LdN392 Spezial: Wie geht wirksame Klimapolitik? (Jens Beckert, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung) - podcast episode cover

LdN392 Spezial: Wie geht wirksame Klimapolitik? (Jens Beckert, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung)

Aug 08, 20241 hr 21 minEp. 392
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LdN392 Spezial: Wie geht wirksame Klimapolitik? (Jens Beckert, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung)

Transcript

Philip BansePhilip Banse

Herzlich willkommen zur Lage der Nation. Ausgabe Nummer 392, aufgenommen am 2. Juli 2024. Mein Name ist Philip Banse.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und ich bin Ulf Buermeyer. Der Philip ist Journalist. Ich bin Jurist aus Berlin. Wir haben am 2. Juli ein Interview aufgenommen, denn mit der regulären Lage der Nation sind wir ja noch bis Anfang September in der Sommerpause. Aber bis dahin gibt es eben alle zwei Wochen ein langes, ein ausführliches, ein intensives Sommerinterview.

Philip BansePhilip Banse

Und in der aktuellen Folge, die wir jetzt hören gehen wir folgenden Fragen nach: Warum wählen Menschen oft gegen ihre eigenen Interessen? Wie viel Ungleichheit verträgt eigentlich eine Demokratie? Und wie könnte eine Klimapolitik aussehen, die Menschen wirklich dazu bringt, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Außerdem möchten wir euch noch einmal ganz herzlich zu unserer Lage live einladen. Am 5. Oktober diesen Jahres, da sind wir live im Westbad in Leipzig und nehmen eine Folge der Lage der Nation auf. Ein paar Resttickets gibt es noch unter Lage.Live. Tickets Unter lage.Live. Falls es doch ausverkauft sein sollte, dann trage ich einfach in die Warteliste ein. Manchmal werden Leute krank, gerade

im Oktober. Vielleicht ist da schon wieder Coronarwelle angesagt oder so, dann werden Tickets frei und dann könnt ihr relativ kurzfristig doch noch Glück haben.

Philip BansePhilip Banse

Wie treffen Menschen eigentlich ihre Wahlentscheidung? Wann gefährden zum Beispiel Erbschaften die Demokratie? Warum haben politische Initiativen so wenig Rückenwind, die für mehr Chancengleichheit sorgen wollen? Und welche pragmatischen Rezepte gibt es für eine erfolgreiche Klimapolitik?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen sind wir nach Köln gefahren, sitzen im Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung mit einem der dortigen Direktoren zusammen, nämlich mit Professor Dr. Jens Beckert. Er hat ein Buch geschrieben unter dem Titel "Verkaufte Zukunft - Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht." Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation, Professor Beckert.

Jens Beckert

Ja, einen schönen guten Tag. Ich freue mich, dabei zu sein.

Philip BansePhilip Banse

Herr Beckert, Sie sind Soziologe und, Ulf hat's gesagt, Direktor einer der Direktoren der beiden am Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung hier in Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Wirtschaft, Soziologie, insbesondere die Frage: Wie werden eigentlich Märkte gestaltet, Märkte und Moral, Vermögensverteilung, also diese Frage von Erbschaften. Welche Folgen haben Erbschaften eigentlich für Gesellschaften und für die Demokratie? Damit beschäftigen sie sich ganz

besonders. Aber bevor wir sozusagen in die Themen einsteigen, noch so ein, zwei Meta Fragen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ich fand es total spannend, als ich mich mit Ihrer Biografie beschäftigt habe, mit ihrer Forschung auch. Da ist mir aufgefallen, Sie sind eben Soziologe, das heißt, Sie verwenden so dieses Instrumentarium, beschäftigen sich aber schwerpunktmäßig mit Märkten, nämlich in der sogenannten Wirtschaftssoziologie und ich persönlich muss sagen, bei Märkten denke ich eigentlich eher an BWL und VWL. Was ist denn das Besondere am Zugang Ihres Fachs, also der Wirtschaftssoziologie?

Welchen Blickwinkel nehmen Sie ein, wenn Sie sich mit Märkten beschäftigen?

Jens Beckert

Also zunächst einmal sollte ich vielleicht sagen, dass ich Soziologe bin und mich auch hauptsächlich als Soziologe definiere. Aber ich habe durchaus auch einen Abschluss in der Ökonomie, nämlich Ich bin Diplomkaufmann auch, und das ist genau diese Verbindung zwischen Soziologie und Wirtschaftswissenschaften, die mich interessiert. Was die Wirtschaftsoziologie macht, ist, dass sie sich mit wirtschaftlichen Phänomenen, ökonomischen Phänomenen beschäftigt.

Aber sie tut das aus einer Perspektive des Theorieinstrumentariums der Soziologie oder der Sozialwissenschaften, allgemeiner auch der Politikwissenschaft. Und das heißt, ökonomische Phänomene werden, ganz allgemein gesprochen, als soziale Phänomene aufgefasst. Also Ökonomie wird immer als und das ist ein wichtiger Begriff in dieser Forschung als eingebettet verstanden in soziale Strukturen, soziale Kontexte.

Und die These ist, dass wir letztendlich auch ökonomische Phänomene nur über diese weitere Einbettung verstehen können. Einbettung jetzt heißt zum Beispiel, dass einfach das Institutionengeflecht eine wichtige Rolle spielt, in dem Handeln stattfindet oder auch kulturelle Überzeugung von Menschen eine wichtige Rolle spielt.

Also es ist nicht nur das Element von Effizienz und Rationalität, sondern in der Wirtschaft passiert viel mehr und dieses viel mehr kann sehr gut aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive erklärt werden.

Philip BansePhilip Banse

Ist ja ein bisschen abstrakt. Man muss das vielleicht an einem Beispiel erklären. Also was weiß ich, ein Markt, auf den viele in Europa jetzt sehr, sehr stolz sind, ist ein Markt zum Beispiel für ökologisches klimafreundliches Handeln. Also die EU hat es geschafft, dem großen Klimagase CO2 ein Preis zu geben. Und es gibt einen Markt und es entsteht jetzt ein Markt, der neue Anreize setzt für wirtschaftliches Handeln, als das bisher der Fall

war. Weg von den Fossilen hin zu klimaneutralem Handeln. Mit welcher Perspektive blicken Sie darauf? In wiefern ist dieser neue Markt für Sie interessant?

Jens Beckert

Ich würde darauf blicken, aus einer politischen Perspektive. Also das ist ja kein Markt, der quasi eigenständig ins Rollen kommt. Sondern das ist ein Markt, der politisch festgelegt wird. Es sind politische Regulationen gibt es hierzu. Unternehmen müssen für die Emission von Treibhausgasen Geld bezahlen. Wie viel das ist, wer das muss usw. Das sind alles politische Festgaben und entstehen nicht aus dem Markt heraus selbst.

So, und dann wäre für mich die Frage, woher kommen eigentlich diese politischen Vorgaben? Warum werden sie so festgelegt, wie sie festgelegt sind? Wie operieren Unternehmen im Sinne von Lobbying entweder in Unterstützung oder in Gegnerschaft dazu? Welche Koalitionen gibt es dabei? Also Unternehmen sind ja nicht ein monolithischer Block, sondern es gibt Unternehmen, die sehr wohl ein Interesse an einem solchen Markt für CO2 Emissionen haben. Andere dagegen sind dagegen.

Wie funktionieren solche Konflikte und Aushandlungsprozesse in dem Markt? Aber dann auch die Frage natürlich, wie wird sozial darauf reagiert? Also CO2 Märkte heißt ja auch für Konsumenten mittlerweile, dass Dinge teurer werden, das Heizöl, das Benzin an der Tankstelle. Und wie wird darauf reagiert?

Und da haben wir also, wenn Sie jetzt an Frankreich denken, die Gelbwesten Bewegung, die war ja mit ausgelöst daraus, dass Benzin an den Tankstellen teurer wurde, eben genau, weil eine ökologische Komponente damit eingeführt werden sollte.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also verstehe ich Sie richtig, dass Ihr spezifischer soziologischer Blick auf Märkte quasi der Blick darauf ist, wie Menschen kollektiv handeln? Denn also nach meinem Verständnis als eben nicht BWLer schaut halt die Betriebswirtschaft vor allem auf das Handeln einzelner Marktakteure, die dann eben mehr oder weniger rational sich verhalten. Ist es richtig, dass sie eher so darauf schauen, wie das eben im Kollektiv abläuft?

Jens Beckert

Ja, wobei das Handeln natürlich immer letztendlich Individuen sind bzw Organisationen. Also hier müssen wir von Einzelnen sprechen, aber wenn wir verstehen wollen, wie das Handeln stattfindet, der Einzelne, dann müssen wir die sozialen Kontext und insofern das Kollektiv miteinbeziehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das heißt also, Sie, wenn ich das jetzt mal ein bisschen überspitzt formuliere, stellen Sie sich so ein bisschen gegen dieses Dogma von Rational Choice, dass also der einzelne Marktteilnehmer immer nur auf seinen eigenen Vorteil schaut. Sie schauen so ein bisschen darum, wie verschiedene Marktteilnehmer eben eingebettet sind in Gruppen. Kann man das so beschreiben?

Jens Beckert

Ja, also rational choice natürlich. Viele Akteure sind an ihren Eigeninteressen orientiert, aber da kann man ja viele Fragen stellen. Also wie etwa wird ein solches Eigeninteresse überhaupt definiert? Ja, was passiert in Situationen, die hochgradig komplex sind?

Ja, ich spreche da von Situationen unter Ungewissheit, in denen die Akteure gar nicht genau verstehen können, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben und insofern auch nicht genau verstehen können, was eigentlich jetzt die rationale Wahl wäre. Also ich glaube, dass dieses Modell der Rationalität in der sozialen Realität sich sehr viel komplexer darstellt.

Und dann ist die Frage wie gehen denn, wir bezeichnen das als intentional rationale Akteure, wie gehen die denn mit solch komplexen Situationen um und was kommt da zusätzlich dann rein? Rein im Sinne von was für Kulturelemente kommen da rein, welche politischen Elemente spielen da eine Rolle, so dass das insgesamt zu einem sehr viel komplexeren Verständnis von Rationalität letzlich führt.

Philip BansePhilip Banse

Also bevor wir ielleicht auf diese Unsicherheitsfrage noch mal zu sprechen kommen, da interessiert mich noch eine Frage zu Ihrem Methodenkasten. Also die Frage ist ja wie erforschen Sie das? Also das Thema, glaube ich, das haben wir so ein bisschen umrissen und die Fragen, denen Sie nachgehen. Aber wie machen Sie das? Machen Sie das mit eigenen Umfragen? Wie Wie kommen Sie da zu wissenschaftlich fundierten, belastbaren Erkenntnissen?

Jens Beckert

Ganz unterschiedliche Methoden. Ist ein breites Methodenspektrum, das wir anwenden. Das sind quantitative Methoden, zu denen Umfragen gehören, zu denen auch die Auswertung von Datensätzen gehören, die nicht unbedingt umfragebasiert sind, sondern was sich makroökonomische Daten oder mikroökonomische Daten wiedergeben. Das sind auch Interviews, die wir führen. Das sind teilweise auch historisch angelegte Arbeiten, weil ganz wichtig zum Verständnis von aktuellem Handeln ist immer: Wo kommt das her?

Also Fragen von Pfadabhängigkeit, von historischer Gewordenheit, wodurch auch aktuelle Entscheidungen in bestimmte Bahnen gelenkt werden. Also es sind ganz breites Methodenspektrum, das verwendet wird.

Philip BansePhilip Banse

Ich habe noch, weil wir jetzt kommen jetzt auch zum Klimaschutz und es ist ja so ein Faden, den Sie eben schon hingelegt haben. Also wenn wir auf Deutschland gucken, auf die deutsche Gesellschaft, wie Klimaschutzpolitik umgesetzt wird, dann gibt es ja Akteure, die haben diesen neuen Markt total internalisiert. Also die Industrie weiß sehr genau, was auf sie zukommt. Kann das umsetzen, dem vorsorgen.

Aber es gibt halt Akteure, die haben das entweder noch intellektuell nicht begriffen, aber sie handeln zumindest nicht danach. Also Privatmenschen, Consumer. Den fällt es offensichtlich schwer, vorherzusehen und zu projizieren: Öl wird teurer, Gas wird teurer werden. In 20 Jahren wird es überhaupt nicht mehr möglich sein, Erdgas zu verkaufen, weil einfach keine Berechtigung mehr da sind. Wie kann man Politik unter diesen Bedingungen machen?

Wie kann man diese Leute dazu bringen, einzusehen, dass sie anders handeln müssen im eigenen Interesse, als sie das jetzt tun? Beispielsweise Wärmepumpe einbauen, Ölheizung rausschmeißen, das sie nicht machen, weil sie nicht irgendwie richtig vorhersehen, was da auf sie zukommt.

Jens Beckert

Also zunächst einmal müssen wir verstehen, dass Menschen auch in ihren ökonomischen Entscheidungen keine Rechenmaschinen sind, sondern genau in einem solchen Sinne Entscheidungen treffen können, die letztendlich ökonomisch dann sich herausstellen als nicht rational. Wenn Sie das Beispiel der Wärmepumpen nehmen, dann haben Sie da natürlich nach wie vor so eine Unsicherheit und ich glaube, eine Unsicherheit, die auch größer ist als das, was Sie darstellen.

Das hängt ja alles zum Beispiel davon ab, wie wird denn der Strompreis sich entwickeln, wie wird sich auch der Gaspreis entwickeln? Also da gibt es auch viele, viele Unsicherheiten. Aber wenn wir jetzt mal von dem Szenario ausgehen, das Sie schildern, das tatsächlich wir wissen würden, wir haben also die Wärmepumpe, ist auch die ökonomisch effizientere Technologie, dann letztendlich geht es nicht anders als über Aufklärung und Wissensvermittlung.

Wobei und das ist vielleicht auch etwas, was man als als soziologisch stärker versteht denn als Ökonom. Es gibt eben im Handeln so etwas, was in der Soziologie als Konservatismus des Alltagshandelns bezeichnet wird. Also Menschen halten fest an Gewohntem, an Routinen.

Ich glaube, das kann man sehr gut sehen und auch an der an der Wärmepumpe und der Gasheizung, wo einfach auch die Gasheizung einfach das ist: Das kennen wir, das funktioniert zuverlässig, ja, warum sollen wir das jetzt auswechseln und eine neue Technologie, die wir nicht kennen, die viel Unbekanntes beinhaltet, also einen solchen Konservatismus des Alltagshandelns, der muss, glaube ich, auch in die politische Kommunikation mit einbezogen werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Bevor wir noch ein bisschen tiefer nachbohren beim Klimaschutz, wir haben da nämlich noch so ein paar Fragen an Sie, glaube ich, müssen wir eine Frage vor die Klammer ziehen, nämlich die Frage danach, was denn so der soziologische Forschungsstand ist, dazu, wie eigentlich Wahlentscheidungen zustande kommen. Sie haben ja gerade schon angedeutet, dass Menschen nicht immer ganz rational handeln. Aber wie ist denn das jetzt ganz spezifisch bei der Frage, was Menschen wählen?

Jens Beckert

Da gibt es unterschiedliche Theorien in der Politikwissenschaft zu dieser Frage. Und ich glaube, es gibt keine Theorie, die eine vollkommene Erklärung von Wahlverhalten liefert. Also eine traditionelle Theorie zu dem Thema ist, dass es bestimmte Milieus sind, in denen Menschen leben. Also das kann ein kirchliches Milieu sein oder ein Arbeitermilieu oder auch ein Angestelltenmilieu. Und dass Wahlentscheidungen sich dann daraus erklären, welchen Milieus sich Menschen zugehörig fühlen.

Und das ist aber etwas, bei dem die Politikwissenschaft davon ausgeht, dass das heute eine geringere Rolle spielt. Und dann gibt es eben die Vorstellungen der Politikwissenschaft, die sehr aktuell ist, Dass Wahlentscheidungen rational getroffen werden im Sinne von Menschen haben Präferenzen für bestimmte politische Ergebnisse und suchen sich die Partei, die diese Präferenzen am ehesten für sie realisiert.

Und das ist aber auch eine Theorie, die zwar schon sicherlich viel erklärt, aber viel auch nicht erklärt. Zum Beispiel deshalb, weil Menschen häufig gar nicht wissen, was eigentlich ihre Präferenzen sind bzw die Präferenzen selbst, die Menschen haben, auch erklärungsbedürftig sind. Und insofern würde die Theorie da etwas etwas herauslassen.

Wir wissen außerdem, dass Wahlentscheidungen eben ganz stark heute auch unter emotionalen Gesichtspunkten getroffen werden, dass es gar nicht darum geht, dass rational eine bestimmte Präferenz, ein Issue herausgegriffen wird und dann die Partei gesucht wird, die tatsächlich diese Interessen am ehesten vertritt. Hängt auch damit zusammen, dass eben politische Situationen sehr komplex sind und es sehr schwierig ist, sich als Individuum darin zurechtzufinden.

So, und dass man sich dann einer Gruppe zugehörig fühlt, ja einer sozialen Identität gewissermaßen, und eine Wahl dann stattfindet als Ausdruck der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, wo dann gar nicht so genau geguckt wird mehr, was sind denn eigentlich die konkreten Issues und vor allen Dingen, was bedeutet es denn also letztendlich konkret für mich?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also jetzt mal etwas zugespitzt: Wenn ich in einem alternativen Wohnprojekt wohne, wähle ich halt nicht CDU, weil da keiner CDU wählt.

Jens Beckert

Ja, das wären solche milieuspezifischen Elemente. Aber das muss eben jetzt nicht das alternative Wohnprojekt nur sein, sondern das können natürlich jede andere Struktur, der man sich zugehörig fühlt, sein. Und im Moment spielt da natürlich die Zugehörigkeit zu Protestlagern eine wichtige Rolle. Also etwas, was man natürlich in Amerika, aber in Deutschland auch sehen kann.

Ja, also wenn es um die AfD geht oder auch um die Pegida Bewegung, wo eben solche Zugehörigkeiten, soziale Identitäten letztendlich ausschlaggebend sind und politisches Handeln strukturieren.

Philip BansePhilip Banse

Was ja immer wieder verblüfft, ist zu sehen, dass Menschen gegen ihre Interessen wählen. Also ein Großteil der Menschen sagt immer noch Klimaschutz ist wichtig, wichtig, wichtig. Wollen wir unbedingt. Wir müssen den Klimawandel bekämpfen, die Erderwärmung, wählen aber in ihrer Mehrzahl Parteien, die das nicht oben auf ihrer Agenda haben. Fragt man sich wieso?

Jens Beckert

Na ja, weil Interessen natürlich auch hier wieder ein vielschichtiger Begriff ist. Also Interesse an Umweltschutz und an Klimaschutz. Das kann man, denke ich, bei jedem Menschen voraussetzen. Aber letztendlich hängt es ja davon ab, was bedeutet das konkret für die Person? Kommen wir noch mal auf das Heizungsgesetz zurück. Da war natürlich die Angst der Menschen in der Situation, dass sie mit diesem Gesetz von dem, was es von ihnen verlangt, letztendlich finanziell überfordert werden.

Lassen wir mal dahingestellt, ob das berechtigt war oder ob das nicht berechtigt war. Aber insofern wurden dann die Interessen von Menschen, die eben hier Ängste entwickelt haben, so gesehen das Nein, ich sollte besser einer Partei die Zustimmung geben, die mich an dieser Front in Ruhe lässt. Und ich glaube, im Klimaschutz hat man das als allgemeines Phänomen. Es gibt diese allgemeine Zustimmung zu Klimaschutz.

Aber auf der anderen Seite stoßen klimapolitische Maßnahmen immer dann auf Widerstand, wenn sie konkret werden und konkret zu Zumutungen führen. Das kann finanziell sein oder aber auch, und da kommen wir noch mal auf diesen Begriff des Konservatismus des Alltagshandelns zurück, es kann eben auch ein Herausstoßen aus eingelebten Routinen sein, wo dann Widerstand entsteht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also Sie schlagen ja in einem aktuellen Beitrag für die Zeitschrift die Blätter unter anderem vor, sich stärker auch auf Maßnahmen zur Klimaanpassung zu konzentrieren. Also Sie sagen nicht weniger, aber Sie sagen jedenfalls auch, stärker einen Akzent darauf zu legen nicht was die einzelnen Menschen tun können, um ihr Verhalten zu ändern, sondern was der Staat das Kollektiv tun kann, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Also Deiche bauen oder Städte begrünen oder so.

Sie begründen das damit, dass sie sagen, zum einen könnten Menschen das als Verbesserung in ihrem Leben erfahren, und zum anderen verbinden sie damit auch die Hoffnung, dass sich dadurch das Bewusstsein für die Bedeutung der Klimaproblematik insgesamt erhöhe, zugleich aber eben ohne dass es die Einzelnen was kostet. Was wir uns gefragt haben bei der Vorbereitung unseres Gesprächs: Nun sind ja die öffentlichen Ressourcen auch nicht

unbegrenzt. Führt das denn dann nicht angesichts leerer Kassen zwangsläufig zu weniger Klimaschutz?

Jens Beckert

Also ist es völlig klar zunächst einmal, dass Klimaschutz und Investitionen in Klimaschutz unabdingbar sind. Wir müssen sehen, dass so gut es irgend geht wie die Temperaturen niedrig halten. Und zwar auch dann, wenn die Pariser Klimaziele nicht erreicht werden, wovon ich ausgehe. Also es geht nicht um eine Alternative mehr zum Klimaschutz. Mir geht es um die Frage: Wie kann man die Akzeptanz für Klimaschutz und Klimapolitik allgemein erhöhen?

Und hier habe ich eine ganz einfache Überlegung, nämlich wenn die Ergebnisse von Klimapolitik konkret als Vorteil erfahrbar sind, dass dann eine größere Zustimmung der Menschen erwartet werden kann als in einer Situation, in der in einem ganz abstrakten Sinne ja zum Klimaschutz beigetragen werden

soll. Also nehmen Sie nochmal das Beispiel Heizungsgesetz Ich baue eine Wärmepumpe ein, damit reduziere ich ein wenig den CO2 Ausstoß von mir, klar, aber was trage ich eigentlich damit zur Lösung des Gesamtproblems bei? Das ist ja eine völlig legitime Frage. Soll ich jetzt diese hohen Kosten schultern, während gleichzeitig ich damit also im Sinne von persönlichem Vorteil nichts davon habe? Also warm wird's auch mit Gas.

Ja, aber auch zu dem allgemeinen Problem ich im Grunde genommen nichts beitrage. Aber wie sieht das aus, wenn das Geld dafür ausgegeben wird, dass sagen wir mal für den Hochwasserschutz etwas bei mir vor Ort getan wird und ich erleben kann, dass beim nächsten Hochwasser tatsächlich der Ort, in dem ich lebe, besser geschützt ist.

Und die Überlegung dabei ist, dass wenn solche Erfahrungen gesammelt werden können, ja konkrete Erfahrungen gesammelt werden, dass dann möglicherweise auch das Bewusstsein der Menschen steigt für die Bedeutung der Problematik. Und da eine politische Bereitschaft eher da ist, und zwar eben auch Kosten dafür zu übernehmen.

Philip BansePhilip Banse

Sie sagen, wenn die Leute erleben, der Staat investiert in Infrastruktur, die die Folgen des Klimawandels abmildern, also schattigere Städte, Dämme und sie erleben: Ah! Vor zwei Jahren wurde das ja alles noch überflutet. Jetzt haben wir einen Deich. Unsere Stadt wird nicht überflutet. Dass sie dann auch eher bereit sind, Kosten für beispielsweise Wärmepumpe, Dämmung zu tragen, weil sie eher sehen, dass sie mit ihrer individuellen Leistung zu etwas Kollektivem beitragen.

Jens Beckert

Genau. Und ein ganz wichtiger Punkt dabei ist für mich auch das zivilgesellschaftliche Engagement oder der lokale Hintergrund dabei. Also die Dinge, die konkret vor Ort entstehen, entstehen doch am ehesten auch in einem Diskurs zwischen Menschen, die sich um dieses Problem kümmern, wo es eine Verbindung gibt zwischen engagierten Initiativen, zwischen städtischer Politik, was da natürlich auch höher geht.

Es geht ja auch immer um Finanzierung dabei und das aus diesen Netzwerken, diesen sozialen Interaktionsbeziehungen. Menschen, die sich kümmern um einen Bereich und engagiert sind und Ergebnisse dann auch produzieren, dass daraus eben Einstellungen entstehen können, die dann im politischen Prozess auch relevant sind für die Parteien.

Philip BansePhilip Banse

Es gibt ja tatsächlich Beispiele. Jetzt auch im Rahmen der der letzten Überflutungen gab es ja einige Gemeinden, die vor einigen Jahren gesagt haben: Wir müssen unser Pumpwerk vergrößern, wir müssen unser Klärwerk vergrößern, wir müssen hier Polder einrichten, damit der Fluss mehr Platz hat bei

Überflutung. Und die haben dann Besuch gekriegt von allen möglichen Politikern und Journalisten während der Flut und konnten ihre Gemeinde zeigen: Wir haben hier für unsere Verhältnisse sehr, sehr, sehr viel Geld investiert, Millionen von Euro, stehen jetzt aber da und die Investition hat sich jetzt schon gelohnt. Meinen Sie, dass so was wirklich substanziell das Denken über Klimaschutzmaßnahmen auch verändert?

Jens Beckert

Es ist zumindest meine Hoffnung, dass daraus Lerneffekte gemacht werden.

Philip BansePhilip Banse

Gemessen haben Sie das jetzt empirisch noch nicht. Okay.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Vielleicht noch mal zu einer radikaleren These, die immer wieder mal vertreten wird, nämlich dass echter Klimaschutz nur möglich sei mit einem grundsätzlichen Systemwechsel. Also weg vom Kapitalismus, weg vom Streben nach Wachstum, hin zu zum Beispiel Degrowth, hin zu anderen Formen des Wirtschaftens.

Sie sind da in dem oben schon zitierten Beitrag für die Blätter eher skeptisch, ob das tatsächlich ein pragmatischer Weg ist, quasi so einen grundsätzlichen Wandel unseres Wirtschaftssystems zu setzen oder zu hoffen. Warum?

Jens Beckert

Ich glaube, es gibt ein Riesenproblem in dem Wirtschaftssystem, in dem wir leben, dass dieses über das Prinzip des Wachstums funktioniert. Und insofern verstehe ich sehr gut, dass Menschen, die in diesen Klimadiskussion sind, sagen wir brauchen einen fundamentalen Systemwechsel. Aber ich denke dann auf der anderen Seite über diese Frage politisch nach. Und politisch nachdenken heißt, was sind denn eigentlich die Chancen, einen solchen generellen Politikwechsel oder Systemwechsel durchzusetzen?

Also es gibt doch nicht die sozialen Bewegungen als Massenbewegung zumindest, die sagen, wir müssten unser ganzes Gesellschaftssystem jetzt auf den Prüfstand stellen und umwälzen, um dieser Klimafrage gerecht werden zu können. Die Gefahr von solchen Diskussionen, die es gibt, das ist ja am stärksten in dieser Frage von Degrwoth thematisiert, ist meines Erachtens, dass man sich in so einer Wohlfühlecke einrichtet, die die einem ja auch sympathisch

sein kann. Also ich bin ja auch der Meinung, eigentlich funktioniert das mit der Natur und Nachhaltigkeit nur, wenn wir als Menschen weniger Ressourcen verbrauchen. Aber letztendlich müssen wir politisch darüber nachdenken. Ist das denn etwas, was erreichbar ist und wenn ja, wie ist es erreichbar und ist es erreichbar, ein ganz anderes System auf den Weg zu bringen?

Und wenn es ein anderes System gibt, ist es dann tatsächlich denn sichergestellt, dass dieses System mit den natürlichen Grundlagen besser umgeht? Ich habe da Skepsis gegenüber solchen, sagen wir mal utopischen Vorstellungen. Nicht weil ich normativ nicht verstehen würde, warum Menschen so denken. Sondern weil ich das Problem des Klimawandels für so ernst halte, dass wir ganz intensiv darüber nachdenken müssen Was ist denn möglich?

Wie kann eine realistische Klimapolitik aussehen Und wie können wir ja gewissermaßen ein Stückchen weiter kommen, als wir derzeit sind, ohne dass wir auf utopische Hoffnungen setzen, die letztendlich dann ja vermutlich doch im Sande verlaufen?

Philip BansePhilip Banse

Also bevor wir da noch mal das ein bisschen runter deklinieren, noch mal diese Frage. Ich meine, Kapitalisten würden jetzt antworten: Na ja, wir können auch ressourcenschonend im kapitalistischen System umgehen und wirtschaften, wenn wir diesen Ressourcen, die ja so knapp und wertvoll sind, einen Preis geben. Wir fangen das jetzt an mit CO2 mit verschiedenen Klimagasen. Wasser wäre das nächste oder bestimmte Mineralien.

Wenn wir es schaffen, all diesen knappen Ressourcen, die endlich sind, einen Preis zu geben, dann schaffen wir es auch, in einem kapitalistisch gewinnorientierten, wachstumsorientierten System so zu wirtschaften, dass wir nicht die endlichen Ressourcen der Erde auffressen.

Jens Beckert

Ich bin da skeptisch und für mich ist es zunächst auch wieder eine politische Frage. Ich meine diese Systeme der CO2 Bepreisung, die gibt es ja als Ideen aus der Ökonomie seit den 70er Jahren und wir haben heute eine CO2 Bepreisung, die weltweit also überhaupt nur etwas über 20 % der Emissionen umfasst. In der Europäischen Union sind es 40 %, etwas über 40 %. So, und da müssen wir doch fragen Warum ist das so? Und das ist eine politische Frage.

Das ist nämlich offensichtlich sowohl von den Unternehmen, ein Teil der Unternehmen zumindest, Widerstände dagegen gibt, das hat sich dann in Befreiungen gezeigt, die es seit Jahren und Jahrzehnten gibt, aber auch, dass dahinter ganz massive soziale Fragen stehen. Denn natürlich werden Unternehmen diese Preise weitergeben an die Kunden. Und das bedeutet dann für Menschen mit geringerem Einkommen, dass ihre Verbrauchspreise erheblich steigen werden.

Und daraus entstehen dann politische Widerstände, die es verständlich machen, weshalb die CO2 Bepreisung nicht durchgesetzt wird. So, das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass ich letztendlich nicht daran glaube, dass das kapitalistische System alle Umweltkosten, die es also seit 500 Jahren externalisiert, internalisieren kann. Und wir sehen das an der Energiewende.

Also natürlich kann man sich vorstellen, dass wir in der Zukunft Autos haben, die nicht mehr mit Verbrennungsmotor funktionieren, sondern dass wir auch im großen Maßstab Elektrofahrzeuge haben. So, wenn man jetzt aber schaut auf die Elektromobilität, die dazu führt, dass geringere CO2 Emissionen produziert werden, sehen wir gleichzeitig, dass an anderer Stelle neue Umweltprobleme damit produziert werden.

Also ich spreche hier natürlich jetzt von der Lithiumproduktion, die hauptsächlich im globalen Süden stattfindet und dort in Lateinamerika etwa zu ganz massiven Umweltproblemen führt. Und deshalb, also ich verstehe eine kapitalistische Wirtschaft so, dass sie immer darauf angewiesen ist, ein Teil der Kosten, die sie hat, zu externalisieren, also zumindest dies versucht. Und ich sehe nicht, wie dem politisch wirklich vollständig Einhalt gebot.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also jetzt mal bildhaft gesprochen: Der Tiger ist ein bisschen zu stark und man ist immer ein bisschen zu spät dran mit den Ketten.

Jens Beckert

Ja, so kann man das sicherlich sagen. Also gerade in der Energiewende sind wir dabei, einen bestimmten Art der Umweltzerstörung jetzt zu reduzieren. Da sind wir auch, also auf globaler Ebene bis jetzt nicht besonders erfolgreich. Aber wenn wir jetzt nun mal Europa nehmen, dann gibt es hier schon einen Rückgang von CO2 Emissionen.

Aber eben, wenn wir gucken etwa wie der Materialverbrauch, dazu gibt es ja Statistiken, global sich entwickelten, dass eben immer mehr Ressourcen natürliche Ressourcen verwendet werden..

Philip BansePhilip Banse

Und nicht weniger.

Jens Beckert

...Ja, dann kann man da nicht besonders optimistisch.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Vielleicht, wo Sie das gerade so sagen mit den Ressourcen. Es gibt ja gerade zum Thema CO2 Wirtschaft oder gerade vor allem fossile Wirtschaft gerade eine ganz spannende Analyse von Christian Stöcker "Männer, die die Welt verbrennen." Ich weiß nicht, ob Sie das Buch kennen.

Er macht vor allem auch deutlich, dass es eben ganz massive Lobbyarbeit gebe, so seine Kritik von Menschen, die mit dem Verbrennen fossiler Energiequellen viel Geld verdienen und die einfach systematisch versuchen, politische Entscheidungen zu sabotieren. Das wäre dann ja genau die Kritik, die Sie quasi antizipiert haben.

Jens Beckert

Genau. Also ich kenne das Buch von Christian Stöcker jetzt nicht. Ich weiß, dass es das gibt. Ich habe es noch nicht gelesen, aber auf Lobbyismus einzugehen, gerade Lobbyismus der fossilen Energiewirtschaft ist sicherlich ganz wichtig, um zu verstehen, weshalb die Reaktion auf die Klimakrise so zögerlich ist. Worauf es mir aber jetzt ankommt, ist zu sagen: Wir können das nicht erklären, indem wir nur die fossile Energiewirtschaft

betrachten. Und selbst wenn wir dann noch die Autoindustrie mit dazunehmen. Sondern letztendlich haben sich Gesellschaften in einer viel komplexeren Weise in Systemen eingerichtet, die diesen hohen Energieverbrauch haben. Und hoher Energieverbrauch heißt halt faktisch in einer Welt, in der 87 % der konsumierten Energie fossil ist, dass immer mehr fossile Energie verbrannt wird. So, und das ist, wenn ich sage, es ist nicht nur die Industrie, dann schreibe ich auch in meinem Buch.

Wir müssen eben auch uns angucken, wie wir uns als Konsumenten dabei verhalten.

Philip BansePhilip Banse

Dann kommen wir da jetzt da zu. Also Sie sagen also im kapitalistischen System den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, ist zwar eine irgendwie gute Idee, wird aber in der Praxis nicht funktionieren, weil, wie Ulf sagt, der Tiger stärker ist, als man ihm Ketten anlegen kann. Dann gleichzeitig ein radikaler Systemwandel zu weniger Wachstum, ein Wirtschaftssystem, was nicht auf permanentes Wachstum setzt.

Das mag eine Alternative sein, ist aber gerade unter den Zeitdruck, in dem wir jetzt stehen, Klimawandel nicht realistisch. Das heißt, für welche Maßnahmen plädieren Sie? Wir haben so ein paar Sachen. Angedeutet oben schon auf Klima Mitigation setzen, also Anpassung an den Klimawandel, um ein Bewusstsein auf der individuellen Ebene zu schaffen für private Investitionen in Klimaschutz. Was sind weitere Ideen, die Sie haben?

Jens Beckert

Also mein Grundgedanke ist zunächst einmal, dass wir uns anfreunden müssen mit der Idee, dass wir dieses Problem nicht in angemessener Weise lösen werden. Das heißt, wir werden uns einstellen müssen auf eine Welt, die am Ende dieses Jahrhunderts zweieinhalb Grad oder mehr wärmer ist, ist übrigens völlig in Übereinstimmung mit den Klimawissenschaften. So, und jetzt kommt es darauf an, wie man in dieser Situation noch möglichst gut handeln

kann. Also es ist nicht Resignation, die für mich sich daraus ergibt. Und das heißt einmal auf Unternehmensebene, dass wir schauen müssen, wo können denn Anreize geschaffen werden für Unternehmen, schnell in die Transformation zu investieren? Das ist sicherlich ein ganz wichtiger Punkt. Und der zweite systematische Punkt für mich ist: Wie können Parteien, wie kann Politik gestärkt werden in Maßnahmen effektiven Klimaschutzes?

Und hier kommt es doch auf die Wähler an und die Bereitschaft von Wählern, letztendlich politische Parteien auch dann zu unterstützen, wenn es eben ans Eingemachte geht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das wäre nämlich jetzt unsere Frage. Was schlagen Sie denn da an politischer Aktion vor, um eben mehr Zustimmung für konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz gesellschaftlich zu mobilisieren?

Jens Beckert

Also da kommen wir genau auf diese Punkte zurück, über die wir schon vorhin gesprochen haben, dass ich denke, dass gerade über die Ebene des Lokalen, über konkrete Erfahrungen in Fragen von Klimaanpassung ich die stärkste Chance sehe, dass eine solche politische Robustheit, will ich es mal nennen, entsteht, dass das dann zumindest dazu führt, dass wir Zeit gewinnen im Sinne, dass es zu einer Verzögerung dieser und möglicherweise auch einer Verringerung von Klimaerwärmung kommt.

So, und dann natürlich spielt Technik auch eine Rolle dabei. Und ich bin jetzt nicht jemand, der neue Technologien quasi als Deus ex Machina aus dem Hut heraus zaubern wollte. Aber ich glaube, es ist schon ein vernünftiges Argument zu sagen, wenn wir diesem Problem Herr werden wollen, brauchen wir weitere technologische Entwicklungen, also etwa in der Entnahme von CO2 aus aus der Atmosphäre.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Carbon Capture in Storage, zum Beispiel CCS.

Jens Beckert

Genau.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich würde doch noch einmal den Versuch unternehmen, das ein bisschen auf die individuelle Ebene runterzubrechen. Also klar ist das ein Problem, wenn man immer nur sagt, die einzelnen Menschen müssen sich halt gut verhalten. Zugleich schreiben Sie in Ihrem Beitrag aber, ich zitiere das mal: "Menschen können das Richtige tun, auch wenn es individuelle Kosten mit sich bringt und der Erfolg unwahrscheinlich ist." Was sind denn die Voraussetzungen, damit Menschen das tun?

Das heißt also sogar, individuelle, kurzfristige Kosten in Kauf zu nehmen, um des kollektiven Erfolges willen?

Jens Beckert

Es sind Einsichten und es sind Einsichten, die entstehen in sozialen Zusammenhängen. Deshalb auch mein Plädoyer so stark für die lokale Ebene, für die Ebene von Zivilgesellschaft, also da, wo Menschen sich in konkreten Interaktionsbeziehungen begegnen, Solidarität erfahren, gemeinsame Projekte vornehmen, das sind meines Erachtens die Quellen oder Nester, in denen solche Handlungseinstellungen am ehesten entstehen können. Und sie entstehen eben nicht aus Appellen von Klimakonferenzen.

Also die sind irgendwie eine Nachrichtenmeldung, aber dann ist das auch wieder vergessen im Sinne des es berührt uns nicht in unserem Verhalten. Und da kann man jetzt also über Klimainitiativen hinaus natürlich auch an vieles anderes denken. Also junge Menschen etwa denken über über Essensgewohnheiten ja heute anders nach. Und das findet ja auch in sozialen Gruppen statt. Ja, es ist dann irgendwie komisch, wenn man die Schweinshaxe bestellt.

Ja, und das sind ja auch Austauschbeziehungen, die da stattfinden.

Philip BansePhilip Banse

Also ich versuche das mal so praktisch herunterzubrechen. Was kann das heißen? Es gibt ja diese Gemeinden im Hunsrück, die es geschafft haben, Windräder aufzustellen auf Gemeinde eigenem Land und die Einnahmen in die Gemeinde fließen zu lassen, um ein Schwimmbad zu bauen, um eine neue Schule zu bauen, um die Straßen zu sanieren. Und so hören wir das, dass sich da wirklich die Einsicht verbreitet hat: Das ist geil!

Jens Beckert

Ganz wichtiger Punkt. Wer profitiert von dem, was ja zunächst einmal in der Bevölkerung als Belastung erfahren wird? Windräder sind dafür ein gutes Beispiel. Wenn die Gewinne alle an die Unternehmen gehen und die Menschen vor Ort nichts davon haben, warum sollen sie sich dafür interessieren? Und da gibt es viele Beispiele.

Genau wie Sie sagen, dass in dem Augenblick, in dem es in den Gemeindehaushalt geht oder in dem auch die individuelle Stromrechnung reduziert wird, dass dann die Zustimmung zu diesen Maßnahmen steigt. Ich sage Ihnen ein anderes Beispiel nicht aus dem Hunsrück, sondern ein bisschen weiter nördlich aus der Eifel. Ein kleiner Ort. Es geht um ein Nahwärmewerk, das mit Holz und mit Solarthermie betrieben werden soll. Das ist in so einem Eifeldorf überhaupt keine Selbstverständlichkeit, so etwas zu

machen. Der Gemeinderat hat es geschafft, über viel Diskussion, Auseinandersetzung in dem lokalen Bereich einen letztendlich einstimmigen Beschluss zu fassen, dass man ein solches Nahwärmewerk erstellen will. Und das bestätigt noch einmal was Ich sage eben, wie wichtig diese Überzeugung im sozialen Nahbereich sind.

Philip BansePhilip Banse

Und da spielen natürlich Medien eine Rolle, dass man solche Beispiele auch wirklich in einem breiten Publikum präsentiert, damit diesem breiteren Publikum die hellere Zukunft auch klar wird und erlebbar wird. Die können sich halt mit irgendwelchen Leuten in der Eifel oder im Hunsrück im Zweifel besser identifizieren als mit so ein paar Großstadt Hipstern, die da irgendwie durch die Gegend laufen und sagen Energiewende, macht mal Energiewende und schafft euren PKW bitte ab.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wir haben uns zum Abschluss unseres Klimablogs noch eine etwas konkretere Frage überlegt, die, wenn wir mit Ihnen testen wollen. Vielleicht ist das aber auch zu konkret. Vielleicht geht das über so wie soll ich sagen, die Perspektive ihres Fachs hinaus. Und zwar wird ja gerade eine Pflicht diskutiert zu einer sogenannten Elementarschadensversicherung.

Also auf Deutsch wird überlegt, ob Menschen verpflichtet werden sollen, ihr Haus in einer flutgefährdeten Region zu versichern, gegen den Fall, dass es einfach weggeschwemmt wird oder dass es keine Ahnung durch fünf Zentimeter große Hagelkörner zerlegt wird. Da würde uns interessieren, was Ihre wirtschaftssoziologische Perspektive ist. Wie würde sich das Ihrer Erwartung nach auswirken, wenn man eben diese Häuser versichern müsste?

Also würden Menschen dann zum Beispiel weniger auf flutgefährdeten Flächen bauen, weil die Versicherungsprämien dann einfach sehr teuer werden? Oder würden Menschen am Ende sogar sagen Ja, ist doch wurscht, ich baue irgendwo, wenn was schiefgeht, zahlt ja die Kasse.

Jens Beckert

Das hängt davon ab, wie diese Versicherung organisiert wird. Also es gibt ja zwei Möglichkeiten, das zu machen. Das eine wäre eine breite Risikostreuung, also so wie bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Jeder bezahlt eben einen bestimmten Betrag, unabhängig der individuellen Risikoleistung. Hier hätte man dann sicherlich Effekte, dass mangelnde Vorsicht gewissermaßen

herrschen würde. Also Menschen würden weiter in gefährdeten Gebieten bauen, denn für die Schäden und die Risiken würden ja andere aufkommen. Was ganz anderes wäre es, wenn tatsächlich die Versicherungsprämie die eigentlichen Risiken widerspiegeln würde. Und dann wären wir im Bereich der Sozialpolitik, weil das würde heißen, dass Menschen, die in Flussnähe leben, um das Beispiel zu nehmen möglicherweise so hohe Versicherungsprämien zahlen müssten, dass sie in dem Haus nicht mehr leben könnten.

Und der Wert des Hauses würde natürlich auch drastisch reduziert, weil jeder Käufer natürlich auch mit dieser Versicherung konfrontiert wäre. Und da kommen wir noch mal auf den Punkt, dass eben Klimapolitik eine ganz starke sozialpolitische Dimension hat. Und ich glaube, ohne diese sozialpolitische Dimension mit zu berücksichtigen, wird man nicht zu einer erfolgreichen Klimapolitik

kommen. Also wenn jetzt die politische Lösung sein sollte die Risiken werden individuell getragen und müssen individuell getragen werden, dann würde ich denken, das hat ein Mobilisierungspotenzial politisch, das vergleichbar ist mit dem, was wir im letzten Jahr mit dem Heizungsgesetz erlebt haben.

Philip BansePhilip Banse

Weil den Leuten unter Umständen die Kosten um die Ohren fliegen.

Jens Beckert

Ja, und weil sie Ängste entwickeln. Ja, also es gibt schon viele 10.000 Häuser, die in solchen Risikogebieten stehen. Aber das werden nicht nur diese 10.000 Menschen sein, die sich da wehren, sondern viele andere denken: Oh mein Gott, bin ich das auch?

Philip BansePhilip Banse

Aber wenn Sie das schon ansprechen, diese Angst, das ist ja der Treiber gerade für alles Mögliche, für Rechtsradikale, für Rechtspopulisten. Leute gehen auf die Straße, weil sie Angst haben, vor allem möglichen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Statusangst.

Philip BansePhilip Banse

Sozialer Abstieg. Sie haben Angst um ihre Autonomie, um sie selber als Individuum. Da würd mich wirklich mal ein Soziologe von Ihnen interessieren: Wie geht man gesellschaftlich, politisch mit Ängsten um?

Jens Beckert

Ja. Also ich würde zunächst sagen, das ist hoch real für unsere politische Situation. Und zwar leben wir in einer Zeit, und das ist eine Entwicklung, die über die letzten 40 Jahre stattgefunden hat, dass es eine zunehmende Verunsicherung gibt in der Bevölkerung, die nicht nur sozioökonomisch ist, also dass, was weiß ich, der Sozialstaat geringer ausgestaltet wäre, dass die Renten nicht mehr sicher sind, sondern in ganz vielen

Ebenen. Also das ist das, was ja auch unter dem Begriff der Polykrise häufig beschrieben wird, also wo es eben auch darum geht, dass Ängste sich auf Migration beziehen, als ein weiteres Beispiel. So und was wir hier, glaube ich, beobachten ist, dass Menschen den Staat nicht mehr als eine schützende Instanz erleben, und zwar in diesen ganz verschiedenen Dimensionen.

Und es führt dazu, dass dann politisch Menschen nach diesem Schutz wieder suchen und politische Parteien wählen, die diesen Schutz versprechen. Und ich glaube letztendlich, das war ja Ihre Frage, kann man da nur etwas tun, indem man diese Sorgen der Menschen politisch ernst nimmt?

Philip BansePhilip Banse

Aber was heißt das?

Jens Beckert

Das heißt, dass tatsächlich also in der Migrationspolitik klar sein muss, dass also der Staat damit nicht vollkommen überfordert ist und überrollt wird quasi, sondern dass das reguliert stattfindet. Das heißt, dass auch in der Klimapolitik staatliche Instanzen irgendwo in der Lage sind zu sagen, wir kümmern uns darum, wenn es um Klimaanpassung geht, eben darum ja, es wird hier ein vernünftiger Hochwasserschutz

errichtet. Oder wir sehen zu, dass die Städte umgebaut werden in einer Weise, die die ein Leben unter anderen Temperaturbedingungen ermöglichen.

Philip BansePhilip Banse

Das bedeutet ja, dass ich als Individuum ja Verantwortung an den Staat übertrage, weil ich nicht alles selber machen kann, sondern ich übertrage das an das Gemeinwesen, weil das Gemeinwesen groß und finanziert ist und den Überblick hat.

Und wenn dieses Gemeinwesen dann aber gefühlt dieser Verantwortung nicht nachkommt und nicht das liefert, was ich eigentlich durch diese Übergabe von Verantwortung beabsichtige, nämlich Schutz vor XYZ, sozialer Absicherung, Verhinderung von sozialem Abstieg, dann bekomme ich Angst. Und ich muss zumindest den Eindruck haben, dass der Staat dieser übertragenen Verantwortung nachkommt, zum Beispiel durch Deichbau, zum Beispiel durch soziale Absicherung.

Jens Beckert

Ja, genau.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber wie kommuniziert man denn Situationen eines objektiv bestehenden Kontrollverlusts? Darauf läuft es ja hinaus. Wie gehe ich mit Situationen um, wo der Staat, wenn er ehrlich ist, diese Kontrolle auch tatsächlich nicht mehr hat? Denken wir an Migrationsbewegungen. Da gibt es eigentlich in der Migrationsforschung niemanden, der ernsthaft glaubt, Grenzen zu wird funktionieren oder massenweise abschieben funktionieren.

Die Wahrheit ist die Menschen kommen, die Menschen werden auch bleiben, jedenfalls in ihrer breiten Mehrheit. Und der Staat kann das objektiv nicht mehr kontrollieren, jedenfalls solange er menschenrechtliche Standards einhalten will. Also solange wir nicht unsere rechtsstaatliche Identität aufgeben, sind Migrationsbewegungen nicht zu kontrollieren. Was wäre denn denn aus Ihrer Sicht angesichts dieser Angst von Menschen eine realistische, überzeugende Kommunikationsstrategie?

Also wie kommuniziert man Menschen diesen Kontrollverlust so, dass er keine Ängste auslöst?

Jens Beckert

Also ein Patentrezept habe ich dafür sicherlich auch nicht. Aber es gibt ja Bereiche vielleicht, in denen ein solcher Kontrollverlust in einem objektiven Sinne stärker gegeben ist als in einem anderen. Also will sagen, dass es Bereiche politischen Handelns durchaus gibt, die wahrgenommen werden können und nicht wahrgenommen werden, und dass man sich also politisch auch darum kümmert.

Dass sicherlich sehr viel, also tatsächlich in der politischen Kommunikation erklärt wird, ja das wäre sicherlich auch ein weiterer Aspekt.

Aber ich meine, ich sage das ja nicht aus einer Perspektive des radikalen Optimismus, dass wir also jetzt ein Patentrezept hätten, um aus dieser Situation herauszukommen, sondern ich beschreibe ja zunächst einmal, wie man diese Situation analytisch fassen kann und als Voraussetzung dafür, dann auch möglicherweise zu politischen Handlungsstrategien besseren politischen Handlungsstrategien zu kommen. Was auf jeden Fall nicht funktioniert, ist, die Menschen gewissermaßen im Regen stehen

zu lassen. Das führt zu politischen Gegenreaktionen, die eben, wie wir ja in ganz Europa mittlerweile sehen, ja wirklich infrage stellen demokratische Strukturen, die wir seit der Nachkriegszeit als selbstverständlich sehen.

Philip BansePhilip Banse

Eintreiber dieser sozialen Unruhen und dieser Ängste ist ja eine wachsende soziale Ungleichheit, also die Verteilung von Einkommen und Vermögen nimmt zu. Also die Ungleichheit in diesen beiden Disziplinen nimmt zu. Das ist messbar. Immer mehr Kapital ist bei den Unternehmen, immer weniger bei den Leuten, die in diesen Unternehmen arbeiten. Und das führt zur Frage: Wie viel Ungleichheit vertragen Demokratien?

Jens Beckert

Es gibt da keine Antwort, die sagen würde: Also ein Gini Koeffizient, das ist das Maß, in dem Ungleichheit berechnet wird von X führt zu Y. Aber wir können schon sagen, dass eine steigende soziale Ungleichheit auch zu sozialen Problemen führt. Und so würde ich insbesondere vor dem Hintergrund von demokratischen Systemen sagen, wenn diese Ungleichheit so erlebt wird, dass individuelle Aufstiegschancen nicht mehr gesehen werden.

Also wir leben ja in einer Gesellschaft, die wir als als Leistungsgesellschaft verstehen, also wo individuelle Leistungsbeiträge dann auch zu Erfolgen führen von sozialökonomischen Status.

Wenn Menschen sehen, dass das ein von vornherein manipuliertes Spiel ist, in dem sie keine Chancen haben, von der Position, von der sie starten, egal wie sie sich anstrengen, dann in eine bessere soziale Position zu kommen, dann entstehen Frustrationen, die also zur Abwendung führen von ja, möglicherweise zur Abwendung von demokratischen Strukturen. Also in den Sozialwissenschaften wird da von sozialer Schließung gesprochen.

Und ich glaube, dass dies ein ein Problem ist, denn absolut finden sie ganz unterschiedliche Maße von sozialer Ungleichheit, verbunden mit sozialer Stabilität und sozialer Destabilität.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Damit wären wir beim Thema Ihrer Habilitationsschrift. Sie haben sich ja vor einigen Jahren, ich glaube, vor etwa 20 Jahren war es sehr ausführlich mit der Politik rund um das Erben und gerade auch die Besteuerung von Erbschaften beschäftigt. Da würde uns interessieren, wie das jetzt zusammenhängt mit Chancengerechtigkeit und diesem Gefühl, dass sich Leistung tatsächlich lohnt. Denn Erben klingt auf der einen Seite in der historischen Perspektive, in der anthropologischen Perspektive ganz

normal. Also dass Kinder das Eigentum ihrer Eltern zum Beispiel übernehmen, das gibt es schon seit Jahrtausenden. Gab es auch schon im römischen Recht zum Beispiel. Es gab das sogar schon im alten Ägypten. Zugleich wird das Prinzip des Erben aber auch seit vielen Jahrzehnten kritisch diskutiert. Sie haben sich damit intensiv beschäftigt. Warum ist das Erben so umstritten?

Jens Beckert

Also es lässt sich nur verstehen im Zusammenhang mit den Strukturen der Moderne und der Aufklärung. Und deshalb finden sie auch die Konflikte um Vermögens Vererbung eigentlich erst ab dem 18. Jahrhundert. Und zwar, weil sich in dieser Zeit eine normative Ordnung der Gesellschaft herauskristallisiert, wonach soziale Ungleichheit gerechtfertigt ist nach den Leistungsbeiträgen der Individuen. Und die Vermögensvererbung liegt gewissermaßen quer dazu.

Also hier haben wir es ja offensichtlich zu tun mit etwas, was die Kinder in der Regel bekommen, ohne einen eigenen Leistungsbeitrag dazu geliefert zu haben.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also die Tochter, die ihr ganzes Leben von Papas Eigentumswohnungen lebt und die, keine Ahnung, sukzessive verkauft.

Jens Beckert

Genau. Oder das Unternehmen, das von den Eltern geerbt wird und weitergeführt wird und dann auch in die nächste Generation vererbt wird, wo jeweils die Familienmitglieder, weil sie in die richtige Familie hineingeboren wurde, von vornherein in einer privilegierten Situation sind. Und das hat dann also in allen westlichen Ländern zu enormen politischen Auseinandersetzungen, intellektuellen Auseinandersetzungen auch geführt um die Frage: Wie geht man damit eigentlich um?

Und das Interessante für mich daran ist, dass es nicht so sehr eine Auseinandersetzung gewesen wäre, was man erst mal vermuten könnte zwischen den Sozialisten und den Konservativen auf der anderen Seite.

Sondern es war ganz stark eine Auseinandersetzung innerhalb des Liberalismus selbst, weil es sind ja die Liberalen, die ganz stark diese bürgerlichen Prinzipien von Leistung und Individualität in den Vordergrund rücken und die plötzlich damit konfrontiert waren, das aber hoppla, ja, also wenn wir das über die Generationen betrachten, dann ist das ja gar nicht so, sondern Vermögen vererbt sich von Generation zu Generation. Und da haben sich dann zwei konträre Positionen entwickelt.

Die einen John Stuart Mill gehört dazu, die sagen Nee, also wir müssen hier wirklich eine ganz hohe Erbschaftssteuer einführen, auch um die Kinder zu schützen vor einem Lotterleben. Ja, weil sie sich eben nicht mehr anstrengen müssen, aber auch aus ordnungspolitischen Gründen.

Und dann gibt es die andere Position im Liberalismus, die sagt Nee, das hat den Staat alles nichts anzugehen, sondern es ist auch Teil des Privateigentums, dass dieses Privateigentum von einer Generation in die nächste vererbt werden kann, je nachdem, wie der Erblasser das bestimmt.

Philip BansePhilip Banse

Und was sind da jetzt die Gefährdung für die Demokratie, so wie das aktuell geregelt ist?

Jens Beckert

Es ist insbesondere die Gefährdung durch langfristige Machtzusammenballung, die durch die starke Vermögenskonzentration stattfindet. Also was durch Vererbung geschieht, ist ja nicht, dass die soziale Ungleichheit produziert wird durch die Vermögensvererbung, sondern sie wird von Generation zu Generation weitergetragen. Und in dieser Entwicklung vergrößern sich die Vermögen bis hin dann zu Supervermögen. Vermögen, die in die Milliarden gehen. Und dies sind Vermögen, die auch politisch umgesetzt

werden können. Sie sind selbst Machtzentren, die demokratisch nicht legitimiert sind.

Philip BansePhilip Banse

So dynastische Züge hat das eigentlich bekommen, so feudale dynastische Züge eigentlich.

Jens Beckert

Genau es sind, es sind dynastische Züge. Also am besten kann man das, glaube ich sehen in Amerika. Und wenn man sich Wahlkämpfe in Amerika anguckt, die mit Milliarden an Spenden, privaten Spendengeldern geführt werden, wo ganz klar ist, dass dieses Geld eingesetzt wird von den Spendern, um Politik zu beeinflussen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, und es gibt ja in den USA auch wirklich große große private Spender. Also das ist ja nicht so, dass alle Amerikaner irgendwie monatlich ihre 5 $ und dann machen wir Wahlkampf, sondern es gibt ja Spender und Spenderinnen dutzendweise, die Hunderte von Millionen Dollar an einzelne Kandidaten spenden, weil sie das können. Oft generiert durch Erbschaften und dadurch enormen Einfluss haben, weil es ganz entscheidend für den Wahlkampf des einen oder anderen Kandidaten ist.

Spendet mir diese Frau jetzt noch mal 100 Millionen oder nicht? Was ich mich gerade frage ist, wären Sie denn dafür zu sagen ganz radikal: Es gibt keine Erbschaften. Wenn ein Mann, eine Frau stirbt, geht das Vermögen an den Staat Ende aus. Was spricht dagegen?

Jens Beckert

Das ist nicht meine Position. Wobei das eine Position ist, die vor allen Dingen in der politischen Philosophie viel vertreten wird. Es ist deshalb nicht meine Position, weil ich glaube, dass Erbschaften ganz unterschiedliche Funktionen haben. Und eine Funktion ist also sicherlich in problematischen Sinne das, worüber wir gerade gesprochen haben.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Dieses Dynastische, diese Verletzung der Chancengleichheit.

Jens Beckert

Verletzung der Chancengleichheit, politische Einflussnahme, die mit großen Vermögen erreicht werden kann. Aber Erbschaften sind doch auf der anderen Seite auch ein ganz zentrales Moment von familiärer Solidarität. Also Erbschaften sind ja nicht nur diese Milliarden Erbschaften, sondern Erbschaften finden ja auch in der Mittelschicht statt und in der oberen Mittelschicht, wo Kindern geholfen wird.

Ja, das sind dann auch Schenkungen, etwa im Leben anzufangen, also sei es durch die Finanzierung von Ausbildung oder Unterstützung beim Bau eines Hauses oder Erwerbs einer Eigentumswohnung. Aber denken Sie auch daran, dass etwa Beziehungen zwischen den Generationen hergestellt werden über Schenkungen. Das kann im ganz kleinen Bereich sein. Ja, die die Oma, weil die Enkel sie besuchen kommt. Ja, also steckt die Oma den Enkeln was sie sich 20 € zu.

Also dieser Solidaritätsaspekt von Vermögensvererbung muss, glaube ich, auch wenn wir über dieses Thema sprechen, immer mitbedacht werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Richtig.

Philip BansePhilip Banse

Aber steuerlich sind Schenkung und Erben zwar ziemlich ähnlich.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nee, sind dasselbe.

Philip BansePhilip Banse

Oder sind dasselbe meinetwegen. Aber so im sozialen Alltag ist das ja schon ein großer Unterschied, ob jetzt Oma willentlich sagt hier, ich schenk dir für deine Ausbildung 100.000 € oder 50 oder ob Oma stirbt und dann gibt es halt ein Testament oder nicht. Das sind ja schon sozial unterschiedliche Aktionen.

Jens Beckert

Sind es, aber sie sind auch nicht immer so unterschiedlich. Also es kann doch zum Beispiel sein, dass eine familiäre Pflege stattfindet und dabei durchaus die Erwartung ist ja, wenn die zu pflegende Person verstorben ist, dass dann auch über die Erbschaft gewissermaßen wieder etwas zurückkommt. Also ich glaube, dass das verschwimmt, diese Unterschiede. Aber worauf es mir ankommt, ist, dass ich auch hier nicht glaube, dass gewissermaßen die Radikallösung die richtige

ist. Eine Erbschaftssteuer bedeutet doch, dass man ein weites Spektrum hat, also von der konfiskatorischen Besteuerung bis zu einer Nichtbesteuerung. Und wenn ich mir angucke, das deutsche Steuersystem, dann würde ich sagen, das steht eindeutig zu sehr auf der Seite der Nichtbesteuerung.

Also wir haben bei einem vermuteten Erbschaftsvolumen von jährlich um die 400 Milliarden € jährliche Erbschaftssteuer Einnahmen von unter 10 Milliarden € und gerade ganz große Erbschaften, die häufig sehr stark aus Unternehmensbesitz bestehen, werden quasi überhaupt nicht besteuert.

So, und jetzt gibt es doch ein Spektrum, wo man sagen kann, wir akzeptieren auf der einen Seite genau auch diese sozial produktiven Elemente von von Erbschaft und Solidarität, die daraus entsteht, aber auf der anderen Seite nutzen wir die Erbschaftssteuer, um einer ausufernden sozialen Ungleichheit entgegenzuwirken.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also um da vielleicht nochmal ein paar Zahlen nachzuliefern. Sie haben ja gerade das Rechenbeispiel aufgemacht. Volumen der Übertragung um die 400 Milliarden etwa knapp unter zehn, also manche sagen 8 Milliarden Ertrag. Das sind also etwa 2 %. Also tatsächlich, da sind wir nahe an der Null Besteuerung.

Man könnte das natürlich auch deutlich erhöhen und könnte zum Beispiel sagen, man geht so in Richtung 20 %. Das würde bedeuten, man hätte dann einen Ertrag von um die 80 Milliarden €. Man muss ein bisschen ein bisschen was abziehen, weil gerade kleinere Vermögen ja in der Tendenz eher nicht besteuert werden sollen. Deswegen schätzt zum Beispiel das Netzwerk Steuergerechtigkeit und dass jährlich 75 Milliarden € pro Jahr für den Haushalt gewonnen werden könnten.

Und da kann man sich mal überlegen, was könnte man da in die Bahn investieren, was könnte man vor allem mit dem deutschen Bildungswesen machen? Wir haben ja jetzt gerade mit viel Mühe 2 Milliarden zusammengekratzt, 1 Milliarde vom Bund, 1 Milliarde von den Ländern, um Schulen zu fördern, gerade Grundschulen zu fördern, wo besonders viele soziale Probleme konzentriert sind. Kurz und gut: Es gäbe gute politische Gründe, um an der Erbschaftssteuer was zu ändern.

Dennoch scheint sich kaum jemand für eine wirksame Erbschaftssteuer gerade zulasten von Millionen Erben von großen Unternehmenserben zu interessieren. Warum verläuft die Debatte so irrational? Man könnte ja sogar zugespitzt fragen: Wieso gibt es eigentlich diese Debatte kaum im öffentlichen Raum?

Jens Beckert

Ja, eine sehr gute Frage, auf die es keine wirklich ganz klare Antwort gibt. Aber es gibt Elemente von Antworten. Eins davon ist sicherlich Lobbyismus wieder. Also worüber wir vorhin auch gesprochen haben im Zusammenhang mit der Ölindustrie auch hier. Für sehr wohlhabende Familien wäre natürlich eine substanzielle Erbschaftssteuer, also legen wir mal einfach in den Raum, eine Besteuerung von 20 % wäre natürlich ein Riesenbetrag. Sie haben, vererben 100 Millionen.

Sie haben 20 Millionen, die sie dann versteuern müssten. Daraus entsteht ein Rieseninteresse, diese Besteuerung zu verhindern und per Lobbyismus dagegen zu operieren. So, das ist sicherlich ein Grund. Ein zweiter Grund ist: Wie wird dieses Thema im politischen Diskurs gerahmt?

Hier können wir sehen, dass wenn über Erbschaftssteuern gesprochen wird, dann wird ganz schnell gesprochen über, das sei eine Neidsteuer, dann wird darüber gesprochen, dass das schädlich sei für den Wirtschaftsstandort, weil dann also insbesondere die Personen geführten Unternehmen in ihrer Wettbewerbssituation benachteiligt würden.

Also es wird als problematisch dargestellt und sehr problematisch für die Gemeinschaft, wohingegen andere Aspekte, wie etwa, dass es doch ein soziales Problem ist, wenn Vermögensungleichheit immer größer wird und aus dem Ruder. Und das dringt im Diskurs sehr viel weniger durch.

Philip BansePhilip Banse

Das Netzwerk Steuergerechtigkeit, das finde ich auch das Interessante an der Analyse, kommt ja auch zu dem Schluss, dass da nicht zig Millionen Erben und Erbinnen belastet werden würden, sondern es ginge um einige 100, vielleicht einige 1000 Großerben, die wirklich hunderte von Millionen von Euro erben und die davon ein Teil abgeben müssen. Und dann kämen substantielle Summen zusammen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die heute eben häufig gar nichts abgeben. Wirklich nicht nur wenig - gar nichts!

Philip BansePhilip Banse

Und es geht ja nicht darum, dass sie alles abgeben und dass das nicht mehr geht, sondern es geht da um einen größeren Teil von dem abzugeben, meinetwegen auch wir haben es oft gesagt, abgestottert über Jahre. Und sie müssen die Unternehmen nicht verkaufen. Da gibt es wirklich anerkannte Rezepte, um da Unternehmensauflösung zu verhindern. Trotzdem, wenn man mit Leuten spricht, ganz normalen Leuten, seid ihr für eine Scharfstellung der Erbschaftssteuer?

Die gucken einen an und sagen: Na also, warum, wieso? Und dann auch 75 Milliarden können 80 Milliarden jedes Jahr in den Haushalt. Wir könnten sonst was damit machen. Trotzdem gibt es für die Erbschaft, für eine scharf gestellte Erbschaftssteuer, wo substanzielle Beträge abgeführt werden von wirklichen Großerben und zwar nur von denen, wer erbt schon 10 Millionen? 20 Millionen €? Das sind nicht viele Leute. Warum gibt es soziologisch betrachtet so eine Aversion dagegen?

Jens Beckert

Ja, also verschiedene Gründe. Das eine ist sicherlich das genau der Zusammenhang, den Sie jetzt darstellen, dass der gar nicht mal verstanden wird. Sondern auch da noch mal, um auf diese Rahmungen einzugehen. Also dann wird davon gesprochen, da wird Omas Klein Häuschen gesteuert. Ja, weiß man natürlich, findet auch jetzt natürlich nicht statt, würde auch dann nicht stattfinden. Ja, wie Sie sagen, es geht um die Großerben.

Aber weil es eben nicht völlig verstanden wird in der Wahlbevölkerung können doch Ängste entstehen, dass die sagen: Mensch, jetzt wollen die an das wenige was ich habe, wollen die jetzt auch noch ran. Und ich glaube das ein weiterer Punkt, weshalb es so wenig Unterstützung dafür gibt, genau auch in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der letzten Jahrzehnte liegt.

Also wir wissen aus Studien etwa, dass in Ländern, die eine hohe soziale Ungleichheit haben und eine stark marktorientierte Politik haben, dass dort die Nachfrage nach Umverteilung gering ist. Menschen haben bereits akzeptiert, dass sie für ihre eigene Situation selbst verantwortlich sind und nicht irgendwie auf die Gemeinschaft hoffen kommen und ein Anrecht an die Gemeinschaft haben, dass sie dabei irgendwie unterstützt werden.

Und das sind kulturelle und institutionelle Entwicklungen, die über die letzten 40 Jahre stattgefunden haben, die also zu solchen quasi Selbstbeschneidungen schon mal führen. Und dann gibt es einen Punkt, der in dem Zusammenhang glaube ich, auch wichtig ist. Wir haben vorhin über Unsicherheit gesprochen von Menschen und Vermögensvererbung ist ja jetzt eben nicht nur ein Phänomen, das für die Superreichen gilt, sondern das geht ja bis zumindest in die oberen 50 % der Bevölkerung.

Wenn Menschen sich zunehmend unsicher fühlen, dann können sie das, was sie an Privatvermögen haben und auch als Privatvermögen an ihre Kinder weitergeben können, als so eine Art von individuellen sozialen Sicherungssystemen sehen, dass eben die Unsicherheiten, die jetzt nicht mehr staatlich geregelt werden, dass sie so eine kleine Versicherung quasi für sich noch haben.

Und wenn da der Staat dann eingreifen will und sagt Also davon müsst ihr jetzt auch noch etwas abgeben, ob das jetzt berechtigt ist oder nicht, diese Angst, dann kann man sich vorstellen, weshalb da Widerstände entstehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Da können wir ja nicht stehen bleiben gesellschaftlich. Was würden Sie denn jetzt denken aus der Perspektive Ihres Fachs? Wie dreht man denn diese Debatte? Also Sie haben eben schon hingewiesen, dass da von bestimmten interessierten Kreisen natürlich auch die eine oder andere Gruselgeschichte erzählt wird, insbesondere nämlich Beeinträchtigungen von Wirtschaftsunternehmen. Philip hat angedeutet, dass es da aber etablierte Modelle gibt, wie man das vermeiden kann.

Das heißt, wir haben es ja eigentlich mit einer irrationalen Debatte zu tun. Der gesellschaftliche Vorteil wäre mit Händen zu greifen. Es passiert aber einfach nicht. Wie kommuniziert man denn dann sinnvoll in diesem Bereich? Wenn da also Millionen von Menschen in Deutschland offensichtlich ja Ideen nachhängen, die die rational schwer nachvollziehbar sind?

Jens Beckert

Also zunächst einmal würde ich Ihnen zustimmen. Es geht genau um Kommunikation dabei. Man müsste stärker in den Vordergrund bringen, welche Problematik auf einer gesellschaftlichen Ebene entsteht, wenn Vermögensvererbung über die Generationen zu einer Zementierung von sozialen Strukturen führt. Und ein zweiter Aspekt, Das haben wir auch in den Studien untersucht.

Wir sehen, dass die Zustimmung zur Erbschaftsbesteuerung steigt, wenn gleichzeitig etwas gesagt wird über die Verwendung der Gelder, insbesondere wenn man das so kommuniziert, dass gesagt wird, das sind Gelder, die dann zur Erhöhung von Chancengleichheit genutzt werden können, etwa indem diese Gelder in das Bildungssystem investiert werden.

Ja, wenn man die Problematik so rahmt und und solche Zukunftsbilder entwirft, was man mit den Einnahmen macht, dann hat man zumindest etwas größere Zustimmung im politischen Markt.

Philip BansePhilip Banse

Ich finde das einen ganz interessanten Punkt, weil das ja so ein bisschen an dem Grundverständnis auch der Budgethoheit des Parlaments rüttelt. Wir haben das Prinzip eigentlich, dass das Parlament über die Verwendung von Steuereinnahmen generiert, sonst sind die Abgaben. Aber Steuern gehen in den Haushalt, das Parlament entscheidet Was machen wir dafür? Und das ist nicht so richtig vorherzusehen für die

einzelnen Leute. Gleichzeitig haben wir jetzt diesen Trend, dass immer mehr zweckgebundene Einnahmen gemacht werden. Wir haben das Sondervermögen für die Bundeswehr, es werden Investitionsfonds für XY und Z, für die Bahn, für die Autobahn. Alles Mögliche wird gefördert. Und jetzt sagen Sie...

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Jedenfalls diskutiert. Für die Autobahnen passiert es ja nicht.

Philip BansePhilip Banse

Aber die Diskussion geht schon in die Richtung, die darauf hinausläuft, dass Steuereinnahmen zweckgebunden ausgegeben werden. Jetzt sagen Sie Naja, ein Nebeneffekt ist, die Akzeptanz für solche Abgaben steigt eben, je genauer die Leute wissen, wohin das Geld fließt und was damit gemacht wird. Denn eine Zweckgebundenheit für die Einnahmen mit einer scharf gestellten Erbschaftssteuer, die ließe sich ja einfach über den Haushalt nicht so einfach herstellen sondern es würde einfließen.

Da gibt es ein politisches Versprechen Wir verwenden das Geld um. Aber richtig garantiert ist das nicht, sondern richtig garantiert ist das eben nur, wenn man sagt: Na gut, da gibt es halt eine Investitionsgesellschaft, da fließt das rein, damit bauen wir die Schulen aus.

Jens Beckert

Ja, das ist so, und das ist auch richtig so, also demokratietheoretisch es ist das Recht des Parlaments, über das Budget zu entscheiden. Ja, das will ich auch überhaupt nicht infrage stellen. Ich habe hier über politische Kommunikation gesprochen.

Also wie kann man Menschen eher dazu bringen, doch eine positive Einstellung zu einer höheren Ernschaftsbesteuerung zu erlangen und damit zu kommunizieren, dass Mensch, es würde euch helfen im Sinne von von Chancengleichheit, im Sinne von kollektiven Infrastrukturen, die damit finanziert werden könnten, wäre möglicherweise ein politischer Mechanismus, mit dem Zustimmung erhöht werden könnte.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Total spannend, dass Sie das so sagen. Ich halte jetzt mal ein bisschen Empirie dagegen, wenn auch anekdotische Evidenz, und zwar ein Beschluss der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von ihrem letzten Bundesparteitag im Dezember vergangenen Jahres. Da hat die SPD nämlich ein Bildungspaket vorgeschlagen, das nennt sie Deutschlandpakt, ein Deutschlandpakt Bildung und dieser Deutschlandpakt Bildung sollte finanziert werden durch hohe Erbschaften.

Das heißt also, die SPD hat ziemlich eins zu eins das vorgeschlagen, was wir gerade diskutieren. Bessere Bildung durch höhere Erbschaftssteuer und Sondersteuern auf sehr hohe Einkommen war der zweite Aspekt. Aber eben Erbschaftssteuer zugunsten der Bildung, würden dann auch 100 Milliarden diskutiert, analog zum Sondervermögen für die Bundeswehr. Können Sie sich an eine breite Diskussion dieses SPD Vorschlags

erinnern? Ich nicht, obwohl wir Saskia Esken damals sogar im Interview hatten in der Lage der Nation. Dieser Vorschlag der SPD ist nach meiner Wahrnehmung verpufft.

Jens Beckert

Ja, kann ich Ihnen nicht widersprechen. Das ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit keine breite Resonanz erzeugt und auch von den politischen Parteien nicht an vorderste Front gestellt wird. Ich meine auch von der SPD. Da kommen immer wieder solche Vorschläge. Aber die SPD ist ja jetzt noch nicht, was man vielleicht erwarten könnte, die Partei, die sagt, also unser zentrales Wahlkampfthema ist die Erbschaftssteuer.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Sie könnte ja sagen Bildung! Sie haben ja eben, finde ich, völlig zurecht den Punkt gemacht, wenn man das als höhere Steuern framed, ist das natürlich ein Nonstarter. Aber Sie haben eben darauf hingewiesen, man muss quasi sagen, wofür soll das ein, was kann das bringen? Und da frage ich mich, wieso kommt denn das nicht in jedem zweiten Interview von Saskia Essen?

Jens Beckert

Na ja, die SPD hat die Erfahrung als langfristige historische Erfahrung im Hintergrund, dass sie zwar auf soziale Gerechtigkeit hin orientiert ist, die auch Steuereinnahmen benötigt, aber es ist aus der Perspektive einer Partei, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, nicht primär wichtig, woher diese Steuern kommen und dass damit also Vermögensumverteilung verbunden ist, sondern wichtig ist, dass in irgendeiner Weise diese Steuereinnahmen erzielt werden.

Schon in der Weimarer Republik hat sich die SPD nicht besonders für Erbschaftssteuern und Umverteilung eingesetzt, weil sie gemerkt hat wenn wir das machen, dann produzieren wir so heftige Gegenreaktionen der Vermögenden, dass wir uns also hier politisch verkämpfen würden in einer Weise, die politisch unsinnig wäre. Und haben sich dann eher darauf konzentriert: Ja, es bedarf Steuern, Einkommensteuer, Konsumsteuer, Mehrwertsteuern.

Und solange daraus ein hinreichendes Steueraufkommen erzielt wird, das dann sozialstaatlich umverteilt werden kann, dann ist das hinreichend.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Auch wenn das natürlich eine Umverteilung in der Mitte bleibt letztlich.

Jens Beckert

Ja, sicher. Aber ich meine, wenn die politische Erfahrung ist, dass man mit diesem Thema nicht gewinnen kann, weil also überraschenderweise eine Mehrheit der Bevölkerung Erbschaftsbesteuerung ablehnt, dann wird man doch als politische Partei das nicht von vornherein stellen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, mich irritiert so ein bisschen die Verzagtheit, die da drin liegt. Denn in der Demoskopie ist es ja eine ziemliche Binsenweisheit, dass sich politische Einstellungen von Menschen auch sehr schnell ändern können. Wir haben es uns vor kurzem mal angeguckt. Die Relevanz der Migrationsfrage geht von 0 bis 100 so ungefähr in den letzten Jahren rauf und runter, je nachdem, welche politische Sau gerade so durchs Dorf getrieben wird.

Und insofern wundert mich das sehr, dass man da nicht wenigstens das versucht, denn das könnte ja tatsächlich gerade für eine sozialdemokratische oder gerade auch auch für die Linke ein großer Wahlkampfschlager sein. Na ja, gut.

Philip BansePhilip Banse

Aber es hängt natürlich auch damit zusammen, mit diesen starken psychologischen Barrieren oder mit so Affekten und Einstellungen, die an so Erbschaften klemmen. Wir haben ja im Vorfeld hier auch mal Kollegen von Ihnen gefragt, der Professor Wilhelm Hoffmann vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie an der Ruhruni und meint, er hat das jetzt nicht erforscht, aber da mal so ein paar Thesen in Raum geschmissen. Was hält die Leute davon ab, einer signifikanten Erbschaftssteuer

zuzustimmen? Und ein Punkt war halt dieser Punkt Fairness, dass man argumentieren kann, Ja, ein leistungsloses Einkommen durch eine Erbschaft, das mag erst mal als unfair empfunden werden, wenn es nach dem Leistungsprinzip geht, was ja viele hochhalten. Warum wird eine Erbschaftssteuer dennoch als unfair empfunden? Na ja, These weil eben das Familieneinkommen als eine Leistung definiert wird.

Nicht unbedingt das Individuelle, aber wir als Familie, mein Vater, meine Mutter, meine Großmutter haben geleistet. Also steht mir auch diese Erbschaft zu. Und der Staat soll schon mal gar nicht davon eingreifen.

Jens Beckert

Ja, das würde ich sofort unterschreiben. Gerade ich habe ja über lange historische Perioden Erbschaftsdiskurse in Deutschland verfolgt, Also kooperativ aber auch auch in Deutschland und in der deutschen Diskussion steht die Familie, das wurde dann im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter dem Begriff des Familiensinns gefasst, steht ganz zentral da als Argument gegen die Besteuerung von Erbschaften.

Philip BansePhilip Banse

Das ist ganz interessant, weil eigentlich, sag ich mal so moderne Demokratien und ein moderner Staat mit einem starken Rechtsstaat sich ja gerade dadurch auszeichnen, dass die Loyalität des Individuums über die Zeit wegwandert von der Familie hin zum Staat und die Familie, in traditionell kirchlich geprägten Staaten viel größer ist und die Loyalität zur Familie.

Aber in modernen Staaten, wie wir sie in Deutschland haben, eigentlich die Loyalität dem Staat gehört und die Familie als letzte Ressource eigentlich zurücktritt. Aber hier scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein.

Jens Beckert

Das war so. Wenn sie sich die Diskussionen um Erbschaftsbesteuerung im frühen 20. Jahrhundert anschauen, dann gab es unser gerade von sozialdemokratischer Seite genau dieses Argument. Also es ist jetzt halt nicht mehr die Familie, sondern jetzt ist es der Staat, der also etwa über eine Rentenversicherung oder über eine Gesundheitsversicherung diese Schutzfunktion einnimmt.

Und sie haben tatsächlich in dieser Zeit, als das geht bis in die 60er Jahre ja auch eine sehr viel stärkere Unterstützung für die Erbschaftsbesteuerung in der Bevölkerung. Also das war nicht immer so, dass die Erbschaftsbesteuerung so stark abgelehnt wurde.

Und deshalb argumentiere ich ja, dass eben gerade die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten 40 Jahre mit dieser Betonung des Individualismus und der Verlagerung von Risiken auf die Individuen quasi wie zu einer Art Renaissance der Familie als sozialer Sicherungsinstitution geführt haben.

Philip BansePhilip Banse

Dann wird das natürlich als enormer Angriff auf diese Sicherung empfunden. Wenn der Staat kommt, sagt hier in eurem Familieneinkommen, da hätte ich gern was.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ändert ja nichts daran, dass die Diskussion um eine Reform der Erbschaftsteuer ja 99, X % der Bevölkerung nicht betreffen würde. Im Gegenteil. Man könnte ja sogar so weit gehen zu sagen, wir stellen jetzt einfach Vermögen bis 1 Million oder bis 2 Millionen € steuerfrei von der Erbschaftssteuer. Dann würden ja sogar tatsächlich 99, X % der Bevölkerung sogar noch entlastet. Das heißt also Fairness ja.

Aber wenn die Menschen nicht betroffen sind, dann sollte ja auch dieses Fairnessargument eigentlich weniger eine Rolle spielen. Ich weiß nicht, Was denken Sie darüber?

Jens Beckert

Also ich kann Ihnen sagen, in allen Umfragen werden solche Zusätze gemacht oder in einigen. Es verändert an dem Ergebnis ganz wenig. Und es ist tatsächlich aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive ungeheuer schwer zu verstehen das Phänomen. Weshalb also die Interessenlage, wir haben ja eine demokratische Mehrheit von was weiß ich, 98 % der Wähler, die von einem Gesetz profitieren würden. Warum setzen die sich da nicht durch?

Philip BansePhilip Banse

Ich glaube, man müsste dem Ding einfach einen anderen Namen geben. Wenn man das Ding Dynastie Abgabe nennt, dann wäre klar, das sind halt nicht die Erbschaften von Omas Häuschen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Oder die Clansteuer.

Philip BansePhilip Banse

Oder die Clansteuer, sondern es geht ja hier um eine Steuer für wirklich, wirklich, wirklich, wirklich wenig Leute. Und wenn man sagt Erbschaftssteuer, aber 99 % der Erbschaften in Deutschland sie davon überhaupt nicht betroffen ist vielleicht auch der falsche Name.

Jens Beckert

Ja, das könnte sein, dass man mit Kommunikation vielleicht ein bisschen weiterkommt und dass man das besser kommunizieren könnte. Aber ich habe den Verdacht, darauf zielt ja auch das, was ich vorhin sagte dass man das eben verbindet mit mit Chancengleichheit und mit Bildung. Das sind ja alles solche Versuche. Wie kann man das irgendwie im politischen Diskurs etwas etwas anders rahmen und damit mehr Unterstützung bringen?

Aber mein Verdacht ist, dass da noch etwas dahinter steht, und zwar im Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaften, das sich eben genau in diesem Verhältnis etwas verändert hat in den letzten 40 Jahren, wo die Forderungen nach Redistribution, darum geht es ja letztendlich, sehr viel weniger Durchschlag, sehr viel weniger Relevanz gewissermaßen haben als etwas, was von den Menschen als natürliche Reaktion auf soziale Ungleichheit gefordert würde.

Also wovon wir hier auch ausgehen, also ich meine, wenn es diese Ungleichheit gibt, wäre doch eigentlich eine natürliche Reaktion: Ja, wir fordern, dass diese Ungleichheit etwa durch Steuerpolitik reduziert wird. Aber ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft im Moment diese Menschen gar nicht so denken.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber jetzt, jetzt versuche ich das noch mal ein bisschen positiver zu formulieren. Wir kommen ja so langsam zum Ende unseres Gesprächs. Was können wir denn, was können Sie auf der Grundlage Ihrer Forschung den Menschen mitgeben, die finden, man müsste sich mal engagieren. Was kann man denen sagen? Was wäre so ein ganz konkreter Beitrag? Sie haben ja eben für die Klimapolitik gesagt. Fangen wir doch im Kleinen, im Lokalen an. Fangen wir im Persönlichen an, dass die Menschen positive Erfahrung

machen. Was könnte man denn tun, um quasi so diesen Gedanken einer faireren Verteilung des Reichtums wieder populärer zu machen? Zum Beispiel durch Erbschaftssteuer? Ein anderes Instrument, wollen wir jetzt vielleicht nicht mehr tief bohren, wäre eine Vermögenssteuer. Was könnte man da den Menschen mitgeben, rein praktisch?

Jens Beckert

Ich denke, dass wir ganz stark versuchen müssten, die Argumentationslinien anders zu gestalten.

Also dass wir Erbschaftssteuern eben nicht mehr primär sehen als Eingriff in die Familien oder als Ausdruck von Neid oder als Behinderung von wirtschaftlichen Aktivitäten, sondern dass wir sie sehen vor der Problematik, dass eine Gesellschaft, die in die Vermögensperpetuierung nicht eingreift, sich immer stärker verknöchert und soziale Strukturen ausbildet, die ja zu Prozessen der sozialen Schließung führt, aus denen dann also die Individuen keine Aufstiegsmobilität mehr entwickeln können.

Also es käme mir darauf an zu sagen, dass es eben kein auf Familien und Individuen begrenztes Problem ist, sondern dass dahinter wirklich ein gesellschaftspolitisches Problem steckt und möglicherweise von dieser Perspektive das dann auch klar wird: Ja, also wir müssen da als Gesellschaft einfach etwas machen. Das mag den Familien auch den reichen Familien auch wehtun, aber das ist das, was im Sinne von Gesellschaftspolitik unbedingt erforderlich ist.

Philip BansePhilip Banse

Vielleicht als letzten Gedanken noch ein Ding, Anknüpfen an das, was Sie vorhin gesagt haben. Das fand ich ganz interessant, dass in Gesellschaften, in denen soziale Ungleichheit extrem groß ist, gleichzeitig das Leistungsprinzip auch sehr großgeschrieben wird. Das Bedürfnis, das soziale Bedürfnis oder das allgemeine Bedürfnis nach Umverteilung sehr gering ist.

So habe ich das zumindest verstanden, weil diese Idee der Leistungsgesellschaft so internalisiert ist, dass den Leuten keine andere Erklärung für ihre eigene Ungleichheit bleibt als: Ich leiste halt zu wenig. So ist das hier. Das ist eine Leistungsgesellschaft. Wenn es Ungleichheiten gibt und ich ganz unten bin, dann leiste ich einfach zu wenig.

Was wäre denn eine andere Überschrift für diese Gesellschaft, wenn man denn nicht sagen will, wir leben in einer Leistungsgesellschaft, was dann impliziert, dass jeder und jede durch Leistung sein Schicksal definiert, sondern was wäre eine andere Überschrift, die Leistung vielleicht nicht total kleinschreibt, aber irgendwie ein bisschen in Relation setzt?

Jens Beckert

Also dass wir in einer Gemeinschaft oder in einem sozialen Kollektiv leben, in dem auch die Individuen, die Einzelnen ihre Leistungen nur bringen können in einem sozialen Kontext, den sie nicht selbst erstellen und insofern immer ist, eine Verbindung gibt zwischen dieser Gemeinschaft und den Individuen. Ich denke, dass ein solches Bild der Verbindung von Kollektiv und Individuum letztendlich das ist, was wir als Gesellschaftsmodell

verständlich machen. Und das ist immer so in allen Gesellschaften. Aber wir müssen es auch im politischen Sinne verstehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die Gesellschaftsbezogenheit des Einzelnen, dass Menschen eben von ganz vielen Bedingungen abhängig sind, die sie alleine nicht schaffen können. Man kann sich nicht seine Privatstraßen bauen, durchs ganze Land zum Beispiel. Und das gibt geht für viele 1000 andere Beispiel ja eben so genau.

Jens Beckert

Und daraus lässt sich dann ja auch rechtfertigen, weshalb dann Beiträge auch geleistet werden müssen für die Erstellung von den Gütern, die eben die Gemeinschaft und jeder Einzelne in der Gemeinschaft braucht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ganz herzlichen Dank! Das war im Gespräch mit der Lage der Nation Professor Dr. Jens Becker, der ist Direktor am Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Beckert.

Jens Beckert

Vielen Dank!

Philip BansePhilip Banse

Und das war die Lage der Nation mit der fortlaufend Nummer 392, eines unserer Sommerinterviews im Jahr 2024. Wir sind noch bis Anfang September mit der normalen Lage in der Sommerpause. Bis dahin gibt es weitere Interviews und wir wünschen euch dabei viel Spaß.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Habt weiterhin einen schönen Sommer. Genießt die Zeit, bis bald. Ciao!

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