, nicht in den ostdeutschen Ländern, sondern im westdeutschen Bundesland. Und da ich höchstwahrscheinlich immer noch auf irgendwelchen Listen von Rechtsextremisten stehe, möchte ich hier persönlich nicht in Erscheinung treten.

Philip BansePhilip Banse

Auf der Lage live in Leipzig, da hatten uns ja einige Lehrerinnen angesprochen nach dem Motto Macht mal was zu Rechtsextremismus an Schulen. Wir fühlen uns zum Teil echt alleingelassen und wissen nicht mehr, was wir machen sollen, macht das doch mal zum Thema.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das galt auch für die Lage in Bonn. Auch dort sind wir angesprochen worden und für uns ist das ein sehr wichtiges Thema, liegt uns sehr am Herzen. Deswegen hatten wir euch ja auch um Input gebeten in Form von Sprachnachrichten an unsere WhatsApp Nummer. Und da haben sich ganz, ganz, ganz viele Menschen bei uns gemeldet.

Vielen, vielen Dank! Ich glaube, wir hatten fast 100 Statements, die wir ausgewertet haben und deswegen machen wir das heute mal ausführlich zum Thema: Was tun, wenn sich Schüler, Schülerinnen rechtsextrem oder sonst menschenfeindlich äußern? Und was dürfen Lehrerinnen und Lehrer eigentlich sagen?

Philip BansePhilip Banse

Und was können sie denn in der Praxis machen? Mitgearbeitet haben an diesem Thema Selma Cafferty, Maren Fußwinkel und Knut Penning.

Anonymer Lehrer

Da machen sich viele wenig Vorstellungen darüber. Dann gibt es mal einen Spiegel Bericht aus dem Osten und keine Ahnung. Aber ich glaube, es passiert viel, viel mehr in den Schulen, als in die Öffentlichkeit überhaupt gelangt. Kurze Vorstellung Ich bin Lehrer für Politik und Mathematik an einer größeren Schule in Hessen mit etwas über 1000 Schülerinnen und über 100 Kolleginnen. Und da natürlich Schüler aus allen sozialen Bereichen. Das ist ja auch so ein Querschnitt

der Gesellschaft. Und eigentlich gibt es so keinen Kollegen oder Kollegen, der die nicht schon mal mindestens mit AfD freundlichen Positionen in der Schülerschaft konfrontiert wurde, aber mit denen natürlich auch ganz offen rechten bis rechtsextremen Positionen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Rechtsextremes, menschenverachtendes Verhalten an Schulen, das klingt gar nicht gut. Hakenkreuze sind sicherlich die Extrembeispiele, aber es gibt eben auch viele, viele andere Äußerungen. Und Nina Taubenreuther liefert da ein Beispiel.

Philip BansePhilip Banse

Nina arbeitet beim Verein Zweitzeugen e.V.. Dieser Verein bringt Zeitzeugen der NS Zeit in die Schulen und gibt dann zum Beispiel auch mal Kärtchen rum durch die Reihen der Schüler und Schülerinnen, auf denen dann zum Beispiel antisemitische Gesetze der NS Zeit abgedruckt sind.

Nina Taubenreuther

Da steht dann beispielsweise drauf "Juden und Jüdinnen ist es verboten den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen", und ein Schüler weigerte sich, diese Karte in die Hand zu nehmen, weil das Wort Jude abgedruckt war.

Philip BansePhilip Banse

Genau. Das ist natürlich krass. Da kann man sich aber schon, finde ich, ganz gut vorstellen, mit welchen Situationen so Lehrer und Lehrerinnen im Alltag, im schulischen Alltag einfach konfrontiert sein können.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das sind schon einfach krasse Erfahrungen, denn die Schule soll ja eigentlich auch nicht nur Mathe und Physik beibringen oder Deutsch und Englisch, sondern sie soll ja vor allem auch Demokratiebildung leisten. Sie soll also ein Fundament dafür liefern, dass die Schülerinnen und Schüler später überhaupt sinnvoll an der politischen Willensbildung mitwirken können. Dass sie eine verantwortliche Wahlentscheidung treffen zum Beispiel. Und das wird in der Praxis immer schwerer.

Philip BansePhilip Banse

Immer schwerer. Genau. Einige Länder haben schon Meldepflichten eingerichtet, und die sagen uns na ja, die Vorfälle, die werden schon häufiger. Und vor allem sind es Vorfälle rechtsextremer Art. Ein Lehrer aus Brandenburg, der berichtete uns zum Beispiel von einer AfD Kundgebung in der Schulturnhalle, die ihn ziemlich irritiert hat.

Anonymer Lehrer

In Dahme-Spreewald, dass dort einfach schon Parteisymbolik aufgebaut wurde, während der Schultag endete und dann wirklich in der Turnhalle eine Parteiveranstaltung stattfand mit zwei nachgewiesenermaßen rechtsextremen Politikern, die auch unter intensiver Beobachtung des Verfassungsschutz stehen. Das hat mich zutiefst schockiert. Und dass da auch von von höherer Stelle aus Ministerialstelle oder oder Landesschulamtstelle bei sowas überhaupt nichts passiert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und seine Kollegin aus Brandenburg berichtet noch schockiert von einem anderen Vorfall.

Anonyme Lehrerin

Die Schülerwahlen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

In Schulen finden ja gelegentlich so symbolische Wahlen statt, die so genannten Schüler:innenwahlen, das sind keine echten politischen Entscheidungen. Da geht es einfach nur darum, mal so ein Meinungsbild zu bekommen, wen Schülerinnen und Schüler wählen würden.

Anonyme Lehrerin

Angefangen bei der Europawahl und dann natürlich jetzt auch die Landtagswahlen, die super hohe AfD Werte bei uns hatten. Und diese Wahlergebnisse an sich sind ja das eine. Aber was mich so schockiert hat, war der Umgang damit bzw der Umgang, der halt überhaupt nie stattgefunden hat, dass man irgendwie als Schule sagt okay, wir haben hier sehr hohe Werte und man muss ja mal mit den Schülerinnen und Schüler darüber reden. Das ist bei uns überhaupt nicht passiert.

Na, Auseinandersetzung mit dem Kollegium in den Pausen oder so kam dann ganz häufig das Neutralitätsgebot.

Philip BansePhilip Banse

Ja, dieses Neutralitätsgebot also wann immer eine Debatte über Werte an Schulen erstickt oder vielleicht auch vermieden werden soll, kommt die Behauptung, es gäbe doch so ein Neutralitätsgebot für Lehrende, für Lehrer und Lehrerinnen. Und ob das wirklich so ist, ob es das gibt, hat sich Knut Penning unser Refi mal genauer angeschaut.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was ist da überhaupt dran? Gibt es so ein Gebot überhaupt? Nein, das muss man deutlich sagen. Es gibt überhaupt kein Neutralitätsgebot für Lehrerinnen und Lehrer. Im Gegenteil. Rechtlich gesehen findet politische Bildung gerade auch in der Schule in einem Spannungsfeld statt. Einerseits müssen Lehrkräfte zwar wie alle Beamtinnen und Beamten politisch neutral sein, das heißt vor allem, sie dürfen keine einzelnen Parteien oder Meinungen in ihrem Unterricht bevorzugen. Aber:.

Philip BansePhilip Banse

Andererseits müssen sie für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten. Und in dieser Hinsicht dürfen sie dann doch eben nicht neutral sein. Ist natürlich ein Spannungsfeld, ganz klar. Und die Frage ist wie wird das jetzt rechtlich aufgelöst?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und die Antwort gibt da für das deutsche Bildungssystem schon seit Jahrzehnten, der sogenannte Beutelsbacher Konsens. Danach gilt einerseits das sogenannte Überwältigungsverbot. Also das bedeutet Lehrkräfte dürfen niemandem, keinen Schülerinnen und Schülern eine bestimmte Meinung aufzwingen. Andererseits gilt das sogenannte Kontroversitätgebot.

Philip BansePhilip Banse

Was in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, muss danach auch im Unterricht kontrovers behandelt werden. Also ist sozusagen nicht einseitig zu betrachten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und wer diese beiden Voraussetzung erfüllt, nicht überwältigen und kontrovers diskutieren, der verstößt auch nicht gegen das grundsätzliche beamtenrechtliche Gebot der Neutralität. Aber versuchen wir das doch jetzt mal konkret zu machen. Philip, was ist denn nun alles erlaubt im Unterricht?

Philip BansePhilip Banse

Also es ist völlig erlaubt, die eigene Meinung zu sagen. Denn die Meinungsfreiheit gilt natürlich auch für Lehrer und Lehrerinnen. Es ist auch erlaubt, Werte zu vermitteln. Da fragt sich natürlich, welche Werte sind das? Und da lohnt sich eigentlich immer der Blick in die Bildungsziele des Schulgesetz des jeweiligen Bundesland.

Und da unterscheiden sich natürlich vielleicht im Detail, aber überall steht drin Werte sind zu vermitteln wie Toleranz, Recht auf Bildung unabhängig von der Herkunft und eben den Wert der freiheitlich demokratischen Gesinnung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das bedeutet zugleich Lehrende müssen oder dürfen sogar nicht hinnehmen, wenn die Grundordnung unserer Verfassung in Frage gestellt wird. Und das bedeutet Achtung vor der Menschenwürde, das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, also zum Beispiel Gewaltenteilung, eine unabhängige Justiz oder zum Beispiel auch Rassismus oder Antisemitismus, die sich einfach im diametralen Gegensatz zu Artikel drei des Grundgesetzes befinden.

Philip BansePhilip Banse

Und das bedeutet eben, dass auch rechte oder rechtsextreme Thesen behandelt werden sollen. Aber wenn Positionen gegen die Menschenwürde verstoßen, müssen sie nicht als legitime Forderung oder sowas anerkannt werden, wie zum Beispiel bei Deportationen von deutschen Staatsbürgern und Bürgerinnen. Oder wenn es um strafbare Äußerungen geht, wie zum Beispiel Beleidigung oder Volksverhetzung.

Oder eben bei Forderungen nach einem autokratischen System, das es vielleicht in Deutschland einzuführen gälte. Das kann man dann diskutieren, aber es ist keine legitime Forderung und das muss man klar benennen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und deswegen ist es auch kein Verstoß gegen irgendwelche beamtenrechtlichen Pflichten, wenn man an dieser Stelle sich gegenüber verfassungsfeindlichen Positionen nicht neutral verhält. Ganz im Gegenteil! Ist es der Auftrag für Lehrerinnen und Lehrer, verfassungsfeindliche Positionen ausdrücklich als solche zu kennzeichnen und sie auch zu kritisieren. Und wichtig auch: Lehrkräfte dürfen sich selbst politisch betätigen.

Philip BansePhilip Banse

Solange nicht das Ansehen des Dienstherrn beschädigt wird. Lehrkräfte dürfen daher auch in der Schule zum Beispiel zu einer Demo gegen Rechts aufrufen, solange Schüler und Schülerinnen nicht überwältigt werden oder faktisch gezwungen werden oder gedrängt werden, doch da mal hinzugehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also man kann zum Beispiel die Teilnahme an einer Demo nicht so einfach als Schulveranstaltung deklarieren und sagen heute findet Mathe bei der Demo statt. Aber man darf natürlich sagen, dass man selbst an dieser Demo teilnimmt, weil man auf diese Art und Weise nur dokumentiert, dass man eben selber auch ein politisch denkender Mensch ist. Wie gesagt, solange die Schülerinnen und Schüler nicht überwältigt oder gezwungen werden.

Und zum Beispiel sagte das Kultusministerium Bayern 2024 in einem solchen Fall: Das Eintreten von Lehrkräften für die freiheitlich demokratische Grundordnung ist nicht nur erlaubt, sondern ihre Pflicht.

Philip BansePhilip Banse

Also, Fazit zu diesem Unterpunkt ein angebliches Neutralitätsgebot: Aus einer rechtlichen Perspektive sind die Sorgen der Lehrer und Lehrerinnen fast alle unbegründet. Es gibt für Lehrkräfte kein Neutralitätsgebot. Ganz im Gegenteil dürften sie gegenüber verfassungsfeindlichen Positionen nicht schweigen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Denn juristisch geht einfach eine ganze Menge, wenn man sich klar gegen rechtsextremes Gedankengut aussprechen möchte. Lehrkräfte dürfen und sollen sich für die Grundwerte unserer Verfassung stark machen. Sie sollen positiv die Werte vermitteln, die Verfassung und auch dann das jeweilige Schulgesetz ihres Bundeslandes vorgeben. Und ganz wichtiger Punkt noch mal aus der praktischen Perspektive: Unser Referendar hat bei seiner Recherche keine Fälle gefunden, in denen Lehrkräfte sanktioniert

wurden. Also keine Ahnung im Disziplinarverfahren oder so, weil sie für die freiheitlich demokratische Grundordnung eingetreten sind. Das ist ja immer so ein bisschen die Sorge und Eltern machen da natürlich total Stress und Druck, dass da irgendwelche AfD nahen Väter dann zum Elternsprechtag kommen oder sogar Gespräche einfordern und sagen ich bring sie vors Verwaltungsgericht oder was weiß ich oder ich zetteln Disziplinarverfahren gegen sie an, das ist alles unbegründet.

Lehrkräfte werden dafür nicht sanktioniert.

Benjamin Winkler

Zunächst einmal muss man hier auch noch mal ganz deutlich den Lehrkräften, die oft tatsächlich immer noch vereinzelt sind, denen muss man hier mal ganz deutlich den Rücken stärken und sagen: Das Gesetz ist auf eurer Seite.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Sagt Benjamin Winkler. Er arbeitet im Programm Starke Lehrer, starke Schüler. Das ist ein Modellprojekt des Bundeslandes Sachsen.

Benjamin Winkler

Es gibt nicht nur das Schulgesetz in den Bundesländern, in dem es einen Erziehungs- und Bildungsauftrag gibt. Und dieser Erziehungs- und Bildungsauftrag sieht eben vor, dass die Unterrichtung der Kinder auf der Grundlage der Werte unserer Verfassung stattfindet, nämlich dem Grundgesetz. Und das heißt eben auch zum Beispiel, dass man einen Diskriminierungsschutz als Auftrag hat, also wenn es zur Diskriminierung, zur Ausgrenzung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einer Schule kommt.

Es ist nicht so sehr eine Frage, ob ein Lehrer darauf reagiert, ja oder nein, sondern es ist eigentlich sogar die Pflicht, die sozusagen mit dem unterschriebenen Arbeitsvertrag einhergeht.

Philip BansePhilip Banse

Ja, aber die Frage ist natürlich, was erleben Lehrkräfte denn in der Praxis, wenn sie ihren Auftrag, wenn sie ihren Job wirklich ernst nehmen, für die Werte des Grundgesetzes, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzustehen?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Bei uns hat sich ein Politiklehrer an einer Gesamtschule in Göttingen in Niedersachsen gemeldet. Und er erzählt: Nach einem Schülervortrag über die AfD regten die Schülerinnen und Schüler an, ein Verbot dieser Partei zu fordern. Die Schülerinnen und Schüler schrieben Briefe an Bundestagsabgeordnete, Behörden, Ministerien und eine örtliche Abgeordnete einer demokratischen Partei kam dann sogar in die Klasse und diskutierte mit den Schülerinnen und Schülern über Pro und Contra eines AfD Verbots.

Anonymer Lehrer

Ja, und dann hat sich ein Vater bei mir gemeldet mit dringenden Gesprächsbedarf und der wollte mich dann ganz deutlich beeinflussen in meinem Politikunterricht, in dem er mir vorgeworfen hat, ich würde die Schüler mit meiner politischen Meinung indoktrinieren. Ich habe ihm dann in aller Ruhe erklärt, dass das nicht der Fall ist und dass das von den Seiten der Schüler gekommen ist, diese Idee und nicht meine Idee gewesen sei.

Ja, und dann hat er mich mit seinem sehr weit rechts außen stehenden Gedankengut vertraut gemacht und ich habe ihm da sehr deutlich widersprochen, denn ich habe ja unter anderem bei der Lage der Nation gelernt, dass man rechtem Gedankengut entgegentreten soll und sich das nicht einfach gefallen lassen soll. Ich habe ihm also erklärt, dass ich das für ausgemachten Quatsch halte, was er mir da inhaltlich erzählt hat und habe das auch begründet.

Und nach diesem sehr unerfreulichen und auch relativ heftigen Gespräch habe ich dann mich sofort hingesetzt und habe meiner Schulleiterin eine Email geschrieben, die mir dann auch ganz schnell Unterstützung für den Fall, dass das ein Nachspiel haben sollte, signalisiert hat. Bisher hat es zum Glück kein Nachspiel gehabt. Was ich daraus mitnehme, ist, dass ich einerseits als Politiklehrer natürlich sehr darauf achten muss, was ich im Unterricht sage. Ich darf mich nicht angreifbar

machen. Andererseits aber verwahre ich mich auch ganz massiv dagegen, dass Einfluss von elterlicher Seite auf meinen Unterricht genommen wird, in diesem Fall von stark rechtslastiger Einflussnahme.

Philip BansePhilip Banse

Also klingt schon eine zentrale Voraussetzung an für die Auseinandersetzung mit rechtsextremen, menschenfeindlichen Haltungen und Aussagen. Und das ist eine souveräne Schulleitung, die sich eben von einzelnen Eltern nicht einschüchtern und ins Bockshorn jagen lässt und sich dann eben auch engagiert, wenn es zu extremistischen Vorfällen an der Schule kommt, sagt auch Benjamin Winkler, oben schon mal vorgekommen vom Programm Starke Lehrer, starke Schüler in Sachsen.

Benjamin Winkler

Ja, weil die Schulleitung natürlich eine Gatekeeper Funktion hat. Das heißt, wenn es zu einem Vorfall kommt an der Schule, dann obliegt es oft zu entscheiden durch die Schulleitung, ob das Ganze jetzt wirklich ernsthaft bearbeitet wird oder ob man es eher so ein bisschen halb fertig bearbeitet bzw vielleicht auch unter den Teppich kehrt. Auch das kommt ja hin und wieder vor.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, der Support der Schulleitung ist ganz zentral, aber er ist leider längst nicht immer vorhanden, sagte uns eine Lehrerin aus Brandenburg.

Anonyme Lehrerin

In der Region gibt es viele Eltern, die auch die AfD wählen. Also wir sehen ja die Ergebnisse der Gemeinde bei uns. Und da merkt man halt auch, dass die Schulleitung vielleicht auch da so ein bisschen Angst hat, sich zu positionieren, also ein konkretes Zeichen gegen Rechts zu setzen, weil da eventuell auch Druck von Eltern Seite kommen könnte.

Philip BansePhilip Banse

Und ohne Unterstützung der Schulleitung und ohne Unterstützung des Kollegiums wird es für einzelne engagierte Lehrer und Lehrerinnen natürlich massiv schwierig. Die sind ohnehin überlastet durch den Unterricht und durch diese ganzen unterrichtsfernen Organisationsaufgaben, die sie ja im Schulalltag auch alle noch bewältigen müssen. Und diese Lehrerin aus Brandenburg wollte aber dennoch nicht passiv bleiben.

Anonyme Lehrerin

Aufgrund dieser Wahlergebnisse, die wir jetzt hatten, haben einige Kolleginnen und Kollegen von uns gesagt okay, wir müssen da jetzt aber ran und müssen was machen und sind gerade dabei, eine Demokratiewoche auf die Beine zu stellen.

Was natürlich schon mal ein Ansatz ist, aber was halt auch schwierig ist, wenn das nur ein paar Leute machen, weil natürlich der Aufwand im Schulalltag einfach riesengroß ist, wenn da die Unterstützung des restlichen Kollegiums fehlt oder vor allem auch der Schulleitung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und Lehrerinnen und Lehrer, die sich ohne Rückhalt von Kollegium und Schulleitung engagieren. Die gingen doch ein recht hohes Risiko ein, sagt jedenfalls der anonyme Lehrer aus Westdeutschland.

Anonymer Lehrer

Den Fehler habe ich gemacht. Ich habe mich sehr stark dafür gemacht. Ich habe viel Aktion mit den Schüler:innen, die da sich gegen positioniert haben, auch mitgetragen als Person und war dort immer auch mit aktiv. Und das hat es für die Rechtsextremisten ganz einfach gemacht, mich auch als Ziel auszuwählen und damit uns als Schule auch mundtot zu machen.

Das heißt, der größte Fehler, den so eine Schule eigentlich machen kann, sobald ein rechtsextremistischer Fall eigentlich in der Schule auftritt, ist immer Einzelpersonen zu haben, sondern die Schule muss als ganze Gemeinschaft auftreten und da darf nicht eine Person im Vordergrund stehen. Das ist das Wichtige.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also mit anderen Worten Einzelne nicht im Regen stehen lassen, sonst werden die und sonst wird schnell die Schule auch zur Zielscheibe. Solidarität im Kollegium, Solidarität auch der Schulleitung mit dem Kollegium, das sind die Schlüsselfragen. Aber Philip, was kann man denn jetzt konkret machen gegen Rechtsextremismus im Schulalltag?

Philip BansePhilip Banse

Ja, da hatten wir ja euch ja um Input gebeten. Meldet euch, wenn ihr Beispiel habe, wenn ihr Erfahrung habt und das habt ihr halt oben schon gesagt zahlreich gemacht. Zum Beispiel Felix, Politik- und Mathematiklehrer an einer größeren Schule in Hessen, hat sich gemeldet.

Felix

Was kann man machen? Das ist komplex. Und ab einem gewissen Grad, wo Schülerinnen dann stark in einer für störungstheoretischen Bubble sind, kann man da als Lehrkraft eigentlich nicht mehr so gut Zugang finden, vor allem nicht sachlich. Das geht dann eher über eine emotionale Schiene und auch die ist nicht für alle Kolleg:innen erreichbar, weil sie sich auch darauf einlassen müssen.

Philip BansePhilip Banse

Aber das sind natürlich extreme Fälle, Leute, Schüler, Schülerinnen, die sich wirklich so in so verschwörungstheoretischen Blasen völlig verloren haben und völlig abgedriftet sind. Aber es sind eben ja nicht alle so weit abgedriftet.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nein, wie macht man das dann aber jetzt mit den Schülerinnen und Schülern, sagen wir mal, die noch irgendwie grundsätzlich rationalen Argumenten zugänglich sind? Ja, da sind Lehrkräfte schon häufig mit einem ganz bunten Strauß konfrontiert, aus wilden Thesen, Falschinformationen, Fake News usw usw. Aber der Lehrer aus Westdeutschland nennt da auch ein Beispiel für eine Gegenstrategie, wie man mit so einer ganzen Salve an ich sag jetzt mal Unsinn umgehen kann.

Philip BansePhilip Banse

Ja, also er sagt zum Beispiel, er würde öfter die Parole hören "Wir müssen über Migration gar nicht reden. Die Flüchtlinge nehmen uns Biodeutschen doch eh nur die Arbeit weg." Und in dieser Behauptung, sagt er, stecken natürlich sehr, sehr viele Ebenen, also vom Asylrecht über das Arbeitsrecht bis zu Rassismus, um nur einige zu nennen.

Anonymer Lehrer

Und das ist das größte Problem, dass wir meistens im Unterricht überhaupt gar keine Möglichkeit haben, all diese großen Aspekte aufzugreifen und uns dagegen positionieren. Und deswegen ist es immer so eine gute Strategie, sich einen Aspekt rauszunehmen und zu sagen okay, na warte mal, wir reden jetzt mal nur über diesen rassistischen Aspekt oder nur über die Ablehnung des Asylrechts.

Und den Punkt nehmen wir uns raus, in dem man sich am sichersten fühlt und sagt: Halt, bei dem Punkt bleiben wir jetzt mal und dann darf man auch den Schüler:innen nicht gestatten, an dieser Stelle wieder andere Aspekte aufzugreifen. Oder wenn sie die nächste Parole raushauen, sagen: Nein, darüber diskutieren wir gerade nicht, sondern wir bleiben bei diesen einen einzigen Punkt.

Philip BansePhilip Banse

Und ich finde es auch deshalb interessant, weil das ja eine Strategie ist, die jetzt nicht nur in der Schule funktioniert und Anwendung findet.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Man kann gar nicht sinnvoll über Themenkomplexe reden, wenn man immer über alles diskutieren kann. Das kenne ich auch aus dem privaten Umfeld, sag ich mal, wenn man mit solchen Thesen konfrontiert ist, dann muss man eben ganz gezielt sagen: Moment, jetzt bleiben wir mal bei dieser einen Behauptung und schauen uns mal an, was da dran ist.

Denn häufig ist es ja auch so, dass Menschen dann einfach in so einem ganzen Wust von Fake News und Quatsch sich verstrickt haben und dann da kommt man, ist sowieso schwer dagegen anzukommen. Aber der einzige Weg, glaube ich, ist zum einen eben Empathie. Also es braucht eine emotionale Grundlage für das Gespräch und das andere ist, einzelne Fake News zu isolieren und über die zu reden.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und da sagt er, da kann man sich dann auch eine ganze Stunde mal für nehmen. Das kann dann auch bis ans Ende der Unterrichtsstunde gehen. Dann gewinnt man noch mal Zeit, um sich für die nächste Unterrichtsstunde auch noch mal Gedanken zu machen. Also er sagt, mit dieser Strategie habe er in seiner Schule viel Erfolg und das Kollegium werde auch in dieser Strategie trainiert. Und für so was, sagt er, wäre es auch mega hilfreich, eine kompakte Argumentationshilfe

zu haben. Also so ein Debunking der gängigsten Thesen wäre da sehr gut. Er lobte auch unser Forum, Also da haben wir ja auch dazu aufgerufen und da sammelt sich auch einiges an.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Talk.LagederNation.org. Das kann man gar nicht oft genug sagen. Das Lager Forum findet ihr unter Talk.LagederNation.org.

Philip BansePhilip Banse

Und wenn man denn diesen Rat befolgt und sich wirklich auf einen Aspekt konzentriert, dann kann man auch leichter einen Rat befolgen, den die Mitarbeiterin einer Stiftung in Mecklenburg Vorpommern gibt, die Workshops anbietet zu diesem Thema. Und sie ergänzt:

Anonyme Lehrerin

Was ich sehr, sehr oft feststelle, ist, dass es am wichtigsten ist, meiner Meinung nach den Kids zu zeigen, dass man sie ernst nimmt und sie reden lässt. Also ich glaube, sie haben erfahrungsgemäß sehr oft dieses Narrativ drin, von wegen man darf ja gar nichts mehr sagen, was natürlich Quatsch ist und was sie aus dem Elternhaus oder von Social Media

übernehmen. Und in der Regel funktioniert es am allerbesten, sie ernst zu nehmen und vor allem auch anzuerkennen, dass auch wenn sie teilweise super, super problematische und schwierige und hasserfüllte Sachen sagen, sie halt jung sind und kein geschlossenes Weltbild haben, sondern da immer noch Luft nach oben ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ernst nehmen und reden lassen. Das sind einfach die Voraussetzung, überhaupt Vertrauen zu schaffen und eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen in der Schule. Das sieht übrigens auch Pablo so. Er ist Lehrer an einem Gymnasium in einer baden württembergischen Großstadt. Ja, sagt er, als Lehrer müsse er schon authentisch bleiben und müsse seine Position auch klar machen.

Lehrer Pablo

Ich muss aber auch empathisch dem Schüler gegenüber bleiben. Anders als jetzt zum Beispiel einem Björn Höcke finde ich es elementar wichtig, gerade mit solchen Menschen, gerade mit jungen Menschen, die solche Tendenzen äußern, den Dialog aufrecht zu erhalten.

Philip BansePhilip Banse

Und und viele haben uns auch gesagt: Übrigens, Strafen helfen da eigentlich in aller Regel nicht. Da würde ich denken also natürlich muss man die Sachen, wenn's dann gar nicht mehr anders geht, auch zur Anzeige bringen. Aber vorher muss einem ein Gespräch in der in dem genannten Modus stehen. Und Eva, sie ist Lehrerin in Leipzig, die ergänzt noch etwas. Sie sagt, es gehe bei diesen Diskussionen eben aber auch nicht nur um die Kinder, die problematische Parolen durch die Schule brüllen.

Lehrerin Eva

Unsere Aufgabe als Lehrkräfte ist, die anderen zu stärken und für bestimmte Werte zu stehen. Man neigt immer dazu, sich abzugrenzen. Das ist auch wichtig. Und gleichzeitig ist es aber wichtig, die stark zu machen, die sich nicht mit rechtsextremen Werten identifizieren und für bestimmte Werte einzustehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und Eva hat da auch gute Erfahrungen mit externen Organisationen gemacht, die sie da unterstützen.

Lehrerin Eva

Das kostet Kraft und ich bin wahnsinnig dankbar, dass das so viele Unterstützungsmöglichkeiten gibt. Man muss die eben dann nur beanspruchen. Ich denke da zum Beispiel an das Netzwerk Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage. Da haben wir zum Beispiel als Kollegium eine Schulung bekommen bei einem pädagogischen Tag. Und das war schön zu merken, dass wir nicht alleine dastehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, externe Hilfe. Leute, die auch an die Schulen kommen. All das sei gar nicht so schwer zu finden, meint Benjamin Winkler vom Programm Starke Lehrer, starke Schüler in Sachsen.

Benjamin Winkler

Denn es gibt in der Regel in allen Bundesländern eine ganz gute Landschaft, insbesondere aus der Zivilgesellschaft, von Vereinen, Initiativen, Organisationen, die solche Sachen anbieten.

Philip BansePhilip Banse

Ja, zum Beispiel der Verein "Gegen Vergessen, für Demokratie." Der bietet Argumentationstrainings an, für Lehrer, Lehrerinnen, aber eben auch für Schüler und Schülerinnen. Das sagt uns Rosanna Thuermel, die wir übrigens bei der Lage live in Leipzig getroffen haben. Sie ist Jugendbotschafterin beim Projekt Constructive Communication von eben jenem Verein "Gegen Vergessen, für Demokratie."

Rosanna Thuermel

In dem Training geht es darum, dass man Strategien erprobt, um abwertenden und diskriminierenden Äußerungen zu begegnen, um zu lernen, wie man die eigene Position verdeutlichen kann, wie man Grenzen setzen kann, aber trotzdem, wie man in dem Dialog bleiben kann und sich auf Augenhöhe verständigen kann mit dem Gegenüber.

Der Ansatz ist auch, dass eben Verschwörungstheorien, Ideologien der Ungleichwertigkeit, rechtsextreme Äußerungen zum Beispiel, dem allen kann man nicht immer mit Faktenwissen begegnen und es soll darum gehen, Werkzeuge an die Hand zu geben, mit dem man im Dialog und im Streit für die Demokratie einstehen kann und das eben einüben kann und auch dann in der Gruppe diskutieren kann, was sich in welcher Situation eignet.

Philip BansePhilip Banse

Das fasst, finde ich ganz gut zusammen. Die Probleme, die oben auch geschildert wurden, das scheint in diesen Workshops durchaus Thema zu sein und da wird Hilfe angeboten. Auch die Teachers for Future machen Workshops.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und zwar etwa zum, wie gesagt, nicht vorhandenen Neutralitätsgebot, sagt Charlotte Simonyi, die Sprecherin der Teachers for Future in Sachsen.

Charlotte Simonyi

Und da ist es unglaublich wertvoll, wenn man sich mit Gleichgesinnten austauschen kann. Mit Leuten, die Ähnliches erfahren haben, die andere Wege ausprobiert haben, die einen bestärken und einen nach Rückschlägen wieder aufbauen. Also es braucht da auch emotionalen Rückhalt und den finden viele Lehrkräfte bei den Teachers for Future.

Philip BansePhilip Banse

Ja, aber es gibt, da gibt es natürlich auch noch andere Vereine. Denn dieser Austausch, diese Vernetzung, die scheint wirklich zentral zu sein. Einerseits natürlich für den emotionalen Haushalt, sage ich mal, aber eben auch für den logistischen und pädagogischen Austausch. Vor allem vor allem, wenn der Rückhalt im Kollegium oder der Austausch im Kollegium halt nicht so groß ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Erklärt uns Sanem Kleff. Sie ist Vorstandsvorsitzende von Action Courage e.V. und dieser Verein koordiniert Initiativen wie zum Beispiel Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage.

Sanem Kleff

Das, was das Netzwerk anbietet, wo der Mehrgewinn für die Schule ist, ist, dass die Kolleginnen dann wissen können: Sie sind nicht allein. Sie sind an einer Schule, die Teil eines deutschlandweiten Netzwerkes ist. Sie wissen, sie können auf die Homepage gehen und sich dort informieren. Welche Kooperationspartner? Die kann man alle auf unserer Homepage sehen. Deren Kontaktdaten kann man sehen, die kann man sofort kontaktieren, egal wo man ist.

Sie wissen vor allem welche regionale Koordinierungsstelle ist für mich zuständig in meiner Region? In welchem Bundesland? Welche Landeskoordinierungsstelle? Ja, Sie können sogar in Berlin hier sich melden, wenn Sie nicht weiterkommen sollten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Es gibt natürlich noch eine Reihe anderer Organisationen, die hier Hilfe bieten. Also nur um mal wirklich ein Beispiel zu nennen, zum Beispiel die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wäre zu nennen die die bietet Workshops und Rechtsberatung. Da gibt es starke Lehrer, starke Schüler, da hatten wir den Landesverband Sachsen oben schon. Es gibt die sogenannten regionalen Arbeitsstellen, kurz ERA. Es gibt den Bundesverband Mobile Beratung, die haben bundesweit circa 50 Teams im Einsatz.

Es gibt von der Amadeu Antonio Stiftung das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus Prävention und auch die Bundeszentrale für politische Bildung leistet einen wichtigen Beitrag. Sie hat nämlich viele gute Materialien im Angebot und bietet auch fertige Arbeitsblätter.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Das sind aber natürlich, wir haben es gehört, häufig nichtstaatliche Organisationen. Und tatsächlich, so klingt das zumindest aus den Wortmeldungen heraus, die wir jetzt hier bei unserer Recherche bekommen haben, ist es so, dass viele Lehrer und Lehrerinnen sich doch von ihren zuständigen Schulämtern und auch den Bundesländern doch zu oft noch alleine gelassen fühlen.

Also zum Beispiel unsere Lehrerin aus Brandenburg, die wünscht sich einfach eine bessere demokratische Bildung an Schulen, die für die Lehrer und Lehrerinnen mit wenig Aufwand umzusetzen ist. Und sie wünscht sich eine bessere Vernetzung mit anderen Lehrern und Lehrerinnen, die sich für Demokratie stark machen, und zwar ohne dass sie dem wahnsinnig hinterherlaufen muss.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Weil die ja eh schon im Alltag an den Schulen am Limit sind. Wir wissen alle, es gibt einen krassen Mangel an Lehrkräften in Deutschland. Also insofern, insofern ist das einfach schwierig, wenn man das so quasi der privaten Initiative einzelner Kolleginnen und Kollegen überlässt. Und vom Land Brandenburg fühlt sich auch einer Ihrer Kollegen alleingelassen.

Anonymer Lehrer

Wir als Lehrer wir haben nicht nur die Chance, uns da weiterzubilden und in unserem Verfügungsrahmen, nenne ich es jetzt mal mit den Jugendlichen dann umzugehen und Schule zu gestalten. Aber dass da irgendwie eine große Strategie herrscht, wie man mit dem immer heftiger werdenden Extremismus umgeht, das vermisse ich total.

Von minesterieller Seite einfach ein ganz anderer Support angeboten wird, Fortbildung ganz anders in die Schule reingetragen werden und man nicht darauf angewiesen ist, sich das selber zu suchen, wenn man denn daran Interesse hat.

Philip BansePhilip Banse

Also die wünschen sich einfach die, dass die Bundesländer mehr zentral steuern würden und mehr zentral auch Unterstützung anbieten, sodass es eben weniger vom Engagement Einzelner abhängt und dass es einfach weniger Mühe bedarf, um sich Zugang zu diesen Angeboten zu verschaffen, sondern dass die mehr oder weniger in die Schulen reindrängen und die Leute sich fast gar nicht gegen wehren können. Wir haben natürlich ein paar der hier angesprochenen Bundesländer kontaktiert, die Kultusministerien.

Da hat sich jetzt eins von gemeldet, sagen wir gleich unten noch ein bisschen was dazu. Wenn von den anderen mal was kommt, dann reichen wir das nach. Denn es ist natürlich nicht so, dass die Länder gar nichts machen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also Charlotte Simonyi zum Beispiel von den Teachers für Future Sachsen lobt, dass die TU Dresden immerhin Politik Didaktik anbietet. Und dieses Modul zur politischen Bildung sei Pflicht in Sachsen im Lehramtsstudium. Und zwar egal, für welche Schulfächer Studierende sich interessieren.

Charlotte Simonyi

Das ist total sinnvoll, weil rassistische Kommentare können auch im Matheunterricht fallen. Und auch als Mathelehrerin kann ich beim Elternabend verfassungsfeindlichen Symbolen gegenüberstehen. Oder Desinformation kann auch im Physikunterricht verbreitet werden. Das heißt, politische Bildung betrifft alle, die pädagogisch arbeiten. Und dem trägt Sachsen im Lehramtsstudium Rechnung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, also es gibt da schon Initiativen, aber trotzdem fällt auf die Organisationen, die immer wieder genannt werden, die jetzt auch zum Beispiel die Lehrerinnen und Lehrer nennen, die uns ein Statement geschickt haben. Diese Organisationen sind praktisch alle nicht staatlich, also mit Ausnahme der Bundeszentrale für politische Bildung. Und von den Schulbehörden wünschen sich einfach viele von denen, die sich bei uns gemeldet haben, mehr Unterstützung.

So etwa auch Felix, der an einer großen Schule in Hessen unterrichtet.

Felix

Ich selbst, obwohl ich Politik als Fach habe, wüsste nicht, an wen ich mich bei unserem Dienstherrn wenden müsste, wenn ich wirklich mal ein echtes Problem hätte. Oder wie da der Ablaufplan ist, der da vorgesehen ist, falls es denn überhaupt einen gibt.

Philip BansePhilip Banse

Und das ist der Punkt wahrscheinlich. Wir haben Hessen angemeldet, Hessen hat sich noch nicht gemeldet, aber ich gehe mal davon aus, dass Hessen natürlich Angebote hat. Nur wenn ein Lehrer wie Felix Politik und Mathe da steht und das einfach nicht weiß, dann reicht es einfach nicht, sondern das muss jedem klar sein, Das ist die Nummer, das ist der Ablauf, das kann ich machen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und es muss auch klar sein, es gibt hier diese Materialsammlung. Wenn ich irgendwie eine Unterrichtseinheit dazu plane, dann lade ich mir das runter und schon geht es los. Und wenn es folgendes Problem gibt, dann rufe ich den und den an.

Philip BansePhilip Banse

Und die Weiterbildung von dort und dort.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also wie sagt es Benjamin Winkler so treffend vom Programm Starke Lehrer, starke Schüler in Sachsen:

Benjamin Winkler

Dass Diskriminierung, Ausgrenzung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein großes Problem an unseren Schulen darstellt? Ich glaube, darüber herrscht weitgehend Konsens. Und da muss eben auch Konsens darüber herrschen, dass es nicht eine freiwillige Aufgabe ist, sich darum zu kümmern, sondern dass das Aufgabe von allen, die an Schule tätig sind, ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja Fazit dieses ganzen Blogs, für den ich denke, man kann schon sagen, die Länder machen natürlich schon was. Vielleicht hören wir auch von den Ländern noch ein bisschen mehr, was sie so machen. Aber es kommt eben bei den Lehrerinnen und Lehrern an der Front noch zu wenig an, sie fühlen sich zu oft alleingelassen. Und da würde ich sagen das darf

nicht sein. Das ist einfach eine ganz zentrale Aufgabe in unserer Demokratie, gerade angesichts der Herausforderung von ganz weit rechts Demokratiebildung zu machen. Und da würde ich einfach mal die Länder auffordern: Was immer ihr tut, ihr müsst es jedenfalls besser kommunizieren.

Philip BansePhilip Banse

Eine andere Erkenntnis ist natürlich mal wieder die zentrale Schlüsselfunktion von Schulleitungen für den gesamten Pädagogenprozess in der Schule usw, aber eben auch speziell für dieses Unterthema politische Bildung, Maßnahmen gegen extremistische Aussagen. An der Schule sind diese Schulleitungen natürlich wirklich ganz zentral. Das haben wir gehört und das müssen wahrscheinlich die Länder auch konsequenter anerkennen und eben diese Schulleitung fortbilden.

Und die Schulleitung müssen wahrscheinlich dann auch mehr Rechte bekommen, was Rekrutierung von Personal angeht. Denn das ist weniger eine pädagogische Aufgabe, sondern einfach die Leitung eines mittelständischen Unternehmens. Da brauchen die einfach mehr Autonomie, um sich ihre Teams auch zusammenzustellen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wie gesagt, wir haben die Länder ja mal gefragt. Bisher kam da wenig Antwort, aber immerhin haben wir eine Mail aus Baden Württemberg bekommen. Die verweisen so stichwortartig auf folgende Initiativen und Maßnahmen, die sie schon getroffen haben.

Philip BansePhilip Banse

Sie haben. Sie sagen, wir haben eine Meldepflicht für rassistische, antisemitische Vorfälle und, klang schon oben an, da häufen sich vor allen Dingen die Meldung rechtsextremistischer Vorfälle. Sie sagen: Wir haben natürlich Fortbildungsangebote.

Die Demokratiebildung sei auch in den Lehrplänen fix und verpflichtend verankert, und es gebe so was wie das Präventionsrahmenkonzept, das sich nennt "Stark, stärker, wir", das eben verbunden ist mit einem breiten Netz von gut 1500 Beratungslehrkräften und 28 schulpsychologischen Beratungsstellen, die eben flächendeckend im Land verteilt sind. Außerdem gibt es eben Schulsozialarbeiter und Arbeiterinnen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also das klingt ja jetzt erst mal so, als wenn das jedenfalls nicht völlig verschlafen wird in Stuttgart. Auf der anderen Seite aber gibt mir persönlich zu denken, wie wie alleingelassen sich die Lehrerinnen und Lehrer fühlen. Und insofern würde ich sagen, reicht das eben auch nicht zu sagen: Wir machen doch schon eine ganze Menge. Es muss eben im Bewusstsein der Lehrerinnen und Lehrer sein: Wir stehen hier alle zusammen gegen die Bedrohung der

Demokratie. Und dieses Bewusstsein scheinen mir die Kultusministerien und häufig ja auch die die Bezirksregierung, die häufig die Schulverwaltung stellen, noch nicht ausreichend in die Schulen zu tragen.

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Ja, es ist, glaube ich, diese diese Frage zwischen Push und Pull. Bisher sind die Angebote da ja und teilweise natürlich werden diese zivilgesellschaftlichen Organisationen auch ganz oft von den Ländern finanziert und unterstützt. Aber die Haltung scheint doch eher zu sein: Da gibt es doch was. Ihr könnt euch ja melden, kümmert euch drum, wenn ihr Interesse habt.

Und eigentlich müsste es umgedreht sein, dass einfach die Lehrer und Lehrerinnen gar nicht anders können, als darüber in der Schule zu stolpern. Und und allen ist bewusst, das ist die Nummer, das sind die Verfahren und das sind die Methoden. Und wenn ich sie nicht kenne, kann ich mich hier und hier einschreiben.

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Also das ist so die die Rolle der Länder, aber auch der Bund könnte natürlich mehr tun, denn wie wir ja gehört haben, gibt es bisher vor allem Angebote von Nichtregierungsorganisationen. Die sind oft prekär finanziert. Für die wäre das sogenannte Demokratiefördergesetz total wichtig, hatte die Ampel im Koalitionsvertrag beschlossen. Hat sie auch auf den Weg gebracht, liegt im Bundestag.

Aber da ist leider unklar, ob die Union diesem Gesetz jetzt noch zustimmt oder ob das Demokratiefördergesetz mit der Ampel sterben wird. Die Union ziert sich, ihm zuzustimmen. Die Argumentation ist da, es gebe ja noch keinen Haushalt für 2025, also könne man auch keine haushaltswirksamen Gesetze beschließen. Da muss man sagen Natürlich stimmt das, es gibt diesen Haushalt noch

nicht. Aber man könnte dieses Gesetz ja trotzdem verabschieden und dann die haushalterische Absicherung problemlos im nächsten Haushalt mit beschließen. Insofern finde ich das ehrlich gesagt kein gutes Argument. Denn mal ganz ehrlich bis die Bundesregierung, die nächste in Amt und Würden ist, ist Ostern mindestens. Und diese Initiativen, die sich eben um die Demokratie vor Ort kümmern, wären dann mindestens ein halbes Jahr ohne klare Funding Perspektive, ohne klare finanzielle Basis.

Und das fände ich ehrlich gesagt fatal.

Philip BansePhilip Banse

Und letzte und wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis dieses Blogs ist, denke ich, es gibt kein Neutralitätsgebot. Es gibt ein Verbot der Überwältigung von Schüler und Schülerinnen. Man darf sie nicht nötigen oder zwingen oder eben überwältigen für eine bestimmte Partei oder für eine bestimmte Idee, sich zu engagieren. Aber es ist das sehr wohl das Gebot da, kontroverse Themen im Unterricht auch kontrovers zu diskutieren.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und wir müssen mit beiden Füßen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, also aktiv einzutreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung und das heißt eben auch für Menschenwürde aller Menschen, gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus.

Philip BansePhilip Banse

Vielleicht noch als Abschlussanmerkung: Falls ihr das Gefühl haben, wir haben den ein oder anderen Aspekt vergessen, waren zu einseitig, haben irgendwie den Ländern Unrecht getan, dann dann meldet euch im Forum unter Talk.LagederNation.org.

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Wir hatten es ja in der vergangenen Woche schon angedeutet: Die Europäische Union möchte den Schutz für den Wolf relativieren. Da muss aber noch was passieren und das ist auf europäischer Ebene auf EU Ebene noch nicht durch. Aber in den letzten Tagen engagierte sich schon mal der Europarat für ein schärferes Vorgehen gegen Wölfe. Und dieser Europarat, der ist nicht identisch mit der Europäischen Union.

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Nein, der ist unabhängig von der EU, hat auch viel mehr Mitglieder als die EU, nämlich 50 an der Zahl. Und zu seinen Mitgliedern zählen auch Länder wie Großbritannien oder die Türkei. So, warum jetzt Europarat? Warum macht der Europarat jetzt was in Sachen Wolf? Nun, dieses Gremium, der Europarat, kümmert sich um die Wahrung der Menschenrechte. Okay, ist aber auch für die Berner Konvention zuständig.

Und das ist ein völkerrechtlicher Vertrag, verabschiedet 1979 zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen. Und nach dieser Berner Konvention gilt der Wolf bislang eben als streng geschützt.

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Aber der zuständige Ausschuss des Europarats stimmte nun einem Antrag der Staaten der Europäischen Union zu, einer Untergruppe der Staaten des Europarats, um den Schutzstatus des Wolfs abzusenken. Künftig könnte die Jagd auf problematische Wölfe dann einfacher möglich sein. Bevor dies auch in Deutschland gelten würde, müsste allerdings noch das Recht der Europäischen Union geändert werden und dann in in Umsetzung dessen auch noch mal das Bundesrecht.

Es sind noch so ein paar politisch administrative Schritte notwendig, aber quasi so die Einleitung, der erste Schritt, dem Wolf quasi ans Leder zu gehen, das ist eben diese diese Entscheidung dieses Ausschusses des Europarats.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und in diesem Kontext schulden wir euch auch noch eine Korrektur zur letzten Sendung. Wir hatten bei unserem Bericht über den Wolf nicht differenziert zwischen...

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder nicht genug.

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Oder nicht genug differenziert zwischen Angriffen durch Wölfe auf Nutztiere und dabei tatsächlich getöteten Nutztieren.

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Da haben wir ein paar Nachrichten bekommen, unter anderem eine Mail von einer Hörerin. Sie schreibt: "Mein Name ist Jennifer und ich arbeite für das Land Niedersachsen im Wolfsmanagement, koordiniere hier die Nutztierrisse. Ihr habt die Anzahl an Übergriffen mit der Anzahl der toten Tiere verwechselt und das dann auch noch auf eine sehr ungenaue Zahl der Wölfe umgerechnet. Das ist nicht korrekt und gibt ein völlig falsches Bild beim eh schon hitzigen Thema Wolf.

Und das wollen wir natürlich richtigstellen.

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Genau das tut uns leid. Fehler sind immer Mist, aber wir korrigieren sie wenigstens. Die richtigen Zahlen sind nämlich: Es gab 2023 rund 1200 Angriffe und bei diesen Angriffen durch Wölfe starben im Schnitt pro Angriff rund viereinhalb Tiere. Und so wurden im Jahr 2023 in Deutschland knapp 6000 Nutztiere durch Wölfe getötet.

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Außerdem wollen wir noch einmal auf das Thema wolfsabweisender Grundschutz eingehen. Menschen, die Weidetiere halten, können ihren Tiere natürlich vor dem Wolf schützen. Jedenfalls in den allermeisten geografischen Regionen, im Hochgebirge ist es ein bisschen schwierig, aber im Grundsatz geht das. Beispielsweise durch ausreichend hohe Elektrozäune. Das hatten wir am Rande auch erwähnt. Es fehlte aber in der letzten Folge die Info, dass dieser Grundschutz extrem effektiv ist.

Philip BansePhilip Banse

Ja, so schreibt das niedersächsische Wolfsmonitoring, dass nur 14 % der getöteten Weidetiere trotz eines Grundschutzes zu Tode kam. Andererseits starben über 60 % der Tiere in Situationen, wo es keinen Grundschutz gab oder wo er beeinträchtigt war. Das heißt, ist ein Grundschutz installiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Weidetiere sterben, sehr gering.

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Und das muss man ganz ehrlich sagen, relativiert natürlich schon sehr quasi so dieses Zeigen auf den bösen Wolf, der die Nutztiere reißt. Ja, natürlich ist der Wolf ein wildes Tier. Und wir haben es eben gesagt, es gibt ein paar 1000 gerissene Nutztiere jedes Jahr. Das sind natürlich ein paar 1000 zuviel. Aber auf der anderen Seite muss man sagen, könnten die Menschen die Tiere halten, Nutztiere halten, viel mehr tun, um ihre Tiere zu

schützen. Und insofern kann man, glaube ich, nicht mehr so einseitig sagen der Wolf muss einfach weg oder die Wölfe müssen, jedenfalls die Problemwölfe müssen abgeschossen werden. Ich glaube, man müsste mindestens parallel auch dafür werben, dass Landwirte zum Beispiel auch diese Grundschutz wenigstens konsequent einsetzen.

Philip BansePhilip Banse

Und das war's für diese Woche. Lage der Nation Ausgabe 411 vom 4. Dezember 2024. Wir danken für euer Interesse.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Vielen Dank für eure Unterstützung. Zum Beispiel mit einem plus Abo. Wir hoffen, diese Lage hat euch gefallen. Falls ja, könnt ihr euch natürlich ein Abo klicken unter plus.LagederNation.org.

Philip BansePhilip Banse

Ansonsten alles Gute und bis nächste Woche und tschüss.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Tschüss.

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