LdN385 Wie EU-Wahlen funktionieren, Abschiebe-Debatte nach Messer-Angriff, Hochwasser, Ampel verfehlt Klimaziele, Bidens Gaza-Plan (Simon Wolfgang Fuchs, Hebrew University Jerusalem), Trump-Urteil & die Folgen (Daniel Ziblatt, Politologe), Bürgergeld reißt Loch in Krankenkasse - podcast episode cover

LdN385 Wie EU-Wahlen funktionieren, Abschiebe-Debatte nach Messer-Angriff, Hochwasser, Ampel verfehlt Klimaziele, Bidens Gaza-Plan (Simon Wolfgang Fuchs, Hebrew University Jerusalem), Trump-Urteil & die Folgen (Daniel Ziblatt, Politologe), Bürgergeld reißt Loch in Krankenkasse

Jun 05, 20242 hr 40 minEp. 385
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LdN385 Wie EU-Wahlen funktionieren, Abschiebe-Debatte nach Messer-Angriff, Hochwasser, Ampel verfehlt Klimaziele, Bidens Gaza-Plan (Simon Wolfgang Fuchs, Hebrew University Jerusalem), Trump-Urteil & die Folgen (Daniel Ziblatt, Politologe), Bürgergeld reißt Loch in Krankenkasse

Transcript

Sandra Schulz

Herzlich willkommen zur Lage der Nation, Ausgabe Nummer 385 vom 5. Juni 2024.

Philip BansePhilip Banse

Mit Sandra Schulz, die ihr am Mikrofon gehört habt. Ganz herzlich willkommen, Sandra.

Sandra Schulz

Danke dir, und Philip Banse.

Philip BansePhilip Banse

Der Ulf ist heute nicht da, aber kein Podcast ohne Juristen. Das wird gefährlich. Du bist studierte Juristin, oder?

Sandra Schulz

Das gebe ich zu. Mache ich aber schon sehr, sehr lange nicht mehr hauptberuflich. Ich bin Journalistin in Köln beim Deutschlandfunk. Da moderiere ich bei uns die aktuellen Formate, die Frühstrecke auch und ich hoster auch unseren Podcast "Der Tag".

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Mein Name ist Philip Banse. Mich kennt ihr vielleicht aus ein paar anderen Folgen der Lage der Nation. Ganz herzlich willkommen zur Ausgabe Nummer 385, in der wir wie gewohnt die Ereignisse hierzulande und in der Welt zusammenkehren, so sie uns interessieren und wir sie für relevant halten. Wir haben ein volles Pad, deswegen geht es gleich los.

Sandra Schulz

Jetzt am Wochenende, haben hoffentlich alle schon dick im Kalender, da haben wahrscheinlich die meisten von euch einen wichtigen Termin. Am Sonntag ist nämlich die Europawahl und da dürfen zum ersten Mal auch in Deutschland alle ab 16 wählen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, da kann man sich natürlich fragen, warum ist das eigentlich ein wichtiger Termin? Früher, ich kann mich noch erinnern, Europawahl, Europawahl hat irgendwie niemanden interessiert, weil galt irgendwie als irrelevant. Aber wir können hier ruhig mal ein bisschen staatstragend sein und sagen, es ist einfach wichtig, die Stimme abzugeben, weil es einfach der zentrale politische Akt der demokratischen Beteiligung in einer Demokratie ist.

Sandra Schulz

Bäm.

Philip BansePhilip Banse

Das kann man einfach nicht oft genug wiederholen. Fertig, oder? Kann man schon mal sagen.

Sandra Schulz

So ist es.

Philip BansePhilip Banse

Aber was wählen wir denn in Deutschland eigentlich? Es ist ja eine Europawahl, aber irgendwie auch so eine kind of deutsche Wahl. Was wählen wir da eigentlich?

Sandra Schulz

Ja, also wir haben nichts zu Kamellen darüber, wen die französischen Sozialdemokraten ins Europäische Parlament schicken oder die italienischen Konservativen, sondern wir wählen wirklich die deutschen Europaparlamentarier. Also es werden im nächsten EU-Parlament 720 Abgeordnete sitzen. Jedes Land bekommt einen Teil der Sitze, je nach Einwohnerzahl. Für Deutschland sind es 96 und genau wer das ist, welche Parteien in welcher Stärke, genau darum geht es jetzt bei dieser Wahl.

Philip BansePhilip Banse

In Deutschland geht es eigentlich letztlich darum, welche Abgeordneten schicken wir auf diese 96 Sitze im Europäischen Parlament, die deutschen Abgeordneten zustehen? Und das macht man halt nicht mit einer direkten Wahl, dass man für Lieschen Müller oder Peter Meyer stimmt, sondern ihr stimmt für Listen, für Listen, die die Parteien aufgestellt haben.

Und auf diesen Listen sind halt Politiker Politikerinnen aufgeführt, die halt in das Europäische Parlament einziehen, wenn die Listen halt ausreichend Stimmen bekommen. Und diese 96 Sitze, die werden halt nach den Stimmen, die diese Listen in Deutschland bekommen verteilt. Also angenommen SPD Liste kriegt 100 %, kriegen die halt 96 Abgeordnete, die da ins Parlament

einziehen werden. Das wird natürlich nicht passieren, aber so ist das Prinzip, dass die deutschen Abgeordneten auf diese 96 Plätze verteilt werden.

Sandra Schulz

Und jetzt ist es ja diese immer wieder gestellte Frage. Es gibt rund 350 Millionen Wahlberechtigte in Europa. Warum ist das jetzt so wichtig, dass ich, dass du, dass so viele wie möglich zur Wahl gehen? Kann man ja immer ein dickes Fragezeichen dran machen. Aber da gibt es eben ganz einfache Rechenbeispiele. Also wir wissen, dass Populisten, dass Autokraten, dass die in aller Regel ziemlich gut sind im mobilisieren.

Philip BansePhilip Banse

Und da kann man natürlich einerseits formulieren, es ist es einfach wichtig, eine Stimme abzugeben. Man kann natürlich auch sagen, es ist inhaltlich irgendwie wichtig für Partei oder XY zu wählen, weil die sich für meine Sachen einsetzen.

Man kann aber vor diesem Hintergrund, das Populisten und Autokraten besonders gut mobilisieren, auch argumentieren, jede Stimme für eine demokratische Partei ist wichtig, denn, und das ist das Rechenbeispiel, was du eben schon angedeutet hast, angenommen, was weiß ich, es wählen zwei Menschen. Eine Stimme bekommt eine autokratische Partei und eine andere Stimme bekommt eine Demokratische Partei.

Sandra Schulz

Also bei der autokratischen Partei kannst du sicher sein, der Wähler, die Wählerin geht hin.

Philip BansePhilip Banse

Und die kriegen eine Stimme. Und angenommen, es gibt noch eine zweite Wählerin, die wählt eine demokratische Partei, dann haben die Autokraten 50 % der Sitze gewonnen. Wenn man aber sagt okay, die Autokraten mobilisieren einen Wähler. Die Demokraten schaffen es aber, neun Wähler und Wählerinnen zu mobilisieren, dann haben die Autokraten auf einmal nur noch 10 % der Sitze. Die haben dieselben Stimmen bekommen, die selbe Anzahl der

Stimmen. Aber weil mehr Leute hingegangen sind und demokratische Parteien gewählt haben, reduziert sich der Anteil der Sitze und damit auch nominell die Anzahl der Sitze im Parlament für autokratische Parteien. Und deswegen ist es so wichtig für demokratische Parteien zu mobilisieren und die Stimme abzugeben.

Sandra Schulz

Wir wollen hier so ein paar Punkte ein bisschen genauer anschauen. Es gibt eine Kritik schon ganz lange an dieser Europawahl, nämlich dass die Stimmen aus kleineren Ländern mehr zählen würden als die aus großen, Philip. Wie ist das? Ist das Gewicht der Stimmen gleich? Ist es unterschiedlich?

Philip BansePhilip Banse

Da muss man ganz unaufgeregt sagen, Nein, das ist nicht so. Es ist richtig, dass nicht jede Stimme gleich viel zählt. Also man kann das leicht sehen. Deutschland hat rund 83 Millionen Einwohner Einwohnerinnen und entsendet eben diese 96 Abgeordnete. Das heißt, rechnerisch vertritt ein Mitglied im Europäischen Parlament, ein deutsches Mitglied im Europäischen Parlament, ungefähr 870.000 Menschen.

Malta zum Beispiel hat irgendwie gut eine halbe Million Einwohner Einwohnerinnen, entsendet sechs Abgeordnete. Das heißt ein maltesischer Abgeordnete, eine maltesische Abgeordnete vertritt nicht 870.000 Menschen wie eine deutsche, sondern 88.000, also 1/10.

Sandra Schulz

Also da kann man schon sagen, das ist auf den ersten Blick ein Nachteil für deutsche Wählerinnen, für deutsche Wähler. Andererseits, wenn man es rein proportional rechnen würde, also wenn alle Stimmen gleich viel zählen würden im Ergebnis, dann sozusagen in der Abbildung der Abgeordneten, dann würde das bedeuten, dass Deutschland 160 mal so viele Abgeordnete haben müsste wie Malta. Dann noch mal ganz kurz nach oben geskippt, Deutschland hat einfach 160 Mal so viele Einwohner wie Malta.

Und daran sieht man schon. Also so ein Parlament müsste absolut riesig werden, wenn man nicht sagt, ja Malta, fällt dann halt unter den Tisch oder ist dann halt mit einem Abgeordneten dabei.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und mit einem Abgeordneten könntest du dann halt auch nicht das Parteienspektrum in diesen kleineren Ländern abbilden. Und deswegen sagt der Vertrag von Lissabon, der ja so was wie die Verfassung für die Europäer ist, der sagt, okay, Länder müssen mindestens sechs Mitglieder ins Europäische Parlament entsenden können, um eben das lokale Parteienspektrum abzubilden.

Und das wiederum heißt, wenn du das dann trotzdem irgendwie proportional abbilden würdest, das würde halt heißen, dass Deutschland mindestens 960 Mitglieder ins Parlament schickt. Das ist natürlich völlig absurd, wenn das für alle anderen Länder gälte, wir hätten ein Parlament mit mehreren 1000, glaube ich. Das kann man sagen, wahrscheinlich mehreren 1000 Abgeordneten. A) das würde natürlich wahnsinnig viel Geld kosten. Aber es wäre auch wahrscheinlich ein Parlament, was nicht arbeiten könnte.

Und deswegen gibt es halt eine Grenze.

Sandra Schulz

Das kann man sich wirklich schwer vorstellen. Wir wissen ja auch die Parlamentarier, die reisen zwischen Brüssel und Straßburg hin und her und das bei mehreren 1000 Abgeordneten. Auch diese ganzen Vorgänge, Übersetzungen kann man sich alles nicht so richtig vorstellen. Und deswegen gibt es eben diese Obergrenze, die eben auch im Vertrag von Lissabon steht.

Da steht drin, die absolute Höchstzahl für Abgeordnete sind 750 und dieses Mal werden es eben 720 werden und das Fachwort dafür, einmal droppen, das ist die sogenannte degressive Proportionalität.

Philip BansePhilip Banse

Habe ich auch noch nie gehört. Was ist das?

Sandra Schulz

Also das ist eben genau dieser Zusammenhang. Wir haben keine echte Proportionalität, denn siehe oben, sonst hätten wir eben dieses riesengroße Parlament oder die Alternative wäre zu sagen, tja, Malta, wenn du so klein bist, hast du eben Pech gehabt, dann schickst du eben nur einen Abgeordneten. Aber das ist natürlich auch für ein kleines Land mit einer sicherlich auch bunten Parteienlandschaft mit einer Parteienvielfalt nicht vermittelbar.

Und das hätte sicherlich dann in den kleineren Ländern auch absehbar, ja, einfach Vertrauensverlust.

Philip BansePhilip Banse

Man fühlt sich einfach nicht mehr repräsentiert. Also man muss ja auch gucken, dass diese Länder irgendwie zwar klein sind, aber doch irgendwie in der EU repräsentiert sind. Und so gibt es halt also diesen Kompromiss, den wir gefunden haben. Die andere Frage ist natürlich auch, ich habe es vorhin angedeutet, früher galt es so ja, EU Parlament hat ja eh nix zu sagen, warum sollen wir da eigentlich wählen? Das hat sich natürlich massiv geändert.

Sandra Schulz

Ja, das ist, eigentlich kann man sagen, so ein bisschen von gestern. Also in den letzten Jahrzehnten sind die Kompetenzen des Parlaments mehr und mehr gestärkt ausgebaut worden. Der Vertrag von Lissabon, der hat jetzt dieses Gesetzgebungsverfahren, nach dem der Europäische Rat, also das Gremium, in dem die Staaten vertreten sind und das Parlament sozusagen auf Augenhöhe gebracht, in diesen sogenannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.

Also die gelten jetzt nicht bei jedem Themenbereich, aber eben schon sehr, sehr breit. Also Einwanderung, Energie, Verkehr, Umweltschutz, Verbraucherschutz, also eigentlich alle Themen, die wir im Moment verhandeln und die zur Debatte stehen.

Philip BansePhilip Banse

Wir haben das ja auch oft gesagt, zum Beispiel dieses sogenannte Verbrenneraus, also das Verbot der Neuzulassungen von Verbrennerautos ab 2035, aber auch so was wie ein Recht auf Reparatur, europäischer Emissionshandel, Klimaschutz. Alles wichtige Themen, in denen das Parlament ein ganz, ganz gewichtiges Wort mitzureden hat und bei vielen Themen eben auch Motor war dieser Entwicklung, die wir jetzt sehen. Also das kann man, glaube ich, nicht mehr sagen. Das EU-Parlament hat sehr viel

mitzureden. Da haben wir viele, viele Themen ja auch in der Lage gehabt, in denen das EU-Parlament eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. Auch deswegen ist es wichtig, wählen zu gehen. Dann gibt es ja immer noch einen Kritikpunkt. Ja, das ist sehr richtig. Aber du hast es schon gesagt, das EU-Parlament ist nicht für alle Themen zuständig. Für viele aber nicht für alle.

Also Außen- und Sicherheitspolitik zum Beispiel ist so ein Thema, wo das Parlament nicht mitredet und das EU-Parlament hat auch kein Initiativrecht. Was heißt das?

Sandra Schulz

Also das heißt, dass du anders als so wie wir es aus unserem deutschen Gesetzgebungsprozess kennen, nicht dieses eigentlich originäre parlamentarische Recht hast, ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg zu geben. Das heißt bei uns im deutschen Grundgesetz so schön, Gesetzesvorhaben können aus der Mitte des Bundestags eingebracht werden, also unter anderem vom Bundeskabinett und vom Bundesrat ja auch. Also von 5 % der Abgeordneten oder von den Fraktionen.

Und genau das gibt es eben im Europäischen Parlament nicht.

Philip BansePhilip Banse

Ja, und da glaube ich, das ist so und das ist sicherlich auch ein Makel. Aber ich glaube, man darf diesen Makel nicht überbewerten. Denn auch im Deutschen Bundestag, wo der Bundestag und die Fraktionen ein Initiativrecht haben, also eigene Gesetze einbringen können, spielt das doch eher eine untergeordnete Rolle. Wir haben das jetzt noch mal nachgeschlagen hier in der Statistik des Deutschen Bundestags zur Gesetzgebung bis zum 31. Mai 2024, also relativ aktuell.

Und da ist zu lesen, dass der Bundestag bis dahin 257 Gesetze in der 20. Wahlperiode verabschiedet hat. Und von diesen 257 Gesetzen wurden vorgelegt von der Regierung 190, aus der Mitte des Bundestages kamen 62. Also die Regierung hat mehr als drei Mal so viele Gesetze vorgeschlagen, die dann auch verabschiedet wurden, wie aus der Mitte des Bundestags kamen. Also ich würde schon sagen, dass da die Bedeutung des Initiativrechts des Bundestags doch ein bisschen relativiert wird.

In aller Regel kommen Gesetze aus der Regierung, aus dem Kabinett. Also da wird ein Gesetzesvorschlag im Ministerium erarbeitet. Das wird mit allen Ministerien abgestimmt. Dann geht es durch Kabinett. Das Kabinett beschließt es. Und so kommt ein Gesetz in den Bundestag und wird dort eben debattiert, verabschiedet, oder auch nicht verabschiedet. Ja, einige Gesetze kommen auch aus den Fraktionen.

Also das sind dann häufig so Gesetze, in denen es um große ethische Fragen geht, Sterbehilfe oder solche Sachen.

Sandra Schulz

Das sind dann die Dinger, die über diese sogenannten Gruppenanträge entschieden werden. Das passiert einmal alle paar Jahre. Das ist dann auch immer deswegen besonders interessant, weil dann ja auch der Fraktionszwang in aller Regel aufgehoben wird.

Philip BansePhilip Banse

Und natürlich kann auch die Opposition und macht das ja auch regelmäßig Alternativvorschläge zu bestehenden Gesetzesvorhaben bringen. Aber die werden natürlich in aller Regel nicht beschlossen. Aber im Bundesgesetzblatt landen in aller Regel Gesetze, die aus der Regierung gekommen sind.

Und selbst die Vorschläge, die im Bundesgesetzblatt landen, als verabschiedete Gesetze, die aus dem Parlament gekommen sind, sind mitunter Gesetzestexte, die in Ministerien geschrieben wurden, als sogenannte Formulierungshilfe. Das wird häufig gemacht, um Zeit zu sparen. Also normalerweise ist es ja so, dann schreibt ein Ministerium einen Gesetzentwurf mit den anderen Ministerien abgestimmt, dann beschließt das Kabinett das.

Und dann muss aber dieser Gesetzentwurf eigentlich erst im Bundesrat zur Stellungnahme vorgelegt werden. Das dauert dann irgendwie noch mal zwei, drei Wochen. Und deswegen hat sich da so ein bisschen eingebürgert, dass ein Ministerium ein Gesetz schreibt, der Fraktion, den Regierungsfraktionen im Bundestag gibt und sagt, hier guck mal. Wir haben hier mal so einen Vorschlag. Wie wär's, wenn ihr das übernehmt?

Und als, aufgrund eures Initiativsrechts, als eigenen Vorschlag ins Parlament einbringt, dann sparen wir uns diesen Umweg um den Bundesrat. Wir sparen uns noch ein paar andere Sachen. Das spart natürlich Zeit, aber das ist eigentlich nicht so im Sinne des Erfinders, weil natürlich da bestimmte Sachen einfach auch unter den Tisch fallen. Aber das ist eben auch ein großer Teil der Gesetze, die aufgrund des Initiativsrecht aus dem

Bundestag kommen. Das heißt, ich glaube, in der Praxis ist das ein bisschen überbewertet.

Sandra Schulz

Weil die Men- und Womenpower eben einfach auch in den Ministerien sitzt. Da sind die Fachleute, die für die Gesetzgebung und deswegen ja, ich habe eine Politikwissenschaftlerin gelesen, die sagt, das sei so ein bisschen ein Mythos um das Initiativrecht des Parlaments deswegen.

Philip BansePhilip Banse

Es wäre natürlich schön, wenn das Europäische Parlament das hätte, glaube ich. Das wäre schon gut.

Sandra Schulz

Ich hätte nichts dagegen.

Philip BansePhilip Banse

Aber es ist jetzt auch kein riesen Makel, wo man sagen würde, die haben einfach nichts zu sagen und nichts zu melden. So, falls ihr euch jetzt noch mal informieren wollt, welche Partei ihr denn nun wählen sollt, welche mit euren Interessen, Neigungen, Werten, Ideen am meisten übereinstimmt, da gibt es natürlich immer den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Den könnt ihr euch angucken. Kennt ihr ja auch, haben wir schon oft empfohlen.

Ihr könnt euch aber auch mal den europartycheck angucken. Ist ein lustiger Name, wenn man das so hört. Europartycheck. Aber es geht letztlich darum, um die Europawahl und welche Parteien, welche Fraktionen, welche Listen da mit euren Ideen am meisten übereinstimmen, haben wir auch verlinkt. Funktioniert ähnlich wie der

Wahl-O-Mat. Ich finde nur interessant, dass das initiiert wurde von Forschern und Forscherinnen und ihr nach dieser Empfehlung, ja, deine Werte und Einschätzungen und Antworten stimmen am meisten mit Partei XY überein, ihr auch noch weitermachen könnt, weitere Angaben machen könnt, um der Wahlforschung zu helfen. Ich habe das auch mal gemacht. Ich fand es irgendwie sinnvoll und finde es immer gut, wissenschaftliche Forschung zu unterstützen. Deswegen europartycheck.de lohnt einen Besuch.

Sandra Schulz

Und um noch mal den ganz großen Bogen zu schlagen, noch mal vielleicht zurückzukommen auf die Frage, worum es geht. Also das ist nicht eine Frage, die uns nur umtreibt, sondern da hat es, wie ich fand, jetzt Anfang der Woche auch einen sehr bemerkenswerten Appell gegeben von Holocaustüberlebenden, die dafür werben, wählen zu gehen. Walter Frankenstein ist einer von ihnen. Er wird in diesem Jahr 100. Er hat, wie gesagt, den Holocaust überlebt.

Und vor dem Hintergrund eines drohenden Rechtsrucks bittet er alle:

Walter Frankenstein

Geht wählen. Wählt eine demokratische Partei. Es gibt ja alle Möglichkeiten. Dankeschön.

Philip BansePhilip Banse

Ein großes Thema diese Woche werdet ihr alle mitbekommen haben. Wieder eine aufgeflammte Diskussion über Abschiebung verurteilter Straftäter sogenannter krimineller Ausländer. Der Hintergrund ist natürlich die tödliche Messerattacke von Mannheim. Da haben im Zentrum von Mannheim islamfeindliche Leute eine Veranstaltung gemacht, haben sich auf den Marktplatz gestellt. Dann kam ein Mann und hat mit einem Messer auf die Leute eingestochen.

Dabei wurden sechs Menschen verletzt, ein Polizist so schwer, dass er dann gestorben ist.

Sandra Schulz

Jetzt gibt es den Verdacht eines islamistischen Hintergrundes. Der mutmaßliche Täter Sulaiman A. ist 25 Jahre alt, ist vor mehr als zehn Jahren aus Afghanistan gekommen, ist im Asylverfahren erst abgelehnt worden, hatte inzwischen aber einen Aufenthaltstitel. Er hat eine deutsche Frau, er hat inzwischen zwei Kinder, er ist ehrenamtlich engagiert gewesen. Den Ermittlungsbehörden bisher nicht bekannt gewesen. Völlig unauffälliger Mann. Das ist der, um den die Diskussion jetzt zirkelt.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Das ist der mutmaßliche Täter. Ich meine, es gibt auch Videoaufnahmen und so, aber man weiß halt nie, ob er dann wirklich auch verurteilt wird und wegen was. Die Reaktionen waren ziemlich heftig, muss ich sagen. Also zum einen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen, wie er sagt, wegen der besonderen Bedeutung des Falls. Es handele sich um einen Angriff auf die Meinungsfreiheit, die Sicherheit Deutschlands.

Es sei gefährdet und die Ermittler gehen von islamistischen Motiven aus. Das sagt auch Justizminister Marco Buschmann, der auf X schreibt, es gebe klare Hinweise auf ein islamistisches Motiv. Das sagen die Ermittler. Auch die deutsche Politik, die deutsche Innenpolitik hat den Fall aufgenommen. So würde ich es mal formulieren.

Sandra Schulz

Das habt ihr alle mitbekommen. Es gibt die Forderung von mehreren CDU Ministerpräsidenten, von mehreren SPD Politikern, eben leichtere Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen. Man muss eigentlich sagen, überhaupt wieder Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen. Beziehungsweise, so präzise muss man sein, im allerersten Schritt, erst mal zu prüfen. Und genau das hat die Innenministerin, Nancy Faeser, die SPD Frau auch angekündigt.

Nancy Faeser

Für mich ist klar, dass Personen, die eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit Deutschlands sind, schnell abgeschoben werden müssen. Und da bin ich auch ganz entschieden. Die Sicherheitsinteressen Deutschlands, das überwiegt hier eindeutig gegenüber den Bleibeinteressen von Betroffenen.

Philip BansePhilip Banse

Also sie prüft das seit Monaten, hat sie gesagt in der Bundespressekonferenz. Und das verwundert auch nicht, denn Abschiebungen nach Afghanistan sind keine einfache Sache. Sie sind seit 2021 ausgesetzt, als die Taliban die Macht übernommen haben. Und das erste Problem, was mit Abschiebungen nach Afghanistan ist, sie sind einfach rechtsstaatlich und ganz praktisch sehr kompliziert und nicht einfach zu machen. Das Völkerrecht schreibt nämlich vor, es darf keine Abschiebung in Tod und Folter geben.

Das ist das Völkerrecht. Das gilt. Und ich habe jetzt auch noch niemanden von der Union und der SPD gehört, der diesen Grundsatz in Frage stellt. Und ob eine angeordnete womöglich Abschiebung nach Afghanistan diesem Grundsatz widerspricht, das prüfen in Deutschland eben Gerichte. Und aktuell entscheiden die halt in aller Regel, wir können dahin nicht abschieben. Das ist einfach Aufgabe des Rechtsstaat in Deutschland und das ist Status quo.

Sandra Schulz

Das ist Status quo. Das hat Nancy Faeser auch mehreren Medien gesagt, dass eben seit einigen Jahren, also de facto niemand abgeschoben worden ist nach Afghanistan. Gegenargument habe ich zum Beispiel heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk gehört, vom Innenminister in Thüringen, von Georg Maier, der sagt Na ja, in Afghanistan ist es auch nicht überall gleich. Also das ist dann auch immer das Standardargument, das dann oft gebracht wird.

Wenn wir aber den Punkt sozusagen beiseitelegen, dann sind wir schon ganz eng beim nächsten Problem. Selbst wenn es rechtlich ginge, wie geht es denn praktisch? Die Taliban sind ein Verbrecherregime. Wie scharf sind die eigentlich darauf, potenzielle Straftäter aus Deutschland zurück zu nehmen? Tja, Philip, müsste man die mal fragen.

Philip BansePhilip Banse

Das ist der nächste Punkt. Wie scharf sind die da drauf? Du kannst die ja nicht einfach irgendwo abwerfen. Ich meine, es gibt jetzt schon Innenminister, die sagen, na ja, dann setzen wir die Leute eben an der pakistanischen Grenze aus und sollen nach Afghanistan rüberlaufen. Aber ich glaube, das ist wenig praktikabel. Also man müsste Afghanistan die Taliban fragen hier, wir haben ja verurteilte, verurteilte Straftäter. Wollt ihr die gerne zurücknehmen?

Das ist nur nicht so einfach, weil es nach meinem, nach unserem Wissen de facto eigentlich keine offiziellen Kontakte zu den Taliban gibt. Das ist ein geächtetes Regime. Es sagt das Außenamt, es gibt da keine wirklich offiziellen Kontakte. Die braucht man aber, um zu regeln, wie Straftäter nach Afghanistan abgeschoben werden können.

Sandra Schulz

Und das sagt der CDU Mann Thorsten Frei bei Table.Media. Der spricht von sogenannten technischen Kontakten, weil es ja auch Austausch darüber gibt zum Beispiel auch darüber, nach wie vor frühere Mitarbeiter und Helfer der Bundeswehr nach Deutschland zu holen. Das sind ja Anstrengungen, die alle auch noch laufen. Da müssen Pässe ausgestellt werden und so was. Und Thorsten Frei sagt eben, also wenn so was geht, dann könnte man die Kanäle auch für so was nutzen.

Philip BansePhilip Banse

Ja gut, also was du brauchst ist, du hast einen Menschen, der kein deutscher Staatsbürger ist, der hier einen Status hat. Ein Aufenthaltsstatus. Der muss ein Verbrechen begehen. Das muss den Rechtsweg durchlaufen, der muss verurteilt sein. Dann kommt eventuell die Überlegung ins Spiel, können wir den abschieben? Dann gibt es die rechtlichen Vorbehalte, die wir oben genannt haben, dass deutsche Gerichte das in aller aller Regel nicht durchwinken aus Rechtsgründen.

Dann gibt es den praktischen Weg. Man muss irgendwie mit den Leuten reden. Dann sagt Thorsten Frei, ja, ja, da gibt es doch irgendwie so technische Kontakte. Ja, dann redest du mit denen. Aber dann musst du ja mit denen auch einen Deal machen. Willst du jetzt hingehen zu den Taliban und sagen, hör mal zu. Wir haben hier Straftäter. Wollt ihr die entgegennehmen. Dann sagen die, uh, können wir gerne mal überlegen. Lass uns doch einen Deal machen. Wie kann so ein Deal aussehen?

Kriegen die dann Geld? Kriegen die dann Anerkennung? Will man das wirklich machen mit dem Talibanregime, um eine maybe handvoll straffällig gewordener Migranten aus Afghanistan abzuschieben?

Sandra Schulz

Also da gibt es einfach unglaublich viele Ambivalenzen. Ich komm auch immer wieder zu dem Punkt, dass ich mir denke, das ist auch natürlich vielfach die Argumentation jetzt in dieser politischen Diskussion. Wir sprechen über einen Mann, der mutmaßlich ein Tötungsdelikt begangen hat, vielleicht einen Mord. Ergibt es nicht Sinn, diesen Mann in Deutschland, da wo er diese Straftat begangen hat, zu verurteilen und zu bestrafen?

Philip BansePhilip Banse

Also das wäre mein erster Impuls. Ich verstehe diesen Zusammenhang in der Debatte nicht. Da haben wir einen Mann seit über zehn Jahren in Deutschland, völlig unauffällig. Jetzt begeht er mutmaßlich Totschlag. Mord. Dieser Mann ist vor zehn Jahren aus Afghanistan bekommen.

Und wir reden jetzt darüber, ob wir andere Leute, die auch mal aus Afghanistan gekommen sind und straffällig geworden sind, das ist ja das Argument, die müssen straffällig geworden sein, die müssen rechtskräftig verurteilt worden sein, und dann können die abgewiesen werden. Darüber reden wir jetzt. Ich verstehe den Zusammenhang nicht, ganz ehrlich. Ich würde auch sagen, da gibt es einen schrecklichen Angriff in Mannheim. Natürlich muss der ermittelt werden.

Natürlich muss der Schuldige bestraft werden. Ich verstehe nur den inhaltlich sachlichen Zusammenhang nicht, wie jetzt Leute sagen können, okay, dieser Vorfall, der ist jetzt Grund dafür, zu überlegen, ob wir andere Leute, die irgendwann mal aus Afghanistan geflohen sind und straffällig geworden sind, nicht abschieben sollen.

Sandra Schulz

Ja, aber da, Philip, werde ich jetzt ein kleines bisschen kühl und sage jetzt mal etwas straight. Na ja, der Mann ist aber nun mal kein deutscher Staatsbürger.

Philip BansePhilip Banse

Okay.

Sandra Schulz

Das ist in unserem Rechtssystem jetzt nicht unbedingt ungewöhnlich, dass du Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit anders behandelst als Menschen, die diese deutsche Staatsangehörigkeit nicht haben, als Menschen, die als Flüchtlinge gekommen sind. Das ist natürlich ja auch ein Teil der Debatte und ein Teil dieses Spektrums warum dieser Fall so polarisiert. Der Mann ist gekommen als Geflüchteter aus Afghanistan. Er polarisiert in dieser Flüchtlingsdiskussion.

Und es spielt eben in der öffentlichen Diskussion eine Rolle, dass wir über einen Mann sprechen, der seinerseits mutmaßlich, sage ich noch mal, einen Polizisten getötet hat. Das ist ja die stärkste Form eigentlich, die man sich vorstellen kann, gegen das Recht zu verstoßen. Und jetzt zirkelt diese Diskussion so stark darum, welche rechtsstaatlichen Rechte und Positionen dieser Mann hat. Und ich glaube, dieses Störgefühl abzubilden, das ist eben auch wichtig.

Philip BansePhilip Banse

Na ja, das kann man ja gerne abbilden. Das ändert aber alles nichts daran und das machen wir ja auch, drauf zu gucken, okay, selbst wenn wir sagen, wir wollen diesen Mann und alle anderen, die irgendwann mal aus diesem Land eingewandert sind und rechtskräftig verurteilt wurden, die wollen wir abschieben, dann landen wir doch immer wieder bei dieser rechtlichen, praktischen und politischen Einordnung, wie wir sie eben gemacht

haben. Du brauchst die Gerichte, die sie verurteilen und die sagen ja, diese Abschiebung, die angeordnet ist, die ist in Ordnung. Das sagen sie in aller Regel nämlich heute nicht. Du hast die praktischen Probleme, dass du diese Leute dahin irgendwie abschieben musst. Und du kannst sie nicht einfach abwerfen, sondern du brauchst den Staat, mit dem du reden kannst. Den gibt es

nicht. Und selbst wenn du sagst, wir haben da Kontakte, dann nehmen die die Leute nicht einfach zurück, sondern du musst dann mit einem Talibanregime einen Deal machen, ihnen womöglich Geld zahlen, ihnen irgendwie politische Anerkennung verschaffen. Die werden ja einen Preis dafür verlangen. Und das alles nur, um ein paar Leute, die man auch hier verurteilen könnte und dem Rechtsstaat übergeben könnte und dem deutschen Justizsystem übergeben könnte, abzuschieben.

Und dabei, und das ist ja das nächste, dann fasst du diese Debatte an und hast riesige gesellschaftliche Kollateralschäden. Wir haben das jetzt vor der Wahl. Natürlich gibt es da irgendwie Debatten und die Leute, Politiker wollen sich präsentieren, dass sie etwas tun. Aber der Tenor ist doch immer wieder derselbe. Und das, was jetzt die öffentliche Debatte wieder dominiert, ist dasselbe. Wir haben hier Leute, wir haben Migranten und wir müssen die

eigentlich loswerden. Es geht um eine handvoll Leute, die wir praktisch nicht loswerden. Und ich verstehe nicht, wie man diesen Fall wieder zum Anlass nimmt oder warum man das tut, um diese Debatte wieder aufzuziehen. Das ist mir, ist mir einfach schleierhaft.

Sandra Schulz

Jut, den Punkt hast du gemacht, Philip. Ich glaube, es ist deutlich geworden. Ich würde es für mich gerne offener halten. Es ist ein Fall mit unglaublich vielen Ambivalenzen. Das war unser Take hier. Morgen gibt es den Take des Bundeskanzlers. Am Donnerstag gibt es die Regierungserklärung zur Sicherheitslage in Deutschland. Also to be continued.

Philip BansePhilip Banse

Andere Bilder, die die Woche hier geprägt haben, vor allen Dingen in Deutschland, sind natürlich die Bilder von der Flut, von den Fluten, von den Überschwemmungen in Süddeutschland. Wassermassen in süddeutschen Flüssen, vor allen Dingen in der Donau haben Städte, Ortschaften, ganze Regionen überflutet. Mehrere Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Eine Burg in Bayern ist, teilweise glaube ich zumindest, abgerutscht. Straßenbahnstrecken weggerissen.

Die Schäden sind noch nicht zu beziffern, dürften aber definitiv in die Milliarden gehen.

Sandra Schulz

Und was dann immer gesagt wird in diesen Diskussionen nach oder während solcher Naturkatastrophen. Leider ähnelt es sich immer mehr. Das wird öfter und häufiger vorkommen. Wir brauchen mehr Geld für Prävention. Es werden Überschwemmungsgebiete gebraucht. Renaturierung ist ein wichtiges Stichwort. Wir haben jetzt in Bayern diese Polderdiskussion gesehen. Das ist alles absolut konfliktgeladen. Denn was ist mit den Grundstücken, die da nah am Wasser gebaut haben? Wie sieht das alles aus?

Das sind alles überhaupt keine einfachen Diskussionen. Aber ganz klar ist, dass alles, was zur Prävention hilft, ja auch einen Beitrag dazu leistet, dass eben Folgekosten, Schadenskosten vermieden werden können. Alleine in der Ahr waren es 30 Milliarden.

Philip BansePhilip Banse

Ja, also ich hoffe mal, dass das jetzt langsam mal einsickert, dass natürlich das Investitionen sind, dass das Geld für diese Polder, also Polder sind ja so eingedeichte Regionen, in die der Fluss dann eben sein Wasser ablassen kann, wenn dann mal wieder Hochwasser ist. Natürlich kostet das alles Geld, aber ich glaube, es sollte jetzt langsam einsickern. Das sind notwendige Investitionen.

Die kosten viel Geld, aber sie vermeiden halt Geld, was wir ausgeben müssen, um potenzielle Schäden zu beseitigen. Du hast es gesagt, Ahrtal 30 Milliarden. Es gibt ja jetzt auch bestimmte Dörfer und Regionen, die haben für ihre Verhältnisse sehr, sehr viel Geld investiert in größere Pumpwerke, in größere Kanalisationen, in höhere Deiche. Und die werden jetzt von Journalisten und Politikern besucht. Und die machen da einen Rundgang, weil sie verschont geblieben sind.

Und diese Leute haben natürlich am Anfang auch gekämpft, das Geld im Gemeinderat klar zu machen und Millionen auszugeben für den potenziellen Fall, dass mal ein Hochwasser kommt. Aber die streichen jetzt das politische Kapital ein. Und das finde ich ehrlich gesagt ermutigend, weil ich hoffe, es muss einfach einsickern. Das sind notwendige Investitionen, die Geld kosten, aber eben Geld, das höhere Kosten vermeiden hilft.

Sandra Schulz

Genau. Also das ist glaube ich die Rechnung, die man immer aufmachen kann. Die Schäden, die sind einfach viel teurer. Da hängt noch diese andere Megadebatte dran.

Philip BansePhilip Banse

Mit den Versicherungen.

Sandra Schulz

Ja, genau, mit den Versicherungen. Ich empfehle euch dazu den Deutschlandfunk Podcast "Der Tag" aus dieser Woche. Das ist die Episode vom 3. Juni. Da hat es die Kollegin Josephine Schulz ganz ausführlich aufgefächert. Und was wir jetzt genauer angucken wollen, das ist diese andere, ja leider auch immer gleiche Lektion, die solche Katastrophen nach sich ziehen, hat Anfang der Woche auch Kanzler Olaf Scholz gesagt.

Olaf ScholzOlaf Scholz

Das ist in diesem Jahr das vierte Mal, dass ich in ein konkretes Einsatzgebiet gehe und mir anschaue, was dort ist. Das ist aber auch ein Hinweis darauf, dass was los ist. Wir werden also die Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, nicht vernachlässigen dürfen.

Philip BansePhilip Banse

We are looking at you, Olaf.

Sandra Schulz

Also wer bestimmt nochmal die Leitlinien der Politik?

Philip BansePhilip Banse

Genau, wer ist in Deutschland noch mal maßgeblich dafür zuständig den CO2 Ausstoß runter zu gehen? Na ja, das ist natürlich der Bundeskanzler, das ist natürlich die Ampel. Und da kam diese Woche eine Meldung, die dann doch nachdenklich stimmt und doch Anlass zu der Feststellung gibt, dass die Bundesregierung die Ampel einfach noch nicht genug tut. Und zwar geht es da um den Ausstoß der CO2

Emissionen. Und die Frage, tut die Bundesregierung genug, um die selbstgesteckten CO2 Reduktionsziele zu erfüllen?

Sandra Schulz

Ja, ich glaube, wir haben alle gut in den Ohren, was die Bundesregierung selbst sagt. Wir sind auf Kurs.

Philip BansePhilip Banse

Ja.

Sandra Schulz

Alles cool.

Philip BansePhilip Banse

Na ja, gestützt halt auch auf eine Prognose des Umweltbundesamtes, über die wir ja auch in der Lage berichtet haben. Und die haben halt bestimmte Annahmen getroffen und haben gesagt, na also, wenn das alles so umgesetzt wird, was sich die Bundesregierung vorgenommen hat, dann sehen wir, sagen uns unsere Prognosen, wir werden das Klimaziel 2030 erreichen und wahrscheinlich auch 2040 und 45. So, jetzt gibt es aber den Expertenrat für Klimafragen.

Der ist eingerichtet worden aufgrund des Klimaschutzgesetzes. Und der hat sich jetzt diese Prognosen des Umweltbundesamtes und der Bundesregierung angesehen und sagt, ihr denkt, ihr seid auf Kurs.

Sandra Schulz

Wir sagen: nope.

Philip BansePhilip Banse

Seid ihr nicht. Das sind unabhängige Experten, Expertinnen, sind im Klimaschutzgesetz vorgeschrieben. Und die hatten jetzt eben die Aufgabe zu prüfen, ist Deutschland wirklich auf Kurs? Sind diese Prognosen belastbar und es stellt sich raus. Nein, die Prognosen sind leider nicht belastbar. Die deutsche Klimapolitik ist nicht auf Kurs. Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen, fasst die Analyse so zusammen:

Sandra Schulz

"In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus."

Philip BansePhilip Banse

Und zwar nicht nur für 2030, sondern eben auch für die Folgejahre. Die Prognosen der Bundesregierung vom Umweltbundesamt, sagen die Expertinnen und Experten, seien einfach zu optimistisch. Nicht nur, aber auch vor allem, weil die Prognosen die Folgen des KTF-Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigen. Wir erinnern uns. Das Bundesverfassungsgericht hat die Finanzierung dieses wichtigen Geldtopfs, aus dem ganz wichtige Klimamaßnahmen finanziert werden, über den Haufen geworfen.

Da fehlen jetzt viele Milliarden Euro. Und das bedeutet eben, wenn Geld fehlt für Klimaschutzprogramme, dann gibt es eben weniger Klimaschutz, dann gibt es weniger CO2 Reduktion. Das heißt, die Prognose hält eben nicht.

Sandra Schulz

Also man kann vielleicht noch mal sagen, das Bundesverfassungsgericht hat ja nichts gegen Klimaschutz gesagt, sondern es ging eben um diese Umtopfung, die die Ampel beschlossen hat, von Geldern in Richtung Klimaschutz. Und ja, du hast die Rechnung schon aufgemacht. Weniger Geld gleich weniger Klimaschutz gleich mehr CO2.

Philip BansePhilip Banse

Und da halt die Prognose der Bundesregierung dieses Loch im Topf quasi nicht mit eingepreist hat, sind sie halt von zu optimistischen Klimaschutzmaßnahmen ausgegangen. So, was heißt das jetzt? Was hat dieses Urteil vom Expertenrat für Klimafragen für Folgen? Na ja, erst mal jetzt so direkt politisch noch nichts. Aber wenn sie im nächsten Jahr zu derselben Analyse kommen. Die Maßnahmen reichen nicht aus, um die Ziele zu erreichen.

Dann müsste die Bundesregierung drei Monate später ein Maßnahmenkatalog vorlegen. So will es eben das jetzt neue Klimaschutzgesetz.

Sandra Schulz

Da muss man vielleicht noch mal kurz reinschneisen. Sofortprogramm, Maßnahmenprogramm. Das klingelt bei euch vielleicht und ihr wisst, dass ein wichtiger Teil aus dem alten Klimaschutzgesetz, der ja gerade entschärft wurde, nämlich die Pflicht einzelner Ministerien, diese Sofortprogramme zu verhängen. Diese Maßnahmen, um die es jetzt geht, die haben also einen weiteren Rahmen, greifen dann aber, wie gesagt, wenn es im nächsten Jahr noch mal so aussieht, doch als Maßnahme.

Philip BansePhilip Banse

Als Maßnahme. Also dann ist die Bundesregierung verpflichtet, Maßnahmen vorzulegen, die dafür sorgen, dass der CO2 Ausstoß zurückgeht, um die Ziele zu erfüllen. Es ist nicht mehr ganz so streng, wie du sagst, das ist nicht mehr direkt das Verkehrsministerium, was zuständig ist, sondern, wie hat das unser Kollege Georg Ehring so schön beschrieben. Das ist wie in einer WG. Da türmt sich der Abwasch im Becken und es heißt, irgendjemand müsste jetzt mal den Abwasch machen.

Sandra Schulz

Es gibt den Beschluss, der Abwasch wird gemacht.

Philip BansePhilip Banse

Aber natürlich wird dann klar sein. Es ist natürlich der Gebäudesektor. Und es ist natürlich der Verkehrssektor, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass die Klimaziele nicht eingehalten werden. Das heißt, der Druck auf Verkehrsminister Volker Wissing, der ist zwar weniger oder wird dann zwar weniger sein, als er es heute wäre, aber er wird trotzdem da sein. Und zwar mitten im Wahlkampf 2025.

Und wir sind alle mal gespannt, inwieweit dann sich die Ampel noch zu ambitionierteren Klimaschutzmaßnahmen durchringen kann.

Sandra Schulz

Seit vielen Monaten gab und gibt es aus Nahost jetzt eigentlich ja nur Allerschlimmstes zu berichten. Erst die Hamas Terrorattacke vom 7. Oktober, dann als israelische Reaktion der Gazakrieg. Seit vielen Monaten hören wir da von Toten, Verletzten, Zerstörungen und eben natürlich auch täglich von der katastrophalen Lage im Gazastreifen.

Philip BansePhilip Banse

Und jetzt gibt es vielleicht, maybe, aber doch ein Grund für zumindest ein bisschen Hoffnung. Den sehen viele in einem Plan für eine Feuerpause und vielleicht auch für die Zeit nach dieser Feuerpause. Diesen Plan hat US-Präsident Joe Biden dieser Tage vorgestellt, von dem er selbst interessanterweise sagt, es sei ein Vorschlag Israels. Darüber reden wir gleich noch ein

bisschen genauer. Aber in diesem Plan geht es vor allem um Großthemen, also den Abzug der israelischen Armee aus Gaza und auch die Entlassung der Geiseln aus der Haft der Hamas und natürlich dann auch um humanitäre Hilfe für Gaza. Dieser Plan hat drei Phasen. Welche sind das?

Sandra Schulz

Genau. Es ist eine Phase eins vorgeschlagen. Da geht es um die ersten sechs Wochen. Da ist geplant, oder der Vorschlag, dass sich die israelische Armee aus den dicht besiedelten Gebieten im Gazastreifen zurückzieht, dass eine allererste Gruppe von Geiseln freigelassen werden soll, also Ältere, Kinder, Frauen. Und im Gegenzug dazu sollen auch inhaftierte Palästinenser freikommen. Und sofort mit Beginn dieser Feuerpause soll dann eben auch die humanitäre Hilfe massiv gesteigert

werden. Und diese Phase eins wäre dann auch sozusagen die Vorbereitungsphase für Phase zwei.

Philip BansePhilip Banse

Und in der soll, wenn ich das richtig verstanden habe, dann während dieser sechs Wochen ausgehandelt werden die Freilassung aller Geiseln, auch der Männer im wehrfähigen Alter und eben auch der vollständige Abzug der israelischen Armee. Das wäre dann also Phase zwei und Phase drei wäre:

Sandra Schulz

Das, was im Prinzip sich alle für eine ferne Zukunft oder hoffentlich nahe Zukunft wünschen. Das wäre der Wiederaufbau des Gazastreifens und auch die Maßnahmen, die Unterstützung der USA, der internationalen Gemeinschaft und alles, was dazu gehört und alles, was es braucht.

Philip BansePhilip Banse

Wie das alle so finanziert werden soll. Genau. Und wir haben uns natürlich gefragt, was ist das jetzt für ein Plan? Ist das einer von diesen zig Plänen, die irgendwie abgeheftet und vergessen werden? Oder zeichnet dieser oder zeigt dieser Plan tatsächlich einen Weg raus aus dem Krieg, vielleicht sogar hin zu einer Lösung, vielleicht hin sogar zu einer Zweistaatenlösung?

Sandra Schulz

Wäre natürlich ein großes Wort, sehr gelassen ausgesprochen. Wir können es sortieren. Jetzt mit Simon Wolfgang Fuchs. Er ist Professor für Nahoststudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Sehr herzlich willkommen in der Lage, Simon Wolfgang Fuchs.

Simon Wolfgang Fuchs

Vielen Dank. Schön, dass ich da sein darf.

Sandra Schulz

Sie sind jetzt ja in Jerusalem. Alles, was da jetzt brodelt. Wut auf Netanjahu. Wut natürlich auch auf die Hamas. Die Verzweiflung, die Zerrissenheit. Wie erleben Sie diese Tage in Jerusalem?

Simon Wolfgang Fuchs

Ja, ich glaube, hier passieren gerade sehr viele Sachen gleichzeitig. Auf der einen Seite diese Hoffnung, die plötzlich wieder da war, die sehr überraschend über uns gekommen ist. Wir haben es schon gar nicht mehr geglaubt, dass diese ganze verfahrene Situation vielleicht zu irgendeinem Ende kommen kann. Gleichzeitig sehen wir natürlich auch die zunehmende Verzweiflung der Familien, der Geiseln, die mehr, mehr Druck machen, die sich total geschnitten fühlen von der Regierung.

Wir sehen auch heute wieder in Jerusalem das andere Lager, sozusagen Leute, nationalreligiöse Gruppen, die die Vereinigung feiern. Jerusalems im Sechstagekrieg. Heute ist ein großer Umzug hier geplant durch das muslimische Viertel der Altstadt mit 3000 Soldaten gesichert. Letztes Jahr waren es 50.000 Teilnehmer. Da gibt es auch immer rassistische Ausfälle. Alles das passiert gleichzeitig. Die wenigen Stimmen, die auf die desaströse Lage in Gaza hinweisen.

Also einem schwirrt hier wirklich der Kopf und wir stürzen von einer Emotion jeden Tag in die andere.

Philip BansePhilip Banse

Kommen wir mal zu diesem Plan, den wir oben auch skizziert haben. Sie haben das eben schon so ein bisschen angedeutet. Auch Sie scheinen da ein bisschen Hoffnung zu haben. Kann denn dieser Plan diesen Krieg beenden und vielleicht sogar irgendwie den Weg zu einer Zweistaatenlösung, die ja viele schon für völlig abgeschrieben gehalten haben, ebnen?

Simon Wolfgang Fuchs

Ich glaube, hier müssen wir unterscheiden. Ich würde erst mal über den Plan reden und dann vielleicht, ob es tatsächlich zu einer Zweistaatenlösung führen kann. Ich glaube, was mittlerweile passiert ist, ist, dass die Regierung Netanjahu wirklich in einen perfekten Sturm hinein schlittert. Und ich denke, das hat Joe Biden auch gesehen und aus diesem Grund wirklich auch alles jetzt in die Waagschale geworfen.

Seine gesamte diplomatische Glaubwürdigkeit, die noch verblieben ist, seinen gesamten Einfluss in der Region, auch auf amerikanische Verbündete wie Ägypten, Katar oder auch Saudi-Arabien, um das jetzt möglich zu machen. Was meine ich damit, dass die Regierung in den perfekten Sturm hinein schlittert? Es sind eben die Realisierung, dass man eigentlich die Kriegsziele des totalen Sieges über die Hamas, wie es ausgegeben war, nicht wird erreichen können. Die Zeit läuft davon.

Von 124 Geiseln sind wahrscheinlich noch um die 80 am Leben. Wahrscheinlich weniger. Man weiß es nicht ganz genau. Und es kommen noch innenpolitische Zwänge auch dazu für Netanjahu. Im Moment Benny Gantz, sein Mitglied im Kriegskabinett hat eine Deadline ausgegeben. Bis zum 8. Juni muss ein Plan für die Zeit in Gaza für die Zeit danach stehen. Falls nicht, wird er die Regierung

verlassen. Falls er nicht mehr im Kriegskabinett ist, wird das unweigerlich den ausländischen Druck erhöhen, weil dann Netanjahu eigentlich nur noch mit seinen rechtsradikalen und sehr religiösen Kräften verbündet ist. Auf der anderen Seite gibt es auch weitere innenpolitische Zwänge für die Regierung. Gestern oder die letzten Tage wurde noch ein Gerichtsverfahren verhandelt. Es geht darum, ob auch Ultraorthodoxe zur Armee eingezogen

werden. Das birgt auch absoluten Sprengstoff für Netanjahus Koalition. Also es heißt, die Zeit läuft ihm davon. Die israelische Bevölkerung wird mehr und mehr ungeduldig, sie will Ergebnisse sehen. Sie will einfach auch diese Situation nicht weiter aushalten und hinnehmen. Nicht nur in Gaza, sondern auch im Norden des Landes. Wir haben immer noch um die 60.000 Israelis, die nicht in ihre Häuser an der Grenze zum Libanon zurückkommen. Und dort wird die Lage auch immer

verzweifelter. Die Hisbollah wird immer geschickter in ihren Angriffen, die Temperaturen steigen, das heißt, es gibt immer mehr Waldbrände im Moment, die wir dort sehen. Also Verheerung überall. Und in diese Situation hinein ist jetzt Joe Biden geprescht, und ich glaube, es war jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Druck so weit zu erhöhen, dass ich durchaus optimistisch bin, dass wir bald Ergebnisse sehen können.

Sandra Schulz

Und was genau ist das für ein Preschen, wenn er diesen Plan präsentiert und aber Israel ja eigentlich als Urheber nennt. Ist das übliche Diplomatie? Ist es ein Move, um die Akzeptanz zu steigern? Ist das normal?

Simon Wolfgang Fuchs

Ich denke, es ist nicht normal, aber im Moment ist einfach hier gar nichts mehr normal. Also auch das Verhältnis Israel USA, das über lange Jahre sehr verlässlich war, ist auch sehr angeknackst und ich glaube, aus diesem Grund war es aber trotzdem ein guter Move, genau das so zu präsentieren. Weil es stimmt ja auch. Es wurde von israelischer Seite natürlich auch bestätigt, dass es sich tatsächlich ja um einen israelischen Plan handelt.

Man konnte dem, in der Vergangenheit wurde der schon ähnlich präsentiert, aber dann auch nicht so ganz zustimmen, weil es gab immer Knackpunkte. Die Knackpunkte waren vor allem Zahlen. Also wie viele Geiseln sollen jetzt in der ersten oder in der zweiten Runde dann freigelassen werden? Über wie viele Geiseln verfügt die Hamas überhaupt noch. Und gleichzeitig auch vonseiten der Hamas war immer die Sache. Die akzeptieren nichts außer einem absoluten Rückzug der Israelis aus dem Gazastreifen.

Also Versuche Israels zu sagen, wir wollen noch irgendwie, wir wollen hier den Gazastreifen zweiteilen, gucken, wer geht zurück in den Norden, Leute da kontrollieren. Alles das wurde von Seiten der Hamas immer sehr stark zurückgewiesen. Und ich glaube, der Plan ist von dem her jetzt so intelligent, weil er diese Dinge sehr stark umschifft.

Also auf der einen Seite redet er nicht mehr über konkrete Zahlen und er redet auch nicht darüber, wo die israelische Armee auch in dieser ersten Phase noch präsent sein wird. Er redet nur über Bevölkerungszentren. Das gibt natürlich viel mehr Spielraum für beide Seiten, hier etwas zu erreichen.

Und ich denke auch, Biden hat der israelischen Armee, hat der israelischen Regierung jetzt auch noch so viel Zeit gegeben, dass sie einige Militäraktionen in Rafah durchführen konnten, mit großer Vertreibung der Zivilbevölkerung, aber für Israel eben sehr wichtig. Gerade die komplette Übernahme des Grenzübergang zu Ägypten und an der ganzen Grenze, wo man dann sagen kann, hier werden noch Tunnel zerstört usw.

Also eigentlich hat Israel jetzt nicht mehr viele Gründe zu sagen, warum dieser Krieg in der Hinsicht auch noch weitergeführt werden müsste. Und ich glaube, von dem her ist es vielleicht gar nicht mehr unbedingt so ein anderer Plan, der jetzt präsentiert wird, aber zu einem anderen Zeitpunkt und mit leichten Modifikationen, die vielleicht diese ganzen Unstimmigkeiten ausräumen können.

Philip BansePhilip Banse

Sie haben es schon angedeutet. Der Plan lässt ja zentrale Punkte offen. Wie viele Geiseln genau, welche Gebiete genau sollen geräumt werden? Das waren bisher die Streitpunkte. Jetzt sind sie wieder nicht erwähnt. Glauben Sie denn, dass Hamas und Israel diesem Plan jetzt zustimmen werden?

Simon Wolfgang Fuchs

Im Moment wissen wir noch nicht ganz genau. Die Reaktionen von beiden Seiten sind sehr verhalten. Wir haben gestern jetzt noch mal gehört, ein Mitglied des Politbüros der Hamas, der in Beirut eine längere Pressekonferenz gegeben hat. Ich hab mir die gestern noch mal angeschaut. Und da wird es eben deutlich. Es geht immer nur um den absoluten Rückzug. Es gibt keinen Raum für Kompromiss, wird hier erwähnt.

Auf der anderen Seite sehen wir natürlich andere Zeichen, vermittelt durch Ägypten, durch andere Kanäle, die sagen, die Hamas hat positiv reagiert. Ich glaube, man muss das jetzt natürlich schon so sehen, dass beide Seiten noch mal ihre Forderungen in den Raum stellen. Und trotzdem bin ich der Auffassung, dass zumindest diese erste Phase durchaus implementiert werden kann.

Die Hamas, um noch mal auf diese Pressekonferenz zurückzukommen, hat auch gesagt, also ich glaube, die Sorge der Hamas ist, dass es eben bei dieser ersten Phase bleibt, dass Israel quasi nur seine Geiseln zurück will und dann wieder mit voller Härte zuschlägt. Und ich glaube, hier muss natürlich auch dann die internationale Gemeinschaft, da müssen andere Arrangements getroffen werden, dass diese Sorge in gewisser Weise ausgeräumt werden kann.

Sandra Schulz

Ja, wobei, wir haben jetzt relativ viel über die israelische Seite gesprochen. Das muss man natürlich auch der Vollständigkeit immer wieder dazu sagen. Auch wenn die Hamas jetzt sagen würde okay. Es reicht, die Feuerpause muss jetzt kommen. Dann wären die Kämpfe ja auch sofort vorbei. Gibt es eigentlich Sinn, jetzt relativ einseitig dann vom Druck auf die israelische Regierung zu sprechen?

Denn dass die Hamas sich aus den USA, überhaupt aus der westlichen Welt nicht unter Druck setzen lässt, das ist ja klar.

Simon Wolfgang Fuchs

Das ist klar. Und da haben Sie natürlich absolut recht. Ich glaube, auf der anderen Seite ist natürlich in gewisser Weise die Hamas auch immer noch eine Realität im Gazastreifen und es müssen jetzt andere Wege auch gefunden werden, hier eine Lösung aufzubauen, die auch tragfähig sein kann.

Und hier sind wir, glaube ich, an den wirklich allerwichtigsten Problemen dieses ganzen Plans und woran das dann doch noch alles irgendwie scheitern könnte, weil von Seiten der Hamas bisher immer betont worden ist, sie würden keine andere politische Lösung akzeptieren, als dass die Hamas weiterhin die politische Verantwortung für den Gazastreifen trägt. Wir sehen jetzt so zaghafte Versuche, die Palästinensische Autonomiebehörde wieder in Stellung

zu bringen. Hier ist es ganz interessant, sich mal anzugucken, was vielleicht passiert in Bezug auf den Grenzübergang Rafah. Da hat Ägypten jetzt noch mal vor ein paar Tagen darauf gedrungen, dass dieser geöffnet werden muss und dass sie das aber nicht mit den Israelis koordinieren wollen, sondern mit der palästinensischen

Seite. Und für die ägyptische Seite wäre das die Palästinensische Autonomiebehörde, die vielleicht hier wieder einen Fuß sozusagen fassen könnte für die Verwaltung des weiteren Gazastreifens. Hier werden auch Planspiele mit ins, oder angeführt, die schon 2005 einmal für zwei Jahre funktioniert haben, nämlich dass von europäischer Seite Personal bereitgestellt worden ist, um hier die Abwicklung des Güterverkehrs an diesem Grenzübergang sicherzustellen.

Und das wäre natürlich vielleicht eine Möglichkeit der Zusammenarbeit. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist natürlich vonseiten Israels wird genauso mit der Hamas in einen Topf geworfen, in sehr unfairer Weise, wie ich finde. Weil wir haben auch gesehen, die letzten Tage. Mahmud Abbas hat sich klar vom Iran distanziert oder von sonstigen Planspielen, die andere Akteure in dieser Region haben. Er hat noch mal sehr stark die palästinensische Sache deutlich gemacht.

Ich glaube, Israel ist da noch nicht bereit dazu aber wird nicht umhin können, dann doch die Palästinensische Autonomiebehörde wieder zu mehr ein Partner zu machen, als wir das jetzt in den letzten Wochen und Monaten gehört haben.

Philip BansePhilip Banse

Nur kurz zur Erläuterung. Der Gazastreifen wird beherrscht von der Hamas. Das Westjordanland wird regiert von dieser palästinensischen Autonomiebehörde. Die waren früher auch mal im Gazastreifen, sind dann von der Hamas vertrieben worden. Und Mahmud Abbas ist der Führer der Palästinensischen Autonomiebehörde, gilt aber als alt und auf dem Weg nach draußen und hat aktuell sehr wenig Einfluss. Das nur mal für den Hintergrund.

Sandra Schulz

Und dann doch noch mal zurückkommend zur israelischen Regierung und dem Knackpunkt. Da nämlich dem Versprechen, ja auch dem Kriegsziel, die Hamas vollständig zu vernichten. Da gibt es jetzt ja auch schon Stimmen aus dem Kabinett. Den israelischen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der ja zu den rechtsextremen Kräften auch im Kabinett gehört. Der sagt, also wenn Netanjahu jetzt ein Abkommen schließt, das nicht die Eliminierung der Hamas vorsieht, dann kippt die

Koalition. Sie haben die anderen Bruchlinien ja eben schon skizziert. Wird Netanjahu das überhaupt machen können?

Simon Wolfgang Fuchs

Ja, da haben Sie total recht. Das war die absehbare Reaktion. Ich denke, die wurde auch von den Amerikanern eingepreist. Man war sich sicher, dass diese Reaktion kommt. Ich denke, es ist wichtig zu betonen, dass Itamar Ben-Gvir nicht im aktuellen Kriegskabinett sitzt, er hat dort nichts zu sagen.

Er durfte jetzt auch nicht mal die Details des aktuellen Plans einsehen, der so auf dem Tisch liegt, der noch nicht so ganz veröffentlicht ist, hat sich da auch auf Social Media furchtbar darüber echauffiert. Also ich denke, von dieser Seite ist klar, das ist nicht zu machen.

Auf der anderen Seite sehen wir natürlich die Bereitschaft von Benny Gantz dann vielleicht doch in der Regierung zu bleiben mit seiner Nationalen Einheitspartei und auch weitere Kräfte der Opposition haben Netanjahu ihre Bereitschaft zugesichert, dass sie bereit wären, ein Sicherheitsnetz für die Regierung zu ziehen, zusammenzuarbeiten hier, um das vielleicht durchzudrücken.

Was Netanjahu natürlich auch machen könnte, das wird hier auch spekuliert, ob er vielleicht jetzt doch die Flucht nach vorne ergreift, Neuwahlen ausruft, um damit auch den Zerbrechen seiner Koalition vorweg zu kommen. Das hätte für ihn auch den Vorteil, dass dann bestimmte andere Dinge vielleicht nicht so ganz jetzt ihn beschäftigen würden. Wie schon die längst überfällige, ein längst überfälliger Untersuchungsausschuss in den 7. Oktober hinein.

Das Versagen der Armee zu diesem Zeitpunkt, zu dem ja alle anderen Verantwortung übernommen haben. Die Armeeführung, wichtige Sicherheitsleute außer Netanjahu selbst.

Philip BansePhilip Banse

Okay, also ich versuch da mal gerade so ein Strich drunter zu ziehen. Also Ihrer Meinung nach ist das ein Plan. Das ist einer der besten Pläne seit langem. Es gibt viele, viele Fragezeichen. Wie viele Geiseln zu welchem Zeitpunkt, Welche Gebiete sollen geräumt werden? Auch die Frage, wer soll eigentlich neben der Hamas, außer der Hamas dann irgendwann diesen Gazastreifen regieren, ist auch noch offen. Aber Sie sagen, es ist das Beste,

was wir haben. Und es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dieser Weg beschritten werden kann.

Simon Wolfgang Fuchs

Ich glaube, es gibt da eine Wahrscheinlichkeit, und ich glaube, es ist für Israel auch die letzte Chance, sich dem zu entziehen, wirklich zu Paria im Weltkontext zu werden, wenn dieser Krieg noch weiter andauert. Mit aller Verheerung, die wir sehen, der furchtbaren, katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen, jetzt auch mit steigenden Temperaturen bald an die 40 Grad, das heißt Seuchen breiten sich aus. Die Wasserqualität ist nicht gewährleistet.

Das sind alles Dinge, da werden wir noch viel schlimmere Bilder sehen. Und ich glaube, jetzt ist es einfach auch in Israel für Israel an der Zeit, diesen Krieg als beendet zu erklären.

Sandra Schulz

Vielen Dank an Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Nahoststudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem und heute hier in der Lage zu Gast. Danke schön.

Simon Wolfgang Fuchs

Sehr gerne.

Sandra Schulz

Ganz knapp, nachdem ihr beide letzte Woche draußen ward mit der Lage, da wurde eine wirklich historische Nachricht bekannt. Donald Trump ist der erste ehemalige US Präsident, der wegen einer Straftat verurteilt wurde. Donald Trump, noch mal in Kurzform, verurteilter Straftäter. Aller Wahrscheinlichkeit auch der erste Straftäter, der von seiner Partei als Kandidat nominiert wird für die Präsidentschaftswahl im November. Philip, was geschah bisher?

Philip BansePhilip Banse

Wir fassen das mal kurz zusammen. Also die Geschworenen, zwölf Geschworenen, eines New Yorker Gerichts befanden ihn also in 34 Fällen für schuldig. Im Kern hat Trump Geschäftsunterlagen gefälscht. Konkret Rechnungen, Checks und solche Sachen, um Schweigegeldzahlungen an einen ehemaligen Pornostar zu vertuschen. Er hatte einfach Angst, dass diese Affäre, die er bestreitet, kurz vor den Wahlen ihm gefährlich werden könnte.

Und, das hat das Gericht entschieden, er hat dazu eine kriminelle Verschwörung angezettelt, um diese Wahl zu manipulieren. Das hat ihm das Gericht als Straftat ausgelegt.

Sandra Schulz

Also die Formulierung, von der ich sagen würde, dass sie im Deutschen, diesem ganzen Komplex am nächsten kommt, wäre Bilanzfälschung mit dem Ziel der illegalen Wahlbeeinflussung. Also man hört's schon. Das ist ein ziemlich kompliziertes Konstrukt. Das ist auch juristisch alles andere als trivial. Und auch unter Fachleuten gab es da vor diesem Verfahren wirklich das eine oder andere Fragezeichen.

Ja, man könnte ja auch 1000 andere Gründe erfinden, warum ein mittelalter Mann keine Lust hat, dass eine Affäre eine mögliche, von ihm bestrittene Affäre bekannt wird. Aber wir haben es gesagt, die Jury ist vollauf überzeugt gewesen.

Philip BansePhilip Banse

Und als erstes habe ich mich gefragt, na gut, jetzt ist er ein verurteilter Straftäter, aber wie endgültig ist denn das? Und die New York Times schreibt, natürlich ist eine Berufung möglich, und alle gehen davon aus, dass er die natürlich auch in die Wege leiten wird. Aber, sagt die New York Times, diese Berufung ist nicht einfach und auf jeden Fall relativ

langwierig. Also er kann, wenn die Strafe bekannt ist, ein Antrag stellen, aber ob der angenommen wird, ist auch alles andere als ein Automatismus. Und wenn das Berufungsgericht dann verhandelt, dann kann das auch dauern. Also es ist auf keinen Fall ein Selbstläufer. Der Richter muss grobe Fehler gemacht haben, damit diese Berufung Erfolg hat. Und so schreibt die York Times, das Ergebnis eines solchen Berufserfahrens, das läge wahrscheinlich erst 2026

vor. Also wenn er dann mutmaßlich schon lange Präsident ist. Es gäbe wohl theoretisch technisch eine Abkürzung, einen Shortcut, der schneller ginge, über den Supreme Court, aber auch das, also das höchste Gericht, aber auch das schreibt die New York Times, ist sehr unwahrscheinlich. Das heißt, Trump wird sehr, sehr wahrscheinlich als Straftäter zur Präsidentschaftswahl antreten, wenn er denn nominiert wird.

Sandra Schulz

Und dann gibt es noch das interessante Detail, wir haben im Moment ja den Schuldspruch, aber wir wissen noch nicht, wie die Strafe eigentlich aussieht. Also das ist in den USA ja auch dieses entzerrte Verfahren. Und das Datum, das ist nun ein ganz brisantes, an dem die Strafe verkündet werden soll. Das ist der 11. Juli, und das ist genau vier Tage vor dem Nominierungsparteitag der Republikaner dann ab dem 15. Juli. Also das ist ein wirklich interessantes Setting muss man sagen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, vor allen Dingen muss man sagen und die Republikaner bereiten sich tatsächlich jetzt auch schon vor für diesen Fall. Okay, also wenn diese Strafe am 11.007 verkündet wird und wir am 15. unseren Nominierungsparteitag haben, dann ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass unser möglicherweise Kandidat im Knast sitzt. Was machen wir denn eigentlich dann? Also wie wahrscheinlich ist das? Strafe wird am, wie gesagt, am 11. 07. bekanntgegeben. Was sind die Optionen, die da Donald Trump drohen?

Sandra Schulz

Also die Option eins, das wäre eine Bewährung mit Auflagen. Das wäre dann auch schon wieder so ein interessanter Fall für sich. Also eines der Kriterien, das ist dann kein Umgang mit Straftätern. Und Philip, das dürfte alles andere als trivial werden.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Darauf hat jetzt auch noch mal Stuart Stevens darauf hingewiesen, dass so ein ehemaliger republikanischer Stratege, der New Yorker hat auch darüber berichtet. Ganz viele Leute aus Trumps ehemaligem und aktuellem Team sind mittlerweile verurteilte Straftäter.

Sandra Schulz

Sollen wir das mal vortanzen, Philip?

Philip BansePhilip Banse

Sein Kampagnenmanager ehemaliger.

Sandra Schulz

Falon.

Philip BansePhilip Banse

Straftäter. Sein ehemaliger stellvertretender Kampagnenmanager.

Sandra Schulz

Falon. Sein Nationaler Sicherheitsberater.

Speaker

Falon. Auch ein verurteilter Straftäter. Sein Foreign Policy Adviser, also der Berater für Auslandspolitik.

Sandra Schulz

Falon. Sein persönlicher Anwalt, sein persönlicher Jurist, der ehemalige Finanzchef seines Unternehmens, alles verurteilte Straftäter, nur um noch einmal ein paar Namen zu nennen. Steve Bannon. Michael Cohen. Michael Flynn, Rick Gates, Paul Manafort. Also eigentlich das who is who des gesamten Umfelds von Donald Trump ist hier auf dieser Liste. Alan Weisselberg, wie gesagt, ehemaliger CFO von seinem Unternehmen, alle verurteilter Straftäter und nun eben auch Donald

Trump. Und angesichts dieser Liste kommt Susan Glasser, Kolumnistin beim New Yorker, zu folgendem Schluss.

Susan Glasser

This is not a campaign, it's a criminal Organization.

Philip BansePhilip Banse

Also sie sagt, das ist keine Wahlkampftruppe, das ist einfach eine kriminelle Organisation.

Sandra Schulz

Also, und da bahnt sich ein durchaus historischer Dialog an, bitte lass uns das mal durchspielen.

Philip BansePhilip Banse

Also angenommen, er kriegt Bewährung, dann wird es möglicherweise einen Dialog geben. Wie?

Sandra Schulz

Also, ich bin die Bewährungshelferin. Du bist Donald Trump. Du kommst zu mir. Ich frag dich. Haben Sie einen festen Job?

Philip BansePhilip Banse

Ja, ich bewerbe mich gerade.

Sandra Schulz

Aha. Was wollen Sie denn werden?

Philip BansePhilip Banse

Präsident.

Sandra Schulz

Wovon?

Philip BansePhilip Banse

USA. Ich werde Präsident von den USA. Das könnte durchaus sein. Weil Natürlich da gefragt wird, haben Sie einen festen Job? Wollen Sie sich irgendwie drum kümmern? Bewerben Sie sich irgendwo? Ja. Donald Trump wird sich dann in dieser Zeit um den Posten des Präsidenten der USA bewerben. Sie könnten ihn auch zu Community Service verurteilen. Das geht auch.

Sandra Schulz

Straße fegen, Graffiti entfernen.

Philip BansePhilip Banse

Das ist so die Option Bewährung. Das gilt so mit als das Wahrscheinlichste. Dann gibt es natürlich aber auch Option zwei und das ist tatsächlich Knast. Eine Gefängnisstrafe. Maximal vier Jahre gehen da wohl, aber das gilt als eher unwahrscheinlich.

Sandra Schulz

Ja, da muss man aber sagen, Donald Trump ist Ersttäter. Also er hat bisher ja keine Vorstrafe. Es dreht sich nicht um ein Gewaltverbrechen. Andererseits ist er den Richter ziemlich übel angegangen. Er hat ihn beschimpft, missachtet. Er ist ja wohl auch eingeschlafen in der Verhandlung. Also es ist offen, was er macht, aber einfach nur dieses interessanten Szenarios halber spielen wir es mal durch. Was ist denn, wenn der jetzt im Knast sitzt und die Wahl läuft?

Philip BansePhilip Banse

Der kann ja auch weniger als vier Jahre bekommen. Aber wenn er denn tatsächlich zu Knast verurteilt wird, dann könnte das bedeuten, dass er halt am 11. 07. tatsächlich in Handschellen abgeführt wird. Und dann ist die Frage, kann er selber wählen? Und dann ist es relativ kompliziert. Er ist ja in Florida gemeldet und Florida guckt dann, na, wenn du in einem anderen Staat verurteilt wurdest, wie wäre dann denn die Regel in New York?

Und da ist es dann wohl so, wenn er also am Wahltag im Knast säße, könnte er wahrscheinlich sich selber nicht wählen. Was er aber natürlich kann, er kann trotzdem Präsident werden, auch wenn er im Knast sitzt. Da gibt es wohl in der Verfassung nirgendwo irgendwas, was das verhindern würde. Aber das ist natürlich noch nie dagewesen. Keiner kann wirklich sagen, passiert das? Wie läuft das dann konkret ab? Da müssen wir abwarten.

Sandra Schulz

Kann sich alles überhaupt keiner vorstellen. Und jetzt sind wir noch in Szenario Nummer drei, Option Nummer drei. Also es kann natürlich auch eine Geldstrafe rauskommen und da schulden wir euch jetzt natürlich noch den Spoiler. Wir haben es ja auch gerade schon angedeutet. Also die aller allermeisten Fachleute gehen davon aus, dass es eben eine Geldstrafe wird oder eine Bewährungsstrafe. Gilt mit großem Abstand als das Wahrscheinlichste. Aber das wären eben so die Settings.

Und ein verurteilter Straftäter wäre er dann immer noch.

Philip BansePhilip Banse

Theoretisch kann er Straftäter begnadigen, wahrscheinlich könnte er auch sich selber begnadigen. Aber ausgerechnet in diesem New Yorker Verfahren kann er das nicht, weil es eben ein Verfahren, ein Urteil ist, was auf Bundesstaatsebene gefallen ist. Und da kann er eben niemanden begnadigen und so eben auch nicht sich selbst.

Sandra Schulz

Ist, glaube ich, sogar auch eine größere Diskussion, ob man so eine Begnadigung im eigenen Fall auslösen kann.

Philip BansePhilip Banse

Wir sind gespannt.

Sandra Schulz

Habe ich, glaube ich auch was im Hinterkopf zu. Aber was hier natürlich jetzt auch noch mal hingehört, ist noch mal die Gesamtbilanz. Wir sprechen ja über dieses eine Strafverfahren von aber insgesamt ja vieren. Also drei weitere Strafverfahren laufen noch. Da geht es auch teilweise um deutlich brisanter Vorwürfe. Das muss man jetzt auch

noch mal sagen. Diese Bilanzfälschung und dieses Thema, über das er jetzt verurteilt wurde, ist eigentlich von den strafrechtlichen Vorwürfen, die es gegen ihn gibt, das am wenigsten Spannende. Es gibt noch das Verfahren, das in Georgia läuft, wegen versuchter Wahlmanipulation. Natürlich die Geschehnisse am 6. Januar, der Vorwurf zur Aufstachelung zum Aufruhr.

Und wir erinnern uns an Mar-a-Lago und die spektakulären Bilder mit den dort ausgebreiteten Unterlagen, also die Unterschlagung von Geheimdokumenten. Das ist im Moment auch noch Thema von Strafverfahren. Und dann gibt es ja auch noch diesen dicken Batzen von Zivilverfahren mit teilweise auch jetzt in Anführungszeichen gesprochen beeindruckender Bilanz. Also 89 Millionen $ musste Trump zahlen oder dazu wurde er schon verurteilt wegen sexueller Übergriffe.

355 Millionen, weil er bei Immobilienwerten betrogen hat.

Philip BansePhilip Banse

Ja, also diese drei laufenden Strafverfahren, die du noch genannt hast, die sind zum Teil auf Bundesebene, die könnte er dann eben auch beenden, wenn er Präsident werden würde.

Sandra Schulz

Aber von denen, vielleicht noch ganz kurz, kommt eben nichts vor der Wahl, also von diesen Urteilen kommt nichts vor der Wahl.

Philip BansePhilip Banse

Und trotzdem ist natürlich jetzt die Frage, was bedeutet das alles für die Wahlen im November und aber natürlich auch für die Demokratie in den USA insgesamt. Und um das mal zu analysieren, haben wir uns verabredet mit dem Politologen Daniel Ziblatt. Er hat mehrere Bücher geschrieben. Gemeinsam mit seinem Kollegen Stephen Levitzki. Eins hatten wir hier auch schon mal in der Lage, "How Democracies Die". Wie Demokratien sterben, haben wir ja schon mal empfohlen und

besprochen. Jetzt ist sein neuestes Buch auf Deutsch erschienen. Was er mit Stephen Levitzki geschrieben hat, heißt "Tyranny of the Minority", also Tyrannei der Minderheit.

Sandra Schulz

Daniel Ziblatt ist Professor für Regierungswissenschaften an der Harvard Universität. Herzlich willkommen in der Lage. Daniel Ziblatt.

Daniel Ziblatt

Ja, Freue mich, hier zu sein.

Sandra Schulz

Es ist ja vielfach jetzt kommentiert worden auf Reaktionen auf das Urteil gegen Trump, dass es ihm kaum schaden werde im Ergebnis. Wie kann das sein?

Daniel Ziblatt

Ja, das ist eine Sache, dass wir in den USA sehr polarisiert sind. Das heißt, dass die Hälfte der Nation, fast Hälfte der Nation Republikanische Partei wählt und die andere Hälfte oder ein bisschen mehr als die Hälfte für die Demokraten wählt. Und es ist egal, was was passiert. Polarisierung heißt, dass Republikaner fürchten Demokraten und Demokraten fürchten Republikaner. Und diese, diese Art, negative Polarisierung, wie die Politikwissenschaftler es nennen.

Es ist egal, was auf seine eigene Seite passiert, man unterstützt seine Seite trotzdem.

Sandra Schulz

Aber die Republikaner, die Republikanische Partei, das ist keine Mafia Organisation, das ist keine kriminelle Organisation. Das ist eine der traditionellen Parteien. Das ist jetzt auch seit Jahrhunderten eigentlich einer der Träger der Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika. Warum rücken diese Republikaner nicht von Donald Trump ab?

Daniel Ziblatt

es ist eine sehr erstaunliche Entwicklung, würde ich sagen, weil das stimmt, dass die Republikanische Partei, gegründet von Abraham Lincoln, um die Sklaverei zu beenden in den USA, hat jetzt seit 150 Jahren an der demokratischen Politik teilgenommen und es ist nicht normal, so behaupten wir auf jeden Fall in unserem Buch, dass sich die Republikanische Partei so radikalisiert hat, dass sie jetzt nicht mehr der Demokratie wirklich verpflichtet sind. Das ist eine sehr starke Accusation sozusagen.

Aber wir haben ganz klare Kriterien. Wenn ein Partei demokratisch ist, an die Demokratie verpflichtet ist, das heißt das, dass man die Wahlergebnisse akzeptiert, egal, ob man gewonnen hat oder nicht. Man unterstützt Gewalt, oder die Bedrohung von Gewalt nicht, man trennt sich von Extremisten. An diese drei Kriterien scheint es, dass die Republikanische Partei weg von der Demokratie gelaufen ist.

The economist magazine, was keine radikale Zeitschrift ist, hat das so beschrieben, sie haben gesagt, dass die Republikanische Partei has walked away from democracy. So ist die Entwicklung geworden. Aber Sie haben gefragt, warum ist das so entwickelt? Es ist eine komplizierte Geschichte, aber ich kann das wirklich in zwei Ursachen erklären. Zum einen hat Amerika in den letzten 50 Jahren dramatisch verändert.

Ist ethnisch-kulturell wesentlich vielfältiger geworden, aber die Republikanische Partei hat sich dagegen nicht verändert. Und das hat zwei Probleme für die Partei geschaffen. Erstens ist es sehr schwierig geworden, national zu gewinnen, weil wenn die Gesellschaft so divers ist und die Partei immer noch ein überwiegender weißliche christliche Partei ist, dann heißt das, dass es schwierig ist, Mehrheit zu gewinnen. Und das bringt die Partei, gegen die Demokratie zu wenden, das ist die

erste Entwicklung. Die zweite Entwicklung ist, diese diverse Gesellschaft bringt tiefe Existenzängste für viele Wähler. Nicht alle republikanischen Wähler aber die Trump-Basis ist der überwiegende weißliche ländliche Mehrheit in dieser Partei. Und diese Gefühl von Verlust, dass die Gesellschaft sich verändert hat eine Existenzangst erzeugt, wo man denkt, dass man sein Land verloren hat. An diese Existenzangst hängt auch zur Rückkehr gegen die Demokratie.

Philip BansePhilip Banse

Also Sie sagen, die amerikanische Gesellschaft sei vielfältiger geworden, die Republikaner dagegen hätten sich nicht verändert, seien immer noch im Herzen eine weiße christliche Partei. Jetzt war es ja aber so, dass Donald Trump 2016 gerade bei Schwarzen und noch gerade, was die Amerikaner so Hispanics nennen, also Einwanderer mit südamerikanischen Wurzeln stark dazugewonnen hat. Wie passt das zusammen?

Daniel Ziblatt

Ich beschreibe eine Entwicklung, was seit der Anfang des 21. Jahrhunderts entwickelt ist. Das ist bis 2020 so, die republikanische Partei hat jetzt viel weniger hispanic Wähler gewonnen als George Bush die gewonnen hat. Es stimmt, dass die Unterstützung größer geworden ist seit der Zeit der Obama. Und wir werden jetzt sehen, wie das in 2024 entwickelt. Wenn das entwickelt, dass die republikanische Partei vielfältiger und diverser sein kann, wird das eine gute Entwicklung für die USA sein.

Weil das heißt so, wenn es stimmt, was wir jetzt in Meinungsumfragen sehen, dass Schwarzer und Hispanics vor allem Republikanische Partei wählen, dann heißt das, dass die Republikanische Partei diverser sein kann. Und wenn sie eine diverse Partei ist, dann heißt das, dass sie auch Mehrheiten gewinnen können.

So, obwohl das nicht für die Demokratische Partei eine gute Entwicklung wäre, wo das vielleicht langfristig das ist eine These, einer Hypothese für die Demokratie in den USA besser, weil das heißt, dass wir zwei multiethnische Parteien haben würden. Das ist eigentlich eine gute Entwicklung.

Sandra Schulz

Und jetzt sagen Sie in Ihrem Buch ja, dass auch in den USA im Prinzip die radikalen Wählerinnen und Wähler in der Minderheit sind, hat man 2016 ja auch gesehen. Da hatte Trump rechnerisch weniger Stimmen als Hillary Clinton. Wegen des Systems, aber wegen des Wahlsystems in den USA aber trotzdem gewonnen. Jetzt liegt er in Umfragen, die allerdings noch vor dem Urteil jetzt gegen Trump gelaufen sind, danach liegt er vorn.

Warum schafft diese radikale Minderheit, von der Sie ja auch sprechen, warum schafft die das, hat es geschafft, ihren Präsidenten Donald Trump ins Weiße Haus zu bringen und wird es möglicherweise ja auch wieder schaffen?

Daniel Ziblatt

Es ist unklar, ob er wirklich eine Mehrheit gewinnen kann. Es ist klar, dass er 2016 keine Mehrheit gewonnen hat. Die ganze Zeit während seiner Präsidentschaft hat er nie eine Mehrheit Unterstützung gehabt. 2020 hat er wieder verloren. Und dann jetzt sehen wir in 2024, wie es aussehen wird. Aber was klar ist, ist, dass die Republikanische Partei seit 1988 nur einmal die Mehrheit gewonnen hat in der Präsidentenwahl 2004 nach dem Irakkrieg.

So, das heißt seit dem Fall der Berliner Mauer hat die Republikanische Partei die Mehrheit nur einmal gewonnen. Sie sind oft an der Macht gewesen wegen unserer Wahlmännerkollegium. So, das heißt nicht, dass es unmöglich ist, dass Republikaner gewinnen können. Aber ist es immer schwieriger. Schon 2020 wurde es geschätzt, dass Biden 52 % der Wähler gewinnen musste, um zu gewinnen und Trump nur gewinnen konnte mit 48 % der Wählerschaft.

Das heißt, dass es ein bisschen unfair ist, aber so ist das System. Die Politiker und Parteien müssen irgendwie daran anpassen. Wir werden sehen, ob er wirklich eine Mehrheit gewinnt. Aus meiner Sicht ist das unwahrscheinlich. Er könnte trotzdem gewinnen, weil wir jetzt Kandidaten haben. Robert Kennedy Junior ist dabei, der wird bestimmt Wähler gewinnen. Also durch diese Methode wäre es möglich, dass Donald Trump wieder an die Macht kommt.

Philip BansePhilip Banse

Also man muss dazu sagen, in Amerika ist es ja so, dass bei Präsidentschaftswahlen die Stimmen auf Staatsebene ausgezählt werden. Und wer diesen Staat gewinnt, kann eben eine bestimmte Zahl von Wahlleuten in dieses, wie sie das nennen, Wahlmännergremium entsenden, wo dann auch Frauen sitzen. Und dieses Gremium wählt dann formal den Präsidenten.

Und so kann es eben sein, dass ein Mensch Präsident wird, der bei den abgegebenen Stimmen nicht die Mehrheit bekommt, aber in diesem Wahlmenschengremium eben zum Präsidenten gewählt wird, weil er dort eine Mehrheit errungen hat. Jetzt schreiben Sie ja von einer Tyrannei der Minderheit. Müssen Sie doch mal erklären. Woher kommt dieses Wort Tyrannei? Warum Tyrannei der Minderheit?

Daniel Ziblatt

Ja, das ist eine Art Provokation, muss ich zugeben, weil es gibt einen Begriff in amerikanischer Politik von der Tyranny of the Majority. Tyrannei der Mehrheit. Tocqueville hat das auch oft benutzt, um amerikanische Demokratie zu beschreiben. Die haben Angst gehabt im 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, haben viele Angst gehabt, dass es möglich ist, dass, obwohl man eine Demokratie hat, dass die Mehrheit fast eine Tyrannei werden kann.

Das heißt, dass die Rechte der Minderheit geschützt werden muss und das stimmt. Ich glaube, das ist immer noch ein Gefahr für die Demokratie. Man sieht das in Ungarn aus meiner Sicht, wo eine Mehrheit gewinnt, in dem Orban die Mehrheit gewonnen hat. Und dann er hat diese Mehrheit benutzt, um seine Gegner zu schwächen. Das ist eine Art Tyranny of the majority. So ist es möglich, für die Demokratie zu sterben durch diese Tyranny of the Majority.

Was wir betonen wollen, es gibt eine zweite Gefahr, was auch für die Demokratie gefährlich sein kan. Das ist die Tyrannei der Minderheit und das heißt vor allem, dass ein System entwickeln kann, wo die Minderheit mehr Macht haben in der Politik, als was von der Wähler unterstützt wurde.

So, das heißt, dass wenn man 46 % der Wählerschaft bekommt, wenn man eine Wahl verlieren kann, eine Präsidentschaftswahl verlieren kann von der Bevölkerung, aber trotzdem an der Macht kommen kann wegen die Institutionen, ist das ein Art Tyranny of the Minority. Die USA ist die einzige presidential democracy in der Welt, wo man eine Wahl verlieren kann und trotzdem Präsident sein kann.

Sandra Schulz

Auf der anderen Seite hatten Sie jetzt über die letzten Jahrzehnte gesprochen. Ja, also sehr, sehr grob gesagt immer wieder ein Wechsel zwischen Demokraten und Republikanern. Es gab ja jetzt keine große Veränderung des US Wahlrechts. Warum sagen Sie, kommt das jetzt ins Rutschen? Oder sollte jetzt ins Rutschen gekommen sein?

Daniel Ziblatt

Nun, das ist eine gute Frage. Eine Verfassung hat die ländliche Gebieten gegenüber den Städten bevorzugt. Das ist immer bei uns der Fall gewesen. Wyoming hat 1/2 Millionen Wähler, Kalifornien 40 Millionen, und die haben beide zwei Senatoren. Das heißt, das ein ländlicher Staat wie Wyoming bevorzugt ist, 200 Jahre hat das aber kein große Rolle gespielt, weil beide große Parteien einen ländlichen und eine städtische Flügel hatten.

Heute jedoch, im 21. Jahrhundert, hat die eine Partei, das heißt die Republikanische Partei, eine überwiegend ländliche Basis, und die andere, die Demokraten, eine überwiegende städtisches Basis. Also das heißt, dass jetzt, die Republikanische Partei bekommt diese Vorteile von der ländliche Teil unserer Verfassung. Ich muss auch betonen, das eine Demokratie, es ist nicht nur Mehrheitsherrschaft, aber ohne Mehrheitsherrschaft gibt es keine Demokratie.

Philip BansePhilip Banse

Okay, also Sie argumentieren, dass die amerikanische Verfassung den ländlichen Gebieten doch einen Vorteil im System verschafft. Zum Beispiel weil kleine Staaten wie Wyoming ebenso zwei Senatoren im wichtigen Senat bekommen wie große Staaten wie etwa Kalifornien. Und sie argumentieren, dass die Republikanische Partei mittlerweile vor allem auf dem Land ihre Basis

hat. Wenn jetzt aber die Demokratische Partei, wie Sie sagen, letztlich sich von der Demokratie entfernt, dann würde das ja bedeuten, dass vor allem auf dem Land, sagen wir mal, Demokratiefeinde und Extremisten wohnen. Ist das so?

Daniel Ziblatt

Ja, das ist ein bisschen zu allgemein gesagt. Wir versuchen zu erklären, warum die Politiker, warum tun sie, was sie tun? Es ist nicht undemokratisch, für eine Partei zu wählen. Das Problem sind nicht unsere Wähler. In alle unsere westliche Gesellschaften Deutschland, USA, Frankreich, Italien, Schweden gibt es ungefähr 20-30 % der Wähler, die ein rechtsradikale Partei oder Politiker attraktiv finden. Es fassen konstant unsere Gesellschaften.

Was anders bei uns ist, dass diese 30 % viel mehr Macht haben. Das hängt nicht von unserer Wählen ab, das hängt von unseren Institutionen ab und unsere politischen Eliten. Wir haben einen Begriff in unserem Buch von halber Loyalität. Es gibt Politiker, die scheinen, dass sie der Demokratie loyal sind, aber sie sind eigentlich nicht, weil sie trennen nicht mit Extremisten. Sie versuchen, mit Extremisten zu koalieren, zu kollaborieren.

Was wir in die Republikanische Partei in 2016 gesehen haben, ist, dass viele der wichtigste republikanische Politiker, die haben geglaubt, dass Donald Trump eine Bedrohung für die Demokratie ist, aber sie haben trotzdem mit ihm eine Koalition geschafft, sodass er der Präsidentschaftskandidat ist. Die Entscheidungen der politische Eliten spielt eine Rolle, die politische Institutionen spielen eine Rolle. Das Problem ist nicht unseren Wählern.

Sandra Schulz

Andererseits, wenn Sie das jetzt so sagen, vielleicht ein bisschen provokant zurückgefragt. Sie stellen sich da jetzt als Harvardprofessor hin, erzählen der ländlichen Bevölkerung, ihr seid reaktionär, teilweise sogar radikal. Ist das nicht auch ein bisschen schwierig?

Daniel Ziblatt

Das habe ich aber nicht gesagt. Ich habe gesagt, das Problem ist nicht unsere Wähler. Das Problem ist die Politiker, die Politikern, die nicht demokratisch tun. Das heißt, dass sie Wahlergebnisse nicht akzeptieren, dass die Bedrohungen vom Markt nicht kritisieren, die wählen dürfen, wählen, wohin sie wollen. Das ist eine Demokratie. Die wählen für die Republikanische Partei, was sie immer gemacht haben. Das Problem ist, dass die Politiker tun nicht, als ob sie Demokraten

sind. Das ist das Problem.

Philip BansePhilip Banse

Jetzt schlagen Sie ja für Amerika eine Änderung der Verfassung vor. Bevor wir noch mal auf Deutschland zu sprechen kommen. Was konkret muss denn in dieser Verfassung geändert werden, um, wie Sie das sagen, eine Tyrannei der Minderheit in Zukunft zu verhindern?

Daniel Ziblatt

Ja, es gibt einen langfristige Problem und ein kurzfristiges Problem. Das kurzfristige Problem ist, dass es möglich ist, dass jemand, der nicht die Demokratie verpflichtet ist, gewinnen könnte. Wir haben eine Lösung, oder wir schlagen eine Lösung für dieses Problem vor, dass breite Koalitionen notwendig sind, um diese Wahlergebnis unmöglich zu machen, sozusagen. Aber das ist nur die erste Punkt. Der zweite Punkt geht um, was sollen wir tun, um langfristig unsere Demokratie gesünder zu machen?

Es darf nicht sein, dass jede vier Jahren wir denken, dass die Demokratie zu Ende kommt, oder dass es ein Notfall ist. Um dieses Problem zu lösen, glauben wir, dass es notwendig ist, unsere Institutionen zu ändern. Politiker wollen einfach an der Macht sein, das ist normal für eine demokratische Politiker zu sein. Die wollen Macht haben, die wollen ja Politik machen, sie sind rational, sie sind nicht irrational, sie sind rational. Sie reagieren auf unsere

Regeln. So wenn wir ein Wahlmännerkollegium haben, wo man nicht die Mehrheit gewinnen muss, dann wird man nicht versuchen, die Mehrheit zu gewinnen. Aber wenn wir die Institutionen ändern würden, die Anreize würden ändern. Zum Beispiel, wir schlagen vor, dass wir unser Wahlmännerkollegium abgeben müssen. Wir sind als Einzige in der Welt, die das noch haben.

Zweitens, wir glauben, dass es notwendig ist, dass unsere Bundesverfassungsgericht, die Gerichte haben in den USA lebenslang Position, dass ist das einzige in der Welt, wo das so ist. Drittens, wir schlagen vor, das kleine, scheint eine kleine Institution zu sein, aber sehr wichtig ist ,der Filibuster im Senat, wo man 2/3 oder 60 % der Stimmen braucht, um jeden Gesetzgebungsprozess weiterzubringen. Wir schlagen vor, dass das abgeschafft werden muss.

Wir haben 15 Vorschläge für die ganze Liste jetzt sagen, aber der zentrale Punkt ist immer, dass in den USA, nicht in allen Ländern, aber in den USA wäre es notwendig, glauben wir, dass es notwendig ist, dass es leichter ist, für die Mehrheiten an der Macht zu kommen und dass die Mehrheiten auch regieren können. Das ist der Zweck unserer Reform.

Philip BansePhilip Banse

Eine Sache geht mir durch den Kopf. Sie haben eben gesagt, dass die Republikaner 2016 den großen Fehler gemacht haben, dass viele von ihnen zwar erkannt haben, dass Donald Trump ein, sagen wir mal, schwieriges Verhältnis zur Demokratie hat. Trotzdem haben sie sich mit ihm zusammengetan und ihn unterstützt. Und wir haben ja hier in Deutschland eine ähnliche Debatte. Die firmiert unter der Überschrift

Brandmauer. Also die Idee ist, dass man autokratische Parteien ausgrenzen muss, dass demokratische Parteien mit autokratischen Parteien nicht zusammenarbeiten oder gar koalieren dürfen. Mich würde mal aus politikwissenschaftlicher Perspektive von Ihnen interessieren, halten Sie diese Idee einer Brandmauer, eine Ausgrenzung autokratischer Parteien für ein taugliches Mittel, um diese autokratischen Parteien zu bekämpfen?

Daniel Ziblatt

Ich glaube, kurzfristig kann das eigentlich funktionieren. Das heißt, dass wenn eine Partei oder ein Politiker wirklich eine Bedrohung für die Demokratie ist, wenn es möglich ist, andere Mehrheiten zu bilden von anderen Parteien, ist das sowohl legitim als auch effektiv. Es gibt viel geschichtliche Evidenz, dass das passiert ist, und es gibt auch viel geschichtliche Evidenz, wenn das nicht passiert ist, wenn Politiker versuchen, mit Demagogen zu kooperieren. Man kann an Italien in den Anfang

des 20. Jahrhundert hat Giovanni Giollitti, ein Liberaler, mit Mussolini gearbeitet, zusammen auf gemeinsame Parteilisten. Das hat Mussolini an die Macht gebracht. Das ist in den 90er Jahren passiert mit Hugo Chávez. Er ist auch von Mainstreamparteien Politikern an der Macht gebracht. So, das ist ein gefährliches Spiel, mit antidemokratische Akteuren zu spielen und Koalitionen zu

machen. Es gibt immer die Hoffnung, dass die sich normalisieren werden, dass die irgendwie an den Demokratie anpassen werden. Aber es ist oft der Fall, dass das nicht passiert, dass die einfach radikalisieren weiter. Aber diese Methode von Brandmauer ist nur ein kurzfristige Methode, dass man im Notfall benutzen soll und kann.

Aber über die langfristige Entwicklung einer Demokratie kann man das nicht einmal zwei, drei, viermal wiederholen, weil langfristig wird das immer nur die Narrativ stärken, dass die Außenseiter glauben, dass sie ausgeschlossen werden. Und das werden nur viel mehr Unterstützer bringen. So langfristig glaube ich, das ist eine schwache Methode, aber kurzfristig ist manchmal aber notwendig.

Sandra Schulz

Und um den Fokus da vielleicht noch etwas zu weiten, was wir hier in Deutschland, in Europa ja genauso haben wie Sie in den USA, das ist die Diskussion um die Resilienz der Institutionen gegen mögliche Autokraten an der Macht. Jetzt sind die Systeme natürlich wirklich sehr unterschiedlich. Aber haben Sie aus den USA irgendwelche Learnings, die Sie uns nach Deutschland rüberrufen wollen würden?

Daniel Ziblatt

Ja, ein paar vielleicht. Zur ersten war ich inspiriert von die Deutschen, die in den Straßen gegangen sind. Januar, Februar, März dieses Jahr im Reaktion auf diese Geschichte fast Wannsee passiert ist.

Sandra Schulz

Sie meinen das Treffen in Potsdam mit der breiten Correctiv Berichterstattung, was dann eben ja auch diese breiten Demonstrationen nach sich gezogen hat?

Daniel Ziblatt

Ja, genau. Und das ist genau, was bei einer Demokratie passieren soll, dass es eine soziale Mobilisierung geben soll von Zivilgesellschaft, nicht nur die an der Straße, fast noch wichtiger ist, dass es dieses zivilgesellschaftliche Organisation, civil society nennen wir das, entweder kirchliche Organisationen, die Wirtschaft, Gewerkschaften haben gesagt, hier ist die rote Linie in unserer Gesellschaft.

Man sollte solche Ideen nicht akzeptieren, und das ist eine Art, die Demokratie resilienter zu machen. Das kommt von unten, das ist sehr wichtig. So, das ist eine Zeichnung der Stärke der politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Natürlich reicht das nicht, das ist nicht genug. Die Politiker, anderen Parteien, die Mainstreamparteien müssen irgendwie einen Weg finden, diese Wählerunterstützung zu bekommen. Man kann nicht nur mit Brandmauer nächste fünfzig Jahre benutzen.

Was eine Demokratie resilient macht, ist die Zivilgesellschaft, civil society, aber auch starke Parteien. Und drittens würde ich sagen, dass die föderales System, wir haben das gemeinsam, die föderales System ist sowohl eine Stärke und auch eine Schwäche. Ich meine, es ist eine Stärke, weil es eine Art Beschränken von Autokraten, der an der Macht, an der nationalen Ebene kommen. Aber ist es auch eine Schwäche. Oder es gibt eine Schwäche.

Es ist verwundbar, in dem Sinne, dass man auch auf der Landesebene, auf lokaler Ebene an der Macht kommen kann. Langsam kann das eine Demokratie von unten ändern in eine schlechte Richtung. Das ist auch, was man aufpassen muss, was auf der lokaler und Bundesländerebene passiert.

Sandra Schulz

Daniel Ziblatt zu Gast in der Lage haben Sie sehr, sehr herzlichen Dank.

Daniel Ziblatt

Ja, vielen Dank.

Philip BansePhilip Banse

Wir haben ja bei uns im Lageforum unter talk.lagedernation einen Ort, wo ihr Themenvorschläge abwerfen könnt, wo ihr uns Themen andienen können, von denen ihr glaubt, dass die mal in der Lage auftauchen sollten. Und da ist mir ganz ehrlich letzte Woche was interessantes aufgefallen und wir sind dem mal

nachgegangen. Da gab es, ich weiß gar nicht mehr von wem, tut mir leid, aber von einem Hörer, von einer Hörerin, von einem Forumsteilnehmer, einer Teilnehmerin, einen Hinweis auf eine Meldung im Ärzteblatt und da stand, Bürgergeld: Milliardenausgaben der Krankenkassen weiter nicht gedeckt. Und da habe ich das gelesen und dachte, so was ist das? Komisch, interessant habe ich ja noch nie davon gehört. Sandra, worum geht es?

Sandra Schulz

Also, der Punkt ist, wer Bürgergeld bekommt, der ist krankenversichert. Und die Beiträge, die zahlt der Staat. Sind 119,60 € im Monat und insgesamt 5,9, knapp 6 Milliarden Euro.

Philip BansePhilip Banse

5,9 war 2022.

Sandra Schulz

Ja, 2022 war das.

Philip BansePhilip Banse

Jetzt ein bisschen mehr. Aber plusminus 6 Milliarden euro zahlt der Staat für Krankenkassenbeiträge, also für Beiträge in die ganz normale gesetzliche Krankenversicherung für all jene Menschen, die Bürgergeld beziehen.

Sandra Schulz

Was aber klar ist, ist das die eigentlichen Ausgaben, also alles was du nennst, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, das die viel viel höher liegen, das es einfach teurer ist. 2022 waren es nämlich 15 Milliarden Euro. Und wenn wir das jetzt noch mal nebeneinander halten, also 15 Milliarden vergleiche mit 6 Milliarden, macht ein sattes Minus von mehr als 9 Milliarden Euro.

Philip BansePhilip Banse

Die die Krankenversorgung der Bürgergeldempfangenden mehr kostet, als der Staat an Krankenkassenbeiträgen überweist. Und quasi Basis dieser Meldung war nämlich eine Studie, die das IGES Institut in Berlin für den GKV Spitzenverband erstellt hat. Das ist so der Lobbyverband der gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland. Und da ist eben rausgekommen.

Na ja, der Staat zahlt über diese Beiträge nur 40 % plus minus der Kosten, die tatsächlich durch die Krankenversorgung der Bürgergeldempfangenwn entstehen, nur 40 %.

Sandra Schulz

Das kann man noch in anderen Zahlen ausdrücken. Also im Moment sind es ungefähr 100 € pro Person pro Monat. Es müssten aber eigentlich 300 € sein, also das Dreifache. Dann wären die Kosten gedeckt. Und Doris Pfeiffer, das ist die Vorsitzende dieses GKV Spitzenverbands, die sagt, hier spare der Bund zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn der Bund nämlich die Kosten voll übernehmen würde, dann könnte der Beitrag sinken.

Und zwar nicht unbedingt um eine Kleinigkeit, sondern um einen halben Prozentpunkt.

Philip BansePhilip Banse

Und die Frage ist natürlich jetzt, ist das gerecht? Und das war so ein bisschen auch der Impuls, den ich hatte, als ich dann irgendwie diese Meldung gelesen habe. Denn man muss ja sagen, in der gesetzlichen Krankenversicherung sind halt nur die, die abhängig beschäftigt sind, die halt sozialversicherungspflichtig versichert sind und eben auch ein paar freiwillig Versicherte.

Okay, aber nicht dabei, nicht in dieser Krankenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung sind eben Freiberufler, Anwälte, Ärzte, Selbstständige, Beamte. Wir sind da auch nicht mit drin. Und natürlich all die, die gut verdienen und über der Beitragsbemessungsgrenze sind, also nicht mehr gezwungen sind, sich quasi gesetzlich krankenversichern, sondern die Möglichkeit haben, sich privat zu versichern.

Auch die sind raus aus der gesetzlichen Krankenkasse und also auch die tragen nicht mit diese Lasten, die entstehen, weil wir Bürgergeldempfangene krankenversichern, die sind raus.

Sandra Schulz

Und da liegt die Frage natürlich auf der Straße, ob das nicht wirklich eine Aufgabe ist, die alle tragen sollten. Und da gibt es eigentlich auch schon eine Antwort, die die Ampel selbst gegeben hat, nämlich im Koalitionsvertrag. Da steht, wir finanzieren höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld zwei aus Steuermitteln. Punkt.

Philip BansePhilip Banse

Da kann man natürlich sagen, wir finanzieren höhere Beiträge. Kann man natürlich reinlesen. Wenn die Beiträge steigen, dann finanzieren wir sie mit. Aber nach meinem Verständnis haben viele in der Ampel das schon so verstanden, dass das das bedeutet, wir finanzieren nicht nur irgenwelche Beitragssteigerungen mit aus Steuermitteln, sondern wir finanzieren die Kosten komplett. Die entstehen dadurch, dass Bürgergeldempfangene krankenversorgt werden.

Und das Argument lautet zum Beispiel von der gesetzlichen Krankenkasse, na ja, bei der Sozialhilfe macht ihr das ja auch so und du hast ja auch gefragt, Sozialhilfe, gibt es eigentlich noch Sozialhilfe, aber ich muss da auch nachgucken. Na ja, Bürgergeld bekommen halt jene, die im Prinzip noch arbeiten können. Aber es gibt halt darunter Leute, die halt nicht mehr arbeiten

können. Da gibt es jetzt nicht so eine Zahlung, die nennt sich Sozialhilfe, sondern das ist irgendwie so ein ganzes Paket aus staatlichen Leistungen für Menschen, die halt ihren Lebensunterhalt nicht mehr aus unter anderem eigener Kraft und Arbeit bestreiten können. Und auch da gilt, schreibt die GKV, dass die Kosten der Krankenversorgung dieser Menschen komplett übernommen werden.

Also ich habe das jetzt nicht noch mal bestätigt gefunden, aber angeblich sagt die GKV ist das bei der Sozialhilfe so. Na da, zahlt ihr nicht nur einen Beitrag, sondern da übernehmen ihr die Kosten komplett.

Sandra Schulz

Und wenn man jetzt sagt, die Steuerzahlenden sollen die Kosten tragen. Das finde ich, klingt erst mal sehr plausibel, denn warum sollten jetzt diese gesetzlich Krankenkassenversicherten die Last tragen? Wir haben es ja gerade schon skizziert die Lastenverteilung, wer da drin ist in der GKV und wer nicht.

Philip BansePhilip Banse

Was ja auch noch dazukommt, ist, die Kosten für die Versorgung von Bürgergeldempfangenden sind auch noch überdurchschnittlich hoch, verglichen mit anderen Altersgruppen. Also das IGES hat das, gegeben für die Lobbygruppe der gesetzlichen Krankenkassen, einmal ausgerechnet.

Und die kommt zu dem Schluss, dass 18 bis 29 Jahre alte Bürgergeldempfangende fast 40 % mehr Kosten verursachen als 18 bis 29 jährige Menschen, die nicht Bürgergeld empfangen und bei den 45 bis 49 jährigen sind die Kosten angeblich im Vergleich zur nicht bürgergeldempfangenden Vergleichsgruppe 20 % höher. Kann man verstehen.

Menschen, die wenig Geld verdienen, Menschen, die geringere formelle Bildungsgrade haben, das ist bewiesen, haben ein höheres Risiko krank zu werden, haben ein höheres Risiko, früher zu sterben. Das wundert nicht, aber es ist trotzdem manifest. Also diese Menschen sind krankenversichert, verursachen aber überdurchschnittlich hohe Kosten. Und da stellt sich schon die Frage, sollen das die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlen oder nicht vielleicht doch alle über Steuermittel?

Sandra Schulz

Ganz klar ist da die Haltung, muss man ganz ehrlich sagen, vom Arbeits- und Sozialministerium. Da haben wir mal so ein bisschen nachgefragt, haben mit Haushältern in der Ampel telefoniert. Die sind nämlich in der Rolle, das Geld freigeben zu müssen. Da wollten wir mal wissen, Haushaltsverhandlungen laufen ja gerade riesen Thema. Aber wir erfahren, dieser Unterpunkt, der ist nun überhaupt kein Thema. Zitat.

Philip BansePhilip Banse

Hat mir einer gesagt, die kriegen keinen Cent. Ja, ich sage, das steht doch aber im Koalitionsvertrag. Und da sagt er, ja, ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie das reingekommen ist. Da muss sich irgendjemand in dieser Arbeitsgruppe von der Lobby der Krankenkassen, der gesetzlichen Krankenkassen breit geschlagen

haben. Also da war wenig Willen zu verspüren, doch dieses neun Milliarden Euro Loch, es ist ja wirklich nicht irgendwie eine Million oder fünfhundert Millionen, sondern neun Milliarden Euro. Das ist richtig, richtig viel Geld. Das ist ungefähr das, was Herr Pistorius für sein Verteidigungsministerium dazu hätte, um die Zeitenwende zu finanzieren.

Sandra Schulz

Ein Vielfaches dessen, worüber sich Paus und Lindner zerlegt haben in Sachen Kindergrundsicherung. Also das ist richtig ein Batzen.

Philip BansePhilip Banse

Richtig Kohle. Und da war also bei den Ampelhaushältern, mit denen wir gesprochen haben, wenig Willen, das umzusetzen. Und die Frage ist natürlich, warum? Was ist die Begründung? Und ich habe mal Markus Kurth gefragt, jetzt Haushaltspolitiker der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, sitzt also da im Haushaltsausschuss, beschäftigt sich so mit diesen Gesundheitsthemen. Und der ist dagegen, dass der Staat alle Gesundheitskosten dieser Bürgergeldempfangenen aus Steuergeld bezahlt. Denn:.

Markus Kurth

Die Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung sind einkommensabhängig, das heißt, sie richten sich nicht danach, wie hoch die tatsächlichen Behandlungskosten sind.

Philip BansePhilip Banse

Also er sagt, wer viel verdient, zahlt halt hohe Beiträge, wahrscheinlich viel mehr, als er oder sie jemals an Kosten verursacht, weil die halt weniger krank werden. Wer wenig verdient, zahlt halt wenig und wahrscheinlich eben auch weniger, als er oder sie Kosten für die eigene Gesundheit verursacht.

Markus Kurth

Das Ganze nennt sich Solidarprinzip.

Philip BansePhilip Banse

Ja, das ist einfach das Wesen einer solidarischen Krankenversicherung. Es gibt Leute, die zahlen wenig ein, kriegen aber viel mehr, als sie einzahlen. Und es gibt Leute, die zahlen viel ein, kriegen aber viel weniger raus. Und zahlen mit ihren Beiträgen eben solidarisch, ja, die Kosten derjenigen, die weniger verdienen. Und Kurth argumentiert, das ist halt auch so im Niedriglohnsektor. Es ist selbe Prinzip.

Leute bekommen vielleicht kein Bürgergeld, sondern wenig Lohn, zahlen dementsprechend auch wenig Krankenkassenbeiträge und kriegen garantiert mehr Krankenleistungen als sie an Beiträgen zahlen. Und trotzdem kommt da niemand und sagt, ja, aber die Lücke muss der Staat zahlen. Nein, das zahlt eben die solidarische Krankenversicherung mit den Beiträgen von denen, die mehr verdienen.

Sandra Schulz

Okay, Auftritt Gegenargumentation GKV. Die Krankenkosten sind ja gerade Teil der Fürsorgeleistung. Und in Deutschland ist es auch so, dass die Geflüchteten zum Beispiel aus der Ukraine, die werden auch mit Bürgergeld unterstützt und auch mit ehrlich gesagt nicht unbedingt kleinen Summen von Juni bis Dezember 2022, da waren es ungefähr 350.000 Menschen aus der Ukraine, die eben also damals noch Hartz vier, heute Bürgergeld bezogen haben. Und da waren auch mehr als fünfzig Prozent unter 35 Jahren.

Philip BansePhilip Banse

Ja, das waren zwar relativ geringe Kosten deswegen, weil die so jung waren, aber das unterstreicht diese ganz zentrale Frage und den ganz zentralen Unterschied. Lohn ist Lohn. Und dann zahlt man halt von seinem Lohn einen Beitrag in die Krankenversicherung. Bürgergeld ist aber kein Lohn. So argumentiert ja auch die gesetzliche Krankenversicherung. Bürgergeld ist eine staatliche Hilfsleistung. Und die Frage ist nun, die ich ehrlich gesagt auch nicht hundertprozentig beantworten kann.

Zu dieser staatlichen Hilfsleistungen gehören offensichtlich Miete und Geld für den Lebensunterhalt und auch Heizung. Aber zählt auch die Krankenversorgung zu dieser staatlichen Hilfsleistung? Wenn das so ist, dann wäre das ein Argument zu sagen, ja, dann muss der Staat eben auch die kompletten Kosten zahlen, die da entstehen. Wenn man aber argumentiert na ja, wir zahlen ja, unterstützen die und die sind auch krankenversichert, das ist ja auch schon mal was.

Und der Staat zahlt auch die Beiträge. Aber die Krankenversicherung an sich würden wir jetzt mal nicht zu dieser staatlichen Hilfsleistung dazuzählen. Dann kann man argumentieren, na gut, dann muss das halt über die gesetzliche Krankenversicherung gelöst werden. Aber mein Eindruck ist schon auch gerade was du sagst mit den ukrainischen Flüchtlingen, das ist ja schon auch eine ziemlich generöse und staatliche Entscheidung zu sagen, die kommen in dieses

System. Und warum das nun die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen müssen, leuchtet mir auch nur so halb ein, muss ich ehrlich sagen. Ich würde denken, also wie auch immer man das jetzt definiert, ist diese Krankenversorgung ein Aufgabe des Staates als Teil dieser Unterstützung. Dann würde ich sagen, man muss die neun Milliarden rüberwachsen oder ist es nicht, dann würde ich sagen, dann kann es so bleiben, da muss die GKV bezahlen.

Ich würde eher sagen, es ist ein starkes Argument dafür, mehr Leute in diese gesetzliche Krankenversicherung zu holen.

Sandra Schulz

Da kann man wirklich unterschiedlich drauf gucken, wie die Ampel draufguckt, das ist jetzt deutlich geworden. Also da ist meine Prognose, wird jetzt nicht viel passieren. Aber wir wollten es hier einfach mal auffächern.

Philip BansePhilip Banse

Genau, wir wollten es einfach mal auffächern, weil das finde ich eine interessante Gerechtigkeitsfrage ist. Welche Zahlungen müssen eigentlich welche Gruppen in so einem Staat übernehmen? Letztlich ist das so eine ähnliche Diskussion wie bei der Rentenversicherung. Auch die Rentenversicherung bezahlt Leistungen mit Beiträgen der Rentenversicherten.

Wo man eigentlich sagen muss, das ist keine Aufgabe der Rentenversicherung, sondern das ist eher eine Aufgabe des allgemeinen Staates, des allgemeinen Haushalts. Also Klassiker sind immer Witwenrenten zum Beispiel. Das sind Renten, die für Menschen gezahlt werden, deren Ehegatten gestorben sind. Unter Umständen haben diese Leute, die dann eine Rente bekommen, aber selber nie in die Rentenversicherung eingezahlt.

Könnte man denken, na gut, das ist eine schöne Leistung, aber das soll halt aus dem Haushalt bezahlt werden. Und ähnlich kann man auch hier argumentieren bei der Gesundheitsversicherung, wo man sagen kann, natürlich sollen diese Leute versichert sein, aber muss das wirklich aus der Krankenkasse bezahlt werden? Müssen das die Leute zahlen, die in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind?

Ein Argument, was auch noch für eine Steuerfinanzierung dieser Lücke sprechen würde, denn auch wenn diese Kosten aus Steuereinnahmen bezahlt werden, tragen starke Schultern mehr als schwache Schultern, weil Steuern nun einmal höher sind für Leute, die viel verdienen und niedriger sind, für Leute, die weniger verdienen. Und wenn solche Sozialleistungen aus dem Haushalt bezahlt werden, tragen auch dann stärkere Schultern mehr als schwache Schultern.

Also auch das ist eine solidarische Art der Finanzierung, ähnlich wie in der Krankenkasse. Also auch das wäre ein Argument zu sagen, na gut, komm, lass uns das aus dem Haushalt bezahlen, auch wenn das natürlich ein riesen Batzen ist, von dem aktuell niemand weiß, wo das Geld herkommen soll. Und ich würde wirklich dafür argumentieren, es ist einfach ein gutes Beispiel dafür, dass wir mehr Leute in die gesetzliche Krankenversicherung reinholen.

Mir ist es wirklich total schleierhaft, warum die Bediensteten des Staates, die Beamten, ausgerechnet die Beamten und Beamtinnen nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, sondern privat versichert sind und einen großen Teil der Beiträge eben vom Staat bezahlt kommen. Also das ist so eine der Unklarheiten, die mir nach wie vor bleiben und da wäre ich doch schwer dafür mehr Leute in die normale Krankenversicherung

reinzuholen. Stichwort Bürgerversicherung. Und dann kann man auch solche Belastungen und solche Kosten, wie sie entstehen, bei der Krankenversorgung der Bürgergeldempfangenden, aus einer gesetzlichen Krankenversicherung zahlen. Und das war's. Die Lage der Nation für diese Woche ist wie immer sehr ausführlich, aber natürlich auch abschließend erörtert.

Sandra Schulz

Danke schön alle für's zuhören.

Philip BansePhilip Banse

Und ich danke dir, Sandra.

Sandra Schulz

Ich danke dir.

Philip BansePhilip Banse

Wir danken euch fürs Zuhören, für eure Geduld. Und dann hören wir, wenn ihr mögt, uns nächste Woche wieder.

Sandra Schulz

So sieht es aus. Tschüss.

Philip BansePhilip Banse

Tschüss.

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