
Herzlich willkommen zur Lage der Nation. Eine frische Ausgabe vom 19. Juni 2024 mit der laufenden Nummer 388. 388. Und wie fast immer am Mikrofon Philip Banse.

Und Ulf Buermeyer. Herzlich willkommen auch bei mir. Der Philip ist Journalist. Ich bin Jurist aus Berlin und damit sind wir schon beim Überblick über die Themen dieser Woche.

Wie hält es das Bundesbildungsministerium mit der Wissenschaftsfreiheit ist eine Frage, mit der wir uns beschäftigen.

Warum wählt der Osten Deutschlands so viel AfD? Und natürlich auch, warum der Westen AfD wählt. Denn auch dort gibt es ja viele, viele Menschen, die da ihr Kreuz an der falschen Stelle machen.

Und was ist eigentlich Desinformation? Und was hat das Ganze mit der deutschen Debatte um die Wärmepumpe zu tun?

Zu unserem ersten Thema. In diesen Tagen gibt es viele Diskussionen darum, ob das Bundesbildungsministerium, das also auf Bundesebene unter anderem zuständig ist für Forschung und Wissenschaft, ob ausgerechnet dieses Bundesbildungsministerium die Wissenschaftsfreiheit, insbesondere die Forschungsfreiheit oder auch die Meinungsfreiheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beeinträchtigt.

Torpediert. So ist der Vorwurf an die Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger von der FDP diese Woche. Worum geht es.

Also im Mai protestierten junge Menschen auf dem Gelände der Freien Universität Berlin für die Rechte der Palästinenser im Gazastreifen gegen das, was sie für einen Genozid halten. Darüber haben wir ausführlich berichtet. Die Polizei hat das Gelände geräumt. Wir haben auch das bereits rechtlich eingeordnet. Und gegen diese Räumung protestierten dann Professorinnen und Professoren und andere Forschende.
Stand heute über 1000 Menschen, die im Wissenschaftsbetrieb beschäftigt sind, in einem offenen Brief.

Und sie mahnen an, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu beachten sei, auch und vor allem auf dem Gelände einer Universität. Und sie forderten eben, nicht polizeilich gegen die Protestierenden im Rahmen der Besetzung der FU Berlin vorzugehen.

Ja, und da denke ich mal, da ging es natürlich auch um die Versammlungsfreiheit, also nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern grade auch, Demos durchzuführen, die sogenannte Versammlungsfreiheit.

Und diesen Brief, der vor allen Dingen Berliner Forschenden hat dann Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in der Bildzeitung deutlich kritisiert. Sie sagt, sie sei fassungslos. Und weiter, dass es sich bei den Unterstützenden um Lehrende handelt, ist, sagt sie, eine neue Qualität. Denn gerade Professoren und Dozenten müssten Zitat auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Zitat Ende. Sagte sie also Anfang Mai in der Bildzeitung.

Und das ist, muss man sagen, ein impliziter, aber doch sehr harter Vorwurf. Stehen die 1000 und mehr Unterzeichner denn wirklich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, obwohl sie sich ja gerade für Grundrechte einsetzen? Extrem schwierig. Wollen wir an dieser Stelle nicht noch mal aufmachen. Wer will, kann das in der Folge von vor ein paar Wochen noch mal nachhören. Jedenfalls sehr schwierig, das so einzuordnen.
Und es blieb leider auch nicht bei diesem problematischen öffentlichen Statement, sondern, so hat das NDR Magazin Panorama jetzt bei seinen Recherchen herausgefunden, das Ministerium hat auch intern noch heikle Fragen prüfen lassen.

Das Ministerium, die Ministeriumsleitung hat prüfen lassen, ob diese Wissenschaftler, die diesen Protestbrief unterzeichnet haben, sich strafbar gemacht haben könnten. Das ist das eine, was geprüft werden sollte. Und außerdem sollte geprüft werden, ob diesen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die diesen Brief unterzeichnet haben, nicht Forschungsgelder gestrichen und oder gekürzt werden könnten.

Hintergrund des Ganzen ist, dass ein Großteil der Gelder für die Forschung in Deutschland inzwischen mehr oder weniger direkt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vergeben wird. Die Universitäten und damit auch die einzelnen Professorinnen und Professoren bekommen immer weniger Geld für freie Forschung, also quasi deren Grundeinnahmen.
Sowohl persönliche Einnahmen als auch Sachmittel werden immer weiter zusammengestrichen und immer mehr Gelder, die für die Forschung zwingend erforderlich sind, sind sogenannte Projektförderungen. Das heißt also, da muss man dann einen Antrag schreiben. Ich möchte mich gerne mit dem Thema XY beschäftigen, den kann man an alle möglichen Einrichtungen schicken, die dann Geld verteilen oder eben auch nicht.
Und diese Entscheidung, wer da Geld bekommt, trifft jetzt nicht immer das Ministerium alleine. Aber die Stiftung, die da häufig zwischengeschaltet sind oder andere Organisationen, die bekommen das Geld eben sehr häufig aus der Kasse des Bundes. Und deswegen kann man sagen, dass das Bundesforschungsministerium mittelbar einfach ganz wesentlichen Anteil hat daran, zu entscheiden, welche Forschung Menschen an deutschen Universitäten überhaupt noch machen können.
Und an dieser Forschungsfinanzierung über Projekte und natürlich auch über sogenannte Drittmittel gibt es seit langem erhebliche Kritik.

Naja, Forschende können nicht mehr nach wissenschaftlichen Kriterien entscheiden. Das ist die Kritik, der Vorwurf, sondern die Politik entscheidet, was finanziert und demnach auch erforscht werden soll.
Ist halt unter dem Gesichtspunkt Wissenschaftsfreiheit, also die Wissenschaft entscheidet, was sie forscht, wie sie forscht und wie lange sie an irgendwas forscht und zu welchen Themen sie forscht, das ist halt damit, ich will nicht sagen untergraben, aber das zumindest in Frage gestellt, weil die Politik, die Bundespolitik halt maßgeblich mitentscheidet, wofür Geld ausgegeben wird.

Man muss natürlich fairerweise sagen, diese, diese Organisationen, die dazwischengeschaltet sind, sind natürlich häufig auch wissenschaftliche Fachgesellschaften. Das heißt, da sitzen dann in diesen Gremien keine Politiker, sondern typischerweise selbst Professorinnen und Professoren, die dann hoffentlich nach wissenschaftlichen Kriterien entscheiden. Aber die wissen natürlich auch, wo das Geld herkommt.
Und, also es ist hier die große Sorge bei dieser Form der mittelbar politischen Forschungsförderung ist eben, dass da Einfluss genommen wird. Also mit anderen Worten, ihr seht schon, das ist einfach ein sensibles Feld.
Und die Wissenschaftslandschaft in Deutschland ist sowieso an dieser Stelle sehr dünnhäutig, weil man natürlich eigentlich sich vorstellen würde, dass die Universitäten einfach Geld bekommen und dann die dort tätigen Forscherinnen und Forscher selber entscheiden, was sie aus einer wissenschaftlichen Perspektive gerne erforschen wollen.

So, und diesen Hebel, den wollte die Leitung des Ministeriums nun in die Hand nehmen und hat halt intern den Auftrag erteilt, Mensch, lass doch mal prüfen, ob wir den Leuten, die das da unterschrieben haben, nicht Forschungsgelder streichen oder wenigstens kürzen können. Und die Fachabteilungen, die dann diesen Prüfungsauftrag bekommen haben, die haben das ziemlich schnell inhaltlich abgeräumt. Das kann man nachlesen in diesem E-Mails Wechsel, den der NDR veröffentlicht hat.
Also da kamen halt diese Fachabteilungen schnell zu dem Urteil, also strafrechtlich ist dieser offene Brief nicht angreifbar. Von Volksverhetzung usw. ist da keine Spur. Der Brief ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, das wurde ziemlich schnell klar. Außerdem habe das Bundesministerium, so heißt es in den E-Mailss dieser Fachabteilung, unabhängig vom Ergebnis einer rechtlichen Prüfung keine unmittelbare Handlungs- bzw. Einflussmöglichkeiten in disziplinarrechtlicher Hinsicht.

Also man konnte da auch kein Disziplinarverfahren eröffnen. Warum? Menschen, die an Universitäten beschäftigt sind, sind eben Beamtinnen und Beamte oder Angestellte der Länder, weil Bildung und Forschung ja eigentlich auch Ländersache ist in Deutschland. Das heißt also, wenn da überhaupt Disziplinarverfahren hätten eröffnet werden können, dann eben nach Landesrecht. Aber auch dazu bestand überhaupt kein Anlass, weil dieser Brief ja völlig in Ordnung war.
Also die Idee des Bundesforschungsministeriums war rechtlich ziemlicher Käse, aber der Prüfauftrag macht schon deutlich, welcher Geist offenbar in dieser Hausleitung herrscht. Ein Prof ist anderer Meinung als die Ministerin? Da schauen wir doch mal, ob wir nicht den Hahn zudrehen können.
So frei nach dem Motto: einen schönen Lehrstuhl haben Sie da, aber Projekte mit Forschungsgeldern, die mehr oder weniger aus dem Topf des Bundesforschungsministeriums kommen, die können Sie jetzt leider nicht machen und Stellen, ja, also sorry, das sieht auch ganz schlecht aus.

Und man kann sich diesen E-Mails Wechsel wie gesagt aus dem Ministerium durchlesen. Haben wir verlinkt, hat der NDR verlinkt, hat der NDR veröffentlicht. Und in diesen E-Mailss wird halt deutlich, die Abteilungen kritisieren diese Prüfaufträge inhaltlich. Sie sagen, das ist inhaltlich Quatsch, sie sind auch nicht zuständig. Aber ich habe so ein bisschen vermisst, dass da einer mal schreibt, Leute, das können wir nicht machen. Hier geht es um Wissenschaftsfreiheit.
Und weil der Hausleitung ein bestimmter Brief nicht gefällt, können wir nicht anfangen zu prüfen, ob wir diesen betreffenden Forschern und Forscherinnen die Fördermittel streichen. Das geht einfach nicht. Diesen Satz habe ich dann ein bisschen vermisst, muss ich ehrlich sagen.

Also man muss fairerweise sagen, wir haben natürlich jetzt nicht die komplette Kommunikation auf dem Tisch. Der NDR hat bestimmte E-Mailss veröffentlicht. Jetzt mal so als kleine Ehrenerklärung für die Menschen in dem Ministerium. Vielleicht haben die es auch einfach für pragmatisch gehalten, sich quasi auf diese letztlich politische Ebene nicht zu begeben, weil die Hausleitung ja offensichtlich anderer Meinung war und haben das einfach rechtlich durchgeprüft.
Und weil es schon rechtlich Bullshit war, was die Hausleitung sich da vorgestellt hat, haben sie dann gesagt, müssen wir zu dieser politischen Zielfrage-

Grundsätzlichen Sache.

Letztlich nichts mehr sagen. Aber gut, ich hoffe, ich hoffe mal und erwarte das auch von den Menschen, die da in diesem Haus arbeiten, dass die selbstverständlich beim Lesen der E-Mails umgefallen sind und sagten, what the fuck. Und dafür spricht ja auch einiges.

Dafür spricht einiges und das ist auch so ein bisschen der Ton also in diesen E-Mails. Ich habe es jetzt nicht nochmal vor Augen, aber da stand so was drin, so, ich bin ehrlich gesagt etwas irritiert über diese Anfrage. Solche Wortwahl kommt da drin vor.

Ja, und es gibt zum Beispiel auch so Bemerkungen, wo man so sieht, dass die Leute, die da antworten, ganz viele Leute beteiligen. Und das ist ja so in einem Ministerium quasi die klassische Strategie, politisch heikle Dinge auf möglichst viele Schultern zu verteilen und insbesondere auch nach oben zu melden. Das heißt dann immer so schön, melden macht frei. Wenn man als Referent nix sagt, dann ist man am Ende selbst
verantwortlich. Aber sobald man nach oben sagt, also hier, da gibt es aus meiner Sicht Probleme, dann ist man letzten Endes nicht mehr verantwortlich für die Folgen. Und das, finde ich, spürt man schon zwischen den Zeilen, dass sie das jetzt nicht cool fanden. Aber im Ministerium ist natürlich auch
schwierig. Wenn du da einfach nur sagst, liebe Hausleitung, habt ihr noch alle Latten am Zaun, dann bist du natürlich auch schnell von der Umsetzung betroffen und musst dann vielleicht in der Abteilung Z Papier einkaufen.

Hier steht das. "Liebe Referatsleitung", heißt es in der E-Mail vom 13.05. "Ich bin zugegebenermaßen etwas irritiert über Ihre Prüfbitte".

Das ist, also für Ministeriumsspeak ist das schon "What the fuck?" Also das muss man ganz ehrlich sagen, das ist, viel deutlicher kann man es ja kaum noch schreiben. So. Also da muss man glaube ich fair bleiben.

Da muss man fair bleiben.

Die Arbeitsebene ist nicht das Problem.

Haste auch eingeordnet. Genau. Und dementsprechend groß ist natürlich jetzt die öffentliche Empörung und vor allen Dingen auch die Empörung im Wissenschaftsbetrieb.

Über die Hausleitung!

Über die Hausleitung und über diese Prüfbitte. Und jetzt gibt es mittlerweile einen offenen Brief, der mittlerweile Stand heute von über 3000 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unterschrieben wurde, der den Rücktritt oder indem der Rücktritt der Ministerin gefordert wird mit der Begründung, diese Prüfbitte sei ein bisher nicht dagewesener Angriff auf die Grundrechte der betreffenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Stark-Watchinger sei als Ministerin nicht mehr tragbar aus drei Gründen. Erstens, die Prüfung dienstrechtlicher Sanktionen obliegt den Ländern als Dienstherren von Professoren und Professorinnen. Okay. Zweitens, das Strafrecht gehört nicht zum Zuständigkeitsbereich des Ministeriums, Okay. Und drittens, die avisierte Rücknahme von Förderbescheiden widerspricht allen Prinzipien der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit. Das ist, das sind die drei Forderungen, oder bzw.
die drei Kritikpunkte. Haben wir oben erläutert.

Also die ersten beiden finde ich persönlich jetzt nicht so mega überzeugend. Ja, okay, sie sind nicht so ganz zuständig. Das ist natürlich richtig, aber eine strafrechtliche Prüfung, finde ich, macht schon Sinn aus Sicht des Ministeriums auch. Denn wenn das jetzt wirklich strafrechtlich relevant gewesen wäre, hätte das Ministerium schlimmstenfalls auch eine Strafanzeige erwägen können. Also es ist ja nicht grundsätzlich verboten, auch als Ministerium so ein Mittel einzusetzen.
Aber der dritte Punkt, also diese, die, quasi die Rücknahme von Förderbescheiden. Das ist aus meiner Sicht der ganz zentrale Punkt, weil man einfach sieht, missliebige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen auf Nulldiät gesetzt werden. Das geht nicht und das muss man einfach sehen vor dem Hintergrund dieser ohnehin aufgeheizten Debatte über die Probleme, die diese Projektförderung und diese Drittmittelforschung mit sich bringt.

Und was ist die Folge? Die Ministerin selber sagt tagelang erst mal gar nichts, und dann schickt sie für viele doch überraschend ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den vorzeitigen Ruhestand. Sprich, sie entlässt sie. Also das ist dann, wenn ich das richtig gesehen habe, schon die dritte Staatssekretärin, der dritte Staatssekretär, der in zweieinhalb Jahren seinen Dienst quittiert.

Damit wird dieser Posten als Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung zu so einer Art Schleudersitz. Und das spricht auch einfach so ein bisschen für die Kultur in diesem Haus, wenn man da ständig seinen wichtigsten Mitarbeiter/seine wichtigste Mitarbeiterin rausschmeißt.

Eigentlich stellvertretend. Und Stark-Watzinger sagt zur Begründung, durch den Prüfauftrag, ob den Unterzeichnern eines propalästinensischen Protestbriefs Forschungsgelder entzogen werden können, sei unter Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ein Vertrauensverlust in das Bundesministerium für Bildung und Forschung entstanden.

Das immerhin spricht für einen gewissen Realitätsbezug. Denn das kann man sagen. Der Vertrauensverlust ist real.

Und klar ist auch, diesen Prüfauftrag hat es geben. Also darüber gibt es überhaupt keinen Dissens. Sie selbst, die Ministerin selbst, habe den Prüfauftrag jedoch "nicht erteilt und auch nicht gewollt". Stark-Watzinger hat eingeräumt, dass eine Prüfung potenzieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde, so, das ist also unstrittig. Sie habe erst nach der Veröffentlichung des NDR Berichts überhaupt von dem Prüfauftrag
erfahren. Einen eigenen Rücktritt schloss sie aber bisher aus. "Dazu sehe ich keine Veranlassung". Ja, das war so der Stand vor einigen Tagen. Jetzt teilt das Ministerium ein bisschen detaillierter mit, es habe zwei Prüfaufträge gegeben. Einmal den, können wir denen Fördermitteln kürzen und einmal denen, haben die sich eigentlich strafrechtlich relevant verhalten. So, und jetzt differenziert das
Ministerium. Vom ersten Auftrag, also sollen wir Fördermittel kürzen, habe Stark-Watzinger erst am 11. Juni, also nach der Veröffentlichung beim NDR, erfahren. Die rechtliche Prüfung, also haben die sich strafrechtlich irgendwie relevant verhalten, die sei bereits in einer Telefonkonferenz am 17. Mai Thema gewesen, an der Stark-Watzinger teilgenommen habe.
Ergebnis der Einordnung sei damals schon gewesen, dass sich der Inhalt des offenen Briefs im grundrechtlich geschützten Bereich der Meinungsäußerung bewegt. Nun wird differenziert. Strafrechtliche Prüfung hat sie doch nun auf einmal doch gewusst. Von der Prüfung, sollen wir Fördergelder streichen? Da hat sie angeblich erst durch den Bericht des NDR erfahren.

Das ist insofern interessant, als diese E-Mail mit dem Prüfauftrag beide Themen enthält. Jedenfalls die E-Mail, die der NDR veröffentlicht hat. Ob das die einzige ist, wissen wir natürlich nicht, aber jedenfalls da ist von beidem auf quasi einem Blatt Papier die Rede. Na also, so wird sich da raus laviert. Da kann man natürlich fragen, Phillip, ist damit alles gut? Staatssekretärin gefeuert. Ministerin wusste nicht so ganz, was in ihrem Haus passiert.

Also, wenn's nach der Ampel geht, würden die das glaube ich, sehr gern sehr schnell beerdigen. Die FDP stützt Stark-Watzinger, ihre Ministerin. Es ist halt die einzige Frau, die die FDP in die Regierung geschickt hat. Sie sitzt auch mit im Vorstand. Sie kommt aus einem Wahlkreis, in dem die FDP, glaube ich, 17 % oder so was eingefahren hat, weil dort glaube ich auch sehr wohlhabende Leute wohnen. Also niemand in der FDP hat irgendwie ein Interesse daran, jetzt diese Frau zu stürzen.
Und ich glaub, der Rest der Ampel sagt, Leute, wir haben genug Baustellen, wir haben genug Ärger. Bitte lasst uns jetzt das Ding nicht auch noch eskalieren.

Deswegen, Grüne und SPD schweigen die Sache letztlich tot. Da sagt man so hinter den Kulissen, sie habe ja, also Frau Stark-Watzinger habe doch Konsequenzen gezogen, das passe schon. Auch die Opposition nimmt inzwischen Druck raus. Thomas Jarzombek zum Beispiel, ehemaliger Netzpolitiker, daher kenne ich ihn, jetzt bildungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sagt "Ministerin Stark-Watzinger hat die ganze Wissenschaftscommunity in Aufruhr
gebracht. Sie muss jetzt Transparenz schaffen und daran arbeiten, das Vertrauen wiederzugewinnen". Das klingt jetzt auch nicht direkt nach einer Rücktrittsforderung.

Richtig. Und die Frage ist natürlich, wie sehen wir das? Und alles gut? Fragezeichen? Ich würde denken, eher nein. Also es gibt keinen Beweis. Stand heute, dass die Ministerin diesen Prüfauftrag gegeben hat Leute, können wir diesen Professoren nicht die Fördergelder kürzen? Der steht aus. Die Frage-.

Smoking Gun.

Die Smoking Gun, die fehlt. Die Behauptung ist strafrechtlich. Ja, weiß ich. Aber von dieser Prüfung können wir Fördergelder kürzen. Habe ich erst durch den NDR Bericht erfahren. Und das ist so ein bisschen die Frage, soll man das glauben? Ich meine, Stark-Watzinger hat sich am 8. Mai schon direkt nach der Räumung in der Bild hingestellt und die Verfassungstreue dieser Unterzeichnenden angezweifelt.
Das hat sie öffentlich schon getan und einige Tage später soll es mindestens ihre Stellvertreterin gewesen sein, die eine Prüfung anschiebt, die darauf hinausläuft, zu gucken, sage mal können wir denen nicht Fördergelder kürzen? Und Stark-Watzinger hat vorher schon strafrechtliche Prüfungen angeschoben und davon gewusst. Und ausgerechnet von dieser Prüfung, die ihre Stellvertreterin jetzt angeschoben hat in derselben Causa soll die Ministerin nichts gewusst haben. Also, schwierig.
Und es bleiben halt, und deswegen hat Jarzombek auch recht, es bleiben halt auch noch wahnsinnig viele Fragen offen. Die SZ hat die aufgelistet. Zum Beispiel war oder ist die Ministerin der Meinung, dass die Dozenten und Dozentinnen, die diesen offenen Brief verfasst haben, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen? Das ist eine Frage, der ist sie bisher ausgewichen.
Eine weitere Frage, gab es keine Kontrollmechanismen in dem Haus, die den Alleingang, wenn es denn wirklich einer war, der Staatssekretärin hätten verhindern können? Und wie kann es sein, dass das Ministerium den Journalisten und Journalistinnen des NDR eine Stellungnahme für deren Bericht schickt und die Ministerin davon nichts weiß? Das ist ja auch noch ein Punkt. Der NDR hat natürlich angefragt, warte mal, wir haben ja diese E-Mails. Was sagt ihr denn dazu?
Dann schickt das Haus eine Stellungnahme und die Ministerin will davon nichts gewusst haben?

Also das klingt jetzt alles nicht so wahnsinnig plausibel. Na, da wartet man eigentlich nur darauf, dass jetzt irgendwie der Beweis hochpoppt, der sie hier der Lüge überführt. Dann wäre sie natürlich nicht mehr zu halten. Klassischer Fall, wer irgendwie bei der Aufarbeitung eines Skandals dann auch noch lügt der stürzt dann endgültig. Ich finde, vor allem bleibt so ein bisschen bisher aus dem Blick, dass es im politischen Raum natürlich auch einen anderen Verantwortungsmaßstab
gibt. Also vor Gericht müsste man natürlich beweisen, tatsächlich, sie hat gelogen oder sie wusste von dem Prüfauftrag. Aber politisch ist die Sache ja eine ganz andere. Alleine schon öffentlich zu bezweifeln, ob Wissenschaftler auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, weil sie die Räumung eines Protestcamps kritisieren, geht zu
weit. Also aus meiner Sicht wäre schon das Statement in der BILD ein so grober Fehlgriff, dass sie zurücktreten müsste, weil es einfach ein fundamental falsches Verständnis von Wissenschaftsfreiheit dokumentiert. Der Job der Bundesministerin für Bildung und Forschung ist es, Wissenschaft gegen Eingriffe zu verteidigen und nicht Wissenschaft zu zensieren. Und dann muss man sehen, gibt es eben diesen Prüfauftrag, der inhaltlich skandalös ist.
Und jeder einzelne Mensch in diesem Ministerium muss wissen, wie heikel ist aus der Perspektive der Wissenschaftsfreiheit ist, dass überhaupt ein Ministerium, teils mittelbar, so viel Fördergelder verteilt. Viele sehen schon alleine darin, in diesen Strukturen, massive Einschränkungen und politische Eingriffe. Und dann soll diese Daumenschraube noch benutzt werden, um politisch missliebige Statements zu bestrafen? Da muss jeder in dem Haus wissen, dass das überhaupt nicht geht.
Und wenn das in diesem Haus passiert, und zwar nicht vom Praktikanten, sondern von der Staatssekretärin, dann ist letztlich auch ganz egal, was Frau Stark-Watzinger wusste, dann hat sie nämlich ihren Laden nicht im Griff. Politisch haftet sie auf jeden Fall für diesen groben Fehler ihrer Staatssekretärin. Und da, finde ich, kann man nicht einfach sagen, ja, sorry, dieses kleine Detail in Anführungsstrichen, das habe ich nicht auf dem Zettel
gehabt. Deswegen sehe ich keine Veranlassung, Konsequenzen zu ziehen. Das kann es nicht sein.

Stattdessen schmeißt sie jetzt ihre Staatssekretärin vor den Bus und schickt sie in den Ruhestand, entlässt sie de facto und will damit die Sache beenden. Also ich würde eher denken, wenn es um die Frage geht, wer hier auf dem Boden des Grundgesetzes steht, dann richtet sich die Frage weniger an diese Wissenschaftler, die diesen Brief unterschrieben haben, sondern eher an die Ministerin und ihr Haus.

Ganz genau. Das müsste das Ende ihrer Karriere sein. Jedenfalls mal für irgendwelche Jobs im Bereich Bildung und Forschung. Aber ich glaube, letzten Endes läuft es wie so häufig darauf hinaus. Was sagt eigentlich der Bundeskanzler? Ich meine, der ist immerhin dafür verantwortlich, zu entscheiden, wer bei ihm am Kabinettstisch sitzen darf. Grundsätzlich entscheidet jede Partei, wen sie entsendet ins
Kabinett. Klar, das regelt jeder Koalitionsvertrag so, aber der Kanzler hat natürlich die letzte Entscheidung, wer da am Tisch sitzen darf. Was sagt Olaf Scholz dazu?

Gar nichts. Er schweigt. Wir haben es ja schon oft erwähnt, welche Bedeutung die Menschen von euch haben, die bei uns einen Plus Abo geklickt haben. Ihr seid die Stütze dieser ganzen Unternehmung. Ihr habt uns in schweren Zeiten durch Krisen gebracht und ihr seid einfach auch was die Finanzierung angeht, die Basis von dieser Unternehmung. Und deswegen ist es mal wieder Zeit, Danke zu sagen.

Genau. Wir möchten uns bedanken bei den Menschen, die dieses Projekt Lage der Nation tragen. Und deswegen starten wir eine unserer beliebten Verlosungen. Also unter allen, die ein Plus Abo haben, am Stichtag 15. Juli mittags um 15:00, 15. Juli, 15:00, verlosen wir ein aktuelles iPad Pro und zwei Paare Airpods. Es gibt also was zu gewinnen. Gewinne, Gewinne, Gewinne bei der Lage der Nation.

Also wer noch kein Abo hat, der kann das sich bei dieser Gelegenheit klicken unter lagedernation.org/plus. Und wer also am 15. Juli um 15:00 so ein Plus Abo besitzt, der nimmt teil an dieser Verlosung. Der ist im Topf, der ist im Topf oder die ist im Topf und kann ein aktuelles iPad Pro gewinnen und zwei aktuelle Airpods.

Genau da gehen dann am 15. Juli die E-Mails raus an die glücklichen Gewinnerinnen und Gewinner. Die fragen wir nach ihrer Anschrift und dann bekommen sie ein Päckchen von uns.

Wir haben es ja letzte Woche hier schon bei der, nach der Europawahl angesprochen, da gab es diese Deutschlandkarte von der ganzen Bundesrepublik, die aber letztlich nur von zwei Farben bestimmt war. Der Westen war schwarz oder ist schwarz und der Osten ist blau. Sprich die AfD hat im Osten fast in allen Landkreisen die meisten Stimmen bekommen.

Und diese Karte der EU Wahl hat uns nicht losgelassen. Wir haben uns gefragt, warum wählen eigentlich Osten und Westen nach wie vor so unterschiedlich? Und diese Unterschiedlichkeit wird auch durch eine neue Umfrage zur Landtagswahl in Thüringen gestärkt.
Danach nämlich würden AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht zusammen bei fast 50 % der Stimmen landen, während die Ampelparteien zusammen nur auf etwa 13 % bei der Landtagswahl in Thüringen kommen würden, wenn die jetzt Sonntag schon stattfände. Und ich meine, das sind natürlich auch völlig andere Zahlen, als sie bei Landtagswahlen im Westen zustande kommen. Und wir haben uns wie gesagt gefragt, warum wählen Osten und Westen so unterschiedlich?
Hatten euch auch um Studien gebeten und möchten uns an dieser Stelle herzlich bedanken für die zahlreichen E-Mails und Vorschläge. Da waren total spannende Informationen, Einblicke, Perspektiven dabei und wir haben uns das alles mal angeguckt. Und wir finden so wissenschaftlich am belastbarsten und eben auch einschlägig zur Erklärung dieses unterschiedlichen Wahlverhaltens sind vor allem drei Studien aus der letzten Zeit und die möchten wir euch mal kurz vorstellen.

Richtig, genau. Es kam ja noch andere, aber das scheinen mir so die drei zu sein, die da am frischesten sind und zu der Frage so am meisten beitragen, gibt es natürlich immer noch andere. Aber wie gesagt, das scheinen so diese zu sein, die man sich da zumindest mal angeschaut haben sollte.

Und ich finde es auch einfach wichtig, dass man da mal so ein bisschen auf die Empirie guckt, einfach weil ja in der Politik jetzt wieder bunt spekuliert wird. Ja, also alle möglichen Erklärungen werden da gehandelt. Jeder hat das so seine ganz eigenen Vorstellungen und wir dachten uns, ja, okay, das ist ja legitim, dass Politiker:innen Wahlergebnisse in ihrem Sinne interpretieren.
Aber es ist doch einfach spannend, mal zu schauen, was lässt sich denn eigentlich da mit den Methoden der empirischen Sozialforschung ermitteln?

Ja, richtig. Vor allen Dingen, weil das natürlich kein neues Phänomen ist, keine neue Fragestellung. Aber wir saßen eben auch vor dieser Karte und dachten, haben wir dafür eine Erklärung? Nicht wirklich. Und deswegen haben wir da euch auch gefragt, gebeten, schickt mal rüber, wenn es da was gibt. Und das ist zum Ersten ein Fachartikel von Maria Pesthy, Matthias Mader und Harald Schoen mit dem Titel "Why is the AfD so Successful in Eastern Germany?
An Analysis of the Ideational Foundations of the AfD Vote in the 2017 Federal Election. Also warum ist die AfD so erfolgreich in Ostdeutschland? Eine Analyse der ideellen oder ideologischen Fundamente für die AfD Abstimmung bei der Bundestagswahl 2017.

Also die Daten stammen aus dem Wahlkampf Panel der German Longitudinal Election Study. Darin haben über 18.000 Menschen teilgenommen.

Online. Die mussten halt online Fragen beantworten, auch mehrmals Fragen beantworten. Und die Autoren sagen auch, ja, das ist nicht repräsentativ, das Ergebnis. Aber wir haben das an dem Ergebnis des Mikrozensus sozusagen gewichtet. Also wir haben andere Daten dagegengehalten, um es so kind of repräsentativ für die Bundesrepublik zu machen.

Und das geht also das ist jetzt nicht Voodoo, sondern das ist, es ist tatsächlich eine anerkannte statistische Methode, dass man halt quasi sich so ein bisschen anschaut, wie antworten bestimmte Gruppen der Bevölkerung normalerweise. Und dann schaut man an, wer hat hier mit abgestimmt? Wenn man also zum Beispiel sieht, hier sind einfach doppelt so viele Menschen zwischen 20 und 30 als normal, dann kann man diese Ergebnisse entsprechend gewichten.
Das heißt also nicht repräsentativ, aber ganz nah dran, das kann man schon sagen. Und die Forscher sagen außerdem, insbesondere sind AfD Wählende in diesem Panel in Ost und West nahezu gleich verteilt wie in der Realität. Und deswegen hat uns mal interessiert, auf welche, zu welchen Ergebnissen die so kommen.

Richtig. Also die Frage ist, warum hat die AfD im Osten so viele Stimmen? Und die eine Erkenntnis ist, unter den Ostdeutschen gibt es laut dieser Studie ein höheres Niveau an nativistischen und populistischen Einstellungen.

Worum geht es bei nativistisch und populistisch? Beide Konzepte verbindet, dass sie jeweils aufbauen auf einem Konzept von Ingroup und Outgroup. Also Ingroup, das sind quasi wir. Ingroup sind die Menschen, die von den Leuten, die da abstimmen, betrachtet werden als die gehören zu uns. Und dann gibt es die Outgroup, das sind quasi die anderen. Und dahinter steht das sogenannte sozialpsychologische Phänomen des Othering.
Also Menschen sind ja nicht von alleine die anderen, sondern man muss das immer nach bestimmten Kriterien entscheiden. Und das ist eine oft auch unbewusste Zuschreibung, also wer jetzt dazugehört und wer nicht dazugehört, das ist ein, quasi ein unbewusster Prozess, wo Menschen entscheiden, das ist die Ingroup, das ist die Outgroup, das sind wir, das sind die anderen.

Richtig. Und dabei unterscheiden sich Populismus und Nativismus aber auf zwei, wie ich finde, ganz interessanten Arten und Weisen. Also Populismus unterteilt die Gesellschaft da eher vertikal. Also es gibt uns, wir hier unten, das Volk und die, die anderen, die nicht dazugehören, die da oben, also das homogene reine Volk gegen die meist als korrupt bezeichnete Elite
da oben. Und hinter dieser populistischen Idee steht also die Idee eines Volkswillens, also die Auffassung, da gibt es ein Volk, das hat ein Willen, ist einer Auffassung und ziemlich homogen. Und dieser Willen, der muss eben umgesetzt werden.

Und das ist, das ist, wenn man das mal konzeptuell betrachtet, ist das einfach eine völlig naive Vorstellung, die mit einer pluralen Gesellschaft, wo Menschen völlig unterschiedliche Auffassungen haben, nicht vereinbar ist. Also im Grunde verleugnet diese Sicht auf die Welt von vornherein, dass es eben diesen einheitlichen Volkswillen selbstverständlich nicht gibt. Das ist ja gerade der Witz in modernen Gesellschaften.

Richtig. Und diese Vorstellung gibt es auch bei den Linken. Aber die Rechten würzen Populismus eben auch mit Nativismus.

Nativismus wiederum unterteilt die Gesellschaft eher horizontal. Also wir hier drinnen, ihr da draußen. Und die Idee dabei ist und das macht den Nativismus, sagen wir mal zu so einem engen Verwandten auch von rassistischen Vorstellungen. Die Idee ist, unser Land wird eigentlich quasi bewohnt von einer nativen Gruppe. Manche sprechen auch von autochthonen Gruppe. Das sind die Menschen, die reingehören und alle nicht nativen Elemente, alle die nicht so richtig reingehören.
Die gefährden die Einheit und die machen uns quasi den homogen Nationalstaat kaputt. Und Nativismus ist häufig so eine Kombination aus Ethnonationalismus/Rassismus und einer offenen Angst vor allem was fremd ist.

Und diese beiden Phänomene, Populismus und Nativismus, die gibt es in der ganzen Bundesrepublik, im Westen wie im Osten. Aber es gibt doch einen erheblichen Unterschied zwischen Ost und West, nämlich was die Ausprägung und die Häufigkeit und die Dominanz dieser Phänomene angeht. Nativismus ist laut dieser Studie im Osten deutlich dominanter, stärker vertreten, unter anderem mit der Begründung, na ja, im Osten gibt es, gab es deutlich weniger Migranten und Migrantinnen.
Es gibt also, gab und gibt, gab und gibt natürlich, in der DDR gab es natürlich so ein paar Vertragsarbeiter und -arbeiterinnen aus Mosambik und Vietnam, aber die waren in der Regel ziemlich abgeschottet und nicht sehr präsent und insgesamt war die Zahl auch sehr gering. Also da gab es wenig, argumentieren sie, positive interkulturelle Erfahrungen mit Migranten und Migrantinnen.
Die Homogenität war in der DDR und im Osten so die Norm und Migranten wurden häufiger eben dann auch als Bedrohung dieser Norm empfunden.

Außerdem ist auch das viel weniger ausgeprägt, was man im westdeutschen Diskurs als Verfassungspatriotismus bezeichnet. Also in Westdeutschland sind ja viele Menschen einfach stolz darauf, dass wir ein Grundgesetz haben, das einen bestimmten Wertekanon vorgibt und so und das gab es natürlich einfach in der DDR so einfach nicht.
Und deswegen zieht die Idee einer nationalen Identität, die letztlich ethnisch begründet ist, ja, die Weißen gehören dazu, im Osten viel eher als die Werte des Grundgesetzes ziehen. Das hat sich einfach offensichtlich im Osten noch nicht so durchgesetzt, dass man eben nicht nur stolz ist darauf, wer dazugehört, sondern dass man auch darauf stolz sein kann, dass wir ein freiheitliches Land sind und ein Rechtsstaat. Dieser Verfassungspatriotismus, der zieht im Osten bisher nicht so sehr.

Nicht so sehr wie im Westen. Das ist der eine Grund, warum nativistische Vorstellungen im Osten dominanter und häufiger vertreten sind als im Westen. Warum sind populistische Vorstellungen im Osten ein bisschen häufiger vertreten als im Westen? Na ja, das hängt, sagen die Studienautoren, unter anderem mit dem Demokratiebild der DDR zusammen, also mit der Vorstellung von Demokratie, die in der DDR vermittelt wurde.
Da gab es in der, das war ja auch keine Demokratie, aber das, was dort als Demokratie gezeichnet wurde, war eben geprägt von einem homogenen Volk aus Arbeitern und Bauern. Und es gab eben einen angeblich behaupteten existierenden Volkswillen, der eben aus diesem Volk der Arbeiter und Bauern erwächst.

Und deswegen brauchte es nämlich, das war der eigentliche, die eigentliche ideologische Fundierung der Einparteienherrschaft der SED war ja der fiktiv einheitliche Volkswille. Also die Idee war ja gerade, die SED repräsentiert das, was das vermeintlich einheitlich tickende Volk denkt.
Und deswegen war man so wahnsinnig allergisch dagegen, dass es natürlich auch in der DDR so was wie Skinheads und Neonazis gab, deswegen, weil man so wahnsinnig allergisch gegen Opposition war, weil das halt diese Fiktion des einheitlichen Volkswillens in Frage
stellte. Aber diese Fiktion, dass man, dass es einen einheitlichen Willen gebe, der im Grunde von allen geteilt wird, diese, diese Denkstruktur dahinter, die ist offensichtlich in vielen Köpfen östlich der ehemaligen innerdeutschen Grenze noch sehr präsent.

Und als zweites Element, das diese populistischen Vorstellungen stärkt, kann gesehen werden, dass der erfolgreiche Widerstand gegen das DDR Regime eben auch die Vorstellung von einer korrupten Elite zu bestätigen scheint. Also, wir sind das Volk war ja der Ruf '89, mit denen die Leute ja zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen sind, um sich eben gegen diese Elite, gegen diese DDR Elite, gegen das Regime zu wehren und aufzustehen.
Und am Ende war dieser Aufstand gegen eine ja tatsächlich korrupte Elite auch erfolgreich. Und das sind so Sachen, die einzahlen auf dieses populistische Bild. Es gibt das Volk mit einem einheitlichen Willen. Wenn das Volk gemeinsam gegen diese korrupte Elite aufsteht, dann kann es Erfolg haben und das war in der Zeit ja sogar auch legitim.

Fazit also dieser Studie: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass ostdeutsche und insbesondere ältere Ostdeutsche sowohl Populismus als auch Nativismus in höherem Maße aufweisen als ältere Westdeutsche. Darüber hinaus machen zwar sowohl Populismus als auch Nativismus die Wahl der AfD in beiden Teilen des Landes wahrscheinlicher, aber Ostdeutsche verlassen sich stärker auf ihre Einstellung zum Nativismus, als dies bei Westdeutschen der Fall ist".
Mit anderen Worten, wir haben hier bestimmte ideelle Grundlagen, so quasi so grundsätzliche Vorstellungen von Staatlichkeit und wie so eine Demokratie zu laufen hat. Und die tragen auf jeden Fall was zur Erklärung bei, wieso die AfD im Osten so große Wahlerfolge feiert. Sie können aber die Unterschiede zwischen Ost und West nicht vollständig erklären.

Sagen diese Studienautoren und -autorinnen selber. Das ist ein Teil der Erklärung, aber nicht alles. Und ein weiteres Puzzlestück für diese Erklärung, warum ist die AfD im Osten so erfolgreich, liefert eine weitere Studie. Geschrieben, verfasst von Philip Manow und Hanna Schwander. Die Studie heißt eine differenzierte Erklärung für den Erfolg der AfD in West- und Ostdeutschland.

Und die wichtigste Ursache nach dieser Studie, und das wiederum hatten wir in der Lage schon verschiedentlich angesprochen, aber vielleicht nicht in dieser wunderbaren wissenschaftlichen, definitorischen Stärke. Die wichtigste Ursache für Populismus und AfD Wahlentscheidung insbesondere ist danach Statusangst. Und das Wichtigste ist, es geht um Statusangst, nicht um den konkreten Status. Also wichtig ist dabei, es geht um ein Gefühl, nicht die objektive wirtschaftliche Lage ist entscheidend.
Also vielen Menschen, die die AfD wählen, geht es gar nicht so schlecht, sondern die empfundene wirtschaftliche Lage und die Sorge, dass die eigene Situation gefährdet sei. Deswegen eben nicht Status, sondern Statusangst. Und ganz wichtig für die Ausprägung, also warum entwickeln Menschen eine solche Angst, an Status zu verlieren, ist die Erfahrung eines "relativen
Niedergangs". Das heißt also, haben diese Menschen in ihrem Leben schon mal eine, notfalls auch rein subjektive Erfahrung gemacht, dass es abwärts geht? Diese Erfahrung eines relativen Niedergangs scheint entscheidend zu sein, dass Menschen Statusangst ausbilden. Und deswegen trifft Statusangst auch insbesondere Wähler aus der Mittelschicht.

Richtig. Und relativer Niedergang heißt halt nicht absoluter Niedergang. Also man ist jetzt nicht schon abgestürzt.

Also nicht Hartz IV oder Bürgergeldempfänger.

Nicht Hartz IV, sondern wie auch immer man das auch definiert, aber wirtschaftlich noch nicht komplett abgestürzt, sondern man bewegt sich in einem Bereich, wo man die Angst haben kann oder muss oder die Leute das haben, dass man das tut. Denn interessant ist, dass diese Statusangst nicht so sehr die tatsächlichen Modernisierungsverlierer und -verliererin zeigen, die schon abgestiegen sind.

Zitat aus der Studie: "Es sind zumindest nicht durchgängig diejenigen am Rande des Arbeitsmarkts, die sich dann auch an den Rändern des politischen Spektrums verorten". Ich meine, das ist keine völlig neue Erkenntnis, aber es lohnt sich dann noch mal darauf hinzuweisen. Die AfD wird also nicht unbedingt nur von Menschen gewählt, die tatsächlich echt verloren haben, die jetzt vielleicht Bürgergeld empfangen, sondern die AfD wird gerade auch in der Mittelschicht gewählt.
Und weiteres Zitat aus der Studie:

"Mit dem wachsenden Erfolg von rechtspopulistischen Parteien scheinen selbst Wählerinnen mit mittlerem Bildungsniveau von diesen Parteien angezogen zu werden, so dass sich aus der Zugehörigkeit zur Arbeiterschicht keine Unterstützung vorhersagen lässt. Im Gegenteil Menschen ganz unten wählen überdurchschnittlich häufig eben gar nicht".

Sondern diejenigen, die noch was zu verlieren haben, bilden diese Statusangst aus. Und diese Statusangst ist entscheidend für die Wahlentscheidung für die AfD und nicht tatsächlich so eine Art Verliererstatus. Aber, und jetzt kommen wir wiederum zu dieser Frage Ost West Unterschiede. Diese Statusangst, die es in beiden Teilen Deutschlands gibt, die habe aber, so die These der Studie, in beiden Teilen des Landes unterschiedliche Ursachen.

Um diese Unterschiede zwischen Ost und West zu beschreiben, verwenden die Autorinnen zur Beschreibung der relevanten Gruppen zwei Begriffe, die man mal kurz erklären muss. Das eine ist der Begriff Arbeitsmarktinsider. Das sind also Menschen mit relativer sozialer Sicherheit, zum Beispiel Beschäftigte im normalen Arbeitsverhältnis, das heißt also in unbefristeter Vollanstellung. Und es gibt dann die Arbeitsmarktoutsider.
Sind also Menschen mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen, was weiß ich, unfreiwillige Teilzeit, befristet beschäftigt etc. Amazonfahrer, Mac Jobs, Leute, die irgendwie Pizza austragen oder eben Leute, die gar nicht mehr am Arbeitsmarkt teilhaben/arbeitslos. Also das sind so die beiden Begriffe, mit denen die hantieren, um jetzt die Unterschiede zu beschreiben in Sachen Statusangst zwischen Ost und West.

Und in Westdeutschland, da führt vor allem die erodierende Beschäftigungssicherheit zu Statusangst, also die Folgen der Agenda 2010 von 2003, Stichwort Arbeitsgeld 2 Hartz IV. Das heißt also, die Erfahrung, dass man auch aus einem ehemals sicheren Job relativ bald ins Bodenlose fallen kann und dann eben so gut wie gar nichts mehr hat, nur noch Bürgergeld.
Menschen, die sichere Jobs verloren haben und sich jetzt irgendwie über Wasser halten und Migration und Hartz IV verstärken einfach das Gefühl der Konkurrenz um knappe öffentliche Ressourcen.

Also wir stürzen ab und das ist so ein bisschen die Furcht, wir stürzen ab und jetzt bekommen die, also die, die Migranten, auch noch das Gleiche. Das empfinden viele als ungerecht. Interessant ist, dass nicht Arbeitsmarktaußenseiter, sondern Arbeitsmarktinsider dazu neigen, die AfD zu wählen. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen einer aktuellen Arbeitslosigkeit. Ich bin jetzt arbeitslos und wähle deshalb AfD.
Es gibt aber sehr wohl einen Zusammenhang zwischen einer früheren Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in den 2000er Jahren und einer AfD Wahl. Und da kommen wir zum Osten. Während im Westen diese Abstiegsangst halt von einer sehr begrenzten Gruppe empfunden wird, ist es laut dieser Studie so, dass im Osten diese Abstiegsangst viel, viel, viel weiter verbreitet ist, um nicht zu sagen fast in der gesamten Gesellschaft gemessen werden kann.

Stichwort Wendetrauma. Stichwort Massenentlassungen in den 90er Jahren, Stichwort Abwicklung von Betrieben. Fast alle Menschen in den neuen Bundesländern haben einfach eine sehr existenzielle Erfahrung mit Arbeitslosigkeit durchgemacht. Entweder selber, das sind die älteren Menschen oder wenigstens im nahen Umfeld oder bei den jüngeren Menschen, also es gibt ja auch ganz viele Teenager, die jetzt AfD gewählt haben. Na, die haben das dann halt gehört. Mama war arbeitslos, Oma war
arbeitslos. Und diese Unsicherheitserfahrung, diese Statusangst, die wird natürlich auch von Generation zu Generation weitergegeben. Und da weist die Studie darauf hin, dass im Osten eben tatsächlich alle gesellschaftlichen Gruppen mehr oder weniger stark diese Statusangst teilen, eben wegen der kollektiven Erfahrung nach dem Mauerfall. Nach der Wende sind ja da zweieinhalb Millionen Jobs verloren
gegangen. Und das in einer Gesellschaft, die zu DDR Zeiten offiziell ja gar keine Arbeitslosigkeit hatte.

Und das finde ich das Interessante. Diese Statusangst ist aus Sicht der Autoren dieser Studie die zentrale Erklärung für die Entscheidung, die AfD zu wählen. Sie gibt es in der ganzen Bundesrepublik. Aber aufgrund der speziellen und spezifischen Erfahrung der Leute nach dem Mauerfall gibt es sie halt im Osten besonders häufig. Sie ist besonders verbreitet.
Und interessant finde ich wirklich, dass es offensichtlich keinen Zusammenhang gibt zwischen aktueller Arbeitslosigkeit und ich wähle AfD, aber es gibt einen messbaren Zusammenhang zwischen, ich war in den 2000er Jahren mal arbeitslos oder in den Neunzigern oder ich kenne einen und wähle daher AfD. Also nach den Ergebnissen dieser Studie ist das ein ganz zentraler Mechanismus, der erklären hilft, warum die Leute im Osten öfter AfD wählen als im Westen.

Zugleich erklärt das natürlich auch diese besondere Migrationskepsis und das ausgerechnet in Teilen Deutschlands statistisch besonders wenig Menschen mit Migrationshintergrund leben. Ja, ist natürlich klar. Wenn ich so geprägt bin von dieser Statusangst, dann schaue ich natürlich besonders neidisch auf alle Menschen, von denen ich irgendwie argwöhne, die könnten mir was wegnehmen. Zwar ist es Quatsch, also unsere Gesellschaft stünde in jeder Hinsicht schlechter da ohne Migration.
Da war gerade noch ein spannender Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der dazu eine Menge gesagt hat, wie sehr längst Menschen mit Migrationshintergrund unsere Wirtschaft und gerade auch unsere Sozialsysteme am Laufen halten. Aber die Psychologie dahinter ist, hm, ich habe Angst, ich könnte verlieren. Mir könnte was weggenommen werden. Und umso argwöhnischer guckt man dann eben auf sogenannte Ausländer.

Erst recht, wenn du aufgrund des geringen Kontakts mit Leuten, die irgendwie anders aussehen als du selber, auch wenig positive Erfahrungen machen konntest. Um diese Angst irgendwie abzumildern oder einem Realitätscheck zu unterziehen.

Und natürlich, das muss man an der Stelle schon mal ganz kurz noch einwerfen. Natürlich eröffnet das auch eine spannende Perspektive, wie man diese Statusangst bekämpfen kann. Nämlich einfach, indem man den Menschen wieder mehr politische, soziale, gesellschaftliche Sicherheit vermittelt. Also quasi das Gegenteil von Hartz IV. Man müsste sich politisch Gedanken machen, wie bekommt man es hin, dass die Menschen sich subjektiv, wirtschaftlich, ökonomisch wieder sicher fühlen? Mal so als Merkpunkt.

Ja, genau. Wir hatten die erste Studie, die Populismus Nativismus in den Raum gestellt hat und Nativismus ist im Osten aufgrund der skizzierten Phänomene häufiger anzutreffen, spielt eine größere Rolle. Dann gibt es die zweite Studie, die sagt Abstiegsangst ist im Osten das dominante Merkmal und die Erklärung dafür, warum die Leute AfD wählen. Und dann gibt es eine dritte Studie, die das so ein bisschen zusammenfasst, aber eben auch um ein paar wichtige Faktoren ergänzt.
Und diese Studie heißt: The Strength of Far-Right AfD in Eastern Germany: The East-West-Divide and the Multiple Causes behind 'Populism', also die Stärke der Rechtsaußenpartei AfD in Ostdeutschland: Die Teilung zwischen Ost und West und die verschiedenen Gründe für Populismus von Manès Weisskircher. Sorry, wenn ich das falsch ausspreche, bitte ich um Entschuldigung.

Diese Studie macht viele Punkte, die oben schon angeklungen sind. Wir wollen uns deswegen auf den Punkt konzentrieren, den wir bisher noch nicht hatten. Und das ist der Punkt der Repräsentation.

Richtig. Die Studie macht den Punkt, im Kern würden im Osten viele Menschen die Demokratie als abstraktes Konstrukt schon befürworten. Aber viele seien unzufrieden mit dem politischen System.

Also mit dem real existierenden.

Ja, richtig, mit dem real existierenden politischen System, seiner Effizienz und ihrer eigenen Repräsentanz in diesem System. Also trotz Merkel, trotz Joachim Gauck, Bundespräsident ehemals, der Osten ist messbar und faktisch unterrepräsentiert in ganz vielen gesellschaftlichen Bereichen. In den politischen Ämtern, zum Beispiel in ganz Deutschland ist es so, sagt die Studie, 2 % der Elite in ganz Deutschland wird aus dem Osten rekrutiert.
Im Osten selber stammen nur knapp 1/4 der Elite aus dem Osten. Das ist eine deutliche Unterrepräsentation. Ähnlich bei den Spitzenpositionen in der Wirtschaft, in Forschung, in Medien und im Militär. Überall sind Menschen mit einer Ostbiografie unterrepräsentiert.

Was natürlich ein Stück weit auch einfach historische Gründe hat, gewachsen ist, weil eben Menschen aus dem Osten ja erst mal eine westlichen Verhältnissen, äquivalente Bildungskarriere oder überhaupt Karriere erst mal machen mussten. Also zum Teil lässt sich das erklären, aber ich glaube, diese Erklärung trägt auch nicht mehr komplett nach 35 Jahren.

Ja, vor allen Dingen ändert es nicht an dem Phänomen. Weißt du, du kannst das natürlich erklären und trotzdem sind Ostdeutsche in diesen ganzen Bereichen unterrepräsentiert und dieses Gefühl kommt nicht irgendwo her, auch wenn es dafür immer Gründe gibt. Und das nährt natürlich das Gefühl der Marginalisierung. Und da kommt wieder diese Frage auch auf-

Umfrage war-

Umfrage war, wie stehen Sie zu folgender Aussage: ja, ich bin Bürger, Bürgerin zweiter Klasse. Und in Brandenburg zum Beispiel sagen von allen Befragten 59 % ja, ich bin Bürger, Bürgerin zweiter Klasse. In Brandenburg gleichzeitig sagen von den AfD Wählenden das 77%.

Also es sind die, die sich besonders intensiv empfinden als Bürger oder Bürgerin zweiter Klasse. In Sachsen sind die Werte generell höher, also unter allen Befragten 66 %. 2/3, die denken, sie seien Bürgerin, Bürger zweiter Klasse. Unter den AfD Wählern 78.

In Sachsen, genau.

In Sachsen und schließlich in Thüringen die höchsten Werte 70 % von allen 86 %, also quasi alle AfD Wähler finden, sie sind Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse. Also das, das ist schon deutlich so ein Opfergefühl.

Richtig. Und diese Anti Establishment Einstellung und die Unzufriedenheit mit dem politischen System, die nutzt eben besonders die AfD. Und das fand ich auch noch eine ganz interessante Perspektive. Da unterscheidet sich natürlich Ostdeutschland massiv von Westdeutschland. Aber wenn du manchen Fokus aufmachst, um auf Europa guckst, dann ist eher Westdeutschland die Ausnahme und Ostdeutschland viel näher dran an so Ländern wie Österreich, Italien, Frankreich, Ungarn, Slowenien.

Aber nicht beim Thema zweiter Klasse so nicht, Dem Anti Establishment nicht.

Also es gibt massive messbare Unterschiede zwischen Ost und West, auch nach 35 Jahren der Einheit. Und das ist auch noch ein interessanter Aspekt, den wir bei der Recherche mitgenommen haben. Viele dieser Unterschiede werden bleiben. Das argumentiert Steffen Mau in seinem neuen Buch "Ungleich vereint: Warum der Osten anders bleibt". Da argumentiert er halt, ja, in vielen Bereichen haben sich die beiden, ehemalige DDR ehemalige BRD angeglichen.
Aber es bleiben eben, das haben wir beschrieben, große Unterschiede. Und er sagt, diese Unterschiede verholzen sich, werden definitiv nicht so schnell weggehen. Und da habe ich mich auch so ein bisschen ertappt gefühlt, dass diese Idee, der Westen ist normal null, der Westen ist die default Einstellung unserer Gesellschaft und alle im Osten sollen sich doch dieser default Einstellung annähern.
Was Parteipräferenzen angeht, Verhaltensweisen, Interpretation allgemeiner gesellschaftlicher Ereignisse. Habe ich mich auch ertappt gefühlt. War meine Auffassung oder meine Erwartung implizit immer, na ja, die gleichen sich halt an an das, was hier bei uns jetzt geübte Demokratie ist und Mau argumentiert eben, das ist bisher in vielen Bereichen nicht passiert und das wird auch auf absehbare Zeit nicht passieren.
Stichwort Einkommen, Vermögensverteilung, Einstellung zu bestimmten politischen Ereignissen Stichwort Ukrainekrieg, Nähe zu Russland. Diese Unterschiede werden bis auf Weiteres bleiben. Und er argumentiert, darauf basierend bildet sich halt im Osten eine eigene Parteienlandschaft und vielleicht auch eine eigene Spielart der Demokratie.
Und wenn man da nichts unternimmt, argumentiert er, sagt er in dem Buch, dann könnten autoritäre Parteien im Osten in den nächsten Jahren an Dominanz noch zunehmen.

Tja, was kann man da nun dagegen tun? Steffen Mau hat einen, sagen wir mal eher prozeduralen Vorschlag zu machen. Er sagt, man sollte doch mal mehr mit Bürgerräten experimentieren. Was sind Bürgerräte? Ist ein komplexes Feld, gibt es inzwischen auch sehr verschiedene Formate. Die Grundidee ist, dass das Gremien sein sollen von Menschen, die nicht gewählt, sondern ausgelost werden.
Man lost also zum Beispiel aus dem Melderegister eines Ortes bestimmte Menschen aus, versammelt sie dann und überträgt ihnen die Entscheidung bestimmter Fragen oder, oder sagen wir etwas zurückgenommen, sich mit bestimmten inhaltlichen Fragen zu beschäftigen, und zwar indem sie Expertinnen und Experten konsultieren. Also man kann sich da so ein bisschen vorstellen wie so eine Art Expertenparlament.
Also es werden Bürgerinnen und Bürger ausgelost und die sollen sich von Expertinnen und Experten beraten lassen und dann der Politik Vorschläge machen. Das ist so ein bisschen die Idee eines Bürgerrats.

Gab es ja hier auch in Deutschland jetzt schon ein, zwei Mal. Die Kritik ist natürlich dann, ja, das ist ja recht unverbindlich. Also viele berichten aus diesen Bürgerräten, dass sie das als sehr interessant und befruchtend empfanden. Und die Ergebnisse dieser Bürgerräte sind allgemein auch ziemlich überzeugend. Aber was sie dann empfehlen oder beschließen ist halt unverbindlich und Mau argumentiert, natürlich kann man damit experimentieren.
Natürlich könnte man das verbindlicher machen, ohne gleich zu sagen, was die Bürgerräte beschließen, ist Gesetz. Aber man könnte zumindest sagen na ja, was diese Bürgerräte beschließen, damit muss sich ein Parlament mindestens mal befassen, so Nummer eins. Diese Legitimität und und diese Verbindlichkeit, die kann man natürlich in Stufen anpassen. Natürlich weiß man nicht, ob man damit jetzt wirklich Rassisten und Nativisten für die Demokratie
gewinnt. Aber Leute, die sich zum Beispiel unterrepräsentiert fühlen, die das Gefühl haben, wir können hier nicht mitreden, das ist nicht die Demokratie, wie wir sie uns vorgestellt haben, könnte man damit vielleicht schon gewinnen. Und ich würde auch argumentieren, irgendwas muss man ja machen. Wir sind jetzt in einer demokratischen Notsituation oder nähern uns der zumindest würde ich argumentieren. Und dann braucht es einfach mal ein Experiment, um zu sehen, funktioniert das?

Ja, das finde ich auf jeden Fall eine gute Idee, mal mit mehr Bürgerräten zu experimentieren. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, Partizipation ist auch nicht alles. Ja, die lässt sich möglicherweise stärken durch so einen Bürgerrat. Andererseits was ist dann mit den 99 % der Bevölkerung, die nicht ausgelost werden? Fühlen die sich wirklich dann besser repräsentiert von einem gelosten Bürgerrat als von den gewählten
Parteien? Also aus der Perspektive derjenigen, die nicht im Bürgerrat sitzen, kann man sich die Frage stellen, ob sie nicht bei einer Wahl wenigstens noch ein bisschen Einfluss haben. Beim Bürgerrat halt gar keinen. Also: Frage. Also ich finde das total interessant. Ich finde das auch wertvoll, das mal auszuprobieren. Ich würde nur davor warnen zu sagen, das ist ein Allheilmittel.

Nein.

Eins muss man natürlich auch sagen. Wenn die Menschen inhaltlich irre Vorstellungen haben, nativistische Vorstellungen zum Beispiel, rassistische Vorstellungen, wer angeblich alles nicht dazugehört, dann helfen natürlich auch keine Bürgerräte. Also wenn, wenn also ausgeloste Menschen dann zu radikalen Ergebnissen kommen, ist das ja alles andere als hilfreich.

Ja, aber dazu muss man sagen, auch wenn die AfD im Osten häufiger gewählt wird als im Westen, sie kriegen 30 %, bisschen mehr.

Man kann hoffen, das in so einem Bürgerrat.

Weißt du, das ist nicht so, dass 100 % des Ostens AfD wählt.

Das ist ein ganz wichtiger Hinweis. Das kam zum Beispiel auch als Feedback zu diesem Bild, das wir jetzt zitiert haben, in der Lage. Ja, weil in diesen Grafiken, wo auf Landkreisebene jeweils die stärkste Partei abgebildet wurde, eben auch nur die stärkste auftaucht. Und es wird eben nicht deutlich, dass die eben auch nur in der Regel 30 %, in einigen wenigen Landkreisen mehr, bekommen haben. Also 60-70 % sind ja nach wie vor demokratisch eingestellt.

Und dass dann ein oder zwei Prozentpunkte dahinter schon der zweite kommen kann je nach Landkreis und so .also das ist richtig. Deswegen, das darf kein verzerrtes Bild sein, sondern wir haben uns gefragt, warum wird die AfD häufiger im Osten deutlich häufiger gewählt? Das heißt aber nicht, dass der ganze Osten AfD wählt. Nein, es ist ein guter Drittel in vielen Bundesländern und deswegen auch in den Bürgerräten ist die Gefahr relativ gering, dass da 60 % AfD Leute drin sitzen.

Auf jeden Fall finde ich aber total spannend, dass man eben aus diesen Studien jetzt mal empirisch fundiert Handlungsanweisungen oder Handlungsempfehlungen für die Politik ableiten kann. Die Politik muss aus meiner Sicht schauen auf der Grundlage dieser Studie und ähnlicher Studien, was wirklich Gift für die Demokratie ist. Und ich glaube ganz zentral ist einfach Angst, diese Statusangst.
Das ist was, das hatten wir in der Lage schon verschiedentlich erwähnt, aber es war bislang zugegebenermaßen auch eher so ein bisschen Bauchgefühl. Jetzt wissen wir, das ist ganz zentral Statusangst. Und das spielt natürlich wiederum auch eng zusammen mit diesem Gefühl mangelnder Repräsentation. Auf der einen Seite hat man Angst, ist natürlich unzufrieden mit so einer Situation, in der man Statusangst hat und sagt dann auch noch und außerdem werde ich nicht so richtig gehört.
Ich denke deswegen, ganz klar ist der Hinweis, die Politik muss sich darauf konzentrieren, den Menschen die Angst zu nehmen vor dem sozialen Abstieg. Deswegen war Hartz IV geradezu ein Treibsatz für den Rechtspopulismus. Ja, als die SPD und die Grünen damals Hartz IV eingeführt haben, da gab es zwar noch keine AfD, aber heute wirkt sich diese soziale Verunsicherung, die Hartz IV/Bürgergeld eben herbeiführen, fatal aus.
Dadurch, dass sie eben Menschen Angst macht und sie deswegen schneller radikale Parteien wählen lässt. Und deswegen muss man einfach sagen, also wenn jetzt manche politische Parteien schon Verschärfungen beim Bürgergeld diskutieren, wäre das aus dieser Perspektive ganz sicher keine wahnsinnig gute Idee.

Und der zweite Ansatz, den wir hier ja auch schon oft thematisiert haben, ist, lasst Geflüchtete endlich arbeiten. Ja, es geht im Prinzip schon irgendwie, aber es ist halt viel zu kompliziert und viel zu komplex, dass Geflüchtete angeblich gratis versorgen, das stört viele Menschen, gerade wenn sie selbst diese Abstiegsangst haben, diese soziale Angst.
Aber das ließe sich eben relativ leicht ändern, indem wir einfach viel, viel, viel mehr dieser Migranten und Migrantinnen, die heute de facto nicht arbeiten können, eben arbeiten lassen, sich ihr eigenes Geld verdienen lassen und dazu beitragen, dass sie eben nicht von Steuergeld leben, leben müssen. Wir haben dazu auch schon Vorschläge gemacht. Nehmt einfach Hürden weg auf dem Weg zu dieser Arbeitserlaubnis.

Rechtliche, aber vor allem praktische Hürden.

Praktischer Hürden.

Die praktische Hürde ist eben, dass selbst Menschen, die rechtlich theoretisch arbeiten können, eben ganz häufig erst mal noch zum Amt rennen müssen, den Antrag stellen müssen: "Liebes Amt, bitte genehmige mir genau diesen Job". Und dann ist das Amt, wie so viele Ämter in Deutschland, fast immer überfordert. Es dauert fast immer Monate, viele Monate, bis man eine Genehmigung bekommt, einen bestimmten Job anzutreten. Ja, und dann muss man sagen, ist der Job halt häufig auch längst wieder weg.

Ja, und dann muss die Bundesagentur für Arbeit auch noch zustimmen. Dreht es um, lasst sie einfach arbeiten. Und wenn es ein Problem gibt, dann soll die Behörde halt prüfen und im Zweifel dann sich melden, sich melden oder so. Und deswegen auch noch mal der Punkt Jetzt gerade heute ist Innenministerkonferenz, da reden die wieder über, sollen wir straffällig gewordene Migrantinnen Migranten abschieben? Das ist das Thema, mit dem sie sich einen ganzen Tag beschäftigen
werden. Und man, selbst, wenn man, selbst wenn man der Auffassung ist, ja Migrantinnen, Migranten, die andere Leute umbringen und verurteilt werden sollen abgeschoben werden. Maybe.

Maybe.

Maybe. Aber es gibt einfach andere Themen, auf die ihr eure Zeit und Energie verwenden solltet, bei denen ihr viel, viel, viel mehr erreichen könntet als, wir haben es geschafft, zehn Mörder nach Afghanistan abzuschieben.

Das ist natürlich gut und richtig. Ja, wahrscheinlich gibt es viele Fußangeln. Ja, die Taliban lassen sich das teuer bezahlen. Wie auch immer. Aber es ist ein absolutes Scheinproblem und das finde ich, ist das zentrale Problem bei der ganzen Migrationsdebatte. Und deswegen hängen wir das hier am Ende noch mal wieder dran, wie da Scheinprobleme hin und her gewälzt
werden. Das eine ganz große Problem, das Menschen in Deutschland zu Recht vielleicht sogar das Gefühl haben, die kriegen Geld geschenkt. Das könnte man beheben, indem man einfach sagt, die dürfen alle arbeiten und man verzichtet auf diese Anträge. Also juristisch formuliert geht es darum, das Regel-Ausnahme-Verhältnis umzudrehen. Bislang ist es so, selbst Menschen, die prinzipiell arbeiten dürfen, dürfen das by Default nicht, müssen einen Antrag stellen. Das könnte man umdrehen.
By Default können die arbeiten. Der Arbeitgeber muss den Arbeitsvertrag einreichen bei der Ausländerbehörde. Wenn die Ausländerbehörde und oder das BAMF irgendein Problem haben, melden die sich. Ansonsten geht es los. Das würde hunderttausende an Menschen in Arbeit bringen. Das würde Milliarden an Sozialleistungen einsparen. Das würde enorme Ressentiments einsparen gegenüber Geflüchteten.
Und auch da muss ich ganz ehrlich sagen, dass die Ampel das nicht angeht, auch gerade die FDP, ja, die doch völlig zu Recht wie die anderen Parteien auch, aber die doch völlig zu Recht immer sagt, wir müssen Sozialleistungen einsparen. Wieso sagt die FDP nicht jeden Tag, hier, die Leute sollen arbeiten statt Sozialleistungen zu beziehen. Ich verstehe es nicht.

Wir blicken noch mal auf den Stand der Mobilitätswende in Deutschland. Also diese Idee, dass wir Mobilität möglichst ohne fossile Brennstoffe bewältigen und gerechter verteilen. Und da gibt es, Tata, tatsächlich diese Woche eine gute Nachricht.
Denn bisher war es wirklich de facto schwer, diese Mobilitätswende in Ortschaften, Gemeinden umzusetzen, weil es einfach rechtlich wahnsinnig schwer war oder gar nicht ging, einfach mal eine Busspur einzurichten, einfach mal einen Zebrastreifen einzubauen, einfach mal einen Fahrradweg einzurichten, einfach mal Tempo 30 zu verhängen.
Denn in dem Gesetz, das dafür maßgeblich ist, war immer Maßgabe, dass die Leichtigkeit des Verkehrs Vorrang hat vor möglichen anderen Interessen und Beweggründen, wie zum Beispiel Umweltschutz oder so was wie lebenswerte Städte oder lebenswerte Gemeinden. Das musste alles zurückstehen hinter dem, die Leichtigkeit des Verkehrs, sprich das Auto musste frei fahren können, sonst musste man alles mögliche begründen.

Freie Bahn fürs Auto, das stand über allem.
Und das haben wir jetzt geändert. In diesem Gesetz stehen seit letztem Freitag sozusagen neue Ziele, nämlich Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung.

Freut sich Swantje Michaelsen. Sie ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und dort zuständig unter anderem für das Thema Straßenverkehrsrecht.

Aber wie gesagt, sie freut sich und es gibt sicherlich auch Anlass dafür. Aber wir ziehen das mal wie gewohnt der Reihe nach auf.

Also das Straßenverkehrsgesetz wurde nun also doch geändert. Wir hatten im vergangenen Herbst ausführlich darüber berichtet. Was da drin stand, hatten wir auch Almut Neumann im Interview, die in Berlin als Stadträtin zuständig war für Verkehr in Berlin Mitte. Und mit dieser Änderung des Straßenverkehrsgesetzes hatten viele schon nicht mehr gerechnet.
So hatte sich die Ampel auf eine Novelle des Straßenverkehrsgesetzes geeinigt, die ja auch von vielen Kommunen, auch gerade von vielen Kommunen, die von der Union regiert werden, gefordert wurde. Und auf dieser Grundlage eines neuen Straßenverkehrsgesetzes und könnte dann eine neue Straßenverkehrsordnung erlassen werden. Verordnungen brauchen ja immer eine gesetzliche Grundlage. So hängt das zusammen. Straßenverkehrsgesetz gibt so die Regeln vor.
Dann gibt es eine Straßenverkehrsordnung, die kann im Prinzip das Verkehrsministerium erlassen, mit Zustimmung des Bundesrats in diesem Fall. Und diese Straßenverkehrsordnung wiederum ist dann die Grundlage für einzelne Maßnahmen, wie zum Beispiel Zebrastreifen oder Tempo 30. Und das machen dann die Straßenverkehrsbehörden vor Ort, also Städte, Gemeinden, Landkreise.

Richtig. Und weil bisher das Straßenverkehrsgesetz so einen engen Rahmen gesetzt hat, konnte die Straßenverkehrsordnung die Verkehrswende in den Orten vor Ort nicht wirklich voranbringen. Im Gegenteil, sie hat sie behindert. Und der Bundesrat hat aber die Änderung der Straßenverkehrsgesetzes im November eigentlich abgelehnt, Vor allem mit Stimmen der CDU, aber zum Beispiel auch mit der Hamburger SPD, glaube ich. Die wollte da, glaube ich, der Ampel eins mitgeben.

Versteht man auch nicht. Da waren also quasi so ein paar rouge Sozis am Start, die, die meinten, da muss man mal in Berlin denen so ein bisschen vors Schienbein treten. Und das Problem ist halt, wenn der Bundesrat ein Bundesgesetz ablehnt, dann ist das natürlich erst mal gescheitert. Aber Bundesregierung oder Bundestag können dann den sogenannten Vermittlungsausschuss anrufen, ein gemeinsames Gremium von Bundestag und Bundesrat, um ein Gesetz doch noch zu retten.
Aber Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat sich lange dagegen gesperrt, den Vermittlungsausschuss anzurufen mit dem Argument, erst brauchen wir eine politische Einigung. Also auf Deutsch. Erst mal müssen vor allem die unionsgeführten Länder wenigstens mehrheitlich an Bord sein. Sonst brauchen wir das gar nicht, hier gar nicht zu versuchen. Frage Also Philip, warum gab es jetzt doch einen Vermittlungsausschuss und dann eine Einigung und dann eine Abstimmung im Bundesrat und im Bundestag?

Ich glaube, kurz gesagt, weil viele das Gesetz einfach wahnsinnig wichtig fanden. Im Hintergrund wurde weiter fleißig verhandelt, weiter gearbeitet für die CDU war vor allen Dingen Nordrhein-Westfalen da sehr aktiv. Auch Hessen war sehr aktiv, hat auf eine Änderung hingewirkt und zuletzt gab es dann plötzlich tatsächlich Bewegung bei den Ländern. Auch und vor allem, weil viele Kommunen, weil viele Bürger und Bürgerinnen, weil viele Verbände Druck gemacht haben auf die Länder.
Das sagt die grünen Abgeordnete Michaelsen.
Die Kommunen haben sich da auch sehr deutlich hörbar gemacht in den letzten Monaten und Jahren, aber eben speziell auch noch mal seit dem Stopp der Reform im Bundesrat letztes Jahr. Kommunen selber haben ihre Kanäle genutzt in die Staatskanzleien der Länder. Sie hatten viel Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Akteurinnen, also Verbänden wie dem ADFC.
Aber auch wir haben echt viele Rückmeldungen bekommen, auch in meinem Büro von Menschen, weil die Frage auch da wie der öffentlicher Raum gestaltet ist, hat ja unglaublich viel mit dem Alltag zu tun. Und das ist dann doch auch bei vielen Menschen angekommen, die sich bei uns, aber auch vor Ort und in Richtung Länder geäußert haben und gesagt haben, wir wollen, dass diese Reform kommt.
Und ich glaube, man sieht hier wirklich sehr deutlich, dass es sich lohnt, für die eigenen Interessen auch einzustehen, sich Gehör zu verschaffen, Kanäle zu nutzen und das dann auch auf so einer Länderebene ankommt, dass das wirklich jetzt eine wichtige Reform ist.

Also die Länder waren dann irgendwann doch an Bord, nachdem sie eben im November letzten Jahres noch mehrheitlich das Gesetz zum Scheitern gebracht hatten. Und daraufhin hat dann die Bundesregierung doch schnell den Vermittlungsausschuss angerufen. Der Bund drohte hier so ein bisschen die Initiative zu verlieren. Es war schon die Rede von einer eigenen Initiative der Länder im Bundesrat. Dann ging es also plötzlich ganz schnell. Es gab eine inhaltliche Einigung.
Die Sicherheit des Verkehrs wird jetzt doch noch ein bisschen höher priorisiert als ursprünglich geplant, aber nicht gegenüber der Leichtigkeit des Verkehrs, sondern nur gegenüber den neuen Zielen wie Umweltschutz und lebenswerten Städten. Aber mal ganz ehrlich, also es sind eigentlich kaum Fälle denkbar, wo durch zum Beispiel Tempo 30 statt Tempo 50 die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird. Also das sind eher esoterische
Fälle. Insofern muss man sagen, das ist ein Scheinkompromiss, der aber nicht wehtut. Warum ist der geschlossen worden? Na ja, weil die Union im letzten Herbst dieses, na sagen wir, problematische Argument brachte, mehr Umweltschutz könnte ja zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit führen. Und das wird jetzt pro forma in dieser Einigung berücksichtigt, dieses Unionsargument. Aber im Ergebnis tut das niemandem weh. Aber so konnte eben quasi gesichtswahrend dann letztlich jeder
zustimmen. So wurde das Straßenverkehrsgesetz in dieser leicht geänderten Fassung kurzfristig auf die Tagesordnung einer Sitzung des Vermittlungsausschusses gesetzt, die sowieso schon anstand. Da ging das dann letzten Mittwoch durch mit der Mehrheit der Unionsländer. Abgelehnt wurde es nur noch von Bayern, Sachsen und Brandenburg. Und Freitag vergangener Woche ist dieses leicht geänderte Straßenverkehrsgesetz dann auch noch gleich durchs Plenum im Bundesrat und im Bundestag.
Im Bundestag interessanterweise dann plötzlich wieder gegen die Stimmen der Union. Das ist ganz, ganz interessant. Ich glaube, wahrscheinlich ist das letzten Endes so eine strategische Entscheidung der Union gewesen, damit man am Wahlkampfstand immer sagen kann, wir waren doch dafür, siehe Bundesrat, oder, nein, wir waren ja dagegen, siehe Bundestag. Das ist vermutlich wahltaktisch, dass man so quasi jedem so ein bisschen nach dem Munde reden kann.
Aber die zentrale Botschaft ist, das Straßenverkehrsgesetz mit den neuen Prioritäten für Umweltschutz und für städtebauliche Fragen, das ist jetzt erst mal durch.

Genau, was das dann gleich heißt in der Praxis oder heißen wird, dazu sagen wir gleich noch was. Erst mal so zwei Learnings vielleicht noch aus diesem Prozess. Das eine, das überrascht nicht. Die Opposition nutzt den Bundesrat parteipolitisch.

Machen alle Parteien. Macht im Moment gerade die Union. Das darf man ihr aber im Grundsatz nicht vorwerfen. Das ist zwar falsch, aber es ist so ein bisschen Teil der politischen Kultur in Deutschland. Da müsste man grundsätzlich mal ran, haben wir schon oft besprochen. Aber vor allem ist das Learning, finde ich, druck aus der Bevölkerung lohnt sich.

Kann sich lohnen.

Lohnt sich immer! Natürlich gewinnt man nicht immer, aber ich finde, es lohnt sich immer, das jedenfalls zu versuchen. Also man kann natürlich nicht garantieren, dass es dann genau so kommt, wie es die Menschen wollen, die diesen Druck ausüben. Aber ich denke, man kann schon sagen, Druck lohnt sich auf die Regierung in den Ländern auch gerade und gerade auch Briefe an die Staatskanzleien und Briefe an Menschen, die in Landtagen diese Regierung tragen.
Das soll nach allem, was man hört, in diesem Fall der zentrale Punkt gewesen sein. Und der dritte Punkt, der wichtig ist neben diesen Briefen an die Regierung, Briefen an die Landtagsabgeordneten, auch das Engagement der Kommunen, dass eben gerade auch viele Unionsbürgermeister:innen gesagt haben, liebe Leute, also wir brauchen einfach mehr Spielraum, um hier vor Ort was zu tun für unsere Städte.

Ja, und nicht zuletzt auch mediale Aufmerksamkeit, die hilft. Das haben wir von Beteiligten gehört. Es gab immer wieder Berichte in den Medien. Ja, dass konkrete Projekte vor Ort einfach scheitern, weil das Straßenverkehrsgesetz so ist, wie es ist oder war, wie's war, die Straßenverkehrsordnung dem entsprechend so war, wie sie war und deswegen einfach viele Sachen immer wieder gescheitert sind. Immer wieder wurde deutlich, die Union stellt sich auch gegen ihre eigenen Kommunen.
Und so ist also der Druck jetzt so groß gewesen, dass dieses Gesetz tatsächlich beschlossen wurde. Jetzt gibt es das Straßenverkehrsgesetz, jetzt muss halt die Straßenverkehrsordnung, die das alles vor Ort wirklich en detail regelt, noch geändert werden. Und da ist die Frage, wann und wie passiert das?

Ein Entwurf für eine Novelle der Straßenverkehrsordnung lag im November auch schon mit auf dem Tisch im Bundesrat in dieser Sitzung, wo da alles abgelehnt wurde. Dieser Entwurf muss jetzt noch mal leicht angepasst werden. Aber wie man so hört, passiert das jetzt gerade im Ministerium von Volker Wissing. Und dort soll insbesondere auch die Hausspitze nach wie vor hinter dieser Novelle stehen. Das sollte also klappen. Nach dem gegenwärtigen Zeitplan soll die Novelle der Straßenverkehrsordnung noch
am 5. Juli durch den Bundesrat dann final beschlossen werden. Also die Mechanik ist so. Das Verkehrsministerium verordnet diese Verordnung, kann sie quasi einseitig erlassen. Aber hier steht im Gesetz, dass sie dafür die Zustimmung des Bundesrats braucht. Deswegen muss der auch noch mal beschließen, sagt Grünen Bundestagsabgeordnete Michaelsen.
Mit dieser StVO Novelle können dann, wenn sie so beschlossen wird, Zebrastreifen, Radwege und Busspuren leichter angeordnet werden. Heute braucht man ja, wenn man im öffentlichen Raum Platz umverteilt, immer sehr hohe Begründungen. Man muss erklären, warum man damit irgendwie eine Gefahrenlage abwehrt. Und das kann dann leichter auf Basis der neuen Ziele passieren. Das heißt, sie können sagen, Wir wollen den Klimaschutz stärken und nachhaltige Mobilität. Also machen wir auf dieser Straße
eine Radspur. Oder sie können sagen, wir wollen dieses Quartier städtebaulich entwickeln. Deshalb braucht es bessere Fußverbindungen. Also ordnen wir auf der Basis einen Zebrastreifen an und es entstehen auch kleine Erleichterungen bei Tempo 30. Das ist noch nicht das, was sich viele Kommunen wünschen, nämlich wirklich vor Ort über noch mehr Dinge selber entscheiden zu können. Aber es sind erste Schritte. Und mit dem neuen Gesetz werden weitere Schritte auf der Verordnungsebene möglich.
Nach der Reform bleibt also trotz der großen Veränderungen auch vor der Reform. Und es wird weiter so sein, dass Kommunen und wir, die wir uns mehr Veränderung auch im öffentlichen Raum wünschen, für noch mehr Veränderungen auch auf der rechtlichen Grundlage regeln. Aber das geht jetzt eben mit dem neuen gesetzlichen Rahmen auf der Ebene der Verordnung.

Ja, ich finde das noch mal eine gute Nachricht. Es war kein leichter Kampf, aber so ist das eben manchmal. Aber nun ist das Gesetz verändert und das war die große Hürde. Denn eine Verordnung, du hast das gesagt, kann eben die Regierung ändern. In dem Fall muss sie dann immer noch mal durch den Bundesrat.
Aber es gibt ja noch ein paar andere Verordnungen, die auf dem Straßenverkehrsgesetz fußen und die jetzt auch viel, viel, viel, viel leichter geändert und an die Bedürfnisse der Verkehrswendeverantwortlichen vor Ort in den Kommunen angepasst werden können.

Apropos Novelle. Wir haben schöne Neuerung für euch, denn auch unser Lagebuch "Baustellen der Nation" ist runderneuert und es wird, das ist die gute Nachricht für alle, die es kaufen wollen, auch noch billiger.

14,99 € steht auf dem Preisschild. Schnapper würde ich sagen.

Und zwar für das Lage Taschenbuch. Wir haben das Buch "Baustelle der Nation" in den letzten Monaten für euch runderneuert. Haben das, haben alle Kapitel noch mal angefasst. Die Kapitel aktualisiert auf den Stand von Ostern 2024. Jetzt ist es gedruckt. Es wird am nächsten Donnerstag erstmals verkauft. Ihr könnt euch also schon für 14,99 € das Lagebuch mit in den Urlaub nehmen. Unter lage.link/buch könnt ihr es jetzt schon bestellen beim Buchhandel eures Vertrauens um die Ecke.

Richtig. Für alle, die es nicht mitgekriegt haben. Wir beschreiben darin eine Handvoll, acht Baustellen von der Digitalisierung der Verwaltung über den Ausbau der erneuerbaren Energien bis zu den Problemen, die unserer Föderalismus mit sich bringt. Das alles zwischen zwei Buchdeckeln. Jetzt eben auch ein bisschen softer als das bisher der Fall war.

Ein bisschen softer, ein bisschen leichter, bisschen günstiger. Lage.link/buch.

Ja, nach der Wahl ist vor der Wahl. Europawahl hatten wir gerade. In gut zwei Monaten gibt es dann die wichtigen Landtagswahlen im Osten. Am 5. November steht dann die US Wahl an und im Kontext der Wahlen muss man natürlich auch immer darüber reden, wer beeinflusst die eigentlich und wer mischt da mit und vielleicht auch illegitimer Weise.

Belegt ist inzwischen Russland hat massiv bereits in demokratische Entscheidungen in westlichen Staaten eingegriffen. Stichwort manipulative Einwirkung auf die Brexit Entscheidung in Großbritannien. Stichwort Trumpwahl 2016. Hillarys E-Mails und so. Diktaturen wie Russland und China wollen natürlich auch weiter Wahlen beeinflussen. Dafür gibt es viele Hinweise. Aserbaidschan, China und womöglich auch Russland kaufen deutsche Abgeordnete.
Im Falle Aserbaidschans war es eine Abgeordnete der CDU, die inzwischen sogar verstorben ist. Im Falle Chinas war es ein Mitarbeiter, aber möglicherweise auch direkt ein Abgeordneter der AfD. Russland und China hacken sich in Parteizentralen ein, mutmaßlich jedenfalls von SPD und CDU und auch in den Bundestag. Beim Bundestag ist es sehr sicher, dass es Russland war und, und das ist das Mittel, um das es jetzt hier vor allem gehen soll, sie verbreiten Propaganda.

Ja und das Ziel dieser Propaganda ist, Menschen in Demokratien sollen letztlich die Orientierung verlieren. Bürger, Bürgerinnen sollen nicht mehr wissen, was es hier eigentlich war. Auf was kann ich mich verlassen? Was ist falsch? Was ist vielleicht auch irgendwas dazwischen? Was ist noch unklar?
Sie sollen Angst bekommen, sollen dadurch auch die Demokratie und ihre Institutionen insgesamt infrage stellen, ihnen misstrauen, damit die dann auf Dauer verkümmern und die Demokratie de facto am Ende wehrlos darniederliegt. Das ist so ein bisschen das Ziel, glaube ich, dass man so umreißen kann, dieser Informationskampagnen.

Und schnell ist dann von Desinformation die Rede. Das ist ein Schlagwort, das ihr mit Sicherheit auch in der Lage schon verschiedentlich gehört habt. Und wir haben uns jetzt aber mal die Frage gestellt, was ist denn dazu aus einer kommunikationswissenschaftlichen Sicht zu sagen? Was ist denn eigentlich Desinformation?
Denn da gehen ja oft die Begrifflichkeiten durcheinander, es gibt Desinformation, es gibt den Begriff der Fake News, es gibt den Begriff der Propaganda, hatten wir oben schon und man fragt sich ja doch, was heißt denn das jeweils eigentlich? Welchen Einfluss haben die eigentlich wirklich? Und das wollen wir mal für euch sortieren.

Fangen wir an mit der Definition. Was ist eigentlich Desinformation. Und dazu hat der Science Media Center, so eine stiftungsfinanzierte Vereinigung, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Wissenschaft zusammenzufassen, den Stand der Wissenschaft zusammenzufassen für eine interessierte Öffentlichkeit. Und die haben sieben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen befragt, die sich im weitesten Sinne mit digitaler Kommunikation beschäftigen und diese erforschen.
Und da schält sich, das fand ich ganz interessant, doch in Sachen Definition von Desinformation in der Wissenschaft offenbar ein Konsens heraus.

Genau. Diese Definition hat danach drei Elemente. Es geht bei Desinformation um die absichtliche Verbreitung falscher Informationen mit dem Ziel, Personen oder Institutionen zu schaden. Muss man sehen. Ist eine sehr enge Definition, weil sie an zwei Stellen Absicht voraussetzt. Aber es gibt natürlich darüber hinaus auch noch mehr falsche Informationen, bei denen vielleicht das eine oder andere Element fehlt.
Zum Beispiel wenn es um unabsichtliche Fehlinformation geht, dann spricht man Englisch von Misinformation oder eben Deutsch von Fehlinformation. Im Unterschied zur Desinformation, die wie gesagt, absichtliche Verbreitung ist, mit einem Ziel, zu schaden.

Auch der Begriff Fake News wurde da debattiert und da waren sich doch alle einig, dass der weitgehend unbrauchbar ist.

Sagte dem Science Media Center Axel Bruns. Er ist Professor für digitale Medienforschung an der Queensland University of Technology in Brisbane in Australien. Er sagt, Fake News wird in so vielen unterschiedlichen Kontexten benutzt, dass der Begriff sich für eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Problem der Desinformation überhaupt nicht mehr nutzen lässt.

Dann ist die nächste Frage, die gestellt wurde, wie verbreitet ist das eigentlich? Also nicht allgemein, sondern wie verbreitet ist Desinformation, also diese Information, die wirklich diesem engen Kriterium gehorcht, absichtlich verbreitet, mit dem Ziel zu schaden? Und da sagt Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig:

"Gute Information ist deutlich weiter verbreitet als schlechte. So gesehen ist die Verbreitung von Desinformation gering, sogar sehr gering. Desinformation ist sehr ungleich verbreitet. Es ist eine kleine Minderheit der Internetnutzer, die sehr viel Desinformation sieht und auch selbst verbreitet. Und das ist häufig politisch
motiviert". Also das, was er da beschreibt, im Grunde dieses altbekannte Phänomen der Bubbles, dass also in bestimmten, ich sage mal, Subkulturen im Internet eben sehr viel Desinformation konzentriert ist.

In ein ähnliches Horn stößt Lena Frischlich. Sie ist außerordentliche Professorin am Digital Democracy Center an der Süddänischen Universität in Odense. Und sie bestätigt das im Kern, sagt, aus ihrer Sicht verbreitet und konsumiert nur eine Minderheit diese Desinformation. Aber bisher gibt es eben kaum Zugang zu den Daten der Plattformen, auf denen diese Desinformation in aller Regel verbreitet wird. Das heißt, die Reichweite, die wirklich messbare Reichweite ist nach wie vor schwer zu
bestimmen. Sie sagt, dieser Digital Services Act auf der EU Ebene, der jetzt gilt, der soll das verbessern. Der soll Forschern und Forscherin mehr Zugang zu den Daten der Plattform geben. Ob das so kommt, ist offen. Aber hier wäre das sicherlich sehr wertvoll.

Frage: Was sind jetzt die Auswirkungen von dieser Desinformation? Wie gesagt, die Wissenschaft ist auf der Grundlage dieser sehr engen Definition so ein bisschen skeptisch, wie viel es davon eigentlich gibt. Vieles wird man vielleicht auch einfach nicht nachweisen können.
Außerdem ist die Wissenschaft aber auch skeptisch, welche Folgen Desinformation hat, denn sie stimme, so die These, Menschen meist nicht um, sondern sei vor allem dazu in der Lage, bereits vorhandene Überzeugungen zu verstärken. Also dieser sogenannte confirmation bias. Man hält also eine Information dann für besonders plausibel, wenn sie das bestätigt, was man eh schon denkt. Das heißt also, Desinformation trägt vor allem dazu bei, bestehende Polarisierungen zu verstärken.
Und der Witz ist allerdings, genau das ist ja auch das Ziel autokratischer Staaten. Also man grätscht da rein, wo Menschen sowieso schon ideologisch, sagen wir mal so, am Rande des Mainstreams stehen oder schon völlig abgedriftet sind. Da hakt man dann ein mit Desinformation, um Spaltung zu vertiefen, zu verunsichern und zu destabilisieren.

Und dann ist die Frage, wie ist dieser Mechanismus genau? Wie funktioniert diese Destabilisierung mit Desinformation? Wie wird das Vertrauen in Institutionen und Medien untergraben? Na ja, da ist einmal natürlich diese Desinformation selbst. Wir haben es oben so ein bisschen geschildert. Die widerspricht dann dem, was man woanders liest. Verunsichert, ist natürlich total falsch. Vieles erscheint als nicht mehr gesichert.
Man weiß nicht mehr richtig, welchen Informationen man trauen kann, man scheint sich auf nichts mehr verlassen zu können und das stärkt natürlich Angst und Misstrauen.

Und so warnt auch Professor Dr. Nicole Krämer von der Uni Duisburg-Essen, es könne das Problem auftreten, dass das Vertrauen in jegliche Information schwindet, da selbst gebildete Rezipientinnen und Rezipienten sich nicht mehr zutrauen, zwischen wahren und falschen Informationen zu unterscheiden. Und das ist genau dieses Steve Bannon Phänomen. Steve Bannon, ehemaliger Kommunikationsberater von Donald Trump. Der hat ja diesen wunderschönen Ausdruck geprägt, worum geht es in seiner Kommunikation?
Flood the zone with shit. Man muss quasi den Kommunikationsraum mit so viel, auf Deutsch, Scheiße überfluten, das ist das Bild von Steve Bannon. Man muss so viele Lügen verbreiten, dass irgendwann niemand mehr weiß, was stimmt und was nicht. Man höhlt im Grunde den Begriff der Wahrheit als solcher aus. Niemand weiß mehr, was ist die Wahrheit?

Denn bei diesem, bei diesem Begriff Desinformation schwingt so ein bisschen mit, na, ist ja leicht zu erkennen. Aber das ist es eben nicht.

Denkt man.

Ja. Denkt man, weil der so sich scharf umreißen lässt vermeintlich, auch wenn es ein bisschen eng ist die Definition. Aber das stimmt eben nicht, sondern auch für Leute, die wirklich sich viel mit Information, Medien etc. beschäftigen, ist es halt schwer festzustellen, was ist denn hier jetzt Quatsch und was ist wirklich belastbar? Und die Frage, die große Frage, die natürlich immer dahinter steht, in wie weit denn diese Desinformation Wahlergebnisse auch beeinflussen.
Und da ist sich die Forschung ziemlich einig, dass die Beeinflussung von Wahlergebnissen aus dem Ausland mit Desinformation sehr schwer zu belegen und zu messen ist.

Also ich sage mal so, die Forschenden sind so ein bisschen skeptisch, wie groß der Effekt ist. Sie sagen, es ist eher unwahrscheinlich, dass da massive Verzerrungen eintreten. Und zwar deswegen, weil Informationen meist ohnehin bestehende Meinungen verstärke. Daher, so die Hypothese, werde sie wohl kaum eine große Wählerwanderung bewirken. Relevant sei eher, dass Desinformation bestimmte Gruppen mobilisieren könnte, überhaupt zur Wahl zu gehen oder eben auch nicht.
Stichwort asymmetrische Demobilisierung, dass eben bestimmte Gruppen nicht vielleicht nicht unbedingt auf die andere Seite wechseln, aber nicht mehr zur Wahl gehen. Das Musterbeispiel dafür sind so bestimmte Facebookkampagnen von Donald Trump 2016, dem es, so nach Untersuchungen, gelungen war, gerade Latino Wählerinnen und Wähler davon abzuhalten, Hillary Clinton zu wählen.

Wir fassen zusammen. Es ist eine enge Definition. Es muss die Absicht bestehen, Falschinformationen zu verbreiten. Es muss die Absicht bestehen, damit Institutionen und Personen zu schaden. Die Verbreitung ist schwer zu messen. Der Einfluss auf Wahlergebnisse ist sehr schwer zu messen. In der Tendenz, sagt die Forschung, bestätigt es vorhandene Meinung, vertieft die Polarisierung und hat schon auch Wirkung.
Und ich finde eben auch interessant, dass es, wenn es um Wahlen geht, die Leute wahrscheinlich nicht zur Wählerwanderung treibt, also nicht dazu bewegt, andere Parteien zu wählen, sondern wenn ein Effekt da ist, dann ist er eher mobilisierend.

Oder eben Demobilisierung.

Oder eben Demobilisierend. Also das ist so, das sind so das, was die Wissenschaft aktuell sagt zum Thema Desinformation.

Was man dazu immer wissen muss. Also als wir das so gelesen haben, dachten wir, hä, wie passt denn das jetzt zusammen mit unserer Alltagserfahrung von Debatten, wo man sich so ein bisschen fragt, was ist dennhier eigentlich los? Das geht doch alles völlig am Problem vorbei.
Und der Schlüssel, glaube ich zu diesem Störgefühl ist, diese wissenschaftliche Definition ist wahnsinnig eng und wirklich Desinformation nach diesen Kriterien nachzuweisen, doppelte Absicht, absichtliche Verbreitung falscher Informationen mit Schädigungsabsicht. Das ist extrem schwer, aber es gibt natürlich einfach weit mehr Informationen, die einfach nicht stimmen. Wo man jetzt nicht direkt sagen kann, da wird manipuliert, da wird bewusst geschadet.
Wo man aber einfach sagen muss, das geht am Problem vorbei und das würde ich jetzt mal als Irreführung bezeichnen.

Ja oder Fehlinformation.

Ja, Fehlinformation nach dieser wissenschaftlichen Definition. Da geht es ja auch wiederum um Falschinformationen. Und es gibt ja, wenn man sich noch einen Schritt weiter zurücknimmt, auch Irreführung dadurch, dass man einfach bestimmte Sachen einfach gar nicht sagt und den Akzent auf bestimmte andere Probleme setzt. Also wir hatten gerade das schöne Beispiel eben im letzten
Blog. Die Innenpolitik in Deutschland redet den ganzen Tag über Abschiebungen, anstatt sich mal dem Problem zuzuwenden, dass hunderttausende Geflüchtete nicht arbeiten dürfen. Das heißt also, das ist ja ein Thema, über das man reden kann, dieses Thema Abschiebung. Trotzdem ist dieses ständige Reden von Abschiebung im Grunde eine Verzerrung, weil es am realen Problem weit vorbeigeht und deswegen glaube ich, kann man schon auch irreführen mit zutreffenden Informationen.

Richtig. also es gibt Desinformationen haben wir gesagt. Absichtlich falsch, absichtlich schädigend. Es gibt Fehlinformation, die auch falsch ist, aber nicht absichtlich verbreitet wird. Und dann gibt es richtige Informationen, die im Kern für sich genommen stimmen, aber in einer Weise angeordnet, berichtet, erzählt, gewichtet und fokussiert werden, die halt ein verzerrtes Bild der Realität zur Folge haben und damit ähnliche Effekte haben können wie Desinformation.

Und das ist inzwischen auch wissenschaftlich untersucht worden, und zwar am Beispiel der Diskussion um die sogenannten Wärmepumpen. Oder fast synonym die Diskussion ums Heizungsgesetz, wie es volkstümlich hieß. Formal heißt es das sogenannte Gebäudeenergiegesetz. Wisst ihr alle noch, da gab es einfach wahnsinnig viele Informationen, die falsch waren. Und es gab aber auch wahnsinnig viele Informationen, die einfach vor allem irritiert haben.
Ihr erinnert euch vielleicht an unsere Diskussion mit Mario Vogt von der CDU in Thüringen über die Frage, kostet ein Wärmepumpeneinbau jetzt immer 100.000 €? Und da fragen wir uns, was ist denn das jetzt eigentlich? Ist das Desinformation? Ist das Fehlinformation? Was ist denn das eigentlich?

Erforscht haben jetzt, also speziell diese Berichterstattung über das Heizungsgesetz, haben erforscht Kommunikationswissenschaftler Pablo Jost und Matthias Mack. Die haben das gemacht im Auftrag der Denkfabrik Das Progressive Zentrum. Ist so eine linksliberale, würde ich sagen, Denkfabrik, teils öffentlich, teils durch Stiftungen finanziert, teils auch durch Verbände und Unternehmen und private Spender finanziert.
Listet als Partner etwa die Bundeszentrale für politische Bildung auf, die IG Metall, BMW Foundation, auch mehrere Bundesministerien. Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Also die haben diese Studie in Auftrag gegeben. Und es wurden eben untersucht gut 2000 veröffentlichte Beiträge zwischen Januar und Oktober '23 in 19 regionalen und überregionalen Medien. Untersucht wurde quasi die Berichterstattung über dieses Gesetz auf Vielfalt, Ausgewogenheit und faktische Richtigkeit.

Und das Ergebnis ist, dass die Qualität der Berichterstattung extrem schwankt. Also regionale Printmedien und die Onlineableger von großen seriösen TV Nachrichtenformaten hätten "nahezu ausschließlich korrekte Informationen geliefert, die überregionalen Printmedien sogar in allen betrachteten Fällen", also FAZ, SZ und so, die haben in allen Fällen korrekt informiert. Aber drei Gruppen von Medien fielen raus.

Zum einen waren das, wie sie das nennen, linksextreme Publikationen.

Junge Welt ist das, glaube ich, in diesem Fall.

Okay, rund 1/4 der Artikel war demnach falsch oder enthielt falsche Informationen. Rund 1/4 war falsch, 3/4 waren richtig. Bei den rechtsextremen Blättern war es ungefähr umgekehrt. Da waren fast 3/4 der Artikel falsch oder enthielten Falschinformationen. Und es fällt raus die Bildzeitung. Da wurde immer pauschal von einem Heizungsverbot ab 2024 berichtet, was noch nie richtig war.

Ja, und da muss man natürlich einfach sagen, die Bild ist halt nicht irgendwer. Wenn die BILD die ganze Zeit konsequent falsche Informationen vermittelt, dann sickert das natürlich in die Köpfe der Leute ein und irgendwie auch in die Köpfe von anderen Journalistinnen und Journalisten. Und insofern ist es kein Wunder, dass Energieberater darüber klagen, dass sie dauernd "Halbwahrheiten, Falschaussagen und Ängste korrigieren müssen".

Außerdem kritisiert die Studie, dass die Medien unausgewogen und einseitig berichten, selbst wenn die Fakten als solche stimmen.

Genau das ist das, was wir eben sagten, Irreführung. Also Fakten stimmen. Trotzdem kann ein Text oder sonst ein Beitrag irreführend sein, denn so ein Text kann ja auch dadurch in die Irre führen, dass er einen Fokus setzt, der dem Thema nicht gerecht wird oder wesentliche Aspekte auslässt. Konkret am Beispiel von Texten zum GEG geht es um folgendes.

Da kommt die Studie zu dem Schluss, dass nur in vier Prozent der Fälle dieser Berichterstattung der Schwerpunkt auf Chancen für die Wirtschaft gesetzt wurden. Im Fall vom GEG und in nur 3 % der Fälle der Berichterstattung wurde der Schwerpunkt gesetzt auf die Bedeutung der Wärmepumpe für den Klimaschutz. Da könnte man natürlich sagen, also Wirtschaft total unterrepräsentiert, Bedeutung für Klimaschutz total unterrepräsentiert, wenn nur an drei bzw 4 % der Fälle das irgendwie ein Schwerpunkt war.

Ich meine theoretisch wäre ja diese, wäre die Wärmepumpe ein gigantisches Konjunkturprogramm für die deutsche Heizungsindustrie, für die deutsche Sanitärindustrie, weil ja grundsätzlich mal diese ganzen Heizungen, die da noch im Keller vor sich hin stinken, ausgetauscht werden müssen. Und dieses Konjunkturprogramm fällt jetzt halt weitgehend aus, weil das GEG so abgeschwächt ist, weil alle möglichen Bremsen eingebaut worden sind, von Wärmeplanung bis.
Das heißt also, da fällt einfach ein ganz extremer Wirtschaftsfaktor weg. Ganz abgesehen mal davon, dass natürlich auch die Einsparung von CO2 Emissionen weitgehend wegfällt dadurch, dass das Gesetz jetzt so ist wie es ist. Und man kann da sich die Frage zumindest stellen, ob die an diesem Punkt sehr lückenhafte Berichterstattung damit was zu tun haben könnte.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt noch eine frische Untersuchung, die gerade jetzt dieser Tage, ich glaube, sie ist noch nicht mal veröffentlicht.

Wir haben das quasi vorab erfahren von den Studienautoren. Die soll aber noch veröffentlicht werden.

Richtig. Und dann verlinken wir sie vielleicht auch noch mal. Es ist eine Untersuchung vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE und dort hat, glaube ich, ein Doktorand, eine Doktorandin in eine Untersuchung angestellt. Unter der Aufsicht von Marek Miara. Marek Miara ist so was wie der deutsche Wärmepumpenpapst. Also wann immer das Wort Wärmepumpe in einem TV Beitrag fällt, dann ist Marek Miara nicht weit.
Er ist Koordinator für Wärmepumpen am Fraunhofer ISE in der Abteilung für Heizung und Gebäude. Also die testen einfach seit vielen, vielen Jahren, testen und entwickeln dort Wärmepumpen. Und die haben untersucht ebenfalls die Berichterstattung jetzt konkret über Wärmepumpen.

Und zwar etwa im selben Zeitraum zwischen März und Oktober des vergangenen Jahres. Ausgewertet wurden da allerdings nur neun führende Onlinemedien nicht 19. Also Welt, SZ, NTV, Focus, Bild, Spiegel, Zeit, Tagesschau und noch ein paar andere.
Und Gegenstand der Untersuchung waren da 100 Artikel im genannten Zeitraum, wobei sie in diesen Artikeln insgesamt rund 400 Aspekte, wie sie das nennen, bewertet haben, also einzelne faktische Aussagen zum Thema Wärmepumpe, also eine wesentlich kleinere Studie, aber auch die kommt zu interessanten Ergebnissen.

Sie haben nämlich jeden dieser Aspekte, jede dieser Aussagen zum Komplex Wärmepumpe in diesen Artikeln bewertet mit neutral, positiv oder negativ. Also schaut dieser Artikelautor/-autorin eher neutral, eher positiv oder negativ auf diesen Aspekt. Und da ist das Ergebnis: in acht Prozent der Aussagen war die Aussage ausgewogen.

also neutral.

Neutral, wie sie das genannt haben. In 40 % der Fälle war der Aspekt positiv im Blick auf die Wärmepumpe und in 50 % der Fälle also rund die Hälfte der Fälle, wann immer die Wärmepumpe zum Thema war, da gab es negative Aussagen.

Also man könnte ja denken, sehr gemischte Berichterstattung klingt doch erst mal ausgewogen, sagt auch Forscher Marek Miara.
Das Problem war aber, dass diese Berichterstattung unglaublich verwirrend war. Einige von diesen Aussagen waren eindeutig falsch, andere haben falsch und richtig gemischt. Und diese positive, negative oder neutrale Berichterstattung hat die Menschen verwirrt, weil sie das nicht als ausgewogen wahrgenommen haben, sondern als eine Kakophonie von unterschiedlichen Stimmen.
Ich habe selber Beispiele gesehen und auch teilgenommen bei der Berichterstattung, wo die gleiche Zeitschrift am Freitag in eine Richtung berichtet hat und am Samstag in einer komplett anderen. So eine Berichterstattung ist nicht ausgewogen. War das einmal positiv und einmal negativ, sondern einfach verwirrend.

Ja, und das ist umso tragischer, als es ja eigentlich auch aus einer rein finanziellen Perspektive also selbst wenn einem das Klima völlig wurscht wäre, heute schon keinen Grund mehr gäbe, keine Wärmepumpe einzubauen, meint Forscher Miara.
Wenn wir die Betriebskosten vergleichen von Gaskessel und einer Wärmepumpe, dann ist schon jetzt so, dass mit Preisen von heute, also mit Gaspreisen und Strompreisen liegen wir mit einer Wärmepumpe besser über ein Jahr gesehen als mit dem Gaskessel.

Ja, und das gilt für heutige Preise. Aber er sagt, wenn man in die Zukunft schaut, sieht die Welt nämlich noch ganz anders aus. Denn dann werden die Preise steigen und Wärmepumpen immer attraktiver.
Der Unterschied ist zurzeit nicht besonders groß, weil der Gaspreis relativ niedrig ist bzw der Strompreis hoch. Entscheidend ist aber, dass wenn jemand eine Entscheidung heute trifft, für eine Wärmepumpe, dann ist das keine Entscheidung für ein paar Monate, sondern das ist eine Entscheidung für 20 Jahre ungefähr. Und deswegen sollte man auch überlegen, wie die Preise sich in der Zukunft entwickeln werden.
Und mit allem, was wir wissen, kann man schon jetzt sagen, dass der Gaspreis eher nach oben gehen wird. Und mit dem Strompreis lässt sich auch deutlich mehr machen. Man kann zum Beispiel in Zukunft flexible Tarife nutzen usw usw. Das heißt, wenn schon jetzt nicht schlecht aussieht, wird das in der Zukunft eher deutlich positiver für die Wärmepumpe.

Okay, aber lass uns da einmal einen Strich drunter machen. Die Berichterstattung war in aller Regel faktisch richtig. Sie war aber in ihrer Schwerpunktsetzung nicht immer nachvollziehbar, dem Thema angemessen.

Und sie war vor allem verwirrend. Und wenn die Menschen verwirrt sind, wenn die Menschen nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, was machen sie dann? Dann werden sie konservativ, dann machen sie das, was sie kennen. Und das kennt man ja nicht zuletzt auch von der Beratung durch viele Sanitärfirmen. Ich habe mit so vielen Leuten gesprochen, denen ihr Installateur gesagt hat, er hadert mit den Wärmepumpen. Alles komplex, Machen Sie mal lecker Gas, da machen Sie
mal Gas. Das haben wir schon seit 50 Jahren eingebaut. Da weiß man, was man hat. Und das ist genau das Dramatische. Rational wäre die klare Ansage gewesen, baut euch eine Wärmepumpe ein. Alles andere wird sündhaft teuer. In Wirklichkeit ist das Bild, das entstanden ist, durch die Diskussion, aber alles komplex und das ist irreführend.

Wir haben in den letzten Wochen ja hier viel über die Angriffe auf Politiker und Politikerinnen berichtet, die zum Teil schwer verletzt wurden. Da war natürlich einmal Matthias Ecke groß, einer der Spitzenkandidaten in Sachsen für die SPD. Aber es gab ja seitdem auch weiter viele, viele Angriffe auf Politiker und Politikerinnen im Wahlkampf und nicht im Wahlkampf. Das Thema ist nach wie vor virulent.

Es hatte zwar in den letzten Wochen natürlich logischerweise meistens einen Bezug zum Wahlkampf, aber die Gefahr beschränkt sich eben nicht auf Wahlkampfzeiten. Beispielsweise wurde schon vor einiger Zeit in Thüringen das Privathaus eines SPD Politikers angezündet. So ein Holzhaus. Das konnte gelöscht werden. Das ist also nicht abgebrannt. Man sieht da jetzt halt nur eine große schwarze Stelle im Holz.
Aber das zeigt eben einfach Politikerinnen und Politiker können ins Visier geraten, sobald Nazis wissen, wo sie wohnen.

Und zum zum Schutz von Politikern und Politikerinnen vor Gewalt und Bedrohung gehört daher auch die Frage Wie kommen Täter und Täterinnen eigentlich an die Privatadressen dieser Leute? Also Matthias Ecke, dem SPD Spitzenkandidaten in Sachsen, dem haben sie aufgelauert oder einen haben sie zufällig gesehen.

Das war auf der Straße, das kannst du nicht wissen.

Aber es gibt halt auch immer wieder Aufmärsche vor Privathäusern, die bedrohlich sind. Oder eben auch Privathäuser, die tatsächlich, auf die Brandanschläge verübt werden.

Zum Beispiel auch in Berlin in Neukölln gibt es ja, gibt es ja eine geradezu eine Tatserie, wo Rechtsextreme, mutmaßlich Rechtsextreme immer wieder Anschläge verüben auf demokratische Politikerinnen und Politiker, zumal mit Migrationshintergrund, wie man sich das vorstellen kann. Und da ist halt immer die Frage, wie kommen die eigentlich an die Wohnadressen ran? Und nun sind wir ein bisschen vom Glauben abgefallen, als uns eine Hörerin schrieb.
Sie nämlich hat 2021 bei den Kommunalwahlen in Fulda kandidiert und sie schreibt uns:

"Hätte ich gewusst, dass alle Wahlvorschläge mit privater Wohnanschrift auf einer vollen Seite der Fulda Zeitung abgedruckt werden. Und mittlerweile drei Jahre nach der Wahl immer noch auf der Seite der Stadt abrufbar sind, hätte ich mir das mit der Kandidatur noch mal überlegt. Auf Nachfrage wurde das Vorgehen immer mit dem hessischen Wahlrecht
begründet". Also sie hat kandidiert, musste ihre Privatadresse angeben, die erschien in der Fulda Zeitung und ist drei Jahre nach ihrer Kandidatur immer noch auf der Seite der Stadt zu finden.

Kleiner Nachtrag, die Stadt sagt, war ein Fehler. Das heißt auf der Seite der Stadt ist es inzwischen gelöscht. Aber man weiß ja auch, das Internet vergisst nicht. Und wer es wirklich wissen will, kann natürlich immer diese Ausgabe der Zeitung im Archiv nachschauen. Kann das alles so richtig sein? Ernsthaft? Müssen diese Adressen wirklich in der Öffentlichkeit breitgetreten werden?
Da hat eine Mitarbeiterin von uns mal beim hessischen Innenministerium nachgefragt, müssen Kandidierende ihre Adressen wirklich öffentlich bekannt geben lassen? Antwort:

Ja! Die Pressestelle schreibt: "nach derzeitiger Rechtslage ist die Anschrift Hauptwohnung von Bewerberinnen und Bewerbern im Grundsatz sowohl bei hessischen Kommunalwahlen als auch bei den hessischen Landtagswahlen öffentlich bekannt zu machen".

Ja, so viel Transparenz muss sein. Aber die hessische Landesregierung hat das Problem immerhin erkannt, schreibt uns die Pressestelle und wolle das jetzt ändern. Schon heute gebe es eine Ausnahme bei Leuten, die bereits eine Auskunftssperre im Melderegister haben. Dann müsse lediglich eine Erreichbarkeitanschrift angegeben werden. Also keine Ahnung, meinetwegen die Anschrift der örtlichen Parteizentrale.
Aber alle anderen, die kandidieren wollen und die keine Auskunftssperre haben, die müssen bislang damit leben, dass ihre Adresse im Netz steht. Und die möchte aber die neue Landesregierung jetzt besser schützen.

Im Koalitionsvertrag in Hessen steht das Vorhaben, die Wahlordnung so zu ändern, Zitat:

"dass künftig bei öffentlichen Bekanntmachungen von Wahlvorschlägen sowohl bei Kommunal- als auch bei Landtagswahlen keine Privatadressen mehr angegeben werden, um kandidierende Personen bei politischen Wahlen besser vor Hass, Hetze und Übergriffen zu schützen".

Das Innenministerium arbeite, so heißt es an der Kommunalrechtsnovelle, soll dann also vor den nächsten Wahlen noch umgesetzt sein. Und dieser Schutz privater Adressen von Kandidaten und Kandidatinn en, der wird auch begrüßt vom Gewaltopfer Matthias Ecke, der für die SPD bei der Europawahl in Sachsen Spitzenkandidat war.
Ja, das ist auf jeden Fall der richtige Weg. Das ist in Sachsen auch schon umgesetzt, weil ich finde, tatsächlich haben natürlich Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf, zu wissen, ja, wo die Person ungefähr wohnt. Also ob das quasi jemand aus der Nachbarschaft ist oder jemand, der aus einer Stadt irgendwie 300 Kilometer entfernt sich bewirbt. Das ist vollkommen richtig, aber die konkrete Anschrift, glaube ich, ist nicht entscheidend für die Wahlentscheidung.
Und diesen Schutz sollte man schon gewähren.

So, aber selbst wenn das jetzt so kommt, betrifft das ja nur die Adressen, die bekannt gegeben werden müssen bei Kandidaturen.

Genau. Ein dauerhaftes Problem, das davon unabhängig ist. Das sind eben Abfragen aus dem Melderegister. Hintergrund ist, alle Menschen in Deutschland müssen sich ja bei einer Kommune anmelden. Daher ist die Anschrift jedes Menschen in Deutschland im Prinzip einer Behörde bekannt. Das ist im Ansatz ja auch richtig und wichtig, damit man zum Beispiel Wahlbenachrichtigungen verschicken kann. Aber diese Meldeanschriften, wie die heißen, die kann man eben bei den Gemeinden im Melderegister abfragen.

Und das ist einfacher, als viele denken.

Man braucht nur einen nachvollziehbaren Grund. Aber da reicht es schon zu behaupten, der Mensch habe Schulden bei mir.

Irgendwie gib mir mal Adresse von Ulf Buermeyer.

Genau das ist halt natürlich ein großes Problem, kann man sich vorstellen. In bestimmtem Rahmen schützt da eine Auskunftssperre. Der Begriff ist ja eben schon oben gefallen. Man kann quasi beim Melderegister beantragen, dass die Adresse eben nicht so einfach rausgegeben wird. Aber da braucht es nach bisheriger Rechtslage immer eine besondere Gefährdungslage. Ich hatte das zum Beispiel mal vor ein paar Jahren, als ich noch Strafrichter war.
Da hatten wir mal so ein Verfahren und da spielten irgendwie Rocker eine Rolle. Und da hatte ich mal beantragt beim Melderegister, so wie alle anderen auch, die an dem Verfahren beteiligt waren, eine solche Auskunftssperre, das hat die Behörde damals auch sofort gemacht. Wenn also ein Richter sagt, hier, heikles Verfahren und so. Das hat die Behörde dann auch sofort überzeugt. Aber ich bin mir nicht so sicher, wie das bei Politikerinnen und Politikern
ist. Mir wird immer wieder berichtet, dass es gar nicht so einfach ist, eine Meldebehörde zu überzeugen, dass man entsprechend gefährdet ist und dass eine solche Auskunftssperre berechtigt ist. Und außerdem muss man ja sehen, bis das mal geklappt hat, bis man die Meldebehörde soweit hat, ist die Adresse im Zweifel längst geleakt.

Und das hat jetzt auch die Bundesregierung erkannt. Und das Bundeskabinett hat eine Änderung des Meldegesetzes beschlossen, das diesen ganzen Zusammenhang regelt. Und das Bundesinnenministerium schreibt also jetzt auf seiner Homepage.

Es wird außerdem eine ausdrückliche Regelung zu Auskunftssperren für Mandatsträger in Kommunalparlamenten, Landtagen, im Bundestag und im Europäischen Parlament in das Bundesmeldegesetz aufgenommen.

Das heißt, wenn du Mandatsträger bist, Mandatsträgerinnen, kannst du hingehen und sagen, bitte spenden und du musst das nicht extra noch begründen und da irgendwie durch viele Reifen springen, sondern das ist dann einfach festgelegt, dass das gemacht werden muss. Hoffen wir mal, dass das klappt. Das ist ja bisher nur ein Kabinettsbeschluss, das muss ja auch noch durch den Bundestag und so weiter.
Wäre sicherlich eine gute Maßnahme und es ist, denke ich, der Willen zu erkennen, Menschen zu schützen, die sich für die Allgemeinheit und für die Demokratie da letztlich auch engagieren.

Das war es für diese Woche. Ganz herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit. Wir hoffen, die Erörterung der Lage der Nation hat euch gefallen. Vielen, vielen Dank an dieser Stelle auch für die vielen charmanten Rezensionen in euren Apps bei Apple Podcast, Spotify und Co. Wir sagen mal Keep them Coming. Wir freuen uns wirklich über jede nette Nachricht und das ist auch einfach wichtig. Kein Platz für den Hass, auch nicht
in Podcast Apps. Ein Paar Hater gibt es natürlich immer, aber dank eurer vielen positiven Nachrichten fallen die dann nicht mehr auf. Und es gilt mal wieder das schöne Motto, wir sind mehr, die guten Menschen sind mehr. Vielen, vielen Dank für eure netten Kommentare.

Und mit diesem schönen Motto verabschieden wir euch ins Wochenende. Wir wünschen euch sonnige Tage und wenn ihr mögt, hören wir uns nächste Woche wieder. Bis bald.

Tschüss!