LdN383 Rassistischer Eklat auf Sylt, Anerkennung Palästinas, IGH fordert Mäßigung im Gaza-Krieg, Haftbefehl beantragt gegen Hamas-Chef und Netanyahu, Uni-Proteste, Klimabonus in Österreich (Sigrid Svehla-Stix, Umweltbundesamt Wien), Erfahrungsberichte Schöff:innen - podcast episode cover

LdN383 Rassistischer Eklat auf Sylt, Anerkennung Palästinas, IGH fordert Mäßigung im Gaza-Krieg, Haftbefehl beantragt gegen Hamas-Chef und Netanyahu, Uni-Proteste, Klimabonus in Österreich (Sigrid Svehla-Stix, Umweltbundesamt Wien), Erfahrungsberichte Schöff:innen

May 26, 20242 hr 40 minEp. 383
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LdN383 Rassistischer Eklat auf Sylt, Anerkennung Palästinas, IGH fordert Mäßigung im Gaza-Krieg, Haftbefehl beantragt gegen Hamas-Chef und Netanyahu, Uni-Proteste, Klimabonus in Österreich (Sigrid Svehla-Stix, Umweltbundesamt Wien), Erfahrungsberichte Schöff:innen

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Philip BansePhilip Banse

Herzlich willkommen zur Lage der Nation Ausgabe Nummer 383 vom 25. Mai 2024. Ganz herzlich willkommen zur Lage, in der wir die Geschehnisse hierzulande und in der Welt zusammenkehren, so sie uns interessieren und wir sie für relevant halten. Mein Name ist Philip Banse.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und mein Name ist Ulf Buermeyer. Herzlich willkommen auch von mir. Bevor wir richtig anfangen mit unserer Sendung wie immer ganz kurze Hausmitteilung und zwar zu der Frage, wie bleibt ihr eigentlich dabei, wenn ihr so gelegentlich mal reinhört in die Lage der Nation? Da gibt es in praktisch allen Podcastapps nämlich eine spannende und praktische Funktion.

Philip BansePhilip Banse

Man kann die Lage nämlich abonnieren. Manche hören das ja einfach so, weil sie irgendwie reinstolpern und hören sich dann mal ein Audio an, aber das ist natürlich nur halb so schön, als wenn ihr die Lage abonniert habt. Dann kommen nämlich neue Folgen automatisch runtergeladen in euren Podcast Player, geht auch bei Spotify, und dann seid ihr immer auf dem Laufenden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ganz kurz zum Sortieren. Abonnieren heißt jetzt nicht, dass ihr irgendwas bezahlen müsst. Das ist einfach nur die deutsche Formulierung. In englischen Fassung der Apps heißt das normalerweise dann follow. Das heißt also einfach nur, dass die App regelmäßig die Lage automatisch runterlädt, wenn ihr im WLAN seid, sodass ihr halt mitkriegt, wenn eine neue Lage der Nation erschienen ist.

Philip BansePhilip Banse

Diese Woche machte ein doch schockierendes Video die Runde, muss man sagen, durch die sozialen Medien. Mindestens ein Dutzend Leute sind da zu sehen, die in Kampen auf der Insel Sylt Party machen. Allem Anschein nach wohlsituierte junge Menschen, so um die 30, wirken recht teuer angezogen. Die Uhren sind, wirken relativ teuer, Poloshirt, goldene Ohrringe.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Diese Party im Nobelclub Pony in Kampen soll angeblich 150 € Eintritt gekostet haben. Also da kann man sich schon vorstellen, an welches Publikum sich das richtete. Ganz kurz zusammengefasst, ganz sicher jedenfalls ökonomisch betrachtet alles keine Verlierer. Und diese Menschen, die hatten Spaß. Und man muss ganz ehrlich sagen, das Wort Spaß bleibt einem in diesem Kontext im Halse stecken. Kleine Warnung, es wird wirklich

hässlich. Das spielen wir nur kurz an, damit ihr wisst, worum es geht in dieser folgenden Diskussion.

Sylt-Video

Ausländer raus! Deutschland den Deutschen. Ausländer raus!

Philip BansePhilip Banse

Ja, Volksverhetzung kann auch richtig Spaß machen und gute Laune verbreiten. Also "Ausländer raus" singen die da zu einem Song.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und schunkeln.

Philip BansePhilip Banse

Und schunkeln und zeigen also den Hitlergruß, das muss man glaube ich, so verstehen. Und mindestens einer imitiert mit seinen beiden Fingern den Hitlerbart. Also das ist doch gerade in diesem Gute Laune Kontext doppelt irritierend.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ehrlich gesagt total schockierend. Also natürlich hat das jetzt erst mal strafrechtliche Folgen. Der Staatsschutz da im Norden hat die Ermittlungen übernommen. Die Staatsanwaltschaft Flensburg sagt, die Fahndung läuft nach den Menschen im Video. Teils wurde auch quasi von Menschen auf Instagram schon mit diesem Video so eine Art Privatfahndung losgetreten. Einige Leute wurden da auch schon gedoxxt, also wurde schon veröffentlicht, wie sie heißen.

Die ersten Namen sind bekannt, unter anderem wohl ein ehemaliger Mitarbeiter eines CSU Abgeordneten aus München. Erste fristlose Kündigung wurde ausgesprochen. Also in anderen Worten das Video wird für die Menschen offensichtlich Folgen haben. Aber ich fand so schockierend, als ich mir das ein paar Mal angeguckt habe, dass da ganz offensichtlich einfach alle mitmachen. Das waren jetzt nicht so zwei, drei, die durchgeknallt sind. Das ist eine Menge.

Also man sieht mindestens ein Dutzend Menschen auf diesem Video und die sind sich alle völlig einig. Wir feiern hier mal gerade Rassismus.

Philip BansePhilip Banse

Ja, ich finde einen ganz interessanten Perspektivwechsel hat da die SZ formuliert in einem Kommentar. Die schreiben ein bisschen so ironisch "Spätestens jetzt möchte man doch die Vornamen dieser jungen Leute wissen, oder nicht? Liebe Berliner CDU", also das ist eine Anspielung auf eine Forderung der CDU in Berlin nach Krawallen in der Silvesternacht, wo gefordert wurde, wir brauchen jetzt erst mal die Vornamen aller, denen die Krawalle zur Last gelegt wurden.

Und da wurde dann eben unterstellt, dass das in erster Linie Leute mit migrantischem Hintergrund sind. Also die SZ fragt, spätestens jetzt möchte man noch die Vornamen dieser jungen Leute wissen oder lieber nicht? Liebe CDU, wie damals nach den Silvesterkrawallen in Neukölln als Mohameds beteiligt waren. Ein Paul dabei? Ein Ferdinand, eine Laura? Fragt die SZ. Nun möchte man bei Markus Lanz erfahren, wie wachsen diese deutschen Paschas denn auf? Welche Werte geben ihre Eltern ihnen

denn mit? Welche Parallelgesellschaft wächst da mitten unter uns heran? Was wird in den beigefarbenen Altbauwohnzimmern in Hamburg Harvestehude gelehrt? Welche ethnisch kulturelle Prägung steckt dahinter? Zitat Ende. Also ich finde, das ist ein interessanter Perspektivwechsel, weil der natürlich symbolisiert, wie wir die Gesellschaft, Parteien auf Probleme von Jugendlichen mit migrantischem Hintergrund gucken, wenn die beteiligt sind bei Unruhen und wie wir solche Vorfälle interpretieren.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, also ich finde es total interessant, weil eben gerne versucht wird, wenn es irgendwie von der Sachlage her möglich ist, das zu tun, was man in der Sozialwissenschaft so schön Othering nennt. Das heißt also quasi, die Gruppe derjenigen, die das getan haben, auszugrenzen, sie zu den anderen zu definieren, so wie das eben die Berliner CDU versucht hat.

Der Pass sagt offensichtlich nach der Lesart der Berliner CDU dann nicht genügend aus, sondern nur die Vornamen sagen uns, um was für Menschen es wirklich geht. Und dieses Othering, dieses Ausgrenzen, muss man ganz ehrlich sagen, das ist jedenfalls beim Problem Rassismus nicht mehr möglich. Ich denke, dieses Video auf Sylt zeigt, Rassismus ist längst in der Mehrheitsgesellschaft angekommen. Man könnte auch mit Bertolt Brecht sagen, er war wahrscheinlich einfach nie weg.

Also wer sich mit Rechtsextremismus beschäftigt, der kann von einem solchen Video auch eigentlich nicht überrascht sein. Und ich muss ganz ehrlich sagen, für mich war das auch so ein bisschen so eine, so eine Warnung, wozu der Diskurs in Deutschland führt über Migration, denn, wir wollen da nicht tief einsteigen in dieser Folge, aber nur mal so als

Denkanstoß. Wir haben uns in Deutschland jedenfalls in den letzten Monaten an einen Diskurs gewöhnt, wo wir eigentlich nicht mehr so richtig reden über einzelne Probleme, die Migration mit sich bringen, von Wohnraum, Knappheit bis keine Ahnung, überfüllte Klassen oder so, sondern viele Menschen, die im politischen Raum Verantwortung tragen, beschreiben das Problem so, dass schon die Anwesenheit von Menschen in Deutschland ein Problem sei.

Nehmen wir Olaf Scholz, der im Spiegel gesagt hat, wir müssen endlich im großen Stil abschieben. Das heißt, wir reden nicht mehr über Probleme der Integration, sondern wir beschreiben die Anwesenheit von Menschen in Deutschland als Problem an sich. Und ich glaube, natürlich hat Olaf Scholz nicht gesagt, Ausländer raus. Sondern Olaf Scholz hat paraphrasiert gesagt, manche Ausländer raus.

Nur ich bin mir nicht sicher, ob diese Differenzierung, die Olaf Scholz natürlich vorgenommen hat, ob die noch ankommt. Ich fürchte, wenn Olaf Scholz sagt, wir müssen in großem Stil abschieben, dann kommt bei einem relevanten Teil der Bevölkerung dann halt an, Ausländer raus. Und deswegen glaube ich, dieser Diskurs, der die Anwesenheit von Ausländern in Deutschland als solche als Problem beschreibt, dieser Diskurs ist einfach toxisch. Dieser Diskurs ist ein Nährboden für Rassismus.

Und dann, dann werden eben im Ponyclub in Kampen Rassismuspartys gefeiert.

Philip BansePhilip Banse

Ja, ich sehe da auch so ein bisschen die Social Media-isierung von diesem Rassismus und letztlich ist das ja so ein TikTok Prinzip, was die da machen. Na ja, du hast ein Video, da passiert irgendwas in Anführungsstrichen Lustiges, da legst du ein bisschen Musik drunter und dann ist das ein schöner, schöner Clip. So erscheint einem das ja. Das ist ein kurzer Clip, da ist ein bisschen Musik.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das haben sie rumgeschickt. Das ist ja nicht zufällig in der Öffentlichkeit gelandet.

Philip BansePhilip Banse

Und wie soll man das sagen? Aber das ist so, das betrifft dann so ein bisschen die kommunikative Ebene dieses Rassismus und dieser Volksverhetzung, dass der offensichtlich inspiriert ist von so einer Gute Laune Tikok Geschichte.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das muss man sich mal überlegen. Lifestylerassismus.

Philip BansePhilip Banse

Lifestylerassismus. Das ist das, finde ich, das Irritierende daran, dass das so daherkommt wie so ein, ach, guck mal, hier rutscht ein Hund aus und fällt in den Pool, ein bisschen Mucke drunter und alle sagen, ja, geil, lustig. Hier schreien sie "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen".

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Furchtbar. Also ich muss ganz ehrlich sagen, ich hoffe, dass das jetzt eben nicht mehr so als einmaliger Ausrutscher wahrgenommen wird, sondern dass sich jetzt viele Menschen in der Politik, gerade auch in der SPD, in der Union, in der FDP, aber teilweise sogar bei den Grünen die Frage stellen, welchen Beitrag leisten wir eigentlich dazu, dass Menschen, die mutmaßlich gar nicht fundamental rechtsextrem sind, dass die glauben, Ausländer raus sei eine Parole, zu der man tanzen kann?

Ich würde mir wünschen, dass das so eine Art Warnschuss ist, auch für den politischen Diskurs. Das heißt nicht, dass man Probleme mit Migration klein redet. Aber man darf eben nicht als Problem beschreiben, dass Menschen in Deutschland sind. Wenn man das als Problem, als solches beschreibt, dann ist man zwei Millimeter vor solchen Partys. Und ich glaube, das ist ganz gefährlich.

Wir müssen darüber reden, wie geht man mit Migration um, wie lösen wir Probleme und nicht mehr darüber, wie kriegen wir die Menschen aus dem Land?

Philip BansePhilip Banse

Der internationale Druck auf Israel wird, man kann es eigentlich so sagen, jeden Tag größer. Zumindest war das in dieser Woche zu beobachten. Israel steht mit seiner Kriegsführung im Gazastreifen zunehmend isoliert da und auch, muss man ehrlich sagen, die deutsche Position in diesem Gazakonflikt wird international immer randständiger. Denn diese Woche gab es für Israel einen einen kritischen Dreiklang. Es gab einen Antrag auf einen Haftbefehl gegen den Regierungschef, es gab-

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und den Verteidigungsminister.

Philip BansePhilip Banse

Und den Verteidigungsminister. Es gab ein Urteil eines europäischen Gerichts, und es gab noch einige andere Anerkennungen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Fangen wir mit dem letzten Punkt an Stichwort Anerkennung. Die meisten Staaten der Welt haben inzwischen einen Palästinenserstaat diplomatisch anerkannt, genau genommen 143 der 193 UN-Mitgliedsstaaten

Philip BansePhilip Banse

War mir zum Beispiel total neu.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

War mir auch. Also die Größenordnung wusste ich nicht. Ich wusste, dass es Anerkennung gibt. Aber wenn man sich das mal überlegt. Es sind über den Daumen 3/4, also rund 75 % der Staaten, die Mitglieder sind der Vereinten Nationen, erkennen längst einen Staat Palästina an, darunter auch viele Staaten in Osteuropa.

Ausnahmen, also,die bislang einen Palästinenserstaat nicht anerkannt haben, sind so grob Nordamerika, Japan, Australien und Westeuropa, also das, was man so schön als die westliche Hemisphäre bezeichnet.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und dieser Teil der Länder, die einen palästinensischen Staat nicht anerkennen, der ist kleiner geworden. Denn am Mittwochnachmittag haben drei westeuropäische Länder ziemlich überraschend angekündigt, nächste Woche, am 28. Mai, Palästina als Staat anzuerkennen, nämlich Norwegen, Spanien und Irland.

Vor allen Dingen Norwegen ist hier ganz zentral, weil Norwegen im Rahmen des Friedensprozesses der Osloprozess heißt und hieß, natürlich eine zentrale Rolle auch gespielt hat in dem bisherigen Prozess, Israel und Palästina zu versöhnen. Also diese drei Länder wollen nächste Woche Palästina als offiziellen Staat anerkennen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ganz, ganz kurze Fußnote. Was heißt da Osloprozess? Es gab in den 90er Jahren, also vor rund 30 Jahren, da einen historischen Händedruck zwischen dem damaligen israelischen Regierungschef und dem Chef der PLO, der sogenannten Palästinensischen Befreiungsorganisation, Jassir Arafat. Und das wiederum war quasi die Grundlage für einen damaligen Versuch eines Friedensprozesses, glaube ich, muss man sagen, der zum Ziel haben sollte eine Zweistaatenlösung.

Dieser Friedensprozess ist aber letztlich tot.

Philip BansePhilip Banse

Eigentlich, oder?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Eigentlich tot, kann man, glaube ich, so sagen. Ich denke, der ist jedenfalls durch die Ermordung von Jizchaq Rabīn, dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten, ja letzten Endes zum Entgleisen gebracht worden. Es gab natürlich dann auch von palästinensischer Seite immer mehr Bombenanschläge und so, also beide Seiten haben da wie immer in diesem Konflikt sich nicht

mit Ruhm bekleckert. Aber jedenfalls dieser Osloprozess, kann man glaube ich nicht anders sagen, ist eigentlich tot, aber nur für die Menschen, die das historisch nicht mehr so auf dem Zettel haben. Der heißt eben Osloprozess, weil es da eine wesentliche Vereinbarung in Oslo gab.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und deswegen hat das schon auch so ein bisschen symbolischen Wert, dass Norwegen/Oslo jetzt Palästina anerkennen wollen. Und man fragt sich natürlich, was heißt denn Palästina, was wollen die denn anerkennen? Das ist natürlich nicht so ganz klar. Man muss sehen, dass die UN 1947 schon zwei Staaten auf diesem Gebiet, was man im weitesten Sinne als Palästina bezeichnen kann, vorgeschlagen hat. Israel wollte das damals sogar. Die Palästinenser haben das abgelehnt, weil sie das-.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Israel gab es noch gar nicht.

Philip BansePhilip Banse

Gab es da noch nicht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also die jüdischen Siedler, so muss man, glaube ich, sagen.

Philip BansePhilip Banse

Genau, die jüdischen Siedler wollen das. Die Palästinenser nicht, weil sie das Gefühl hatten, sie werden da übervorteilt, kommen da zu kurz. Israel wurde 1948 gegründet bzw. hat sich für unabhängig erklärt und eroberte anschließend rund so pi mal Daumen 50 % der Gebiete, die die UN damals für die Palästinenser als eigenen Staat vorgesehen hatte. Und das sind im Kern das Westjordanland. Also so dieser Bereich zwischen Jerusalem und Jordanien.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Alles so ganz über den daumen. Das ist wirklich jetzt nur ein ganz knappe Zusammenfassung.

Philip BansePhilip Banse

Damit ihr so ungefähr so eine Vorstellung habe, dann den Gazastreifen und eben Ostjerusalem, also den östlichen Teil Jerusalems. Und letztlich dürfte es, wenn es jetzt heißt, wir erkennen Palästina an, um diese Gebiete gehen, um diese besetzten Gebiete.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das heißt also, die palästinensische Perspektive ist im Grunde bis heute der sogenannte Teilungsplan der Vereinten Nationen soll mehr oder weniger umgesetzt werden, aber das wird dadurch unter anderem erschwert, dass natürlich inzwischen es sehr viele jüdische Siedlungen gibt auf diesem eigentlich von der UNO für palästinensische Siedlungen vorgesehenen Gebiet. So, und jetzt gibt es aber eben diese, diese Gebiete, die die PLO für unabhängig erklärt hat und das nennt sich Staat Palästina.

Man kann auf der anderen Seite aber schon die Frage stellen, ob das wirklich ein Staat ist. Wie gesagt, die Mehrzahl der UNO Staaten hat Palästina anerkannt. Allerdings fehlt es doch an vielen Aspekten von Staatlichkeit, insbesondere nämlich von einer tatsächlich ausgeübten staatlichen Autorität. Die Palästinenserbehörde, die quasi Regierung im Westjordanland hat allenfalls teilweise Souveränität, weil natürlich das israelische Militär dort letzten Endes den Ton angibt.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und auch im Gazastreifen die Palästinenserbehörde de facto nicht zu sagen hat, sondern da eben die Hamas die Regierung stellt. Also du hast es gesagt, die Mehrzahl der UNO Staaten hat Palästina anerkannt, aber eine UN Mitgliedschaft wird durch Israel und vor allen Dingen die USA verhindert. Also der Staat Palästina ist nicht in der UNO. Haben glaube ich Beobachterstatus.

Also auch nach dieser, ich würde mal sagen symbolischen Anerkennung durch diese drei westeuropäischen Staaten bleiben einfach, das hast du schon angedeutet, wahnsinnig viel Fragen offen. Was ist eigentlich genau das Territorium? Weil das historische Palästina viel, viel größer ist als das, was heute der Staat Israel ausmacht. Was soll mit Ostjerusalem werden, dieser Teil Jerusalems wird von beiden Bevölkerungsgruppen und Staaten beansprucht. Was ist angesprochen?

Die Siedler im Westjordanland, also da sind viele, viele jüdische Siedler mittlerweile angesiedelt worden. Was soll mit denen werden, wenn es ein Staat Palästina gibt? Sollen alle umgesiedelt werden? Sollen die dableiben? Wie soll das funktionieren?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Völkerrechtlich ist die Frage völlig klar zu beantworten. Also diese Siedlungen sind grob völkerrechtswidrig. Wenn Israel sich da rechtmäßig verhalten würde, müssten die alle sofort geräumt werden und in palästinensische Autorität. Aber natürlich sitzen da im Zweifel besonders radikale Israelis, die da ganz sicher nicht freiwillig weggehen. Also da stellen sich Fragen ohne Ende.

Muss man fairerweise auch sagen, für jede israelische Regierung ist das innenpolitisch fast unmöglich diese Siedlungen zu räumen. Also, das würde vermutlich nur gehen durch massiven internationalen Druck. Also wie gesagt, wir wollen das nicht zu tief vertiefen, aber dass iht so einmal so ein bisschen

seht. Es gibt tatsächlich jedenfalls aus der Perspektive vieler Staaten schon so was wie einen palästinensischen Staat, auch wenn der in der Realität, na, sagen wir mal, eine viel geringere Rolle spielt, als man sich das bei dem Stichwort Staat eigentlich vorstellt.

Philip BansePhilip Banse

So ein Halbstaat.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

So ein Halbstaat. Also wirklich, oder so, ich sage mal so ein Theoriestaat oder theoretischer Staat, der aber in der Praxis weitgehend unter der Oberhoheit eines Besatzungsregimes steht, nämlich seines Nachbarlandes Israel. Aber gleichwohl sorgt diese Anerkennung des Palästinenserstaates politisch für sehr viel Wirbel.

Philip BansePhilip Banse

Ja, also Israel ist natürlich voll auf der Palme. Also es wurden Botschafter aus diesen Ländern vorübergehend abgezogen, also nach Jerusalem zurückbeordert, angeblich für Besprechungen. Aber das ist halt so ein diplomatisches Signal, dass Israel damit überhaupt nicht einverstanden ist. Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident in Israel, sagte, der Terror der Hamas werde belohnt. Und das kann man auch anders sehen.

So würde es mal formulieren, denn die Hamas will ja gerade keine Zweistaatenlösung, die will ja Israel von der Landkarte tilgen und das komplette Gebiet selber besetzen und regieren.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Deswegen sagen zum Beispiel diese Staaten, die jetzt die Anerkennung ausgesprochen haben. Nein, das ist überhaupt keine Anerkennung für die Hamas und ihre Maximalposition, sondern ganz im Gegenteil ist es gedacht als diplomatischer Hinweis darauf, dass dieser Konflikt nur politisch gelöst werden kann, aber eben nicht durch das israelische Militär.

Blicken wir nach Berlin. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch, die Anerkennung eines eigenständigen palästinensischen Staates müsse am Ende von Verhandlungen zwischen Israel und Palästina stehen. Er sieht also quasi die Anerkennung noch vor abgeschlossenen Verhandlungen deutlich kritisch, muss man sagen. Aber auf der anderen muss man sehen. Wenn man eine Zweistaatenlösung will, braucht man auch irgendwie zwei Staaten.

Philip BansePhilip Banse

Ja, das ist natürlich eine Minderheitenmeinung, die Steffen Hebestreit hier formuliert. Da ist Deutschland mit den USA in diesem Lager, die sagen, wir streben eine Zweistaatenlösung an, aber wir können diesen zweiten Staat Palästina erst anerkennen, wenn quasi die israelische Regierung das abnickt und sagt, ja, wir erkennen diesen Staat auch an, wir wollen ihn auch. Und dann ist Deutschland bereit, auch Palästina anzuerkennen.

Das sehen halt die Mehrzahl der UN Staaten anders, die den palästinensischen Staat jetzt schon angekündigt haben. Man muss dazu aber auch sagen, dass diese Zweistaatenlösung natürlich gerade auf, wie ich finde, unerwartete Weise noch mal völlig neuen Schwung bekommt. Und das hängt damit zusammen, dass die USA seit vielen, vielen Monaten mit Saudi-Arabien über eine Anerkennung Israels verhandelt. Das war schon vor dem 7.

Oktober der Fall. Und dann dachten alle, das ist tot nach dem Massaker und dem Terror der Hamas in Israel. Tatsächlich sind diese Verhandlungen aber weitergegangen. Und es wäre natürlich ein gigantischer Schritt, wenn Saudi-Arabien als großer Führungsstaat der arabischen Welt Israel anerkennen würde. Das könnte, so die Hoffnung der beiden Administration, natürlich für eine große regionale Stabilität sorgen. Die Saudis planen die Zeit nach dem Öl.

Die hätten gern von den USA Sicherheitsgarantien, Waffenhilfe, ein ziviles Nuklearprogramm. Und sie hätten für die Anerkennung Israels eben gerne eine Zweistaatenlösung.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ist natürlich mit Israel jedenfalls Stand heute nicht zu machen. Auf der anderen Seite steht aber der US Präsident Joe Biden gerade extrem unter Druck, vor den Wahlen gute Nachrichten aus dem Nahen Osten zu liefern. Wir haben das schon oft diskutiert. Es gibt einfach in den USA viele Menschen, die finden, dass er zu israelfreundlich agiere, dass er insbesondere die Menschenrechtssituation im Gazastreifen nicht genug in den Blick nehme.

Und insofern muss man sehen, ist das für Israel gerade auch keine einfache Zeit. Weil Israel einfach sieht, dass die eigene Sichtweise auf den Konflikt von immer weniger Staaten auf der Welt geteilt wird. Also eigentlich vor allem noch von Washington, so im Prinzip und von Berlin. Und das war's dann auch fast.

Philip BansePhilip Banse

Ich finde, dieser Konflikt und diese Anerkennung, die mögen jetzt in der Praxis wenig Auswirkungen haben, aber sie zeigen auch noch mal ja, dass auch in Europa sich wirklich so ein Spalt auftut. Gemessen an der Positionierung zu diesem Konflikt. Und Deutschland ist da zunehmend in einer Minderheitenrolle.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also mal ganz ehrlich, also bis zu einer gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union ist es einfach noch ein weiter Schritt. In gewisser Hinsicht könnte man natürlich auch sagen, hätte Deutschland ein Problem weniger, wenn man nämlich eben keine eigene Außenpolitik formulieren müsste. Muss man auch mal sagen.

Wenn man sich natürlich hinter der Mehrheitsmeinung in der Europäischen Union verstecken könnte, das würde auch für die deutsche Außenpolitik, glaube ich, mal so den ein oder anderen problematischen, heiklen Konflikt lösen.

Philip BansePhilip Banse

Zumindest in diesem Fall.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Zumindest in diesem Fall. Ja, aber auch sonst. Muss ich mal ganz ehrlich sagen. Ich weiß nicht, wie du das wahrnimmst, aber ich frage mich, ob die deutsche Außenpolitik wirklich zu jeder internationalen Frage immer so bis zum letzten durchdacht ist. Und wenn man da eine gemeinsame Politik formulieren würde, dann könnte man halt auch so ein bisschen Arbeitsteilung betreiben. Dann könnte man ja sagen, vielleicht kümmert sich EU Mitgliedsstaat X besonders um diese Weltregion und Deutschland.

Also gerade der Nahe Osten ist ja aus historischen Gründen für Deutschland extrem vermintes Terrain. Vielleicht wäre es eigentlich sogar eine große Erleichterung, wenn man, wenn das in der Europäischen Union von irgendjemandem anderes getan wird.

Philip BansePhilip Banse

Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Dann haben wir eine zweite Nachricht in dieser Woche, die aus der Perspektive der israelischen Regierung eine echte Hiobsbotschaft ist. Denn der Internationale Gerichtshof, kurz IGH, hat sich in einer wesentlichen Frage gegen Israel entschieden.

Philip BansePhilip Banse

Israel muss sich nach dieser Entscheidung bei der Offensive vor allem in Rafah mäßigen. Das hat der Internationale Gerichtshof entschieden. Das ist nicht der Internationale Strafgerichtshof, über den reden wir gleich auch noch, sondern es ist der Internationale Gerichtshof. Entschieden hat er anlässlich eines Eilantrag Südafrikas vom 10. Mai. Und dann muss man sich noch mal vor Augen führen.

Die Ziele dieser Militäroffensive oder des Kriegs Israels im Gazastreifen sind ja A) die Hamas zu zerstören und B) die ganzen israelischen Geiseln zu befreien. Und beide Ziele sind nach 250. Kriegstagen noch nicht erreicht. Mittlerweile sind aber gleichzeitig über 30 35.000 Menschen getötet worden. Größtenteils Zivilisten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das muss man sich mal überlegen. Selbstverständlich war Anlass für diese israelische Offensive der barbarische Terror der Hamas. Also das soll auf gar keinen Fall aus dem Blick geraten. Aber die israelische Reaktion führt halt aus einer menschenrechtlichen Perspektive zu einer echten Katastrophe. Das Gericht spricht nicht ausdrücklich vom Genozid in diesem Kontext, anders als zum Beispiel Südafrika als antragstellender Staat. Und der Völkerrechtler Stefan Talmon sagte auf der Plattform X:.

Philip BansePhilip Banse

"Das Gericht sagt, dass Israel all jene militärischen Offensiven und Aktionen einstellen müsse, die der Bevölkerung Lebensbedingungen auferlegen könnten, die zu ihrer vollständigen oder teilweisen physischen Vernichtung führen könnten.".

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was wiederum die Definition von Völkermord ist. Das ist, das macht das so heikel. Das Gericht sagt zwar nicht das Wort, aber die Definition, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt, ist, passt auf, dass ihr keinen Völkermord begeht.

Philip BansePhilip Banse

Mäßigt euch.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Mäßigt euch, damit das nicht, was ihr da macht, am Ende doch ein Völkermord ist. Aber Israel hat bereits angekündigt, sie wollen sich nicht daran halten. Und der Internationale Gerichtshof hat natürlich keine eigenen Truppen. Sie haben also keine Möglichkeit, diese Entscheidung auch notfalls mit Gewalt durchzusetzen.

Philip BansePhilip Banse

Obwohl sie bindend ist eigentlich.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Sie ist bindend, aber es fehlt eben letztlich quasi die Exekutive. Die Exekutive des Internationalen Gerichtshofs wären die Vereinten Nationen, das heißt der UNO Sicherheitsrat könnte und müsste tätig werden, um diese Entscheidung auch tatsächlich notfalls gewaltsam durchzusetzen. Dazu bräuchte es aber wie immer im Sicherheitsrat eine Entscheidung, bei der jedenfalls keiner der Vetostaaten sein Veto einlegt. Keines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats dürfte sein Veto einlegen.

Dass das zustande kommt, ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Insbesondere die Vereinigten Staaten können und werden ihren wichtigen Partner im Nahen Osten kaum öffentlich sanktionieren, werden kaum quasi mithelfen, dabei zum Beispiel im Wege von Sanktionen oder Embargos dafür zu sorgen, dass die israelische Militärführung ihre Policy, ihr Vorgehen im Gazastreifen ändert.

Philip BansePhilip Banse

Auch wenn jetzt Israel sagt jJa, dieses Urteil mehr oder weniger nehmen wir zur Kenntnis, aber wir werden uns da nicht dran halten, auch wenn sie gerade, würde ich mal Denken von einem Sturm auf Rafah absehen? Oder kann man das so sagen?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe zu wenig Einblick in die Geschehnisse vor Ort. Ich glaube, das wird sehr unterschiedlich gesehen.

Philip BansePhilip Banse

Was sie da jetzt genau machen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Genau. Ich glaube, da würde ich mich ungern festlegen wollen, ob die jetzt von einem Sturm absehen. Also sie haben jedenfalls noch nicht Rafah komplett eingenommen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich massive Bombenangriffe auf Rafah. Das heißt also, man könnte das auch so interpretieren, dass Rafah im Prinzip sturmreif geschossen werden soll. Also ich würde da mich glaube ich, zurückhalten wollen.

Philip BansePhilip Banse

Richtig, gleichzeitig sind aber, das ist Fakt, 1 Million Menschen aus Rafah geflohen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Man fragt sich so ein bisschen wohin eigentlich noch?

Philip BansePhilip Banse

Wohin eigentlich noch? Aber das ist so. Die sind nach der Aufforderung Israels aus Rafah geflohen und campieren, hausieren wahrscheinlich irgendwo im Nirgendwo. Also so wenig sich jetzt Israel von diesem Urteil offensichtlich erst mal beeindrucken lässt, so sehr könnte sich doch de facto tatsächlich der Handlungsspielraum speziell von Benjamin Netanjahu und seinem Verteidigungsminister demnächst empfindlich einschränken.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Denn der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag hat sowohl gegen Benjamin Netanjahu als auch gegen Verteidigungsminister Galant Haftbefehle beantragt auf der israelischen Seite und zugleich gegen drei führende Vertreter der Hamas. Wir hören den Chefankläger Karim Khan vom Internationalen Strafgerichtshof.

Karim Khan

I can also confirm today that I have reasonable grounds to believe on the basis of evidence collected and examined by my office that israeli prime minister Benjamin Netanjahu and minister of defence Yoav Galant bear criminal responsibility for the following international crimes comitted on the territory of the state of Palestine from at least the 8th of october 2023.

The crimes include starvation of civilians as a method of warfare, willfully causing great suffering, serious injury to body or health or cruel treatment, willful killing or murder and intentionally directing attacks against a civilian population.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, das sind also schon harte Vorwürfe. Er sagt, aufgrund der Ermittlungen, die seine Behörde durchgeführt hat, bestehe der dringende Verdacht, dass sowohl Benjamin Netanjahu als auch Verteidigungsminister Joaw Galant strafrechtlich verantwortlich seien für bestimmte Verbrechen, nämlich vor allem Aushungern von Zivilisten als Methode, um militärische Ziele zu erreichen. Bewusste Attacken gegen Zivilisten und das seien Verbrechen gegen die

Menschlichkeit. Das sind natürlich schon echt harte Töne, die der Chefankläger da anschlägt. Und er begründet das auch noch weiter.

Philip BansePhilip Banse

Ja, vor allen Dingen diesen Vorwurf des Aushungern.

Karim Khan

That conduct took place alongside attacks that killed civilians including people queueing for food the obstructions of aid delivery by humanitarian organizations and attacks on aid workers that forced many of those same humanitarian organizations to either seize operations or limit their life saving efforts in Gaza.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also Aushungern ist natürlich schon ein ganz besonders schwerer Vorwurf. Und dieses Aushungern der Zivilbevölkerung soll insbesondere auch dadurch von der israelischen Armee versucht worden sein, dass sie sich gezielt, so jedenfalls der Vorwurf gegen Hilfsorganisationen gerichtet haben, insbesondere auch Mitarbeitende von Hilfsorganisationen getötet haben, sodass Hilfsorganisationen einfach nicht mehr in der Lage waren, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit humanitärer Hilfe

zu unterstützen. Also wenn man sich das mal überlegt, das finde ich persönlich schon richtig krass und ich meine, das sagt er ja nicht einfach so.

Philip BansePhilip Banse

Nein, genau das ist das, deswegen habe ich mir das auch noch mal angehört. Der ermittelt seit Monaten oder seine Leute ermitteln seit Monaten, reden mit Zeugen, gucken sich Videos an, sind vor Ort, befragen alle Seiten, schauen sich Fotos an. Also das ist jetzt nicht einfach so, wir lesen ein bisschen Zeitung und haben den Eindruck, da läuft was schief. Wir beantragen mal einen Haftbefehl. Noch ist der ja nicht ausgestellt, sondern er ist beantragt.

Und er begründet speziell diesen Vorwurf des Aushungern eben auch damit, dass Israel Stromzufuhr, Wasserzufuhr in den Gazastreifen zumindest zeitweilig unterbrochen hat, abgeschnitten hat und das natürlich in erster Linie die Zivilbevölkerung betrifft. Und der Vorwurf ist eben, das ist ein Mittel der Kriegsführung. Und er wirft ihnen vor, das ist ein Kriegsverbrechen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, das muss man sich immer wieder vor Augen führen, auch zum Beispiel, wir kommen später noch zu anderen innenpolitischen Themen in Deutschland, wo aber dieser Konflikt eine große Rolle spielt. Die Vorwürfe gegen Israel, hier tatsächlich Kriegsverbrechen zu begehen, letzten Endes im Ergebnis genozidale Methoden jedenfalls einzusetzen, die sind, sagen wir mal vorsichtig, jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen.

Der Chefankläger glaubt, dafür hinreichende Beweise zu haben, um Haftbefehle gegen zwei der verantwortlichen Personen beantragen zu können. Man muss dazu sagen, natürlich sind die beiden Israelis nicht die Einzigen. Zugleich wurden Haftbefehle beantragt gegen drei Hamasführer, eben wegen der Massenmorde vom 7. Oktober und zugleich auch wegen der Verschleppung von knapp 250 Zivilistinnen und Zivilisten aus Israel in den Gazastreifen.

Philip BansePhilip Banse

Und auch da gab es Ermittlungen. Auch da sagt er. Diese drei Leute sind auch persönlich dafür verantwortlich, was dort für Verbrechen begangen wurden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was heißt das jetzt, wenn diese Haftbefehle tatsächlich ausgestellt werden sollten? Das ist noch nicht der Fall, aber das gilt jedenfalls als nicht unwahrscheinlich. Mal ganz vorsichtig formuliert. Was wäre denn die Rechtsfolge nun? Alle Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs, also alle Staaten, die das Statut unterzeichnet und ratifiziert haben, wären rechtlich verpflichtet, Benjamin Netanjahu oder Joaw Galant zu verhaften, sofern er ihr Staatsgebiet betritt.

Philip BansePhilip Banse

Und ausliefern eben.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und ausliefern nach Den Haag und dort eben quasi der Strafgewalt des Internationalen Strafgerichtshofs unterstellen. Israel und die Vereinigten Staaten sind gerade keine Unterzeichnerstaaten.

Philip BansePhilip Banse

Da fragt man sich natürlich, warum ermittelt der in Israel oder gegen Israel, wenn doch Israel diesem Statut des Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten ist?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ganz einfach, weil es ja eben auch andere Staaten auf der Welt gibt. Und das soll einfach letzten Endes Druck ausüben auf alle Menschen, die politisch Verantwortung tragen weltweit. Überlegt euch, was ihr tut, selbst wenn ihr euch in eurem eigenen Land sicher fühlt. Es gibt so was wie eine internationale Strafgerichtsbarkeit. Die ist zwar subsidiär, also wenn in deinem Heimatland eine funktionierende Gerichtsbarkeit deine Verbrechen verfolgt, dann hält sich der Internationale Strafgerichtshof

da raus. Aber wenn das eben nicht der Fall ist, wie jetzt zum Beispiel in Israel, ist ja eher unwahrscheinlich, dass Joaw Garland oder Benjamin Netanjahu in nächster Zeit sich deswegen vor Gericht verantworten müssen. Dann gibt es eben subsidiär die Jurisdiktion, die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs. Und es soll einfach dadurch sichergestellt werden, dass Kriegsverbrechen in Zukunft nicht mehr sanktionslos bleiben.

Philip BansePhilip Banse

In diesem Fall, glaube ich, ist konkret das Argument, Israel ist vielleicht nicht dem Gericht beigetreten, aber der Staat Palästina, über den wir ja auch schon gesprochen haben in Form der Palästinensischen Autonomiebehörde, ist eben diesem Gericht beigetreten. Und deswegen sagt er, das klang ja in seinen Statements auch durch, wir haben ermittelt im State of Palestine. Und dafür sind sie eben auch per Statut zuständig, dort zu

ermitteln. Und dort herrscht eben nun Krieg, an dem auch Israel beteiligt ist. Und deswegen sehen sie sich auch gerechtfertigt, gegen israelische Politiker zu ermitteln.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Natürlich gibt es jetzt massive Kritik an diesen Haftbefehlsanträgen. Wie zu erwarten ist, natürlich zuallererst mal von einem der Betroffenen, nämlich von Benjamin Netanjahu.

Philip BansePhilip Banse

Ja, der vergleicht den Chefankläger mit Nazirichtern. Er nennt ihn einen "der größten Antisemiten der Moderne." Und, das ist natürlich eine rhetorische Form, macht seine persönliche Bedrohung. Also erst mal ist das ja ein Haftbefehl gegen ihn persönlich und den Verteidigungsminister persönlich zu einem Angriff auf den gesamten Staat Israel. Ich finde, es gibt wenig Anzeichen dafür, dass der Chefankläger Khan einer der größten Antisemiten der

Moderne ist. Aber das ist das, was Bibi Netanjahu ihm vorwirft. Auch das deutsche Auswärtige Amt kritisiert die Art und Weise der Beantragung der Haftbefehle.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, also da ist der Tenor, dass es vor allem ein Problem sei, das jetzt die beiden Israelis auf der einen Seite und die drei Hamasführer auf der anderen Seite quasi gemeinsam zum Gegenstand von solchen Haftbefehlsanträgen gemacht wurden. Dadurch sei, so das Auswärtige Amt, der "der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden.".

Philip BansePhilip Banse

Das ist schon unglücklich formuliert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was sie offensichtlich meinen, ist der Eindruck einer Gleichsetzung, die sachlich nicht gerechtfertigt ist. Denn der Eindruck ist ja nicht unzutreffend. Eindruck ist Eindruck, der Eindruck ist ja da. Und das ist ja genau auch das, was sie kritisieren. Aber im Grunde ist natürlich die Kritik

klar. Sie finden es schwierig, das auf der einen Seite demokratisch legitimierte Vertreter eines demokratischen Staates zum Gegenstand eines solchen Haftbefehlsantrags gemacht werden und zum anderen die Chefs einer Terrororganisation. Da kann man natürlich auch ein Störgefühl haben.

Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, dadurch, dass diese Anträge jetzt gestellt werden, werden die ja nicht quasi in jeder Hinsicht gleichgestellt, sondern es wird ihnen nur der Vorwurf gemacht, dass sie beide, wenn auch in völlig unterschiedlicher Weise, durch andere Aktionen gegen internationales Strafrecht verstoßen

haben. Und da muss man ganz ehrlich sagen, genau das macht ja eine unabhängige Justiz aus, dass sie eben gerade nicht sagt, na, das ist ein Premierminister, den müssen wir mit Samthandschuhen anfassen und das ist der Chef einer Terrororganisation, da können wir richtig drauf kloppen. Sondern für mich ist das eigentlich ein Zeichen dafür, dass Justitia, jetzt mal bildhaft gesprochen, hier tatsächlich die Augenbinde trägt.

Dass sie ohne Ansehen der Person einfach nur darauf schaut, was haben die Personen getan?

Philip BansePhilip Banse

Was haben wir für Belege? Was haben wir da für Beweise gesammelt und trägt das für den Haftbefehl?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das ist doch eigentlich das, was wir von Justiz wollen, dass nicht eben politisch mächtige Menschen besser behandelt werden als Terrorchefs.

Philip BansePhilip Banse

Ein anderes Argument der Kritiker dieser Beantragung der Haftbefehle formuliert The Spectator aus Großbritannien. Er schreibt oder die Zeitung schreibt:.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

"Gegen den syrischen Präsidenten Baššār al-Asad, dessen Machtkampf Hunderttausende Zivilisten unter anderem durch den Einsatz chemischer Waffen das Leben kostete, wurde kein Haftbefehl erlassen, ebenso wenig gegen den obersten iranischen Führer Ayatollah Ḫāmene’ī, dessen Land Menschenrechte verletzt und den internationalen Terrorismus.

Philip BansePhilip Banse

Und das ist so ein Argument nach der Form, warum die und nicht erst die. Und das ist eine, das ist eine Figur, wo man sagt, also wenn ihr das ernst meint, dann könnt ihr dieses Strafgericht auch gleich sein lassen, weil es immer jemanden geben wird, den irgendwer gerne zuerst anklagen würde, bevor man dann den anderen anklagt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Klassischer Whataboutism.

Philip BansePhilip Banse

Was ist denn mit denen? Was ist denn mit denen? Und was man auch noch dazu sagen muss, Iran und Syrien sind halt nicht Teil des Strafgerichtshofs. Die haben das römische Statut nicht unterzeichnet, sind dem nicht beigetreten. Deswegen darf der Internationale Strafgerichtshof da nicht einfach so ermitteln.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Weitere Kritik kommt von der Neuen Zürcher Zeitung. Sie schreibt:.

Philip BansePhilip Banse

"Denn die Auslegung [also die kritisieren das] denn die Auslieferung dieser Person ist völlig unrealistisch. [Okay] Was der ICC [also der International Criminal Court, der Internationale Strafgerichtshof] erreichen wird, ist dagegen die politische Stärkung jener Kräfte in Israel, die hinter dem harten Vorgehen in Gaza stehen, so wie der antisemitischen Feinde Israels.".

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ähnlich kritisiert Stephan Cornelius von der Süddeutschen Zeitung, das Gericht müsse auch die politischen Implikationen im Blick haben. Der Haftbefehl mache alles nur kompliziert. Das ist dieses Argument. Es ist politisch unklug, diese Haftbefehle zu beantragen. Und da muss ich ganz ehrlich sagen. Das mag sein, das will ich jetzt gar nicht letztlich beurteilen. Ich glaube, das kann man in die eine oder andere Richtung drehen. Aber das ist natürlich genau nicht

Sache einer Staatsanwaltschaft. Eine Staatsanwaltschaft darf gar nicht in den Blick nehmen, ob ein bestimmter Haftbefehl politisch opportun ist oder nicht. Da muss ich ganz ehrlich sagen, da haben sowohl Stefan Cornelius als auch die kommentierende Person bei der Neuen Zürcher Zeitung glaube ich, die Funktion einer Staatsanwaltschaft so ein bisschen missverstanden. Da geht es doch nicht darum, zu entscheiden, ob das jetzt diplomatisch geschickt ist.

Und ich persönlich finde gerade eine Stärke dieser Anträge, dass sie sich auch mit Mächtigen anlegt und eben nicht nur mit irgendwelchen afrikanischen Warlords zum Beispiel.

Philip BansePhilip Banse

Was sie bisher gemacht haben in erster Linie.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was wäre denn da so die Alternative? Soll man jetzt immer erst die Abwägung anstellen, ob irgendein Mitgliedsstaat mit irgendeinem Haftbefehl möglicherweise ein Problem haben kann? Also da muss ich ganz ehrlich sagen, die besondere Stärke des internationalen Strafrechts kann doch eigentlich nur darin liegen, dass sie tatsächlich versucht, auf einer internationalen Ebene so was wie klassisch justizielle Maßstäbe anzulegen.

Also nicht die Person in den Blick nehmen, das haben wir eben schon gesagt, sondern nur auf die Vorwürfe, die Taten und natürlich die Beweislage zu schauen. Staatsräson darf eben in der Justiz keine Rolle spielen. Wenn man natürlich irgendwann mal jemanden begnadigen will oder so, d'accord. Das ist ein das ist ein außerrechtliches Institut die Begnadigung.

Aber solange wir hier von einem justiziellen Verfahren reden, darf Staatsräson, darf diplomatische Opportunität aus meiner Sicht keine Rolle spielen.

Philip BansePhilip Banse

Was ich ganz interessant fand, ist, dass diese ganze Kritik, die ich gelesen habe, immer nur auf den Modus eingeht, aber eigentlich nicht auf die Inhalte, auf den Gegenstand dieser Anklage, auf die Anschuldigung, auf die Zeugen, auf die Beweise, die da vorgelegt wurden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich meine, mal ganz ehrlich, die Vorwürfe haben es ja nun wahrlich in sich. Aushungern von Zivilisten, Attacken auf Zivilisten, Attacken auf Hilfsarbeitende. Ich meine, das ist ja richtig krass. Das ist eigentlich was, was man tatsächlich nur von einer Terrororganisation erwarten würde. Das sollen jetzt führende Repräsentanten eines demokratischen Staates begangen haben und dagegen wendet sich niemand, also in der Sache niemand.

Philip BansePhilip Banse

Ich habe es nicht gelesen. Ich habe nicht, ich habe nirgendwo gesehen, dass jemand behauptet, es ist falsch.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Abwegige Vorwürfe, keine Beweise.

Philip BansePhilip Banse

Alles dünn, habe ich nirgendwo gelesen. Na klar, politisch sicherlich ist das jetzt kompliziert. Also in Israel schließen sich sicherlich eher die Reihen um Bibi Netanjahu, weil Israel sich natürlich oder viele in Israel sich ungerecht behandelt fühlen. Da gab es schon so erste Absatzbewegungen in diesem Kriegskabinett. Das ist jetzt glaube ich eher wieder geschlossen, die Reihen da national. Die Frage ist jetzt noch ein bisschen, was macht Deutschland?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Tja, und da muss man sehen, Kaum ein Land hat die internationale Gerichtsbarkeit so gefördert wie Deutschland. Deutschland finanziert diesen Internationalen Strafgerichtshof maßgeblich mit. Und als dort ein Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen wurde wegen seines Vorgehens in der Ukraine, da hat das der Bundeskanzler gefeiert. O-Ton, keiner steht über dem Recht. Tja.

Philip BansePhilip Banse

Denn man muss sich ja vor Augen halten, wenn dieser Haftbefehl genehmigt und ausgestellt wird, dann müssten Benjamin Netanjahu und der Verteidigungsminister verhaftet werden in Deutschland auf deutschem Boden, wenn er denn ein Fuß auf deutschen Boden setzt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das ist nämlich genau die Frage. Im Falle Putins hat Olaf Scholz diesen Haftbefehl gefeiert. Wenn ein Haftbefehl ergehen sollte und Netanjahu sich nach Deutschland begäbe, dann würde sich natürlich diplomatisch eine überaus heikle Frage stellen. Rechtlich ist die Frage aber ganz einfach zu beantworten. Selbstverständlich müssten die Handschellen klicken. Und so hat es dann auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch formuliert.

Philip BansePhilip Banse

Er hat gesagt, wir halten uns an Recht und Gesetz. Wenn Netanjahu einen Fuß auf deutschen Boden setzen würde, dann muss man davon ausgehen, dass er verhaftet werden würde. Ich glaube nur, das ist eine theoretische Überlegung, weil Netanjahu, sollte dieser Haftbefehl ausgestellt werden, keinen Fuß nach Deutschland setzen wird. Das wird man immer andeuten. Das weiß er natürlich auch. So wie Putin nicht nach Südafrika gefahren ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Zu diesem Gipfel.

Philip BansePhilip Banse

Zu diesem Gipfel, wird auch Bibi Netanjahu nicht nach Deutschland kommen. Kann sich irgendwie, glaube ich, keiner vorstellen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Jedenfalls nicht freiwillig. Aber auf der anderen Seite muss man sehen, was ist, wenn er mal notlanden muss? Also ja, ich meine, es gibt ja immer wieder. Also ich finde, das kann durchaus mal passieren, und außerdem muss man sehen, Deutschland ist ja auch nicht das einzige Land. Du hast es gesagt, 124 Staaten über den Daumen. Kann sein, dass nur irgendwer jetzt gerade kurz ratifiziert, aber jedenfalls über

den Daumen. So knapp 2/3 der UN Mitgliedsstaaten sind eben auch Signatarstaaten des ICC Statuts, also dieses Römischen Statuts. Und tja, also da wird die Welt für Netanjahu ganz schön klein.

Philip BansePhilip Banse

Diese Ereignisse, die wir jetzt geschildert haben. Also Staaten erkennen Staat Palästina an, Gerichte machen Druck, beantragen Haftbefehle, legen doch den Verdacht sehr nahe, dass Israel sehr nah dran ist, Kriegsverbrechen zu begehen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Begangen zu haben.

Philip BansePhilip Banse

Begangen zu haben. Die befeuern Proteste in der ganzen Welt und auch an deutschen Universitäten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und zugleich hatte am Donnerstag dieser Woche unser Grundgesetz Geburtstag, also die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, mit ihm auch die Grundrechte. Überall in Deutschland wurde gefeiert. Aber Philip, ich glaube, an der Humboldt Uni in Berlin war der 23. Mai kein besonders guter Tag für die Grundrechte.

Jedenfalls man einigen Professorinnen und Professoren glauben darf, wenn man der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger:innen glauben darf und nicht zuletzt auch der Präsidentin der Uni, Professor Julia von Blumenthal. Philip, was war denn da los?

Philip BansePhilip Banse

Also derzeit, ich habe es ja gesagt, kommt es weltweit und eben auch in Deutschland immer wieder zu Besetzungen von Unis. Studierende protestieren auf der ganzen Welt, in Deutschland, in Berlin, gegen den Krieg Israels im Gazastreifen, sagt auch der Internationale Gerichtshof, fordert Israel zur Mäßigung auf. Einige Studierende sprechen von Völkermord und Genozid. Das scheint so in der Entscheidung des IGH auch durch, haben wir oben geschildert.

Und wie gesagt, auch der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshof argumentiert in diese Richtung und man würde denken, na ja, wenn doch diese international anerkannten Organisationen das schon so deutlich machen, dann darf man das doch auch in Deutschland sagen, dagegen protestieren, zumal im Rahmen einer Demo.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber so einfach ist das natürlich alles nicht, gerade in Deutschland. Angesichts der besonderen historischen Verantwortung für jüdisches Leben und auch für das Existenzrecht des Staates Israel. Aber schauen wir mal so ein bisschen auf die Details, was da am Beispiel Berlin in den letzten Wochen los war. Auch in Berlin hatten Studierende einzelne Gebäude oder Teile des Campus, also des Universitätsgeländes, besetzt.

Historisch quasi das erste Ereignis in Berlin war die Freie Universität Berlin, also die ehemals Westberliner Universität im Südwesten der Stadt. Dort hatten Anfang Mai Protestierende einen Teil des Campus besetzt und hatten ein sogenanntes Camp aufgebaut im Theaterhof der Universität. Hielten dort Transparente hoch, skandierten Parolen, unter anderem "From the river to the sky, Palestine will be free."

Die Bild behauptete daraufhin, es sei Israel auch als Zitat "Terrorstaat" bezeichnet worden und der israelischen Armee sei, Zitat "Massenmord" vorgeworfen worden.

Philip BansePhilip Banse

So, das kann man natürlich alles falsch finden, aber immerhin argumentiert ja auch der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshof in diese Richtung. Und so sagte Professor Clemens Arzt, der an der Hochschule Wirtschaft und Recht in Berlin unter anderem Polizistinnen und Polizisten in Versammlungsrecht ausbildet, folgendes:

Clemens Arzt

Es wurden also Sprechchöre skandiert, Palästinatücher getragen und Transparente hochgehalten. Das ist das Wesen einer Versammlung im Schutzbereich des Artikel acht Grundgesetz der Versammlungsfreiheit. Von Straftaten ist zu diesem Zeitpunkt zumindest in der Presseerklärung nicht die Rede.

Philip BansePhilip Banse

Aber wieso sagt er, es ist von Straftaten nicht die Rede, wenn doch skandiert wurde "From the river to the sea Palestine will be free"? Ist das nicht strafbar?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, das ist eine sehr spannende Frage.

Philip BansePhilip Banse

Also vielleicht muss man ganz kurz erklären. Also ich meine die Idee dahinter ist, "from the river to the sea Palestine free" insinuiert, da gibt es ein Land vom Jordan bis ans Mittelmeer, und das gehört den Palästinensern. Und zwar ziemlich exklusiv. Aktuell befindet sich auf diesem Gebiet aber auch der Staat Israel. Und dieser Slogan wird oft so verstanden, dass eben für Israel dann dort kein Platz mehr sein soll.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ich würde sagen, man macht es sich zu einfach, wenn man die Parole so deutet, dass damit automatisch Israel von der Landkarte getilgt werden soll. Das ist, finde ich in der Wikipedia wunderbar aufgearbeitet. Die Parole ist sehr alt. Sie wurde ganz ursprünglich sogar von zionistischen Kreisen verwendet, nach dem Motto, wir wollen jetzt das Land eben quasi für Israel oder für die zionistische Besiedlung in Beschlag nehmen.

Seit den 60er Jahren war es die Parole der PLO, die aber zum Beispiel auch nicht eben jüdische Staatlichkeit oder israelische Staatlichkeit komplett aufheben wollte, sondern die PLO hatte mal die Idee, wir schaffen da einen einheitlichen Staat so ein bisschen nach dem belgischen Modell mit eine israelischen Bevölkerungsgruppe und einer palästinensischen und mit jeweils garantierten Minderheitenrechten und so natürlich mit deutlich mehr Rechten für die palästinensische

Seite, als es heute der Fall ist. Also diese Parole ist ausgesprochen komplex. Sie ist in den letzten Monaten besonders deswegen in die Kritik geraten, weil sie eben 2017 auch von der Hamas quasi okkupiert wurde. Also in einer Charta der Hamas taucht diese Parole auch auf. Und deswegen hat das Bundesinnenministerium sie in einer Verbotsverfügung gegen die Hamas als eines von vielen Kennzeichen der Hamas aufgeführt.

Das Problem ist bloß, so ein Kennzeichen muss natürlich auch tatsächlich eindeutig zu charakterisieren sein als Kennzeichen, als Markenzeichen von gerade der Hamas. Das heißt also, nur dann, wenn diese Parole tatsächlich nur für die Hamas steht und sonst nichts anderes bedeutet, nur dann kann sie als Kennzeichen tatsächlich rechtlich eingeordnet werden.

Philip BansePhilip Banse

Weil sie nur dann eindeutig ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Weil sie nur dann hinreichend eindeutig ist. Das hat das Innenministerium wie gesagt so gesehen. Der Witz ist nur, dass sich das Bundesinnenministerium quasi am selben Tag selbst widersprochen hat, weil es nämlich da diese Parole auch als Kennzeichen der ebenfalls verbotenen Samidoun Bewegung einsortiert hat. Das heißt also, das macht überhaupt keinen Sinn, denn es kann entweder charakteristisch sein für die Hamas oder für Samidoun, aber jedenfalls nicht für

beide. Und was das Innenministerium völlig aus dem Blick verloren hat, ist, dass diese Parole eben auch noch für ganz viele andere Dinge steht, mindestens auch für die PLO. Und insofern ist diese These, dass das quasi, dass dieser Spruch schon verboten sei, als Kennzeichen von verbotenen Organisationen wie Hamas oder Samidoun, ist rechtlich schlicht nicht haltbar, ist inzwischen auch von einer ganzen Reihe von Verwaltungsgerichten genauso einsortiert worden.

Thomas Fischer, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, hat allerdings darauf hingewiesen, dass sie ausnahmsweise doch strafbar sein kann in bestimmten Kontexten nämlich, wenn sie zum Beispiel unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem 7. Oktober, mit dem Massenmord der Hamas an israelischen Menschen oder in anderen Kontexten unmittelbar so verwendet wird, als wollte man durch diese Parole Straftaten billigen. Also wenn man zum Beispiel

den 7. Oktober feiert und in dem Kontext das sagt, dann könnte sie strafbar sein. Oder wenn man im selben Kontext zum Beispiel zum Hass gegen jüdische Menschen aufruft, das wäre ein Problem. Vielleicht auch noch, da wird es dann schon grau, wenn man das verbindet mit quasi unmittelbar gegen den Bestand des Staates Israel gerichteten Parolen.

Philip BansePhilip Banse

Okay, aber per se als Slogan ist das nicht strafbar?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Nein, als Person ist es nicht strafbar. Deswegen ist zum Beispiel auch die Haltung der Generalstaatsanwaltschaft München extrem problematisch. Die haben ja schon verkündet, dass in ihrem Sprengel quasi sie diese Verwendung, egal in welchem Kontext, als strafbar ansehen. Das ist schlicht rechtswidrig. Und ich bin mir sehr sicher, das wird auch spätestens vom Bundesverfassungsgericht gekippt

werden. Denn, und das ist der verfassungsrechtliche Hintergrund, im Lichte der Meinungsfreiheit sind alle Äußerungen so auszulegen, quasi, dass die Meinungsfreiheit möglichst großen Raum bekommt. Das heißt nur dann, wenn man eine Parole nur so auslegen kann, dass jede Auslegungsmöglichkeit strafbar ist, nur dann darf man auch tatsächlich die Strafbarkeit

annehmen. Solange es aber legitime Parolen gibt, wie zum Beispiel einfach die als solches ja völlig legitime Forderung nach einem palästinensischen Staat, meinetwegen auch nach so einem belgischen Modell auf dem Gebiet, wo heute teilweise Israel ist, dann wäre das als solches sicherlich nicht strafbar. Und dann könnte man das auch nicht zum Anlass nehmen, zum Beispiel für Festnahmen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, ähnlich ist das ja mit der Kritik, Israel sei ein Terrorstaat, hat sich die Bildzeitung sehr drüber aufgeregt. Das kann man natürlich falsch finden, da kann man natürlich drüber streiten. Ist Israel nun ein Terrorstaat? Ja oder nein? Würde ich jetzt auch nicht sagen, aber es bleibt einfach eine zulässige Meinungsäußerung. Ich glaube, darüber kann wenig Streit bestehen. Und dennoch muss man sagen.

Dennoch stellte, obwohl es nun also wirklich keine offensichtlichen Straftaten gab, stellte die Leitung der Freien Universität einen Strafantrag, wohl wegen Hausfriedensbruch.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das ist natürlich ein gutes Recht. Also die Unileitung übt natürlich das Hausrecht auch über den Campus aus. Das heißt, sie hat die Möglichkeit, grundsätzlich dort ihr Hausrecht wahrzunehmen.

Aber das wiederum ist auch nicht so ganz einfach, denn das Bundesverfassungsgericht hat wiederum vor einigen Jahren schon entschieden, sogenannte Fraport Entscheidung, dass auch in privatrechtlich organisierten Gebäuden grundsätzlich öffentlichrechtliche Bindungen zum Beispiel an die Versammlungsfreiheit gelten können, wie das zum Beispiel eben im Frankfurter Flughafen der

Fall ist. Das ist zwar formal, glaube ich, eine AG, die Fraport AG aber trotzdem, weil diese AG dem Staat gehört mittelbar, kann man da eben nicht so ohne Weiteres sagen, Grundrechte interessiert hier nicht. Also nicht so einfach.

Philip BansePhilip Banse

Richtig, nicht so einfach. Also sie haben halt Strafantrag offenbar wegen Hausfriedensbruch gestellt. Obwohl, sagt Professor Arzt, die Demo niemanden wirklich behinderte. Die Folge war, die Polizei hat die Demo also geräumt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Auch unter Einsatz von Gewalt.

Philip BansePhilip Banse

Und in der Folge solidarisierten sich unter anderem auch deshalb eben 200 Professoren und Professorinnen mit den Protestierenden und wurden darauf von der Bildzeitung ziemlich übel beschimpft.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, "die Universitäter" schrieb die Bildzeitung. Klassisches Hitpiece gegen die Menschen, die sich da, sagen wir mal, kritisch zu dieser Räumung geäußert haben und für die Versammlungsfreiheit ausgesprochen haben.

Philip BansePhilip Banse

Das, was FU.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das war die Freie Universität Berlin. Die TU, die Technische Universität Berlin zeigte kurz darauf, dass es auch völlig anders geht. Auch da gab es eine Besetzung. Da hat sich dann aber die Universitätsleitung, wie ich fand, sehr couragiert verhalten. Sie haben eine Diskussion durchgeführt mit den besetzenden Studierenden, und die wiederum haben dann ihre Besetzung nach einer Weile friedlich aufgelöst.

Mit anderen Worten, man kann sich natürlich die Frage stellen, ob man so eine Besetzung oder so ein Camp für ein sinnvolles Mittel des Protests hält. Das will ich in diesem Kontext gar nicht, gar nicht entscheiden, ob das sinnvoll ist, ob das klug ist, ob man das machen sollte. Aber ich finde, jedenfalls hat die TU Berlin oder die Leitung der TU Berlin gezeigt, wie man mit einer solchen studentischen Aktion souverän umgehen kann.

Philip BansePhilip Banse

Ausgerechnet, das ist dann der nächste Fall, der aktuellste Fall Ausgerechnet jetzt, am Tag des Grundgesetzes, wurde dann an der dritten Berliner Universität, der Humboldt Universität in Berlin Mitte, so eine Demo von der Polizei eingekesselt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ein ganzes Gebäude.

Philip BansePhilip Banse

Ein ganzes Gebäude genau genommen und zwar genau das, in dem wir neulich waren, um mit eben Steffen Mau unser Interview zu führen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Natürlich gab es da auch Vorwürfe gegen die Protestierenden. Also von einigen der Besetzenden soll zum Beispiel das Existenzrecht Israels in Frage gestellt worden sein. Es sollen auch rote Dreiecke an Wände gemalt worden sein. Also Dreiecke in einer Weise, wie angeblich die Hamas ihre Ziele markiere. Aber trotzdem verlief die Besetzung im Großen und Ganzen friedlich, bestätigte uns auch die Journalistin Pauline Jäckels von ND Aktuell, die am Donnerstag mit im Gebäude war.

Pauline Jäckels

Ich bin reingegangen und dann gab es auf der einen Seite Protestierende, die drinnen zur Straße hin Parolen riefen, zum Beispiel "Free Gaza" und "stoppt den Genozid". Später gab es auch Parolen wie die von der Innenministerin verbotene Parole "From the river to the sea Palestine will be free."

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also mit anderen Worten friedliche Debatte, umstrittene Parolen. Aber wir haben es eben schon rechtlich analysiert, als solche ganz sicher nicht strafbar. Die Uni Präsidentin der HU, Professor Dr. Julia von Blumenthal, reagierte auch entspannt, stellte sich quasi nach dem Vorbild der TU hier der Debatte mit den besetzenden

Studierenden. Und sie sagte auch ausdrücklich im Nachhinein, sie habe keine Räumung des Gebäudes gewollt, im Gegenteil gesagt, sie diskutierte mit den Besetzenden und dabei, so die Präsidentin hinterher in einer Pressekonferenz, sei es möglich gewesen, in gegenseitigem Respekt miteinander zu reden. Auch das bestätigte uns die Kollegin Jäckels von ND aktuell in einem Gespräch.

Philip BansePhilip Banse

Die Polizei darf natürlich nicht einfach so ein Gebäude räumen, sondern nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Das kann zum Beispiel die Begehung von Straftaten sein, aber die waren nach allem, was wir jetzt wissen, nicht in Sicht. Und trotzdem rückte die Berliner Polizei im Vollschutz an, kesselte das Gebäude ein und drohte allen Protestierenden im Gebäude Strafverfahren an.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Tja, fragt man sich, warum eigentlich?

Philip BansePhilip Banse

Ja, was genau war eigentlich oder soll da strafbar gewesen sein? Die Uni hat anders als die FU, also die HU hat anders als die FU ausdrücklich keinen Strafantrag gestellt. Daher war das auch keine Besetzung, kein Hausfriedensbruch. Dann ist die Frage ja, es gab halt diese offensichtlichen Äußerungen. Gibt es ein Existenzrecht Israels? Wurde das in Frage gestellt? Und da muss man ehrlich sagen, das mag vielleicht dumm sein, das Existenzrecht Israels in Frage zu

stellen. Das mag auch unverantwortlich, geschichtsvergessen, meinetwegen auch antisemitisch sein, aber es ist halt nicht strafbar.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Nur weil wir etwas für politisch ungeschickt halten oder meinetwegen falsch, für unfassbar dumm, ist es eben nicht als solches verboten in Deutschland. Das ist gerade der Witz der Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist nicht Grundrecht der höheren Intelligenz. Ja, Meinungsfreiheit ist das Grundrecht, am Diskurs teilzunehmen in den Grenzen des Strafrechts.

Und, das muss man auch wieder deutlich sagen, nicht alles, was dumm ist, was israelkritisch ist oder meinetwegen auch antisemitisch ist, ist als solches strafbar, sondern ganz im Gegenteil, da gibt es ganz bestimmte rechtliche Grenzen. Das gilt eben auch für dieses sogenannte Hamas Dreieck. Wir haben eben schon gesagt Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht, meinungsfreundliche Auslegung.

Mag sein, dass das die Hamas verwendet, aber die Protestierenden sagen, das ist ein Zitat aus der Palästinaflagge. Das ist, weil da ja auch ein rotes Dreieck drin ist. Und natürlich darf man die palästinensische Flagge zeigen. Natürlich darf man ein Zitat aus der Flagge zeigen. Mit anderen Worten, als solches völlig in Ordnung.

Philip BansePhilip Banse

Dann sollen sich angeblich Leute vermummt haben, sollen sich also Palästinensertücher um das Gesicht geschlungen geschlungen haben. Das kann gegen das Vermummungsverbot verstoßen und strafbar sein. Aber selbst wenn das so sein sollte und die Polizei in einzelnen Aktionen solche Straftaten wie Verstoß gegen das Vermummungsverbot gesehen haben sollte, dann kann sie eben auch nur gegen einzelne Leute vorgehen und nicht gleich die ganze Demo auflösen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Zumal es hier noch um eine Demo in einem Gebäude ging und da gelten noch mal viel engere Grenzen rechtlich, wollen wir jetzt nicht tief einsteigen für die Auflösung. Ja, da kann man sich natürlich die Frage stellen, warum denn jetzt der Polizeieinsatz, wenn doch diese ganzen Vorwürfe letzten Endes ganz sicher keine hinreichende rechtliche Grundlage waren für die Räumung des Gebäudes.

Und wenn jedenfalls die Präsidentin der Uni eigentlich auch gar keine Räumung wollte, denn die Unileitung hat sich, wie gesagt, mit den Protestierenden getroffen und es gab da ein Gespräch, schilderte uns gegenüber auch die Kollegin Pauline Jäckels von ND aktuell.

Pauline Jäckels

Und bei diesem Treffen wurde vereinbart, dass die Studierenden in dem besetzten Gebäude bleiben dürfen bis Donnerstagabend um 18:00, ohne dass die Polizei gerufen wird, um das Gebäude zu räumen.

Philip BansePhilip Banse

Und das war offensichtlich der Deal. Und trotzdem dann eben doch vor 18:00 dieser Polizeieinsatz.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, schon nachmittags.

Philip BansePhilip Banse

Schon nachmittags und am Donnerstagabend sagte die Unipräsidentin, es habe einen Befehl von ganz oben gegeben.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sagte unmittelbar nach der Aktion dazu:.

Philip BansePhilip Banse

"Unsere Universitäten sind Orte des Wissens und des kritischen Diskurses und keine rechtsfreien Räume für Antisemiten und Terrorsympathisanten.".

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das klingt wie eine Bestätigung.

Philip BansePhilip Banse

Nach dem Motto, dass Kai Wegner Druck gemacht hat. Auf wen? Auf die Unipräsidentin oder auf die Polizei?

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Auf die Polizei wohl eher.

Philip BansePhilip Banse

Auf die Polizei, vorzurücken.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Klingt so, als wenn das nach Kai Wegners Perspektive vom Donnerstagabend oder Freitagmorgen, weiß ich nicht ganz genau, alles nach Plan verlaufen sei. Doch dann gab es an diesem Polizeieinsatz immer mehr Kritik. Und am Folgetag, am Freitag, ruderte dann Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra von der SPD

zurück. Sie behauptete, die Entscheidung zur Räumung sei gemeinsam mit der Universität getroffen worden und die Beendigung der Aktion sei Thema gewesen in einem Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister, der Innensenatorin und der Unipräsidentin von Blumenthal, die das, wie gesagt, dementiert.

Philip BansePhilip Banse

Und die Präsidentin der Technischen Universität, wo eine vergleichbare Aktion ohne Polizei geendet hatte, die nannte das Vorgehen Wegners und Czyborras äußerst befremdlich.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wegner wiederum, der Berliner Regierende Bürgermeister von der CDU, erklärte dazu am Freitag, wenn die TU Präsidentin meint, es sei ein neuer Stil, dann hat sie völlig recht. Ich lege sehr viel Wert auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit, aber antisemitische Straftaten sind keine Meinung. Ich werde das nicht durchgehen lassen. Wir dulden keinen Antisemitismus, Hass und Hetze an unseren Universitäten.

Philip BansePhilip Banse

Antisemitismus an den Unis, das sehen die Leute auf den Demos oder sehen viele einige Leute auf den Demos anders. Es gab an der Uni auch das Graffiti kein Platz für Antisemitismus. Außerdem muss man sagen, Wegner redet hier von antisemitischen Straftaten. Die gibt es schlicht und ergreifend nicht. Du kannst irgendwie Volksverhetzung begehen und Volksverhetzung kann auch antisemitisch motiviert sein. Aber diesen Vorwurf, den erhebt ja gerade niemand, dass es da Volksverhetzung gegeben hätte.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also da gibt es so quasi so diesen gedanklichen Kurzschluss, irgendwas sei antisemitisch, wo man da auch schon streiten kann und das sei dann automatisch eine Straftat. So einfach ist das nicht. Ich denke, wenn man sich das im Detail anschaut, dann geht dieses Vorgehen der Berliner Polizei in der HU rund um das HU Gebäude wirklich gar nicht. Das dürfte ziemlich eindeutig rechtswidrig gewesen sein, die Leute da einzukesseln, deren Identität festzustellen.

Antidemokratisch war es auf jeden Fall und ich finde, das sind einfach wahnsinnig hässliche Bilder entstanden. Das sieht einfach nach Polizeistaat aus, wenn da Polizistinnen Polizisten in Vollschutz gegen friedliche Studierende vorgehen. Das will man nicht sehen. Und mir persönlich tun in solchen Situationen auch immer die Polizistinnen und Polizisten leid.

Also zum einen müssen die da natürlich sich da irgendwie die Stunden um die Ohren schlagen in so einer Polizeikette und vor allem denen dürfte doch auch schwanen dass das, im wahrsten Sinne des Wort , nicht koscher war, was Kai Wegner da von ihnen verlangte, da so friedliche Studierende einzukesseln wegen wackeligster strafrechtlicher Vorwürfe.

Philip BansePhilip Banse

Also die strafrechtlichen Vorwürfe, haben wir gesagt, die, die, die gibt es eigentlich gar nicht. Aber was ja immer das ist, ist der Vorwurf des Antisemitismus. Da gäb's, hätt's antisemitische Äußerungen gegeben, da sei der Antisemitismus zu Hause an den Unis. Und das scheint halt hier auch in diesen Aussagen von Kai Wegner immer

durch. Als Rechtfertigung für massive Einschränkung von Grundrechten wird und wurde in der letzten Zeit immer öfter vor allem ein Begriff angeführt, nämlich Antisemitismus. Und rechtlich muss man mal das so sehen. Selbst wenn es antisemitische Äußerungen gegeben haben sollte, ist das als solches eben noch keine Straftat und rechtfertigt eben auch nicht das Eingreifen der Polizei.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Was ganz wichtig ist an dieser Stelle, ist, dass man die Ebenen so ein bisschen auseinanderhält. Zu sagen, Antisemitismus ist als solches keine Straftat, das ist keine Aussage dazu, dass man das billige oder Gut findet. Damit das jetzt niemand in den falschen Hals kriegt. Wir wollen in gar keinem Fall natürlich antisemitische Äußerungen irgendwie billigen oder auch nur relativieren.

Philip BansePhilip Banse

Man muss es halt trennen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, es sind einfach zwei Ebenen. Antisemitismus kann man auf gut Deutsch scheiße finden und ist natürlich auch eine furchtbare Geisteshaltung. Und natürlich hat sich der deutsche Staat, hat sich die deutsche Regierung dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben, besonders auch mit Blick auf die deutsche Geschichte und die Verantwortung Deutschlands gegenüber

Israel. Das ist völlig und richtig und klar, und das nennt ja aus gutem Grunde auch der Bundeskanzler einen Teil der deutschen Staatsräson. Aber der Punkt ist, Staatsräson reicht eben nicht, um Grundrechte wie Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit einzuschränken. Dazu braucht es mehr als einen luftigen Verdacht des Antisemitismus. Hören wir dazu noch mal Professor Clemens Arzt, der eben an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin unter anderem Versammlungsrecht lehrt.

Clemens Arzt

Versammlungsfreiheit ist das Recht auf Dissens, auf abweichende Meinung. Grenzen setzt das Strafrecht und nicht die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland oder eine Beeinträchtigung der außenpolitischen Belange Deutschlands.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also das finde ich noch mal ein ganz wichtiger Punkt, den Clemens Arzt hier macht. Staatsräson ist das eine und über Antisemitismus kann man streiten. Antisemitismus muss man natürlich bekämpfen, aber die Einschränkung von Grundrechten funktioniert eben nur, wenn es dafür eine juristisch plausible, eine juristisch valide Grundlage gibt. Zum Beispiel ein Straftatbestand. Also Antisemitismus kann natürlich strafbar sein, wenn er zum Beispiel den Tatbestand der Volksverhetzung

erfüllt. Aber beileibe nicht jeder Antisemitismus ist zugleich eine Straftat.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und weil Antisemitismus in der deutschen Debatte, vor allen Dingen aber natürlich auch weltweit so eine große Rolle spielt, ist es, glaube ich, ganz zentral, die Frage zu beantworten, was verstehen wir oder die deutschen Behörden oder die Regierung eigentlich unter Antisemitismus? Und was sagt eigentlich der wissenschaftliche Diskurs zu diesem Begriff? Und das ist ein extrem weites Feld. Da gibt es viele Definitionen. Wir arbeiten seit einigen Wochen

daran. Wir brauchen noch einen Moment, weil wir das natürlich gut machen wollen. Aber so viel können wir schon mal ankündigen. Dieses Thema werden wir hier demnächst in der Lage mal sezieren.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Wir blicken nach Österreich. Das tun wir der Lage der Nation nicht ganz so oft.

Philip BansePhilip Banse

Viel zu selten.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Viel zu selten, wenn man ehrlich ist. Wir haben nämlich immer wieder gehört, dass wir auch viele Menschen haben, die uns aus Österreich zuhören. Also Servus! Und wir möchten in dieser Folge mal ein, wie wir finden, sehr interessantes Modell vorstellen, wo wir in Deutschland vielleicht eine Menge lernen können von politischen Ideen aus der Alpenrepublik.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Und zwar geht es um das interessante Thema Klimageld. Also dieses große Thema, ja, alles wird teurer, weil CO2 einen Preis hat, einen Preis bekommen muss und dieser Preis auch steigt. Also werden viele Produkte, Heizungen, Mobilität etc. teurer.

Aber das kann man halt sozial dadurch abfedern, dass man sagt, na diese Einnahmen, die wir da durch diesen CO2 Preis erzielen, die müssen ja nicht in den Haushalt fließen und für sonst was ausgegeben werden, sondern diese Einnahmen können wir ja an die Leute zurückzahlen, auszahlen, damit dann im Idealfall diese höheren Preise aufgrund des CO2 Preises bei manchen Leuten sogar mehr als ausgeglichen werden.

Also wer relativ wenig CO2 emittiert, der kriegt durch so ein Klimageld idealerweise sogar noch ein Plus in der Haushaltskasse.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und um das ein bisschen besser zu verstehen, schauen wir uns jetzt mal an, wie ein solches Modell in Österreich funktioniert. Dort heißt es Klimabonus. Und was das genau bedeutet, erklärt uns jetzt Sigrid Svehla-Stix. Sie ist Senior Economist im Team Umweltökonomie beim Umweltbundesamt der Republik Österreich. Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation. Frau Svehla-Stix.

Sigrid Svehla-Stix

Ja, hallo, herzlich willkommen! Danke für die Einladung.

Philip BansePhilip Banse

Vielleicht erklären Sie mal ganz kurz und knackig, was ist der Klimabonus in Österreich? Einmal so einen Überblick.

Sigrid Svehla-Stix

Ja, also der Klimabonus, wie Sie schon richtig gesagt haben, stand da die soziale Abfederung auf jeden Fall im Vordergrund. Man wollte auf jeden Fall sicherstellen, dass mit dem Klimabonus eine sozial gerechte Rückvergütung der Einnahmen aus der CO2 Bepreisung umgesetzt wird. Der Klimabonus ist eigentlich eine Einmalzahlung, das heißt man bekommt einmalig pro Jahr ein gewisses Geld ausgezahlt.

Philip BansePhilip Banse

Wie viel?

Sigrid Svehla-Stix

Genau, wie viel ist immer gleich die spannende Frage. Das kommt eben darauf an, in welchem Jahr man jetzt mal gestartet hat. Wir haben gestartet im Jahr 2022. In diesem Jahr wurde auch eine umfassende ökologische Steuerreform in Österreich eingeführt. Und da hat gleich mal jeder Erwachsene 250 € pro Jahr bekommen, die Kinder eben 50 % des Erwachsenenbetrags. Das waren 125 €.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also mit anderen Worten, eine vierköpfige Familie kommt dann...

Sigrid Svehla-Stix

Auf 750 € österreichweit. Unabhängig vom Wohnort war das im Jahr 2022.

Philip BansePhilip Banse

Und zwar alle.

Sigrid Svehla-Stix

Alle.

Philip BansePhilip Banse

Braucht man einen österreichischen Pass oder reicht es, wenn ich eine gewisse Zeit auch als Deutscher Deutsche in Österreich gewohnt habe?

Sigrid Svehla-Stix

Genau. Wenn sie eben zum Beispiel ein halbes Jahr schon sechs Monate in Österreich den Hauptwohnsitz gemeldet gehabt hätten in dem Anspruchsjahr, dann wären sie auch berechtigt und hätten das Geld auch bekommen. Also sind auch nicht österreichische Staatsbürger:innen berechtigt. Man benötigt einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Okay, also das ist ja schon mal ein sehr substantieller Betrag. 750 €. Ich denke, das merkt jede Familie auf dem Kontoauszug. Aber auch eine alleinstehende Person, denke ich, merkt schon, wenn da 250 € ausgezahlt werden. Apropos Kontoauszug, was steht denn dann da eigentlich, wenn die Leute, die diesen Klimabonus bekommen?

Sigrid Svehla-Stix

Genau. Also ich habe extra noch mal nachgeschaut, es steht drauf BMK für eben Ministerium von Klimaschutz und Klimabonus und bei mir waren es vier Buchungszeilen. Einmal für mich und zwei für meine Kinder sozusagen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und jetzt haben Sie gesagt, das hängt so ein bisschen vom Jahr ab, wie viel Geld tatsächlich ausgezahlt wird. Aber es hängt ja auch, jedenfalls in späteren Jahren, so ein bisschen davon ab, wo man wohnt in Österreich, oder?

Sigrid Svehla-Stix

Also man kann sagen, dass der Klimabonus immer treffsicherer wird. Je höher die CO2 Preise sich entwickeln, desto treffsicherer wird auch der Klimabonus. Und im Jahr 2023 wurde eben eine regionale Staffelung eingeführt, mit Unterscheidung nach dem Wohnort um eben auch die öffentliche Infrastruktur vor Ort wie Schulen, Krankenhäuser, aber natürlich auch die öffentliche Anbindung mit zu berücksichtigen.

Philip BansePhilip Banse

Was ist die Logik dahinter? Also warum kriegen Leute auf dem Land in der Tendenz ein bisschen mehr Klimabonus als Leute in der Stadt?

Sigrid Svehla-Stix

Also die Idee ist einfach, dass wer weniger CO2 ausstößt, weil er eben zu Fuß geht oder mit dem Rad fährt oder mit der Nachbarin eine Mitfahrgelegenheit nützt oder eben mit den Öffis, wenn sie vorhanden sind, dem bleibt am Schluss mehr Geld im Portemonnaie für andere Dinge übrig. Und das wird hier berücksichtigt.

Philip BansePhilip Banse

Das ist aber ja eine Logik, die es beim Klimabonus generell gibt. Klar, wer wenig CO2 Emissionen produziert, wird relativ weniger belastet, bekommt aber, weil eben die Auszahlung grundsätzlich mal für alle gleich ist, natürlich unterm Strich netto quasi was raus. Aber es gibt ja in Österreich auch noch mal eine Staffelung nach Regionen. Warum bekommen denn Menschen zum Beispiel auf dem Lande in Österreich einen höheren Klimabonus ab 2023 als Menschen, die zum Beispiel in Wien leben?

Sigrid Svehla-Stix

Genau. Weil wir einfach davon ausgehen, das ist nach den ÖV-Güteklassen sozusagen zugeordnet worden und die sagen aus, wie die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist. Also in einer ländlichen Region geht man eben davon aus, dass es eben in manchen Gebieten nur eine geringere Verfügbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln gibt. Und diese Leute sollen auf keinen Fall einen Nachteil dadurch haben. Deswegen bekommen die mehr

Geld ausbezahlt. Die haben weniger Möglichkeiten sofort umzusteigen, einfach weil das Angebot noch nicht so da vorliegend ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Sie sagten ÖV, da gibt es so einen ÖV Index. Ich vermute mal, das heißt öffentliche Verkehrsmittel?

Sigrid Svehla-Stix

Genauer die Güteklassen ÖV-Güteklassen heißt das Konzept dahinter.

Philip BansePhilip Banse

Und daran ist das auch gekoppelt, die Höhe?

Sigrid Svehla-Stix

Genau.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Können Sie das noch mal so ein bisschen erläutern, was mit diesen ÖV Güteklassen gemeint ist?

Sigrid Svehla-Stix

Also das ist ein Konzept, das glaube ich nur in Österreich vorliegend ist, dass man eben genau berechnen kann, wie weit der nächste Weg zur nächsten Haltestelle ist, je nachdem, wo ich mich befinde. Und das ergibt dann eine Einteilung, die man sogar runterbrechen kann auf die jeweilige Gemeinde.

Und von dem her gibt es diese vier Kategorien jetzt in Österreich eben, wo die erste Kategorie, die städtische Gemeinde ist und bis zu vierten, wo man eher in einer ländlichen Gemeinde oder in einem Gebiet eben ist, wo es eine grundlegende Ausstattung gibt mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Philip BansePhilip Banse

Und diese Güteklassen entscheiden auch darüber, wie viel Klimabonus ich bekomme.

Sigrid Svehla-Stix

Genau, das ist dann immer der Regionalausgleich. Der steigt an, je nachdem in welcher Klasse ich bin.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Okay, und das ist auch das einzige Kriterium. Oder gibt es noch weitere Kriterien für die Regionalklassen?

Sigrid Svehla-Stix

Also das ist jetzt eigentlich das einzige Kriterium. Es ist nur eben genau der Klimabonus, die Höhe für 2024 jetzt auch schon veröffentlicht worden. Der wird jetzt noch einmal sozial treffsicherer. Neben der regionalen Staffelung wird nun auch erstmalig die höhere Einkommen berücksichtigt, das heißt, der ist jetzt auch einkommensabhängig, das heißt, im Jahr 2024, nach dem Sommer erhalten die Österreicher:innen eben 145 € bis 290 € pro Jahr wieder, je nach Wohnort.

Also die vierköpfige Familie in Wien kriegt dann 435 €. Und eine vierköpfige Familie in der Steiermark zum Beispiel oder in einem ländlichen Gebiet bekommt 870 €.

Philip BansePhilip Banse

Und das sind ja schon mal substanzielle Zahlungen. Also in Deutschland ist das Ganze ja unter anderem auch, ich will nicht sagen daran gescheitert, aber doch erheblich ausgebremst worden, weil wir technische Probleme hatten, dass der Staat überhaupt sein Geld auszahlen kann. War das ein Problem? Sie brauchen ja die Kontoverbindung von allen und wenn Sie das jetzt auch noch vom Einkommen abhängig machen, müssen Sie das ja auch noch wissen. War das ein Problem, diese technische Umsetzung?

Sigrid Svehla-Stix

Also Problem würde ich nicht sagen, weil es halt einzigartig ist, dass eben im Klimabonusgesetz, wo das Ganze rechtlich verankert ist, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten und Behörden, also insgesamt sieben Stück sozusagen geregelt ist. Also das heißt, es wird von den Meldebehörden werden die Meldedaten eingemeldet, vom Finanzminister die Daten über Steuern, Abgaben, die Kontonummern bis über Informationen von Justizministerium, Sozialministerium und Bundeskanzler.

Und ich glaube, das ist schon einmalig. Und offensichtlich funktioniert das gut.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aha. Das heißt also, es gibt im Grunde eine Art Datenpool, wo von verschiedenen Stellen Daten, die ohnehin schon da sind, zusammenlaufen, um die Entscheidung zu treffen über die Auszahlung des Klimabonus und wie fließt das Geld jetzt konkret ab? Also da gibt es ja in Österreich auch verschiedene Wege. Also es gibt ja Überweisungen und noch so ein paar andere Wege. Können Sie das noch so ein bisschen erläutern, wie diese Stelle dafür sorgt, dass das Geld auch tatsächlich zu den Menschen kommt?

Sigrid Svehla-Stix

Genau. Also prinzipiell ist wichtig, dass es antragslos geschieht. Also ich muss eigentlich nichts machen, wenn ich im Hauptwohn gemeldet bin in Österreich, also wenn ich ein Finanzonlinekonto hab, das ist ein digitales Steuerportal in Österreich. Ich weiß nicht, ob es sowas ähnliches in Deutschland gibt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, Elster gibt es bei uns ja.

Sigrid Svehla-Stix

Genau, dann bekommt man das eben direkt auf das Konto überwiesen mit dem Betreff eben BMK Klimabonus. Alternativ wenn man eben keine konkrete Kontonummer für eine Person hat oder die Person keine Kontonummer angegeben hat, dann kann man auch die Auszahlung als Gutschein erhalten und das erfolgt mit einem sogenannten RSA Brief. Also das ist in Österreich ein behördliches Schriftstück. Das kennt man vor allem von Verwaltungsstrafen oder auch wenn man den Reisepass zugestellt bekommt.

Da ist wichtig, dass es dem Empfänger der Empfängerin nur persönlich zugestellt werden kann. Also das kann nicht die Nachbarin übernehmen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Im Grunde vergleichbar so ein bisschen einem Einschreiben eigenhändig kann man sich vielleicht vorstellen.

Sigrid Svehla-Stix

Genau. Wenn das so bei Ihnen heißt, genau, ja.

Philip BansePhilip Banse

Und dann habe ich diesen Schrieb und wie komme ich dann an mein Bargeld?

Sigrid Svehla-Stix

Genau. Also Sie haben eben entweder die Möglichkeit, es als Gutschein zu empfangen, das sind von der Firma Sodexo, die jetzt pluxee heißt, das ist einer der größten Anbieter mit den meisten Einlösestellen, von Möbelgeschäft bis Lebensmittel, Bäcker, überall damit bezahlen kann. Aber Sie können auch bei der Bank 99, das ist in Österreich eine Bank, die es eigentlich bei jeder Poststelle gibt, sich auch das Bargeld auszahlen lassen oder auf eine Kontonummer ihrer Wahl überweisen lassen.

Philip BansePhilip Banse

Okay, also da haben wir jetzt so ein bisschen das geklärt, was ausgezahlt wird, wie es ausgezahlt wird und wer wie viel bekommt. Jetzt ist noch so ein bisschen die Frage, woher kommt denn dieses Geld? Das sind ja auch in Österreich die Einnahmen aus einem CO2 Preis und der ist ähnlich gestaffelt wie in Deutschland. Da ist so ein bisschen die Frage, werden denn komplett alle Einnahmen, die Österreich über den CO2 Preis erzielt, als Klimabonus ausgezahlt?

Sigrid Svehla-Stix

Auch das ist eben gesetzlich verankert im Bundesgesetz über den regionalen Klimabonus, im Klimabonusgesetz. Und also die Höhe des Bonus setzt sich eigentlich eben aus den drei Variablen zusammen, die Sie eh schon genannt haben.

Also zum einen dieses abhängig von der Entwicklung der CO2 Preise, die im Nationalen Emissionshandelsgesetz geregelt sind, an den tatsächlichen Einnahmen durch die CO2 Bepreisung des vorangegangenen Jahres und eben an den laufenden und künftigen Einnahmen gemäß der CO2 Bepreisung. Und die sollten alle an die Bevölkerung zurückgezahlt werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das klappt auch tatsächlich?

Sigrid Svehla-Stix

Genau.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, ganz herzlichen Dank! Das war im Gespräch mit der Lage der Nation Sigrid Svehla-Stix. Sie ist Senior Economist im Team Umweltökonomie beim Umweltbundesamt der Republik Österreich in Wien. Ein ganz herzlichen Dank. Schön, dass Sie Zeit für uns hatten.

Sigrid Svehla-Stix

Danke schön.

Philip BansePhilip Banse

Ja, ich fand das wirklich ein ganz erhellendes Interview, weil es auch zeigt, es geht, wenn man will. Das finde ich irgendwie ganz interessant, dass die Österreicher da durchaus einiges auf die Beine gestellt haben in relativ kurzer Zeit. Und was ich auch interessant finde, ist, dass sie, wie das schon mit dem Krankenhaussuchportal letzte Woche der Fall war, erst mal ein Minimalprodukt auf die Beine

stellen. Erstmal kriegt jeder und jede eine bestimmte Summe und peu a peu wird das dann verfeinert. Dann gibt es irgendwie erst mal eine regionale Abstufung. Dann gibt es irgendwann eine Einkommensabstufung und so wird das Produkt halt immer besser über die Zeit.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, aber das finde ich, das finde ich einfach eine ganz wichtige Erkenntnis. Und das kann man, glaube ich, gerade bei staatlichen IT Projekten gar nicht laut genug sagen. Ihr müsst nicht in einen Big Bang schaffen, wo dann wirklich jeder noch so schräge Spezialfall, jeder Edge Case abgedeckt ist. Das klappt im Zweifel eh nicht und dauert viel zu lange. Bringt doch erst mal irgendwas online, was einen gewissen Nutzwert

hat. Und ich finde, das kann man hier in Deutschland eben zum Thema Klimabonus oder Klimageld insbesondere dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ins Stammbuch schreiben. Hubertus Heil, der dortige Minister, sperrt sich ja gegen ein Klimageld ohne Differenzierung nach Einkommen, weil er sagt, na, wir brauchen doch hier so eine soziale Ausdifferenzierung. Und da würde ich sagen, das ist natürlich im Ansatz total richtig, aber vielleicht nicht für Version

1.0. Wir sind doch schon froh, wenn es überhaupt mal ein Klimageld gibt, denn, wir wissen es alle, das Bundesministerium der Finanzen hat nicht mit Hochdruck, sagen wir mal vorsichtig, Auszahlungsmechanismen entwickelt. Momentan ist auch kein Geld mehr im Topf. Es wäre einfach schon ein Riesenerfolg, wenn überhaupt mal Klimageld ausgeschüttet werden könnte, um die gesellschaftliche Akzeptanz von Klimaschutz zu verbessern.

Und dann kann man ja immer noch in der Version 2.0 dann sagen, das wird eben je nach Einkommen der Menschen unterschiedlich hoch ausgezahlt.

Philip BansePhilip Banse

Wir haben das oft betont, zuletzt im Zusammenhang mit der wachsenden Gewalt gegen Politiker und Politikerinnen. Gegen Gewalt braucht es eigentlich in den seltensten Fällen neue Gesetze. Viel besser und schneller und präventiver ist es eigentlich, bestehende Gesetze schnell und vor allen Dingen konsequent durchzusetzen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Konsequent durchsetzen, das ist das Stichwort, Denn das geht natürlich nicht von alleine. Das machen auch keine Computer, sondern gerade in der Justiz braucht es dafür natürlich genügend Menschen, die diese Aufgabe

erfüllen. Das bedeutet also, es braucht bei der Polizei genügend Menschen, aber dann auch genügend Menschen bei den Staatsanwaltschaften, die eben nicht einstellen, war ja nicht so schlimm, sondern die gerade rechtsextremen Terror rechtsextremen Hass auch wirklich konsequent verfolgen. Und ob die Staatsanwaltschaften in Deutschland dafür richtig aufgestellt sind, da kann man ein riesengroßes Fragezeichen dran machen. Und das macht unter anderem auch Peter Müller.

Nicht irgendein Peter Müller, sondern der CDU Politiker Peter Müller, der gerade eine Amtszeit als Richter des Bundesverfassungsgerichts hinter sich gebracht hat. Er kritisiert in der Süddeutschen Zeitung:

Philip BansePhilip Banse

"Wenn sich nach Angaben des Deutschen Richterbundes bei den Staatsanwaltschaften mittlerweile mehr als 900.000 offene Verfahren türmen, dies einem Anstieg von mehr als 20 % in nur zwei Jahren entspricht und jährlich mehrere Dutzend Menschen, die schwerster Straftaten verdächtigt sind, aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die Verfahren nicht mit der erforderlichen Beschleunigung betrieben werden, ist der Rechtsstaat ins Schlingern

geraten." So sagt der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Peter Müller, in der SZ. Und wir hatten dieses Thema ja hier auch im Programm. Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, dass die finanzielle Ausstattung der Justiz zu wünschen übrig ließ. Auch dass die Besoldung der Menschen in der Justiz wirklich große Fragezeichen aufwirft, weswegen die Justiz immer schlechter Menschen findet.

Und wir hatten zugleich vor einiger Zeit dazu aufgerufen, dass sich Menschen aber bewerben für die Arbeit in der Justiz, und zwar nicht nur als Hauptamtliche, als Richterinnen oder als Staatsanwälte, sondern auch als ehrenamtliche Richterinnen und Richter, nämlich als Schöffen. Dazu hatten wir vor einigen Monaten nun, glaube ich, sogar aufgerufen und letzte Woche hatten wir dann um Feedback mal gebeten.

Also von den Leuten, die sich dann als Schöffinnen Schöffen beworben haben und da auch vielleicht schon einige Fälle betreut haben, da hätten wir gerne oder wollten wir wissen, hat die Justiz alles, was sie braucht? Was ist gut, was ist schlecht? Und da haben sich insgesamt rund 30 Menschen gemeldet.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die haben uns Sprachnachrichten hinterlassen auf unserer speziell dafür eingerichteten WhatsApp Mailbox. Und entstanden ist in diesen vielen Meldungen ein sehr schönes, differenziertes Bild der Justiz in Deutschland. Vieles davon kann ich ja auch selber einschätzen aus meinen vielen Jahren in der Justiz in Berlin, aber auch aus der Perspektive des Bundesverfassungsgerichts, wo man ja dann einen bundesweiten Einblick

bekommt. Und ich denke, man bekommt aus diesen Sprachnachrichten einfach einen tollen Einblick in eine gesellschaftliche Sphäre, zu der die meisten von euch normalerweise natürlich so keinen direkten Zugang haben.

Und deutlich wird aber auch und das ist das, was mir, wenn ich das so, als ich das so gehört habe, auch so hier und da echt das Herz gebrochen hat, deutlich wird auch, die Justiz bekommt einfach in Deutschland nicht überall genug Liebe und das heißt im öffentlichen Dienst nun einmal nicht genug Geld. Ganz häufig ist die Justiz absolut am Limit.

Und wie gesagt, mir persönlich bricht es das Herz zu hören, unter welchen Bedingungen in Deutschland teilweise Recht gesprochen wird und deswegen gibt es natürlich auch in den Statements der Schöffinnen und Schöffen eine ganze Menge an Kritik.

Philip BansePhilip Banse

Zunächst an der ganz allgemeinen baulichen Beschaffenheit vieler Gerichte. So melden sich zum Beispiel Tino und Maik aus NRW, beide dort Schöffen.

Tino und Maik

Negativ ist mir bis jetzt eigentlich nur das Gebäude an sich aufgefallen. Das ist sehr, sehr alt, bedarf auf jeden Fall einer Erneuerung. Vor allem auch die Sanitäranlagen. Die sind sehr runtergekommen und erinnern doch so an, ja, an Schule von damals. Beim ersten Termin war die Heizung ausgefallen, was im Februar nicht so angenehm war.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, klingt nicht so richtig überzeugend, wenn die Gebäude langsam zerbröseln. Aber noch ein bisschen ernster ist das Problem, von dem Judith aus Baden-Württemberg berichtet.

Judith

Es gibt unfassbar oft die Situation, dass die Technik nicht funktioniert, dass man sich nicht versteht, die Mikrofone nicht funktionieren, die Lautsprecher nicht funktionieren und man gleichzeitig im riesigen Sitzungssaal sitzt und sich wirklich nicht versteht. Gerade auch wenn dann noch Sprachmittler oder Dolmetscher dabei sind, dann wird's wirklich kompliziert. Alle müssen wahnsinnig laut sprechen und das kann mitunter bei längeren Sitzungen echt anstrengend werden.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Stelle ich mir schwierig vor, wenn Sprache doch das Medium eines Gerichtsverfahrens ist. Ich meine, das ist ja gerade im Strafverfahren so der zentrale Grundsatz, dass das Gericht später aus dem sogenannten Inbegriff der Hauptverhandlung entscheiden soll, also aus all dem, was in der Hauptverhandlung zur Sprache

gekommen ist. Es gibt ein paar Ausnahmen, Selbstleseverfahren für Urkunden oder so, aber im Prinzip geht es tatsächlich darum, dass man eine Entscheidung trifft, nach dem, was man gehört hat. Und wenn man dann aber nichts gehört hat oder nicht alles gehört hat, ist das natürlich ein Problem.

Philip BansePhilip Banse

Und aufgezeichnet wird es ja auch nicht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Genau das hatten wir vor einigen Wochen. Es gibt bislang keine Aufzeichnung, schon mal gar kein Video. Es gibt noch nicht mal ein offizielles Inhaltsprotokoll. Das heißt also, wenn man als Richterin zum Beispiel beim Mitschreiben irgendwas nicht mitbekommen hat und dann nicht sofort nachfragt, dann ist dieses Wort, ist dieser Satz, ist dieser Gedanke schlicht und ergreifend verschollen.

Philip BansePhilip Banse

Aus den Schilderungen wird aber klar, euer Nummer eins Problem ist die Digitalisierung.

Carolin

Da ist nichts digitalisiert am Gericht. Also wenn man sich da irgendwie dreimal im Kreis dreht und Digitalisierung ruft, kommt der Teufel persönlich aus der Asservatenkammer oder den Aktenschränken hervor gekrochen. Das ist tatsächlich ein bisschen gruselig, wie wenig am Gericht, an dem ich bin, tatsächlich digitalisiert ist.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das sagt Carolin und die ist an einem Gericht in Bayern tätig. Was so, wenn mein bundesweiter Überblick noch halbwegs aktuell ist, doch im Zweifel noch relativ gut dasteht. Sicherlich nicht besser klingt Maren, die berichtet aus einem Berliner Amtsgericht.

Maren

Ich bin wirklich geschockt, wie rückständig das Gericht arbeitet. Alles ist noch sehr analog, also mit Stift und Papier. Selbst die Richterin hat ihre Urteilsverkündung einfach mit einem Kugelschreiber auf ein weißes Blatt Papier gekritzelt und das wurde dann im Anschluss dem Protokollanten übergeben.

Philip BansePhilip Banse

Alles auf Papier. Auch Jelena, Schöffin am Landgericht in Berlin war doch schockiert.

Jelena

Dass vorne auf der Richterbank unglaublich viele Fallakten am rumfliegen waren und einfach alles auf Papier stattgefunden hat. Die hauptamtlichen Richter:innen wirklich, die einfach alles auf Notizzetteln einfach aufgeschrieben haben, einfach nichts digitalisiert

war. Was zum Beispiel dann auch dazu geführt hat, dass in den Fallunterlagen Fotos waren, die aber nur schwarz weiß vorlagen, weil sie kopiert worden sind aus der eigentlichen Akte und der Polizist die Fotos dann nicht richtig identifizieren konnte, weil er meinte, naja, man muss das in Farbe sehen, um das richtig sehen zu können, was er da zeigen sollte. Und ja, crazy, crazy, crazy.

Philip BansePhilip Banse

Also Farbfotos sind überschätzt. Eindeutig.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also man muss natürlich, also das ist, wenn man das hört, kriegt man natürlich die Krise. Man muss fairerweise dazu natürlich sagen, dass die Justiz an der Einführung der eAkte arbeitet. Das hatten wir auch in den Digitalisierungsfolgen haben wir mit dem Richter am Verwaltungsgericht Berlin, Florian von Alemann, mal besprochen. Aber das ist eben jedenfalls in der Strafjustiz noch eine ganze Weile hin. Das geht so ganz langsam los,

tatsächlich. Aber bis das wirklich durchgehend der Fall ist und bis dann auch Akten zwischen Polizei und Strafgerichten digital ausgetauscht werden...

Philip BansePhilip Banse

Ulf, um Gottes willen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Bin ich vermutlich in Rente. Aber na, schauen wir mal, wir wollen jetzt auch natürlich nicht zu demagogisch werden. Es sind halt einfach die Eindrücke von Schöffinnen und Schöffen. Und ich muss ganz ehrlich sagen, man kann natürlich auch heute schon sein Urteilstenor am Computer tippen, ausdrucken und mit dem Ausdruck wieder in den Saal zur Verkündung kommen. Das ist jetzt die persönliche Entscheidung der Kollegin gewesen, die da am Amtsgericht sagt, sie kritzelt den Tenor eben mit dem Kuli.

Das muss man nicht so machen. Es gibt natürlich schon Computer und Drucker im Saal, so ist es jetzt nicht.

Philip BansePhilip Banse

Unter dem Papierkrieg leiden aber auch die Schöffen ganz konkret, die bekommen ja eine Entschädigung für ihre Arbeit. Dafür muss der Arbeitgeber aber einen Verdienstausfall bescheinigen und Martin, Schöffe in Berlin, bekam diese korrekt unterschriebene Bescheinigung als PDF von seinem Arbeitgeber, druckte die aus und reichte sie bei Gericht ein. Aber keine Chance.

Martin

Es wurde nicht akzeptiert, dass ich ein PDF selbst ausgedruckt habe, sondern es wurde verlangt, dass es wirklich im Original vorliegt. Und daraufhin habe ich gesagt, na ja, ich arbeite in einer internationalen Firma, die HR Abteilung ist nicht in Deutschland, sie ist halt außerhalb von Europa sogar. Und ich muss die dann fragen, dass sie mir das unterschreiben und dann per Post schicken. Unsere Firma arbeitet schon seit etlichen Jahren nur digital.

Dokumente werden digital signiert, es werden Dokumente, auch wenn es nicht anders geht, wie in diesem Fall, halt per Hand unterschrieben, aber natürlich als PDF zugeschickt und nicht per Post. Und da muss ich sagen, hängt die Verwaltung oder die Justiz noch wirklich sehr hinterher.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber diese Papierwirtschaft ist wiederum auch keine rein Berliner Domäne. Auch Philipp, Schöffe in Nordrhein-Westfalen, hat da interessante Erfahrungen gemacht.

Philipp

Wenn ich sehe, wie sich die Akten teilweise meterweise stapeln und aneinanderreihen in den Geschäftszimmern und auch auf der Richterbank, dann fühle ich mich zurückversetzt in die 50er, 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Also da ist noch sehr, sehr, sehr, sehr viel Aufholbedarf. Und dort müssen die Länder ganz, ganz dringend auch für eine bessere finanzielle Ausstattung und entsprechenden Gesetzesänderungen zu einer Digitalisierungspflicht sorgen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, dieses Digitalisierungsdrama ist natürlich umso schmerzhafter, als an vielen Gerichten eben auch Personal fehlt.

Susi

Ich glaube, der größte Engpass ist das Personal. Es ist zu knapp.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Sagt uns Susi. Sie ist ehrenamtliche Richterin am Verwaltungsgericht in Köln.

Philip BansePhilip Banse

Dieser Personalmangel hat viele Folgen. Markus und Lara haben sich als Schöff:innen in Rheinland Pfalz gemeldet.

Markus und Lara

Was uns auch noch sehr betroffen gemacht hat, ist, wie lange Verfahren nach dem Stattfinden einer Straftat tatsächlich dann auch abgewickelt werden. Wir gehen davon aus, dass das mit der mangelnden personellen Ausstattung der Gerichte zu tun hat.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Tja, und lange Verfahren sind natürlich aus einer kriminologischen Perspektive schlecht, weil wirksame Prävention verlangt, dass die Strafe schnell auf dem Fuße folgt. Lange Verfahrensdauer, deswegen schlechte Generalprävention sind aber nicht die einzige Folge des Personalmangels. Es passieren aufgrund dieses Personalmangels auch einfach veritable Fehler, berichtet Hendrik, Schöffe an einem Amtsgericht in Hamburg.

Hendrik

Wir haben es auch schon erlebt, dass die falsche JVA angeschrieben worden ist, um einen Angeklagten dann vorzuführen, der in der U-Haft saß. Und dann ging die Verhandlung los. Aber es kam eben kein Angeklagter aus der JVA, dadurch, dass man da die falsche JVA angeschrieben hat.

Philip BansePhilip Banse

Einige von euch haben aber auch die schlechte Vorbereitung der Schöffinnen und Schöffen kritisiert. Entweder war einigen nicht klar, dass eine Jugendkammer in Niedersachsen nicht nur für jugendliche Täter zuständig ist, sondern auch für jugendliche Opfer.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, und wozu diese Wissenslücke führen kann und diese mangelnde Vorbereitung, das hat wiederum Maren in Berlin erlebt. Sie sagt, es habe zwar eine Infoveranstaltung gegeben für ihren Einsatz, da sei es aber nur um Abrechnungen gegangen der Schöffenentschädigung, nicht aber um die doch teils krassen Fälle, die sie so erwarten. Vorsicht, Triggerwarnung! Es geht jetzt um sexualisierte Gewalt gegen Kinder.

Maren

Das hat jetzt bei mir dazu geführt. Mein erster Fall war ein schwerer Fall der Kinderpornographie. Da wurde streitig verhandelt und wir mussten uns in der Verhandlung sehr schwere Beweismaterialien anschauen, wo wir auf Videoband gesehen haben, wie kleine Kinder vergewaltigt wurden.

Die Bilder gehen mir immer noch nach und es gibt lediglich eine Seelsorgehotline, wo eigentlich wenig bis gar nicht besetzt ist jetzt nach meiner Erfahrung nach und auch da hätte ich mir ein bisschen mehr Vorbereitung gewünscht.

Philip BansePhilip Banse

Das, glaube ich, ist keine überzogene Erwartungen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ne, also das muss ich ganz ehrlich sagen, da bin ich selber nicht so richtig informiert, wie das im Einzelnen läuft in Berlin. Aber ich kann mir vorstellen, dass das für die Menschen ein echter Schock ist. Das ging mir schon so als Profi. Ich hatte damit wirklich nur wenig zu tun. Aber wenn, war es schon wirklich schlimm. Und ich kenne auch Staatsanwältinnen, die das regelmäßig gemacht haben.

Also da braucht man mindestens im Kreis der Kolleg:innen, aber besser noch von professionell, von dritter Seite Supervision. Da muss man sich aussprechen können. Also wenn das nicht passiert, dann kann das tatsächlich, so deutet Maren ja auch an, zu psychischen Problemen, bei den Schöffinnen und Schöffen selber führen.

Philip BansePhilip Banse

Also die Aufgabe von Schöffinnen und Schöffen ist ja, nach dem Prozess quasi sich mit dem Richter und der Richterin zusammenzusetzen und auch was zu sagen zu dem, also wirken die am Urteil mit. Wie ist die, wie ist die-

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Na ja, die sind, die sind ja gleichberechtigt mit den professionellen Richterinnen und Richtern sowohl an der Verhandlung beteiligt als auch später an der Beratung des Urteils. Sie haben natürlich keine juristischen Spezialkenntnisse, aber zum Beispiel bei der Frage, ob man jetzt überhaupt zu einem Schuldspruch kommt oder welche Strafe verhängt werden soll, Können sie mit dem gleichen Stimmengewicht mitstimmen wie die Profis.

Philip BansePhilip Banse

Genau. Aber Maren fühlte sich als Laie nicht wirklich in der Lage, dem Urteil der Richterin zu widersprechen, sagt sie.

Maren

Da zieht man sich dann mit der Richterin und dem anderen Schöffen zurück. Die Richterin sagt eigentlich nur so und so sieht es aus. Das ist der Strafrahmen. Ich würde X geben. Einwände. Und wenn man aber keine juristischen Vorkenntnisse hat, ist das sehr schwierig, da gegenüber den Berufsrichterinnen und -richtern irgendwie zu argumentieren. Mir hätte das sehr geholfen, hätte ich ein bisschen mehr juristisches Wissen gehabt, weil ich die Urteilssprechung persönlich nicht gerecht empfunden habe.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, auch ein Schöffe aus Niedersachsen beklagt sich darüber, dass die Richter am Ende das Urteil doch schon sehr stark dominiert hätten.

Schöffe aus Niedersachsen

Einfach aufgrund des Wissensvorsprungs. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es dazu führt, dass die Richterinnen und Richter ihr Urteil, was sie für richtig halten, sehr, sehr plausibel erklären müssen und sich rechtfertigen müssen vor Laien. Und dadurch glaube ich eine höhere Qualität des Urteils auf jeden Fall zustande kommt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Das wäre auch ehrlich gesagt meine richterliche Perspektive. Ich habe ja viel mit Schöffinnen und Schöffen zusammengearbeitet. Also ich war ja überwiegend in der Schwurgerichtskammer tätig, das heißt drei Profis, zwei Schöffinnen und Schöffen, und mit denen hat man dann ja in längeren Verfahren auch über Monate hinweg verhandelt. Das heißt, dann kennt man sich schon. Also meine Perspektive darauf bestätigt genau das, was gerade der Schöffe aus Niedersachsen gesagt hat.

Die Beteiligung von Nicht-Juristinnen und Nicht-Juristen ist gerade für die Profis eine riesengroße Chance. Ob das, was sie sich so überlegt haben, überhaupt plausibel ist? Denn man kann in dem Beratungszimmer ja quasi zunächst mal versuchen, seine Perspektive auf den Fall diesen beiden Menschen zu erläutern.

Und wenn die dann eben eine gewisse Souveränität haben, wenn man die auch bewusst ermuntert, zum Beispiel, nachzufragen, Fragen zu stellen, sich Dinge erklären zu lassen, dann kann man einfach wunderbar mitbekommen, ob man selber den Fall wirklich komplett verstanden hat. Nicht zuletzt die juristische

Würdigung. Natürlich kann man da kein Jura Crashkurs veranstalten, aber man kann schon in dieser Beratungssituation die wesentlichen, die tragenden juristischen Erwägungen auch den Schöffinnen und Schöffen erläutern. Und dann merkt man sehr schnell ist es plausibel? Habe ich das wirklich selber überhaupt verstanden? Das hängt, glaube ich, sehr davon ab, wie die Richterinnen und Richter die Situation wahrnehmen. Ob sie die Schöffen eher als nervig

wahrnehmen war. Jetzt muss ich hier noch irgendwie erklären, oder ob man das als Chance sieht, juristische Fehler oder auch Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts zu verhindern, indem man den Fall vorher schon mal in Ruhe wirklich erörtert und versteht.

Philip BansePhilip Banse

Und damit kommen wir neben aller Kritik zu euren positiven Erfahrungen. Viele von euch beschreiben zum Beispiel einen großen Lerneffekt. Martin zum Beispiel aus Berlin.

Martin

Es ist immer super spannend, an Verhandlungen teilzunehmen, zu sehen, wie unsere Justiz funktioniert und auch mitentscheiden zu können. Alles in allem finde ich meine Tätigkeit als Schöffe sehr bereichernd. Und wie gesagt, habe mich noch einmal beworben für die nächste Wahlperiode, weil das sehr viel Spaß macht.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ähnliches berichtet Paul aus Hessen.

Paul

Ich finde es auch toll, dass es da viele Möglichkeiten gibt, die Richter auch im Richterzimmer mal zu befragen nach Auslegungen und so was. Und es gibt einem sehr, sehr viel zurück, muss ich sagen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, Jelena, Schöffin am Landgericht in Berlin, die hat Politik studiert, war aber überrascht, wie wenig sie tatsächlich über das Justizsystem wusste. Und sie lernt als Schöffin sehr viel, sagt sie und gibt das eben auch weiter.

Jelena

Ja, ich merke, dass auch mein Umfeld sehr interessiert daran ist, mehr darüber zu erfahren, also den Mehrwert sehe ich sehr, wie viel man die Bevölkerung dann darin einbinden kann und sich darüber auch bilden kann darüber, wie das Justizsystem funktioniert.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und dieser Blick hinter die Kulissen, dieses bessere Verstehen, wie die Justiz funktioniert, führt auch bei einigen Schöffinnen und Schöffen dazu, dass sie sich mit dem Rechtsstaat insgesamt besser identifizieren. So schildert uns Susi, ehrenamtliche Richterin am Verwaltungsgericht in Köln.

Susi

Ich mache das sehr, sehr gerne. Ich lerne unheimlich viel und fühle mich durch dieses Ehrenamt auch stärker mit den demokratischen Prozessen unseres Landes verbunden und vertraut. Ich ermutige also jede interessierte Person, sich zu bewerben.

Philip BansePhilip Banse

Und tatsächlich zum positiven Feedback zählt auch IT und Ausstattung. Die bieten nicht immer nur Anlass für Kritik, sondern auch Anlass für Anerkennung. Wir hören noch mal Susi vom Verwaltungsgericht in Köln, die tatsächlich dort die IT lobt.

Susi

Also jede Richter:in hat einen Tablet zur Verfügung. Insgesamt wird aber vorrangig eher auf Papier gearbeitet. Der Vorsitzende Richter hat ein Diktiergerät und es gibt auch für das Besprechungszimmer in der Vor- und Nachbesprechung der Verhandlung einen Monitor, wo wir dann gemeinsam drauf schauen können.

Philip BansePhilip Banse

Donnerschlag.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Okay. Man muss halt sehen, kritik ist ja doch immer eine Frage der Ansprüche, die man so stellt. Paul ist Schöffe am Amtsgericht in Frankfurt am Main und auch er lobt die Ausstattung.

Paul

Die Toilettensituation und so was ist alles in Ordnung, muss man sagen. Es könnte natürlich weitaus moderner sein, aber es erfüllt alles seinen Nutzen. Es ist sauber, es benutzbar. Und deswegen muss ich sagen, dass ich da eigentlich zufrieden mit bin. Der Einsatz von Technik und so was funktioniert auch gut. Es wurde kein Overheadprojektor mehr benutzt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Kein Fax.

Philip BansePhilip Banse

Kein Fax, kein Overheadprojekt. Man freut sich halt über die kleinen, über die kleinen Dinge. Auch Michel, glaube ich, wird es ausgesprochen, freut sich in Niedersachsen über doch sehr Grundsätzliches.

Michel

Das Gebäude ist aus dem 19. Jahrhundert. Weder von außen noch von innen macht es einen maroden Eindruck. Der Sitzungssaal ist modern, ausgestattet mit Fernsehern und PCs.

Philip BansePhilip Banse

Klingt ein bisschen wie ein Hotelbewertung auf Booking.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Aber ist doch schön. Und Positives auch aus Bayern. Von Fabian.

Fabian

Das ganze Gericht macht eigentlich einen sehr guten Eindruck und die IT Ausstattung ist sehr gut, sowohl in den Gerichtssälen selbst als auch in den Beratungszimmern. Also was ich einfach so sehen kann als Schöffe. Alles wirkt zu weit auf dem aktuellsten Stand. Das konnte auch jeder mit den Sachen umgehen und ich konnte da keine Probleme sehen. Alles wirkt up to date und als wäre genug Administration und Kohle vorhanden, um das ganze zu pflegen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Ja, auch Tino, Schöffe am Landgericht Köln, freut sich über die gute Ausstattung und besonders hebt er, das fand ich lustig, das kulinarische Angebot hervor.

Tino

Zum Beispiel gibt es hier eine Kantine, die ist glaube ich kofinanziert. Zumindest sagen das die Preise der Gerichte. Es gibt leckeres Essen. Und auch sogar vegetarische und vegane Angebote jeden Tag. Das ist super.

Philip BansePhilip Banse

Vegane Gerichte, das gibt es alles glaube ich auch nicht selbstverständlich, dass es vegane Gerichte in solchen Kantinen gibt. Markus und Lara, die kamen oben schon mal zu Wort. Die haben sich nach unserem Aufruf in Mainz als Schöffen und Schöffinnen beworben. Die haben Kritik.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Die kam ja oben schon.

Philip BansePhilip Banse

Genau die kam oben schon, aber sie sagen, sie haben unterm Strich eben viel gewonnen.

Markus

Ein Zitat meiner Freundin von heute Morgen, als wir über euren Passus aus der Lage der Nation zum Thema Schöffen diesmal gesprochen hatten, hatte sie gesagt, dass sie extrem dankbar ist dafür, weil sie das Gefühl hat, jetzt wieder so ein bisschen mehr den Glauben an die Justiz zurückgewonnen zu haben.

Nicht wegen der Kritikpunkte, aber einfach, weil sie halt jetzt deutlich transparenten einen Eindruck davon, was eigentlich in Gerichten passiert, wie Gerichte zu Entscheidungen gelangen, dass da nicht einfach jemand irgendwie eine Entscheidung trifft, sondern dass das alles festgelegten Regeln unterliegt. Und vielleicht ist das ja ein schönes Zitat für die Lage der Nation, dass ihr dazu beigetragen habt, den Glauben an die Justiz wiederherzustellen.

Philip BansePhilip Banse

Ja, das finde ich, ist ein gelungener Ausklang für unsere kleine, für unseren kleinen Einblick in das Wesen und Wirken der Schöffen und Schöffinnen.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Also ich finde, da kann man so vor allem zwei Sachen mitnehmen. Das eine ist eben tatsächlich, Transparenz ist wahnsinnig wichtig. Transparenz schafft Vertrauen. Wenn du, wenn du da einen Einblick hast, wenn du verstehst, wie der Laden läuft, dann glaubst du nicht mehr irgendwelchen Telegramgruppen, die da dem Rechtsstaat quasi einen Abgesang hinterherweinen, sondern dann siehst du halt einfach, ja, da gibt es Probleme, die haben nicht immer alles, was sie brauchen und es

werden Fehler gemacht. Aber im Großen und Ganzen geht es mit rechten Dingen zu und geben sich, und das finde ich auch kam in ganz vielen Statements ja auch zum Tragen, geben sich die Menschen in der Justiz alle Mühe. Es sind häufig zu wenig Menschen, aber die, die da sind, bereiten sich gut vor und versuchen nach bestem Wissen und Gewissen eine gerechte Entscheidung herbeizuführen. Und das, finde ich, ist eine ganz wertvolle Botschaft.

Und allein deswegen würde ich denken, lohnt sich schon die Einbindung von Laien in die Justiz.

Philip BansePhilip Banse

Richtig. Es ist auch klar geworden, es ist nicht alles Mist. Es gibt in Deutschland auch Gerichte, wo die Leute reingehen und sagen scheint zu laufen, die scheinen zufrieden zu sein, die scheint alles zu haben, was sie brauchen. Die scheinen gute Arbeit zu machen und gute Arbeit machen zu können.

Aber es ist doch auch, das muss man leider sagen, bei vielen ein bisschen Entsetzen rausgeklungen in den Tönen über den Zustand, über die IT, über den Personalmangel, über den Geldmangel, über den Zustand der Gebäude. Und das war schon klar. Viele geben sich dort Mühe, tun, was sie können, aber sie sind eben extrem behindert durch die Umstände.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung in Berlin sagen. Und das sagen mir natürlich auch die Menschen, die jetzt aktiv in der Justiz sind. Ich kenne natürlich noch viele Menschen in der Justiz, rede auch ständig mit denen. Das ist, glaube ich, unser großer Appell zum Ausklang dieses Blogs an die Gesetzgeber, insbesondere in den Ländern, weil die Justiz ja in Deutschland weit überwiegend Ländersache ist.

Liebe Leute, wenn die Justiz klagt über Geldmangel, dann nehmt das in Gottes Namen ernst. Insbesondere die Digitalisierung, die kostet einfach viel Geld. Bitte verschlaft das nicht, bitte sagt nicht, ja, läuft schon irgendwie in der Justiz. Es läuft. Aber ihr seht auch, was es für Probleme macht, wenn es nicht läuft, dann müssen unter Umständen Schwerstkriminelle aus der U-Haft entlassen werden. Das kann es doch

nicht sein. Ich denke, das ist einfach die ganz wichtige Botschaft an die Haushaltsgesetzgeber, an die Landesparlamente, die Justiz mit etwas mehr Liebe auszustatten.

Philip BansePhilip Banse

Und damit ist die Lage für diese Woche abschließend und wie immer sehr ausführlich bilanziert. Ihr könnt auch eine Kurzfassung hören, wenn euch die Langfassung zu lang ist. Unter plus.lagedernation.org gibt es eine Kurzfassung, die auf rund die Hälfte zusammengekürzt ist. Also das Knackigste vom Knackigen ist dann da drin.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Und vor allem gibt es natürlich, wenn man ein solches Plus Abo abschließt, auch ne ganze Menge Karma, weil ihr freien, unabhängigen Journalismus unterstützt mit eurem monatlichen Beitrag. Und natürlich könnt ihr, wenn ihr irgendwann nicht mehr Bock habt oder das Geld knapp wird, auch monatlich wieder kündigen.

Philip BansePhilip Banse

Wir danken für euer Interesse. Wir danken für eure Aufmerksamkeit und wünschen euch eine gute Woche und hören uns dann nächste Woche schon wieder, wenn ihr mögt.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Herzliche Grüße, Alles Gute und bis bald.

Philip BansePhilip Banse

Bis dann.

Ulf BuermeyerUlf Buermeyer

Tschau!

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