
Herzlich willkommen zur Lage der Nation mit einer neuen Ausgabe vom 9. Oktober 2024 und es ist die 401. Mein Name ist Philip Banse.

Und ich bin Ulf Buermeyer. Herzlich willkommen auch von mir zu dieser ersten Folge nach der Jubiläumsfolge, die wir gefeiert haben mit gleich zwei Lage live's, zweimal die Lage 400 und in euren Podcast Hörgeräten habt ihr so eine Art Medley aus beiden Liveshows. Herzlichen Dank an dieser Stelle noch mal an unser großartiges Publikum und auch vielen Dank an Phoenix, die die Show in Bonn mitgeschnitten haben. Philip und ich glaube, inzwischen hat sie es auch in die Mediathek geschafft.

Richtig, die Lage 400 gibt es in der ARD ZDF Mediathek. Den Link findet ihr in den Shownotes und das Ganze wird auch noch mal im linearen Fernsehen ausgestrahlt am 13. Oktober um 13:00 bei Phoenix im linearen Fernsehen. Wenn ihr euch das also antun wollt, ist ein Sonntag.

Antun, Philip! Das ist natürlich eine große Freude.

Ganz genau. Wenn ihr übrigens noch ein paar Eindrücke haben wollt aus unserer Perspektive, dann könnt ihr euch das noch mal angucken bei Insta @LagederNation.

Unser Instaaccount, unser Social Media Team gibt sich da ganz viel Mühe, das auszuwerten. Viele kurze Videos, Schnipsel, Fotos. Ich glaube das lohnt sich da mal reinzuschauen.

Unser erstes Thema ist die SPD und die diversen Personalrochaden, die es da dieser Tage gegeben hat und was das so bedeutet für die Zukunft der Sozialdemokraten in Deutschland. Aktuell sieht es bei der SPD nicht gut aus. 2 von 3 Landtagswahlen im Osten haben sie krachend verloren, mit einstelligen Ergebnissen gerade mal so in den Landtag gerettet. Und auch die Beliebtheitswerte des Kanzlers Olaf Scholz sind immer noch im Keller historisch niedrig.

Der einzige Trost der Sozialdemokraten an dieser Stelle: Auch Friedrich Merz, stand heute der große Gegenspieler von Olaf Scholz im nächsten Bundestagswahlkampf, ist sehr unbeliebt. Das sind so die beiden Kellerkinder der deutschen Politik. Spezifisch für die SPD sind allerdings auch die massiven Flügelkämpfe. Die Partei war ja im Bundestagswahlkampf 2021 und seither für SPD Verhältnisse geradezu bemerkenswert geeint.
Und da muss man sagen, diese Einigkeit scheint jetzt zu zerbrechen angesichts der Wahlniederlagen. Und besonders deutlich geworden ist das bei einem Protestbrief vieler Menschen, sagen wir mal so aus der Linken der Partei, auch vieler jüngerer Menschen, die es zum Beispiel in den Bundestag geschafft
hatten. Und was in der SPD für sehr viel Unmut gesorgt hat, war auch gerade die Reaktion von Olaf Scholz, der diesen Protest gegen insbesondere auch seine Politik nämlich nicht etwa zur Kenntnis genommen hat, sondern quasi arrogant abgebürstet hat und noch verkündet hat, er fühle sich durch diesen Brief bestätigt, was wirklich schwer nachvollziehbar ist, wenn man den mal gelesen hat.
Und da fragen sich natürlich die Menschen, die den geschrieben haben oder unterschrieben haben: Sag mal, Olaf, spürst du noch was?

Erschwerend kommt hinzu, dass wir in einem Jahr Bundestagswahl haben und da fängt jetzt langsam der Wahlkampf an und genau diese Leute, die er da so abgekanzelt hat, ja, ihr kritisiert mich, aber eigentlich fühle ich mich bestätigt. Die sollen ja für ihn jetzt Wahlkampf machen, ein Wahlkampf und ernsthafter und und engagierter Wahlkampf wird bitter nötig sein bei den Sozialdemokraten. Wir haben es oben skizziert.
Die Landtagswahlen waren nicht gut, und auch jetzt ist die SPD in Umfragen im Bund im Keller sind rund zehn Prozentpunkte weg von ihrem Ergebnis der Bundestagswahl von vor drei Jahren.

Zweites Problem bei der SPD ist das Personal. Ihr wisst ja, die SPD hat an der Spitze ein Duo, ein Führungsduo aus Lars Klingbeil und Saskia Esken. Und insbesondere Saskia Esken, die vielleicht schon kennt aus der Lage, wir hatten sie ja schon verschiedentlich im Interview, gilt parteiintern als angeschossen, weil die Kritik insbesondere aus der eigenen Partei kommt. Vor kurzem forderte selbst ein SPD Bürgermeister ihren Abgang.
Und nun, Philip hat es in dieser Woche für die SPD eine weitere Hiobsbotschaft gegeben.

Richtig. Völlig überraschend zumindest für die Öffentlichkeit legt Kevin Kühnert sein Amt als Generalsekretär der Sozialdemokraten Deutschlands nieder. Er will auch nicht wieder für die Bundestagswahl 2025 antreten. Er hatte ja ein Direktmandat aus Berlin Schöneberg. Als Grund für seinen Rücktritt werden genannt gesundheitliche Gründe. Da müssen wir davon ausgehen, dass das stimmen kann.
Wer die Doku über ihn gesehen hat im Fernsehen, der ahnt, dass das ein Job ist, der von einem alles abverlangt und dass man sich da die Gesundheit ruinieren kann. Da zweifle ich keine Sekunde dran. So oder so, es bleibt ein wirklich schwerer Verlust für die SPD, würde ich sagen, denn rhetorisch ist er vermutlich einer der stärksten, wenn nicht der Stärkste an der SPD Spitze.

Ja, würde ich auch so sehen. Und er hat ja, er war ja auch vorher, bevor er Generalsekretär wurde, lange Chef der Jusos in Deutschland und wurde von den Jusos schon fast verehrt, kann man sagen und hat dementsprechend bis heute auch relativ viel Glaubwürdigkeit, gerade bei jungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Und dass nun gerade Kevin Kühnert quasi so jetzt mal, wenn man so will, die Brücke der jungen Menschen in der SPD in die Parteispitze.
Dass nun gerade dieser Mensch sich völlig zurückzieht aus dem politischen Geschäft, das ist umso schlimmer, als die SPD bei jungen Menschen in Deutschland ganz generell aus politikwissenschaftlicher Sicht ziemlich den Anschluss verloren hat. Das hat uns erklärt Tarik Abou Chadi. Der forscht an der Uni Oxford und ist da Professor of European Politics.

Er untersucht seit Jahren sozialdemokratische Parteien in Europa. Und er weist, wie du das auch oben genannt hast, darauf hin, dass speziell die deutschen Sozialdemokraten den Rückhalt bei jungen Leuten in den letzten Jahren verloren haben.
Die Hauptunterstützung der SPD sind sehr alte Leute. Selbst bei der letzten Bundestagswahl, wo sie dazugewonnen hat, hat sie weiter verloren bei jungen Leuten. Und mittlerweile verliert die SPD wirklich viele Wähler:innen an den Tod. Das Sterben der Wähler:innen sind ein wirkliches Problem für die SPD. Und beide diese, diese krisenhaften Entwicklungen werden natürlich so ein bisschen verkörpert von
Kevin Kühnert. Bzw weil er so ein bisschen die Hoffnung, vielleicht Anschluss wieder zu finden an progressivere Milieus, an jüngere Wähler:innen. Und da ist es so, dass der Wegfall, der Rücktritt jetzt von Kevin Kühnert natürlich sehr, sehr schwer wiegt für die SPD im Versuch, auch da wieder diese Gruppen zu erschließen.

Also der fehlende Rückhalt bei jungen Menschen ist das erste strukturelle Problem der SPD. Aber Professor Abou Chadi hat eben noch ein zweites angesprochen.
Dass die SPD eigentlich den Anschluss stark verloren hat in progressiven Milieus, also dass man sich in diesen Milieus zunehmend weniger vorstellen kann, die SPD zu wählen. Das sieht man häufig in Großstädten. Vor allem auch, dass die SPD dort deutlich weniger Unterstützung bekommt und wirklich eigentlich die Milieubindungen zu diesen Gruppen verloren hat. Diese Gruppen waren immer schon Teil der Sozialdemokratie.
Die Sozialdemokratie war nie nur eine Arbeiterbewegung, sondern diese Unterstützung von eher gebildet urbanen Gruppen, die progressiv eingestellt sind, war auch immer ein wichtiger Teil. Und da hat die SPD wirklich strukturell relativ stark den Anschluss verloren.

Wenn man sich das mal überlegt in den 70er Jahren zum Beispiel, da haben Intellektuelle Werbung gemacht. Günter Grass zum Beispiel im Bundestagswahlkampf. Glaube Anfang der 70er Jahre war das. Das war völlig normal, dass Professor:innen Werbung gemacht haben für die SPD, weil sie sagten, das ist das überzeugende Programm, und davon ist heute überhaupt keine Spur.

Richtig. Also Junge verloren, Progressive verloren. Und das sei auch kein Zufall, sagt Abou Chadi , denn die SPD habe bei ihrer inhaltlichen Ausrichtung schwere Fehler gemacht.
Die SPD hat jetzt im letzten Jahr, wie viele andere sozialdemokratische Parteien auch versucht, über restriktivere Migrations und Asylpolitik Wähler:innen zurückzugewinnen. Das ist relativ stark getrieben von einem Narrativ, nachdem sozialdemokratische Parteien vor allem Arbeiter, Arbeiterklasse verloren haben und man die Idee hat, diese Gruppen vor allem sind sehr skeptisch, was Migration angeht.
Hinzu kommt die Idee, dass diese Arbeit dann vor allem zu radikal rechten Parteien gegangen sind und dass man so sowohl den Anstieg von der Unterstützung der radikal rechten Parteien, also auch ein bisschen die Krise sozialdemokratischer Parteien erklären kann. Wir haben uns das sehr intensiv angeschaut über in vielen Ländern, über lange Zeit. Und es ist schlicht empirisch falsch.
Sozialdemokratische Parteien haben a) nicht überproportional Arbeiter verloren, sondern eigentlich relativ gleichmäßig in allen Bildungs und Klassenschichten. Wenn überhaupt, haben sie in den letzten zehn, 15 Jahren eher überdurchschnittlich höhergebildete Wähler:innen
verloren. Zweitens, und das ist sehr wichtig, ist es schlicht nicht der Fall, dass sozialdemokratische Parteien viele Wähler:innen an radikal rechte Parteien verloren haben, sondern sozialdemokratische Parteien haben vor allem an progressivere Parteien, an grüne Parteien verloren. Und nur sehr wenige Leute sind zu radikal rechten Parteien gegangen. Und das gilt auch für die SPD und die AfD. Auch da sind wenige ehemalige SPDler:innen heute bei der AfD.
Hinzu kommt, dass wenn dann sozialdemokratische Parteien sich nach rechts bewegen bei der Migrationspolitik das mittelfristig, und auch das haben wir erforscht, mittelfristig nur die rechtsradikalen Parteien stärkt. Es ist nicht so, dass man dadurch Wähler:innen zurückgewinnt, sondern man stärkt eben die radikale Rechte mit dieser Politik.

Aber die Frage ist natürlich Womit sollte denn jetzt die SPD in den Wahlkampf ziehen, in den Bundestagswahlkampf für die Wahlen nächstes Jahr? Professor Abou Chadi hat Studien dazu durchgeführt und auch ausgewertet, womit sozialdemokratische Parteien in Europa bisher punkten konnten und auch jetzt können und womit eben auch nicht.
Wir haben systematisch untersucht, welche Parteipositionen von sozialdemokratischen Parteien in ihrer potenziellen Wählerschaft beliebter sind. Wir haben dafür in Umfragen Leute zwischen stilisierten sozialdemokratischen Programmen sich entscheiden lassen. Also die haben Positionen vorgelegt bekommen in so Bündeln zu neuen politischen Themen. Da geht es um Immigration, Integration, eine CO2 Steuer, Wohnungspolitik, Steuerpolitik. Und so weiter.
Und dann haben wir sie gefragt: Welches dieser Programme gefällt Ihnen besser? Darüber können wir dann sagen, welche Positionen bei welchen Gruppen in der Bevölkerung besser ankommen. Und wir finden da einige Sachen, die wir sehr interessant fanden und die auch relevant sind für die Diskussion im Moment.
Das erste ist, dass wenn sozialdemokratische Parteien hier eine konservativere Position bei sogenannten kulturellen, gesellschaftspolitischen Themen einnehmen, wenn sie beispielsweise eine starke Reduktion von Migration fördern, dass das abgestraft wird. Leute haben eine niedrigere Wahrscheinlichkeit, dann dieses Programm auszuwählen.
Zweitens ist es so, dass generell ein Bündel an ökonomisch linkeren und gesellschaftspolitisch progressiveren Positionen die höchste Zustimmung findet in der potenziellen Wählerschaft von sozialdemokratischen Parteien. Und drittens, und das erklärt auch die anderen beiden Sachen ein bisschen finden wir, dass niedrig gebildete Leute Arbeiter:innen eher nach ökonomischen Themen entscheiden. Also da spielt dann beispielsweise Rente und Steuer eine wichtige Rolle.
Und höher gebildetere progressivere Leute, vor allem auch nach kulturellen Themen, nach Fragen von Migration, Integration, Geschlechtergerechtigkeit entscheiden. Und auch das denke ich wieder, ist sehr wichtig, wenn man sich fragt: Was können sozialdemokratische Parteien gerade besser machen? Was könnte auch die SPD da lernen?

Tja, und nimmt man diese Ergebnisse der Forschung von Professor Abou Chadi jetzt ernst, dann stinkt der SPD Fisch quasi vom Kopf her. Denn der Kurs der SPD wird ja nicht zuletzt vom Kanzler getrieben. Wir haben alle seinen Spiegeltitel aus dem letzten Herbst vor Augen. "Wir müssen im großen
Stil abschieben." Und jetzt auch gerade die jüngsten Beschlüsse der Ampel in der Migrationspolitik Stichwort Grenzschließungen sind alle, das hören wir von vielen Sozialdemokraten ganz massiv von Olaf Scholz durchgeboxt worden, auch gegen große Skepsis in der SPD Fraktion.
Bisher allerdings, weiß ich nicht Philip, wie du das wahrnimmt, sehe ich persönlich keine Anzeichen, dass Scholz hier die politikwissenschaftliche Forschung ernst nimmt, die ihm sagt: Olaf, also jedenfalls mal was die was die Wahlchancen angeht, bist du mit dieser Politik auf dem Holzweg!

Nein, bisher nicht. Er hat neulich eine Veranstaltung gehabt, wo er sinngemäß formuliert hat: Jaja, abschieben usw müssen wir, aber wir müssen auch die Leute, die hier sind, in Arbeit bringen. Aber das ist eben nicht durchgedrungen. Das hat man irgendwo als Halbsatz an irgendeiner Meldung mal gelesen. Aber damit macht er zumindest keine offensive Politik. Ja, kann man sich jetzt fragen, wird der Nachfolger von Kevin Kühnert daran etwas
ändern? Den gibt es jetzt ja erst mal, zumindest kommissarisch. Also der muss auf einem Sonderparteitag im nächsten Juni noch bestätigt werden. Aber nun ist also erst mal de facto der neue Generalsekretär der SPD, Matthias Miersch. Der ist Mitte 50, Rechtsanwalt aus Hannover, einer der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD. Also jene Gruppe, würde ich mal sagen, aus der die Kritik an Olaf Scholz am lautesten war in der letzten Zeit.
Und da ist natürlich die Frage: Wird es Reibungen geben und wenn ja, in welchen Punkten sich mit Olaf Scholz anlegt?

Genau. Würde sie möglicherweise sogar gelingen, in der SPD jedenfalls hier und da einen Kurswechsel durchzusetzen? Also gerade die parlamentarische Linke oder die Jusos hoffen das wohl an vielen Stellen oder doch zumindest so hier und da mal einen Kontrapunkt zu Olaf Scholz zu setzen. Wenn man sich die Presseberichte über Matthias Miersch anschaut, dann sind die sehr ambivalent. Auf der einen Seite gilt er durchaus als gefestigt in seinen Ansichten, er gilt aber auch als sehr loyal.
Mit anderen Worten: Er ist sicherlich nicht Olaf Scholz Meinung, aber ob er dann im Ergebnis wirklich widersprechen wird, auch gerade öffentlich widersprechen wird, völlig unklar. Er könnte, Matthias Miersch könnte möglicherweise setzen auf eine Allianz mit Saskia Essen, die als eine der beiden Kovorsitzenden auch als eher links gilt. Andererseits, haben es oben gesagt, ist Saskia Esken gerade auch parteiintern geschwächt.
Und natürlich muss man sich auch die Frage stellen, für die ja, wie realistisch ist so ein Richtungswechsel? Muss ja nicht 180 Grad sein, aber jedenfalls moderatere Töne in Sachen Migration, dafür mehr Wirtschafts und Sozialpolitik. Wie realistisch ist so ein Richtungswechsel eigentlich im Wahlkampf? Wie glaubwürdig wäre das für das Publikum? Ich meine, die Menschen haben jetzt gesehen dreieinhalb Jahre Olaf Scholz als Bundeskanzler, was kommt da konkret für eine
Politik? Wie realistisch ist das, wenn Matthias Miersch jetzt im Wahlkampf was ganz anderes sagt? Denn schon Olaf Scholz hatte ja 2021 mit sehr anderen Positionen Wahlkampf gemacht, als er sie jetzt als Kanzler vertritt. Insofern wird das, glaube ich, für die SPD kein einfacher Wahlkampf. Aber auf der anderen Seite sehe ich immerhin die Hoffnung, dass die Politikwissenschaft ja der SPD wirklich viele ganz konkrete Hinweise gibt, was funktioniert und
was nicht. Empirisch untersucht, empirisch belegt in anderen europäischen Staaten und Philip, ich finde es spannend, die Frage: Was macht die SPD eigentlich mit dieser Wissenschaft? Will die SPD sich da auch mal ein Stück weit was sagen lassen? Oder fahren die einfach weiter auf ihrem auf ihrem Olaf Zug, bis es irgendwann rummst?

Entscheidend für diese Neuorientierung der SPD wird ja unter anderem sein: Wie halten wir das mit der Migration?
Finden wir also eine überzeugende Erzählung, die Probleme nicht verschweigt, aber eben, ich will mal sagen eine realistische Problemlage beschreibt, also deutlich macht: Ja, es gibt da Probleme, aber unterm Strich brauchen wir Zuwanderung, über die Jahrzehnte zahlt sich das auch aus, ist zwingend notwendig für Sozialsysteme, Arbeitsmarkt etc. pp. Und da noch mal zu dem, was du eben gesagt hast: Das erfordert natürlich Mühe. Also einfach in diesen Sound der AfD und der rechten Union einzustimmen.
Das ist relativ easy. Da muss ich nicht lange drüber nachdenken, da nehme ich ein paar andere Worte und fertig ist die Laube. Aber so eine Politik zu formulieren, mit der man dann womöglich noch ein Alleinstellungsmerkmal hat und alleine dasteht und sich profilieren kann und überzeugend auch emotional profilieren kann, das verlangt Mut und sehr viel Mühe und Fleiß in die Kommunikation.

Und vor allem setzt das eigentlich auch voraus den Mut, sich zu streiten, denn was ich persönlich im demokratischen Diskurs in Deutschland weitgehend vermisse, das ist ein Konflikt über die Frage Ist Migration überhaupt ein Problem? Also dass man wenigstens mal die Diagnose streitig stellt, die aus der CSU und aus der Union ja immer wieder kommt, Aus der AfD sowieso "Migration ist die Mutter aller Probleme." Das wird ja von der SPD gar nicht mehr ernsthaft bestritten.
Also man kann zu diesem Punkt ja ganz unterschiedlicher Meinung sein, aber ich denke mal, es täte einer Demokratie gut, wenn es da von den demokratischen Parteien mehr als eine These dazu gäbe. Auch von den Grünen hört man das viel zu wenig und deswegen bin ich extrem gespannt, wie sich SPD und Grüne da im Bundestagswahlkampf aufstellen. Und ein Stichwort Philip glaube ich, das da immer wieder kommt, Das ist das Stichwort Dänemark.
Und da wollten wir uns mal ein bisschen genauer anschauen, was es damit auf sich hat.

Richtig. Also sobald in Deutschland mal wieder über Migration debattiert wird, dann dauert das irgendwie rund drei Zwischenrufe von Friedrich Merz und man ist wieder bei dem Thema Dänemark, wo Dänemark immer als Beispiel hochgehalten wird von jenen, die also eine strenge, eine striktere Abschreckungspolitik in Sachen Migration fordern und sagen, wir sollten es so machen wie Dänemark.
Dänemark gilt vielen als Beispiel dafür, dass scharfe Migrationspolitik die Rechtsextremen schwächt, einzelnen Nationalstaaten die Zuwanderung von Schutzsuchenden signifikant und dauerhaft herunterfahren können. Und zu hören und dokumentiert ist das eben von Friedrich Merz vor ziemlich genau einem Jahr. Da sagte er bei der Veranstaltung Augsburger Allgemeine live zum Thema, in Deutschland leben ja fast 300.000 ausreisepflichtige Ausländer, sagt er nämlich Folgendes.
Schauen Sie mal nach Dänemark. Die Dänen sind da sehr, sehr konsequent. Es gibt dann nur noch Sachleistungen, die kommen nur noch in Sammelunterkünfte und die werden dann konsequent auch abgeschoben. Das ist eine sozialdemokratische Regierung. Keine Rechtsausleger. Gauck hat gesagt, Ich nehme das Zitat: "Wir werden da hässliche Bilder sehen." Ja, aber wir müssen dieses Problem lösen, sonst wächst es uns über den Kopf.
Ich nehme das Land Dänemark mit einer sozialdemokratischen Regierung, die das hinbekommen, was die Dänen hinbekommen, müssten wir doch eigentlich auch hinbekommen.

Die Frage Ist das so? Stimmt das alles, was Merz sagt? Und kann Dänemark ein Vorbild sein für Deutschland?

Wie hat sich auch die dänische Migrationspolitik in den letzten Jahren verändert? Was haben die eigentlich gemacht und wie hat das gewirkt? Das haben unsere Mitarbeiterinnen Selma Cafferty und unser Referendar Knut Penning sich mal genauer angeschaut. Wichtig vorweg so als europarechtlicher Hintergrund: Die Dänen haben vor über 30 Jahren, 1992, mal knapp gegen den sogenannten Maastricht Vertrag gestimmt. Das war also ein Vertrag, der die europäischen Verträge weiterentwickelt hat.
Und daraufhin gab es dann so ein paar Ausnahmen für Dänemark. Dänemark unterliegt jetzt also nicht den europäischen Gesetzen in der Asyl und Migrationspolitik. Daher geht in Dänemark rechtlich eine Menge mehr, wenn es darum geht, quasi Härte zu zeigen gegenüber geflüchteten Menschen. Vieles davon wäre in Deutschland von vornherein wegen Verstoßes gegen europäisches Recht rechtswidrig.
Aber das haben wir jetzt mal so ein bisschen ausgeblendet und wollten uns einfach nur mal anschauen: Was haben die Dänen eigentlich gemacht und funktioniert das eigentlich?

Fangen wir mal an mit dem, was die Dänen machen. Und zwar schon seit langer Zeit. Sie setzen seit rund 20 Jahren plusminus eigentlich auf Abschreckung, also auch und vor allem unter der sozialdemokratischen Regierung von Mette Frederiksen. Das sind so Sachen wie der Familiennachzug wurde deutlich erschwert über die über die Jahre. Sozialleistungen für Geflüchtete wurden massiv gekürzt. Heute bekommen Asylbewerber und Bewerberinnen 7,50 €, umgerechnet ungefähr pro Tag.
Wenn der Antrag dann abgelehnt wird, gibt es nur noch Verpflegung und Unterkunft zum Beispiel. Oder es gibt das sogenannte Schmuckgesetz.

Noch an der Grenze können Asylbewerberinnen und Asylbewerbern Wertgegenstände abgenommen werden, die den Wert von 1.350 € übersteigen offiziell, um ihr Asylverfahren zu finanzieren. Wir hören, dass das in der Praxis zwar nur selten angewandt wird, es hat also hauptsächlich symbolische Wirkung, aber hieß natürlich ganz deutlich: Also wenn du hier nach Dänemark kommst, dann musst du dich quasi erst mal nackig machen und alles, was du an Wertgegenständen bei dir hast, das nehmen wir dir ab.
Stichwort Grenze. Da gibt es auch seit acht Jahren Grenzkontrollen an der deutsch dänischen Grenze mit immer wieder wechselnden Begründungen. Auch rechtlich überaus zweifelhaft, ob das überhaupt zulässig ist und Philip, genau wie an den deutschen Außengrenzen auch klappt das eigentlich nicht.

Ja, es ist natürlich nicht flächendeckend. Wir sind jetzt ein paar Mal nach Dänemark gefahren, privat, geschäftlich, hin und zurück. Da gab es manchmal Kontrollen, aber eben oft auch nicht. 2019 gab es dann weitere Verschärfungen, die aber alle unter der Überschrift funktionieren und verabschiedet wurden Abschreckung. Da wären zum einen diese sogenannten Ghettogesetze.
Da ist das Ziel, dass in Wohnvierteln in Dänemark bis 2030 nicht mehr als 30 % sogenannte nicht westliche Ausländer leben sollen. Und um das zu erreichen, sind wiederum auch Zwangsumsiedlungen rechtlich möglich. Das ist, das klingt krass und das ist krass, denn das Gesetz wurde auch aktuell vom Europäischen Gerichtshof angegriffen.

Und es wird auch wohl nur selten angewandt. Aber theoretisch könnte also eine Verwaltungsbehörde in Dänemark hingehen und sagen Hier, liebe Familie Abu sonst was. Sie sind zu viel. Sie sind das 31. Prozent in Ihrem Kiez. Sie ziehen jetzt mal weg.

Ja, es gibt noch ein paar weitere Kriterien, muss man dazu sagen Armutsrate usw, die dann erfüllt sein müssen, damit solche Zwangsumsiedlungen rechtlich möglich sind. Aber dieses Gesetz spricht eine deutliche Sprache und wäre so in Deutschland wahrscheinlich nicht denkbar.

Ja, da gibt es den sogenannten Paradigmenwechsel, der dazu führt, dass Schutz generell nur noch temporär gewährt werden soll. Das heißt also, Asyl ist immer nur ein zeitlich begrenzter Schutz. Sobald die Rückkehr ins Heimatland sicher ist, soll der Aufenthalt enden. Und das hat auch dazu geführt, dass kurzfristig zum Beispiel Abschiebungen nach Syrien nach oben gegangen sind. Aber es bedeutet natürlich in der Praxis auch so eine Art Integrationsverbot geradezu.
Also die Idee ist, dass die Menschen sich in Dänemark gerade nicht integrieren, sondern damit rechnen müssen, dass sie jederzeit nach Haus müssen.

Und seit 2020, seit knapp vier Jahren müssen abgelehnte Asylsuchende jetzt in sogenannten Lagern leben. Das hat Hans Wolff, der Chef des Anti Folter Komitees des Europarats, kommentiert mit dem Zitat.

"Bedingungen in der Unterkunft Ellebæk sind mit die schlechtesten in Europa. Gefängnisse in Russland oder der Türkei haben teils bessere Bedingungen."

Also Lager sollen dazu dienen, auch die Abschiebung zu erleichtern. Also damit die Leute, deren Asylantrag endgültig und abschließend abgelehnt wurde, sich nicht verdünnisieren, sondern eben abgeschoben werden können. Aber auch das funktioniert nicht so, wie das diese Lager nahelegen könnten.

Maximilian Pichl, Professor für Soziales Recht an der Hochschule Rhein Main, sagt, 2/3 der Abzuschiebenden seien abgetaucht. Mit anderen Worten: Diese Lager wirken tatsächlich sehr abschreckend, führen aber nicht etwa dazu, dass Menschen nicht nach Dänemark kommen, sondern dass sie in Dänemark dann schön dafür sorgen, dass sie nicht zu finden sind. Schließlich hat Dänemark 2021 noch mal versucht, ein sogenanntes Ruanda Modell einzuführen.

Das erlaubt, theoretisch Personen im Asylverfahren in sogenannte Partnerländer zu schicken und um dann da das Asylverfahren abzuwickeln. Dänemark hat versucht, ein Abkommen mit - Tata - Ruanda abzuschließen, wie das UK auch gemacht hat. Das liegt wohl derzeit auf Eis. Es wurde bisher wohl auch niemand hingeschickt und 2023 haben sie das dann offiziell aufgegeben. Es wird angestrebt in Dänemark das auf EU Ebene zu regeln.

Wenn man da mal ein Strich drunter macht, muss man ganz ehrlich sagen viel mehr Abschreckung geht wahrscheinlich nicht in einem Staat, der sich grundsätzlich den Menschenrechten verschrieben hat. Ihr seht schon, das ist also die ganz, ganz harte Kante gegenüber geflüchteten Menschen. Es geht also systematisch darum, dass es in Dänemark möglichst ungemütlich ist, dass möglichst viele wieder abgeschoben werden können und dass sie sich möglichst nicht integrieren.
Und da müsste man ja sagen, also aus der Perspektive, sagen wir mal migrationsskeptischer Menschen in Deutschland, tatsächlich so eine Art Muster. Ja, so müsste man es machen, damit möglichst keiner ins Land kommt. Könnte man denken. Vorausgesetzt, dass tatsächlich die Wirkung eintritt, dass möglichst wenig Menschen nach Dänemark ziehen. Philip, und wie ist denn die Wirkung?

Schauen wir uns mal die Zahlen an, und zwar die Zahl der Asylanträge im Vergleich zu Deutschland. Da sind, muss man ja sagen, in den ersten Monaten des Jahres '24 die Anträge deutlich zurückgegangen im Vergleich zum Vorjahr. Aber nehmen wir uns mal das Jahr 2023, weil das das letzte vollständige Jahr ist, was wir haben. Und da muss man sagen, bezogen auf die Anzahl der Bevölkerung ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland zehnmal höher als in Dänemark.
Also konkret Umgerechnet auf 1 Million Einwohner bedeutet das: Dänemark 2023 hatte pro 1 Million Einwohner 387 Asylanträge, in Deutschland waren es rund 3900, also etwa pro Einwohner zehnmal so viel Asylanträge.

Mit anderen Worten: Die Abschreckungspolitik Dänemarks zeige durchaus eine Wirkung. Aber diese Wirkung sei völlig anders, als es eigentlich geplant war, sagt die Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger dem Bayerischen Rundfunk.
Diese vermeintlich abschreckende Wirkung, das ist bis zu einem gewissen Grad eingetreten, diese Wirkung. Wobei erste Analysen zeigen, dass der vermeintlich abschreckende Effekt auf gering qualifizierte Migrantinnen Migranten ein ziemlich kleiner war, vor allem aber besser qualifizierte Migranten davon abgehalten wurden, nach Dänemark und Schweden zu gehen.

Man hat also gerade die abgeschreckt, die man jedenfalls aus einer deutschen Perspektive ja eigentlich will, die Menschen mit einer höheren Qualifikation. Außerdem ist natürlich festzustellen, dass die Menschen dann nicht etwa in den Heimatländern geblieben sind. Keine Ahnung in Syrien oder vielleicht auch in Afrika. Sondern die Menschen sind stattdessen einfach in andere europäische Länder geflüchtet, sodass das also so ohne Weiteres auch nicht skaliert.
Also wenn jetzt andere europäische Länder die Daumenschrauben anziehen, dann müssen die Menschen ja trotzdem irgendwo hin. Deswegen wird diese Abschreckungstaktik Dänemarks auch als unsolidarisch und insbesondere antieuropäisch kritisiert, sagte Constantin Hruschka, Experte für Internationales Migrationsrecht im Bayerischen Rundfunk.
Das hat einen Abdrängungseffekt. Die Personen sind ja da. Dann müssen es andere Länder machen, die aber auch zum Schengenraum gehören. Das heißt, dieser Abdrängungseffekt, der hilft niemandem europäisch.

Maximilian Pichl, Professor für Soziales Recht an der Hochschule Rhein Main, oben schon mal zitiert, der sagt, es sei erwiesen, dass Abschreckung kaum wirke. Migranten, Migrantinnen gingen halt dorthin a) wo sie schon Leute kennen, wo es eine Community gibt und wo eben der Rechtsstaat funktioniert. Und auch Migrationsforscher Constantin Hruschka bläst in ein ähnliches Horn.
Er sagt, dass auch pro Einwohner mehr Leute nach Deutschland kommen, läge nicht an laxeren Gesetzen oder höheren Geldzahlungen.
Da geht es ja nicht um die Frage Wie sind die deutschen Gesetze? Sondern die Attraktivität Deutschlands kommt daraus, dass es ein großes Land ist, ein bekanntes Land und ein wirtschaftlich erfolgreiches Land.

Mit anderen Worten: Solange Deutschland wirtschaftlich erfolgreich ist, wird es auch attraktiv bleiben. Egal welche Daumenschrauben wir geflüchteten Menschen anlegen. Außerdem haben diese Abschreckungsversuche natürlich auch weitreichende Nebenwirkungen, sagt jedenfalls Bernd Parusel vom Schwedischen Institut für Europäische Studien, ebenfalls im Bayerischen Rundfunk.
Also wenn man das zum Beispiel versucht zu erschweren, dass Menschen überhaupt einen dauerhaften Aufenthalt, eine dauerhafte Perspektive bekommen können, sondern immer darauf hinwirken, dass das nur temporär, der Schutz nur temporär sein soll, dann ist das für die Integration nicht unbedingt gut. Oder auch solche Sachen wie Arbeitsverbote, die man zur Abschreckung macht, sind auch für die längerfristige Integration nicht gut.

Also das mit anderen Worten, wenn man das mal kurz sich überlegt: Es ist einfach denklogisch nicht möglich, zugleich zu sagen wir wollen abschrecken. Oder in der deutschen Terminologie wir wollen Pullfaktoren verringern und wir wollen keine Parallelgesellschaft. Das schließt sich aus.
Also wenn ich die Menschen, die in Deutschland als Geflüchtete leben, möglichst schlecht behandle, mit dem ohnehin zweifelhaften Wunsch, Pullfaktoren zu verringern, dann führt das eben zwangsläufig dazu, dass diese Menschen schlecht integriert sind, weil sie zum Beispiel nicht arbeiten dürfen, weil sie dauerhaft damit rechnen müssen, dass man sie wieder rauswirft. Und dann entwickeln sich genau die Parallelgesellschaften, die man nicht haben will.
Mit anderen Worten: Da muss man sich schon mal ehrlich machen. Wenn man möchte, dass die Menschen, die in Deutschland leben, möglichst gut integriert sind, dann muss man sie sich eben auch integrieren lassen.

Also was das Fazit? Ja. Dänemark hat deutlich weniger Schutzsuchende pro Einwohner als Deutschland, zehnmal weniger. Aber die Kosten dafür sind extrem hoch. Da gibt es zum einen diese menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Schutzsuchende eben in Dänemark leben müssen. Die Situation Schutzsuchender sei teils katastrophal, sagt eine Studie der SPD nahen Friedrich Ebert Stiftung von 2024.
Und die Rockwool Foundation in Berlin sagt, Kürzungen von Sozialleistungen für Geflüchtete bewirkten schlechtere Schulleistungen von Kindern in Dänemark, zwängen sie früher, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Dadurch hätten sie geringere Einkommen. Außerdem gäbe es auch eine höhere Kriminalität durch Ladendiebstähle, einfach weil die Sozialleistungen so schlecht sind.

Und außerdem führt natürlich zu einer grundsätzlich migrationsskeptische bis migrationsfeindliche Haltung schnell dazu, dass das auch auf die einzelnen Menschen übertragen wird, die im Land leben. Das führt dazu, dass Rassismus dann normalisiert wird und zum Beispiel dieser Begriff Ghetto für bestimmte Wohnviertel mit einem hohen Anteil nicht westlicher Ausländer wirkt auf die dort lebenden Menschen stigmatisierend.
Wenn man nämlich nicht westliche Bewohner quasi als Problemindikator, also als Problemanzeiger markiert, dann wird das ganz schnell auf die Menschen übertragen. Und Hass gegen Menschen mit anderem ethnischen Hintergrund wird auf diese Art und Weise quasi salonfähig.

Außerdem: Abschreckung wirkt in Teilen aber vor allem eben auf Hochqualifizierte und das Problem wird dabei nur verlagert, weil die Leute natürlich schon in Europa sind und dann eben in andere EU Staaten gehen. Und das erleben wir allerorten. Das stärkt nicht das Projekt Europa. Wir wollen jetzt eine gemeinsame Politik im Umgang mit Migration. Sondern es ist eher so ein bisschen national egoistisch. Also wir wollen sie nicht haben. Kümmert ihr euch darum, viel Spaß!

Ja, also selbst wenn man das jetzt aus einer politischen Perspektive in Deutschland übernehmen wollte, dann muss man sehen, diese dänische Abschreckungspolitik ließe sich nicht so einfach auf Deutschland übertragen. Also Deutschland muss, das haben wir eingangs gesagt, sich vielmehr an europäisches Recht halten als Dänemark das muss. Auch dauerhafte Grenzkontrollen wären natürlich nicht legal. Das haben wir ja auch schon ausführlich diskutiert.
Das sagte auch noch mal Maximilian Pichl, Professor für Soziales Recht an der Hochschule Rhein Main. Und diese Abschottungspolitik an den Grenzen hat eben auch praktische Grenzen.

Richtig. Dänemark hat genau eine Landesgrenze, nämlich zu Deutschland. Und die ist original 68 Kilometer lang. Dazu gibt es dann noch eine Seegrenze zu Schweden, die es auch nur 115 Kilometer lang. Das lässt sich also viel besser kontrollieren als Grenzen in Deutschland. Deutschland liegt einfach mitten in Europa, ist super attraktiv, wirtschaftsstark, sucht jede Menge Arbeitskräfte und hat eben Grenzen, die sind 4000 Kilometer knapp lang und das sind tausende Von Feldwegen.
Haben wir drüber geredet. De facto nicht zu kontrollieren.

Außerdem ist Deutschland eben weltweit bekannt als eine große Volkswirtschaft mit einem hohen Angebot an Arbeit. Ich meine, das muss man ja immer sehen. Diese Migrationsdebatte ist ja auch deswegen so skurril, weil wir ja in Deutschland massenweise Arbeitskräfte brauchen. Also die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet, dass wir pro Jahr etwa 400.000 Menschen bräuchten, die nach Deutschland einwandern, um hier Arbeit zu suchen und zu finden. Und Arbeitsplätze gäbe es ja auch
genug. Und der Witz ist dann kommt ja häufig das Gegenargument: Na, es kommen aber die Falschen. Wir brauchen doch nicht Ungelernte, wir brauchen doch Fachkräfte. Da muss man sagen Nee. Dass weniger Menschen kommen, ist als solches schon eine schlechte Idee. Und Dänemark zeigt dann außerdem, dass diese Abschreckung vor allem bei Fachkräften wirkt. Das heißt genau die, die wir ja selbst aus der Perspektive von migrationsskeptischen Menschen in Deutschland am dringendsten
brauchen. Die reagieren besonders sensibel auf das gesellschaftliche Klima, und das sehen wir ja heute schon. Also schon heute ist Deutschland ja für viele Menschen, die besonders gut qualifiziert sind, die sich im Grunde das Gastland aussuchen können, zu rassistisch. Und insbesondere in den östlichen Bundesländern wollen, keine Ahnung, hoch qualifizierte indische Menschen im Zweifel nicht arbeiten. Da kann man sich überlegen, warum.

Ein zentrales Argument für das Beispiel Dänemark war ja auch durch diese aggressive Politik gegen Migranten und Migrantinnen seien die Rechtsextremen geschwächt worden und die demokratischen Parteien hätten gewonnen. Die Frage: Ist das so? Und die Antwort ist klar Nein. Die rechten Parteien wurden in der Summe durch die scharfe Migrationspolitik gerade nicht geschwächt. Das schreibt auch diese Studie der Friedrich Ebert Stiftung aus 2024, also relativ
frisch. Zwar ist die rechtsextreme Dänische Volkspartei nach ihrem Erfolg mit 21 % bei der Wahl 2015 danach eingebrochen bei der nächsten Wahl. Aber dafür sind neue rechtsextreme Kräfte ins Parlament eingezogen. Die Stimmen verteilen sich auf mehrere Parteien. Aber unterm Strich sind die rechten Parteien nach Umfragen 2023 so stark wie nie zuvor, abgesehen von 2015.
Aber dass sie eingebrochen sind, weil Sozialdemokraten in Dänemark diese radikale Migrationspolitik betreiben, das stimmt einfach nicht.

Und das finde ich deswegen so interessant, weil ja gerade in der SPD das Dänemark Beispiel immer wieder gebracht wird für einen erfolgversprechenden Kurs. Da wird dann gesagt aber 2019 hätten doch die dänischen Sozialdemokraten gesiegt dank eines solchen Migrationskurses. Und da sagt die FES Studie, also die Studie immerhin einer SPD nahen Forschungseinrichtung. Das mag ja sein, dass die Sozialdemokraten da die Wahl gewonnen haben, aber gerade nicht wegen ihrer eisernen Migrationspolitik.
Die FES Studie von 2024 sagt, die Wählerwanderung von rechts nach links war motiviert durch - Tata - Wirtschafts- und Sozialpolitik. Also genau das, was der Soziologe Linus Westhäuser und seine Kollegen in der Studie vertreten, die wir in der Folge 399 besprochen haben und im Grunde auch genau das, was Professor Abou Chadi von der Universität Oxford in der heutigen Folge vertreten hat.
Man braucht eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik, wenn man als sozialdemokratische Partei Wähler:innen überzeugen möchte.

Also Fazit: Dänemark, glaube ich, kann man nicht unbedingt als Vorbild nehmen für Deutschland. Die harte Hand gegen Migration wirkt nicht so wie versprochen. Es kommen vor allem weniger Fachkräfte und andere Länder werden überlastet. Das Konzept, das Prinzip, die Idee Europa wird damit torpediert. Und es hilft eben auch nicht innenpolitisch als Strategie gegen besonders rechte Parteien.

Also wenn man die wissenschaftliche Forschung noch in irgendeiner Art und Weise ernst nehmen will, dann müsste die deutsche Sozialdemokratie eher mal ihre Hausaufgaben in der Wirtschafts- und Sozialpolitik
machen. Und das deckt sich ja interessanterweise auch gerade mit den Nachwahlbefragungen, die wir vor zwei, drei Folgen mal analysiert haben von der Landtagswahl in Brandenburg, wo die AfD eben ganz besonders stark war bei Menschen, die sagen Meine wirtschaftliche Lage finde ich eher schlecht, das sind die, das sind die Sorgen, derer sich die Sozialdemokratie mal annehmen sollte. Und Ausländer raus ist jedenfalls für die SPD kein Erfolgsrezept.

Wir hatten ja, das ist schon angeklungen, zwei Lage Live Veranstaltung in Bonn und eine in Leipzig. Und wie das so guter Brauch ist, stehen wir dann hinterher noch zusammen beim Bierchen oder beim Wein und quatschen mit den Leuten. Und da kommt natürlich auch manchmal ein bisschen Kritik und das wäre ja auch in Ordnung. Das ist ja auch Sinn und Zweck solcher Treffen, dass man sich da einfach mal unterhält und die Leute sagen, was ihnen zuletzt nicht so gepasst hat.
Und da kam unter anderem ein Thema zur Sprache, das auch im Forum unter Talk.LagederNation durchaus für Wirbel gesorgt hat. Und das war unser Kapitel, unser Dareicherung zu ETFs als wichtiges Standbein für die private Altersvorsorge.

Da kam die Kritik: Wie könnt ihr als verantwortungsbewusster Podcast ernsthaft ETFs empfehlen? Die investieren doch auch in in Anführungsstrichen "böse" Firmen. Wobei die Definition von böse dann natürlich unterschiedlich sein kann. Fossile Energie, Waffen, was auch immer. Irgendwas, was man quasi nicht für eine gute Idee hält. Und da muss man sagen, diese Kritik ist teilweise berechtigt. Also ein Punkt war 8 % Rendite, das sei ja schon unrealistisch.
Na gut, da muss man sagen, Ja, das stimmt so halt. 8 % sind einfach die im langjährigen Mittel zu erreichende nominale Rendite. Aber da muss man natürlich noch die Inflation rausrechnen. Aber auch dann, wenn man die Inflation also herausrechnet, kommt man immer noch auf rund 5 bis 6 % Rendite im langjährigen Mittel. Damit ist es immer noch, wenn nicht die beste, doch eine der besten Anlageformen. Langfristig orientiert anliegende Menschen sollten deswegen auf jeden Fall auf ETFs setzen.
Ja, aber wie gesagt, ein weiterer Punkt, der kritisiert wurde, war ja die Nachhaltigkeit. Philip, was ist denn an der Kritik dran?

Na ja, also der Vorwurf ist, wer ETFs kauft, also wer Anteile an diesen Fonds kauft, die ja Aktien halten von durchaus vielleicht umstrittenen Firmen, wird auf diese Weise mit diesem Investment zum Teil auch Eigentümer einer Firma, weil man ja Anteile hält, wenn auch sehr gering, die beispielsweise fossile Energien verkauft oder Waffen verkauft oder Glücksspiel verkauft oder Atomkraftwerke betreibt, wenn man das nicht mag.
Oder seine Mitarbeitenden schlecht behandelt, sie unter Umständen sogar ausbeutet und im Extremfall sogar Kinderarbeit akzeptiert, also wenn man in einfach so die normalen ETFs investiert, sich da Anteile kauft, so der Vorwurf, dann sei man ja Miteigentümer so einer Firma.

Und man würde quasi mit Kohle und anderen schmutzigen Sachen Kohle machen. Und das kann natürlich ein Argument sein zu sagen das will ich nicht, da will ich nichts mehr zu tun haben, finde ich total legitim zu sagen, will man nicht. Was hingegen nicht stimmt, ist der da irgendwie auch mitschwingende Vorwurf, man würde eben beispielsweise fossilen Unternehmen dadurch helfen. Denn die Aktien, die so ein ETF kauft, die werden ja nicht zusätzlich ausgegeben, die sind ohnehin auf dem Markt.
Das heißt also, da fließt kein zusätzliches Geld an die problematischen Unternehmen. Und selbst wenn der Kurs steigen sollte, dann gewinnt das Unternehmen dadurch ja nichts, weil die das Unternehmen die Aktien einmal irgendwann ausgegeben hat, zum Ausgabepreis und von Kurssteigerung prinzipiell nicht mehr profitiert. Und da ist schon dann die Frage, ob das denn tatsächlich den bösen Unternehmen hilft, wenn man in so einen ETF investiert. Also kann man aus zwei Seiten sehen.
Miteigentümer sein will man vielleicht nicht, aber man hilft diesen Unternehmen jedenfalls nicht richtig.

Aber wenn man jetzt mal dieses Ich will kein Miteigentümer sein eines solchen Unternehmens, wenn man das mal ernst nimmt, dann war die Kritik ja: Ihr hättet mal mindestens drauf hinweisen können, dass man diesen Fußabdruck, diesen ethischen Fußabdruck bei der privaten Altersvorsorge mindestens ein bisschen minimieren kann, indem man eben nicht einfach so in irgendwelche ETFs investiert, die dann auch Anteile haben an Ölunternehmen und dergleichen, sondern dass es da eben auch
nachhaltige ETFs gibt. Die sind im Prinzip genau wie alle anderen ETFs. Das sind halt Fonds, die genau einen Aktienindex nachbilden und dementsprechend die Aktien kaufen, die in diesem Index gelistet sind. Auch hier die Vorteile, dieselben eben die niedrigen Kosten. Aber der Index, der halt nachgebildet wird von diesem ETF, der listet halt nur ganz bestimmte Firmen und sortiert eben nach nachhaltigen Kriterien.

Das Problem ist natürlich wieder, es gibt keine klare, feste, allseits anerkannte Definition von Nachhaltigkeit, aber immerhin einen bunten Markt. Und da kann man sich dann eben die Indizes aussuchen und davon abgeleitet die ETFs, die man am überzeugendsten findet. Also einige Indizes schließen ganze Branchen aus, Waffen, genmodifizierte Pflanzen, Atomkraft oder so, andere nehmen generell nur die nachhaltigsten Unternehmen einer
Branche. Im Detail ist das ziemlich komplex und nicht immer einfach zu durchschauen. Aber es ist sicherlich nachhaltiger, einen solchen ETF zu kaufen, als einfach irgendeinen ETF. Und außerdem kann man sich ja auch so ein bisschen helfen lassen. Philip, Finanztip hat sich das mal angeschaut.

Finanztip hat sich 13 ETFs angeschaut und getestet, die sich als nachhaltig bezeichnen. Und sie haben drei davon empfohlen. Und in diesem Text wird auch noch mal detailliert erläutert, Was sind so die verschiedenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit? Was sind da die Lücken, Was sind die Vorzüge?
Wir haben den Text mal verlinkt und wenn euch das wichtig ist und ihr von ETFs profitieren wollt, aber auf eine etwas nachhaltigere Art, als wir das so letztes Mal einfach so mal dahin geworfen haben, dem sei dieser Text ans Herz gelegt. Zu unserm nächsten Thema: Am Wochenende treffen sich in Ramstein die Unterstützer der Ukraine. Staatschefs reisen an, einer wird fehlen. US Präsident Joe Biden hat abgesagt, aber Präsident Selenskyi soll kommen, oder?

Ja, in der Tat. Der ukrainische Präsident will natürlich anreisen. Es geht ja auch ganz maßgeblich um sein Land. Und er reist auch an, mit dickem Gepäck, mit dem sogenannten Siegesplan. Die Details, wie dieser Weg zum Sieg aussehen soll, sind nicht öffentlich geworden. Aber er hat offensichtlich weiterhin das Ziel, dass die Ukraine als Sieger vom Platz gehen soll.
Und vor allem, und das ist wahrscheinlich die strategische Idee dahinter, will er aus einer Position der Stärke heraus in Verhandlungen mit Russland kommen. Aber ich glaube, Philip, das wird nicht ganz einfach. Insbesondere wenn in einem Monat tatsächlich nicht etwa Kamala Harris gewählt werden sollte in den Vereinigten Staaten, sondern Donald Trump Präsident werden sollte.
Denn er hat ja schon mehrfach angedeutet, dass er die Unterstützung für die Ukraine jedenfalls reduzieren, wenn nicht ganz einstellen würde. Und ich glaube, die Europäer haben keinen Plan, oder wie sie diese Lücke stopfen wollen?

Nein, also das nicht so richtig zu erkennen, wie die Europäer diese Lücke an militärischer Unterstützung, finanzieller Unterstützung für die Ukraine stopfen wollen würden, wenn sie es denn stopfen wollen würden. Es ist jetzt auch kein sehr gutes Omen, das Joe Biden wegen des annahenden Hurrikans in Florida, dem zweiten binnen weniger Tage, die Reise nach Deutschland abgesagt hat. Denn auch militärisch ist die Lage für die Ukraine nicht einfach, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Russland hat seit einigen Wochen die Oberhand. Russische Landgewinne auf ukrainischen Gebiet nehmen zu, im Osten der Ukraine, aber eben auch in dem Bereich des Gebiets Kursk, den die Ukraine erobert hatte. Auch das war lange so, dass die Ukraine da ein gewisses Territorium hat sichern können. Aber auch da rücken die Russen jetzt langsam aber doch stetig vor.

Und die aktuelle Lage rund um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und natürlich auch die Perspektiven für einen möglichen Waffenstillstand, später mal für einen möglichen Frieden, die möchten wir jetzt analysieren mit Franziska Davies. Sie ist Osteuropahistorikerin an der Ludwig Maximilians Universität in München. Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation, Frau Davies.
Hallo, vielen Dank für die Einladung.

Frau Davies, Sie waren gerade in der Ukraine, sind Montag zurückgekommen. Was sind die Eindrücke, die Sie mitgebracht haben?
Nun war ich an einem besonderen Ort. Ich war in Lwiw während des Internationalen Buchfestivals, das dort jährlich stattfindet, seit der Unabhängigkeit der Ukraine. Das heißt, da war sozusagen die Creme de la Creme aus dem Journalismus, aus der Literatur, aus der Kunst. Und das ist eine Mischung aus Trauer, Traumata und trotz all dieser Trauer und auch der Ermüdung nach wie vor ein großer Wille, sich zu widersetzen.

Ja, Stichwort Trauer. Stichwort Ermüdung. Wie bewerten Sie denn die aktuelle militärische Lage in der Ukraine, wir haben ja gerade schon ein paar Stichworte, genannt Geländegewinne der Russen in der Region Donezk, Geländegewinne auch rund um die russische Region Kursk, wo aber ja die Ukrainer eine Offensive gestartet hatten. Wie bewerten Sie die Lage? Marschiert Russland gerade durch, bricht die Front gerade peu a peu zusammen?
Nun bin ich keine Militärexperten, sondern Historikerin. Aber im Grunde genommen ist die Lage auch seit einigen Monaten ähnlich. Also es fehlt einfach der Ukraine an Waffen, an Munition. Und natürlich sind sehr viele der Soldaten und Soldatinnen, die jetzt an der Front sind, sind dort seit der Vollinvasion, das heißt, sie sind einfach auch physisch, psychisch am Ende.
Nach wie vor ist die Erlaubnis nicht erteilt, mit den Waffen, die man aus dem Westen hat, auch russische Militärbasen anzugreifen. Das heißt, der Ukraine wird zu wenig zum Siegen gegeben und zu viel zum Sterben. Das ist auch ein ganz starkes Gefühl nach wie vor, seit eigentlich der Vollinvasion in der Ukraine. Und gleichzeitig ist aber auch völlig falsch zu sagen, die Russen marschieren durch.
Wir müssen uns auch immer wieder klarmachen, was die Vorstellung der Russen war, die von weiten Teilen auch der westlichen Öffentlichkeit getragen wurde, nämlich Wir greifen die Ukraine an, und innerhalb von 3 bis 7 Tagen ist sie gefallen. Kyiv ist besetzt. Dort haben wir ein Puppet Regime, einen Marionettenregierung für Russland. Und die Ukraine hat aufgehört, als unabhängiger und souveräner Staat und als Staat und Nation zu existieren.
Das ist nicht der Fall und die Geländegewinne, die Russland macht, sind überschaubar. Sie sind mit hohen, hohen, hohen, hohen Kosten verbunden. Es ist immer noch so, dass dieser Krieg anders ausgehen kann. Und sehr stark hängt das aber auch davon ab, ob der Westen sich endlich dazu durchringt, die Ukraine mehr zu unterstützen.

Frau Davies, in Deutschland wünschen sich natürlich viele Menschen auch ein Ende des Konflikts. Das wurde zuletzt am 3. Oktober deutlich, wo es in Berlin eine sogenannte Friedensdemo gab, zu der unter anderem das Bündnis Sahra Wagenknecht eingeladen und aufgerufen hatte. Sie waren ja nun gerade in der Ukraine, als das passierte, mehr oder weniger. Wie wird denn diese Stimmung und wie werden diese Aufrufe zum Frieden in Deutschland, dort in der Ukraine wahrgenommen?
Mit einem völligen Unverständnis. Also ich finde, diese Veranstaltung am 3. Oktober verdient auch den Namen Friedensdemonstration nicht. Da ging es nicht um Frieden. Das hat man ja teilweise auch ganz deutlich an den Plakaten gesehen. Daran, wie darauf reagiert worden ist, als Ralf Stegner auf dem Podium gesagt hat, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Als ein schlichter Fakt wurde dort mit Buhrufen begegnet.
Man ist angeblich für Frieden in der Ukraine, aber es sind keine ukrainischen Fahnen zu sehen. Die Ukrainer in Deutschland organisieren eine Gegendemonstration. Was dort gefordert wurde, war kein Frieden, sondern eine Unterwerfung der Ukraine unter ein genozidales Besatzungsregime durch Russland. Also die Ukraine soll praktisch, damit Deutschland seine Ruhe hat, ihre Existenz aufgeben, ja ihr Leben in Freiheit und Würde in Selbstbestimmung. Das hat mit Frieden absolut gar nichts zu tun.
Ich war dabei, als es von einem auf dem Festival, der Deutschland gut kennt, dem Publikum erzählt worden ist, was sich da abgespielt hat in Berlin am 3. Oktober. Ich wäre als Deutscher am liebsten vor Scham im Boden versunken, weil es ein derartiger Mangel an Empathie und auch eine Respektlosigkeit gegenüber der Ukraine ist, ihren Menschen zu empfehlen, sich aufzugeben, in einer Diktatur zu leben, sich töten, vergewaltigen und foltern zu lassen und das dann auch noch Frieden zu nennen.

Schauen wir doch noch mal diese Idee, die offensichtlich der Demonstration am 3. Oktober zugrunde lag, diese Idee von einem Frieden. Diese Idee wird ja vom BSW zum Beispiel, aber auch von Leuten aus der AfD und in Teilen sogar aus der SPD immer wieder formuliert. Hintergrund scheint auch ein Stück weit zu sein, eine Angst vor einer Eskalation des Konflikts.
Und jedenfalls diese Idee, diese Angst prägte nicht zuletzt auch die jüngsten Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, wo ja das Bündnis Sahra Wagenknecht aus dem Stand zweistellige Ergebnisse einfahren konnte. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat eben vor allem mit dem Thema Ukrainekrieg auch Wahlkampf gemacht. Und die Vorstellung des BSW formulierte kürzlich BSW Führungskader Klaus Ernst im Deutschlandfunk.

Ja, da wurde er gefragt, wie denn genau jetzt der Weg zum Frieden aussehen sollte. Und Klaus Ernst sagte:.
Das bedeutet, wir brauchen als erstes einen Waffenstillstand. Und wir brauchen dann Gespräche, die unter Einbeziehung der Interessen der Beteiligten zu einem ausgewogenen Friedensschluss kommen. Das bedeutet, dass man berücksichtigt, dass die Russen sich bedroht fühlen von der NATO. Da können wir ja nicht sagen, es ist nicht so, wenn sie sich so fühlen, dann ist es so.
Also diese Interessen muss ich berücksichtigen, muss gleichzeitig berücksichtigen die Interessen der Ukraine und ausgehend von einem Interessenausgleich brauche ich dann tatsächlich Garantien, die andere Länder geben, dass dieser Frieden eingehalten wird, wobei es dann weniger Grund gibt, ihn nicht einzuhalten. Wenn beide Positionen in diesem Friedensschluss berücksichtigt werden.

Ist das ein Weg zu einem dauerhaften Frieden?
Ich muss sagen, dass ich mir das kaum anhören kann. Das hat mit der Realität absolut gar nichts zu tun. Diese ganze Debatte, wenn man sie denn so nennen will in Deutschland, hat absolut nichts mit der Realität zu tun, wie wir sie vorfinden, in der auch wir ja leben. Das ist ja nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, auch wenn die Ukraine natürlich die Nation ist, die vernichtet werden soll.
Russland sagt ja ganz offen es geht um einen Krieg gegen den Westen, um einen Krieg gegen das europäische Projekt, um einen Krieg gegen die demokratische Ordnung. Es geht darum, dass Russland Europa dominieren will. Und wenn Sie jetzt Eskalation sagen: Die Eskalation wird kommen, und das wird auch von Russland ganz offen
erklärt. Wenn die Ukraine gefallen ist und Russland sich vorbereiten kann, seinen Krieg, in denen es sowieso schon auf hybride und teilweise auch nicht hybride Weise gegen Gesamteuropa führt, weiter fortsetzen kann, dann wird die Eskalation kommen und dann diskutieren wir nicht mehr, ob Deutschland die Ukraine mit Waffen unterstützt, sondern dann diskutieren wir, wer von uns kämpfen
wird. Das ist die Realität. Und wenn ich jetzt ganz kurz noch auf konkret eingehen soll, was Herr Ernst gesagt hat, das ist völlig absurd, was er da sagt und auch gleichzeitig wieder sehr bezeichnend. Er spricht von einem Interessensausgleich und spricht dann von den angeblichen Sicherheitsinteressen Russlands, das sich bedroht fühlen würde durch die NATO. Zu dem Interesse der Ukraine ihre Existenz, sagt er nichts!

Nein, er sagt: Die Interessen der Ukraine müssen auch berücksichtigt werden. Und da gibt es einen Ausgleich und Vertrag und dann ist gut.
Ja, und was sind die Interessen der Ukraine? Zu existieren! Und das will Russland gerade nicht, dass die Ukraine existiert. Wie will man diese beiden, ich würde es nicht Interessen nennen von russischer Seite, sondern einen neo imperialen Krieg, einen neoimperialen Anspruch. Wie will man da ein Ausgleich durch Gespräche erzielen? Wenn Russland sagt: Wir wollen nicht, dass die Ukraine existiert, für uns ist nur eine Grundlage für Verhandlungen eine totale Niederlage der Ukraine.
Die Ukraine sagen: Wir wollen leben, und zwar nicht unter einem russischen Besatzungsregime. Das hat also mit der Realität, ich kann mich nur wiederholen, diese ganze Debatte, die in Deutschland, die auch leider medial immer wieder mit diesen Begriffen und absurden Vorstellungen von Leuten wie Wagenknecht oder wie auch Klaus Ernst operiert, das geht vorbei an der Situation, in der auch wir sind. Und das ist zutiefst kolonial gegenüber der Ukraine. Und es ist auch nicht im Interesse Deutschlands.

Denn dann zoomen wir doch noch mal so ein bisschen näher rein, was Ihre Bedenken sind gegen die Position von beispielsweise Klaus Ernst. Wir haben ja diesen O-Ton jetzt nur beispielhaft gespielt. Fangen wir noch mal an mit diesem Stichwort NATO. Ist es aus Ihrer Sicht eigentlich realistisch? Oder ist es jedenfalls ein relevanter Punkt, wenn sich Russland durch die NATO bedroht fühlt, also insbesondere zum Beispiel durch ein NATO-Beitritt der Ukraine?
Ich kann schwer verstehen, warum wir immer noch über eine angebliche Bedrohung Russlands durch die NATO überhaupt noch sprechen. Also das war ein Talking Points, den der Kreml Fürsprecher in Deutschland bis Februar 22. Okay, das war schon schlimm genug, aber wir sehen doch jetzt seit zweieinhalb Jahren, dass es Russland nicht um eine Bedrohungssituation geht, sondern um die Vernichtung eines souveränen
Staates. Ich verstehe einfach nicht, wie man, wenn man weiß, was in den besetzten Gebieten der Ukraine passiert, die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland, um sie zu russifizieren, das Verbrennen ukrainischer sprachiger Bücher, das Zerstören ukrainischer Kulturgüter, das systematische Vergewaltigen ukrainischer Frauen. Wenn Ehepaaren, die ein Kind bekommen, in den besetzten Gebieten gesagt werden, entweder du nimmst den russischen Pass oder wir nehmen dir dein Kind weg.
Mir ist einfach nicht klar, wie man intellektuell oder moralisch auf die Idee kommen könnte, das hätte irgendwas mit einem Sicherheitsgefühl Russlands gegenüber der NATO zu tun. Die NATO Osterweiterung, die sogenannte, es war eigentlich der Wunsch der ostmitteleuropäischen Staaten, der NATO beizutreten, ist seit vielen, vielen Jahren abgeschlossen. Es wurde im Vorfeld der Vollinvasion immer wieder betont, von auch unserem Bundeskanzler Scholz, die Ukraine wird auf absehbare Zeit nicht beitreten.
Das ist keine Sicherheitsbedrohung, die Russland erlebt. Russland erlebt gerade in der Ukraine, dass sich Menschen, ehemalige kolonialisierte Menschen von der Sowjetunion und von dem russischen Imperium dagegen wehren, von Russland dominiert zu werden. Das hat nichts mit Sicherheit zu tun.

Kaufen wir doch mal für eine Sekunde dieses von Ihnen ja bereits kritisierte angebliche russische Sicherheitsbedürfnis. Selbst wenn Russland sich von der NATO bedroht fühlen sollte. Hätte denn nicht gleichwohl die Ukraine als souveräner Staat ein Recht auf Selbstbestimmung, welchem Bündnis sie beitreten möchte?
Ja, natürlich. Da kann ich nicht mehr zu sagen als Ja, natürlich.

Blickt man noch mal ein bisschen voraus. Wenn man ihn so zuhört, dann fällt es ja schwer zu glauben, dass sich Russland an einen wie auch immer gearteten Vertrag am Ende halten wird. Also dieser Krieg kann ja nur irgendwie zu Ende gehen mit irgendeiner Art von weiß ich nicht, Vereinbarung, Vertrag. Warum glauben Sie nicht, dass sich Russland an solche Verträge, wie sie auch Klaus Ernst vorschwebt, halten wird?
Weil ich die Geschichte des postsowjetischen Russlands der letzten 30 Jahre kenne.
Es gibt eine lange Liste von Verträgen, die in Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, gerade übrigens auch mit Staaten aus dem ehemaligen postsowjetischen Raum, also Georgien, die Republik Moldau, die Ukraine, also mit den neuen souveränen Ländern, die entstanden sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, also das, was Moskau nach wie vor als die Länder sieht, die kein Recht auf Selbstbestimmung haben, die kein Recht auf Freiheit und Demokratie haben, sondern die sich Russland
unterwerfen müssen. Gerade in Bezug auf diese Länder, aber auch in Bezug übrigens auf Amerika und den Westen gibt es eine lange, lange Liste von Verträgen, die Russland nicht eingehalten hat.
Ich mache es nur an einem Vertrag, der besonders relevant ist, deutlich: Das ist das Budapester Memorandum, als 1994 die Ukraine ihre Atomsprengköpfe abgegeben hat an Russland, die sie noch hatte aus der sowjetischen Zeit, und sowohl die Russische Föderation garantiert auch von Großbritannien und den Vereinigten Staaten, die territoriale Integrität der Ukraine zugesichert hat.
Ich muss jetzt, glaube ich, nicht sagen, wie eklatant Russland diesen Vertrag gebrochen hat und auch noch mal diese Phantomdiskussion über Verhandlungen und Gespräche: Da muss man sicher auch noch mal klar machen, in aller jüngster Zeit, der Krieg hat ja 2014 angefangen, hat das ja alles schon stattgefunden. Wir hatten die Minsker Abkommen. Auch daran hat Russland sich ja nicht gehalten. Russland hält sich nicht an Verträge, wenn es nicht muss. Ja, ich kann mich wirklich nur
wiederholen. Das ist eine völlige Phantomdiskussion, die in Deutschland stattfindet und die auch davon ablenkt, worum es auch, selbst wenn man jetzt sagt als deutscher Staatsbürger Ich will meine Ruhe, ich will von diesem Krieg in der Ukraine Ihnen nichts mehr hören. Dann sollen doch bitte die Ukrainer einfach akzeptieren, dass sie unterdrückt, ausgelöscht, was auch immer werden, dass sie nicht mehr als Ukrainer frei leben
können. Selbst dann muss man sich doch klarmachen das auch, und wie gesagt, ich wiederhole mich von Moskau ganz offen gesagt wird: Es geht nicht nur um die Ukraine. Putin sagt Russland hat keine Grenzen. Seine Vorbilder sind Katharina II und Peter der Erste. Und da kann ich Ihnen sagen als Historikerin, da endeten die Grenzen des russischen Imperiums nicht in der Ukraine.

Aber wenn jetzt Russland sich an diese Verträge nicht hält, wie soll es denn zu einem Waffenstillstand kommen, der dauerhaft ist und der die Souveränität der Ukraine sicherstellt? Was muss da als Sicherheit gegeben werden?
Na ja, also was in der Ukraine gerade diskutiert wird, ist, also es ist natürlich auch ein, die Ukraine ist ein großes Land, über 40 Millionen Einwohner, fast alle Menschen haben jemanden verloren oder haben direkte Erfahrung mit eben, oder sind geflohen, Menschen sind an der Front gefallen, unter russischer Besatzung ermordet worden usw.
Viele in der Ukraine sagen, das einzige was für uns akzeptabel ist, ist eine vollständige Rückeroberung unseres gesamten Territoriums inklusive Donbass inklusive der Krim. Wir haben schon einen so hohen Preis bezahlt, dass wir das machen
müssen. Und was auch noch hinzukommt und das ist etwas ja auch eben durch diese absurde Fixierung auf eine angebliche Sicherheitsbedrohung durch die NATO, was in der deutschen Debatte nach wie vor völlig fehlt: Es gibt eine lange, lange Geschichte russisch ukrainischer Beziehungen, die davon geprägt ist, dass Russland, russische Eliten die Ukraine nicht als eigenständige Nation, als eigenständige Identität, als als eigenständigen Akteur akzeptiert.
Angefangen von der Unterdrückung der ukrainischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert bis zur praktisch kompletten Auslöschung der ukrainischen Intelligenzija in der Sowjetunion in den 1930er Jahren, als sie alle erschossen worden sind als ukrainische Nationalisten. Der Holodomor, die künstliche Hungersnot, der sich eben nicht nur gegen die Bauern als Bauern richtete, sondern gerade auch als ukrainische Bauern, 4 Millionen Menschen sind dort gestorben.
Das heißt, das ist für die jetzt kämpfende Generation, auch darum gehts, zu sagen: Wir müssen das endlich klären. Wir müssen endlich klar machen, dass wir nicht zum Imperium gehören und dass wir diese russische Fremdbestimmung, wir müssen diesen, diesen Kampf jetzt entscheiden, damit unsere Kinder die Chance haben, endlich nach Generationen in Freiheit und Demokratie und Selbstbestimmung zu leben. Das ist sozusagen das eine, ein weitverbreitetes Gefühl, das es in der Ukraine gibt.
Das andere ist natürlich die Realität, dass eben dadurch, dass die Ukraine nicht die Unterstützung erhält, die sie benötigen würde für einen Sieg, für eine vollständige Wiederherstellung der Souveränität über ihr gesamtes Territorium. Gibt es durchaus Stimmen, auch in der Regierung, das ist das zumindest, was ich in der ukrainischen Presse auch verfolge, die sagen okay, wir bluten aus, wir können das nicht ewig so machen, dieses irgendwie weiterleben, aber nicht siegen.
Und es gibt, ich betone umstritten, es gibt diejenigen, die sagen okay, dann frieren wir sozusagen, ich hasse dieses Wort, weil es eben verdeckt, dass in den besetzten Gebieten ein Völkermord weiterhin stattfindet, aber wir frieren sozusagen die Frontlinie ein. Wir akzeptieren nicht natürlich, dass die besetzten Gebiete Teil der Russischen Föderation sind. Aber wir machen einen Waffenstillstand entlang der jetzigen Frontlinie.
Aber das wird nur funktionieren eben, und da kommt jetzt Ihre Frage, wenn wir Sicherheitsgarantien haben, echte feste Sicherheitsgarantien aus dem Westen, die eben deutlich machen, wenn ihr einen Schritt weitergeht, dann kommt aber wirklich der Westen.

Mit Bodentruppen und Waffen.
Eventuell mit Bodentruppen.

Also mit anderen Worten Blauhelmtruppe an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine wäre das dann konkret?
Oder auch, das ist ja auch etwas, das diskutiert wird, Stefanie Pabst ist zum Beispiel jemand, der das sagt und NATO-Beitritt für die Region, die die Ukraine derzeit kontrolliert. Das heißt, ein weiterer Angriff wäre Bündnisfall. Also wenn Herr Ernst meinen, er spricht ja vom Einfrieren, wenn er das wirklich will, dann sollte er so konsequent sein und sich für den NATO-Beitritt der Ukraine jetzt schon einsetzen. Das wäre glaubwürdig.

Frau Davies, ich würde gerne noch mal auf die innenpolitische Diskussion in Deutschland schauen. Wir stehen vor der Erkenntnis, ob einem das gefällt oder nicht, dass ganz offensichtlich breiten Kreisen in Deutschland das Schicksal der Ukraine vergleichsweise egal ist. Was sagen Sie Menschen, die quasi nur die egoistische deutsche Perspektive akzeptieren? Sie haben eben schon angedeutet Russland ist längst in einem Krieg mit ganz Europa, nicht nur mit der Ukraine.
Was würde es für die Menschen in Deutschland ganz konkret bedeuten, wenn Russland in der Ukraine siegt?
Dann ist ganz konkret Polen die letzte Bastion der NATO und die baltischen Staaten vor einer revisionistischen, aggressiven, faschistoiden, imperialen Macht, die das europäische Projekt und den Westen zerstören will, die als Weltmacht dominieren will in Europa.
Und es ist sehr auffällig, dass gerade diejenigen, die bis Februar 22 gesagt haben Russland macht auf gar keinen Fall eine totale Invasion in der Ukraine, das das jetzt diejenigen sind, ja auch Herr Ernst im Interview, die sagen, es sei völlig ausgeschlossen, dass die Russen, wie er sagt, uns angreifen sollten. Also dieses Selbstbewusstsein möchte ich mal haben, sich so derart zu irren in Bezug auf Russland und dann dieses Selbstbewusstsein zu haben: Die Russen werden uns nicht
angreifen. Natürlich ist es denkbar und auch da wieder, man muss auch unsere eigene Gestaltungsmacht sehen. Die Frage, ob Russland von einem hybriden Krieg gegen den Westen, der schon längst läuft, umschlagen würde in einen offenen militärischen Krieg, Angriff etwa auf das Baltikum, ein Angriff auf Polen und dann eben, und das zu Ihrer Frage, dann greift der Bündnisfall, dann sind die NATO Staaten verpflichtet.
Und es wäre auch sehr, sehr wichtig, dass sie das dann auch wirklich tun, Polen zu verteidigen, das Baltikum zu verteidigen und dann diskutieren wir nicht mehr. Und das sage ich demjenigen oder derjenigen, die sagen Ich möchte von diesem Krieg nichts hören, der hat nichts mit mir zu tun. Dann geht es, und das betrifft ehrlich gesagt auch mich ganz persönlich. Mein Sohn ist fünf Jahre alt.
Dann geht es in zehn, 15, 20 Jahren nicht mehr darum, ob wir der Ukraine Waffen liefern, sondern wer von uns für die NATO das europäische Projekt, unsere Sicherheit, unsere Freiheit, die europäische Friedensordnung, die ja darauf beruht, dass die Grenzen souveräner Staaten nicht durch Waffengewalt verändert werden. Die steht ja gerade zur Disposition.
Wenn Russland es gelingt, die Ukraine zu zerstören, zu gewinnen, dann ist die europäische Sicherheitsordnung zerstört, die uns alle, Sie, mich, mein Sohn schützt.

Franziska Davies, Osteuropahistorikerin an der Ludwig Maximilians Universität in München, in der Lage der Nation. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit.
Danke. Danke Ihnen für die Einladung.

Smartphones sind ja schon ziemlich praktische Geräte. Man hat sie immer dabei. Es ist irgendwie alles drauf. Emails, Nachrichten, Chats. Man kann damit fotografieren, man hat da seine Tickets drauf, wenn man irgendwie Konzertkarten gekauft hat. Man hat alle seine Kontakte immer dabei. So quasi so eine Art ausgelagertes Gehirn.
Aber genau deswegen sind Smartphones natürlich auch für die Polizei, die Staatsanwaltschaft, generell für Ermittlungsbehörden äußerst attraktive Angriffsziele, denn Beschuldigte haben die eben immer dabei und es ist doch irgendwie alles drauf und man kann mithilfe dieser Geräte ein sehr umfassendes Bild eines Menschen gewinnen.

Ja, und diese Daten, die reichen ja wirklich bis in die Intimsphäre. Also jetzt irgendwelche Nacktfotos von Partner, Partnerin oder eben Sex Talk auf Signal oder was man sich da alles vorstellen mag. All das findet sich eben auf so einem Smartphone. Und einige Fragen, die sich von euch vielleicht viele auch schon mal selbst gestellt haben, sind: Wann darf die Polizei eigentlich mein Handy verlangen? Wann dürfen sie vielleicht auch dieses Handy dann durchsuchen?
Und muss ich Ihnen sogar dabei helfen? Muss ich Ihnen, wenn Sie mich danach fragen, etwa die PIN verraten?

Diese Fragen haben in der letzten Woche auch den Europäischen Gerichtshof beschäftigt. Da ist ein Urteil veröffentlicht worden von ein paar Tagen, das im Kern regelt: Die Polizei darf Handys auch bei Ermittlungen wegen kleinerer Straftaten auswerten. Aber im Prinzip geht es nur, wenn ein Richter oder eine unabhängige Behörde das genehmigt haben. Nur in Eilfällen geht es auch ohne. Und die betroffenen Personen müssen darüber informiert werden.
Und zwar schon dann, wenn die Polizei nur versucht, das Handy auszulesen und daran scheitert. Zum Beispiel weil das Handy mit einem sicheren Passwort geschützt ist. Und jetzt stellt sich die Frage, das ist das europäische Recht, das der Europäische Gerichtshof ausgelegt hat: Passt denn das eigentlich zur gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland, wie sie insbesondere in der Strafprozessordnung geregelt ist?

Und da ist die klare Antwort aktuell Nein, passt nicht dazu. Die Rechtslage in Deutschland muss nachgebessert werden. Denn bisher darf die Polizei nämlich sichergestellte Handys einfach so mal auswerten. Ein Gericht muss bisher nur gefragt werden, wenn jemand der Sicherstellung widerspricht. In den Worten der Strafprozessordnung heißt das: Dann bedarf es einer Beschlagnahme, und die wiederum geschieht normalerweise nur durch einen richterlichen Beschluss.

Genau. Aber wenn man das nicht macht, wenn man also nicht ausdrücklich sagt ich bin damit nicht einverstanden und ich verlange einen Beschluss, dann kann die Polizei jedenfalls rechtlich ein Handy einfach so auswerten. Was ist nun mit den sogenannten unabhängigen Verwaltungsbehörden, wo der Europäische Gerichtshof sagt Die dürfen das auch? Na ja, in vielen europäischen Staaten sind die Staatsanwaltschaften unabhängig. Das dürfte hier wohl gemeint gewesen
sein. Aber für Deutschland dürfte genau das bedeuten, dass immer ein Gericht ran muss, weil Staatsanwaltschaften nach dem Europäischen Gerichtshof ja eben nicht unabhängig genug sind. Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in Deutschland ist schon so ein bisschen so ein Aufregerthema auf europäischer Ebene. Die Staatsanwaltschaften unterliegen ja einem, wenn auch eher theoretischen Weisungsrecht der jeweiligen Justizministerien. Und deswegen, sagt der EuGH erfüllen sie diese Kriterien nicht.
Das heißt mit anderen Worten: Der Gesetzgeber muss ran. Und ich würde mal sagen Philip, wenn er schon mal dabei ist und diese diese diese Genehmigung für die Zukunft so regelt, dass sie in jedem Fall erforderlich ist, diese richterliche Genehmigung, bevor ein Handy ausgewertet werden kann, dann sollte er doch bei der Gelegenheit auch an anderer Stelle klarere Regeln schaffen.

Ja, also wenn sie jetzt schon regeln müssen, dass halt vor jeder Auswertung ein Richter oder eine Richterin das genehmigen muss, dann sollten sie auch spezifizieren und eine gesetzliche Regelung dafür schaffen, was denn genau auf dem Handy ausgewertet werden darf.
Dass man das eben auch inhaltlich vielleicht begrenzt, denn so eine Auswertung, wenn sie einfach so - wir schauen uns mal alles an - ist, dann ist das natürlich ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Beschuldigten und birgt eben auch das hohe Risiko von Zufallsfunden.
Also was weiß ich. Man wertet aus wegen Betäubungsmittelmissbrauch, Hasch oder andere Drogen und dann findet man auch irgendwie zufällig ein Foto von einer Freundin, die halt unbekleidet ist und vielleicht noch minderjährig aussieht und zack, hat man da ein Riesenproblem am Hacken.

Genau. Dann heißt es nämlich mit einmal sogenannte Kinderpornografie, also irgendwie Missbrauchsdarstellung finden sich auf dem, auf dem, auf den mobilen Endgeräten. Dabei ist das ja vielleicht eine total konsensuale Beziehung gewesen. Keine Ahnung. Der 18-jährige Freund und die 13-jährige Freundin.
Also man kann ja moralisch da alles mögliche falsch finden, aber ob das jetzt gleich Gegenstand sein sollte eines Strafverfahrens wegen Besitzes von solchen, wie das dann im Rechtsdeutsch heißt Schriften, da habe ich doch persönlich große Zweifel. Aber genau das ist das Problem, wenn das Handy eben ganz generell und in der Breite ausgewertet wird.
Wenn man nicht gezielt sucht, zum Beispiel nach Chats zum Thema Betäubungsmittelhandel, sondern wie man das Handy einfach komplett auswertet und dabei auf diese völlig konsensualen Fotos der Freundin stößt, dann hat der Besitzer des Handys hinterher ein massives Problem.

Ja, und verfassungsrechtlich formuliert würde das bedeuten: Die Auswertung von Handys verletzt heute in aller Regel die Grenzen der Verhältnismäßigkeit, Denn es wird viel mehr ausgelesen und ausgewertet, als für die konkreten Ermittlungen in aller Regel nötig ist. Das hat uns ein Praktiker gesagt, der sagt: Die Polizei kopiert normalerweise einfach das ganze Handy, auch wenn es zum Beispiel nur um ein Foto in einem Chat geht, der sogenannte Full Take.
Also mach mal rüber, das ist die Regel, sagte uns ein Amtsrichter in Süddeutschland, ein Ermittlungsrichter.

Grund dafür ist, dass das Gesetz diese Auswertung bisher überhaupt nicht inhaltlich steuert und begrenzt. Das heißt, die Richter:innen sind bisher völlig alleingelassen mit der Frage, welche Form der Auswertung eines Handys sie zulassen und welche nicht. Ob sie zum Beispiel sagen: Bitte nur die Daten aus der Telegram App oder bitte nur die Fotos aus einem bestimmten Zeitraum.
Grundsätzlich wäre es natürlich möglich, auch schon in so einer Durchsuchungsanordnung oder in diesem Beschluss über die Beschlagnahme des des Mobilfunkgeräts bestimmte Grenzen festzulegen. Aber das ist völlig esoterisch, sagte uns dieser Amtsrichter. Das macht kein Mensch. Also er hat uns beschrieben, dass er das in bestimmten Situationen schon macht. Aber er sagt, er ist da im Kollegenkreis einer der ganz wenigen, und das kann ich auch aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen.
Jedenfalls, ich war nicht so oft als Amtsrichter tätig, aber doch auch immerhin einige Tage lang vertretungsweise. Und da sind mir auch keine Beschlüsse untergekommen, wo mal irgendwas beschränkt wurde. Das Thema hat übrigens auch schon zufälligerweise wenige Tage vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs den 74. Deutschen Juristentag, die DJT beschäftigt. Das ist quasi so ein Treffen von Juristinnen und Juristen.
Die haben kein demokratisches Mandat, also sie können keine bindenden Beschlüsse fassen. Aber das gilt quasi so als das Gremium, wo sich die juristische Expertise versammelt, also ganz viele Leute aus Ministerien, aus Universitäten, Rechtsanwältinnen und so kommen alle zusammen und die Expertinnen und Experten für Strafrecht auf dem DJT, die verständigten sich ebenfalls darauf, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen geändert werden sollten. Sie haben nämlich beschlossen:

Das Gesetz solle berücksichtigen, dass auf Handys und Laptops Unmengen an sensiblen Daten gespeichert sind. Und dementsprechend sollte es ein Gesetz geben, was die Richter und Richterinnen zwingt, genau zu spezifizieren, was da wann wie durchsucht werden darf. Soweit zur Rechtslage. Da muss das Bundesministerium der Justiz nun also einen Vorschlag machen. Wir haben natürlich mal nachgefragt, wie weit denn dieser Vorschlag so gediehen ist.
Die Antwort Wir werden das Urteil des Europäischen Gerichtshofs geradeaus. Wir werden auch die Beschlüsse des Deutschen Juristentags aus. Wir prüfen auch, in wieweit Änderungen der strafprozessualen Vorschriften in Deutschland erforderlich oder angezeigt sind. Aber diese Prüfung ist eben noch nicht abgeschlossen. Nun ist diese EuGH Entscheidung aber auch erst ein paar Tage alt. Also da finde ich muss man einfach noch mal abwarten.

Aber die spannende Frage ist halt, schaffen sie das überhaupt noch in dieser Legislaturperiode? Es ist nicht so wahnsinnig komplex, denke ich mal, das zu regeln, aber es ist auch nicht völlig trivial und es ist einfach total spannend zu sehen, ob das Ministerium von Marco Buschmann da jetzt noch innerhalb von ein paar Wochen einen Vorschlag auf den Tisch legt. Ich denke mal, gerade für die Strafrechtspraxis wäre das ganz
wichtig. Das höre ich auch immer wieder von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Die haben eigentlich gar nicht so ein Problem mit gesetzlichen Regelungen oder auch mitunter mal Einschränkung ihrer Tätigkeit. Sie sagen, das, was wir halt wollen, ist Rechtsklarheit. Wir wollen halt nicht in so einem Graubereich agieren. Wir wollen einfach wissen, was wir dürfen und was wir nicht dürfen. Dasselbe gilt letztlich ja auch für
Amtsrichter:innen. Und insofern würde ich mal denken, würde das Justizministerium, würde die Ampel der Praxis einen großen Gefallen tun, wenn es da schnell eine klare und auch praktikable Regelung gäbe.

Ja, und dazu muss man auch noch hinzufügen, was uns der Amtsrichter gesagt hat, dass viele Polizisten und Polizistin gar kein gesteigertes Interesse daran haben, jetzt alles zu durchsuchen und irgendwelche Beifunde zu machen, weil ihnen das im Zweifel wahnsinnig viel Arbeit macht für null Ergebnis. Also dieses Foto, was wir da oben geschildert haben, wenn das gefunden wird, dann müssen die Beamten und Beamten tätig werden. Aber wir wissen alle, wie das endet. Das endet dann im Nirwana und bringt
nichts. Und deswegen sind die gar nicht unbedingt immer heiß darauf, das ganze Handy zu durchsuchen.

Aber es bleibt natürlich noch die ganz praktische Frage: Wie kommt eigentlich die Polizei auf, beziehungsweise in so ein Gerät rein? Ene Sache kann man gleich mal abräumen: Die Daten auf einer Simkarte sind in keiner Weise sicher. Die PIN oder notfalls vor allem die PUK kann man sich vom Provider nämlich holen. Mit anderen Worten, an die SIM Karte kommt die Polizei immer ran. Aber auf dieser SIM Karte ist natürlich auch nur ganz wenig gespeichert. Das spielt also heute keine Rolle mehr.
99,9 % der Daten liegen nämlich auf dem Smartphone selbst. Das hat natürlich in der Regel einen Code. Die Daten auf dem Gerät sind irgendwie verschlüsselt. Das heißt also, man muss irgendwie an den Code ran, um das Gerät auswerten zu können. Und da haben wir uns gefragt, Welche Methoden kann, welche Methoden darf die Polizei eigentlich anwenden, um an diese Daten ranzukommen?

Also wir haben uns bei IT Sicherheitsexperten mal umgehört, unter anderem bei zwei Leuten aus dem Chaos Computer Club und einem Thread Researcher bei Recorded Future, also IT Sicherheitsforscher bei einer Firma und die haben uns weitgehend deckungsgleich Infos gegeben. Danach sieht das Bild aktuell wie folgt aus: Auf Android Geräte kommt die Polizei relativ leicht drauf. Also wem Sicherheit wirklich wichtig ist, der braucht ein iPhone.

Ein iPhone wiederum ist mit einer langen PIN oder einem langen, halbwegs komplexen Code ziemlich sicher. Da steht das Landeskriminalamt auf dem Schlauch, sagte uns ein Ermittlungsrichter. Das ist aber natürlich auch nicht das Ende der Story. Das Landeskriminalamt kann nämlich auch noch versuchen, das Handy zu hacken. Da gibt es insbesondere ein israelisches System namens Cellebrite, das ist so ein System einer israelischen Cybersecuritybude.
Die sind da weltweit führend und die bieten verschiedene Preismodelle an, mit denen man Handys knacken kann. Die ganz billige Lösung ist quasi so ein Gerät, das die Polizei kaufen kann. Das kann dann allerdings nur ältere Handys, insbesondere Androidhandys, aufmachen, also nur ein Teil der Lösung. Dafür ist das dann vergleichsweise kostengünstig. Mit modernen iPhones geht das aber nicht, da braucht man quasi größere Waffen.

Richtig. Dann braucht man ein teures Gerät. Da sind so sechsstellige Beträge, werden da aufgerufen oder das ist die andere Eskalationsstufe. Es kommt halt direkt jemand von dieser Firma vorbei, lässt sich dann in einen Raum einschließen, arbeitet dann mit dem Gerät und eventuell kann er das dann knacken oder eben auch nicht. Aber das ist natürlich teuer und wird daher auch nicht ständig gemacht. Aber bei 25 Gramm Koks kann das dann irgendwie schon mal
vorkommen. Also das hängt dann wirklich davon ab, wie motiviert sind die Leute, die Ermittler, Ermittlerinnen beim LKA an die Daten auf dem Handy dann ranzukommen?

Aber generell kann man sagen, wenn man wirklich ein attraktives Ziel ist, Stichwort Terrorermittlung oder so, dann kommen die Ermittler:innen mit Cellebrite an fast alles ran. Die Regel ist ein bisschen: Je moderner das iPhone, je moderner das Betriebssystem, desto sicherer. Mit einem neuesten iPhone ist man relativ sicher. Es gibt so im Internet geleakte Tabellen, wo man so sehen kann, welches iPhone, welche iOS Software, ist das knackbar oder nicht?
Und da gibt es schon noch so ein paar Kästchen in der Tabelle, wo steht under Research, wo also Cellebrite, diese Firma gerade erst noch versucht die Geräte zu knacken. Aber jedenfalls bei älteren Geräten oder älteren Software Versionen muss man damit rechnen, dass das Handy geknackt werden kann. Und das hängt dann aber auch häufig an so Zufälligkeiten. Also zum Beispiel ob das Gerät schon mal entsperrt war.
Das nennt sich dann After First analog, oder, also quasi nur der Bildschirm gesperrt war, oder ob es sich um einen Kaltstart des Gerätes handelt. Dann ist es deutlich schwieriger, das Gerät aufzumachen. Aber letztlich handelt es sich um Rüstungswettlauf zwischen den Hackern, also den Leuten, die hinter der Cellebrite Lösung stehen und der Firma Apple. Und dann hat uns jemand vom CCC darauf hingewiesen, dass es ja modernen iPhones auch noch den sogenannten Lockdown Mod gibt.
Der macht das Gerät nochmal deutlich sicherer.

Ja, habe ich auch mal eingeschaltet. Ist aber wirklich nervig. Das schränkt die Nutzbarkeit des Telefons schon deutlich ein. Da werden dann Anhänge von Emails auch nicht mehr einfach so geöffnet und so, also das kann man machen und das steigert sicherlich die Sicherheit. Ist aber im Alltag schon auch richtig nervig.

Das ist dann eher was für Leute, die irgendwie damit rechnen müssen, dass ihnen Geheimdienste hinterhersteigen. Aber was ich auch sehr spannend fand, so bei unserer Recherche, so sagen wir in einer IT Security Szene, war also folgende Erkenntnis: Wie so häufig steckt das größte Sicherheitsrisiko gar nicht im Gerät, sondern das größte Sicherheitsrisiko hält das Gerät in der Hand. Linus Neumann vom Chaos Computer Club und auch Podcaster Kollege bei Logbuch Netzpolitik, der schrieb uns:

"Ich persönlich habe keine Sorge um die tatsächliche Security meines Endgerät, sondern dass ich durch unsicheres Verhalten Zugriff selbst ermögliche." Also beispielsweise schlechter Code oder der Code wird ausgespäht. Mir guckt jemand über die Schulter, wenn ich ihn eingebe. Android mit Muster zum Beispiel gelten als besonders unsicher, weil nämlich diese Wischspur auf dem Display natürlich verrät, wie genau der Code ist. Wenn man das am Tag sechs Mal eingibt, dann sieht man das halt.
Und ein Amtsrichter aus aus Süddeutschland, der hat uns auch noch gesagt, viele Leute geben ihren Code einfach freiwillig raus. Die werden dann von der Polizei gefragt: Sag mal hier, wir beschuldigen dich so. Hier ist dein Handy, da würden wir gern mal rauf gucken. Gibt da mal einen Code. Und wirklich, der Amtsrichter aus Süddeutschland sagt: In aller Regel rücken die Leute den Code raus, auch weil ihnen die Polizei dann so
was verspricht. Aber nur mit dem Code gibst, kriegst du dein Gerät auch schneller wieder. Oder wenn du den Code nicht gibts, dann müssen wir den halt aufmachen wie oben beschrieben. Das wird dann teuer. Die Verfahrenskosten muss der Beschuldigte tragen oder der Verurteilte. Also geben die Leute in aller Regel oder eben sehr sehr oft ihren Code freiwillig raus.

Und da sagte uns der Amtsrichter, fand ich bemerkenswert: Das ist nie eine gute Idee. Man sollte also auf gar keinen Fall seinen Code rausgeben, und zwar einfach deswegen: Selbst wenn man sich absolut sicher ist, dass man nichts falsch gemacht hat, wenn man also absolut sicher ist, das Handy würde einen eher entlasten. Das Handy wird komplett kopiert, komplett auf den Kopf gestellt und man weiß einfach nicht, was die Polizei da sonst noch so findet.
Das Risiko von den sogenannten Zufallsfunden ist einfach zu groß und man weiß auch nicht, wie dann irgendwelche Chats noch in irgendeinen Kontext gestellt werden. Deswegen gilt da genau dasselbe, was auch generell gilt für polizeiliche Beschuldigtenvernehmung. Man sagt kein Wort und man gibt insbesondere, also man muss natürlich seinen Namen sagen, aber sonst auch gar nichts. Und man gibt auch unter gar keinen Umständen, egal was ist, seine PIN raus, dann ist das Handy weg.
Das muss man natürlich wissen. Es bleibt dann halt 123 Jahre bei der Polizei liegen. Deswegen braucht man ein Backup. No backup no Mercy. Aber es ist nie eine gute Idee, sagt der Amtsrichter selber, dass man seine PIN rausgibt?.

Ja, und vor allen Dingen gibt es auch keine Rechtsgrundlage, um diese Herausgabe der PIN zu erzwingen. Das ist halt auch ganz wichtig. Viel mehr müssten die Leute eigentlich streng genommen belehrt werden, nämlich, dass sie das recht haben zu schweigen, dass sie auch ihre PIN natürlich nicht rausgeben müssen und dass wenn sie die PIN doch rausgeben, so wie die Polizisten das vielleicht manchmal erbitten, dann können sie sich auch selber belasten.
Diesen Hinweis, den müsste es eigentlich jedes Mal geben, ist so ein bisschen zweifelhaft, ob das wirklich jedes Mal passiert.

Also gesetzlich vorgesehen ist das natürlich nicht. Also da steht ja in Paragraf 136 der Strafprozessordnung, worüber Beschuldigte zu belehren sind. Und natürlich werden die nicht belehrt, dass sie die PIN nicht rausgeben müssen und dass sie das sicherlich selber belassen. Das müsste eigentlich so lauten, wenn man quasi das rechtsstaatlich sauber machen wollte. Das passiert mit hundertprozentiger Sicherheit nicht, weil es von der Strafprozessordnung bisher nicht gefordert wird.
Ja, Philip, was kann man daraus jetzt ganz praktisch lernen, wenn man möglichst sicher gehen will, dass die Polizei nicht im Handy herumschnüffelt? Was also nebenbei wirklich auch ein total legitimes Interesse ist. Und zwar gerade nicht für Menschen, die jetzt irgendwie Straftaten begangen haben, sondern einfach für ganz normale Menschen wie du und ich, die eben völlig rechtstreu leben, ist es ja trotzdem ein legitimes Interesse zu sagen, die Polizei soll jetzt nicht durch mein Handy stöbern.

Ja, also hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, aber ein iPhone ist deutlich sicherer als Android. Bei iPhone gibt es diesen Lockdown Mod, der das iPhone noch mal deutlich sicherer macht, wenn man das denn braucht. Und für den Ernstfall kann man sich auch den sogenannten Privacy Griff beim iPhone angewöhnen, also wo man die lautleise Taste plus die Sperrtaste gleichzeitig drückt, dann wird für den Anlog immer die PIN verlangt.
Und Face ID funktioniert nicht, sonst kann man ja, können Ermittler haben das ja auch vors Gesicht halten und dann wird es unter Umständen entsperrt. Aber mit diesem Griff laut leise plus Lockscreen wird auch Face ID deaktiviert. Hat uns auch der Ermittlungsrichter gesagt.

Das war's für diese Folge. Vielen, vielen Dank, dass ihr uns zugehört habt bei der Lage der Nation Nummer 401. Habt noch eine schöne restliche Woche und wenn ihr uns eine Freude machen wollt, schreibt ein paar nette Worte in der Podcastapp eures Vertrauens. Und damit alles Gute und bis bald!

Schönes Wochenende. Bis nächste Woche. Ciao ciao!