LdN384 Israelische Angriffe trotz IGH-Urteil, "From the river"-Update, Kommunalwahl in Thüringen, Infrastruktur hilft gegen Rechtspopulismus, CDU-Umfrage gegen Verbrenner-Aus, westliche Waffen gegen russisches Territorium, Maßnahmen gegen rechte Gewalt (Katja Meier, sächsische Justizministerin) - podcast episode cover

LdN384 Israelische Angriffe trotz IGH-Urteil, "From the river"-Update, Kommunalwahl in Thüringen, Infrastruktur hilft gegen Rechtspopulismus, CDU-Umfrage gegen Verbrenner-Aus, westliche Waffen gegen russisches Territorium, Maßnahmen gegen rechte Gewalt (Katja Meier, sächsische Justizministerin)

May 31, 20242 hr 34 minEp. 384
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LdN384 Israelische Angriffe trotz IGH-Urteil, "From the river"-Update, Kommunalwahl in Thüringen, Infrastruktur hilft gegen Rechtspopulismus, CDU-Umfrage gegen Verbrenner-Aus, westliche Waffen gegen russisches Territorium, Maßnahmen gegen rechte Gewalt (Katja Meier, sächsische Justizministerin)

Transcript

Ulf Buermeyer

Herzlich willkommen zur Lage der Nation Ausgabe Nummer 384 vom 30. Mai 2024 und im Berliner Lage Studio begrüßen euch Ulf Buermeyer. Das bin ich. Jurist aus Berlin und...

Philip Banse

...Philip Banse. Ganz herzlich willkommen. Ein bisschen heiser durch eine, die Nachwehen einer Erkältung, so möchte ich es mal sagen. Ich hoffe, ihr haltet das durch und ich halte das durch. Aber ich bin da ganz optimistisch, obwohl wir natürlich wieder ein volles Pad haben. Bevor wir da reinspringen, wie gewohnt noch eine kurze Hausmitteilung. Uns erreichen ja auf diversen Kanälen immer so Fragen, die in die Richtung gehen: Ja, wie können wir denn gegen Hass vorgehen in sozialen

Netzwerken? Was können wir da gegenan posten? Wie können wir demokratische Ideen und Ansätze vielleicht verbreiten?

Ulf Buermeyer

Was tun zum Beispiel wenn mal wieder jemand Hass in den Handballchat postet, der für was ganz anderes gedacht ist? Oder in den Dorfchat oder so? Da wäre unser Vorschlag zum Beispiel könnt ihr guten Journalismus dagegensetzen, zum Beispiel mit einem Link auf die aktuelle Folge der Lage der Nation. Und um euch das einfacher zu machen, gibt es ja schon seit ein paar Wochen ein Lage der Nation Channel auf Telegram unter dem Link Lage.Link/Telegram könnt ihr den finden mit einem M am

Ende. Dort posten wir einmal pro Woche einen Hinweis darauf, die neue Lage ist erschienen, schreiben so paar Überschriften rein und natürlich eben den Link, wo ihr die Lage hören könnt.

Philip Banse

Richtig. Und das Neue diese Woche ist, da geht der Dank raus an Ulf, der das wie immer so schön gebastelt hat. Das gibt es jetzt auch bei WhatsApp. Also ihr könnt denselben Post, den selben Link, dieselbe Überschriften jetzt auch in einem WhatsApp Channel für euch abonnieren. Wenn das lieber ein Tool ist, was ihr benutzt. Und wenn ihr das abonnieren wollt, dann geht jetzt zur Lage.Link/WhatsApp.

Lage.Link/WhatsApp. Da könnt ihr den Channel abonnieren und kriegt dann eben einmal der Woche diese Nachricht, wir spamen euch da nicht voll, weil das ist halt einmal der Woche dieser eine Post.

Ulf Buermeyer

Und am besten einfach beide Channel abonnieren. Wenn ihr in beiden Netzwerken vertreten seid, dann habt ihr nämlich immer den passenden Link fürs passende Netzwerk parat. Könnt also dann, wenn im Handball Chat mal wieder jemand steil geht, den Link gleich oder diese Botschaft der Lage gleich rausschicken. Hört euch das doch mal lieber an! Es ist doch nicht ganz so einfach, wie ihr gedacht habt. Und die Demokratie ist doch nicht so verkehrt. Deswegen würden wir euch bitten, euch da mal

reinzuklicken. Und außerdem habt ihr natürlich noch den Vorteil, dass ihr mit als erste erfahrt, wenn eine neue Lage der Nation erschienen ist. In aller Regel wird da schneller die Nachricht kommen als in eurer Podcastapp.

Philip Banse

Unser erstes Thema ist der Nahe Osten. Wir hatten ja letzte Woche darüber berichtet, dass der internationale Druck auf Israel doch deutlich zunimmt durch die Beantragung eines Haftbefehls gegen den Premier und seinen Verteidigungsminister, aber auch durch den Beschluss des höchsten UNO Gerichts des Internationalen Gerichtshofs, diese Offensive in Rafah doch entweder abzublasen, aber mindestens doch deutlich abzumildern.

Und in dieser Woche haben wir gesehen: Israel scheint das nicht wahnsinnig zu bremsen.

Ulf Buermeyer

Also jedenfalls sind bei einem Angriff der israelischen Armee im Gazastreifen mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Die Zahlen, die wir bisher aber bei Redaktionsschluss Donnerstagnachmittag lesen können, sind 42 bis 45 Menschen. Sind allerdings Zahlen, die von der Hamasverwaltung stammen, die deswegen natürlich mit großer Vorsicht zu genießen sind. Wie immer ist umstritten, was genau passiert ist. Die israelische Armee sagt: Wir haben zwei hohe Hamas Leute mit gezielten Luftschlägen getötet.

Dabei ist allerdings ein Zeltlager in Brand geraten. Und wie gesagt, mehrere Dutzend Menschen, jedenfalls über 40 Menschen, sind dabei zu Tode gekommen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, die teilweise zur Unkenntlichkeit verbrannt sind. Dementsprechend grausame Bilder gingen um die Welt. Die Frage ist: Wie konnte das passieren?

Philip Banse

Ja, das ist bisher, glaube ich, noch Stand heute ungeklärt. Tatsache ist, wie gesagt, die israelische Armee hat diesen Bereich, so will ich es mal nennen, bei Rafah angegriffen. Und eben dabei, das muss man so vorsichtig formulieren, ist auch ein Zeltlager in Flammen aufgegangen. Wie genau das passiert ist, das wird glaube ich, noch untersucht.

Und die eine große Frage war ja auch, die israelische Armee hat ja im Gazastreifen Sicherheitszonen ausgerufen und markiert, so nach dem Motto Dahin könnt ihr euch zurückziehen, da droht euch keine Gefahr von uns. Und die große Frage war dieses Zeltlager, wo jetzt diese Menschen ums Leben gekommen sind, befand sich das in einer solchen Sicherheitszone? Und das ist ein bisschen unklar. Aber ich glaube, die Tendenz geht dahin. Nein, dieses Zeltlager befand sich nicht in einer Zone.

Die EDF, also die Israel Defence Force, die haben so eine recht detaillierte Karte veröffentlicht. Haben wir auch verlinkt, wo sie den ganzen Gazastreifen in so Zonen aufgeteilt haben. Und dieses Zeltlagers lag nun in Zone 23 72 und aus den Äußerungen der israelischen Armee geht nicht ganz hervor, ob jetzt diese Zone nun in der Sicherheitszone lag oder nicht, oder ob diese Zone eine Sicherheitszone war oder nicht.

Ich glaube, klar ist aber, Allen war klar, dass da ein Zeltlager besteht, wo geflüchtete Palästinenser und PalästinenserInnen Zuflucht gesucht haben.

Ulf Buermeyer

Man muss halt sagen, das Zeltlager ist wohl nicht direkt angegriffen worden, sondern quasi neben dem Zeltlager lagen die Angriffsziele da getroffen worden sind. Und jedenfalls hat dieser Luftangriff zu diesen hohen Zahlen von zivilen Opfern geführt. Wie gesagt, Sicherheitszone hin oder

her. Das ist letztlich, glaube ich, auch gar nicht die ganz zentrale Frage, weil es ja für die Menschen im Gazastreifen auch gar nicht so einfach ist, sich ausschließlich in Sicherheitszonen aufzuhalten angesichts des Chaos und der schlechten Versorgungslage. Jedenfalls aber hat dieser Angriff eben wohl zwei Hamasterroristen das Leben gekostet, aber eben 20, 30 mal so viele Zivilisten.

Und da stellt sich einfach die völkerrechtliche Frage: Sind das noch Kollateralschäden, die man in Kauf nehmen darf oder ist das ein Kriegsverbrechen? Jedenfalls den Angriff als solchen bestreitet auch die israelische Seite inzwischen nicht mehr. Premierminister Benjamin Netanjahu sagt, es handele sich um einen fatalen Fehler und hat eine Untersuchung angekündigt. Und auch Israels oberste Militärstaatsanwältin Yifat Tomer-Yerushalmi sprach am Montag von einem sehr schwerwiegenden Vorfall.

Philip Banse

Diese Äußerung der Staatsanwältin ist deswegen nicht ganz unwichtig, weil das haben wir ja auch in der letzten Folge erklärt, es bei dieser Frage Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs auch darum geht: Machen eigentlich die nationalen Ermittlungsbehörden in diesen Fragen genug? Ermitteln die hart genug? Und deswegen lohnt immer auch ein Blick darauf, was machen denn israelische Behörden und Strafermittler, Ermittlerinnen in diesen Fragen? Gibt es da Kriegsverbrechen oder

nicht? Deswegen ist es immer lohnend, das zumindest in die Aufzählung mit aufzunehmen.

Ulf Buermeyer

Aber angesichts dieses Angriffs auf die zwei Hamasführer, angesichts der zivilen Opfer, aber auch einer ganzen Reihe von vergleichbaren Luftschlägen steht Israel nun wieder international in der Kritik. Insbesondere deswegen, weil der Vorwurf erhoben wird, Israel widersetze sich der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs, der ja Israel aufgefordert hatte, zumindest dafür zu sorgen, dass keine Menschenrechtsverletzungen

mehr vorkommen. Manche lesen die Entscheidung auch so, dass überhaupt die Offensive auf Rafah einzustellen sei. Das ist angesichts des Wortlauts der Entscheidung nicht hundertprozentig klar. Nun muss es letzten Endes der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entscheiden, ob Israel hier missbilligt wird, und muss deutlich sagen Israel hat auch noch ein weiteres Problem.

Denn wie gesagt, die Haftbefehlsanträge von Chefermittler Khan vom Internationalen Strafgerichtshof, einem anderen Gericht, stehen ja auch noch in der Welt. Und der Konflikt zwischen Israel und diesem zweiten internationalen Gericht ist in dieser Woche noch mal deutlich angeheizt worden durch Medienberichte, die Israel in einem schlechten Licht erscheinen lassen.

Philip Banse

Richtig. Und zwar berichtet die britische Zeitung The Guardian in Zusammenarbeit mit zwei israelischen Magazinen, die sich nennen plus 972 und Local Call, dass die israelischen Geheimdienste seit neun Jahren Mitarbeitende dieses Internationalen Strafgerichtshofs abgehört haben sollen. Im Mittelpunkt dieses Lauschangriffs oder dieser Lauschangriffe muss man ja sagen, wenn das über neun Jahre gegangen sein sollte, stand a) der aktuelle Chefankläger Khan und aber eben auch seine Vorgängerin.

Ulf Buermeyer

Die Vorgängerin Bensouda soll, und das ist vielleicht sogar noch der schlimmste Vorwurf, außerdem eingeschüchtert worden sein. Frau Bensouda hatte schon 2021 offiziell Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten eingeleitet, insbesondere auch in der Westbank.

Und daraufhin soll, so berichtet jedenfalls der Guardian unter Berufung auf Quellen aus den israelischen Geheimdiensten, also quasi unter Berufung auf Whistleblower, das Ex Mossad Chef Yossi Cohen, also der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, der Chefanklägerin Benzuda, gedroht haben soll.

Philip Banse

Und zwar soll er zu dieser Chefanklägerin gesagt haben: Sie wollen nicht in Dinge verwickelt werden, die ihre Sicherheit oder die ihrer Familie gefährden können.

Ulf Buermeyer

Nach dem Motto Süße Tochter haben Sie da. Wär doch schade, wenn die unter das Auto käme.

Philip Banse

Ja. Guardian, mehrere Magazine berichten das. Müssen wir jetzt mal davon ausgehen, dass das...

Ulf Buermeyer

Es sind halt Whistleblower. Also ist alles nicht in Stein gemeißelt. Aber der Vorwurf wiegt natürlich schwer. Das erinnert letzten Endes an Mafiamethoden. Also wer der Pate geschaut hat, da liegt ein Pferdekopf im Bett. Und das jetzt also der Chef eines Geheimdienstes, eines immerhin demokratischen Staates sich in ähnlicher Manier betätigt haben soll, eben eine legitime quasi Staatsanwältin internationale Staatsanwältin einzuschüchtern, doch lieber nicht zu ermitteln.

Philip Banse

Vor drei Jahren. Ist jetzt nicht gestern passiert.

Ulf Buermeyer

Ist ne Weile her. Aber, also ich meine, das ist schon krass und ich meine, das...Ich will jetzt nicht sagen, dass das nicht Geheimdienste eben gelegentlich mal tun. Aber der Vorwurf wiegt aus meiner Sicht schon sehr schwer. Und er macht eben einfach deutlich, dass aus israelischer Sicht diese Ermittlungen stören und dass man sich mit dem Vorwurf, da internationales Recht zu verletzen, ungern konfrontiert sieht.

Philip Banse

Wir haben noch eine Menge Feedback bekommen zu unserer letzten Folge, in der wir natürlich auch ausführlich über den Konflikt im Gazastreifen, der sich auch in deutschen Universitäten zum Beispiel zeigt, berichtet haben. Da gibt es ein, zwei Sachen, die wir noch mal anmerken müssen. Zum einen geht es um die Schilderung, unsere Schilderung, unsere kurze Schilderung der Geschichte Palästinas.

Wir hatten das natürlich sehr verkürzt dargestellt und naturgemäß kommt es bei Verkürzungen dann auch zu Ungenauigkeiten, erst recht bei so mega Komplexen wie natürlich der Geschichte Palästinas und dem Nahostkonflikt. Und wir mussten uns dann natürlich auf die wesentlichen Fakten konzentrieren. Ich finde, das ist manchmal auch wichtig, damit man so in Kürze dann eben auch ein Überblick bekommt. Das sollte auch keine Geschichtsstunde werden.

Das fasert dann ja auch manchmal aus und keiner weiß mehr, wo links und rechts und oben und unten ist. Und in dem Fall sollte es einfach nur darum gehen, was eigentlich dieses Palästina ist, von dem da gerade die Rede ist. Und ist jetzt diese Woche tatsächlich auch drei Staaten, europäische Staaten noch anerkannt haben. Aber an dieser Stelle ist halt schon ein bisschen irreführender Eindruck entstanden.

Ulf Buermeyer

Man konnte wegen der Verkürzung die letzte Folge so verstehen, dass Israel unmittelbar nach seiner Gründung quasi auch Teile des Gebiets erobert habe, das die UN eigentlich für Palästina vorgesehen hatte. Das wäre dann aber falsch, wenn man diesen Eindruck bekommen haben sollte. Denn zwar dauert die Besetzung der palästinensischen Gebiete heute natürlich schon sehr lange an, ist heute Status quo seit fast 60 Jahren.

Aber diese Besetzung begann nicht unmittelbar nach der Staatsgründung Israels, sondern die ist zustande gekommen durch gleich mehrere Kriege. Und bei diesen Kriegen wurde Israel auch von seinen Nachbarn angegriffen. Das gehört natürlich zur Wahrheit auch dazu.

Das war also jetzt nicht Israel, das quasi einfach so das besetzt hat, sondern es wurde zunächst mal angegriffen, hat dann aber diese Gelegenheit genutzt, diese Gebiete zu besetzen und diese Gebiete jetzt, was die Westbank angeht, auch seit 60 Jahren, seit fast 60 Jahren besetzt gehalten. Beim Gazastreifen ist das ein bisschen komplexer, da hat sich die israelische Armee ja zunächst mal zurückgezogen, wurde dann eine Mauer gebaut und der Gazastreifen quasi eingezäunt.

Jetzt gerade, wisst ihr alle, läuft wieder eine Militäroperation. Also man kann jetzt... Besetzung ist auch schon wieder ein schwieriger Begriff, aber jedenfalls dauert dieser Status mit Variationen jetzt seit 60 Jahren an und es gibt eben kein, jedenfalls Insofern und das war der Punkt, den wir machen wollten letzte Woche, gibt eben de facto keine rein palästinensische Autorität, weder in der Westbank noch im Gazastreifen.

Philip Banse

Einen zweiten Punkt, der von euch sehr, sehr heiß im Forum diskutiert wurde, waren war unser Beitrag zu den Protesten an den Universitäten, konkret an der Uni hier an der HU in Berlin.

Ulf Buermeyer

Ja, wir wollen ja jetzt nicht noch mal im Detail aufgreifen, wie friedlich oder unfriedlich das jetzt war. Da gab es nach Aufnahme unserer Frage auch noch ein Interview mit der HU-Präsidentin, die letztlich sagte, die Proteste seien unfriedlich gewesen. Ich glaube, man muss da, wenn man das ein bisschen genauer sich anschaut, differenzieren. Da gab es, wie so häufig natürlich friedliche und weniger friedlich Protestierende. Aber wie gesagt, wir wollen da an dieser Stelle nicht tiefer

einsteigen. Wir wollen euch eigentlich nur einen Lesetipp geben, denn Pauline Jäckels, Journalistin von ND aktuell, die wir in der letzten Woche mit zwei Otönen quasi zu Gast hatten, hat inzwischen eine ausführliche Reportage mit ihren Eindrücken veröffentlicht. Den Link findet ihr wie immer in den Shownotes.

Philip Banse

Ja, wobei natürlich die Fotos, die jetzt rumgereicht werden, aus diesen Räumen schon auch verheerend aussehen. Das muss man sagen.

Ulf Buermeyer

Diese, diese Räume sind halt übersät mit Graffiti, die eine große Spannbreite haben. Da steht alles drin, von "Gegen jeden Antisemitismus" bis hin natürlich auch zu "Free Gaza from the river to the see". Diese ganzen Slogans finden sich da natürlich. Und dann, das hatten wir ja in der vergangenen Woche auch diskutiert die roten Dreiecke, wo wiederum schwer umstritten ist. Sind das jetzt Hamas Zeichen?

Ist das ein Zitat aus der palästinensischen Fahne oder was zwischendurch auch diskutiert wurde, ist das eine Bezugnahme darauf, dass eben bestimmte KZ Häftlinge mit einem roten Dreieck markiert wurden? Also da gibt es. Dann gibt es eine wilde Diskussion, was diese Dreiecke jetzt bedeuten. Wie gesagt, wir wollen das nicht im Detail aufgreifen.

Ich finde wichtig nur, dass wir hinweisen auf den Text von Paulina Jaeckels, die eben drin war im Gebäude und, wie ich finde, sehr differenziert aufgeschrieben hat, was da vor sich ging.

Philip Banse

Na, du hast eben schon angedeutet, gab es zahlreiche Slogans und Äußerungen, über die wir letzte Woche auch gesprochen hatten und eben auch über Versuche haben wir berichtet, diesen oft zitierten Slogan "From the river to the see, Palestine will be free" unter Strafe zu stellen. Das hat vor allen Dingen das Bundesinnenministerium versucht, indem es in einer Verfügung zum Verbot der Hamas und der Samidounbewegung jeweils diesen Spruch als Kennzeichen dieser jeweiligen Organisation genannt hat.

Ulf Buermeyer

Und zwar interessanterweise tatsächlich nur die Parole "From the river to the sea", ohne den Nachsatz "Palastine will be free", sogar nur diesen...

Philip Banse

Ach nur diesen?

Ulf Buermeyer

Diesen ersten Satz from the, also auf Deutsch, dann vom Fluss bis zum Meer in allen Sprachen, so heißt es da so schön in dieser Verfügung. Ohne "Palastine will be free", das macht es ja noch krasser. Und das alleine soll ein Kennzeichen sein, sowohl der Hamas als auch der Samidoun Bewegung. Wichtig erst mal zum rechtlichen Hintergrund, weil das auch häufig durcheinander gerät und ganz oft missverstanden wird.

Das Bundesinnenministerium kann und wollte auch gar nicht durch seine Verfügung diese Parole direkt unter Strafe stellen. Es ist also unpräzise zu sagen, dass das BMI diese Parole verboten habe, wie man es häufig lesen kann. Das kann das Innenministerium nämlich gar nicht. Es kann nur nach Vereinsrecht zum Beispiel eine Organisation verbieten. Und deren Kennzeichen sind dann nach Paragraph 86 a des Strafgesetzbuchs automatisch

verboten. Ohne das, und zwar selbst wenn sie in so einer Verbotsverfügung gar nicht auftauchen. Die Verfügung des BMI listet daher nur quasi Beispiele auf, was aus Sicht des Ministeriums von ganz alleine verboten ist, wenn man Hamas und Samidoun verbietet, weil es eben Kennzeichen von Hamas/Samidoun seien. Rechtlich maßgeblich ist diese Einordnung, das ist ein Kennzeichen, aber nicht.

Das hat also quasi jetzt nicht juristisch formuliert die Regelungswirkung, dass das damit einmal Kennzeichen sind, sondern maßgeblich ist allein, ob ein Slogan tatsächlich den Straftatbestand von Paragraf 86a StGB erfüllt oder gegebenenfalls auch an einer Strafnorm. Also ob das wirklich ein Kennzeichen dieser Organisation ist?

Philip Banse

Ja und was heißt das jetzt für diese Kennzeichen, also für diesen Spruch jetzt?

Ulf Buermeyer

Ja, genau. Das ist nämlich das Spannende. Wir haben dann zu diesem Blog, den wir in der vergangenen Woche gesagt haben, eine ganze Reihe von Rückmeldungen bekommen, unter anderem auch von Menschen, die an Verwaltungsgerichten darüber entscheiden, ob man auf Versammlungen diesen Slogan sagen darf oder ob die Versammlungsbehörde das verbieten.

Philip Banse

Also Fakt heute ist: Das BMI hat diese beiden Organisationen verboten und hat als Kennzeichen dieser Organisation unter anderem diesen Spruch genannt.

Ulf Buermeyer

Genau das ist so, wenn man so will, ist das so eine Art Serviceleistung des BMI für die Behörden in Deutschland. Also hör mal, Leute, Hamas und Samidoun sind verboten. Das ist die Regelungswirkung und das hat unmittelbare Rechtsfolge. Die sind jetzt verboten. Und dann listen sie eine ganze Latte von Kennzeichen auf. Die sind aber nicht ausdrücklich verboten. Das ist quasi nur so eine Art Serviceleistung des BMI. Diese Logos und was nicht alles, die halten wir als BMI für Kennzeichen.

Aber ob das wirklich Kennzeichen sind, das müssen die Strafgerichte entscheiden, wenn sie unter Paragraf 86 a StGB verwenden von Kennzeichen subsumieren. Also bei der Anwendung des Strafgesetzbuches entscheidet jedes Strafgericht alleine autonom, ob ein bestimmtes Logo, ein bestimmter Spruch tatsächlich ein Kennzeichen ist.

Philip Banse

Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung.

Ulf Buermeyer

Genau! Das heißt also, das BMI gibt quasi so als Serviceleistung so eine Art Rechtsanwendungstipps. Aber das ist selber nicht Teil der Regelungswirkung.

Philip Banse

Okay, und das Gericht muss dann jeweils immer selber entscheiden: Ist jetzt dieser Spruch oder ist das Dreieck Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung?

Ulf Buermeyer

Richtig, genau. So und wir haben Rückmeldung zu diesem Block bekommen, auch von Menschen von Verwaltungsgerichten. Wie kommt diese Rechtsfrage zu Verwaltungsgerichten? Eigentlich ist natürlich die Anwendung des Strafgesetzbuches etwas, was Strafgerichte machen, also wenn jemand einen Vorwurf gemacht bekommt, angeklagt wird, entscheiden Strafgerichte.

Verwaltungsgerichte haben da aus einer anderen Perspektive mit zu tun, weil nämlich Versammlungsbehörden häufig sagen : Hier, du hast da eine Versammlung angemeldet, wir machen euch zur Auflage, dass auf deiner Versammlung nicht gesagt werden darf "From the river to the sea Palestine will be free." Und dann prüfen die Verwaltungsgerichte: Na, wo geht denn das so einfach? Kann die Versammlungsbehörde diesen Spruch verbieten?

Das kann sie dann, wenn der Spruch gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstößt. Und ein wesentlicher Punkt ist Verstoß gegen Strafgesetze. Und deswegen müssen dann auch Verwaltungsgerichte sich mit strafrechtlichen Fragen beschäftigen und das fand ich sehr spannend, habe ich mir auf die verschiedenen Hinweise, die da von Richter:innen kamen, auch noch mal genauer angeschaut. Immer wieder versuchen Behörden, Demos zu verbieten.

Viele Verwaltungsgerichte aber erlauben dann diese Parole doch wenn die Demo Veranstalter gegen die Auflage Parole verboten klagen.

Philip Banse

Also die Behörden verbieten diesen Spruch sagen das geht nicht, dann klagen die dagegen. Und dann erlauben die Verwaltungsgerichte das dann.

Ulf Buermeyer

Nicht alle aber unterschiedliche.

Philip Banse

Okay, das ist nicht ganz klar, aber es ist ein bisschen heterogen, aber in der Tendenz einige schon.

Ulf Buermeyer

Richtig. Aber die meisten Verwaltungsgerichte lassen die Frage letztlich offen, ob das strafbar ist und entscheiden das nur in so einer Art Folgenabwägung. Sagen wir mal, wissen wir nicht so genau, ob das strafbar ist. Wir finden aber es quasi im Zweifel gefährlicher, dass diese Parole gesagt werden darf. Das heißt also, so richtig klar ist die Rechtsfrage nicht.

Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe damit ein großes verfassungsrechtliches Problem, wenn diese Parole unmittelbar als Kennzeichen von Hamas oder Samidoun eingeordnet wird. Und das ist nämlich aus meiner Sicht die spannende Rechtsfrage, die dahinter steht, die wir an dieser Stelle dem Publikum noch mal vorstellen wollten. Denn bei der Auslegung von Strafgesetzen, also in diesem Fall diesem Paragraphen 86a StGB Verwenden von Kennzeichen, gilt die sogenannte Wortlautgrenze.

Das beruht unmittelbar auf Artikel 103, Absatz zwei des Grundgesetzes. Und sie bedeutet: Der mögliche Wortlaut eines Strafgesetzes ist die weiteste mögliche Auslegung. Das heißt mit anderen Worten man kann ein Strafgesetz nicht weiter auslegen, als es der Wortlaut dieses Strafgesetzes ermöglicht. So, und in diesem Strafgesetz steht eben Kennzeichen.

Das heißt also, die Frage ist: Wann darf man einen bestimmten Slogan zum Beispiel als Kennzeichen einer verbotenen Organisation wie Hamas oder Samidoun bezeichnen? Und was ist der Wortlaut von einem Kennzeichen? Na, da schauen wir doch mal in.

Philip Banse

Du und da steht Kennzeichen ist ein charakteristisches Merkmal, ein Zeichen, an dem jemand oder etwas zu erkennen ist. Und das würde ich immer so deuten: Es muss eindeutig sein. Wenn ich ein Zeichen habe und das trifft auf zehn Leute zu, dann kann ich anhand dieses Kennzeichens nicht jemanden oder etwas erkennen, dann ist das halt kein Kennzeichen. Also ein Kennzeichen muss eindeutig sein.

Ulf Buermeyer

Das wäre jedenfalls auch mein Verständnis dieses Wortlauts. Um das noch mal vielleicht ein bisschen plastisch zu machen. Niemand würde dasselbe Nummernschild, die ja technisch oder im Juristendeutsch auch Kennzeichen heißen. Niemand würde dasselbe Nummernschild für mehrere Autos vergeben. Das heißt also, nach meiner Wahrnehmung wäre der maximale Wortsinn von Kennzeichen eben eindeutig. Nun gibt es natürlich da absolute Grenzfälle.

Keine Ahnung. Ein Hakenkreuz steht für 99,5 % der Menschen, natürlich für die NSDAP oder jedenfalls für irgendwas Faschistisches. Nun gibt es aber in Indien zum Beispiel auch bestimmte obskure Verwendungen von Hakenkreuzen in anderen Kontexten.

Also ich sage mal so totale Edge Cases kann man vielleicht rausrechnen, aber jedenfalls im Grundsatz muss man schon sagen, wenn ein Kennzeichen selbst nach Meinung des BMI mindestens für Hamas und Samidoun und ja auch noch für die PLO steht, dann kann man nicht sagen, das steht für eine verbotene Organisation, weil es hat aber für mehrere steht. Die teilweise auch nicht verboten sind.

Philip Banse

Und das heißt, aus dieser Perspektive kann dieser Spruch eigentlich nicht verboten werden.

Ulf Buermeyer

Das wäre mein Argument, dass also die Wortlautgrenze von Artikel 103 Absatz zwei des Grundgesetzes gebrochen wird. Wenn man sagt, wir nehmen als Kennzeichen auch etwas an, was gar nicht charakteristisch oder eindeutig ist, sondern was für alle möglichen Organisationen stehen kann, legale wie illegale.

Philip Banse

Genau. Und dementsprechend würde man denken, dass sich das Innenministerium da etwas verrannt hat.

Ulf Buermeyer

Das ist so ein bisschen ja, ich denke, das kann man schon so sagen. Man kann auch noch mal den Sinn der Norm des Paragraf 86 a StGB in den Blick nehmen. Sinn der Norm ist es ja, eine verbotene Organisation aus dem Diskurs zu verbannen, in dem auch ihre Symbole verboten werden. Noch mal das Beispiel Hakenkreuz. Versteht jeder, wieso man keine Hakenkreuze mehr zeigen soll, weil die halt für die NSDAP stehen.

Und auch die anderen Beispiele, zum Beispiel aus der Hamas Verbotsverfügung sind ziemlich klar. Da wird die Hamas Fahne gezeigt, eine grüne Fahne mit arabischer Schrift drauf und irgendwie Stirnband mit irgendwelchen Parolen und so, das ist alles halbwegs eindeutig. Aber bei dem Slogan "From the river to the sea" denkt man eben nicht an die Hamas und dann denkt man an alles Mögliche.

Und deswegen würde ich mal sagen Auslegung nach dem Bundesverfassungsgericht ja immer im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Also die Strafbarkeit dürfte das Bundesverfassungsgericht bei einer so mehrdeutigen Parole nicht mitmachen. Und deswegen denke ich, Philip, wie du es eben schon angedeutet hatte, ich glaube, da hat sich das BMI verrannt, weil das eben kein hinreichend eindeutiges Kennzeichen für eine Org ist.

Und das Problem ist halt durch diesen für diese vermeintliche Serviceleistung, wir listen mal Kennzeichen der Hamas auf, treibt das BMI die Strafverfolgungsbehörden jetzt in sinnlose Kämpfe. Ich denke, da sollte Nancy Fahrer lieber zurückrudern und diese Verfügung ändern lassen, weil sie einfach die Strafverfolgungsbehörden in die Irre führen.

Philip Banse

Aber vielleicht ist es doch ganz hilfreich, wenn diese Slogan in mehreren solcher Verfügungen vorkommt. Dann ist allen klar: Der taucht überall auf, definitiv kein Kennzeichen für irgendwas.

Ulf Buermeyer

So sollte man es eigentlich lesen, aber wir haben es ja in den letzten Folge schon berichtet. Die bayerische Generalstaatsanwaltschaft in München sieht das natürlich anders. Und ich habe jetzt noch mal weiter recherchiert. Es gibt noch zwei oder drei andere Generalstaatsanwaltschaften, die in ihrem Sprengel diesen Spruch auch grundsätzlich verfolgen. Ich denke, das führt nicht weiter. Würde mich sehr wundern, wenn das in Karlsruhe Bestand hätte.

Wichtig an der Stelle auch: Man muss sich, glaube ich, keine Sorgen machen, dass jetzt irgendwie eine Strafbarkeitslücke entstünde, wenn man tatsächlich diesen Slogan nicht mehr als solchen verbietet. Denn wenn wirklich zum Hass gegen jüdische Menschen aufgerufen wird oder zu Gewalttaten oder so, dann ist das natürlich aus ganz anderen Normen auch strafbar. Also wenn man mit diesem Slogan zum Beispiel keine Ahnung, Mordanschläge gegen Israel...

Philip Banse

Das haben wir beim letzten Mal gesagt, dass das ja sowieso auf den Kontext wirklich ankommt. Aber per se sollte dieser Spruch eigentlich nicht strafbar sein.

Ulf Buermeyer

Zumal er eben auch ja durchaus nicht unbedingt bedeutet, dass Israel von der Landkarte getilgt werden muss. Man kann damit ja auch zum Beispiel vertreten: Wir wollen Israel zu einem Staat nach belgischem Modell umgestalten, wo es einfach einen jüdischen und einen palästinensischen Bevölkerungsteil gibt, auf dem ganzen Gebiet Palästinas zum Beispiel.

Philip Banse

Wir befinden uns ja in einem Wahljahr mit ziemlich vielen Wahlen. Diese Landtagswahlen und Europawahl, davon haben wir schon viel gesprochen. Aber in diesem Jahr stehen eben auch, ich glaube, acht Kommunalwahlen in acht Bundesländern an und eine dieser Kommunalwahlen, die hat am vergangenen Sonntag in Thüringen stattgefunden. Da waren rund 1,7 Millionen Menschen Thüringer, Thüringerinnen aufgerufen zu wählen.

Und die Wahlbeteiligung lag laut Statistischem Landesamt bei knapp 2/3, 61 %. Also nicht überwältigend, aber immer ein bisschen höher als 2019.

Ulf Buermeyer

Was ja im Grunde schon eine gute Nachricht ist. Mehr Menschen sind zur Wahl gegangen. Was heißt eigentlich nicht Kommunalwahl? Gewählt wurden der Landräte, Bürgermeisterinnen, Kreistage und Stadträte, also die Vertretungen auf Ortsebene und auf Landkreisebene. Und diese Wahlen waren natürlich mit großer Spannung erwartet worden, einfach weil es ein Stimmungstest in Thüringen ist vor der Landtagswahl im Herbst.

Warum diese Landtagswahl wiederum mit großer Spannung erwartet wird, das wisst ihr alle. Weil es fraglich ist, wer da stärkste Partei wird, möglicherweise sogar die AfD. Und dann stellt sich halt die Frage: Wer wird die Macht im Erfurter Landtag übernehmen?

Philip Banse

Was sind jetzt die Kernergebnisse? Das eine Ergebnis ist, die vom Verfassungsschutz in Thüringen als rechtsextrem eingestufte AfD hatte nicht den erwarteten großen Erfolg eingefahren. Das glaube ich, kann man mal so sagen. Bei den Landratswahlen lag die Partei nur in einem Landkreis auf Platz eins, aber in den meisten Kreisen ist sie in der Stichwahl, die dann am 9. Juni parallel zur Europawahl stattfindet. Also in den meisten Kreisen ist immerhin in die Stichwahl.

Da kann die AfD also noch Landratssposten erobern. Aber fast überall geht eine andere Person ins Rennen, in diese Stichwahl, die deutlich mehr Stimmen eingefahren hatte im ersten Wahlgang als der oder die AfD Vertreter.

Ulf Buermeyer

Mit anderen Worten: Wir erleben jetzt in Thüringen jedenfalls Stand heute keine braune Welle bei den Landratsposten. Mag sein, dass die AfD noch den einen oder anderen Landratsposten erobert letzten Endes. Aber Stand heute sieht es eher nicht danach aus. Das heißt, es wird jetzt eher eine Mobilisierungsfrage, das die anderen Parteien es schaffen, sich tatsächlich hinter einer Person, einer Alternativperson zur AfD zu versammeln.

Bei den Wahlen der Stadträte, der kreisfreien Städte und auch der Kreistage lieferten sich Union und AfD ein Kopf an Kopf Rennen.

Philip Banse

Die CDU liegt dort insgesamt mit 27,5 % knapp vorn. Die AfD kommt laut Zwischenergebnis auf 26,5 %, also knappen Prozentpunkt dahinter und liegt damit im Vergleich zur Abstimmung vor fünf Jahren aber deutlich zu. Also Deutliche Gewinne für die AfD. Insgesamt ist die CDU in elf Kreisen die stärkste Kraft, die AfD in neun.

Ulf Buermeyer

Wie passt das zusammen? Die CDU einen Prozentpunkt vor der AfD landesweit, aber in einzelnen Kreisen ist die AfD stärker? Ganz einfach: Diese Prozentzahlen kommen dadurch zustande, dass man einfach die Stimmen in allen Landkreisen zusammenzählt. Aber es gibt da eben regionale Unterschiede bei der Verteilung der Stimmen. Und so kann es sein, dass die AfD in landesweiten Prozentpunkten dahinter liegt, aber eben doch in einigen Kreisen

vorne lag. Zugleich ist interessant, dass die AfD in keiner einzigen Stadt in der Stichwahl ist, um die Bürgermeister:innen Position. Das heißt also Bürgermeister:innen wird sie nicht stellen.

Philip Banse

Interessant ist auch noch, das stand ja auch im Fokus: Wie schlägt sich eigentlich diese frisch gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht BSW. Wenn ich das richtig sehe, ist das ja die erste Wahl, zu der sie angetreten sind. Und das war für die natürlich auch so ein bisschen so eine Testwahl. Wie läuft das jetzt bei der Europawahl, also ihrem großen, wirklichen ersten Auftritt. Und Turns out: Bündnis Sahra Wagenknecht ist in vier Kreisen aus dem Stand zweistellig.

Ulf Buermeyer

Muss man so sehen? 4/20 Kreisen, sind auch nicht überall angetreten. Mit anderen Worten: Es sieht so aus, als wenn die tatsächlich einiges an Stimmen einfahren könnten. Mutmaßlich auch vor allem von der AfD. Aber da haben wir jetzt noch keine Wählerwanderungsanalysen so schnell gefunden. Das tragen wir gegebenenfalls noch mal nach, woher die eigentlich ihre Stimmen

beziehen. Klar ist auch Linke, SPD und Grüne erlitten landesweit erhebliche Verluste im Schnitt, wobei die SPD immerhin in einigen Städten relativ stark blieb.

Philip Banse

Also unterm Strich glaube ich, ist der Trend ganz offensichtlich. Es gibt in Thüringen einen Rechtsruck, wobei es nicht unüblich ist, dass die im Bund regierenden Parteien abgestraft werden, zumal wenn sie schon so ein paar Jährchen jetzt ja mittlerweile der Legislatur hinter sich haben. BSW, Bündnis Sahra Wagenknecht dürfte sich als Partei etablieren. Das ist das, was man hier mitnehmen muss, wenn die aus dem Stand in vier Landkreisen zweistellig sind.

Ja, da muss man mit denen rechnen und das korreliert ja auch mit allen anderen Umfragen und so, also die werden jetzt nicht sofort verpuffen, das ist keine Luftnummer.

Ulf Buermeyer

Wo das BSW antritt landen sie einfach deutlich über 5 % sind überhaupt nicht gefährdet, quasi an der 5 % Hürde zu scheitern. Insofern das ist einfach ein Player, der in Zukunft ernst zu nehmen sein wird. Wie lange das dann anhält, schauen wir mal, Aber erst mal sind Sie mit am Start. Spannende Frage wird natürlich sein, ob sie sich bei der Bundestagswahl in den Bundestag retten. Da ist aber auch noch völlig unklar, welches Wahlrecht gelten wird. Also bleibt spannend.

Aber erst mal ist das BSW ein neuer Faktor, mit dem man rechnen muss. Und dann schließlich gibt es noch in Thüringen den Trend zu einer ganz starken Fragmentierung des Parteiensystems, also jenseits der Neugründung BSW ist auch noch zu sehen, dass es überall Gruppierungen gibt, wie Freie Wähler und andere lokale Gruppen, von denen man noch nie was gehört hat.

Das heißt also, die klassischen etablierten Parteien haben immer weniger Anziehungskraft, auch für Menschen, die sich politisch engagieren wollen. Und das führt dann zum Beispiel auch dazu, dass Parteien wie Union oder oder SPD häufig nicht Mitglieder auf ihren Listen nominieren müssen, um überhaupt ihre Listen zu füllen. Das heißt also, die Integrationskraft der Parteien lässt gerade in den neuen Bundesländern extrem nach.

Philip Banse

Was ich auch noch denke, ist, dass das Thema Brandmauer auf kommunaler Ebene ziemlich passé sein dürfte. Also wenn die AfD in neun Landkreisen die stärkste Kraft ist, die CDU in elf weiteren aber die AfD dann eben häufig sehr dicht dahinter, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass auf kommunaler Ebene in Thüringen so was durchzuhalten ist wie mit der AfD arbeiten wir nicht zusammen.

Ulf Buermeyer

Ist ja schon heute nicht mehr so.

Philip Banse

Ist ja schon heute nicht mehr so. Und Vorschläge, die die machen, lehnen wir ab und bringen die in einer anderen Form selber vor. Ich glaube, das ist einfach passé. Ob das gut ist oder schlecht, das weiß ich. Das will ich auch nicht sagen. Aber die AfD ist mindestens auf kommunaler Ebene eine etablierte Kraft, mit der alle anderen Fraktionen im Alltag mehr oder weniger eng zusammenarbeiten.

Ulf Buermeyer

Eine erwiesene rechtsextreme Partei immerhin in Thüringen. Und insofern muss man sagen solange sie nicht verboten ist. Also das scheint mir der Silberstreif am Horizont zu sein. Mit rein politischen Mitteln ist Populist:innen offensichtlich nicht wirklich beizukommen. Wobei unser nächstes Thema ist doch immerhin einen ganz interessanten neuen Ansatz gibt, was man tun kann gegen Stimmenanteile von Rechtspopulismus.

Philip Banse

Ja, also wenn man sich diese Ergebnisse in Thüringen anguckt, dann sieht man ja einen Trend. Die AfD ist auf dem Land viel stärker als in der Stadt und dafür wird es sicherlich verschiedene Gründe geben. Doch ein Grund könnte sein, dass es zwischen Land und Stadt erhebliche Unterschiede gibt. Bei der öffentlichen Infrastruktur. In der Stadt ist die in der Tendenz gut oder mindestens besser als auf dem

Land. Es gibt halt viel mehr Busse, Bahn, U Bahn, Parks, die dann vielleicht auch in einem guten Zustand sind. Auf dem Lande, gerade ÖPNV ist man eben ohne Auto häufig aufgeschmissen.

Manchmal gibt es dann keine Schwimmbäder und so, also insgesamt ist da glaube ich, Infrastruktur schwerer herzustellen, weil es natürlich aufgrund der geringeren Einwohnerdichte pro Einwohner mehr Einwohnerinnen mehr kostet, diese Infrastruktur aufzubauen und fortzuführen, die ist auf dem Land tendenziell entweder in schlechten Zustand oder eben gar nicht vorhanden, sprich schlecht ausgebaut.

Ulf Buermeyer

Aber was hat das jetzt mit Rechtsextremismus zu tun? Ganz offenbar eine Menge. Jedenfalls gibt es einen klaren und auch nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Qualität der Infrastruktur und der Bereitschaft der Menschen, rechtsextrem zu wählen. Das jedenfalls legt eine neue Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nahe, die vor kurzem Anfang April veröffentlicht wurde.

Philip Banse

Und die haben untersucht den Einfluss europäischer Regionalförderung auf die Ergebnisse bei den Europawahlen in den Jahren 1999 bis 2019, also 20 Jahre lang, haben die Wahlen untersucht und geguckt: Welchen Einfluss hat eigentlich diese europäische Regionalförderung, mit der viel Infrastruktur finanziert wird auf die Wahlergebnisse?

Ulf Buermeyer

Und von 2000 bis 2020, also etwa im gleichen Zeitraum nur um ein Jahr verschoben, investierte die Europäische Union über drei Förderperioden hinweg mehr als 900 Milliarden € in die regionale Entwicklung, also wahnsinnig viel Geld. Und über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg erhielt eine geförderte Region Europas im Durchschnitt rund 1,4 Milliarden € an EU Zuschüssen zur Regionalentwicklung. Da haben dann auch noch lokale nationale Behörden Geld

zugeschossen. Aber 1,4 Milliarden € pro Region an EU Geldern und das wiederum entspricht rund 530 € regionaler Investitionen pro Kopf. Und die Autoren dieser Studie, Robert Gold und Jakob Lehr von der Universität Mannheim, analysierten nun eben, wie die Europawahl Ergebnisse in den Regionen von 27 EU Ländern in diesen Jahren 1999 bis 2019 auf die regionalen Investitionen reagierten. Und da stellten Sie einen statistisch relevanten Zusammenhang fest.

Philip Banse

Ja, in den geförderten Regionen sank der Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien im Durchschnitt um 15 bis 20 %.

Ulf Buermeyer

Achtung, nicht Prozentpunkte!

Philip Banse

Genau, Prozent. Also in Punkten, heißt das dann ausgedrückt ungefähr sanken die Ergebnisse dieser rechtspopulistischen Parteien um 2 bis 3 Prozentpunkte. Also hatten die vorher 22 %, haben sie danach 20 %. Oder hatten sie 23 %, haben sie danach 20 %, wenn's drei Prozentpunkte waren, die Ihnen sozusagen durch diese EU Förderung weg geknabbert wurden.

Ulf Buermeyer

Oder man kann es auch noch anders rechnen. Pro jeweils 100 € EU Regionalförderung pro Kopf reduzierte sich der Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien in einer durchschnittlichen Region um 0,5 Prozentpunkte.

Philip Banse

Aber wie wir das ja häufig hier so haben Ursache Wirkung. Also ich meine, es kann ja 1 Millionen Ursachen haben.

Ulf Buermeyer

Da kann man sich die Frage stellen, wie können die einfach behaupten, dass es da tatsächlich einen kausalen Zusammenhang gibt? Ganz einfach: Das haben sie dadurch festgestellt, dass sie parallel zu der Studie auch weit über 100.000 Haushalte zu Ihren Einstellungen, politischen Einstellungen befragt haben. Das Ergebnis ist, dass das Vertrauen in demokratische Institutionen durch diese EU Regionalförderung angestiegen ist und zugleich die Unzufriedenheit mit der Europäischen Union abgenommen hat.

Philip Banse

Dazu sagt Jakob Gold vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, eben Mitautor dieser Studie: Vor den Europawahlen im Juni befanden sich rechtspopulistische Parteien in fast allen Mitgliedsstaaten im Aufwind. Unsere Forschung zeigt, dass Regionalförderung diesem Trend effektiv entgegenwirken kann.

Ulf Buermeyer

Da kann man sich die Frage stellen: Was ist die Mechanik dahinter? Forscher Robert Gold sagt: Rechtspopulistische Bewegungen basieren auf einer nationalistischen, euroskeptischen Agenda. Sie profitieren von einem Mangel an Vertrauen in die konkrete Problemlösungsfähigkeit etablierter politischer Strukturen. Dass Regionalpolitik genau dieses Vertrauen erhöht, scheint ein Grund dafür zu sein, dass die populistische Unterstützung in Regionen, die aus dem EU Strukturfonds gefördert werden, abnimmt.

Philip Banse

Dann ist die Frage jetzt so ein bisschen auch: Ja, muss das nicht auch entsprechend kommuniziert werden? Also dann fließt da EU Geld und steht da, wo man eine Tafel am Sportplatz, hier die neue Hecke, der neue Sportplatz, das neue Vereinsheim auch kofinanziert mit der EU. Die meisten Leute gehen dran vorbei und der Bürgermeister sagt Ja, war ich. Habe ich alles super gemacht Usw.

Haben die untersucht, inwiefern diese Infrastrukturleistungen von der EU auch entsprechend kommuniziert werden müssen, damit das bei den Leuten ankommt, damit sie nicht rechtspopulistisch wählen nehmen?

Ulf Buermeyer

Das scheint tatsächlich nicht der entscheidende Faktor zu sein. Und zwar einfach deswegen, weil ganz unabhängig davon, wie das kommuniziert wird, ja das Vertrauen in staatliche Instanzen auf allen Ebenen sich verbessert durch

Regionalförderung. Das heißt, es geht mir also nicht um die Werbetafel mit der blauen EU Flagge, sondern es geht darum, die Menschen haben einfach mehr Vertrauen in den Staat auf allen Ebenen bis hin zur Europäischen Union, sobald die Infrastruktur in der Region sich verbessert.

Philip Banse

Und das kann man natürlich persönlich total nachvollziehen, auch als politisches Konzept, finde ich, ist es ziemlich plausibel. Gerade die Städte, Gemeinden, Landkreise sind ja häufig stark unterfinanziert und können ihre Aufgaben kaum erfüllen. Aber in den Kommunen erleben, das haben wir ja auch in unserer Infrastruktur Folge ausführlich geschildert, gerade in den Kommunen erleben die Menschen den Staat halt unmittelbar. Wenn da was nicht klappt, dann ist das immer der Staat.

Sie merken das jeden Tag, wenn es den ÖPNV nicht gibt, wenn das Schwimmbad geschlossen ist, wenn die Straßen scheiße sind, wenn der Sportplatz nicht funktioniert. Das ist dann immer der Staat. Umgekehrt scheint es aber auch zu funktionieren. Wenn das in guter Verfassung ist, dann erscheint den Leuten auch der Staat oder die Politik auf einmal in einem anderen Licht.

Ulf Buermeyer

Ja, ist genau das Ding. Wenn mehr Geld da ist, erleben die Menschen den Staat auf allen Ebenen als kompetenter und schon wählen sie demokratischer. Also die Lösung müsste also sein, das haben wir ja letztlich auch an den Infrastrukturfolgen Anfang des Jahres schon gesagt: Wir brauchen ganz dringend eine Reform der kommunalen Finanzen. Man muss wegkommen von diesen extrem schwankenden Gewerbesteuereinnahmen.

Man muss wegkommen von über 1000 einzelnen Programmen, mit denen der Bund versucht, den Kommunen unter die Arme zu greifen. Die Kommunen müssen einfach endlich ausreichend finanziert werden, sodass die Menschen den Staat vor Ort als leistungsfähig wahrnehmen. Und das ist eben ein ganz wichtiges Zeichen gegen rechts.

Philip Banse

Und das ist jetzt wissenschaftlich belegt. Also das ist nicht einfach immer nur Ulf und Philip sagen, das wäre auch mal nicht schlecht und man kann das doch spüren. Sondern diese Studie sagt Infrastrukturmaßnahmen, Geld in Infrastruktur, lokal vor Ort, in den Kommunen, hilft gegen Rechtspopulismus.

Ulf Buermeyer

Am 9. Juni ist die Europawahl. Das ist euch sicherlich nicht entgangen. Und das bedeutet Momentan läuft der Endspurt des Wahlkampfs zu dieser Europawahl. Und da ist in dieser Woche bei Umfragen, bei Onlineumfragen einiges schiefgegangen, insbesondere bei der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Das wollen wir uns anschauen, aber natürlich auch auf die Inhalte blicken, die die Union mit dieser Umfrage pushen wollte.

Philip Banse

Denn die CDU tritt nämlich im Wahlkampf dafür ein, das sogenannte mit ihren Worten "Verbrennerverbot" wieder zu kassieren. Was daran merkwürdig ist und vielleicht auch, warum das ein komischer Begriff ist und was bei dieser Umfrage schief gegangen ist. Da schauen wir jetzt mal ein bisschen genauer hin. Aber Ulf, was ist denn nun? Verbrennerverbot? Verbrenneraus? Was ist?

Ulf Buermeyer

Also erst mal klar bei Verbrenner Verbot denkt man ja irgendwann darf mit seinem Verbrennungsauto nicht mehr rumfahren. Und das wäre jedenfalls ein Missverständnis. Vielleicht auch ein bewusst geschaffenes Missverständnis. Denn verbieten will niemand das Fahren mit Autos, die einen Verbrennungsmotor haben.

Das ist bislang überhaupt nicht Thema in Deutschland oder in der EU, sondern es geht darum, dass die Europäische Union beschlossen hat, dass ab 2035 keine neuen - neuen - Autos mehr zugelassen werden dürfen, die CO2 ausstoßen. Das heißt also ein Aus für Neuzulassungen von Verbrennungsfahrzeugen. Aber Autos, die CO2 ausstoßen, dürfen durchaus nach 2035

noch fahren. Mit anderen Worten: Wer sich 2034 noch schnell einen Stinker kauft, der kann damit im Zweifel noch bis 2050 und länger durch die Gegend fahren. Es gibt nur eben keine Neuzulassungen mehr.

Philip Banse

Und streng genommen ist es also kein Verbrennerverbot, sondern allenfalls ein Verbrennerneuwagenaus. So würde ich das mal nennen. Wobei auch das schon wie gesagt schwierig ist. Sie dürfen halt nur kein CO2 mehr ausstoßen. Also ist es noch nicht mal richtig ein Verbrenneraus eigentlich.

Ulf Buermeyer

Es wird keine Technologie verboten, es werden Emissionen verboten. Hintergrund dieses Verbots ist vor allem und das glaube ich, sollte man einfach noch mal sagen klimaneutrale Mobilität. Wer die Lage schon länger hört, der weiß das. In Deutschland ist der Verkehrssektor das ganz, ganz große Sorgenkind bei der Klimaneutralität. Die Emissionen im Verkehrssektor sinken einfach nicht.

Und deswegen macht es schon auch Sinn, dass man jetzt irgendwann auch mal den Verkehrssektor in den Blick nimmt und sagt, diese Technologie, die jedenfalls stand heute nicht klimaneutral zu haben. Es nämlich die Verbrennertechnologie, die bekommt so langsam aber sicher quasi das Todesstündchen geschlagen. Aber wie gesagt, 2035, das ist noch lange hin. Und bevor dann der letzte Verbrenner von der Straße verschwindet, gehen wahrscheinlich noch 30 Jahre ins Land.

Philip Banse

Es dürfen also auch dann noch Verbrenner verkaufen, dürfen halt nur kein CO2 ausstoßen. Das ist die Regelung. Kein Ausstoß mehr von CO2 hinten raus.

Ulf Buermeyer

Nun würde wurde ja immer Technologieoffenheit beschworen und insbesondere formuliert mit eFuels müsste es doch eigentlich möglich sein, auch Autos mit Verbrennungsmotor CO2 neutral zu betreiben. Phillip, was ist denn da los? Ist das nicht so quasi die Hintertür?

Philip Banse

Ja, das gilt immer so als Hintertür. Stand heute ist es wirklich so die EU Regelung sagt auch keine eFuels. Also es darf einfach aus einem Verbrenner, aus einem neu zugelassenen Verbrenner ab 2031 kein CO2 mehr rauskommen.

Ulf Buermeyer

Das geht ja gar nicht. Der Verbrenner emittiert, wenn nicht mit Wasserstoff betrieben wird.

Philip Banse

Immer irgendwas anderes. Genau, also das ist die Regelung. Aber natürlich gibt es Leute, die sagen ja meinetwegen keine fossilen Brennstoffe, aber wie wär's denn mit eFuels? Also eFuels sind an sich meistens identisch mit Benzin oder Diesel. Aber der Kohlenstoff, der da drin steckt, der kommt halt nicht aus der Erde als Öl, sondern der wird aus der Atmosphäre genommen für die Herstellung.

Und idealerweise wird dann natürlich, muss dann auch grüner Strom für die Herstellung herangezogen werden und dann entsteht so was wie ein eFuel, was klimaneutral sein soll. Denn beim Verbrennen, da landet natürlich CO2 wieder in Atmosphäre. Aber es war eben vorher aus der Atmosphäre rausgenommen worden. Jetzt also Nullsumme.

Das ist weder jetzt richtig gut noch richtig schlecht, ist es einfach neutral, klimaneutral, da kann man natürlich noch argumentieren, kommt jetzt auch noch Feinstaub raus und so, weil das halt trotzdem ein chemisch identischer Stoff mit Benzin und Diesel ist, der verbrannt wird. Aber CO2 mäßig ist es halt so eine Nullsummenrechnung. CO2 aus der Atmosphäre raus, CO2 in die Atmosphäre rein. Deswegen gilt das technisch als klimaneutral.

Ulf Buermeyer

Also das ist das ist so ein bisschen das Ding. eFuels könnten theoretisch klimaneutrale Treibstoffe sein, wenn man sie ausschließlich mit grünem Strom herstellt.

Philip Banse

Also zwingend.

Ulf Buermeyer

Aber wie gesagt, auch die sind nach der derzeitigen Regelung von der EU nicht möglich, weil eben auch CO2 hinten aus dem Verbrennungsauto rauskommt. Vor allem aber gibt es aus einer wissenschaftlichen Perspektive große Skepsis, ob der massenweise Einsatz von eFuels bei Autos tatsächlich Sinn macht.

Einfach zum einen, weil der Wirkungsgrad extrem schlecht ist von Verbrennungsmotoren, aber vor allem auch, weil e Autos so viel billiger und effizienter sind und weil wir die eFuels für andere Zwecke dringender brauchen, sagt jedenfalls Professor Dr. Jörg Sauer vom Karlsruher Institute for Technologie.

Jörg Sauer

Man muss sich das mal ausrechnen, welche Energiemengen umgewandelt werden müssen. Und dann wird man relativ schnell zu der Aussage kommen, dass langfristig das Szenario nicht sein kann, dass wir alle mit eFuels Auto fahren. Das wird nicht funktionieren.

Philip Banse

Also du musst den Grünstrom einstellen, muss mit dem Grünstrom diese eFuels herstellen. Dazu musst du CO2 aus der Atmosphäre holen. Du musst diese eFuels irgendwie raffinieren, du musst sie wohin bringen, dann werden sie wieder verbrannt in den Autos. Dabei geht wieder Energie verloren. Also die Bilanz ist schlecht und aktuell glaube ich wird sehr wenig hergestellt. Glaub aktuell kostet so ein Liter 50 € oder so was. Das war bislang auch nur so Pilot, weil es nur so Pilotanlagen gibt.

Aber die Preise sind halt jenseits von Gut und Böse. Und man kann dann natürlich argumentieren Ja, vielleicht ist es jetzt nicht so den großen Massenmarkt, vielleicht werden nicht alle Verbrenner mit eFuels fahren. Aber was ist denn mit reichen Leuten, die irgendwelche Oldtimer fahren und die sich dann halt irgendwie für fünf oder 10 € den Liter eFuels rein gießen

wollen? Das würde vielleicht gehen und das wird es vielleicht auch geben, sagt Falko Ueckerdt vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Doch er plädiert ganz klar dafür: Reserviert diese kostbaren eFuels für Flugzeuge, für Schiffe, da, wo es wirklich keinen Ersatz gibt, um die klimaneutral zu betreiben. Aber riskiert nicht für ein paar Oldtimer Fahrer und Fahrerinnen, dass Verbrauchern, Verbraucherinnen und Unternehmen verwirrt sind.

Falko Ueckerdt

Wer heute gegen ein Verbrennerverbot argumentiert mit Visionen von einem breiten Einsatz von eFuels beim PKW, der wirft eine Nebelkerze. Man kann kritisch gegenüber den EU-Flottengrenzwerten sein und sie für zu ambitioniert halten. Aber eFuels sind nicht die Alternative. Die Alternative ist, weniger Klimaschutz und höhere Klimaschäden in Kauf zu nehmen, weil diese Debatte um eFuels im PKW die unvermeidbare Transformation hin zur Emobilität verzögert.

Ulf Buermeyer

Okay, aber da müssen wir natürlich sagen selbst wenn dann also die EU ihre Regulierung noch mal so ein bisschen aufbohren sollte und eFuels in Neuwagen ab 2035 vertankt werden dürfen, dann müsste man natürlich sicherstellen, dass man diese Autos, diese Neuwagen jedenfalls auch wirklich nur mit eFuels betankt. Und das Problem ist, die sind chemisch quasi gleich mit fossilen Benzin Diesel.

Man könnte also kaum verhindern, dass diese neu zugelassenen Verbrennungsfahrzeuge dann nicht doch quasi schwarz mit Benzin oder Diesel getankt werden.

Philip Banse

Würde man annehmen. Aber die FDP, die deutsche FDP, hat bei den Verhandlungen durchgesetzt, dass die Europäische Kommission sich bis zu diesem Herbst irgendwie dafür eine Lösung überlegen soll. Also die soll irgendwie gucken: Ja können wir denn nicht irgendwie eine Lösung schaffen, die sicherstellt, dass Verbrenner, neu Zugelassenen ab '35 definitiv nur eFuels verbrennen und nicht etwa auch fossile Benzin und fossilen Diesel?

Das ist eine Protokollerklärung, das ist nicht bindend, aber die EU Kommission soll halt da in diesem Herbst was vorlegen.

Ulf Buermeyer

Also niemand weiß wie es gehen soll.

Philip Banse

Die chemische Industrie sagt ja, wir können da so Marker in diese eFuels machen. Chemische Marker, die dann irgendwie erkannt werden von den Motoren. Aber Kritiker sagen, das lässt sich leicht umgehen. Also da würde ich mir jetzt noch nicht so wahnsinnig viel Sorgen machen, dass da jetzt im Herbst irgendwas Grundlegendes passiert. Anders sieht es aus 2026. Da muss das ganze Gesetz nämlich noch mal überprüft werden. So steht es im Gesetz. Das wollten Liberale und Konservative.

Auch die EU Kommission hat schon angekündigt: Ja, wir wollen an diesem Gesetz etwas ändern. Da geht es auch um Sachen, ob man nicht auch die restliche Flotte mit eFuels irgendwie dekarbonisieren kann usw. Aber das entscheidende ist, das ganze Paket wird da noch mal

angefasst. Da hat die Kommission gesagt, wir werden Änderungen machen und das bedeutet, das wird alles noch mal durch die Ausschüsse gehen im Parlament, da wird das Parlament noch mal drüber abstimmen, da wird es wahrscheinlich noch mal Trilog geben. Also da besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass das Verbrenneraus, so wie es jetzt besteht, in Anführungsstrichen einfach gekippt wird. Wie wahrscheinlich das ist, aber technisch administrativ vom Ablauf her ist das 2026 möglich.

Ulf Buermeyer

Es ist natürlich grundsätzlich immer möglich, selbst wenn die Kom da jetzt nicht sowieso schon mal dran rumschrauben wollte, könnte natürlich jederzeit ein Gesetzespaket auch wieder aufgeschnürt werden. Anyway. Das ist der Hintergrund, warum dieses Verbrenneraus so ein Thema ist, auch im bundesdeutschen Europawahlkampf. Also AfD, FDP und auch Union machen mit unterschiedlicher Tonlage Stimmung dagegen, dass ab 2035 eben keine Verbrenner neu zugelassen

werden sollen. Und insbesondere die Union hatte sich überlegt: Lass uns doch mal schauen, ob wir da nicht mit so einer Onlineumfrage diesen Gedanken im Wahlkampf noch mal so ein bisschen Rückenwind verleihen können.

Philip Banse

Und da stand auf der Webseite: "Unser Weg in eine wirtschaftlich stärker und klimaneutrale Zukunft ist innovativ und technologieoffen. Wir wollen ein Land der Erfinder und Ingenieure bleiben. Wir wollen ein starkes Industrieland bleiben und dann Verbrennerverbot abschaffen!" Und darunter eben eine Umfrage, wenn man das so nennen will. Die Frage lautet: Unterstützen Sie die Forderung zur Rücknahme des Verbrennerverbots? Es gab zwei Antworten, einmal ja, einmal nein.

Ulf Buermeyer

Da muss man natürlich zunächst mal sagen: Das Verbrennerverbot ist ehrlich, ist ziemlich unredlich. Denn wenn man das so liest und hat sich mit dem Thema noch nicht tiefer befasst, dann liegt es nahe anzunehmen, dass einem das geliebte Auto aus der Garage geholt werden soll, dass man also ab einem bestimmten Stichtag mit seinem Verbrennungsmotor nicht mehr durch die Gegend fahren darf. Das ist aber, wir haben es eben deutlich gesagt, überhaupt nicht der

Plan. Es geht nur darum, dass man keine Verbrenner mehr neu kaufen können soll. Trotzdem, also obwohl diese Fragestellung, sagen wir mal, nicht so hundertprozentig sauber war, entfielen laut Bild am Sonntag innerhalb von ein paar Tagen bis zum Samstagvormittag der letzten Woche mehr als 85 % der Stimmen auf. Nein, also Verbrennerverbot abschaffen, 85 % der Abstimmenden oder jeweils der Stimmen in dieser Abstimmung sagten Nein, das Verbrennerverbot will ich nicht abschaffen.

Philip Banse

Jetzt sagt die CDU schreibt auf tagesschau.de, die mit der Befragung beauftragte Firma habe von massiver Manipulation gesprochen. 10.000 Stimmen seien automatisiert abgegeben worden, also von Bots. Der CDU habe die Firma daher empfohlen, die Abstimmung abzubrechen. Und das passierte dann tatsächlich auch am Samstag Nachmittag. Jetzt Stand, also Zeitpunkt, wir nehmen auf am Donnerstag, steht auf der Webseite: "Diese Umfrage ist massiv

manipuliert worden. 10.000 Stimmen sind automatisch abgegeben worden. Das ist völlig inakzeptabel. Die Umfrage ist daher abgeschaltet. Wir stehen als CDU für einen fairen Wahlkampf."

Ulf Buermeyer

Ja, die taz sagt nicht: Bots manipulieren die CDU Umfrage, was natürlich technisch grundsätzlich möglich gewesen wäre, sondern die taz kritisiert, die CDU habe die Umfrage manipuliert. Zum einen seien Onlineumfragen per se nicht repräsentativ und zum anderen lasse die Fragestellung der Union ja völlig offen, was denn die Alternative sei, zu einem Verbrennerverbot. Denn, so jedenfalls die Kritik der taz, wie sollen denn die Emissionen runterkommen?

Und wie soll der Hochlauf für die Produktion von eAutos insbesondere in Deutschland gelingen, wenn die Politik, ob nun Europa oder die CDU in Deutschland, Käufer:innen immer noch suggeriert, vielleicht, vielleicht ginge ja doch noch irgendwas mit Verbrennungsmotor.

Philip Banse

Dieser Wahlkampf der CDU, der ging nach hinten los. Außerdem kann man sich natürlich auch fragen: Sie sagen ja, Deutschland soll innovatives Industrieland bleiben, Sie verkaufen den Verbrenner ja so ein bisschen als den heiligen Gral der deutschen Industrie. Und es ist ja die Frage, wie sehr steht denn die Industrie dahinter, ab 2035 auch noch weiter Verbrenner verkaufen zu dürfen?

Ulf Buermeyer

Das große Problem ist Stand heute jedenfalls sind die gerade die deutschen Automobilhersteller relativ abgehängt. Sie haben teilweise sehr innovative Modelle viele Jahre in der Schublade liegen lassen, die dann inzwischen leider von chinesischen Herstellern inzwischen auf den Markt gebracht wurden. Also der der Weltmarkt wird überschwemmt von guten und günstigen chinesischen Automobilen mit Elektroantrieb.

Während VW und Co gedacht haben, sie können noch viele Jahre Verbrennungsmotoren verkaufen, die jetzt aber weltweit einfach nicht mehr gefragt sind. Also die deutschen Hersteller sitzen auf großen Halden von Fahrzeugen, insbesondere in China, die sie nicht mehr loswerden. Das heißt also, man kann schon sagen, dass die deutsche Industriepolitik an dieser Stelle sehr ungeschickt war.

Hätte man den deutschen Automobilherstellern schon vor fünf oder zehn Jahren die klare Ansage gemacht, Verbrenneraus 2025 oder meinetwegen Verbrenneraus 2030, hätten sie hoffentlich ihre Flotten schneller umgestellt und wären jetzt auf dem Weltmarkt viel leistungsfähiger. Andersherum ist jetzt die theoretische Option zu eröffnen, weiter Verbrenner zu bauen.

Das sabotiert ganz aktiv die Umstellung der deutschen Automobilindustrie auf zukunftsfähige Technologie, denn jedenfalls außerhalb Europas will keiner mehr Verbrenner haben. In den Vereinigten Staaten gibt es schon Zulassungsstopps, ich glaube sogar schon vor 2035. Ich meine, Kalifornien Ich krieg es nicht mehr genau hin. Ja, ich meine, Kalifornien sogar schon steigt schon früher aus dem Verbrennungsmotor.

Vielleicht kann man dann noch in weniger entwickelten Ländern Verbrennungsmotoren verkaufen. Das will ich nicht ausschließen.

Philip Banse

Aber nicht zu den deutschen Preisen.

Ulf Buermeyer

Da ist im Zweifel, würde ich mal sagen, er wird dann da auch eher Nissan oder Toyota gekauft, aber sicherlich kein Mercedes Benz, schon mal jedenfalls kein Neuwagen. Ich glaube, selbst aus einer industriepolitischen Perspektive ist der Ansatz der Union nicht wahnsinnig überzeugend.

Philip Banse

Und auch aus einer Perspektive des Wandels. Es ist einfach schwierig, finde ich, den Verbraucherinnen und Verbrauchern immer zu signalisieren: Ja, wir wollen schon irgendwie Elektro, aber vielleicht gibt es ja doch noch ein bisschen eFuel. Die Leute sind total verwirrt und wissen nicht mehr, was sie machen sollen, während wenn man ihnen klar kommuniziert, der letzte Neuwagen mit Verbrenner wird 2034 am 31.12. zugelassen und danach könnt ihr das natürlich alles weiterfahren.

Aber perspektivisch wird es halt Elektro.

Ulf Buermeyer

Und vor allem stellt euch darauf ein, eigentlich ist der Verbrenner schon 2030 wirklich Schnee von gestern. Es wird immer weniger Tankstellen geben. Es wird immer weniger Werkstätten geben, die sich mit Verbrennungsmotoren auskennen. Wenn du halbwegs auf Draht bist, dann kaufst du dir schon heute besser keinen Verbrenner mehr. Und diese klare Botschaft müsste die Politik aussenden. Stattdessen sind nach den aktuellsten Zahlen ich glaube nur 14 % der Neuzulassungen in Deutschland mit eAntrieb.

Also da sieht man, die deutsche Politik gibt den Menschen einfach keine hinreichend klaren Signale. Das ist zum Schaden der Industrie, die deswegen einfach die Umstellung so ein Stück weit verschlafen hat. Aber es führt auch dazu, dass die Menschen nicht wissen, was sie kaufen sollen. Und das, obwohl eigentlich klar ist, wohin die Reise geht.

Philip Banse

Richtig fand ich ganz interessant. Auch die Fachzeitschrift Auto Motor Sport, die ich immer so in der Fossil Ecke wahrscheinlich völlig ignoranterweise verbucht hatte, schreibt letztlich: Leute, vergesst diese eFuels in PKW. Es macht keinen Sinn, es hat keine Zukunft. Ineffizient, Viel zu teuer, viel zu rar. Brauchen wir für andere Dinge, wo es keine Alternativen gibt, wie Batterie unter der Haube.

Warum haben wir das auch noch mal ein bisschen ausgebreitet, auch um euch zu sagen: Es ist nicht egal, ob ihr am 9.06. zur Europawahl geht oder nicht. Diese Frage, auf welcher Seite ihr auch immer steht, seit ihr jetzt dafür Verbrenner das auszugeben? Oder sollen Verbrenner weiter verkauft werden können? Egal wie ihr dazu steht, ihr müsst wählen, Denn das Parlament spielt in dieser Frage nicht nur in dieser, aber zum Beispiel auch in dieser Frage eine ganz entscheidende Rolle.

Und wen ihr da wählt, ist nicht egal.

Ulf Buermeyer

Zu unserem nächsten Thema: Wir blicken noch mal in die Ukraine. Denn dort wird die militärische Lage für die Ukraine, die sich gegen den russischen Angriffskrieg seit inzwischen über 800 Tagen verteidigen muss, jeden Tag schwieriger. Russland hat in den letzten Wochen im Norden der Ukraine in der Gegend nördlich von Charkiw neue Fronten aufgemacht.

Hat quasi noch mal von russischem Territorium aus mit einer großen Streitmacht, die Rede ist von rund 1000 Panzern beispielsweise und Zehntausenden von Soldaten, eine neue Front aufgemacht, die eine neue kleine Invasion gestartet in die Ukraine. Der Ukraine fällt es immer schwerer, sich zu verteidigen. Es fehlt eigentlich an allem. Es fehlt an Soldaten, es fehlt an Munition und vor allem auch fehlt es an Kapazitäten für die Flugabwehr. Es fehlen also diese sogenannten Patriotsysteme zum

Beispiel. Und es fehlen auch Raketen für diese Systeme. Das heißt also, die militärische Lage ist ernst bis sehr angespannt.

Philip Banse

Ja, und auch innerhalb der Ukraine hat sich der Beschuss aus Russland noch mal verschärft. Bisher hat Russland ja vor allen Dingen Artillerie, Raketen, Drohnen eingesetzt, teilweise aus iranischer Fertigung. Nun aber kommen immer mehr Waffen zum Einsatz, die sich Gleitbomben nennen. Und welchen Schaden die anrichten, das konnte man auch diese Woche schon leider noch mal begutachten.

Ulf Buermeyer

Ja, es gab viele, viele Einschläge dieser Gleitbomben in der Ukraine. Besonders viele Schlagzeilen gemacht hat ein Angriff auf einen ukrainischen Baumarkt also weiß Gott kein militärisches Ziel. Das ganze Gebäude wurde weitgehend zerstört von einer einzigen Bombe. Und das ist auch kein Wunder, denn eine einzige dieser Bomben kann bis zu 3000 Kilogramm Sprengstoff und mehr enthalten. Mal so zum Vergleich: Artilleriegranaten enthalten typischerweise weniger als zehn Kilo.

Mit anderen Worten, eine solche Gleitbombe enthält die 150 bis 300 fache Sprengkraft einer Artilleriegranate. Da kann man sich vorstellen, dass das einfach ein riesengroßer Rumms ist. Und das Schlimme ist, dass diese Gleitbomben für Russland quasi unbeschränkt verfügbar sind.

Philip Banse

Die nehmen einfach alte Bomben von denen die 100.000 im Depot haben. Dann werden da so kleine Flügelchen hinten und vorne dran gebaut. Es gibt eine kleine Steuerung, die ran gebastelt wird und dann bringen halt Flugzeuge die Bomben in die Nähe des Ziels und dann lassen sie sie los und dann gleiten die Bomben einfach alleine weiter. Die Kosten pro Bombe, weil es eben so alt sind, weil sie so keinerlei Fancy Nancy Steuerung oder so was drin haben, ein paar 1.000 $ pro

Stück. Russland hat viel, viel, viel davon, die sie einfach ausrüsten können und da ist nicht wirklich ein Ende in Sicht. Also kleiner Preis, erschreckend große Wirkung.

Ulf Buermeyer

So, und das wird zum einen zu schrecklichen Angriffen auf die Zivilbevölkerung, Stichwort Baumarkt. Das ist aber natürlich auch für die ukrainischen Truppen an der Front ein Riesenproblem, weil man einfach mit einer Gleitbombe einen ganzen Unterstand oder eine ganze Kaserne in die Luft jagen kann. Und das Problem für die ukrainische Seite ist, dass man diese Gleitbomben auch nicht so einfach alle abschießen kann.

Im Prinzip könnten das zwar Flugabwehrraketen vom Typ Patriot schaffen, aber diese Raketen kosten Millionen Dollar pro Stück und die Ukraine hat eh viel zu wenige davon. Das heißt also, man kann nicht ständig Millionen investieren, um eine Bombe für ein paar 1.000 $ abzuschießen. Das heißt also, es gibt eigentlich nur eine Lösung: Man muss schon die Flugzeuge angreifen, von denen aus diese Bomben abgeworfen werden.

Entweder greift man die Flugzeuge in der Luft an, dann braucht man aber auch wieder Patriot Raketen, von denen die Ukraine nicht genügend hat. Oder man muss die Basen in Russland angreifen, also die sogenannten Fliegerhorste und versuchen die russischen Kampfflugzeuge am Boden zu zerstören.

Philip Banse

Das Problem ist aber: Viele westliche Staaten verbieten es bisher, dass die von ihnen gelieferten Waffen gegen Ziele in Russland auf russischem Staatsgebiet eingesetzt werden. Natürlich greift die Ukraine schon Ziele in Russland an, so gut sie kann. Aber das sind eben in der Regel ihre eigenen Waffen. Welche Drohnen, Artelillerie, wie auch immer. Aber eben keiner von diesen Hightechwaffen aus dem Westen.

Ulf Buermeyer

Und diese, diese Angriffe mit Drohnen haben eben nur sehr begrenzten Erfolg, während eine ganze Menge mehr möglich wäre. Das sieht man zum Beispiel bei ukrainischen Angriffen auf Fliegerhorste auf der Halbinsel Krim. Die Krim gehört ja völkerrechtlich zur Ukraine, deswegen dürfen westliche Waffen dort eingesetzt werden. Wie gesagt, da kann man schon beobachten, dass diese Waffen sehr effektiv eingesetzt werden

können. Aber wie gesagt, die zentrale Frage ist, was ist jetzt mit dem Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet? Also Fliegerhorste, das ist das Thema Gleitbomben. Aber gerade nördlich von Charkiw wird eben auch ukrainisches Territorium direkt mit Geschützen, mit Artillerie von russischem Staatsgebiet angegriffen. Und deswegen die Frage: Darf die Ukraine in Zukunft westliche oder aus dem Westen gelieferte Waffen auch gegen Ziele in Russland einsetzen?

Das ist die zentrale Frage, die in dieser Woche Diplomatinnen und Diplomaten beschäftigt.

Philip Banse

Und dabei ist völlig unumstritten: Der Einsatz auf russischem Gebiet, von welchen Waffen auch immer, wäre völkerrechtlich unbestritten okay. Ukraine ist ein angegriffener Staat, darf sich auch auf dem Gebiet des Angreifers verteidigen. Natürlich in den Grenzen des Völkerrechts. Man muss Zivilisten schonen. Und so weiter und so fort. Aber dass die Ukraine Ziele in Russland angreifen darf, ist völkerrechtlich völlig unumstritten.

Ulf Buermeyer

Nun hat sich aber eben die militärische Lage verschärft und deswegen hat NATO Generalsekretär Stoltenberg die Mitgliedsstaaten des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses aufgerufen, der Ukraine den Einsatz westlicher Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland zu gestatten. Die Briten haben schon ihr Okay gegeben. Und Michael Roth von der SPD vom Auswärtigen Ausschuss sagte im Deutschlandfunk:

Michael Roth

Ich rate sehr dem Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, zu folgen, der diesen Vorschlag ja unterbreitet hat. Für uns ist die rote Linie das Völkerrecht. Diese rote Linie wird nicht überschritten, wenn die Ukraine auch mit Waffen aus westlicher Produktion und aus westlicher Lieferung heraus die russischen Ziele angreift. Wie tragisch die Situation derzeit ist und wie notwendig eine solche Entscheidung ist, erleben wir gerade in Charkiw.

In Charkiw hat die Ukraine fast vier Wochen zuschauen müssen, wie man sich dort für einen massiven Angriff auf Charkiv vorbereitet.

Philip Banse

Ähnlich sieht es Frankreichs Premierminister Emmanuel Macron, der jetzt drei Tage in Deutschland zu Besuch war. Als er mit Bundeskanzler Scholz im Schloss Meseberg bei Berlin vor die Presse trat, wurde auch gefragt: Würden Sie der Ukraine erlauben, dass die Ukraine französische Cruise Missiles zum Beispiel einsetzt, um Ziele auf russischem Staatsgebiet zu bekämpfen? Macron sagte darauf folgendes:

Emmanuel Macron

Sind also der Meinung, dass es genehmigt werden muss, diese Orte anzugreifen in Russland, von denen auf die Ukraine geschossen wird. Aber wir möchten nicht zulassen, dass andere Ziele in Russland getroffen werden, auch insbesondere keine zivilen, aber auch keine anderen militärischen Ziele. Aber wenn wir sehen, dass die Ukraine direkt von einem Ort angegriffen wird, sollte es unserer Meinung nach erlaubt sein.

Ulf Buermeyer

Die Vereinigten Staaten zögern noch so ein bisschen. Der Präsident Biden ist wohl noch dagegen. Außenminister Blinken hingegen spricht sich dafür aus. Und spannende Frage: Was sagt der Bundeskanzler Olaf Scholz dazu?

Olaf Scholz

Es gibt natürlich die Frage: Was machen wir mit den Systemen, die die USA liefern, die Frankreich liefert, die Deutschland liefert, und verschiedene. Und dort haben alle Regelungen entwickelt, die besagen, dass das sich immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss.

Ulf Buermeyer

Okay, klar.

Philip Banse

Da sah man so über über allen Korrespondenten und Journalisten so ein riesen Fragezeichen aufsteigen. Er sagt Ist doch völlig klar, was völkerrechtlich okay ist es erlaubt. Das galt dann erst für die ukrainischen Waffen. Dann sagte er Na ja, gut, Westen liefert ja auch Waffen. Aber da, sagt er, haben alle Regelung entwickelt, dass das im Rahmen des Völkerrechts passieren darf.

Ulf Buermeyer

Tja, das Problem ist das Völkerrecht würde ja auch völlig klar ukrainische Luftschläge gegen Ziele, jedenfalls gegen militärische Ziele in Russland ermöglichen. Gleichwohl wollte Bundeskanzler Olaf Scholz, wie auch viele andere NATO Partner solche Einsätze gegen Ziele in Russland bisher nicht.

Philip Banse

Vor einem Jahr hat Schulz noch ganz klar gesagt, es sei klar, dass die Waffen, die wir geliefert haben, nur auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden dürfen. Und, sagt er weiter, Die Waffen, die wir liefern, sind für den Einsatz zur Verteidigung auf ukrainischem Boden. Also vor einem Jahr war er da ganz klar. Und das hätte er auch jetzt wieder sagen können. Hat er aber nicht, hat er gesagt. Ja, da gibt es noch das Völkerrecht.

Und man könnte das so verstehen, dass er diese rote Linie so ein bisschen aufweicht, dass es irgendwie auch okay wäre, wenn deutsche Waffen, welche das auch immer sein sollen, Panzerhaubitze wie auch immer auf russischem Boden eingesetzt werden können. Aber so richtig klar sagt er das halt nicht.

Ulf Buermeyer

Und da stellt sich die Frage, warum er nicht einfach klar ja oder nein sagt. Der Spiegel mutmaßt, Olaf Scholz wolle diesen Einsatz zwar dulden, wolle sich aber zugleich nach außen nicht klar dazu bekennen. Zumal man fairerweise sagen muss: Es geht in dieser Frage ohnehin weniger um deutsche Waffen. Zumal solange der Taurus nicht geliefert wird, was Olaf Scholz ja zurzeit auch noch ablehnt.

Der Taurus, also eine Langstrecken Lenkwaffe, mit der Angriffe zum Beispiel auf russische Fliegerhorst sehr gut möglich wären. Aber wie gesagt, die wird ja bislang nicht geliefert.

Philip Banse

Warum bleibt Scholz so vage? Warum weicht er irgendwie scheinbar gefühlt eine Linie auf, sagt es aber nicht so richtig deutlich Und festnageln kann man ihn darauf auch nicht. Naja, man kann mutmaßen, dass das natürlich mit dem Wahlkampf zusammenhängt. Jetzt EU Wahl, haben wir drüber gesprochen, Scholz lässt sich da auch als Friedenskanzler überall plakatieren.

Und letztlich ist natürlich in der SPD die Sorge groß, dass es zu einer Eskalation dieses Krieges, wie immer die dann auch aussehen mag, kommen könnte. Und das spielt natürlich auch auf Ängste in der Bevölkerung an, dass wenn jetzt Waffen auf russischem Boden, westliche Waffen dort eingesetzt werden, dass Russland das nutzen könnte, um zu argumentieren, na jetzt seid ihr Kriegsparteien, jetzt eskalieren wir, unter Umständen mit Atomwaffen. Das sind die Ängste.

Ulf Buermeyer

Also das sind so die Ängste. Ich bin nicht so ganz sicher, ob die Menschen sich wirklich so differenzierte Sorgen machen, nach dem Motto: Ja, wenn dies passiert, dann wird jenes passieren. Aber jedenfalls gibt es eben, wie würde ich sagen, eher vage Ängste bei den Menschen in Deutschland. Und da muss man dem Bundeskanzler schon zugutehalten, dass er das richtig wahrnimmt.

Also zum Beispiel gab es im Februar, gut schon ein paar Wochen her, eine Umfrage von INSA, glaube ich, wo eine Mehrheit von 61 % der Deutschen sich davor fürchtet, dass der Ukrainekrieg sich auch auf NATO Gebiet ausweiten könnte. Also jedenfalls diese Ängste vor einer Eskalation, die sind real. Wir haben deswegen jetzt mal das Lagepublikum gefragt, also einen kleinen Ausschnitt.

Philip Banse

Es ist schon recht weit, eigentlich von einer repräsentativen Umfrage entfernt. Wir haben einfach mal bei Insta @LagederNation, könnt ihr natürlich auch folgen, wenn ihr so was demnächst mitkriegen wollt, haben wir mal gefragt: Leute, habt ihr eigentlich Angst vor einer Eskalation, wenn jetzt die Waffen zum Einsatz, westliche Waffen zum Einsatz in Russland freigegeben werden sollten, haben sich jetzt 30 Leute knapp gemeldet.

Die meisten von euch, die sich da gemeldet haben, sagen sie haben keine Angst, aber einige haben schon Angst.

Ulf Buermeyer

Etwa diese Hörerin, die 19 Jahre alt ist, wie sie sagt.

Lage Hörerin

Ich würde definitiv sagen, dass der russische Angriffskrieg zwar im Bewusstsein der Menschen oder zumindest in meiner Generation immer mehr in den Hintergrund gerät, gerade euch durch die Ereignisse in den anderen Weltregionen. Dass aber doch die Nachrichten und der zunehmende Druck auf die Ukraine dazu führen, dass man auch mehr Angst bekommt vor möglichen Konsequenzen, vor einer Eskalation, die hoffentlich nicht auf eine atomare Lösung hinausläuft.

Putin erscheint mir persönlich einfach ziemlich unberechenbar und ich denke schon, dass ich Angst vor einer Eskalation habe.

Ulf Buermeyer

Ähnliche Gefühle hat uns Niels, 19 Jahre auf die Mailbox gesprochen. Er studiert Politik in München.

Niels

Also ich muss ehrlich sagen, dass es mir schon ein bisschen Angst vor einer Eskalation macht. Eine große Eskalation muss um jeden Preis verhindert werden. Und mit um jeden Preis meine ich eben wirklich um jeden Preis. Und natürlich kann man das auch als inhuman betrachten, dass im zweifelsfrei Menschen in der Ukraine dafür leiden müssen. Und das ist es sicherlich auch. Und es fällt auch leicht, aus einer privilegierten deutschen Perspektive hier im Frieden so etwas zu sagen.

Aber trotzdem sehe ich es im Endeffekt so, dass es nicht sinnvoll sein kann, eine weitere Eskalationsstufe zu beschreiten. Und das wäre aus meiner Sicht der Fall, wenn man das erlaubt.

Ulf Buermeyer

Also wenn man sich das so anhört, sind jetzt so zwei Beispiele von den Tönen, die wir bekommen haben. Dann muss man sehen, Die Ängste mancher Menschen jedenfalls sind real vor einer solchen Eskalation. Aber Philip, die Frage, die ich mir dann stelle, ist doch: Was ist hier quasi die Henne, was ist das Ei? Was war zuerst da? Die Angst der Menschen oder die zögerliche Haltung des Kanzlers?

Philip Banse

Ja, das ist so ein bisschen die Frage, die wir uns auch gestellt haben. Hat Olaf Scholz diese Ängste geschürt oder zumindest dazu beigetragen, dass sie da sind, dass sie gewachsen sind? Vielleicht auch, denn Scholz hat ja schon immer wieder sehr prominent an sehr prominenter Stelle in großen Interviews vor einer Eskalation gewarnt und sich dabei auch ganz konkret auf diese russischen Drohung mit Atomwaffen bezogen.

Und da würde ich schon sagen, wenn sich der Kanzler wiederholt über Monate hinstellt und sagt Du, der Putin hat gedroht, das wollen wir nicht überdrehen, das könnte gefährlich werden. Sagen wir mal so, dass das nicht spurlos an Leuten vorbeigeht, die vielleicht ohnehin schon so ein bisschen ängstlich sind oder sich darüber Gedanken machen. Das wundert mich ehrlich gesagt nicht.

Ulf Buermeyer

Da würde ich auch sagen. Also die Angst in der Bevölkerung steht sicherlich in einem Wechselverhältnis zu der Kommunikation des Bundeskanzlers. Würde der Bundeskanzler sich hinstellen und sagen, ist ja auch eine denkbare Kommunikationsstrategie, die wäre: Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger! Putin führt zwar einen verbrecherischen Krieg, aber er ist nicht wahnsinnig. Putin hat natürlich gar kein Interesse an der Vernichtung seines eigenen Staates.

Deswegen wird es zu einer atomaren Eskalation nicht kommen. Das wäre eine völlig andere Kommunikation. Und ich glaube, dann sähen auch die Meinungsumfragen so ein bisschen anders aus. Aber Philip, ganz egal, woher die Angst jetzt immer kommen mag, ob sie von Scholz teilweise auch mit herbeigeführt wurde. Man muss sich ja auch die Frage stellen, ob diese Angst wirklich ein guter Ratgeber ist, die Angst vor der Eskalation oder ob sie nicht möglicherweise sogar eher kontraproduktiv wirkt.

Philip Banse

Na ja, man könnte ja fragen: Macht es diese Eskalation nicht wahrscheinlicher, wenn man Angst hat? Ist Zurückhaltung gegenüber Russland wirklich der Weg, um Eskalation zu vermeiden? Oder bedürfte es gerade wegen Putins von uns aus wahrgenommener Irrationalität nicht gerade ein Auftreten der Stärke ihm gegenüber? Und in diese Richtung argumentiert auch uns gegenüber mit der Sprachnachricht Mario aus Hamburg.

Mario

Ja, moin aus Hamburg, hier ist Mario. Auf die Frage, ob ich Angst davor habe, wenn mit europäischen Waffen Ziele auf russischem Staatsgebiet angegriffen werden, dann sage ich eindeutig ja. Aber ich finde auch Angst ist ein schlechter Ratgeber. Russland ist dabei und wird auch weiter, immer weiter, Stück für Stück in kleinen Tranchen diesen Konflikt mit Europa, also nicht nur mit der Ukraine, sondern mit der EU und der Ukraine, eskalieren. Ich sage nur Bojn am Grenzfluss zu Estland.

Russische Soldaten in Transnistrien. Die Gefahr von einem Angriff in Gotland. Störsender an der Ostsee. Das heißt, die eskalieren jetzt schon. Und die Angriffe auf die Ukraine erfolgen ja von russischem Staatsgebiet, also von Flugzeugen, die im russischen Luftraum sind, von Artillerie, die auf russischem Gebiet sind. Dann werden Zielen in der Ukraine angegriffen. Das heißt, wir müssen uns zur Wehr setzen, auch wenn mir das ganz schwer fällt.

Aber die Konsequenz, dass es noch schlimmer wird und Russland immer weiter, immer weiter zündelt. Ich finde, das ist viel größer.

Ulf Buermeyer

Tja, also ich denke auch die letztlich die Angst, die Zögerlichkeit von von Olaf Scholz ermuntert Putin letztlich. Ich meine, mal ganz ehrlich, die Kommunikation des Westens und vor allem auch die Kommunikation von Olaf Scholz ist doch eine Kommunikation der Unsicherheit und des Zauderns. Und man sieht an dem Verhalten Russlands in den letzten Wochen, dass die vor lauter Kraft, vor lauter Cojones kaum noch geradeaus laufen können.

Der Hörer hat sie angesprochen, Diese Sache mit den Bojen, das hatten wir oben noch nicht erklärt. Da hat die russische Küstenwache die Bojen eingesammelt, die die Grenze zwischen Estland und Russland im Fluss Narva markieren. Also man kann das so deuten, als wolle Russland damit sagen Diese Grenze gibt es für uns nicht.

Philip Banse

Ja, da haben sich die geografischen Gegebenheiten geändert, glaube ich.

Ulf Buermeyer

So war die offizielle Pressemitteilung. Und da muss man einfach sehen diese unglaubliche, subjektiv empfundene Stärke, die hat natürlich was zu tun mit der Reaktion des Westens, mit der er mit dem Munitionsmangel in der Ukraine. Und ich glaube ganz ehrlich, wenn man tatsächlich diesen Konflikt entspannen will, wenn man Russland wieder zu einem grundsätzlich friedliebenden Verhalten bringen will, dann geht das nur über eine Position der Stärke.

Philip Banse

Ja, und es würde für Olaf Scholz, aber natürlich glaube ich, eine Verschiebung der Prioritäten bedeuten. Er müsste die außenpolitischen Belange weiter nach oben schieben. Das müsste in seiner Werteskala größere Bedeutung gewinnen. Wir müssen uns einheitlich präsentieren. Wir müssen Putin abschrecken. Wir müssen der Ukraine helfen. Wir müssen die Ukraine retten. Sie darf nicht verlieren, sie muss gewinnen. Das stünde ganz oben. Und das reibt sich aber natürlich mit innenpolitischen Erwägungen.

Wir haben es gehört: Viele haben Angst, es gibt Wahlen, es gibt Umfragen, und dann muss er sich halt entscheiden. Sende ich jetzt nach innen: Leute, alles wird gut. Putin droht, wir eskalieren da nicht, wir liefern keine Waffen. Oder sagt er zu seinen Leuten, Wir müssen Stärke zeigen. Das mag euch Angst machen, aber ich erkläre nach innen, dass die Außenpolitik wichtiger ist als eure Ängste. Und erkläre euch und überzeuge euch, warum ihr keine Angst haben müsst.

Ulf Buermeyer

Ja, ich glaube ehrlich gesagt, dass das gar keine unterschiedlichen Prioritäten sind, sondern im Gegenteil. Ich glaube, gerade wenn man den Menschen Sicherheit geben will, dann funktioniert das eben nicht mit so einer Softie Nummer gegenüber Russland. Ich glaube, die eigentliche kommunikative Botschaft müsste sein: Liebe Menschen, für eure Sicherheit tue ich am besten, wenn ich Putin klar mache: Kollege, deine Macht hat ein Ende an der ukrainischen Grenze.

Ich glaube, die einzige Botschaft, die Putin versteht und damit die einzige Botschaft, die Mitteleuropa, Osteuropa wieder Frieden und Sicherheit bringen kann, ist eine Botschaft der Stärke, eine Botschaft der Kompromisslosigkeit gegenüber Putin. Wir haben es jetzt 20 Jahre versucht, 15 Jahre versucht mit einer mehr oder weniger Softie Politik gegenüber Putin. Was haben wir gesehen? 2014, die erste Invasion in der Ukraine, 2022 die zweite Invasion. Putin hat gelernt.

Der Westen ist letztlich hasenfüßig. Und ich glaube, es geht jetzt darum, Putin klar zu machen: Nein, wir haben Zeitenwende, wir haben unsere Lektion gelernt, wir halten gegen. Und dann hast du völlig zu Recht gesagt, Philip dann muss man es den Menschen auch erklären. Diese Softie Nummer, ddas klingt jetzt erst mal nach Deeskalation. In Wirklichkeit aber ermuntert sie Putin zu immer neuen Aggression.

Philip Banse

Und wir sehen das ja auch. Er eskaliert, das hat der Hörer ja auch gesagt, an allen Ecken und Enden an den Grenzen. Mit dieser GPS Störung über der Ostsee bis zu Angriffen auf den Bundestag, Angriffe auf SPD Hauptquartier an allen Ecken und Enden, mit Desinformationskampagnen, mit Firmen, die europäische Politiker bestechen. Und so weiter und so fort. Er eskaliert ja an allen Ecken und Enden und auch in der Ukraine.

Ulf Buermeyer

Es gibt einen einzigen Weg zum Frieden aus meiner Sicht: wenn Putin diesen Krieg verliert. Wenn er sich die Finger verbrannt hat, wenn er einfach sieht ich habe mein Blatt überreizt. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir wieder Frieden und Sicherheit in Europa herstellen. Also im Grunde braucht es so einen 1945 Moment. Natürlich wird niemand Russland besetzen, aber es muss halt einfach eine ganz klare Grenze aufgezeigt

werden. Und dann sehe ich da tatsächlich eine Perspektive bislang, wie gesagt, lernt Putin leider vom Westen. Er ist schwach und ängstlich und er kann machen, was er will. Und als Konsequenz kommen halbherzige Sanktionen und halbherzige Waffenlieferungen.

Zu unserem nächsten Thema: In den vergangenen Wochen wurde spätestens nach dem Angriff auf den SPD Politiker Matthias Ecke immer mehr darüber diskutiert, ob eigentlich Politikerinnen und Politiker in Deutschland genügend vor Angriffen geschützt sind und auch vor Einflussnahmen.

Es gibt also immer wieder Berichte, dass versucht wird, auf Menschen, die sich politisch engagieren, Einfluss zu nehmen, sie einzuschüchtern, sie zu stärken und was man dagegen tun kann, Das wollen wir jetzt mit einer Expertin besprechen, nämlich mit Katja Meier

Philip Banse

Ja, Katja Meier ist Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung in Sachsen. Sie ist in Zwickau, in Sachsen auch geboren, hat Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie studiert. Und sie ist von 2015 an Abgeordnete im Sächsischen Landtag für die Grünen. Und seit 2019 ist sie eben Ministerin in besagtem Amt. Ich würde mal sagen hauptsächlich Justizministerin. Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation.

Katja Meier

Ich freue mich sehr, dabei zu sein. Vielen Dank.

Ulf Buermeyer

Ja, der sächsische SPD Politiker wurde wie gesagt vor ein paar Wochen von Rechtsextremisten zusammengeschlagen, als er in Dresden Plakate aufhängen wollte. Wir haben ihn mal eingeladen, Ihnen eine Frage zu stellen, wie denn die richtige Reaktion der Justiz auf solche Vorfälle aussieht.

Matthias Ecke

Ich würde Sie gerne fragen, wie Sie in Zukunft mit diesen politisch motivierten Gewalttaten auch umgehen will, auch von Seiten der Staatsanwaltschaften, auch von Seiten der Justiz. Ich habe selber die Erfahrung gemacht, dass schnell ermittelt wurde, dass glücklicherweise auch sich der mutmaßliche Haupttäter schnell gestellt hat und die anderen Täter dann ermittelt wurden.

Das ist eine Erfahrung, die als Gewaltopfer natürlich erst mal eine gute ist, weil es auch den Vertrauen den Rechtsstaat stärkt. Viele andere haben die Erfahrung aber nicht gemacht. Und gerade Opfer rechter Gewalt haben in Sachsen auch oft die Erfahrung gemacht, dass es nicht ganz ernst genommen wird, was sie da erlebt haben.

Und da würde ich dich schon mal fragen, wie sie in Zukunft verhindern will, dass anderen Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben, eben so negative Erfahrungen zu Teil werden.

Philip Banse

Was konkret wollen Sie also tun gegen rechtsextreme Straftaten bzw dass diese schneller geahndet werden?

Katja Meier

Na, das Thema Rechtsextremismus, das beschäftigt uns ja jetzt nicht seit den aktuellen Geschehnissen hier im Freistaat Sachsen, sondern das ist ja ein Phänomen Bereich, den wir seit vielen Jahren, ich möchte sagen Jahrzehnten hier im Freistaat

haben. Und deswegen haben wir uns auch insgesamt als Koalition vorgenommen, uns dem Thema Rechtsextremismus mit voller Werft zu stellen und haben deshalb auch ein Gesamtkonzept Rechtsextremismus verabschiedet schon am Anfang der Legislaturperiode, wo wir gesagt haben, dass nicht nur die Polizei und die Justiz zuständig ist, die haben natürlich jetzt hier die Hauptaufgabe, sondern das ist nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sondern das sind natürlich auch mehrere Ministerien damit

befasst, angefangen vom Kultusministerium über das Sozialministerium, aber eben auch Polizei und Justiz. Und deswegen haben wir, auch um jetzt konkret auf die Justiz zu sprechen zu kommen, gemeinsam auch mit der Generalstaatsanwaltschaft überlegt, wie wir hier den Opfern von rechter Gewalt, aber auch von Antisemitismus besser unterstützen können. Und die Generalstaatsanwaltschaft hat hier extra eine Zentralstelle eingerichtet bei der Generalstaatsanwaltschaft.

Wir haben verschiedene Ansprechpersonen in den Staatsanwaltschaften geschaffen, wo sich Opfer von rechter Gewalt, aber eben auch von Antisemitismus ehrenamtlich engagierter hinwenden können, wo sie Hilfe und Unterstützung bekommen können. Und selbstverständlich ist es mir, ist es der Justiz ein großes Anliegen, dass wir Verfahren sehr schnell auf den Weg bringen. Aber da ist natürlich oft auch die Frage von erstens Personalausstattung.

Und andererseits geht es natürlich auch darum, dass es eine gute Zusammenarbeit von Polizei und Justiz gibt. Wenn die Polizei nicht entsprechend ermittelt, haben natürlich die Staatsanwaltschaften und am Ende die Gerichte. Das muss gut ineinandergreifen.

Ulf Buermeyer

Nun ist es ja so, dass die Staatsanwaltschaften die Ermittlungsverfahren letztlich führen. Die Polizei arbeitet da zu, es auch letztlich im repressiven Bereich, im Strafverfolgungssbereich, an Weisungen der Staatsanwaltschaften gebunden. Und da scheint jedenfalls ein großes Problem zu sein, dass es bei den Staatsanwaltschaften oft eben nur allgemeine Staatsschutzabteilung gibt, die sich um alles Mögliche kümmern. Wie ist denn da die Lage bei Ihnen

in Sachsen? Sie sagten, bei der Generalstaatsanwaltschaft gibt es jetzt schon eine Spezialabteilung für rechtsextreme Gewalt. Aber wo gibt es das denn noch? Und falls es das noch nicht gibt, wollen Sie das einrichten?

Katja Meier

Wie gesagt, wir haben bei der Generalstaatsanwaltschaft extra eine Stelle eingerichtet. Also der Generalstaatsanwalt hat sie eingerichtet, um genau diesen Phänomenbereich hier auch entsprechend Rechnung zu tragen.

Und selbstverständlich haben wir in allen Staatsanwaltschaften explizit Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die sich mit dieser Thematik auch beschäftigen und explizit ja, wie gesagt, in drei Staatsanwaltschaften auch explizit Ansprechperson, wo sich die Opfer hinwenden können, die dann auch jeweils in die Regionen wirken.

Ulf Buermeyer

Fangen wir doch noch mal ganz konkret nach, auch nach dem Eindruck, den Matthias Ecke geschildert hat. Viele Opfer von rechtsextremer Gewalt beklagen jetzt mal ganz untechnisch formuliert ein vielleicht nicht immer besonders großes Interesse bei Polizei und Justiz. Was würden Sie sagen? Teilen Sie diesen Eindruck? Und falls das tatsächlich ein Problem ist, was wollen Sie dagegen konkret tun?

Katja Meier

Ich kann verstehen, dass Bürgerinnen und Bürger oder insbesondere natürlich auch Opfer sich schnelle Strafverfahren wünschen. Mir ist es aber auch immer ein wichtiges Anliegen und der Justiz natürlich insbesondere, dass wir, wenn Verfahren geführt werden, dass die sauber geführt werden. Und jeder Fall ist am Ende ein Einzelfall. Das heißt, man muss konkret und genau hinschauen. Und es kommen ja dann auch oft und schnell die Forderung nach beschleunigten Verfahren.

Das kam ja jetzt auch in dem aktuellen konkreten Fällen immer auf. Aber da muss man natürlich auch sehr genau hinschauen, wo beschleunigte Verfahren hier überhaupt Anwendung finden können, zum Beispiel nicht im Jugendstrafrecht. Bei Jugendlichen ist das nicht anzuwenden, das wird an der Stelle ausgeschlossen. Und es muss natürlich eine sehr klare Situation vorliegen. Und wenn diese Möglichkeiten da liegen, dann kann natürlich hier auch vom beschleunigten Verfahren kann das beantragt werden.

So ist es zum Beispiel, wir hatten ja nicht nur den furchtbaren Vorfall bei Matthias Ecke, sondern auch andere Angriffe auf ehrenamtlich Engagierte, die Wahlplakate aufgehängt haben. Und da haben wir jetzt diese Woche auch von der Staatsanwaltschaft eine Pressemitteilung zur Kenntnis genommen, wo sie genau jetzt auch ein beschleunigtes Verfahren anstreben, weil sie sagen, da ist die Sachlage völlig klar, da können wir das anwenden und das soll jetzt auch passieren.

Philip Banse

Kommen wir zum anderen Thema. Wir hatten ja in der letzten Woche zahlreiche Menschen, die sich als Schöffinnen und Schöffen haben wählen lassen. Das ist ja 2023 passiert. Da wurden viele für die nächsten fünf Jahre gewählt, die an der Rechtsprechung vieler Gerichte mitwirken. In ganz Deutschland und im Vorfeld haben rechtsextreme Kreise dazu aufgerufen, für die Wahl zu kandidieren, um eben Gerichte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Jetzt ist diese Wahl vorbei.

Aber mal ganz grundsätzlich gefragt: Muss man als Staat, als Gesellschaft verhindern, dass Rechtsextreme, als Schöffen, Schöffinnen auf die Richterbank kommen?

Katja Meier

Selbstverständlich. Deswegen, und weil wir das natürlich auch erkannt haben, sind wir im Vorfeld auch tätig geworden. Wir haben hier gemeinsam mit der Zivilgesellschaft auch noch mal Aufklärungsarbeit im Hinblick auf die Wahl gegeben.

Und wir haben aber gleichzeitig auch gesehen, dass jenseits der konkreten Schöffen, es gibt ja hier einen ganz konkreten Prozess oder der festgelegt ist wie Schöffenwahl kommt und da haben wir hier sowohl im Leipziger als auch insbesondere im Dresdner Stadtrat gesehen, dass die Wahl der Personen, die dann am Ende die Schöffen wählen, die von den Kommunalparlamenten dann entsprechend eingesetzt werden, gewählt werden, dass das auch von AfD Abgeordneten torpediert

wurde, diese Wahl, was dann am Ende dazu führen könnte, dass natürlich dann die entsprechenden Kammern nicht besetzt sind. Ich habe mich dann hier zum Beispiel in Dresden direkt an den Oberbürgermeister gewandt und habe gesagt: Hier, Sie müssen jetzt sicherstellen, dass auch die Vertrauenspersonen an der Stelle gewählt werden, weil sonst die Strafverfahren in Gefahr sind, sodass dann nach langem Hin und Her, ich glaube, im sechsten oder siebten Wahlgang es dann auch

passiert ist. Und deswegen haben wir aus Sachsen heraus auch den Vorschlag Richtung des Bundesjustizministers gemacht, dass wir hier noch mal bessere Regelungen auch auf bundesgesetzlicher Ebene brauchen. Bisher sind wir da auf Granit gestoßen, weil dort die Aussage getroffen wird, das scheint ein sächsisches Phänomen zu sein und kein bundesdeutsches.

Und ich finde, genau vor solchen Entwicklungen dürfen wir nicht die Augen verschließen, sondern wir müssen genau hinschauen: Wo sind hier die Stellschrauben, wo können wir hier mögliche Gesetzeslücken schließen, damit wir eben sicherstellen, dass die Schöffen auch gewählt werden können.

Ulf Buermeyer

Jetzt schauen wir doch mal auf die Situation konkret in den Gerichten. Ich habe das ja selber erlebt. Als Richter, als damals mit Schöffinen und Schöffen zusammengearbeitet habe. Bei mir waren, soweit ich mich erinnern kann, keine Rechtsextremen dabei. Aber das kann natürlich passieren, man sitzt im Beratungszimmer. Es ist vielleicht ein Fall, wo sogar eine Person mit Migrationshintergrund eine Rolle spielt oder eine queere Person oder so, also irgendwas, was Rechtsextreme triggern könnte.

Und jetzt merkt man, da hat jemand von den Schöffen so einen ziemlichen Rechtsdrall. Was kann man denn dann eigentlich konkret tun? Gibt es da bei Ihnen zum Beispiel eine Ansprechstelle im Ministerium? Oder wie kann eine Richterin, wie kann ein Richter dann verhindern, dass da tatsächlich Extremisten am Urteil mitwirken?

Katja Meier

Na ja, also erst mal ist es ja so, dass wenn die Schöffen dann berufen werden, es sie auch auf die freiheitlich demokratische Grundordnung schwören müssen. Sie müssen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und wenn da sich Hinweise ergeben, dann muss natürlich das Gericht, die Richterinnen und Richter an der Stelle auch tätig werden.

Philip Banse

Okay. Gut. Die schmeißen sie dann raus, oder was machen Sie dann?

Katja Meier

Das muss dann natürlich genau geprüft werden, weil sie sind natürlich Teil sozusagen des Verfahrens. Und natürlich muss man dann schauen, wie weit man sie aus dem Amt entfernen kann.

Philip Banse

Kommen wir noch mal zu einem anderen Thema. Sie haben jetzt jetzt gerade auch mit Blick auf Gewalt gegen Politiker, Politikerinnen ein Ja, wie sagt man eine Initiative in den Bundesrat eingebracht, um das Strafrecht zu verschärfen und so eben politisch aktive Menschen

besser zu schützen. Sie schlagen da konkret vor in diesem Entwurf, der uns ja auch vorliegt, dass Sie so eine Art, so verstehe ich das zumindest laienhaft so eine Art Spezial Stalking Tatbestand einführen wollen, wo es darum geht, quasi um das Verbot von Kontaktaufnahmen, das Pizza Bestellungen zum Beispiel gemacht werden, Aufnahmen von Politikerinnen und solche Sachen. Braucht es da wirklich ein neues Strafrecht für solche Probleme?

Oder müsste man da nicht eigentlich das geltende Recht einfach konsequent umsetzen? Denn Stalking gibt es ja schon als Straftatbestand.

Katja Meier

Na ja, was wir ja seit vielen Jahren erleben, dass insbesondere kommunale Amts- und Mandatsträger gezielt eingeschüchtert werden und teilweise wirklich in ihrem privatesten Wohnumfeld. Wir haben das jetzt erlebt im Rahmen der Bauernproteste, dass vor den Wohnhäusern von Kommunalpolitikern Misthaufen abgeladen wurden. Und bisher gibt es auf diese konkreten Einschüchterungsversuche keine Antworten des Strafgesetzbuches.

Und deswegen haben wir uns, weil, wie gesagt, das nicht die einzigen Fälle waren, sondern wir haben da auch in den letzten Jahren Vorfälle hier gehabt, was teilweise dann auch sogar dazu geführt hat, dass Bürgermeisterinnen ihr Amt aufgegeben haben.

Und wir haben uns hier mit der Praxis hingesetzt, mit unserem Generalstaatsanwalt und haben die bestehende Rechtslage analysiert und sind dann, wie gesagt, zu dem Schluss gekommen, dass die bisherigen Tatbestände, insbesondere kommunale Amts- und Mandatsträger, hier nicht berücksichtigt sind.

Und deswegen haben wir den Paragraf 105 und 106 Strafgesetzbuch, wo es um die Frage von Nötigungen, Verfassungsorgane, also Bundespräsident, Abgeordneter, Mitglieder des Verfassungsgerichts, der Verfassungsgerichte hier noch mal besonders geschützt werden, aber vorkommen dort eben nicht kommunale Amts- und Mandatsträger. Und die wollen wir sozusagen an der Stelle ergänzt wissen.

Und gleichzeitig wollen wir eine Einführung eines weiteren Paragrafen, nämlich 106 A, wo es eben um die ganz konkrete Beeinflussung staatlicher Entscheidungsträger geht. Weil am Ende muss man ja überlegen, es geht hier um ehrenamtlich Engagierte, die sich für ihre Kommune einsetzen. Und am Ende sind ja oft nicht nur die Bürgermeister oder Mandatsträger betroffen, sondern natürlich auch ihre Familien, wenn es um ihr konkretes Wohnumfeld geht.

Da geht es um die Kinder, da geht es um die Ehepartnerinnen und Partner. Und hier wollen wir eine entsprechende Antwort darauf geben, weil bisher, wie gesagt, das Strafrecht hier nicht greift.

Philip Banse

Gut, ist eine Initiative im Bundesrat. Wie optimistisch sind Sie, dass das irgendwann mal Gesetz wird?

Katja Meier

Als wir uns eingebracht haben, hatten wir schon Zustimmung von zwei Bundesländern an der Stelle von Nordrhein Westfalen und Schleswig Holstein. Jetzt, diese Woche haben sich auch noch Berlin und Sachsen Anhalt angeschlossen. Es wird jetzt gerade im Ausschuss, also im Rechtsausschuss, im Bundesrat diskutiert und Anfang Juli werden wir es dann im Bundesrat abschließend behandeln. Bisher gibt es einen großen Zuspruch, auch parteiübergreifend.

Die Bundesinnenministerin hat sich dazu ja jüngst auch schon verschiedentlich geäußert, dass sie das entsprechend unterstützt. Und jetzt geht es genau darum, das weiter zu diskutieren, auch durchaus in größerer Runde zu diskutieren.

Ulf Buermeyer

Ja, bleiben wir noch mal im Bundesrat, kommen aber zu einer etwas anderen Perspektive, nämlich zur Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung des Bundes. Das hatten wir in der Lage schon ganz häufig. Für Gesetze, die der Bundestag verabschiedet, ist nämlich ganz entscheidend, ob der Bundesrat diesem Gesetz zustimmen muss. Wenn das so ist, also wenn es sich um ein sogenanntes Zustimmungsgesetz handelt, dann kann der Bundesrat das Gesetz komplett verhindern.

Bei Einspruchsgesetzen hingegen kann er das Gesetz im Prinzip nur ausbremsen, in dem es zum Beispiel dann in den Vermittlungsausschuss kommt. Und ob so ein Gesetz Zustimmungsgesetz oder Einspruchsgesetz ist, das steht bisher ohne jede Begründung im Gesetzentwurf. Und Sachsen ist hier aber an einer Initiative beteiligt, um das zu ändern. Frau Meier, was wollen Sie da konkret erreichen? Wie sollen die Gesetzentwürfe des Bundes besser werden?

Katja Meier

Genau das ist eine Initiative gemeinsam mit Nordrhein Westfalen, weil wir genau das festgestellt haben, was Sie jetzt hier auch beschrieben haben, nämlich das in den Bundesgesetzen unzureichend begründet ist, warum es hier einer Zustimmung bedarf bzw nicht. Und das haben wir halt festgestellt, jetzt auch bei ganz aktuellen Gesetzentwürfen, Stichwort Cannabisgesetz, dass es hier wirklich zu Problemen gekommen ist.

Und wichtig ist uns hier, dass es im Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit dem Bundesrat dieses Verfahren effektiv zu gestalten und hier tatsächlich eine Klarheit im Vorfeld zu schaffen. Nämlich, dass wir den Bundesjustizminister auffordern, hier gemeinsam mit den anderen Bundesministerien zu vereinbaren, das in der Gesetzesbegründung sehr klar beschrieben wird, ob es einer Zustimmung bedarf oder nicht. Und wenn es einer Zustimmung bedarf, warum.

Philip Banse

Wir können das auch aus eigener Erfahrung sagen. Wir sitzen natürlich oft hier vor Gesetzentwürfen und fragen uns: Muss der Bundesrat da jetzt noch ran? Ja, nein. Vielleicht? Dann steht das halt irgendwie oben in diesem Gesetzentwurfs drin. Aber warum und wer das da reingeschrieben hat, ist so ein bisschen unklar. Insofern würde das aus journalistischer Perspektive, glaube ich, auch helfen, wenn er die Begründung im Gesetzentwurf mit drin stünde.

Katja Meier

Wir versuchen tatsächlich hier auch mit diesem Gesetzentwurf einen Beitrag dazu zu leisten, um quasi die blockierte Republik hier ein Stück weit da etwas entgegenzusetzen, um eben mit dieser Initiative auch mehr Transparenz über Zustimmungs- und Einspruchsgesetze zu schaffen, damit wir hier eine klarere Trennschärfe haben, um auch diese Blockaden, die wir ja tatsächlich im Bundesrat erleben, wo es dann einen Vermittlungsausschuss nach dem anderen gibt, um dem ein Stück weit

entgegenzuwirken und eine frühere Einbindung der Länder hier zu erwirken, damit es eben gar nicht erst zu diesen Blockadehaltung kommt.

Philip Banse

Vielen Dank! Das war Katja Meier, Justizministerin in Sachsen. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Informationen.

Katja Meier

Vielen Dank!

Ulf Buermeyer

Und damit ist die Lage der Nation für diese Woche wieder abschließend und umfassend erörtert. Wir hoffen, euch hat unsere Sendung gefallen. Falls das so sein sollte, schenkt uns gerne ein paar Sternchen in der Podcast App eures Vertrauens und vor allem abonniert unsere Kanäle unter Lage.Link/Telegram und unter Lage.Link/WhatsApp. Und damit wünschen wir euch ein schönes Wochenende.

Philip Banse

Und wenn ihr mögt, können wir uns nächste Woche wieder. Bis dahin alles Liebe. Tschüss!

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