
Heute vor 86 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November, brannten im ganzen Deutschen Reich die Synagogen.

Jüdische Geschäfte, Einrichtungen, alles wurde zerstört oder vieles wurde zerstört, angezündet. Jüdinnen, Juden wurden angegriffen, verschleppt und ermordet. Und spätestens an diesem Tag konnte wirklich jeder und jede sehen: Antisemitismus, Hass und Gewalt gegen Juden und Jüdinnen war offizielles Anliegen und offizielle Sache des Staates.

Diese Pogromnacht markiert das für alle sichtbare Signal für den größten Völkermord der Geschichte: die Shoa. Und seit 1945 sind sich alle Demokratinnen und Demokraten in Deutschland einig: Das darf nie wieder passieren.

Doch dann kam der 7. Oktober 2023 und der Massenmord an über 1200 Israelis in Israel. Verschleppung von über 200 Menschen in den Gazastreifen. In der Folge wachsende Gewalt gegen Juden und Jüdinnen weltweit, aber eben auch in Deutschland.

Und anlässlich dieses Gedenktages, angesichts des 9. November 2023 hat der Deutsche Bundestag am Donnerstag dieser Woche mit den Stimmen von Ampel und Union eine Resolution gegen Antisemitismus verabschiedet.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßt diese Resolution. Zitat:.

"Die Grundlagen für einen wirksamen Schutz jüdischen Lebens sind nun definiert. Die vorgesehenen Maßnahmen müssen aber noch effektiv und zügig umgesetzt werden.".

Was also klingt wie eine Selbstverständlichkeit, eine Resolution des Deutschen Bundestages gegen Antisemitismus und für den Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland ist aber hoch umstritten.

Kritiker sehen Grundrechte in Gefahr. Und vielleicht noch schlimmer: Diese Resolution verbessere gerade nicht den Schutz von Juden und Jüdinnen in Deutschland, sondern verschlechtere ihn sogar, fürchtet jedenfalls Susan Neiman. Sie ist Jüdin und israelische Staatsbürgerin, lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Und sie ist die Leiterin des Einsteinforums, das sich dem Andenken Albert Einsteins in Potsdam widmet, der ja ebenfalls Jude war.
Ich schwöre Ihnen, dass wenn wir noch ein Maßnahme dieser Art mit der Festsetzung auf die alte Definition haben, wird der Antisemitismus in diesem Land noch steigen.

Das heißt, der Bundestag hat zwar entschieden, aber angesichts der Kritik ist klar: Damit ist die Debatte nicht zu Ende. Und daher möchten wir uns in der Lage der Nation in dieser Sonderfolge aus Anlass des 9. November die Frage stellen: Wie können wir Juden und Jüdinnen in Deutschland schützen?

Und dazu müssen wir uns auch die Frage stellen: Wie bestimmt man eigentlich, was Antisemitismus ist? Und was hilft dabei, ihn konsequent zu bekämpfen? Und weil uns das so am Herzen liegt, widmen wir diesem Thema diese Sonderausgabe. Und wir, das ist das Team der Lage der Nation und an den Mikrofonen begrüßen euch wie fast immer Ulf Buermeyer, das bin ich, Jurist aus Berlin und...

Philip Banse, Journalist und auch von mir ganz herzlich willkommen zu einer Sonderausgabe der Lage der Nation mit der Nummer 406 vom 9. November 2024.

Philip, Haben wir in Deutschland ein Problem mit Antisemitismus? Ich denke, das ist eine rhetorische Frage.

Das ist natürlich klar. Und da sind sich alle, wirklich alle, die auch in diesem Beitrag und in unserer Sonderfolge hier zu Wort kommen, natürlich einig. So sehr sie das auch kritisieren im Einzelfall. Auf jeden Fall haben wir in Deutschland ein Problem mit Antisemitismus in allen Bereichen und auch aus allen Kulturen. Deutsche Rechtsextreme, aktuell vielleicht auch die AfD. Aber es gibt natürlich auch muslimische migrantische Kreise mit einem Antisemitismusproblem.
Und das ist in Deutschland ja nicht neu. Das gibt es seit Jahrhunderten.

Und auch nicht nur in Deutschland, in vielen, vielen anderen Gesellschaften. Aber Antisemitismus hat eben auch die gesamte Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geprägt. Dazu hat Ronen Steinke zum Beispiel einen, wie ich finde, ziemlich erschütterndes Buch geschrieben. Terror gegen Juden heißt das. Mit diesem Buch war er auch vor ein paar Jahren schon mal zu Gast hier in der Lage der Nation. Ausgabe 204 war das. Den Link findet ihr in den Shownotes.
Ich persönlich finde es traurig zu sehen, wie fest verwurzelt Antisemitismus in der bundesdeutschen Gesellschaft ist, gerade auch nach dem Holocaust.

Und das hat jetzt auch noch mal eine Studie der Uni Mannheim gezeigt aus dem Oktober 2024. Also wirklich sehr frisch. Und die kommt zu dem Schluss Die haben, glaube ich, über 3000 Leute befragt. Traditionell antisemitische Einstellungen sind in der deutschen Gesellschaft nach wie vor deutlich nachweisbar. 8 % der deutschen Bevölkerung sind eher der Meinung, dass Juden und Jüdinnen "mehr hinter Geld her sind" als andere Menschen.
Also ein klassischer antisemitischer Topos. 13 % stimmen der Aussage eher zu, dass Juden und Jüdinnen "zu viel Einfluss in der Welt haben.".

Die klassische jüdische Weltverschwörung auch so ein ganz klassisches antisemitisches Narrativ. Aber verschärft haben sich diese seit Jahrzehnten, wahrscheinlich seit Jahrhunderten bestehenden Antisemitismusprobleme in den letzten zwölf Monaten. Wir haben viel berichtet in der Nation über den brutalen Terroranschlag der Hamas und anderer Terrororganisationen am 7. Oktober mit weit über 1000 Toten auf israelischem Boden.
Dieser Terroranschlag und vor allem aber auch die Reaktion Israels darauf mit dem entsprechenden Leiden der Menschen im Gazastreifen und jüngst auch im Libanon haben natürlich die Zahl der klar antisemitisch motivierten Gewalttaten massiv ansteigen lassen. Einige Juden, einige Jüdinnen fühlen sich jetzt auch in ihrem Alltag bedroht.
Unser Kollege Sebastian Engelbrecht beschreibt zum Beispiel im Deutschlandfunk das Leben der Berliner Jüdin Sharon Adler, ist 62, und sie hat in der Taxi App ihren Namen geändert, sagt sie. Denn sie will nicht als Jüdin erkennbar sein.
In welchem europäischen Land kann ich als Jüdin oder als Jude sicher leben? Es gibt keins.

Und das ist natürlich heute, 2024, eine wirklich schreckliche Aussage. Niemand darf in Deutschland diskriminiert, angefeindet werden, ganz sicher nicht jüdische Menschen. Das ist angesichts der deutschen Geschichte besonders unerträglich.

Und die große Mehrheit der Deutschen und auch der Parteien im Deutschen Bundestag ist sich deswegen völlig einig: Deutschland muss mehr tun gegen Antisemitismus. Die Frage ist nur, wie genau? Was eigentlich hilft gegen Antisemitismus?

Und der Bundestag hat ein Jahr lang an seiner Antwort würde ich mal sagen, auf dieses Problem, auf diese Frage gearbeitet. Und nun ist also dieser Text fertig und er wurde noch gerade so vor dem Aus der Ampel im Bundestag verabschiedet. Und zwar ist das eine Resolution, also nicht bindende Meinungsäußerung mit dem Titel "Nie wieder ist jetzt jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken". Würde ich sagen schöner Titel, kann man sich nicht drüber streiten. Klingt prima.
Problem gelöst. Zurück zum Ampelstreit.

Von wegen, muss man sagen. Um diese Fünf Seiten Text ist in Deutschland eine hitzige Debatte entbrannt. Die wurde schon über das Jahr geführt, wo diese Resolution quasi im Bundestag hinter verschlossenen Türen immer mal wieder beraten wurde. Aber es ist jetzt aus Anlass dieses Beschlusses noch mal richtig hochgekocht. Man kann fast sagen von Berlin bis
Bethlehem. Es geht um Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit und den Vorwurf, der eben gerade von Jüdinnen und Juden erhoben wird: Diese Resolution schadet den jüdischen Menschen in Deutschland mehr, als sie ihnen nutzt. Und da muss man schon sagen: Was ist denn hier los? Wie kann das passieren?

Also wir blättern das wie immer ausführlich und von vorne auf. Ursprünglich ist die Union vorgeprescht. Ihr ist die Verknüpfung von Migration und Antisemitismus, das kann man schon so sagen, ein bisschen wichtiger, als das anderen Parteien ist. Und sie hatte daher im letzten November eine Initiative gestartet, mit einem Gesetzentwurf und dem Titel zur Beendigung des Aufenthalts und Verhinderung der Einbürgerung antisemitischer
Ausländer. Das war, würde ich sagen, mal der Stein des Anstoßes, auch natürlich im Nachgang zum 7. Oktober.

Die anderen Fraktionen haben die Union dann so ein bisschen zurückgepfiffen. Es sei doch wesentlich sinnvoller, eine möglichst breite. Initiative im Bundestag zu starten und das jetzt nicht eben zum Gegenstand von parteipolitischem Hickhack zu machen, Also besser irgendwas Überparteiliches zu
verabschieden. Und natürlich haben auch die anderen Parteien im Bundestag, vielleicht mit Ausnahme der AfD auch sich so ein bisschen die Frage stellt, wie sinnvoll das jetzt eigentlich ist, den Akzent ausgerechnet auf migrantischen Antisemitismus zu legen, wo wir Antisemitismusprobleme in Deutschland ja seit Jahrhunderten haben und insbesondere auch schon, bevor überhaupt Migranten nach Deutschland gekommen sind. Insofern gab es da eben die Idee: Lass uns doch lieber zusammen was
schreiben. Und diese, diese Überlegung sind jetzt nach einem Jahr mit teilweise auch sehr quälenden Debatten eben zum Abschluss gekommen.

Und münden halt in dieser Resolution Jüdisches Leben in Deutschland schützen. Es ist eine Resolution, ist es kein Gesetz. Es heißt, dieser Text, dieser Beschluss des Bundestages ist nicht formal bindend. Es ist letztlich eine Meinungsäußerung der großen Mehrheit des Bundestages.
Aber natürlich, und deswegen reden wir da jetzt auch so ausführlich drüber, wird diese Position des Bundestages sehr, sehr, sehr großen Einfluss haben auf sehr viele Bereiche in unserer Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft. Und das ist auch kein Zufall. Das steht in dieser Resolution. Sie fordert die Einrichtung von Kultur und Wissenschaft auf.
Förderung, Geldflüsse maßgeblich davon abhängig zu machen, ob sich diese Einrichtung, diese Wissenschaftler, diese Kulturschaffenden einer ganz bestimmten Definition von Antisemitismus verschreiben. Wenn das nicht der Fall ist, soll kein Geld fließen.

Und das ist es, was letztlich der Knackpunkt ist. Natürlich dreht sich die Debatte nicht darum, ob oder dass jüdisches Leben in Deutschland besser geschützt wird. Da sind sich Gott sei Dank fast alle einig. Ausnahme vielleicht der AfD. Es geht um die Frage, was das richtige Mittel ist, um diesen Schutz jüdischer Menschen besser zu erreichen. Und dazu dröseln wir jetzt mal auf, wie diese Debatte um die Resolution verlaufen ist. Einfach, weil sie ganz grundsätzliche Fragen aufwirft.
Insbesondere wir haben es gesagt, verwendet diese Resolution eine ganz bestimmte Definition von Antisemitismus. Aber ob die geeignet ist, das ist eben sehr umstritten, gerade auch in der jüdischen Community, in Deutschland und Israel.

Ja, und im Zentrum dieser Resolution und auch jetzt unserer Sendung steht die Frage Was ist eigentlich Antisemitismus? Und die Antwort klingt zunächst mal ziemlich klar und einfach: Antisemitismus ist Hass gegen Juden. Aber das ist eben nur der einfache Teil.

Also in wenigen Fällen wird der Antisemitismus so deutlich formuliert. Eben "Ich hasse Juden", das sagt Gott sei Dank kaum jemand. Stattdessen werden viele andere Formulierungen verwendet, die man dann darauf abklopfen muss, ob denen möglicherweise eine negative, vorurteilsbehaftete Haltung gegen Juden zugrunde liegt. Und das ist auch deswegen nicht so einfach, weil Antisemitismus eben eine jahrhundertelange Geschichte hat. Und da haben sich so bestimmte Vorurteile entwickelt.
Klassiker dafür sind der angeblich große Einfluss jüdischer Netzwerke oder gar Verschwörung, also diese "jüdische Weltverschwörung", das "internationale Finanzkapital"...

Alles in Anführungsstrichen.

Selbstverständlich! Diese klassischen antisemitischen Stereotype sind sehr weitverbreitet, gerade auch in rechtsextremen Kreisen. Aber sie sind schon so ein bisschen schwerer zu erkennen, einfach weil das Stichwort Jude da häufig schon gar nicht mehr fällt.

Und das Wort Hass auch nicht. Und trotzdem gibt es viele dieser Erzählungen, Stereotype und Narrative, die eindeutig als antisemitisch zu bezeichnen sind. Und dann gibt es natürlich noch die richtig schwere Frage, die auch hier sehr im Zentrum steht an der Kritik dieser Resolution: Kann eigentlich auch Kritik an israelischer Politik oder dem israelischen Staat antisemitisch sein?
Und wenn ja, wie unterscheidet man dann eigentlich legitime Kritik an der Politik der israelischen Regierung, zum Beispiel im Westjordanland oder im Gazastreifen, im Libanon von Hass auf jüdische Menschen?

Tja, im Detail ist das einfach extrem schwer zu entscheiden. Zugleich aber ist es natürlich die ganz zentrale Frage, wenn man Antisemitismus bekämpfen will. Denn wenn man da zu wenig tut, dann ist diese Bekämpfung vielleicht nicht so wirksam. Wenn man so viel tut, verbietet man oder sanktioniert auf andere Weise legitime Meinungsäußerung. Und um also sich diesem Problem zu nähern, haben sich im Prinzip vor allem zwei konkurrierende Definitionen von Antisemitismus etabliert.
Aus der Welt der Wissenschaft kommt die sogenannte Jerusalem Declaration, kurz JD.

Entworfen und unterschrieben von Dutzenden von Antisemitismusforschenden, von Forschern und Forscherinnen. Und die sagt im Kern Antisemitismus is discrimination, prejudice hostility of violence against jews as jews or jewish institutions as jewish.

Also Antisemitismus meint Diskriminierung, Vorurteile, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Juden als Juden oder jüdische Institutionen als jüdische Institution. Es geht tatsächlich um die negative Behandlung, Einschätzung von Menschen oder Institution gerade deswegen, weil es sich um jüdische Menschen oder Institutionen handelt, also in diesem, in dieser Begrifflichkeit als Juden steckt der zentrale Gehalt.
Es geht immer darum, dass das Jüdischsein von Personen oder Organisationen zum Anknüpfungspunkt bestimmter Reaktion gemacht wird.

Und um das noch ein bisschen praxistauglich zu machen, gibt es 15 Richtlinien, die dieser Deklaration beigeordnet sind, die das Prinzip verdeutlichen sollen. Und da heißt es zum Beispiel: Nach dieser Jerusalem Deklaration ist Antisemitismus, wenn "den Juden" Macht, Geld, Einfluss und Intrigen zugeschrieben werden. Und das zeigt sich zum Beispiel in diesen Mythen und Bildern, die wir oben beschrieben haben, die "den Juden" bestimmte Eigenschaften zuschreiben.

Oder wenn diese kollektiven Narrative über "die Juden" auf den Staat Israel übertragen werden, oder wenn Juden kollektiv für das Handeln des Staates Israel verantwortlich gemacht werden, wenn zum Beispiel von Juden verlangt wird, sich von Israel zu distanzieren, oder wenn Juden in Israel das Recht verwehrt wird, sich zum Beispiel nach dem Gleichheitsgrundsatz zu entwickeln.

All das ist nach dieser Jerusalemdeklaration antisemitisch. So. Aber die Jerusalem Deklaration bemüht sich eben auch zugleich darum, nicht uferlos zu werden. Und daher gibt es auch oder führt diese Deklaration auch einige Beispiele an, die deutlich machen, was nach dieser Definition nicht antisemitisch ist.

Beispielsweise palästinensische Forderungen zu unterstützen nach Freiheit, Gleichheit nach internationalem Recht. Für gleiche Rechte aller Menschen zu kämpfen. So auch die Forderung nach einem gemeinsamen Staat für jüdische und palästinensische Menschen, beispielsweise mit dieser Formel. Between the river and the sea. Oder faktenbasierte Kritik am Staat Israel. Dazu zählen nach der JD auch Vergleiche zum Kolonialismus und zu Apartheid.

Man vergleicht das politische Vorgehen der israelischen Regierung in der Westbank mit Apartheid. Extrem umstritten, klar, aber eben nach dieser Definition nicht antisemitisch.

Weil eben auf einer Faktenbasis. Und das ist, das ist der zentrale Punkt. Es ist nicht nur ein Vorurteil, sondern solange da faktenbasiert argumentiert wird und auch ein besonders, sagen wir mal Hot Button Issue, ein besonders heiß umstrittenes Thema ist ja auch die sogenannte Boykottbewegung, also BDS Bewegung. Die setzt sich eben für Boykott und Sanktionen gegen Israel ein. Der Bundestag hat sie schon vor längerer Zeit als antisemitisch
eingestuft. Nach der Jerusalem Deklaration wäre das nicht haltbar, denn dort heißt es:

"Boykott, Veräußerung und Sanktionen sind gängige gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten. Im israelischen Fall sind sie an und für sich nicht antisemitisch.".

Und das, der zentrale Punkt ist hier wiederum, dass die Deklaration davon ausgeht, dass diese Form Boykott usw eben nicht nur spezifisch gegen Israel angewendet werden, sondern dass das ja auch gegenüber vielen anderen Staaten völlig normal ist. Also Beispiel Russland aktuell. Deswegen sagen sie, ist das nicht grundsätzlich antisemitisch. Anders wäre es wohl nach dieser Deklaration, wenn man das nicht etwa aus sachlichen Gründen verhängen
würde. Keine Ahnung wegen Völkerrechtsverstößen in der Westbank, sondern wenn man das fordern würde, gegen die Juden pauschal.

Werdet sofort Antisemiten...

Das ist so der der feine Unterschied. Es geht darum Ist das eine politische Forderung, die man auch gegenüber anderen Staaten erheben könnte, mit ähnlichen Gründen? Oder schwingen dann negative Gefühle gegenüber jüdischen Menschen?

Und nicht antisemitisch ist nach dieser Definition, nach dieser Jerusalemdeklaration, auch wenn politische Reden unausgewogen, unverhältnismäßig laut, unvernünftig sind, ja dann mag das zwar alles unvernünftig und laut und unverhältnismäßig sein, aber es ist eben nicht antisemitisch.

Es sei denn, es werden eben wiederum Doppelstandards verwendet. Gerade weil Menschen jüdisch sind. Dann ist die Grenze überschritten und nach der JD ist es zum Beispiel auch noch legitim, den Zionismus, also quasi die spezifisch jüdische Form des Nationalismus, zu kritisieren, also zum Beispiel die Bewegung, einen jüdischen Nationalstaat in Palästina aufzubauen und zu erhalten, was ja interessanterweise eine Position ist, die sogar im Judentum umstritten ist.
Es gibt also durchaus Juden, die aus religiösen Gründen sagen, es sei gar nicht zulässig, aus biblischen Gründen eine Art jüdischen Staat aufzubauen. Das ist natürlich eine Minderheitsposition. Aber da sagt die JD, das ist als solches auch noch okay. Immer der Nachsatz ist, was nicht immer da steht. Aber was man, glaube ich, immer mitdenken muss. Anders wäre es, wenn man den Zionismus gerade deswegen kritisiert, weil seine Vertreter:innen typischerweise jüdisch sind.

Ja, feine Linie, aber man kann sie ziehen. Die Jerusalem Deklaration ist also eine relativ enge Definition, konzentriert sich darauf, das tatsächlich das jüdisch sein der Anknüpfungspunkt ist von Kritik und Ablehnung, lässt Raum für Meinungsfreiheit, für Kunstfreiheit, für die Wissenschaft. Kern ist die Erkenntnis, dass Kritik an israelischer Politik eben nicht per se antisemitisch ist.

Ja, natürlich kann solche Kritik auf Hass gegenüber jüdischen Menschen beruhen. Dieser Hass muss sich dann aber woanders zeigen. Das heißt, die Kritik an Israel alleine reicht nicht als Indiz dafür, dass es tatsächlich sich um Antisemitismus handelt. Da muss man ein bisschen genauer hinschauen. Kleines Beispiel: Natürlich kann es sein, dass jemand zum Beispiel einen Bombenangriff der israelischen Luftwaffe auf ein Krankenhaus kritisiert, weil er halt ein Problem mit Juden hat.
Aber man kann einer solchen politischen Kritik nicht so einfach Hass gegenüber Juden als Juden unterstellen, sondern man muss dann eben schon genau hingucken, ob es da über diese politische Kritik hinaus noch andere Gründe gibt zu dieser Einschätzung.

Die eben darauf hinweisen Der hasst Juden, der hat ein Problem mit Juden und Jüdinnen und deswegen muss man halt diese Fälle auch immer im Einzelfall untersuchen. Es kommt immer auf den Kontext an, um festzustellen, eine Äußerung ist antisemitisch oder nicht.

Aber das Coole ist, an dieser Definition finde ich, dass die im Kern total klar ist. In der Anwendung ist die natürlich auch nicht immer einfach. Also im Einzelfall muss man halt schon genau hinsehen, warum sagt jemand was? Aber ich finde diesen diesen Kerngedanken, dass es immer darauf ankommt, ob angeknüpft wird allein an das Jüdischsein oder ob es im Gegenteil Sachgründe gibt. Das ist schon etwas, was jedenfalls vom Gedanken dahinter sehr
klar ist. Und ich finde, die große Stärke ist dann, dass diese Deklaration in der Lage ist, den tatsächlichen ideologischen Hintergrund politischer Positionen zutreffend abzubilden. Also haben Menschen wirklich ein Problem mit Juden oder lehnen sie nur bestimmte politische Handlungen oder Positionen der aktuellen israelischen Regierung ab?

Ja, und auch dazu hat diese oben schon zitierte Studie aus Mannheim einiges zu bieten.

Die hat eben unter anderem auch untersucht den Zusammenhang zwischen antisemitischen Einstellungen und propalästinensischen Einstellungen.

Auch nach dieser Studie gibt es in Deutschland natürlich weitverbreitete, haben wir oben gesagt antisemitische Positionen in der deutschen Gesellschaft. Spannend bei dieser Studie an diesem Punkt ist jetzt nur, in welchen Teilen der Gesellschaft Antisemitismus oder antisemitische, traditionelle antisemitische Einstellungen eben verbreitet sind.
Der traditionelle Antisemitismus, so sagt die Studie, ist dabei am stärksten ausgeprägt bei Menschen über 65, die sich politisch eher rechts verordnen und keinen Universitätsabschluss haben. Junge Menschen unter 35, die sich politisch eher links verorten, sind die am wenigsten antisemitisch eingestellte Gruppe nach dieser Mannheimer Studie.

Und zugleich sind diese Menschen, die besonders wenig zum klassisch traditionellen Antisemitismus neigen, also damit sind diese Topoi gemeint wie Weltverschwörung und ähnliche antisemitische Vorstellungen, die Leute, die dazu besonders wenig neigen, die sind aber zugleich nach dieser Studie besonders stark auch propalästinensisch eingestellt.
Mit anderen Worten: Pro Palästina zu sein, die Rechte der Menschen im Gazastreifen zum Beispiel hoch zu halten, das korreliert gerade nicht mit klassischen antisemitischen Positionen. Ganz im Gegenteil zeigen dieselben Menschen, die starke Sympathien für die palästinensische Sache hegen, besonders wenig antisemitische Einstellungen.

Man kann das auch wissenschaftlich formulieren Es gibt eine negative Korrelation zwischen pro palästinensischen und antisemitischen Einstellungen. Das bedeutet, dass es schlicht eine Unterstellung ist, in den allermeisten Fällen von propalästinensischen Positionen auf antisemitische Einstellungen zu schließen. Man tut diesen Menschen in den allermeisten Fällen Unrecht. Natürlich, das sagt auch die Studie, gibt es Ausnahmen.
Natürlich gibt es propalästinensische Einstellungen, die antisemitisch korreliert sind. Aber das sind, sagt die Studie, eben Einzelfälle. Es sind typischerweise einfach Menschen, denen Menschenrechte am Herzen liegen, die propalästinensisch eingestellt.

Und diese sozialwissenschaftliche Erkenntnis bildet die Jerusalem Declaration ab. Sie kann negative Einstellung gegen Juden und politische Positionen auseinanderhalten. Und sie vermeidet es, damit, Israelkritik mit Hass gegen Juden in einen Topf zu werfen. Denn diese Vermischung empfinden natürlich viele Menschen als unfair.
Also gerade auch propalästinensische DemonstrantInnen und Demonstranten wollen sich natürlich nicht als antisemitisch bezeichnen lassen, weil sie in aller Regel eben sagen: Ich habe überhaupt kein Problem mit Jüdinnen und Juden, ich möchte mich nur für Menschenrechte engagieren, auch wenn die Verletzungen von der Armee des jüdischen Staates ausgehen.

In Deutschland in der deutschen politischen Debatte. Vorherrschend ist aber eine andere Definition von Antisemitismus, nämlich die sogenannte IHRA Definition. Macht sich zum Beispiel auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung zu eigen. Also diese IHRA Definition ist quasi so, ich will mal sagen so die quasi offizielle Antisemitismusdefinition deutscher staatlicher Stellen.
Und, jetzt kommen wir zurück zur Resolution, diese spezielle Definition liegt eben auch dieser vom Bundestag verabschiedeten Antisemitismusresolution zugrunde.

Ja, mit diese Ihrer Definition hat sich eben. Die International Holocaust Remembrance Alliance auf die Fahnen geschrieben. Deswegen heißt sie auch IHRA Definition. Die haben die nicht erfunden, die haben IHRA jetzt rezipiert. Aber die wird jetzt eben nach dieser Organisation benannt, die ist verfasst von zwischenstaatlichen Organisationen mit 35 Staaten gemeinsam erarbeitet. Und der Witz dabei ist: Das will auch gar kein Rechtstext sein, sondern die Überschrift klingt schon
sehr bescheiden. Da heißt es nämlich einfach Arbeitsdefinition. Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken. Und die formuliert:

"Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." Das war's.

Tja, klingt einfach zu verstehen, ist aber eben auch maximal breit und vage. Eine Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass usw ausdrücken kann und eignet sich deswegen gerade eigentlich nicht, um trennscharf ein bestimmtes Verhalten als antisemitisch oder auch nicht antisemitisch einzuordnen. Die IHRA betont daher selbst und das ist ganz wichtig zu wissen, das ist nur eine Arbeitsdefinition, das ist keine Vorlage für Rechtstexte.
Sie eignet sich nicht für juristische Entscheidungen, denn sie birgt viel zu viel Auslegungsspielraum.

Richtig. Und weil diese IHRA Definition so wenig trennscharf ist und weil IHRA das selbst weiß, liefert sie selbst elf Beispiele, die jeweils antisemitisches Verhalten darstellen können. Wobei sie ausdrücklich sagen, das ist nicht so klar. Hängt alles vom Kontext ab, haben wir oben gesagt. Ein paar Beispiele, die IHRA nennt:.

Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.

Kann antisemitisch sein. Dann das kollektive verantwortlich machen von Juden Jüdinnen für des Staates Israel.

Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.

Weiteres Beispiel für Antisemitismus: Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Staaten vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

Das sind aber eben nur Beispiele, die nicht Teil der IHRA Definition sind. Daher fallen sie oft unter den Tisch. Gerade dieser allerletzte Satz. Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, kann nicht als antisemitisch betrachtet werden. Dieser Satz aus den Beispielen wird kaum rezipiert, muss man ehrlich sagen, fällt in der Diskussion häufig völlig unter den Tisch oder in der Anwendung.
Und im Ergebnis trägt die IHRA Definition daher wenig zu der Erklärung bei, was Antisemitismus ist. Kritisiert jedenfalls Professor Dr. Barbara Stollberg-Rillinger. Sie ist Rektorin des Wissenschaftskollegs in Berlin.
Die Definition, die man hier festgelegt hat, die sogenannte IHRA Definition, ist absolut vage und lässt einen riesigen Spielraum und führt deshalb zu Rechtsunsicherheit.

Ja, aber was ist denn nun genau die Gefahr einer so breiten und vagen Definition von Antisemitismus?

Das formuliert der Rechtswissenschaftler Professor Dr. Matthias Goldmann.
Hier besteht die Gefahr, dass Grundrechte beeinträchtigt werden auf eine Weise, mit der uns allen nicht gedient ist, und zwar vor allem die Meinungsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit und auch die Kunstfreiheit.

Ähnlich sieht das die langjährige Nahostkorrespondentin Christian Helberg im Interview mit der Frankfurter Rundschau. Da sagt sie:.

Die IHRA Definition wird von Wissenschaftlern kritisiert, weil sie unpräzise formuliert ist und eine Liste von Beispielen enthält, die auch legitime Kritik an israelischer Politik als potenziell antisemitisch aufführt. Deshalb wird sie seit Jahren von israelischen Regierungsvertretern propagiert. Sie missbrauchen die IHRA Definition, um jegliche Kritik an ihrem Handeln als antisemitisch zurückweisen zu können.

Also konkret bedeutet das in Deutschland Im Namen des Kampfes gegen den Antisemitismus werden hierzulande Ausstellungen abgesagt, Versammlungen verboten und Menschen am Reisen gehindert. Da gehen also Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Kunstfreiheit und Wissenschaftsfreiheit in einigen Fällen über genau den Jordan.

Und diese Befürchtung sind eben nicht aus der Luft gegriffen. Die IHRA Definition ist ja schon seit Jahren der De facto Standard in Deutschland für die Prüfung auf Antisemitismus. Spätestens seit der sogenannten BDS Resolution des Bundestages aus dem Jahr 2020. Und das Problem ist, wir haben es angedeutet, Nach IHRA kann man auch Kritik an konkreter Politik der aktuellen israelischen Regierung als Antisemitismus markieren.
Und es gibt eben zahlreiche Beispiele, wo deutsche Behörden Grundrechte massiv beschnitten haben auf der Basis eines sehr breiten Antisemitismusbegriffs, der wiederum seine Grundlage in der IHRA Definition fand.

Ja, genau. Wir haben jetzt mal zwei Beispiel rausgekramt. Es gibt wirklich, wirklich viele. Das können wir jetzt nicht alle auflisten, wir nehmen mal zwei. Das eine Beispiel ist der Palästinakongress in Berlin. Der sollte endlich stattfinden im April diesen Jahres, also vor gut einem halben Jahr. Das ist ein pro palästinensischer Kongress, als das war's geplant.
Veranstalter war die Jüdische Stimme für Gerechten Frieden in Nahost, gehört zu einem Netzwerk, das sich nennt Europäische Juden für einen gerechten Frieden. Unterstützer und Mitorganisatoren kam aus dem linken Spektrum von Trotzkisten bis zum BDS, also...

Der Boykott Sanktionen Bewegung.

Da waren Juden, das waren Palästinenser und da waren auch Leute, die sich keiner Richtung zugehörig fühlen.

Tja, die Berliner Behörden allerdings haben diesen Kongress nach kurzer Zeit aufgelöst und zwar ohne dass es da zu Straftaten gekommen war, was natürlich ein massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist, zumal der Kongress in geschlossenen Räumen stattfinden sollte, wo nach dem Grundgesetz Versammlung ohnehin nicht so einfach aufgelöst werden
können. Und diese Auflösung kritisiert der renommierte Völkerstrafrechtler Professor Dr. Kai Amboss von der Universität Göttingen in seiner Analyse im Verfassungsblog scharf. Er sagt:.

Die Gefahrenprognose der Polizei sei dürftig gewesen, die Veranstalter hätten kooperiert. Und deswegen, sagt er, spreche einiges dafür, dass die Auflösung dieser Veranstaltung rechtswidrig gewesen ist.

In diesem Kontext allerdings erließen Berliner Behörden zahlreiche Verbote, die massiv in Grundrechte eingriffen, beispielsweise Einreiseverbote in die Bundesrepublik oder auch Betätigungsverbote für bestimmte Personen. Und verwendeten zur Begründung Textbausteine wie diesen.

Zitat einer Berliner Behörde: "Die Bundesrepublik Deutschland ist zum Schutz des Staates Israel aufgrund seiner Geschichte besonders verpflichtet. Dieses Ziel gehört zur deutschen Staatsräson.
Die Hinnahme öffentlicher Reden, die das bestreiten, das Existenzrecht Israels oder andere antisemitische Äußerungen zum Gegenstand haben, sind vor diesem Hintergrund geeignet, das außenpolitische Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Staat Israel zu beeinträchtigen, sofern diese nicht untersagt werden.".

Das zeigt halt einfach, was passiert, wenn Definitionen schwammig und unklar sind. Man sieht sofort in diesem Textbaustein, dass die Behörde nicht scharf unterscheidet zwischen Grundrechten. Sie unterscheidet nicht zwischen Antisemitismus und Existenzrecht Israels, Staatsräson, außenpolitische Interessen. Da geht alles munter durcheinander.
Und das große Problem ist eben, dass diese unscharfe IHRA Definition, wie man an diesem Textbaustein sehen kann, aber zur Grundlage behördlicher Entscheidungen gemacht wird. Und da bleiben einfach lauter offene Fragen.

Also was versteht diese Behörde unter Staatsräson, was versteht sie unter israelfeindlicher Propaganda? Was versteht die Behörde unter Antisemitismus? All das müsste geklärt werden, weil mit diesen Begriffen und mit dieser Definition begründet wird, warum und wie Grundrechte eingeschränkt werden. Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit und diverse andere Grundrechte werden mit dieser Begründung beeinträchtigt. Zweites Beispiel:.

Candice Breitz. Das ist eine jüdische Künstlerin. Sie stammt aus Südafrika, hat daher quasi biografisch schon einen gewissen Bezug zur Apartheid, weil Südafrika ja jahrzehntelang ein Apartheidsstaat war, in dem eben die weiße Minderheitsbevölkerung die schwarze Mehrheitsbevölkerung massiv unterdrückt hat. Sie lebt jetzt aber schon seit Jahren in Berlin, und jahrelang hat sie eine Ausstellung geplant in der Saarbrücker Modernen Galerie. Diese Ausstellung allerdings wurde im Herbst 2023 abgesagt.
Grund war da die Medienberichterstattung über die Künstlerin, also über Candice Breitz, bereits im Zusammenhang mit kontroversen Äußerungen im Kontext des Angriffskrieges der Hamas auf den Staat Israel. Also wohlgemerkt eine jüdische Künstlerin, der letzten Endes Vorwürfe gemacht wurden, sie sei antisemitisch, weil sie in Bezug auf Israel eben von Apartheid gesprochen habe.

Von diesen Beispielen gibt es eine ganze Menge. Behörden, Institutionen, staatliche Einrichtungen schränken Grundrechte ein mit sehr wolkigen und nicht eng definierten Hinweisen und verweisen auf Antisemitismus oder Kritik an Israel. Und das zeigt: Bei einer zu breiten Definition von Antisemitismus geraten eben Grundrechte schnell unter die Räder, weil Behörden einfach alles oder zumindest zu viel für Antisemitismus halten.

Aber davor stellt sich natürlich die Frage: Wenn diese Ihrer Definition so buggy ist, warum nimmt die Bundesrepublik dann statt IHRA nicht die Jerusalem Deklaration, die ja immerhin aus quasi aus der aus der Antisemitismusforschung stammt, die eine wissenschaftliche Definition ist, die auch in der Anwendung, jedenfalls im Grundsatz viel schärfer ist. Wir haben es oben genau dargelegt.
Warum gibt es trotzdem noch diese IHRA Definition und warum wird über diese beiden Definitionen auch so vehement gestritten? Auch und gerade zwischen jüdischen Menschen?

Dazu muss man sagen: Nach allem, was wir wissen in dieser Kommission im Bundestag, die diesen Text geschrieben hat, wurde nicht über die Definitionen gestritten. Welche nehmen wir denn jetzt?

Nein, da wurde gesagt, wir nehmen IHRA. Das haben wir ja damals schon genommen und daran wird auch nicht gerüttelt.

Ist ja auch Definition, zu der sich der Antisemitismusbeauftragte, der Zentralrat, die deutsch israelische Gesellschaft bekennt. Und auch der BDS Beschluss basiert auf dieser Definition. Das wurde innerhalb des Bundestages einfach als gegeben hingenommen, nach allem, was wir wissen. Aber hinter diesem Streit steht ein massiver innerjüdischer und auch innerisraelischer Konflikt über den richtigen Umgang mit der gegenwärtigen Politik Israels.

Ja, also klar ist für fast alle Jüdinnen und Juden: Der Staat Israel muss unbedingt geschützt und erhalten werden. Das ist für jüdische Menschen einfach eine sehr emotionale Frage. Ich habe da in letzter Zeit auch mit vielen jüdischen Menschen darüber gesprochen, einfach um ein Gefühl dafür zu bekommen, bevor wir so eine Sendung machen über Antisemitismus.
Da war für uns natürlich völlig klar, da können wir jetzt nicht einfach so drüber reden, sondern da habe ich mir also ganz viel Zeit genommen, Philip auch, einfach ein Gefühl dafür zu bekommen, wie empfinden das eigentlich jüdische Menschen. Und die Beziehung zum Staat Israel ist für die jüdischen Menschen, mit denen ich gesprochen habe, jedenfalls eine sehr emotionale Frage.
Aus einem einfachen Grund: Israel ist halt das einzige Land auf der Welt, wo jüdische Menschen mal nicht in der Minderheit sind. Und das sind sie sonst nämlich überall sonst auf der Welt. Sie sind immer quasi die in Anführungsstrichen anderen. Und in Israel ist das nicht der Fall. Und Israel hat deswegen ganz klar die emotionale Funktion auch eines sicheren Hafens auf der Welt eines Ortes, an denen man als jüdischer Mensch auf jeden Fall, wenn es hart auf hart kommt, fliehen
kann. Es gibt nur ganz wenige jüdische Menschen, die Zionismus, also quasi politisches Judentum, Juden brauchen einen eigenen Staat, grundsätzlich ablehnen. Die gibt es, aber das ist eine Ausnahme. Die allermeisten haben ein sehr intensives emotionales Verhältnis zum Staat Israel. Und das ist vermutlich auch der Kern dessen, was immer als Staatsräson
in Deutschland gilt. Also Deutschland einfach quasi als der Täter Staat, das Tätervolk, das der jüdischen Gemeinschaft auf der Welt einfach furchtbares Leid angetan hat, über 6 Millionen Menschen umgebracht hat. Dieses Land, diese Gesellschaft, dieses Volk ist in einer ganz besonderen Verantwortung, einen sicheren Hafen für jüdische Menschen
sicherzustellen. Und das zum Beispiel ist auch etwas, was aus dieser Kommission ich so mitbekommen habe, dass also die Menschen, die da mit beraten haben an dem Resolutionstext, die haben das auch ganz deutlich gespürt, wir müssen doch diesen sicheren Hafen Israel schützen.

Richtig, das ist großer Konsens unter Juden, Jüdinnen, aber eben auch vor allen Dingen in Deutschland. Aber ansonsten gibt es innerhalb der jüdischen Community verschiedene Fraktionen, die sich insbesondere bei der Frage unterscheiden, wie Israel sich im Palästinakonflikt verhalten soll. Da gibt es auf der einen Seite, ich will mal sagen so ganz grob die israelische Rechte, also Netanjahus Likud Partei und noch rechtere extremere Parteien, die auch aktuell in der
Regierung sind. Deren Position ist kurz zusammengefasst: Israel muss gegen die palästinensische Seite militärisch gewinnen. Nur so ist der Frieden herzustellen.

Das ist so diese Idee quasi vom Siegfrieden. Also wir gewinnen diesen Kampf, diesen Konflikt militärisch und dann herrscht endlich Frieden. Rechte der Palästinenser sind da jetzt also nicht Priorität eins mal ganz vorsichtig, sondern es geht um militärische Gewalt, militärischen Sieg. Dahinter steht, das muss man auch alles ein bisschen im Lichte der Shoah betrachten, also es hat mir neulich eine Jüdin auf Insta geschrieben, mit der ich so ein bisschen im Austausch war.
Die sagte: Na ja, also nach dem Holocaust gab es einfach in der jüdischen Community, so diese quasi selbstkritische Überlegung, haben wir uns quasi wie die Lämmer selbst zur Schlachtbank führen lassen haben. Hätten wir uns gegen diese Nazis, hätten wir uns gegen die Shoa wehren müssen. Sind wir quasi so ein Opfer
Volk? Und aus dieser selbstkritischen Reflektion heraus gibt es einfach diesen ganz starken Impuls und ich persönlich kann ihn total nachvollziehen zu sagen, das passiert uns nicht noch mal, also wir lassen uns nicht noch mal zum Opfer Volk machen. Ab jetzt wird sich gewehrt und ich meine, das sieht man ja auch so ein bisschen an der israelischen Geschichte, dass natürlich Israel von vornherein auch auf militärische Stärke gesetzt hat.

Ja, das ist ein großer. Ich weiß nicht, ob es die Mehrheit ist...

Eine knappe Mehrheit.

Aber es ist nur ein Teil der Juden in Deutschland, die sich dieser Position, dieser harten, würde ich sagen, Position gegenüber den Palästinensern verbunden fühlen. Professor Susan Neiman, Jüdin selber, israelische Staatsbürgerin und Direktorin des Einstein Forums in Potsdam.
Es gibt Juden und Juden, es gibt die Juden, die sich vertreten fühlen durch die CSU regierter Zentralrat, was ein kleiner Bandbreite der Juden in diesem Land tatsächlich vertritt. Und es gibt andere Juden.

Und dieser andere Teil der jüdischen Community fühlt sich eher der bunten israelischen Opposition nahe, die findet, ganz grob zusammengefasst, wir vereinfachen das jetzt, damit es verständlich ist. Die findet grob zusammengefasst Netanjahus politische Linie im Palästinakonflikt fatal. Sie setzen eher auf eine Aussöhnung mit palästinensischen Menschen. Sie setzen auf einen fairen Frieden, auf eine Zweistaatenlösung.
Und dazu gehört natürlich auch die Räumung von Siedlungen, quasi sie die Einhaltung des Völkerrechts im Westjordanland. Und für Susan Neiman kristallisiert sich diese zweite Position in einem Zitat von Albert Einstein.

Der ja auch Jude war.
Wenn die Juden nicht klarkommen mit ihren arabischen Nachbarn, dann haben sie nix aus unsere 2000-jährige Leidensgeschichte gehört.

Und je nachdem, auf welcher Seite man steht, ordnet man die Kritik an der israelischen Politik und der israelischen Kriegsführung anders ein. Team Netanjahu findet die Kritik an der israelischen Politik schwierig. Bremst ja nur den Krieg aus, macht einen Sieg über die Palästinenser schwieriger.

Team Opposition hingegen findet Kritik an israelischer Politik ganz im Gegenteil essenziell wichtig. Aus dieser Sicht führt Netanjahu das Land Israel in eine Sackgasse, schafft nur neue, jahrzehntelange Konflikte. Diese Jüdinnen und Juden wünschen sich gerade Kritik an Netanjahu, und zwar gerade auch von den Freunden Israels wie Deutschland. Oder zumindest möchten sie selbst diese Kritik äußern können, ohne dass man ihnen quasi abspricht, richtige Juden zu sein.
Beide Lager haben wiederum in Deutschland ihre Vertreter und Vertreterinnen. In der Mehrheit ist auch in Deutschland wahrscheinlich das Team Netanjahu. Die wünsche sich möglichst wenig Kritik an israelischen Kriegsführung, klammern sich an die Hoffnung auf einen Siegfrieden über die Palästinenser, finden daher die IHRA Definition auch besser, weil sie eben relativ wenig Kritik an Israel erlaubt und viel Kritik an der israelischen Politik auch als Antisemitismus delegitimiert.

Das ist natürlich auch die Position der israelischen Botschaft in Deutschland. Aber auch die Position des Zentralrats der Juden in Deutschland und der deutsch israelischen Gesellschaft beispielsweise. Aber es gibt auch viele jüdische Stimmen in Deutschland, die einen Politikwechsel in Israel wollen, die also die Politik Netanjahus ablehnen. Die finden dann typischerweise die IHRA Definition total problematisch, weil die Anwendung auch ihnen den Mund zu verbieten
droht. Im schlimmsten Fall führt die IHRA Definition in ihrer Anwendung ja sogar dazu, dass ausgerechnet jüdischen Menschen dann Antisemitismus vorgeworfen wird. Siehe die gecancelte Ausstellung von Candice Breitz im Saarland.

Und auf diese problematische politische Instrumentalisierung dieser breiten IHRA Definition weist auch Professor Dr. Barbara Stollberg-Rilinger hin. Sie ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rektorin des Wissenschaftskollegs in Berlin.
Wir wissen auch alle, und das ist keine Zukunftsprognose, sondern das ist eine Erfahrungstatsache, dass der Antisemitismusvorwurf benutzt wird als politisches Instrument, um bestimmte politische Positionen zum Schweigen zu bringen, und zwar Positionen, die gerade auch von Jüdinnen und Juden eingenommen werden.
Es ist ja offensichtlich, dass gerade sehr viele Jüdinnen und Juden, auch sehr viele international renommierte Holocaustforscher, Antisemitismusforscher als Antisemiten diffamiert werden, um ihre Kritik gegenüber der israelischen Regierung, ihre Haltung zu diffamieren und zum Schweigen zu bringen. Und das funktioniert auch bereits sehr, sehr gut, nämlich in Form vorauseilender Selbstzensur.

Also dass man aus Furcht, als Antisemit oder Antisemiten gebrandmarkt zu werden, lieber die Klappe hält.

Israel nicht kritisiert oder jedenfalls weniger kritisiert. So, das ist sind also quasi die beiden Definitionen. Das sind die beiden Positionen innerhalb der jüdischen Community. Und nun kommen wieder der Bundestag und seine Resolution ins Spiel.

Der Bundestag schlägt sich in diesem innerjüdischen Konflikt ganz klar auf eine Seite, nämlich auf die Seite von Team Netanjahu oder auch auf die Seite des Zentralrats der Juden in Deutschland. Und er stellt sich damit natürlich gegen die Opposition in Israel, stellt sich auch gegen Netanjahu kritische Juden in Deutschland.

Der Bundestag möchte der IHRA Definition mit seiner Resolution noch weiteres Gewicht geben. Und nur was steht denn jetzt eigentlich in dieser Resolution? Da steht ja noch mehr drin, als nur das jetzt IHRA in Zukunft das Maß aller Dinge sein soll.

Also einmal stehen natürlich total selbstverständlich und auch absolut sinnvoll und vernünftige Dinge drin, über die es auch wenig Streit gibt. Zum Beispiel: Der Bundestag bekennt sich zur historischen Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden weltweit. Und sie begründet gleichsam unser unverrückbares Schutzversprechen an das Existenzrecht des Staates Israel als sichere Heimstätte des Jüdischen Volkes. Das ist das, was du oben skizziert hast.

Aber die Revolution enthält eben auch durchaus umstrittene Positionen. Zitat:.

"Sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels infrage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS Bewegung aktiv unterstützen."

Also das ist aus deutscher Perspektive wahrscheinlich auch weitgehend Konsens. Aber schon das gefällt progressiven Israelis nicht, denn sie sehen wirtschaftliche Sanktionen durchaus als ein legitimes Mittel, um die israelische Regierung auf einen Friedenskurs zu bringen und damit auf Dauer Frieden im Nahen Osten zu schaffen. Aber wie gesagt, das ist in Deutschland jedenfalls weitgehend Konsens.
Der Knackpunkt ist, dass Länder und Kommunen die sogenannte IHRA Antisemitismus Definition als maßgeblich heranziehen soll.

Ja, auf Grundlage dieser breiten Antisemitismusdefinition sollen dann weitreichende Maßnahmen getroffen werden. Also zum Beispiel sollen repressive Möglichkeiten konsequent ausgeschöpft werden, vor allen Dingen im Strafrecht. Es soll also jeweils dieses BDS Verbot geprüft werden.
Für die Bereiche Kunst und Kultur gilt es, sagt diese Resolution, haushaltärische Regelungen zu erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden. Auch für die Hochschulen gibt es Regelungen.

Dazu gehören die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss von Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen. Und der Bundestag fordert "die Überprüfung der Hochschulgesetze auf Lücken und Anpassung im Sinne notwendiger
Sanktionsmöglichkeiten." Ja, die schwammige Antisemitismusdefinition der IHRA, die wohlgemerkt selber sich gar nicht als Rechtstext versteht, wo selber davor gewarnt wird, dass man die zum Maßstab für juristische Entscheidungen nehmen soll, die macht der Bundestag nun also zum Maßstab, zum Beispiel dafür, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert werden können.

Zum Beispiel diese Jerusalem Declaration ist Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit. Da haben also Leute geforscht: Ja, wie definieren wir denn jetzt Antisemitismus? Und die hätten sich nach dieser Resolution zunächst mal zu einer ganz anderen Definition bekennen müssen, bevor sie dann überhaupt da anfangen zu forschen, welche anderen Definitionen kannst du noch geben?

Und wie sollen Wissenschaftler quasi offen und neutral an Antisemitismus Definitionen forschen, wenn sie sich vorher zu einer speziellen bekannt haben müssen, um überhaupt Forschungsmittel beantragen zu können? Parallel Problem natürlich: Wie werden Ausstellungen finanziert? Wofür bekommen Künstlerinnen und Künstler Geld? Oder wie sieht es aus mit Hilfsorganisationen? Wie bekommen die eigentlich noch Geld für Projekte im Nahen Osten?

Daran, also an dieser Resolution und vor allen Dingen daran, dass eben diese Breite IHRA Definition da zum Maßstab für Finanzierung von Kunst und Wissenschaft gemacht wird, gibt es viel Kritik, auch von jüdischen Stimmen. Die machen vor allem ihre Kritik an drei Punkten fest.

Es werde antisemitische Angriffe von Anfeindung gerade nicht bekämpfen, sondern sogar wahrscheinlicher machen, fürchten sie.

Das ist Nummer eins. Der zweite Kritikpunkt ist: Es werde die Arbeit von jüdischen Forschern und Forscherinnen und Menschenrechtsorganisationen schwerer machen.

Und sei drittens mit deutschen Grundrechten nicht vereinbar.

Also blättern wir das in alter Tradition mal ein bisschen auf. Erstens also wie ist da die Logik? Da gibt es eine Resolution, jüdisches Leben schützen, hat eine breite Definition von Antisemitismus als Grundlage. Warum soll dadurch der Antisemitismus in Deutschland verstärkt werden?

Dazu haben wir mit dem jüdischen Lokalpolitiker Daniel Eliasson aus Berlin telefoniert. Und er fürchtet:.
Wenn der Antisemitismusbegriff sich in diese Richtung entwickelt, dann wird es dazu führen, dass die Solidarität mit Jüdinnen und Juden bei Vorfällen von Antisemitismus hier bröckelt. Und das ist aus meiner Sicht die größte Gefahr, die diese Resolution bietet.

Also der Gedanke dabei ist, wenn man Antisemitismus so weit fasst, dann verstehen die Menschen nicht mehr, was das Problem ist an bestimmten Äußerungen oder Verhaltensweisen. Und das untergräbt dann die Solidarität. Oder andersherum formuliert: Man braucht einen scharfen, trennscharfen Antisemitismusbegriff, wenn man gerade nicht jüdische Menschen für die Solidarität mit Jüdinnen und Juden begeistern will.

Ja, also er hat auch gesagt, er fürchte, dass die Leute halt irgendwann genervt sind, wenn alles und jede Kritik an Israel irgendwann als antisemitisch gebrandmarkt wird. Dann befürchtet er, dass bei wirklichem Hass auf Juden die Leute nur noch genervt abwinken.

Nach dem Motto ja klar.

Ist ja eh alles und ihr versucht euch da Vorteile zu verschaffen, indem auf einmal alles antisemitisch ist. Also das ist der Gedanke dahinter, wie eine zu breite Antisemitismusdefinition Antisemitismus im Alltag tatsächlich stärken könnte.

Zweiter Punkt: Warum werden jüdische Forscher und jüdische NGOs behindert? Dazu noch mal Barbara Stollberg-Rilinger, Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit und wie gesagt, Rektorin des Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Definitionen sind grundsätzlich Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Kontroverse. Und das ist bei der Definition von Antisemitismus erst recht der Fall. Und eine Definition politisch vorzugeben und damit schon eine bestimmte Partei in dieser Debatte zu ergreifen, in dieser wirklich intensiven Kontroverse zu ergreifen und sich auf eine bestimmte Position festzulegen, ist mit wissenschaftlicher Autonomie unvereinbar.

Und das hatte sie ja oben schon gesagt. Die Breite IHRA Definition werde auch dazu führen, dass gerade jüdische Forschende mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen gebracht werden. Und das, so jedenfalls die Sorge, werde nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betreffen, sondern es werde auch die Arbeit jüdischer Menschenrechtsorganisationen behindern, erklärte uns Donata Nebel. Sie ist Friedensfachkraft bei
der Kurve. Wustrow Das ist also eine deutsche Organisation, die aber in Israel mit einer israelischen Organisation zusammenarbeitet, die allerdings nicht namentlich genannt werden wollte.
Unsere Arbeit hier in Israel, in Palästina wäre massiv behindert durch diese Resolution. Für uns hier vor Ort ist es besonders problematisch, dass die IHRA Arbeitsdefinition von Antisemitismus als Grundlage für Fördermittel dienen soll. Das Problem ist: Diese Definition ist so vage, dass auch legitime Kritik an Israels Politik schnell als antisemitisch abgestempelt werden kann.
Das würde zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und Palästina ziemlich hart treffen, denn im Moment sehr viele von deutschen Fördermitteln abhängig sind. Und das sieht man auch jetzt schon, dass viele gewaltfreie NGOs unter massivem Druck stehen, Partnerschaften verlieren, Förderung verlieren, weil sie sich kritisch mit der israelischen Regierung und der Besatzung auseinandersetzen. Die geplante Resolution in dieser Form würde diese Einschränkungen nur noch weiter verschärfen.

Das sind also die Kritikpunkte eins und zwei. Definition verstärkt Antisemitismus in Deutschland. Wenn man die Definition zur Grundlage macht, um Wissenschaft zu finanzieren, könnte das die Wissenschaft zu sehr einengen und auch Wissenschaftler Wissenschaftlerinnen mundtot machen, weil sie mit Antisemitismus Vorwürfen überzogen werden. Und dann gibt es schließlich den dritten Einwand: Es stellen sich grundlegende und massive rechtliche Fragen.

Denn der Bundestag kann ja jetzt nicht einfach irgendwas beschließen. Er muss dabei die Verfassung einhalten, insbesondere die Grundrechte. Auch wenn es sich um eine Resolution und nicht um ein Gesetz handelt. Und worum es dabei im Detail geht, haben 13 führende Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler schon Ende letzten Jahres im Verfassungsblog mal ausführlich erklärt.
Sie. Sie listen dabei zahlreiche rechtliche Probleme auf, wobei sie sagen, die IHRA Definition sei gar nicht ganz grundsätzlich verkehrt. Das hänge halt so ein bisschen vom konkreten Anwendungszweck ab, meint jedenfalls Professor Dr. Matthias Goldmann.
Ich glaube, diese Definition sollte man nicht unterschätzen. Ich glaube, es ist eine Definition, die hat einen Wert für das, wofür sie geschaffen war. Das ist nämlich Bildungsarbeit.

Ja, die Resolution ist kein Gesetz, aber laut Resolution soll diese IHRA Definition maßgeblich sein für die Geldvergabe an Hilfsorganisationen, Kunst und die Wissenschaft. Aber für die Arbeit von Behörden und Gerichten, die genau das letztlich entscheiden müssen - wurden diese Gelder zu Recht vergeben, werden sie vergeben oder ist das alles Antisemitismus - dafür, für diese Entscheidung, sagt der Wissenschaftler, ist die IHRA Definition untauglich.

Also für Stellen, die Anträge genehmigen, die geben, gegebenenfalls Demonstrationen verbieten oder auch Strafanzeigen bearbeiten, meint jedenfalls Professor Goldmann.
Eine Verwaltung braucht bestimmte Begriffe oder zumindest hinreichend konkret bestimmbare Begriffe, die sich dann auch in einer gerichtlichen Auseinandersetzung verteidigen lassen, also deren Anwendung vorhersehbar sein kann auch für die Betroffenen. Und deren Verständnis sowohl durch die Verwaltung als auch die Gerichte feststehen kann. Und das ist bei einer Definition, die so offen ist wie die IHRA Definition, leider nicht der Fall.

Aber auch noch aus inhaltlichen Gründen sehen Professor Goldmann und viele andere Verfassungsrechtlerinnen Verfassungsrechtler die Resolution des Bundestages auf einem Konfrontationskurs mit den Grundrechten, und zwar vor allem auf drei Gebieten, nämlich Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Kunstfreiheit. Und wir schauen jetzt mal beispielhaft auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Das ist abgesichert in Artikel fünf, Absatz eins Satz eins des Grundgesetzes. Und laut Bundesverfassungsgericht ist diese Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Und dementsprechend weit ist der Schutzbereich, also die Verhaltensweisen, die unter den Schutz des Grundrechts fallen. Nur erwiesenermaßen unwahre Tatsachenbehauptungen, wie etwa die Leugnung des Holocaust, sind nicht von der Meinungsfreiheit geschützt.
Beispielsweise ist verfassungsrechtlich betrachtet auch scharfe Kritik an der israelischen Kriegsführung eine vom Grundgesetz geschützte Meinung und daher berührt die IHRA Definition auch eine ganze Menge an grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungen. Welche genau, ist allerdings angesichts der Unschärfe von IHRA schwer zu bestimmen. Meinungsfreiheit beschränken ist nach Artikel fünf Absatz zwei Grundgesetz ausschließlich in Form allgemeiner Gesetze möglich.

Genau Allgemeine Gesetze. Was bedeutet das? Ausgeschlossen sind damit Beschränkungen, die sich gegen eine bestimmte politische Auffassung richten. Das ist ganz wichtig zu wissen bei Gesetzen, die die Meinungsfreiheit einschätzen. Die müssen meinungsneutral formuliert sein. Also zum Beispiel der Beleidigungsparagraph im Strafgesetzbuch ist ein schönes Beispiel. Der verbietet ja nicht bestimmte Äußerungen, sondern der verbietet generell quasi ehrabschneidende Äußerungen über andere Menschen.
Das heißt nicht gegen eine bestimmte Meinung, sondern generell gegen die Verletzung der persönlichen Ehre. Die Ausnahme ist tatsächlich die Leugnung des Holocaust, weil das schon quasi eine falsche Tatsachenbehauptung ist. Und da gibt es noch eine weitere Ausnahme, nämlich die öffentliche Billigung von Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus. Das ist verboten, aber es ist eine Ausnahme und lässt sich auch nicht so richtig mit der Dogmatik, eigentlich der Meinungsfreiheit
vereinbaren. Da sagt das Bundesverfassungsgericht in so einer sehr umstritten Entscheidung, das sei quasi so die Verfassungsstradition Deutschlands, dass man eben die Gewaltverbrechen des NS nicht billigen dürfe, weil sich das Grundgesetz als Gegenmodell natürlich zum Nationalsozialismus versteht. Insofern ist das eine große Ausnahme. Aber ansonsten gilt dieser Grundsatz: Wenn man die Meinungsfreiheit einschränken will, dann geht das nur mit allgemeinen
Gesetzen. Und damit wäre es eben nicht vereinbar, bestimmte Äußerungen, zum Beispiel Äußerungen im Sinne der IHRA Definition von vornherein unter Strafe zu stellen. Ist antisemitisch, ist verboten. Geht nicht.

Beispielsweise wäre es klar verfassungswidrig, wenn der Bundestag die Ablehnung des Existenzrecht Israels oder den Aufruf zu Wirtschaftssanktionen gegen Israel verbieten wollte, einfach weil das eine bestimmte Meinung ist. Wäre nicht möglich.

Ja, aber genau das will der Bundestag ja nun eigentlich tun. Denn in der Resolution heißt es ja, es sollen keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen.

Muss man sagen: Resolution ist kein Gesetz, aber de facto eben doch Grundlage für zahllose Entscheidungen in Kultur und Wissenschaft. Können wir das machen? Oder ist das doch antisemitisch? Vielleicht kriegen wir dann kein Geld mehr. Oder wir haben jedenfalls einen Shitstorm. Das lassen wir doch lieber sein.

Aber eine Institution, Organisationen können ja sagen: Wir stellen das Existenzrecht Israels infrage. Sie kriegen da nur kein Geld mehr.

Ja, aber das ist ja eine massive Einschränkung.

Hm. Wenn daraus folgt quasi, dass Sie das zwar sagen dürfen, aber dann eben kein Geld.

Du sagst das und danach biste dann halt pleite. Herzlichen Glückwunsch! Und dass das so nicht funktioniert. Das ist eben nicht nur die Position dieser Wissenschaftlerindie, da im Verfassungsblog den Beitrag geschrieben haben. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass die Stadt München rechtswidrig gehandelt hat, als sie die Nutzung städtischer Räume für Diskussionen zum Thema Israel Boykott / BDS Verbot. Grund: Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit.
Bundesverwaltungsgericht sagt: Eine Stadt kann nicht einfach argumentieren, eure Meinung passt uns nicht in den Kram. Darüber darf man bei uns in städtischen Räumen nicht reden. Dafür gibt es für uns keine Räume. Rechtswidrig. Und die Meinungsfreiheit schützt nicht nur die Freiheit, eine Meinung zu haben oder zu sagen, sondern auch eine Meinung nicht zu haben. Die sogenannte negative Meinungsfreiheit.
Auch hier sehen die Wissenschaftlerinnen im Verfassungsblog massive Probleme bei der Resolution des Bundestages. Denn ihrer Meinung nach wird "auch das Erfordernis der Abgabe eines Bekenntnisses zu bestimmten politischen Auffassungen als Voraussetzung für die Erteilung einer staatlichen Leistung in der Regel im Widerspruch zur negativen Meinungsfreiheit stehen, etwa wenn im Rahmen einer Einbürgerung ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels verlangt wurde.".

Na ja, das musste ja auch schon Berlins Kultursenator Chialo lernen. Im Januar kündigte er etwas an, was unter der Bezeichnung Antisemitismusklausel für Debatten gesorgt hat. Fortan sollte also jede Kulturförderung in der Hauptstadt an das Bekenntnis der Geförderten gegen Antisemitismus und Diskriminierung geknüpft sein. Wenige Wochen später machte Charlot einen Rückzieher. Die Bedenken seien zu groß. Doch die Idee finden Chialo und viele andere in der Union immer noch sexy.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth gab daher ein Gutachten in Auftrag bei Christoph Möllers, ist ein sehr renommierter Juraprofessor in Berlin, war ja auch schon mal in der Lage zu Gast. Überschrift des Gutachtens: Zur Zulässigkeit von präventiven Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung. Und Professor Möllers kommt zu einem ziemlich klaren Ergebnis.

Die Pflicht, sich als Künstlerin oder Forscher zu bestimmten und seien es rundweg begrüßenswerte Werten zu bekennen, um förderwürdig zu sein, tangieren sowohl den Schutzbereich der Meinungsfreiheit als auch denjenigen der Kunstfreiheit. Sie sind kaum vereinbar mit dem Grundgesetz.

Und dann zu einem ähnlichen Ergebnis kam schon 2020 der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und Prof. Dr. Ralph Michaels, Direktor des Max Planck Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, sagte der ZEIT:.

Dass die Unionsfraktion trotz all der starken verfassungsrechtlichen Bedenken nun erneut Institutionen aus Kultur und Wissenschaft, ja einzelne Künstlerinnen und Forschende auf ein Bekenntnis festnageln will, macht mich sprachlos.

Und inzwischen ist es eben nicht mehr nur die Union, die diese Bekenntnisse verlangt. Sie hat es in Form der gerade beschlossenen Resolution sogar den anderen Fraktionen als sinnvolles Mittel verkauft. Und es gibt eben auch noch eine ganze Reihe weiterer Probleme mit der Kunstfreiheit. Das haben wir jetzt hier an dieser Stelle nicht weiter ausführen aus Zeitgründen.
Schließlich aber begibt sich die Resolution mit ihrer Festlegung auf das IHRA Verständnis von Antisemitismus auch noch auf Kollisionskurs zur Wissenschaftsfreiheit argumentiert wiederum Barbara Stollberg-Rilinger, die Historikerin und Rektorin des Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Das Hauptproblem, was passieren würde aus meiner Sicht als Leiterin einer Wissenschaftsinstitution, ist, dass die Wissenschaftsfreiheit massiv bedroht wäre.

Und zwar insbesondere dadurch, dass der Bundestag meint, eine Definition von Antisemitismus festlegen zu können. Also der Bundestag zäumt quasi das Pferd von hinten auf. Anstatt zu schauen, was die wissenschaftliche Forschung zum Thema Antisemitismus zu sagen hat, will der Bundestag vorgeben, was Antisemitismus ist. Und das auch noch mit der, wie gesagt ebenso schwammigen wie weiten Definition von Antisemitismus namens IHRA.
Und das wird eben zum Problem, weil es wissenschaftliche Forschung zum Begriff des Antisemitismus behindert oder in Form dieser Anknüpfung an die Forschungsförderung sogar ganz unmöglich macht. Und es führt dazu, dass ausgerechnet jüdische Forschende nicht mehr nach Deutschland eingeladen werden können, fürchtet jedenfalls Frau Stollberg-Rilinger.

Mit Blick auf die Forderung der Resolution, dass auch Wissenschaftsfinanzierung maßgeblich gebunden sein soll an diese breite Antisemitismusdefinition, sagte sie:
Wenn wir die streng anlegen würden, dann könnten wir sehr, sehr viele sowohl jüdische Israelis als auch Juden aus der ganzen Welt nicht mehr einladen. Bzw. wenn wir sie einlüden, dann würden sie das ja im Grunde als Affront wahrnehmen. Wenn wir als deutsche Einrichtung von ihnen verlangen, dass sie eine nicht antisemitische Gesinnung dokumentieren sollen.
Man muss sich vorstellen, wie grotesk das ist, wenn ich einen jüdischen Israeli einlade und von dem ein Bekenntnis gegen Antisemitismus verlange als Deutscher. Also die ganze Absurdität dieser Erwartung oder dieses Ansinnen wird da ganz deutlich.

Es gibt also massive Kritik an dieser Resolution. Aber was sagen denn nun die Leute, die diese Resolution im Bundestag mitverhandelt haben? Beispielsweise Andrea Lindholz von der CSU sagte im DLF:
Die Kunstfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit erlauben keinen Antisemitismus.

Da würde ich sagen doch, oder?

Klar, wenn man die verfassungsrechtlichen Maßstäbe anlegt, dann ist die Position von Frau Lindholz schlicht unhaltbar. Die klingt natürlich erst mal plausibel. Kann ja nicht sein, dass das Grundgesetz am Ende Antisemitismus schützt. Aber genau das ist der Punkt. Wenn man Antisemitismus wirklich eng versteht als Hass gegen Juden, dann könnte man das so sehen.
Aber selbst dann lässt das Grundgesetz ja eben kein pauschales Verbot einer Meinung zu, sondern nur ihre Äußerung in einer Weise, die den öffentlichen Frieden gefährdet oder andere Rechtsgüter gefährdet. Solche Fälle sind aber schon vom Paragrafen der Volksverhetzung abgedeckt und mehr, das hat das Bundesverfassungsgericht nun schon oft genug ausgeführt, mehr als der Volksverhetzungsparagraphen verbietet, lässt sich unter dem Grundgesetz schlicht nicht unter Strafe stellen.

Also, wenn man das ernst nimmt, was in dieser Resolution steht, diese Definition vom Antisemitismus nach IHRA soll maßgeblich sein für Finanzierung von Kunst und Wissenschaft, ist das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar?

Das kann man so pauschal wiederum auch nicht sagen. Man könnte das, was die Definition erfasst, ganz sicher nicht verbieten und unter Strafe stellen. Aber eine etwas andere Frage ist natürlich: Muss der Staat denn alles finanzieren, was sich nicht direkt unter Strafe stellen lässt? Und da ist natürlich die Antwort: Das muss er natürlich nicht, aber er muss staatliche Zahlungen für Kunst, NGOs und Wissenschaft zum Beispiel an andere Kriterien
binden. Er muss es anders regeln, insbesondere in einer nicht diskriminierenden Weise, und darf deswegen eben nicht so eine völlig vage Regelung wie zum Beispiel IHRA zum Grund, zur Grundlage staatlicher Entscheidung machen.

Okay, und dann stellt sich die Frage Was hätte denn der Bundestag stattdessen beschließen können? Wie soll jüdisches Leben denn wirksamer geschützt werden in Deutschland? Wie soll denn anders verhindert werden, dass etwa mit Steuergeld Antisemitismus oder Antisemiten gefördert wird? Und dazu gab es einen sehr lesenswerten Alternativvorschlag zu dieser Resolution, der veröffentlicht wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Verfasst wurde dieser Alternativvorschlag von Ralph Michaels, seines Zeichens Direktor des Max Planck Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht. Jerzy Montag hat damit formuliert von den Grünen, Verfassungsrechtler jetzt in Bayern. Armin Nassehi, Soziologe, und Andreas Paulus, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht.

Genau. Und unterstützt, wie dieser Vorschlag inzwischen mit einem offenen Brief von Tausenden von Künstlerinnen und Künstlern beispielsweise. Die Autoren setzen statt staatlicher Regulierung auf eine dauerhaft finanzierte, gut vernetzte und vor allem eigenverantwortliche Zivilgesellschaft.

"Eine durch staatliche Förderung gestärkte, sensibilisierte, vernetzte und konfliktfähige Zivilgesellschaft ist die beste Garantie für ein Nie wieder.".

Und auch Sie müssen natürlich sich die Frage stellen, was denn Antisemitismus sei. Und dazu formulieren sie:

"Was genau unter Antisemitismus zu verstehen ist und in welchen Situationen er vorliegt, bleibt Gegenstand fortwährender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Reflexion. Der Staat kann das nicht autoritativ festlegen. Zur Orientierung können verschiedene Definitionen", die also zum Beispiel IHRA, zum Beispiel Jerusalem Declaration.

Sie wehren sich sogar explizit gegen einen allgemeingültigen und umfassenden Begriff des Antisemitismus. Ob Antisemitismus vorliege, schreiben sie, könne nur Fall spezifisch beurteilt werden.

Nimm dir zum Beispiel irgendeinen ganz klar antisemitischen Satz. Ich will ihn jetzt hier nicht, nicht formulieren, muss man jetzt nicht noch verbreiten. Es macht aber einen riesigen Unterschied, ob diesen Satz zum Beispiel der Leiter eines Kunstprojekts nutzt, etwa für den Titel einer großen Ausstellung. Oder ob den eine Künstlerin vor drei Jahren mal im Halbsatz auf Insta geschrieben hat.

Selbst dann müsste man noch fragen in welchem Kontext? Und war das möglicherweise Satire oder sarkastische Kritik? Was auch immer. Okay, fragt sich dann weiter wie soll denn sichergestellt werden, dass mit Steuergeld keine antisemitische Kunstprojekte gefördert werden? Und da würde ich ehrlich gesagt einhaken Philip. Zuerst mal muss man sich mal fragen wie groß ist eigentlich wirklich das Problem der Förderung antisemitischer Kunst in
Deutschland? Allein die Frage zu stellen, denke ich, macht deutlich: Wir reden da weit überwiegend von einem Scheinproblem.

Also es gibt natürlich schon Skandale. Jedem von uns wird da was einfallen. Zum Beispiel einzelne Werke auf der letzten documenta, dieser großen großen Kunstausstellung in Kassel.

Aber da würde ich zum Beispiel einhaken, aber auch wenn, was ja wohl der Fall war bei der documenta einzelne Werke tatsächlich antisemitischen Inhalt hatten oder Teile einzelner Werke in diesem Fall, würde ich doch die Frage stellen, Stichwort souveräne Zivilgesellschaft: Führte das wirklich zur Verbreitung antisemitischer Ideen? War nicht der Backlash zu diesen antisemitischen Darstellungen viel lauter als das Werk? Und ist nicht das gerade ein Ausweis eines gesunden anti-.
Antisemitischen Immunsystems in der Kunstszene? Wenn solche Grenzüberschreitungen eben gerade nicht hingenommen werden, sondern aktiv bekämpft werden? Muss der Staat da reingrätschen?

Ja, und da ist die Sache. Also von der Kunstfreiheit glaube ich, das ist unstrittig, waren diese Bilder in Kassel gedeckt. Die Debatte ging darum, darf da Steuergeld rein fließen? Bzw. wenn da fließt Steuergeld rein und sollen da diese Bilder hängen, die ganz offensichtlich antisemitische Symbole enthielten?

Aber ich würde ich würde natürlich sagen, ich hab natürlich auch kein Bock mehr, antisemitischen Inhalt anzuschauen auf einer Kunstausstellung. Auf der anderen Seite würde ich denken, unter dem Strich dürfte die documenta eher zur Bekämpfung des Antisemitismus beigetragen haben, trotz einzelner Werke mit antisemitischen Inhalten. Gerade durch diese öffentliche Auseinandersetzung. Und ich glaube, das ist genau das, was die Autoren dieses Alternativvorschlag in der FAZ deutlich machen wollen.
Wir brauchen halt quasi dieses zivilgesellschaftliche Immunsystem, das dann eben aktiv wird, wenn irgendwo Antisemitismus wirklich auftaucht.

Schreiben sie auch in der FAZ in dieser Alternativformulierung für eine mögliche Resolution. Dort schreiben sie: "Antisemitische Projekte darf der Staat nicht wissentlich fördern.
Angesichts der erheblichen juristischen und praktischen Schwierigkeiten," (die wir oben skizziert haben), "die einer staatlichen Überwachung dieser Erfordernisse im Einzelfall im Weg stehen, wird von geförderten wie auch von nicht geförderten Personen und Institutionen erwartet, in Eigenverantwortung Prozesse und Institutionen zu entwickeln, die einer Verwendung öffentlicher Gelder für die Verbreitung von Antisemitismus entgegenstehen. Der Staat unterstützt
sie dabei." Das ist, glaube ich, der Schlüssel.

Das ist der Schlüssel. Und ich muss ganz sicher sagen, ich finde das so viel schlauer. Und sie fordern weiter: Wer Geld vom Staat bekommt, soll Mechanismen zur Selbstregulierung entwickeln, um nicht nur Antisemitismus entgegenzutreten, sondern auch anderen Formen von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

"Es obliegt dem Staat, den Kulturbereich mit angemessenen Mitteln auszustatten, um eigenverantwortlich entsprechende Programme gegen Antisemitismus zu entwickeln." Und dasselbe Prinzip gilt auch für die Wissenschaft, nämlich eine durchfinanzierte, eine gut finanzierte Eigenverantwortung.

"Forschung- und Wissenschaftsfreiheit dürfen nicht zur Verbreitung von Antisemitismus missbraucht werden. Die Bekämpfung von Antisemitismus kann aber nicht dazu führen, dass Forschung insbesondere zum Antisemitismus oder zum Nahostkonflikt wegen der wissenschaftlich begründeten Fragestellung oder Thesen von der Förderung ausgeschlossen wird.".

Die Wissenschaft braucht also Geld, um selber autonom sicherzustellen, dass Antisemitismus eben keinen Platz hat. So, und jetzt bleibt natürlich noch die Frage: Wie soll denn nun jüdisches Leben in Deutschland besser geschützt werden, sicherer werden? Na ja, schreiben die Autoren in diesem Alternativentwurf. So wie das Leben eben aller Minderheiten in Deutschland besser geschützt wird.

"Der Schutz jüdischen Lebens ist inhärent Teil des Minderheitenschutzes. Die Förderung gesellschaftlicher Pluralität in einer seit Jahrzehnten von Migration geprägten Gesellschaft schützt zugleich jüdisches Leben." Mit anderen Worten: Minderheiten nicht auseinanderdividieren, sondern ganz generell zu mehr Toleranz gegenüber verschiedensten Formen des Lebens, Denkens, Liebens und Glaubens aufzurufen.

Und dazu für diesen besseren Minderheitenschutz, auch für den Schutz, für den besseren Schutz von Juden und Jüdinnen in Deutschland. Da muss eben Polizei und Staatsanwaltschaft aufgerüstet werden, die müssen halt besser ausgerüstet werden, schreiben sie. "Insbesondere antisemitisch motivierte Straftaten erfordern die konsequente Anwendung des ganzen Instrumentariums des Rechtsstaats.".

Also ich muss ganz ehrlich sagen, ich glaube, wir beiden finden das ziemlich plausibel, deswegen, wenn wir das mal so ausführlich dargestellt. Ich finde jedenfalls klingt das in meinen Ohren deutlich schlauer als die Resolution des Bundestages.

Vor allen Dingen ist sie verfassungskonform.

Das ist ja auch schon ein Vorteil, wenn ein Parlament sich verfassungskonform verhält. Man muss natürlich sehen: Die Folge für Deutschland wäre, wir müssten dann vermutlich etwas mehr aushalten, was auf den ersten Blick schmerzt.

Ja, also wenn jemand auf der Berlinale brüllt: Free Palestine! Dann kann man den kritisieren. Man kann das blöd finden, aber es ist eben nicht zwingend antisemitisch. Auch dieser Palästinakongress in Berlin. Man kann das doof finden, man kann das kritisieren. Da werden auch Dinge gesagt, die die deutsche Politik sich nie und aus guten Gründen nie zu eigen machen würde.

Aber das ist eben der Witz von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit, dass man halt auch Quatsch erzählen kann. Und der Witz ist In einer liberalen Gesellschaft geht es nicht, dass der Staat das verbietet, sondern es geht um das gesellschaftliche Immunsystem. Quatsch muss durch Klugheit gekontert werden und nicht durch Paragraphen.

Also das wird sicher und das wäre sicherlich anstrengend. Aber wie das eben oben die documenta gezeigt hat dieser Diskurs tut wahrscheinlich mehr gegen Antisemitismus als einfach ein stumpfes Verbot.

Und das ist ja noch ein Vorwurf an den Bundestag, muss man mal ganz ehrlich sagen. Philip, diese Debatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ja, richtig. Also wie man sieht, man kann damit anderthalb Stunden Lage bestreiten mit der Debatte Welche Definition hat denn jetzt welche Vor- und Nachteile und inwieweit werden da Grundrechte beeinträchtigt? Und da so eine Resolution zwar nicht bindend ist, aber doch für den Betrieb von Kunst und Wissenschaft in Deutschland wahrscheinlich erhebliche praktische Auswirkung haben wird, wäre es schon angemessen gewesen, das wirklich mal breiter zu diskutieren. Welche Definition nehmen wir denn
jetzt? Sollen wir überhaupt eine nehmen? Wie können wir vielleicht besser Juden und Jüdinnen in Deutschland schützen? Und da entstehen dann ja schnell auch wirklich substanzielle Gegenentwürfe.

Und zum Beispiel diese, diesen zentralen Punkt aus dem FAZ Entwurf, ja, dieses, ich sage jetzt mal zivilgesellschaftliche, kulturelle, auch wissenschaftliche Immunsystem gegen Antisemitismus, das muss natürlich gefördert werden. Und davon findet sich in dieser Resolution natürlich gar nichts.

Wenig.

Also jedenfalls von konkreten finanziellen Zusagen habe ich da nichts gelesen. Es wird alles Mögliche wohlfeil gefordert, aber die zentralen Stellschrauben, wie man wirklich konkret was tun könnte gegen Antisemitismus, werden aus meiner Sicht nicht genutzt. Und vor allem, glaube ich, braucht es einfach ein realistisches Verständnis von Antisemitismus, das darauf schaut, ob es um politische Positionen geht oder ob wirklich überhaupt Ressentiments gegenüber jüdischen Menschen eine Rolle spielen.

Sonst würde ich sagen, droht nämlich die gut gemeinte Repression gegenüber israelkritischen Positionen oder Demos jüdische Menschen eher zu gefährden nach dem Mechanismus, den wir hier oben beschrieben haben. Irgendwann ist dann alles Antisemitismus und in den wirklich harten antisemitischen Fällen kümmert sich dann keiner mehr oder will es keiner mehr hören. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.

So sagte mir also im persönlichen Gespräch eine jüdische Freundin. Ich habe sie natürlich gefragt, ob ich das hier zitieren darf. Sie sagte: Wenn ein junger Mensch im Fernsehen sieht, was in Gaza geschieht, dann ist es doch ein natürlicher Impuls zu sagen: Das ist falsch, wie die Menschen da leiden müssen. Wenn also ganze Städte ausradiert werden und wenn dieser junge Mensch dann demonstrieren geht in Berlin oder sonstwo und ruft auf der Straße Free Gaza!
Und wenn ihn dafür dann deutsche Polizisten verprügeln oder einsperren, angeblich, um Juden zu schützen. Was für ein Bild von uns Juden, sagt sie, bekommt dann dieser junge Mensch? Macht das mein Leben als Jüdin wirklich sicherer, wenn der deutsche Staat so auftritt? Oder schürt das nicht eher den Hass auf uns? Das war die Frage, die sie
mir gestellt hat. Und ich muss gestehen, das hat mir einfach sehr zu denken gegeben, dass sie quasi Angst hat vor dieser Form jüdische Menschen zu schützen, die sie als total kontraproduktiv empfunden hat. Das hat mir wirklich sehr, sehr, sehr zu denken gegeben. Denn nicht alles, was wir mit besten Absichten tun, um jüdische Menschen zu schützen, das hilft ihnen wirklich.

Es hilft jedenfalls keine massive Einschränkung von Grundrechten. Es hilft auch nicht, wenn wir ausgerechnet als Deutsche meinen, wir könnten jüdischen Menschen sagen, was man als guter Jude nun zu denken hat oder woran man nun forschen darf, und ihnen dann irgendwelche Bekenntnisse zu einer umstrittenen Antisemitismusdefinition abzufordern, bevor sie hier deutsche Steuergelder bekommen.
Da helfen jedenfalls auch keine verfassungswidrigen Resolutionen, wie sie jetzt leider der Bundestag verabschiedet hat.

Ich denke mal, wir sollten uns auf das beschränken, was wirklich Konsens sein kann. Und das hat ja die Jerusalem Deklaration sehr schön deutlich gemacht. Es ist zutiefst widerwärtig, wenn man Menschen schlechter behandelt oder ablehnt, gerade weil sie Juden sind. Das muss Konsens sein.

Und das entscheiden sollte aber die Zivilgesellschaft, die dafür dann natürlich auch gerne vom Staat Geld bekommen darf.

Das war die Lage der Nation. Ausgabe Nummer 406 mit einer ganz intensiven Behandlung des Problems Antisemitismus in Deutschland, mit einer ausführlichen Betrachtung der Resolution des Deutschen Bundestages. Wir hoffen, wir haben euch einen guten Einblick in diesen Problemkreis gegeben. Wir hoffen, wir haben einen Beitrag zur Debatte geleistet. Wir haben uns richtig viel Mühe gegeben, muss man ehrlich sagen. Aber ich fand es auch ein Thema, das mir jedenfalls total am Herzen
gelegen hat. Insofern fühlt es sich total richtig an, dem Schutz jüdischer Menschen in Deutschland mal eine Sonderfolge zu widmen.

Wir danken für euer Interesse. Wir danken für Aufmerksamkeit. Wir freuen uns über Diskussionen im Forum unter Talk.LagederNation und wir freuen uns, wenn ihr da nächster Woche wieder dabei seid bei der Lage der Nation, wenn wir die Lage hierzulande und in der Welt erörtern. Bis dahin schönes Wochenende, alles gut. Bis dann.