LdN377 Tücken der Polizeilichen Kriminalstatistik (Martin Thüne, Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung), BVerfG stärkt Rechte von Vätern und Kindern, Kindergrundsicherung schlecht geplant, Waldwege in Gefahr, 1 Jahr Krieg Sudan (Annette Weber, EU-Repräsentantin Horn von Afrika) - podcast episode cover

LdN377 Tücken der Polizeilichen Kriminalstatistik (Martin Thüne, Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung), BVerfG stärkt Rechte von Vätern und Kindern, Kindergrundsicherung schlecht geplant, Waldwege in Gefahr, 1 Jahr Krieg Sudan (Annette Weber, EU-Repräsentantin Horn von Afrika)

Apr 10, 20242 hr 48 minEp. 377
--:--
--:--
Listen in podcast apps:

Episode description

LdN377 Tücken der Polizeilichen Kriminalstatistik (Martin Thüne, Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung), BVerfG stärkt Rechte von Vätern und Kindern, Kindergrundsicherung schlecht geplant, Waldwege in Gefahr, 1 Jahr Krieg Sudan (Annette Weber, EU-Repräsentantin Horn von Afrika)

Transcript

Philip Banse

H erzlich willkommen zur Lage der Nation. Ausgabe Nummer 377 vom 10. April 2024. Ganz herzlich willkommen! Wir begrüßen euch! Philip Banse ist mein Name.

Ulf Buermeyer

Und ich bin Ulf Buermeyer, Jurist aus Berlin. Philip ist Journalist. Schön, dass du zum Ersten oder auch vielleicht zum wiederholten Mal dabei bist, Wenn wir die politischen Ereignisse in Deutschland und der Welt für euch analysieren und zusammenkehren.

Philip Banse

Und wir haben auch diese Woche wieder ein volles Pad für euch natürlich vorbereitet. Wie gewohnt aber eine kurze Hausmitteilung vorweg: Und zwar gibt es ja schon seit einigen Jahren den Deutschen Podcastpreis. Der Name ist glaube ich Programm. Man kürt einen Podcast oder mehrere Podcast und es gibt dort eben auch die Rubrik Publikumspreis, glaube ich. So heißt das, oder? Publikumsvoting gibt es jedenfalls. Und das ist jetzt gestartet.

Ulf Buermeyer

Mit anderen Worten man kann jetzt abstimmen und dem Lieblingspodcast seine Stimme geben. Wollten wir euch noch mal so ohne weiterern Hintergedanken, wollten wir euch mal darauf hinweisen. Kann man, kann man seine Stimme abgeben, wenn man das möchte, sollte man das wollen, kann man klicken auf Lage.Link/Preis. lage.Link/Preis. Dort findet ihr einen Podcast eures Vertrauens.

Philip Banse

Unser erstes Thema ist heute die Polizeiliche Kriminalstatistik. Die wird ja jedes Jahr nach Alter Väter Sitte veröffentlicht vom Bundeskriminalamt gemeinsam mit in der Regel dem Innenminister der Innenministerin vom Bundesinnenministerium, weil das Bundeskriminalamt dem Ministerium untersteht. Und das Ding heißt PKS Polizeiliche Kriminalstatistik.

Und jedes Jahr gibt es eigentlich eine sehr ähnliche und schon auch bis auf einzelne Zitate würde ich sagen vorhersagbare Debatte, vorhersagbare Einlassung.

Ulf Buermeyer

Also ich glaube, das ist eigentlich so ein Klassiker, wo es in der Redaktion schnell mal passieren kann. Einfach ein O Ton von vor drei Jahren zu spielen und keiner merkts, weil halt einfach die Statements immer dieselben sind. Jedes Jahr gibt es da einfach eine sehr ähnliche Aufregung. Wir hatten auch ernsthaft bei der Vorbereitung dieses Blogs für unsere Folge echt überlegt, ob wir nicht einfach ein Interview aus dem Jahr 2018 noch mal hervorkramen.

Also es geht einfach immer um die Frage, ob jetzt unser Land doch irgendwie krimineller wird und natürlich auch immer um die heikle Frage, ob die bösen Ausländer an allem schuld sind.

Philip Banse

Bevor wir also zu den einzelnen Zahlen kommen vielleicht noch mal deswegen ganz wichtig: Was ist eigentlich die polizeiliche Kriminalstatistik? Oder vielmehr, was sie eigentlich nicht ist? Und sie ist nicht die Lage der Kriminalität in Deutschland. Das spiegelt sie nicht wieder.

Ulf Buermeyer

Das ist ganz wichtig zu wissen Ist es die polizeiliche Statistik? In anderen Worten: Es ist die Statistik der Straftaten, die bei der Polizei angezeigt wurden oder die die Polizei auch von Amts wegen angezeigt hat. Und dabei muss man wissen, dass diese Art der Erhebung eben nicht widerspiegelt, wie viele Straftaten in Deutschland begangen werden, sondern welche Straftaten in den System der Polizei landen. Und deswegen unterliegen diese Zahlen ganz bestimmten

Verzerrungen. Eine ganz wichtige Verzerrung ist, dass einfach bestimmte Gruppen ein ganz unterschiedliches Risiko haben, angezeigt zu werden.

Philip Banse

Ja, bestimmte Menschen wie zum Beispiel Migranten laufen einfach aus diversen Gründen, sagen wir gleich noch was dazu, ein höheres Risiko in dieser Anzeigestatistik zu landen. Bestimmte Menschen haben aber auch ein niedrigeres Risiko angezeigt zu werden, zum Beispiel Leute, die häusliche Gewalt ausüben. Da kommt es eben erfahrungsgemäß nachvollziehbarerweise sehr selten oder viel seltener zu Anzeigen oder auch Nötigung auf der Autobahn.

Also bei 100 auffahren und blinken und links, rechts und überholen usw...

Ulf Buermeyer

Kennt jeder aus eigener Erfahrung. Ich es vergeht keine Fahrt auf der Autobahn, wo man nicht eins zwei mal Opfer einer Straftat wird. Obwohl ich schon glaube, dass ich halbwegs sportlich fahre, aber ich zeige das natürlich nie an, also ich habe im Zweifel das Kennzeichen nicht gesehen oder ich habe auch gar kein Bock auf den ganzen Hussle. Deswegen: Klassischer Fall serienweise Straftaten, die aber eben in keiner Polizeistatistik auftauchen. Und weiterer Klassiker: Steuerhinterziehung.

Da gibt es natürlich verschiedene Schätzungen. Hatten wir in der Lage auch schon. Man weiß es nicht ganz genau, aber da werden wahrscheinlich auch nur so etwa 10 % der hinterzogenen Summe tatsächlich Gegenstand einer Straftat.

Philip Banse

Genau das sogenannte Dunkelfeld. Und daher gilt: Die PKS zeigt den Blick der Polizei auf die Welt. Was die PKS eben nicht zeigt ist, wer wurde denn wirklich verurteilt? Also was für Taten waren wirklich Straftaten? Welche Menschen sind wirklich zu Tätern und Täterinnen geworden? Das geht aus dieser PKS, aus dieser polizeilichen Kriminalstatistik eben nicht hervor.

Ulf Buermeyer

Und sie zeigt schließlich auch das an, wo die Polizei gezielt nach Kriminalität sucht. Also wenn die Polizei in Deutschland aus welchen Gründen auch immer zum Beispiel, fiktiver Fall, aber macht glaube ich das Problem klar. Wenn die Polizei der Meinung wäre, es müsste doch mal viel mehr getan werden gegen Straftaten, gegen Polizeivollzugsbedienstete, dann könnte die Polizei fiktiv, wie gesagt auf den Gedanken kommen: Wir zeigen jetzt mal systematisch jedes noch so kleinste Delikt an.

Einfach, um die Zahl hochzutreiben. Das wäre möglich. Das ist keine Unterstellung, dass das so geschehen sei. Ich möchte nur sagen, das könnte die Polizei so tun. Und natürlich sind Menschen bei der Polizei typischerweise auch gut vernetzt. Polizeigewerkschaft, Newsletter, Telegrammgruppen, was

weiß man so? Das heißt also, das wäre eine Möglichkeit, wenn man, wenn man möchte, dass in der Statistik auftaucht, massenweise Straftaten gegen Polizeivollzugsbedienstete, wäre es eine einfache Möglichkeit, diese Zahlen selbst zu schaffen?

Philip Banse

Was steht also drin in der Polizeilichen Kriminalstatistik von 2024, die also das Anzeigegeschehen von 2023 widerspiegelt? 2023 ist die Zahl der Anzeigen, der Strafanzeigen erneut gestiegen auf insgesamt 6 Millionen Strafanzeigen. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 5,5 %.

Ulf Buermeyer

Aber interessanterweise, was aber in der Medienberichterstattung bislang, glaube ich, wenig vorkam: Dieser Anstieg hat sich verlangsamt. Es ist also nicht so, dass immer mehr, immer mehr, immer mehr Straftaten begangen werden, sondern im Gegenteil, der Anstieg hat sich verlangsamt. 2022 waren es nämlich noch plus 10 % gewesen. Ganz genau weiß man es natürlich nie. Hypothese ist, das könnte an Corona Effekten liegen.

Wenn Menschen zu Hause sitzen wegen irgendwelcher Lockdowns, dann gibt es auch weniger Gelegenheit zu Straftaten. Jetzt sind die Corona Maßnahmen vorbei, also steigen statistisch die Straftaten wieder an.

Philip Banse

Richtig! Auffallend und besonders in der Diskussion ist eben mehr Anzeigen wegen Gewalt. Also es gibt ja auch Strafanzeige wegen Diebstahl, die fallen nicht da rein. Aber es gibt eben Gewaltdelikte, Raub, Messerangriffe, Mord, solche Sachen. Und die ist eben noch stärker gestiegen als die Anzahl der Anzeigen insgesamt im Vergleich zu 2022, nämlich gestiegen um 8,6 %. Also hier Mord, sexuelle Übergriffe plus -2 Prozent, aber vor allem Raub und Messerangriffe.

Anzeigen wegen dieser Delikte haben doch stark zugenommen im Vergleich zum Vorjahr.

Ulf Buermeyer

Auffallend ist eben ein höherer Anstieg der Anzeigen gegen Verdächtige ohne deutschen Pass. Das ist ja auch so die Erkenntnis, die die mediale Diskussion zurzeit bestimmt. Und das geht wiederum noch mal ganz besonders bei Kindern und Jugendlichen bei minderjährigen Tatverdächtigen. Insgesamt gibt es plus 17 % der Anzeigen zum Jahr 2022.

Allerdings bei Deutschen soll der Zuwachs bei 1 bis 2 % liegen, bei Kindern und Jugendlichen ohne deutschen Pass bei plus 31 %. Ähnliche Unterschiede soll es auch bei Erwachsenen geben. Über alle Altersgruppen lauten die Zahlen Deutsche Tatverdächtige plus 1 % nichtdeutsche Tatverdächtige plus 17, 18 %. Da stellt sich natürlich die Frage und manche Leute sind da auch mit der Antwort schnell dabei. Sind also Leute ohne deutschen Pass strukturell krimineller?

Philip Banse

Dazu halt ein paar Einordnung und Einordnung. Nummer eins ist eigentlich finde ich mit die wichtigste: Diese polizeiliche Kriminalstatistik, die misst absolute Zahlen. Also die zählt eine Anzeige, zwei Anzeigen, zehn Anzeigen, 1000 Anzeigen. Die misst aber nicht die Zahlen pro 100.000 Menschen. Also die stellt diese absoluten Zahlen nicht in Relation zu Wie viel von diesen Leuten gibt es eigentlich?

Ulf Buermeyer

Und das bedeutet natürlich, wenn die Zahl der Menschen gestiegen ist, die potenziell Straftaten begehen können, dann steigt natürlich auch die Zahl der Straftaten. Und 2023 waren wesentlich mehr Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland als im Vorjahr. Mehr Leute bedeutet aber auch mehr Kriminalität. Das verwundert zunächst mal nicht. Und die PKS aber wie gesagt, setzt die Gewalttaten nicht ins Verhältnis zum Anteil an der Bevölkerung.

Das heißt, da kommt ein statistisch hoher Anstieg dabei heraus und man denkt, die Leute werden immer krimineller. Dem ist aber einfach nicht so, es gibt einfach mehr Menschen. Deswegen gibt es natürlich auch mehr Straftaten.

Philip Banse

Ja, und weil das BKA das weiß und weil das aus dieser PKS an sich erst mal so nicht hervorgeht, hat das BKA noch mal gesondert geschaut. Wenn wir jetzt schauen, okay, es gibt mehr Anzeigen gegen diese eine Bevölkerungsgruppe, also Leute ohne deutschen Pass und es gibt aber wissen wir auch mehr Leute im Land ohne deutschen Pass. Um wie viel fällt denn der Anstieg aus, wenn wir das sozusagen um diese Zahl bereinigen?

Und da kommt dann dabei heraus: Der Anstieg der Ausländer, die einer Gewalttat verdächtigt werden, ist nach der bereinigten Statistik laut BKA plus 1,2 % und der Anstieg deutscher Tatverdächtiger wegen Gewalt plus 2,2 %, also in diesem Segment Anzeigen wegen Gewaltdelikten ist das nicht nur nicht mehr, sondern es ist sogar weniger der Anstieg bei Leuten ohne deutschen Pass.

Ulf Buermeyer

Also so erläutert das die Süddeutsche Zeitung, wenn man eben die Straftaten nicht in absoluten Zahlen berücksichtigt, sondern wenn man sie umrechnet quasi auf Straftaten pro 100.000 Menschen zum Beispiel, dann gibt es einen Anstieg bei Menschen ohne deutschen Pass um 1,2 %, bei Menschen mit deutschem Pass um 2,2 %. Mit anderen Worten: Die Kriminalitätsbelastung ist sogar bei Deutschen deutlich mehr gestiegen als bei Menschen ohne deutschen Pass.

Und das finde ich schon mal ganz bemerkenswert, dass in der medialen Berichterstattung nur auf die absoluten Zahlen geguckt wird, während man eigentlich sagen muss, dass der Anstieg bei den Menschen ohne deutschen Pass weniger besorgniserregend ist als bei den deutschen. Also wirklich interessant.

Philip Banse

Genau. Ich muss aber zur Ehrenrettung sagen, das bringt ja die Süddeutsche und andere auch, die weisen da schon darauf hin. Aber na klar. Also ich würde mir auch wünschen, dass das weiter oben vermeldet würde. Das ist der eine Hintergrund, also dass sie die absoluten Zahlen erst mal nicht in Relation gestellt werden zum Wachstum dieser Gruppe zahlenmäßig. Der zweite Hintergrund ist es gibt einfach auch Straftaten, die nur Menschen ohne deutschen Pass begehen können.

Ulf Buermeyer

Also beispielsweise gibt es haufenweise Anzeigen wegen vermeintlich illegaler Einreise nach Deutschland, obwohl die Einreise, wer die Lage länger schon hört, weiß das ja, dass er gar nicht illegal

ist. Wenn man zum Beispiel Asyl beantragen will oder Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention beanspruchen will, dann werden zwar zunächst mal Strafverfahren eingeleitet, die werden aber eingestellt mangels Tatverdachts und aber auch diese Taten, obwohl da eben nichts bei rausgekommen ist, gehen natürlich in die PKS auch ein und sie treiben insbesondere die Statistik in die Höhe für Straftaten von Menschen ohne deutschen Pass, weil natürlich Menschen, die Schutz suchen, diesen deutschen Pass

typischerweise nicht haben. Also wenn man so will im Grunde eine synthetische, rein statistische Kriminalität, der aber gar kein illegales Verhalten zugrunde liegt.

Philip Banse

Diese ganzen Einschränkungen, die sind nicht neu, die sind seit Jahren bekannt. Und trotzdem es wird immer wieder die PKS jedes Jahr mit großem Bohei und Beteiligung des Innenministeriums der Innenminister vorgestellt und es gibt jedes Mal die gleichen Debatten. Müssen wir Migration einschränken? Müssen wir mehr Straftäter ausweisen? Müssen wir die Strafmündigkeit runtersetzen, so dass schon jüngere Menschen eben alle Repressionen des Staates erfahren können?

Da kann man sich natürlich darüber unterhalten. Die Frage ist nur, löst es das Problem, um das es hier geht?

Ulf Buermeyer

Zumal ja der Anstieg bei den Anzeigen gegen Leute mit deutschem Pass de facto sogar höher war.

Philip Banse

Also bei Gewaltdelikten.

Ulf Buermeyer

Aber gut. Wenn man also eigentlich, wenn man die Statistik ernst nehmen müsste, man ja drüber nachdenkt was machen wir denn mit der gestiegenen Gewalt von Deutschen? Aber diese Diskussion führen wir jetzt irgendwie nicht so, jedenfalls im Zentrum. Und deswegen haben wir uns die Frage gestellt: Was soll denn das Ganze und welche Reformvorstellung gibt es denn da möglicherweise?

Wie könnte man dafür sorgen, dass die Kriminalstatistik in Deutschland aussagekräftiger wird und eine bessere Grundlage wird für politische Diskussionen? Und deswegen haben wir jetzt im Interview einen Fachmann eingeladen, und zwar sogar von der Polizei, bevor uns jemand unterstellt, das sei jetzt irgendwie so ein Ideologe. Wir haben nämlich eingeladen Dr. Martin Thüne.

Er ist Dozent an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistungen in Schleswig Holstein und unterrichtet dort im Fachbereich Polizei. Diskutiert wird jetzt ja öffentlich wieder mal der überproportionale Anteil von Menschen ohne deutschen Pass an den Tatverdächtigen. Sie sagen Das kann gar nicht anders sein, das ist verzerrt. Warum ist das so?

Martin Thüne

Das fängt mit den Erfassungsmodalitäten in Teilen zusammen. Der PKS und da gibt es gleich mehrere Punkte. Warum gerade im Bereich Migration und Kriminalität die Zahlen mit äußerster Vorsicht zu genießen sind und in Teilen verzerrt

sind. Ein Problem, was da sehr oft genannt wird, ist eben oder was in der Öffentlichkeit viel besprochen wird, ist immer diese Gleichsetzung von dem Vergleich zu ziehen zwischen der Kriminalitätsbelastung in der PKS und dem Anteil von zugewanderten Menschen an der Wohnbevölkerung.

Und das ist eine Sache, die man mit der PKS, das sagt sie sogar selber an verschiedenen Stellen nicht machen kann, weil einfach ist so ist, dass dort viele Taten von Menschen mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit erfasst werden, die zugleich nicht in Deutschland wohnhaft gemeldet sind. Das heißt, wir haben viele Straftaten von Touristen, von Pendlern, von Stationierungskräften, von staatenlosen Menschen.

All diese Daten gehen in die Statistik ein, aber die Menschen sind zugleich ja nicht gemeldet, logischerweise in der Wohnbevölkerung. Und wenn man quasi diesen Vergleich aber setzt, ist es von vornherein so. Es geht gar nicht anders, dass quasi Nichtdeutsche stärker belastet sind, auf den ersten Blick zumindest als deutscher Staatsbürger. Das ist ein Punkt. Ein anderer Punkt, der eben auch wichtig ist, ist die Frage Was sind das für Menschen, über die wir

sprechen? Und das firmiert dann alles unter dem Schlagwort Nichtdeutsche. In Wahrheit ist es aber so, dass es ein extrem heterogenes Feld ist, sowohl von der Altersstruktur als auch von der Herkunft als auch von den Taten, über die wir sprechen. Und diese Differenzierung, die da nötig wäre, sich das also tatsächlich im Kleinklein anzugucken, die wird dann häufig in der Öffentlichkeit gar nicht

vorgenommen. Das ist ein Problem, weil wir dann automatisch im Bereich von Populismus und von Stereotypen landen.

Ulf Buermeyer

Jetzt wird natürlich im politischen Raum auch ganz viel diskutiert, wie man reagieren soll auf diesen vermeintlich problematisch hohen Anteil von Straftaten von Menschen ohne deutschen Pass. Auf der anderen Seite, wenn man sich das mal genauer anschaut, das Problem dann ist ja Grenzen zumachen oder so oder generell weniger Migration, kein realistischer Weg. Was schlagen Sie denn vor, um mit Menschen mit Migrationshintergrund so umzugehen, dass sie möglichst keine Straftaten begehen.

Martin Thüne

Ein ganz zentraler und grundsätzlicher Punkt: Ich würde erst mal empfehlen, überhaupt nicht die PKS als Diskussionsgrundlage zu nehmen für diese Fragen, die da aufgeworfen sind, die ohne Frage wichtig sind, aber die PKS ist keine hinreichende Grundlage, um diese Debatte damit zu führen, sondern da brauchen wir andere Daten. Die haben wir ja auch aus der Migrationsforschung beispielsweise.

Oder auch, wenn wir uns um Kriminalität jetzt bemühen und das anschauen aus der Dunkelfeld Forschung, aus speziellen Untersuchungen auch zum Thema Migration und Kriminalität. Diese Untersuchung haben wir ja, die haben wir seit Jahrzehnten im In und Ausland und das wären geeignetere Grundlagen, die dann auch ein sehr viel realistischeres Bild liefern als die Täter.

Das ist Punkt 1. Punkt 2 ist an Maßnahmen, politischen Maßnahmen ist es ebenfalls so, dass wir aus der Forschung über viele Jahre und Jahrzehnte wissen, dass die beste Kriminalpolitik tatsächlich auch eine gute Sozialpolitik voraussetzt, was die Grundlage dafür ist.

Das heißt, wir müssen wegkommen von den sehr aktionistisch, wie wir das auch jetzt wieder sehen, Rufen nach noch mehr Repression, nach höheren Strafen, nach dem Absenken von Strafmündigkeit, Grenzen nach der Einführung von rein repressiven Instrumenten, mehr Polizei, mehr Videoüberwachung, sondern wir müssen hinkommen, tatsächlich sozialpolitische Maßnahmen stärker in den Fokus zu setzen. Denn das, was man dort an Zeit, Kraft und Geld investiert, rechnet sich mittel bis langfristig.

Das wissen wir aus vielen Erhebungen. Das ist auch etwas, wo ganz viele Menschen sagen, auch an Diskussionsrunden, auch Politikerinnen, Politiker. Ja, das ist logisch und das machen wir. Aber wenn man dann sich das mal anschaut, tatsächlich, was wird denn verhandelt, Welche Maßnahmen? Dann ist es Realität leider nicht so, das ist häufig sehr aktionistisch und eher repressiv.

Und das Problem daran ist, dass diese vielleicht ja sogar gut gemeinten repressiven Maßnahmen die Probleme am Ende entweder gar nicht zu lösen vermögen oder sogar die Probleme noch verschärfen. Das heißt, man kann mit den falschen repressiven Maßnahmen diese Konflikte noch anheizen, Probleme verstärken und auch bestimmte Formen von Kriminalität durchaus weiter anheizen.

Philip Banse

Mal ein Beispiel?

Martin Thüne

Na ja, je mehr man Menschen ausgrenzt und abschottet, auch von gesellschaftlichen Teilhabeprozessen durch Kontrollmaßnahmen, Ausgrenzung von Teilhabe, von Arbeit usw, desto mehr drängt man diese Menschen ja ins gesellschaftliche Aus sozusagen.

Und das sind natürlich ganz klare klassische Grundlagen, die wir kennen, die dafür sorgen, dass Menschen sich dann auch deviant oder sogar delinquent am Ende verhalten, weil sie über andere legale Mittel, von denen sie möglicherweise abgeschnitten werden, mittelbar oder unmittelbar dann die gesellschaftlichen Ziele nicht erreichen können, das heißt zu einem gewissen Wohlstand kommen können.

Und wenn das nicht möglich ist, dann gibt es eben eine Teilgruppe von Menschen, die sich diese gesellschaftlich durchaus geteilten Ziele dann trotzdem vor Augen hält und die auf andere Wege zu erreichen versucht, nämlich über Kriminalität.

Ulf Buermeyer

Und wenn wir jetzt mal konkret fragen Welche bisherigen Modalitäten des Umgangs mit Menschen mit Migrationshintergrund finden Sie besonders problematisch?

Martin Thüne

Ich finde jetzt ja aktuell zum Beispiel problematisch, dass wir so eine schlechte Datengrundlage wie die PKS nehmen, um über die Nichtdeutschen, über die Ausländer sofort zu sprechen und Obergrenzen für Zuwanderung zu benutzen. Weil das ist ja schon der erste Schritt. Das heißt, schon der Diskurs geht schon einher mit einer Abwertung, mit einer abwertenden Kommunikation mit auch letzten Endes muss man sagen Rassismus und damit fängt das natürlich an. Und das setzt sich dann fort.

Und wenn daraufhin jetzt politische Maßnahmen, auch polizeiliche Maßnahmen eingeleitet werden, das heißt mehr Kontrollen, Stichwort möglicherweise auch Racial Profiling, Migration zurückdrängen, Grenzkontrollen verschärfen, Arbeitsbefugnisse noch genauer kontrollieren, dann sind das natürlich alles Maßnahmen, die rein repressiv sind und die Menschen ganz konkret vor den Kopf stoßen und die insgesamt dem Klima nicht gut tun, aber auch dem dem Individuum

nicht gut tun. Und das sorgt nicht dafür, dass sich Menschen auch sozusagen legal bewerben können auf lange Zeit.

Philip Banse

Genau. Aber wenn das nicht die Maßnahmen sind und wir trotzdem feststellen Ja, Leute ohne deutschen Pass, Migranten, die hierhergekommen sind, haben vielleicht keinen überdurchschnittlich überproportionalen hohen Anteil an Kriminalität, aber natürlich werden auch Migranten und Migrantinnen kriminell. Was wären denn dann bessere Maßnahmen?

Martin Thüne

Ja, sozialarbeiterische Maßnahmen beispielsweise. Wobei man zunächst noch mal dazusagen natürlich, es ist auch schwierig. Man sollte sicherlich jetzt nicht das eine völlig gegen das andere ausspielen. Ich habe jetzt stark den Fokus darauf gelegt, um die Repression zu kritisieren oder zu verteufeln. Ganz so ist es natürlich auch nicht.

Also das ist sicherlich ein Blumenstrauß an Maßnahmen und natürlich können auch und müssen auch ganz klar, wenn es zum Beispiel Schwerpunktbereiche gibt, bestimmte Kriminalitätsformen, auch die Straßenkriminalität, die die Menschen verunsichern und die, die ja tatsächlich da sein, soll man natürlich nicht wegdiskutieren. Und hier können dann auch lokal und für einen gewissen Zeitraum können natürlich auch repressive Maßnahmen tatsächlich angezeigt sein und auch eine gewisse Wirkung

entfalten. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber quasi immer nur das Setzen auf diese Maßnahme oder den Schwerpunkt legen ist eher falsch.

Das heißt, was sollte man eher tun oder zumindest stärker mit berücksichtigen als bis dato vielleicht würde ich sagen, das sind eher diese sogenannten weichen Maßnahmen Bildungsmaßnahmen, Integrationsmaßnahmen, Sozialarbeit vor Ort mit den Menschen in Austausch kommen auch durchaus stärker in Austausch in die Kommunikation kommen mit Menschen, die straffällig geworden sind.

Das heißt auch da nicht nur einfach draufhauen, festnehmen, wegsperren, ich übertreibe jetzt mal ein bisschen, sondern schauen, was sind das für Problemlagen, in denen die Menschen dort sind? Warum werden sie kriminell möglicherweise oder warum sind sie auf dem Sprung dorthin? Und was kann man dagegen tun?

Ulf Buermeyer

Welche Rolle spielt in ganz konkret der Faktor Arbeit bei der Delinquenz?

Martin Thüne

Das ist ein Faktor von mehreren. Wir wissen natürlich, dass Kriminalität genauso wie menschliches Handeln insgesamt kann man nicht mit einer einzigen Maßnahme erklären und bei Kriminalität eben auch. Das heißt, man kann nicht sagen Mensch, der Arbeit hat, wird nicht kriminell. Das ist sicherlich auch von zahlreichen Fällen, dass das nicht der Fall ist. Aber es ist natürlich ein wichtiger

Faktor. Natürlich, mit Arbeit gehen verschiedene Dinge einher, das heißt schlicht und ergreifend einer Art der Beschäftigung, natürlich also auch der zeitlichen Beschäftigung, aber auch der individuellen Beschäftigung, aber auch natürlich Einkommen, was ganz wichtig ist. Wir tangieren ja hier sehr viele Themen, auch beispielsweise die Schere, arm und Reich usw. Mindesteinkommen zu fragen.

Das heißt, wenn Menschen sehr, sehr wenig Einkommen haben, dann sind wir wieder bei dem Punkt, dass dann klassische Kriminalitätstheorien, wenn sie quasi über sehr, sehr wenige Mittel verfügen, um bestimmte Dinge zu erreichen, um auch gesellschaftliche Ziele zu erreichen, wie Wohlstand, Eigentum, Unabhängigkeit, dann ist das natürlich ein Problem. Dann gibt es quasi den Konflikt zwischen diesen Zielen und den Mitteln, die ich habe.

Das heißt, wir müssten hier auch sehen ganz gezielt, dass wir die Menschen schnell in Arbeit bringen, dass wir sie dabei unterstützen und eben nicht den Menschen noch Steine in den Weg legen oder solche Verfahren über Monate und Jahre, wie wir das ja kennen, hinauszögern, weil das verschärft eben diesen Druck quasi auf diese Menschen. Und dann braucht man sich nicht wundern, ohne das jetzt zu

entschuldigen. Aber wir wissen es eben aus der Forschung, dass Menschen dann auch beispielsweise Eigentumskriminalität, der Eigentumskriminalität nachgehen. Und das ist ja auch ein Deliktfeld, was jetzt aktuell Stichwort PKS Veröffentlichung sehr stark besprochen wird, aber eben auch eher wieder mit repressiven Instrumentarien, die da jetzt debattiert werden und weniger Stichwort Arbeitsintegration.

Philip Banse

Jetzt haben Sie auf die Mängel der Polizeilichen Kriminalstatistik hingewiesen. Es sind zum einen natürlich nur Anzeigen. Man weiß nicht, was aus den Leuten vor Gericht wirklich geworden ist aus den Fällen. Sie haben auf diese Verzerrungen hingewiesen, die dadurch entstehen, dass es doch Gruppen gebildet werden, die in sich genommen schon sehr heterogen sind. Trotzdem entzündet sich an dieser PKS ja jedes Jahr wieder eine ähnliche oder eigentlich gleiche Debatte.

Jetzt sagen Sie auch an anderer Stelle: Man sollte darüber nachdenken, diese polizeiliche Kriminalstatistik ganz zu streichen. Durch was müsste sie besser ersetzt werden, damit wir eine bessere Grundlage haben, um über Kriminalität und dann vielleicht auch Kriminalität und Migration nachzudenken und zu reden?

Martin Thüne

Genau. Stichwort Grundlage: Wir brauchen Grundlagen. Ich plädiere nicht dafür, quasi jegliche statistische Erfassung auch der Polizei und auch nicht von Kriminalität abzuschaffen. Darum geht es nicht, sondern ich bin der Meinung, dass die PKS, wie sie jetzt ist und wie sie sich entwickelt hat, systematische strukturelle Probleme hat, die sich auch nicht so einfach überwinden lassen nach diesen vielen Jahrzehnten, die sie jetzt schon

besteht. Und ich finde, dass man den Mut haben sollte, sich mal hinzusetzen und zu überlegen, ob man ein neues System etabliert. Und das ist etwas, was auch zugegebenermaßen auch nicht neu ist. Dazu gab es auch schon mehrfach Arbeitsgruppen, auch von Bundesregierungen schon initiiert, die auch Vorschläge gemacht haben, die dann aber leider häufig aus unterschiedlichen Gründen im Sande verlaufen sind.

Und ein Vorschlag wäre beispielsweise meinerseits zu sagen, wir verzichten auf die reine Veröffentlichung und auch auf diese Art von Schauspiel muss man ja sagen, dieses jährliche Schauspiel der PKS Veröffentlichung in dieser Form, sondern wenn Kriminalitätsdaten und Forschungserkenntnisse veröffentlicht werden, dann immer Hellfeld Statistiken, behördliche Statistiken gemeinsam, also quasi untrennbar zusammen mit weiteren Datenquellen wie Dunkelfeldforschung beispielsweise,

das heißt wissenschaftliche Erkenntnisse zu den einzelnen Kriminalitätsphänomen, die haben wir in Teilen, das heißt, man könnte das jetzt schon angehen und machen. Allerdings muss man auf der anderen Seite sagen, sind wir in Deutschland auch nicht so gut aufgestellt wie andere Nationen in Europa oder auch in den USA. Das heißt, wir müssten in dem Zuge auch überlegen, diese Dunkelfeldforschung stärker noch zu systematisieren, zu institutionalisieren.

Meine Vorstellung wäre, das quasi regelhaft zu machen. Das heißt nicht alle fünf oder zehn Jahre mal, wie es bei diesem sogenannten periodischen Sicherheitsberichten der Fall war, sondern quasi jährlich und dies dann eben zu verquicken mit den polizeilichen Daten. Das ist ein Punkt.

Ein zweiter Punkt wäre Ich finde auch den Begriff der polizeilichen Kriminalstatistik schon ungünstig, denn ich würde mal sagen, der Begriff gerade gegenüber Menschen, die sich jetzt nicht ständig damit befassen, suggeriert, dass Kriminalstatistik, dieser Begriff, es geht irgendwie um das Abbild der Kriminalität in Deutschland. Und das ist aber überhaupt nicht der

Fall. Also es ist zum einen nur das Hellfeld und das ist in Teilen sehr, sehr klein und da ist das Dunkelfeld bei manchen Delikten um 80 90 % höher als das, was in dieser Statistik steht. Das heißt, sie gibt ein verzerrtes Bild wieder. Aber es sind dort auch nicht alle Straftaten drin. Längst nicht alle, die die Polizei erfasst. Das sind zum Beispiel keine politisch motivierten Straftaten in dieser klassischen PKS. Es sind bestimmte Verkehrsdelikte nicht mit drin.

Es sind auch alle Sachen nicht mit drin, die den Polizeibereich der Gefahrenabwehr erledigt und dort auch Akten anlegt. Das heißt, ich finde, dieser Begriff Kriminalstatistik ist eigentlich zu groß, weckt Erwartungen, die die Statistik gar nicht erfüllt. Und deshalb würde ich dafür plädieren, solange man die jetzt noch so momentan beibehält, dass umzubenennen beispielsweise polizeiliche Arbeitsstatistik. Und ein dritter Punkt wäre noch Verlaufsstatistik ist noch das

Stichwort. Das heißt, wir haben jetzt das Problem, wir haben verschiedene Kriminalstatistiken. Der Polizei hat nicht nur eine, wir haben Statistiken der Staatsanwaltschaften, haben Statistiken der Gerichte und des Strafvollzugs und wir können quasi den Verlauf der einzelnen Verfahren überhaupt nicht nachvollziehen.

Auch dort gibt es schon lange die Forderung, sogenannte Verlaufsstatistik einzuführen, das heißt mit einer Art Identnummer oder einem durchgehenden Aktenzeichen von Aufnahme des Sachverhalts, bis dann der ganze Erledigungsweg beschritten ist und dass man das sozusagen besser nachvollziehen kann, als es jetzt der Fall ist.

Ulf Buermeyer

Ja, ganz herzlichen Dank, dass wir im Gespräch mit der Lage Nation Martin Thüne. Er ist Dozent an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung von Schleswig Holstein und dort im Fachbereich Polizei tätig in der Ausbildung von jungen Polizistinnen und Polizisten. Ganz herzlichen Dank.

Martin Thüne

Danke.

Ulf Buermeyer

Also was mir eben beim Interview durch den Kopf ging, ist dieser Vergleich der polizeilichen Kriminalstatistik mit dem, was Geheimdienste als Intelligence bezeichnen. Da gab es ja auch hin und wieder gerade in den USA große Debatten. Ja, da fällt dann aus dem Geheimdienst irgendwas raus und es gibt eine eine riesen Debatte.

Philip Banse

Ja, oder jetzt akut die Vorwürfe gegen AfD Abgeordnete, Geld bekommen zu haben von dieser russischen Desinformationsplattform Voice of Europe. Ist genau dasselbe Problem. Richtig. Ist dasselbe Problem. Da gibt es ein Geheimdienst, der hat Informationen, er hat irgendwas mitgeschnitten, der ist zögerlich, das zu veröffentlichen. Das sind Geheimdienste häufig.

Für die Öffentlichkeit, manchmal nicht ganz nachvollziehbar, aber ich finde, es gibt sehr, sehr gute Gründe, warum bestimmte Informationen, die Geheimdienste einsammeln, nicht einfach so veröffentlicht werden. Das sind zum Beispiel Aussagen, Informationen von irgendwelchen Informanten. Da kommen die dann zum Geheimdienst und sagen Du, ich war da und da und ich hab gehört, das und das, dem solltet ihr mal nachgehen.

Das veröffentlichen Geheimdienste in aller Regel nicht, weil sie sagen na ja, das ist halt ein Informant, der mag ganz okay sein, aber das können wir nicht einfach für bare Münze nehmen. Wir brauchen den Kontext, wir brauchen mehr Quellen. Wir brauchen weitere Einschätzungen, um dieses Fragment zu einer wirklichen Information und belastbar zu machen. Und mir scheint das hier mit dieser polizeilichen Kriminalstatistik ähnlich zu sein. Das ist ein wichtiges Puzzlestück.

Das ist die Zahl der Anzeigen, die zu bestimmten Delikten eingegangen sind und die registriert wurden. Und wenn man sich Gedanken darüber macht, wie sieht es denn aus mit der Kriminalität in Deutschland? Wer begeht die? Vor allen Dingen aber was sind die Ursachen? Was sind wirksame Strategien dagegen? Dann kann das nicht das einzige Element sein, was wir ganz groß ins Schaufenster hängen und daran diese ganzen Debatten aufziehen, sondern das ist ja das auch, was Thüne sagt.

Wir brauchen da mehr Studien, wir brauchen mehr Kontext, wir brauchen andere Quellen zum selben Thema, die das Ganze zu einem runden, belastbaren und der Realität wirklich auch nahe stehenden Bild formen. Und so wie das hier präsentiert wird, erinnert mich das einfach

daran. Wir haben ja einfach, das ist total verzerrt, das hat ganz viel Bios, das hat ganz viel Einschränkungen, man muss ganz viel erklären und trotzdem wird es so reingesteigert hier, das ist das Lagebild, so sieht es aus mit der Kriminalität in Deutschland.

Ulf Buermeyer

Und das ist schlicht irreführend. Und dieser Effekt wird ja auch dadurch noch mal verstärkt, dass dann natürlich die Polizeiliche Kriminalstatistik vorher geleakt wird. Dieses Mal zum Beispiel war es, glaube ich, die Welt zuerst darüber berichtet hat. Natürlich berichtet eine sehr rechte Zeitung wie die Welt mit einem bestimmten Spin.

Natürlich wird es wieder zum Ausgangspunkt einer Migrationsdiskussion gemacht, weil der Eindruck erweckt wird, auch durch die problematische Berichterstattung der Welt, als hätten wir jetzt vor allem ein Problem mit Krimitalität nichtdeutscher Menschen. Und darauf hat ja Martin Thüne jetzt eben schon hingewiesen.

Der Pass als solcher ist halt überhaupt kein aussagekräftiges Kriterium, sondern die polizeiliche Kriminalstatistik oder generell Kriminalstatistik ist ja nur dann aussagekräftig, wenn sie tatsächlich etwas aussagt darüber, was sind die Gründe, wieso Menschen eigentlich kriminell werden? Der Pass ist aber dafür gerade kein aussagekräftiges Merkmal. Die Lebenssituation wäre wäre ein relevantes Merkmal. Man könnte zum Beispiel das Haushaltseinkommen erheben.

Das wäre eine relevante Größe, weil natürlich Menschen, die weniger Geld haben, das hat er ja eben auch gesagt, eher dazu neigen, Eigentums- oder Vermögensdelikte zu begehen. Das wären sinnvolle Aussagen, während die Erhebung der Staatsangehörigkeit ehrlich gesagt extrem problematisch ist. Mit der Kriminalität hat sie nichts zu tun. Aber selbstverständlich lässt sie sich wunderbar instrumentalisieren für rassistische Debatten. Genau das sehen wir natürlich auch von der AfD.

Wir ersparen euch da jetzt die O Töne, aber da geht es natürlich auch in den sozialen Medien richtig zur Sache. Und deswegen wäre meine konkrete politische Forderung, die Erhebung der Staatsangehörigkeit schlicht abzuschaffen, weil sie über Kriminalität nichts aussagt, weil sie aber sich wunderbar eignet für letztlich irreführende Debatten. Und die wiederum tragen da nichts dazu bei, tatsächlich etwas zu tun gegen Kriminalität.

Im Gegenteil, die Konzentration auf die Staatsangehörigkeit vernebelt eher die tatsächlichen Gründe, die Menschen kriminell werden lassen.

Philip Banse

Stellt euch mal folgendes vor Ihr lebt in einer Partnerschaft, in diesem Falle, ihr werdet merken warum, heterosexuell. Ihr seid aber nicht verheiratet. Einfach eine schöne Partnerschaft. Ihr liebt euch. Ihr bekommt auch ein gemeinsames Kind. Ihr wohnt zusammen. Versäumt aber, die Anerkennung der Vaterschaft durch den Vater des Kindes wirklich umzusetzen.

Ulf Buermeyer

Also da muss man ja nicht viel machen. Er muss eigentlich nur zum Jugendamt zum Beispiel gehen. So eine Anerkenntnis aber passiert doch immer wieder, dass das nicht passiert ist, ein grober Fehler, sei mal bei dieser Gelegenheit mal gesagt, sollte man in guten Zeiten noch machen.

Philip Banse

Bei einer Hochzeit ist das automatisch der Fall. Aber wenn man eben nicht verheiratet ist, dann muss man diesen Akt einmal machen. Das vergesst ihr, aber es gibt keine Notwendigkeit. Erst mal also alles wie gehabt.

Ulf Buermeyer

Aber irgendwann trennt ihr euch. Und dann möchte der leibliche Vater, der dann vielleicht mit der Mutter nicht mehr zusammenlebt, seine Vaterschaft auch offiziell anerkennen. Er will einfach weiter für sein Kind da sein, sich mit dem Kind treffen. Ja, aber die Mutter macht da nicht mehr mit, denn sie hat inzwischen einen neuen Partner.

Philip Banse

Und zwischen diesem neuen Partner, der Mutter und auch dem Kind gibt es eine Beziehung. Das ist einfach eine neue Familie. Und der neue Partner der Mutter erkennt nun also schnell mit der Zustimmung der Mutter die Vaterschaft an.

Ulf Buermeyer

Obwohl er natürlich biologisch nicht der Vater ist. Aber er ist dann der rechtliche Vater und der biologische Vater hatte vielleicht nach der Trennung auch erst mal noch ganz normal Kontakt zu dem Kind, aber irgendwann will die Mutter das nicht mehr. Und dann ficht der biologische Vater des Kindes die rechtliche Vaterschaft des neuen Lovers der Mutter an und er verliert durch alle Instanzen. Er sagt, er ficht die Vaterschaft an, nicht das ist der Vater.

Ich bin der Vater, ich habe das Kind gezeugt, und ich habe mit diesem Kind auch jahrelang zusammengelebt. Ich bin doch der Vater. Nein, die Gerichte sagen, bist du nicht.

Philip Banse

Das ist heute geltendes Recht. Ich bin Vater. Ich bin zweimal Vater. Für mich ist das eine absolute Horrorvorstellung. Du kriegst ein Kind, du hast eine Beziehung zu deinem Kind. Und irgendwann passiert, trennst du dich. Die Beziehung zu der Mutter ist halt kaputt, also trennt man sich. Und dann kannst du dein Kind nur sehen, wenn deine Ex es dir gestattet.

Ulf Buermeyer

Weil formal bist du ein fremder Mann. Dass mit deinem Kind rechtlich nichts mehr zu tun, das ist die geltende Rechtslage.

Philip Banse

Das kann aber auch nicht im Sinne des Kindes sein. Also für mich als Vater ist das die Horrorvorstellung, aber im Sinne des Kindes kann das auch nicht sein. Das heißt ja nicht, dass das Kind nicht zu dem neuen Partner eine Beziehung hat und den auch sieht. Aber zu mir gibt es immer auch eine Beziehung als Vater und das muss man schon irgendwie regeln.

Und ich finde es als Vater wirklich eine unmenschliche Vorstellung, wenn die Mutter einfach sagen kann ja, mag ja sein, unsere Beziehung ist im Eimer, wir haben da ein Kind oder wir haben zwei Kinder. Kann auch sein und du bist raus. Du bist einfach nichts besseres als ein Eisverkäufer auf der Straße, der irgendwas von meinem Kind will.

Ulf Buermeyer

Das ist die Rechtslage. Man kann sagen gewesen, denn das Bundesverfassungsgericht hat einen Fall, der so abgelaufen war, wie wir es gerade skizziert haben, entschieden. Und nun muss das geltende Recht geändert werden. Es ist vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden, allerdings nicht für nichtig. Es gilt jetzt erst mal fort, muss aber bis zum 30. Juni 2025, also quasi bis, wenn man so will, zum Ende der Ampelkoalition, jetzt im Eiltempo geändert werden.

Philip Banse

Und der Grund für diesen, wie ich das so genannt habe, für diesen Horror, für diese aktuell noch geltende Rechtslage war und ist Paragraf 1600 Absatz zwei des Bürgerlichen Gesetzbuches. Und danach kann der biologische Vater die Vaterschaft eines anderen Mannes nur dann anfechten, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind es keine sozial familiäre Beziehung gibt. Also wenn jetzt der neue Partner der Mutter des Kindes, meiner Ex keine wirkliche Beziehung zu meinem leiblichen Kind hat.

Ulf Buermeyer

Aber der zu entscheidende Fall, und das ist ja auch praktisch sehr häufig der Fall ist die Mutter hat einen neuen Partner, der hat die Vaterschaft anerkannt. Dann sperrt quasi diese Beziehung zwischen dem Kind und seinem sozialen Vater, dem neuen Lover der Mutter, sperrt die Anfechtung durch den biologischen Vater.

Philip Banse

Und was kann der biologische Vater machen? Gar nichts.

Ulf Buermeyer

Keine Chance. Der hat bisher nach alter Rechtslage keine Chance. Selbst dann nicht, wenn er eine sozial familiäre Beziehung zu dem Kind hat. Selbst dann nicht, wenn er eine Beziehung hatte, die gegen seinen Willen gekappt wurde. Und wenn er sich immer um Kontakt zu seinem Kind bemüht hat.

Philip Banse

Und wenn der, wenn der neue Partner der Mutter zu dem Kind keine sozial familiäre Beziehung hat, das istd die einzige Lücke.

Ulf Buermeyer

Die einzige Lücke ist, wenn jetzt also hypoethetisch es da einen Vater gäbe, der die Vaterschaft anerkannt hat, also einen nicht biologischen Vater, der die Vaterschaft anerkannt hat, der aber mit dem Kind gar nicht zusammenlebt, Also keine Ahnung. Extremfall, die Frau hätte jetzt ihren Bruder gebeten, erkenn noch mal die Vaterschaft an. Also quasi um nur so eine Sperrvaterschaft einzuführen. Aber dieser rechtliche Vater lebt mit dem Kind nicht zusammen.

Das wäre jetzt keine Sperre, denn wie gesagt, es geht um die bestehende sozial familiäre Beziehung des neuen Partners, der Mutter, der die Vaterschaft anerkannt hat zu dem Kind.

Philip Banse

Also das heißt, hier wird ein quasi ein ich will nicht sagen den Standardfall aber schon ein ganz häufiger Fall beschrieben: Trennung, Kind, gemeinsam, neue Familie mit einem neuen Partner. Der ist aber nicht der leibliche Vater. Aber leben halt in einem Haushalt, haben eine gemeinsame Beziehung, ist eine runde Sache. Da hat der leibliche Vater nach heutigem Stand keine Möglichkeit reinzukommen. Erst wenn die Mutter das so beschließt. Ein fremder Mann.

Ulf Buermeyer

Und vor allem bedeutet das ja auch das Kind verliert seinen biologischen Vater. Das muss man sich eben überlegen. Also das hat ja immer zwei Seiten und deswegen haben wir diese diesen Blog jetzt auch genannt "Stärkt die Rechte von Vätern und Kindern", weil es ja auch um die Kinder geht, die ihren biologischen Vater nach bisherigem Recht verloren haben, wenn die Mutter das so wollte.

Nun aber, das hat das Bundesverfassungsgericht nun eben nicht mehr mitgemacht, denn das Grundgesetz kennt in Artikel sechs, Absatz zwei auch ein Elterngrundrecht. Und die bisherige Rechtslage, so wie wir sie eben skizziert haben, verstößt gegen das Elterngrundrecht des biologischen Vaters. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Zwar sagt das Grundgesetz nicht genau, wer Eltern im Sinne von Artikel sechs, Absatz zwei des Grundgesetzes

sind. Das heißt, das muss im Detail der Gesetzgeber regeln, wer als Eltern gilt, über Anerkennung zum Beispiel oder über Anfechtung von Elternschaft. Aber jedenfalls die leiblichen Eltern sind immer Eltern, auch im Sinne des Grundgesetzes. Und wer sind die leiblichen Eltern? Das ist zum einen die Mutter. Klar, hat das Kind geboren. Schon die Römer wussten mater semper certa, also die Mutter steht immer fest, auch in Zeiten von Leihmutterschaft auch ein bisschen wacklig, aber im Grundsatz

ja. Und dann eben der der zweite leibliche Elternteil, nach dem Bundesverfassungsgericht ist der Mann, mit dem die Mutter Geschlechtsverkehr hatte und der genetischer Vater des Kindes ist.

Philip Banse

Richtig. Damit sind zum Beispiel Samenspender einfach raus, zum Beispiel. Und wer Vater im Sinne des Grundgesetzes ist, der muss zumindest eine Chance haben, auch rechtlicher Vater dieses Kindes zu werden.

Ulf Buermeyer

Und damit kann es aber zu einem Konflikt kommen zwischen dem rechtlichen und dem biologischen Vater. Jedenfalls sofern und solange es rechtlich nur quasi zwei Elternrollen geben kann. Also immer zwei Eltern, Mutter, Vater oder Mutter, Mutter oder so, aber jedenfalls nur zwei. Solange das Reise nach Jerusalem quasi, solange es nur zwei Stühle gibt, so lange kann es natürlich Konflikte geben. Wenn es eine Mutter gibt und einen rechtlichen oder einen biologischen

Vater. Und das Bundesverfassungsgericht spielt an dieser Stelle allerdings den Ball an den Gesetzgeber, denn es hat seine Rechtssprechung geändert. Und dieser jahrzehntelange Grundsatz, es gibt nur zwei Elternplätze, der ist gefallen.

Philip Banse

Denn der Gesetzgeber hat jetzt zwei Möglichkeiten zu reagieren. Die eine Option ist: Es bleibt wie heute bei maximal zwei rechtlichen Eltern, so wie heute Option zwei ist. Aber der Gesetzgeber ändert die Rechtslage so, dass in Zukunft auch drei Menschen Eltern werden können.

Ulf Buermeyer

Gucken wir uns zunächst mal die Option eins an, wenn es weiterhin nur zwei Eltern Stellen gibt. Das würde bedeuten, dass wie bisher eine rechtliche Entscheidung zwischen zwei möglichen Vätern zu treffen wäre. Wie gesagt, im Prinzip wie heute. Nur bisher gab eben das Recht quasi der neuen Familie der Mutter den Vorzug. Wenn der neue Partner die Vaterschaft anerkennt, dann bleibt er nach bisheriger Rechtslage der rechtliche Vater. Der kann auch der biologische Vater nichts machen.

Das Argument war, das müssen wir zumindest auch mal erwähnen, warum man auf diese, wie du das formuliert hast, ziemlich unmenschliche Rechtslage gekommen ist. Das Argument war das Kindeswohl. Also es ging darum, quasi die neue Familie zu schützen. Also diese Verbindung zwischen der Mutter, ihrem neuen Partner und dem Kind sollte geschützt werden vor dem Einfluss des biologischen Vaters.

Da kann man sich natürlich schon die Frage stellen: Muss denn überhaupt so eine neue Familie vor dem biologischen Vater geschützt werden? Denn und so stellen wir uns mal vor, die Eltern wären verheiratet gewesen, dann ist ja der typische Fall, dass beide auch automatisch Eltern sind. Steht sogar im Gesetz. Also der Mann, der mit der Mutter verheiratet ist, gilt automatisch rechtlich als Vater. Die Fälle gibt es ja auch reihenweise, dass sich verheiratete

Menschen trennen. Und dann, wenn dann die Frau einen neuen Partner hat, ist er zwar nicht Vater, aber trotzdem lebt sie halt ja mit dem neuen Partner zusammen. Und dann gibt es eben noch den Ex Mann/Vater des Kindes, der eben auch mit dem Kind eine Beziehung hat. Deswegen habe ich nie so ganz verstanden, warum das ein Argument sein soll, nur weil die Eltern des Kindes nicht verheiratet waren.

Das in dem einen Fall mit einmal diese neue Familie der Mutter so hochgehalten wird, während ja bei früher verheirateten Eltern das überhaupt keine Rolle gespielt hat.

Philip Banse

Und ich finde auch einen Hinweis darauf, welche Bedeutung für Kinder der leibliche Vater hat, ist auch diese ganze Debatte eben zum Beispiel im Kontext Samenspende, die ja, auch wenn ich das so richtig verstanden habe, darauf hinausläuft oder immer weiter in die Richtung geht: Ja, auch Kinder, die durch einen eigentlich anonymen Samenspender gezeugt wurden, entwickeln irgendwann früher oder später das Bedürfnis, mal rauszufinden, wer ist denn eigentlich mein leiblicher Vater?

Ulf Buermeyer

Ja, genau das. Also da gibt es ja reichlich psychologische Studien, wie wichtig so die Kenntnis der eigenen Abstammung ist für das seelische Wohlbefinden. Das heißt, diese bisherige Rechtslage, dass der biologische Vater quasi rausgekegelt wurde und es dann den neuen Partner der Mutter gab, der die Vaterschaft anerkannt hat und so. Diese Situation, die hatte im Grunde zwei Verlierer. Der biologische Vater konnte von seinem Kind getrennt werden.

Und vielleicht noch gravierender, das Kind verlor seinen bisherigen, immerhin ja auch biologischen Vater, mit dem es in vielen Fällen ja auch, jedenfalls ursprünglich mal eine familiäre Beziehung hatte.

Philip Banse

Wenn die Mutter das so wollte.

Ulf Buermeyer

Wenn die Mutter das so wollte. So, aber das geht nun so nicht mehr. Wenn es nach Entscheidung des Gesetzgebers in Zukunft bei dem Zwei Eltern Modell bleibt, dann dürften in Zukunft solche Konflikte eher zugunsten des biologischen Vaters ausgehen. Jedenfalls dann, wenn er schon eine Beziehung zum Kind hat oder sich jedenfalls konsequent drum bemüht hat. Also im Grunde werden diese Konstellation eher angenähert der Situation, dass die Eltern schon verheiratet waren.

Denn dann ist ja auch der Normalfall, dass der neue Partner der Mutter im sozialen Umgang so eine Vaterrolle hat, aber rechtlich nicht Vater ist. Also Fälle von nicht verheirateten Eltern werden jetzt in Zukunft rechtlich sich dem so ein bisschen annähern. Jedenfalls wenn der Gesetzgeber sich für das Zwei Eltern Modell entscheidet. Es gibt aber ja auch eine andere Option.

Philip Banse

Richtig. Und diese Option zwei haben wir oben schon skizziert. Die würde bedeuten, dass der Konflikt um die Vaterrolle, so wie wir es von heute aus betrachten, eigentlich weitgehend vermieden wird. Es gäbe dann die Mutter und zwei Väter einmal den biologischen und rechtlichen Vater und dann den neuen Partner der Mutter, der auch rechtlicher Vater dann sein könnte.

Ulf Buermeyer

Das klingt auf den ersten Blick mal einfacher. Dann gibt es diesen Konflikt um die Vaterrolle einfach nicht mehr. Kein Vater muss ausgeschlossen werden. Andererseits folgen natürlich aus dieser Rolle als Elternteil auch Rechte. Das heißt, es kann durchaus passieren, dass dann mehr Konflikte um Umgang, Unterhalt und Co entstehen. Aber ich meine, für das Kind ist es natürlich im Zweifel von Vorteil. Wenn es nämlich drei Elternteile hat, sind auch drei Personen grundsätzlich unterhaltspflichtig.

Also das ist also gerade aus der Perspektive des Kindes haben diese drei Elternteile enorme Vorteile. Kann sich natürlich auch zum Nachteil entwickeln, wenn denn es gibt ja Unterhaltspflichten auch in anderen Richtungen. Also wenn die Eltern zum Beispiel im Alter in Armut verfallen, dann hat man natürlich auch als Kind eine Unterhaltspflicht. Also man muss auch als Kind für seine Eltern da sein. Wenn man dann drei Eltern hat, kann das auch für das Kind im Extremfall mal nachteilig sein.

Aber wie gesagt, typischerweise wird ja Unterhalt er gezahlt, quasi von den Eltern an die Kinder. Das heißt im Regelfall dürften auch Kinder eher profitieren von dieser Dreier Lösung.

Philip Banse

Ja, und ich könnte mir auch vorstellen, dass diese potenziellen Konflikte, die bei so einer Dreierlösung auftauchen, eine Mutter, ein leiblicher rechtlicher Vater und ein rechtlicher Vater, der aber mit der Mutter zusammen ist, dass da natürlich auch Konflikte entstehen, ist klar, nur ich würde behaupten, die entstehen sowieso, auch wenn der neue Partner nicht der rechtliche Vater

ist. Also was weiß ich. Du bist verheiratet, trennt sich, Mutter hat neuen Partner, der Partner der neue darf natürlich rechtlich nicht mitreden bei OPs oder so, aber natürlich leben die alle zusammen. Natürlich bildet auch der neue Vater zu dieser Tochter der Mutter eine Beziehung. Natürlich entsteht da auch was Bindung und natürlich will man vielleicht auch mitreden.

Wenn dann aber der Exmann das nur entscheiden darf, ob eine OP stattfinden darf oder nicht, weil erst der rechtliche und leibliche Vater dann entsteht trotzdem Reibereien, entstehen trotzdem Konflikte, die man mit so einem drei Eltern Modell nicht komplett vermeiden, aber zumindest so regeln könnte, dass sie vielleicht besser gelöst werden kann.

Ulf Buermeyer

Also ich denke auch, Philip, dass du ganz, ganz zu Recht darauf hinweist, dass quasi die Konflikte aus den sozialen Rollen entstehen und weniger aus den rechtlichen Rollen. Gut, ich meine, klar, man muss natürlich sehen, wenn diese Rolle auch rechtlich verankert ist, dann kann man sie natürlich auch gerichtlich geltend machen. Aber ich denke auch, unterm Strich ist dieses Dreiermodell vermutlich die beste Reaktion des Gesetzgebers. Die drei Elternteile müssen dann

eben eine Lösung finden. Notfalls entscheiden das die Familiengerichte, so wie heute auch schon. Aber auf jeden Fall muss man sehen: Diese Frage liegt jetzt einfach auf dem Tisch des Gesetzgebers, insbesondere also auf dem Schreibtisch des Bundesjustizministers Marco Buschmann. Der könnte die Entscheidung und auch vielleicht diese Lösung des ganzen Problems auch aus der Perspektive mal betrachten, der sogenannten Regenbogenfamilien. Das hatten wir in der Lage der Nation auch schon häufiger.

Da hatten wir auch mal eine Expertin zu Gast Lucy Chebout, die sich mit diesem Thema häufig beschäftigt. Regenbogenfamilien betrifft die Situation zwei Frauen bekommen ein Kind. Dann ist natürlich eine Mutter klar. Natürlich die Frau, die das Kind geboren hat. Die andere Frau indes hat bisher große Probleme, Co Mutter zu werden. Das geht bislang im Prinzip nur über eine Adoption dieses Kindes der anderen Frau. Und das ist für die Frauen ein ziemlich entwürdigender Vorgang.

Ich habe das im Freundeskreis auch vor einiger Zeit mal mitbekommen. Das ist wirklich kein Spaß. Und da fragt man sich ja schon seit langem: Warum wird denn das eigentlich nicht liberalisiert? Wieso sträubt sich denn Marco Buschmann so dagegen, jetzt endlich diesen Regenbogenfamilien zu helfen?

Philip Banse

Also so richtig sagt das natürlich keiner. Aber aus dem Justizministerium, da hört man, dass man sich dort um die Rechte des Samenspenders sorgt. Wenn's denn also eine zweite Mutter gibt, dann konnte der Samenspender nicht mehr Vater werden, auch wenn er biologischer Vater ist und sich auch kümmern wollen würde.

Ulf Buermeyer

Weil ja nur quasi zwei Slots, zwei Plätze frei waren, wenn schon zwei Mütter, dann war der Samenspender quasi der Gekniffene.

Philip Banse

Also mit zwei Eltern gehen darf, dann gab es schon zwei Mütter. Genau und der Samenspender war damit de facto raus. Das würde sich natürlich erledigen, wenn es auch drei Elternteile geben könnte.

Ulf Buermeyer

Das Problem zwei Mütter und der Samenspender wäre vom Tisch, wenn es zukünftig drei Eltern geben könnte. Dann könnte der Gesetzgeber also endlich auch einen einfachen Weg für die zweite Frau regeln, Mutter zu werden, also diesen Regenbogenfamilien helfen. Und sollte sich dann nämlich der Samenspender doch noch melden, wäre quasi noch ein Platz frei. Ich will nicht kleinreden, Das ist natürlich eine ziemlich grundsätzliche Umgestaltung des Familienrechts.

Wenn man jetzt sagt, es gibt potenziell bis zu drei Elternrollen. Auf der anderen Seite scheint es mir doch eigentlich die Lösung zu sein, die unterm Strich Probleme eher vermeidet.

Philip Banse

Vor allen Dingen, weil das ja in meinen Augen nur eine rechtliche Anpassung an die ja in vielen Familien bestehende praktische Alltagslage.

Ulf Buermeyer

Die Lebensrealität.

Philip Banse

Es ist einfach so, wenn du dich trennst. Und natürlich gibt es immer Katastrophen und Leute, die sich daneben benehmen. Und so weiter und so fort. Aber wenn du dich trennst und dann hat die Mutter einen neuen Partner und der alte, der leibliche Vater, hat noch eine gute Beziehung zum Kind. Und der neue Partner hat auch eine gute Beziehung zum Kind. Und womöglich verstehen sich leiblicher Vater und neuer Partner auch noch ganz gut.

Dann ist das einfach so Lebensrealität, dass dieses Kind zwei Väter hat.

Ulf Buermeyer

Außerdem muss man ja mal sagen ich weiß nicht Philip, wie so deine Lebenserfahrung ist an der Stelle, aber ich habe schon häufig die Erfahrung gemacht, wenn man sich einigen muss, dann ist das häufig viel leichter, als wenn einer letzten Endes am Drücker ist und über den anderen bestimmen kann. Einfaches Beispiel: Nehmen wir die Lage der Nation. Ist ja nicht so, dass wir beiden nicht schon Konflikte gehabt hätten.

Wenn jetzt einer von uns der Boss wäre und einfach sagen könnte, so wird es gemacht, dann würden diese Konflikte letztlich nicht gelöst, sondern nur durch Macht an die Wand gespielt. Weil wir aber total auf Augenhöhe sind, müssen wir unsere Konflikte austragen. Und ich würde mal behaupten, das hat dazu geführt, dass die Lage auch emotional und so und so so stabil ist, weil wir halt einfach wissen, wir müssen uns irgendwie einigen und dann geht es halt auch.

Philip Banse

Und dann geht es auch. Genau. Ich glaube, der Punkt ist, diese Konflikte können nicht durch ein Machtwort sozusagen weggebügelt werden, unter den Teppich gekehrt werden und dann erst mal erledigt sein. Die fliegen dann natürlich hinterher wieder um die Ohren. Ich könnte mir das auch vorstellen, dass das natürlich bessere Regelungen sind. Die muss man natürlich finden, das ist keine Frage und du musst dich da auseinandersetzen.

Ich würde aber behaupten, für ein konstruktives, auch im Sinne des Kindes gutes Miteinander dieser drei Erwachsenen, die da eine Rolle spielen, muss man das eh machen.

Ulf Buermeyer

Muss man eh. Hilft ja nix. Notfalls gibt es da gibt es Mediatoren oder wenn alles wirklich richtig in die Luft fliegt, dann gibt es immer noch Familiengerichte. Aber ich glaube jedenfalls mit so einer quasi autoritären Regelung, die Mutter kegelt den den Vater raus, also den biologischen. Schwierig, sehr schwierig. Also fand ja auch das Bundesverfassungsgericht nicht überzeugend. Auf der anderen Seite ist es jetzt auch nicht unumstritten.

Philip Banse

Nein, ist nicht unumstritten. Und man fragt sich natürlich so ein bisschen wie konnte das bitte so lange Gesetz sein? Und wie könnte denn eine Kritik aussehen an dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts? Und diese Kritik formuliert Anna Katharina Mangold. Die ist Professorin, Juraprofessorin in Flensburg, und sie schreibt auf Twitter: "Ich bin der Auffassung, dass die Frau entscheiden können muss, wer Vater werden darf. Sie muss dann ja mit dem Typen das

Kind erziehen. Insgesamt ist das eine patriarchale Entscheidung par excellence, die einem Samenspender sach herrschaftsähnliche Zugriffsrechte auf Kind und Mutter einräumen." Also kommen wir zunächst zum Ersten: Ich bin ja Vater und ich erzieh mit meiner Frau und mit der Mutter gemeinsam das Kind. Dann gibt es eine Trennung, und ich bin für das Kind nicht mehr als ein fremder Mann. Ich habe keine Chance, dagegen was zu machen. Ich finde das unmenschlich. Ich kann das nicht anders sagen.

Und die Mutter soll entscheiden, wer Vater ist, würde ich sagen auf jeden Fall. Unbedingt soll sie das. Aber sie macht das ja auch. Sie geht mit dem Typen ins Bett, a) das ist das eine, wie reden nicht von Samenspender oder von anderen.

Ulf Buermeyer

Ne, sagt das Bundesverfassungsgericht ja auch sondern...

Philip Banse

Das ist die Entscheidung. Man geht zusammen ins Bett, man hat Sex, man bekommt ein gemeinsames Kind und man bekommt das Kind, treibt es also nicht ab. Gibt es ist ja auch eine Option.

Ulf Buermeyer

Also mit anderen Worten, die Frau hat sich zweimal für einen Mann entschieden letztlich.

Philip Banse

Würde ich sagen und wenn man dann merkt, das war der Falsche, das ist ja völlig legitim, es passiert ja jeden Tag dann. Muss man es ja eben zusammen mit diesem Mann erziehen. Das ist halt der Preis für diese Entscheidung und Ich finde, das geht ja auch andersherum. Wenn du mit der falschen Frau das Kind bekommst und dir das nicht scheißegal ist, dann musst du mit dieser Frau, mit deiner Ex dieses Kind irgendwie erziehen.

Ulf Buermeyer

Und du musst ja auch Unterhalt zahlen.

Philip Banse

Und das kommt auch noch dazu. Und dann sagt sie Samenspender bekommen sachherrschaftsähnliche Zugriffsrechte. Also ich sehe mich da nicht als Samenspender, sondern als Vater mit aller Verantwortung, mit aller Liebe, mit allen Emotionen. Und wenn die Mutter keine Beziehung mit mir mehr will? Fein. Aber wieso soll die Mutter dann ohne Grund sagen dürfen Du bist raus?

Es geht ja nicht um Fälle häuslicher Gewalt oder oder Missbrauch oder sonst irgendwas, sondern es geht um den ganz normalen Vater, mit dem sie ein Kind bekommen hat.

Ulf Buermeyer

Freiwillig wohlgemerkt.

Philip Banse

Freiwillig wohlgemerkt. Und klar, die Beziehung geht in die Brüche. Nicht schön, aber passiert. Aber warum soll die Mutter denn entscheiden dürfen? Du, Vater, du bist raus! Ja, ihr versteht euch ganz gut. Ja, Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen. Aber ich habe da neuen. Der ist das jetzt. Du bist raus. Also da fehlt mir das Verständnis.

Ulf Buermeyer

Tja, also, ich Wunder mich auch so ein bisschen wie man das so vertreten kann. Aber wie gesagt, wir wollten auch diese vielleicht sehr radikale Meinung einfach mal zu Wort kommen lassen.

Philip Banse

Unbedingt. Unbedingt, unbedingt. Und ich bin auch sehr gespannt, was da an Argumenten kommt, warum ich da vielleicht falsch liege oder, oder was ich da nicht sehe. Aber gerade auch, weil das Wort Samenspender ja fällt, die sind ja nun explizit ausgenommen. Das ist wirklich falsch! Um die geht es ja nicht. Die sind sowieso keine Väter im Sinne des Grundgesetzes, um die geht's nicht.

Ulf Buermeyer

Die können natürlich unter bestimmten Umständen usw auch Väter werden rechtlich aber jedenfalls von dieser Neudefinition der Eltern nach Artikel sechs, Absatz zwei des Grundgesetzes sind sie zunächst mal ausgenommen. Insofern um die geht es nicht. Das hat schon auch ein leicht diffamierenden Zug.

Philip Banse

Es geht um Väter, die Sex hatten mit der Mutter. Man hat ein gemeinsames Kind gekommen und haben eine soziale Beziehungen und keiner, nicht die Väter, auch nicht die Mütter, haben sich irgendwas zuschulden kommen lassen. Und trotzdem sagt die Mutter: Du bist raus. Also kann die Mutter sagen, ist ja auch keinen Regelfall, dass sie das machen. Aber sie haben halt die Möglichkeit, das zu machen. Und das finde ich nicht gut.

Ulf Buermeyer

Und allein die Möglichkeit führt im Zweifel auch eher zu Konflikten. Das haben wir ja eben angedeutet. Wenn man sich einigen muss, dann klappt das irgendwie auch. Ich weiß nicht. Ich finde es jedenfalls total spannende Frage, aber ich bin sehr gespannt, wie der Bundesgesetzgeber sich an der Stelle entscheiden wird, muss man sagen. Da hat die Ampelkoalition jetzt noch mal echt neue Hausaufgaben.

Aber wenn Sie sich für die Dreierlösung entscheiden, können sie mit eins noch das Problem bei den Regenbogenfamilien abräumen. Das wäre wahrscheinlich die progressivste und zugleich pragmatischste Lösung. Aber uns würde natürlich auch eure Sicht auf dieses Thema interessieren. Werft sie doch mal ab unter Talk.LagederNation.org, unser Lage Forum.

Philip Banse

Unser nächstes Thema ist ein Thema, mit dem wir uns hier auch schon des Öfteren beschäftigt haben. Es geht um das sozialpolitische Projekt der Ampel, nämlich die Kindergrundsicherung, die es jetzt seit Ulf, korrigier mich, zwei Jahre plus -2 Jahren in der Mache.

Ulf Buermeyer

Also ich denke, die ist im Grunde schon im Koalitionsvertrag vereinbart, also irgendwie seit Ende 2021 spätestens ist das Ministerium damit beschäftigt.

Philip Banse

Ja, richtig. Und es gibt ja auch einen gemeinsamen Gesetzentwurf, über den wir ja auch schon berichtet haben von Lisa Paus, der Familienministerin von den Grünen, Hubertus Heil, Arbeits- und Sozialminister von der SPD, und Christian Lindner, dem Finanzminister. Die haben das zusammen vorgestellt. Das Kabinett hat im September diesen Gesetzentwurf ja auch verabschiedet, mit Zustimmung aller. Und nun ist es halt im Bundestag.

Und die Einführung ist ja nun schon für nächstes Jahr geplant, also 2025. Da müssen Sie jetzt ja so langsam mal in die Pötte kommen.

Ulf Buermeyer

Ja, deswegen ist man schon versucht zu sagen, eigentlich war die Einführung für das Jahr 2025 geplant. Ich bin sehr gespannt, ob das noch funktionieren wird. Denn umsetzen soll das Gesetz ja primär die Bundesagentur für Arbeit. Die hat gesagt Na, wir brauchen so circa zwölf Monate Vorlauf. Ihr seht es schon, wir gehen auf den Sommer diesen Jahres zu. Die Temperaturen in manchen Teilen Deutschlands sind schon erschreckend sommerlich in den letzten Tagen

gewesen. Mit anderen Worten, also vor dem Sommer '25 wird es sicher nicht starten, ob das überhaupt noch vor der Bundestagswahl kommt? Wir sind gespannt, denn Philip hat es gesagt. Das liegt zwar im Deutschen Bundestag, es hängt da aber seit Monaten im Grunde in der Warteschleife und ist in den letzten Tagen wieder auch ganz grundsätzlich in die Debatte geraten. Das ist alles andere als sicher, ob die Kindergrundsicherung überhaupt beschlossen wird.

Philip Banse

Denn es wird im Bundestag aktuell auch schon gesprochen und debattiert über den Haushalt für das nächste Jahr. Da hat Christian Lindner schon Briefe rumgeschickt, hat gesagt: Alle Ministerien hier bitte mal sagen, was ihr so alles sparen wollt. Also sprich, da wird gerade auch intensiv übers Geld geredet. Und natürlich kostet auch die Kindergrundsicherung Geld und deswegen ist das jetzt in der Debatte und alle fragen sich, ja kommt das denn jetzt eigentlich? Und wenn ja, in welcher Form?

Da ist natürlich die Frage: Warum kämpfen Grüne und Teile der SPD eigentlich überhaupt noch für die Kindergrundsicherung?

Ulf Buermeyer

Tja, also die Statistiken sagen, jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als arm. Und da sagen nun eben viele Menschen, die in der Politik Verantwortung tragen. Das kann doch in einem so reichen Land wie Deutschland nicht wahr sein, dass so viele Kinder in Armut leben. Und was auch immer man über die Eltern denken mag, ihr wisst es, da gibt es sehr häufig auch Debatten, wo Menschen stigmatisiert werden, wo mit dem Argument operiert wird, dass arme Menschen ja im Prinzip selber schuld seien usw.

Wir wollen in diese Debatte jetzt nicht einsteigen, denn eins ist ganz sicher: Die Kinder können jedenfalls nichts dafür, wenn ihre Eltern arm sind. Und das hat aber auch nicht nur individuell gravierende Folgen für die Kinder. Das hat auch gesellschaftlich große Nachteile zur Folge, wenn Kinder in Armut aufwachsen. Denn arme Kinder erreichen typischerweise einen schlechteren Bildungsgrad. Das heißt, sie haben ein hohes Risiko, selbst später wieder arm zu sein. Armut vererbt sich, wenn man

so will. Schlimmstenfalls werden sie sogar kriminell. Denn so schlechte soziale Bedingungen haben eben auch ein höheres Kriminalitätsrisiko. Und deswegen gibt es also unabhängig quasi von der menschlichen, mitmenschlichen, empathischen Komponente gibt es auch ein ganz trockenes gesellschaftliches Interesse, dass möglichst kein Kind in Armut lebt, damit die Kinder später möglichst gut gebildet sind und natürlich auch nicht auf irgendwelche dumme Gedanken kommen.

Philip Banse

Und sie werden auch seltener krank und so, also daher, da hängen ganz viele Sachen dran an Armut und dem Armutsrisiko. Deswegen gibt es ja auch schon viele staatliche Hilfen. So ist das ja nicht. Also Kindergeld kriegen sehr viele Leute, die viel verdienen, nehmen dann lieber den Kinderfreibetrag, weil sie dadurch mehr Steuern sparen, als sie Kindergeld bekommen würden. Dass es so das eine, was viele kennen. Dann gibt es aber noch den Kinderzuschlag.

Das ist also, wie der Name schon sagt, ein Zuschlag für Leute, die halt weniger verdienen. Es gibt in den Kinderregel Bedarf, so heißt das im Bürgergeld. Also da gibt es für jedes Kind auch einen Betrag, den Familien bekommen, die Bürgergeld beziehen und es gibt auch das Bildungs- und Teilhabepaket.

Also das ist so ein ziemlich kleinteiliges Ding, wo Kinder Geld bekommen können oder wo Familien Geld bekommen können für Dinge, die sie in der Schule brauchen, für Stifte, Nachhilfeunterricht, Musikschule und solche Sachen. Das sind also im Kern so die Leistungen, die es heute schon für Kinder gibt. Das Problem bei all diesen Leistungen ist: Es ist extrem schwer, den Überblick zu behalten. Es ist extrem schwer rauszufinden Habe ich eigentlich Anspruch auf einige oder alle dieser Leistung?

Und wenn man denn das denn beantragen will, sind die Anträge in der Regel super lang, komplex und schwer zu durchschauen.

Ulf Buermeyer

Mit anderen Worten es gibt in der Theorie eine ganze Menge an Angeboten. In der Theorie kann man vielleicht sagen, müssten die wenigsten Kinder in Armut leben. Aber es fällt eben den Eltern aus gutem Grund häufig schwer, tatsächlich all das zu beantragen.

Denn mal ganz ehrlich: Menschen, die arm sind, arbeiten häufig schon extrem viel, sind aus ganz vielen Gründen ohnehin unter Stress und schaffen es dann möglicherweise nicht mehr so, wie das vielleicht sogar reiche Menschen oder besser gestellte Menschen schaffen würden, die entsprechenden Anträge zu stellen. Mit anderen Worten: Bürokratie verhindert häufig, dass Menschen die Leistungen bekommen, die ihnen eigentlich zustehen.

Und deswegen muss man einfach sagen: Egal ob es in der Theorie schon tolle Angebote geben mag, Fakt ist einfach: Es gibt trotz dieser theoretischen Angebote noch viel zu viele arme Kinder. Die Leistung erreichen jedenfalls nicht alle Kinder. Also egal ob was deiner Theorie möglich wäre, in der Praxis sehen wir die Leistung kommen jedenfalls nicht an.

Philip Banse

Es gibt einfach Millionen von Familien, die Anspruch hätten auf eine oder mehrere dieser Leistungen, die sie aber nicht bekommen. Und da will nun diese Kindergrundsicherung ansetzen. Und die Lösung soll eben sein, Unterstützung von benachteiligten Kindern aus einem Guss anzubieten. Teils sollen die Leistungen auch erhöht werden, aber vor allem soll es einen einfacheren Zugang

geben. Der Staat soll quasi sich auf die Familien zubewegen und sagen: Hey, ihr wisst es vielleicht nicht, aber ihr habt Anspruch. Bitte, das wär's. Also statt Pull, die Leute müssen irgendwie beim Staat an irgendwelchen Strippen ziehen, damit da Geld rausfällt hin zu Push. Der Staat schiebt es ihnen also rüber, wenn sie denn Anspruch haben, dass die Leute das nicht mehr beantragen müssen, sondern der Staat das einfach für sie übernimmt und von alleine dann eben Leistung rüberschiebt.

Und so sollen also diese fünf bisherigen Leistungen zusammengeschmolzen werden, eingedampft werden auf im Kern eine, wenn man so will, eine mit zwei Teilen. Das ist die Kindergrundsicherung. Die soll eben bestehen aus einem Kindergarantiebetrag, den wirklich alle bekommen.

Ulf Buermeyer

Das ist quasi das Existenzminimum des Kindes.

Philip Banse

Also quasi das, was heute Kindergeld ist. Der Kinderfreibetrag würde auch wegfallen, also alle kriegen diesen Kinder Garantiebetrag und dann gibt es den Kinderzusatzbeitrag, den gibt es halt in Abhängigkeit vom Einkommen. Also ärmere Menschen oder Menschen mit weniger Geld kriegen dann halt so einen Kinder Zusatzbeitrag. Leute, die bestimmte Summen verdienen im Jahr, die kriegen den halt nicht.

Ulf Buermeyer

Also mit anderen Worten es gibt. Quasi zwei verschiedene Grundansätze, die verfolgt werden. Der Hauptansatz der Kindergrundsicherung ist Verwaltungsvereinfachung. Es soll für die Menschen einfacher werden, an kinderbezogene Leistungen tatsächlich zu kommen, die ihnen zustehen. Und zu einem wesentlich geringeren Maße geht es um zusätzliches Geld. Denn da waren mal in der politischen Diskussion 12 Milliarden € geplant.

Das ist allerdings auf Intervention insbesondere von Christian Lindner schon massiv eingeschmolzen. Das heißt also wirklich mehr Geld wird jetzt nur noch in Höhe von etwa 2 Milliarden € verteilt, von zwölf auf zwei. Da muss man sich überlegen, da ist schon massiv gespart worden. Das heißt also, was jetzt noch über ist von der Kindergrundsicherung, dass es insbesondere diese Verwaltungsvereinfachung ja quasi push statt pull.

Und die Idee dahinter ist eben, die Kindergrundsicherung soll quasi den Staat zu den Leuten bringen, mehr Familien erreichen. Und die Rede ist von etwa 5,6 Millionen Kinder, die erreicht werden sollen, die heute noch nicht alles bekommen, was ihnen zusteht. 5,6 Millionen Kinder.

Philip Banse

Und bisher ist es eben auch verteilt auf verschiedene Institutionen. Diese ganzen Leistungen, das Kindergeld zahlen die Familienkassen aus. Das ist eine Institution, angesiedelt bei der Bundesagentur für Arbeit und alle anderen Leistungen und viele andere Leistungen laufen eben über die Jobcenter, die dann auch das Bürgergeld auszahlen und verwalten.

Und wie gesagt, Kindergrundsicherung soll nun alles aus einem Guss bieten und dazu soll es eine neue Einrichtung geben, den sogenannten Familienservice. Dieser Familienservice soll dann eben auch den sogenannten Kindergrundsicherungscheck machen. Also soll wirklich für jedes Kind überprüfen: Hey, hat dieses Kind da diese Familie vielleicht Anspruch auf so einen Kinderzusatzbeitrag und wenn ja, in welcher Höhe?

Und dann soll dieser Familienservice zu den Familien hingehen und auf welche Weise auch immer sagen Hey, ihr habt Anspruch, bitte, hier ist das Geld.

Ulf Buermeyer

Die Frage ist nur, wer soll das konkret umsetzen? Wenn man sich das überlegt, da muss für sehr, sehr viele, viele Millionen Kinder alles Mögliche durchgerechnet werden. Das braucht Personal. Und dazu kursiert in Berlin seit Monaten eine Zahl. Angeblich sollen 5000 neue Stellen geschaffen werden. Aber dazu muss man wissen: Diese Zahl steht jetzt nicht im Gesetzentwurf von Lisa Paus Ministerium, sondern diese Zahl stammt aus einer Abschätzung der Bundesagentur für Arbeit.

Das heißt also, diese Abschätzung ist jetzt in keiner Weise irgendwie wissenschaftlich abgesichert, hat niemand eine Studie gemacht. Aber diese Zahl erweist sich jetzt immer mehr als die offene Flanke des Projekts Kindergrundsicherung. Es gibt eine riesige Aufregung um diese 5000 Stellen. Da wurde dann berechnet, was kosten denn 5000 Stellen? Na ja, also da werden jetzt Zahlen von bis zu 500 Millionen pro Jahr

in den Raum gestellt. Ich persönlich muss sagen, das würde ja bedeuten, dass da irgendwie pro Person 100.000 € im Jahr fällig werden. Da müssten das aber sehr hoch bezahlte Beamte und Angestellte sein. Also wahrscheinlich ist eher die Hälfte realistisch, aber jedenfalls 5000 Stellen. Was das kostet, wie viel Stellen es genau sein werden, das weiß niemand so genau. Aber das Problem ist Ich glaube, Philip Lisa Paus hat das irgendwie auch ziemlich laufen lassen.

Philip Banse

Lisa Paus hat das laufen lassen und nie, jedenfalls nichts, was wir rausfinden konnten eigene Zahlen vorgelegt, sondern einfach immer nur diese Zahl mehr oder weniger akzeptiert. 5000 neue Stellen, das ist ja auch klar geworden bei unserem Interview im November, das wir mit Lisa Paus gemacht haben. Auch damals war die Frage, 5000 neue Stellen, 500 Millionen € pro Jahr, muss das wirklich sein? Und Ihre Antwort damals war:

Lisa Paus

Derzeit sind 1,9 Millionen Kinder, die werden von der Bürokratie der Jobcenter derzeit betreut. Wir wollen aber zukünftig 5,6 Millionen Kinder und Familien erreichen. So, dann sehen Sie schon, das sind viel, viel mehr so allein deswegen ist es schon so, das geht dann auch immer um einzelne Anträge, die müssen bearbeitet werden.

Aber vor allen Dingen wollen wir es ja schaffen, dass nicht mehr Familien da herumirren müssen, an welche Stelle und wo ist der Antrag usw, sondern wir wollen es ja den Familien erleichtern. Deswegen braucht es eben Service. Dass dieses, diese Servicegeschichte kennen Sie in jedem Unternehmen, das geht nicht in Marketing, aber es geht eben in den Service.

Und deswegen geht es nicht um zusätzliche Bürokratie, die Leute abschreckt, sondern es geht darum, dass wir tatsächlich die Familien erreichen durch konkrete Beratung, auch in mehreren Sprachen und dadurch eben, dass wir diesen Kindergrundsicherungscheck, den Brief an die Leute bringen.

Philip Banse

Mehr Service, mehr Geld, 5000 Stellen, unbestritten. Das ist das, was sie im Interview bei uns gesagt hat. Das ist, was sie bis diese Woche eigentlich überall kommuniziert hat.

Ulf Buermeyer

Ja, und was dabei natürlich völlig unter den Tisch gefallen ist, dass diese 5000 Stellen auf der einen Seite möglicherweise, wer weiß es gebraucht werden, um diesen Grundsicherungscheck durchzuführen. Auf der anderen Seite fällt aber natürlich an anderer Stelle auch eine ganze Menge an bürokratischem Aufwand weg. Philip hat eben schon erklärt, das ist eine ganze Menge der Arbeit, die jetzt in Zukunft der Familienservice übernehmen soll, ja bislang von den Jobcentern gemacht wird.

Das heißt also, da fällt ne ganze Menge an Arbeit weg, das heißt, die 5000 Stellen, die da gebraucht werden, sind zum einen eh schon unsicher und zum anderen quasi brutto. Netto mit den mit den Effizienzgewinne an anderer Stelle dürfte es deutlich weniger sein. Aber wie gesagt, Lisa Paus hat das leider ziemlich laufen lassen. Mittlerweile, nachdem es nun eine riesen Aufregung gibt um die 5000 Stellen, beginnt sie allerdings zurückzurudern.

Philip Banse

Sie redet jetzt davon, dass es Einsparungen geben wird durch, wie sie sagt, Effizienzgewinne und Digitalisierung sollen eben keine 5000 Stellen gebraucht werden. Und daraufhin sagte die Ko Chefin der Grünen, also wenn du so willst, der Partei, der auch Lisa Paus angehört, Ricarda Lang im Bericht aus Berlin folgendes:

Ricarda Lang

Es wird keine 5000 neuen Stellen geben und so gibt es auch keinen Grund, dass die Debatte sich weiter an dieser Zahl aufhängt.

Ulf Buermeyer

Ja, also ich sag mal so Ricarda Lang versucht diese Diskussion jetzt endlich einzufangen, nachdem Lisa Paus das monatelang nicht gemacht hat. Denn natürlich fällt das jetzt den Grünen massiv auf die Füße, weil es auf den ersten Blick so wirkt, als gehe es da um den gigantischen Aufbau von Bürokratie. 5000 Stellen, das klingt erst mal

eine ganze Menge. Aber wenn man sich das mal ein bisschen genauer anschaut es geht ja auch um mehr als 5 Millionen Kinder, die bislang eben nicht alle Leistungen bekommen, die ihnen zustehen. Mit anderen Worten ein Mensch von diesen 5000, wenn es tatsächlich so viele sein sollten bearbeiten Geldleistungen für 1000 Kinder. Ganz ehrlich, da finde ich erst mal nicht, dass das ein unrealistisch hoher bürokratischer

Aufwand ist. Wenn ein Mitarbeiter, der dort 1000 Kinder versorgt, quasi dafür sorgt, dass 1000 Kinder mehr tatsächlich die Leistung bekommen, die ihnen zusteht.

Philip Banse

Ja, ich finde, auch wenn man im Detail über diese 5000 Stellen nachdenkt, dann kann man schon auf die Idee kommen, dass sie jetzt nicht völliger Quatsch sind. Nur wenn man halt im politischen System unterwegs ist, dann muss man ahnen und wissen: Diese Zahl wird für Aufregung sorgen. Diese Zahl wird die Debatte erheblich erschweren und bestimmen. Und deswegen, würde ich denken, ist das Management dieses Gesetzes durch Lisa Paus und ihr Ministerium eine ziemliche Katastrophe.

Es ist seit Monaten klar, dass dieses Projekt und die Grünen und das Ministerium hier von der FDP Flagge bekommen würden und ja auch bekommen haben. Die FDP will das alles nicht, die will die Kindergrundsicherung nicht. Sie will da nicht mehr Geld für ausgeben. Die haben es eben schon eingedampft von zwölf auf 2 Milliarden. Aber es steht nun mal im Koalitionsvertrag. Also werden sie einen Grund suchen und machen das jetzt ja auch, um dieses Projekt insgesamt zu begraben. Das war aber absehbar.

Ulf Buermeyer

Also die Kritik am Verfahren, die Kritik an den 5000 Stellen ist jetzt aus der Perspektive der Freien Demokraten so eine Art Proxy, um die Kindergrundsicherung insgesamt zu torpedieren. Und da kann man sich schon die Frage stellen Warum ist das Haus von Lisa Paus darauf nicht vorbereitet? Warum gibt es keine klaren Zahlen? Zum einen natürlich, wie viel Stellen brauchen wir, um das umzusetzen? Vor allem aber hätte man natürlich sich Zahlen gewünscht zu den Effizienzgewinnen.

Warum hat sie nicht ermitteln lassen, ob es nicht an anderer Stelle auch Einsparung gibt? Also wenn man jetzt mal fiktive Zahlen, wenn man ja sagt ja, ja, der Familienservice, der wird 5000 Stellen brauchen. Ist aber nicht viel, weil eine Stelle pro 1000 Kids.

Wenn man das von vornherein so kommuniziert hätte, dann würden die 5000 Zahlen schon ganz anders klingen und dann hätte ich mir gewünscht, dass sie auch Zahlen hätte das aber meinetwegen zwei, drei oder 5000 Stellen wegfallen bei den Jobcentern. Und wenn man sagt Familienservice plus 5000 Jobcenter -5000 mal fiktiv oder auch nur -2500, wer weiß das schon so genau, dann würden diese Zahlen auch wieder ganz

anders aussehen. Mit anderen Worten aus der kommunikativen Perspektive ist das einfach nur ein Fail. Wie Lisa Paus und ihre Leute sich da jetzt dieses Projekt Kindergrundsicherung quasi zerschießen lassen.

Philip Banse

Und um sicher zu gehen, haben wir diese Woche noch mal nachgefragt beim Ministerium: Sagt mal, da sind ja diese 5000 Stellen in der Debatte, aber da wird doch sicherlich irgendwo auch was wegfallen. Gib doch mal Zahlen, gib doch mal Beispiele. Und dann schreibt also ein Sprecher: "Die fortschreitende Digitalisierung wird Stellen einsparen.

So können beispielsweise bei den Anträgen, aber auch mit dem neuen Instrument Kindergrundsicherungscheck automatisierte Verfahren zum Einsatz kommen, können zum Einsatz kommen. Eine digital ablaufende Kindergrundsicherung macht Kapazitäten frei für Aufgaben, bei denen wirklich ein Mensch erforderlich ist. So entstehen Synergieeffekte nicht auf einen Schlag, aber nach und nach. Wo man am Ende landet, ist abschließend heute noch nicht zu sagen.".

Ulf Buermeyer

Tja... Also ganz ehrlich, das finde ich einen totalen Offenbarungseid. Denn wie viel Arbeit man letztlich braucht für die Administration dieses Familienservice, das ist in den Worten des Ministeriums abschließend heute noch nicht zu sagen. Mit anderen Worten die 5000 Stellen sind auch noch nicht sicher. Wieso kann man denn dann nicht auf der anderen Seite die Effizienzgewinne beziffern, auch wenn man die vielleicht noch nicht exakt in Stein meißeln kann.

Das kann man aber für den Familienservice auch nicht. Diese Unsicherheit ist quasi auf beiden Seiten der Gleichung dieselbe. Wieso kann das Ministerium das nicht beziffern, dass es aus meiner Sicht, selbst wenns nicht einfach ist, also die können nicht einfach irgendwas erzählen. Das muss schon plausibel sein, klar. Aber das müsste doch möglich sein. Nachdem wir seit über zwei Jahren über dieses Projekt diskutieren.

Philip Banse

Natürlich ist die Hoffnung immer schön, wenn die Digitalisierung das alles richtet. Und das ist ja auch nicht völlig unplausibel. Aber du musst in so eine Kommunikation, in so einem politischen Kampf besser gewappnet reingehen. Da brauchst du Zahlen oder du brauchst mindestens konkrete Verwaltungsabläufe, wo du sagst: Also bisher werden diese weiß nicht 2 Millionen Kinder so und so bearbeitet.

Ulf Buermeyer

Oder auch nicht bearbeitet. Können die gerne einen Antrag stellen.

Philip Banse

Demnächst soll das so und so gemacht werden, das plausibel wird aus diesen Beispielen, dass da signifikant was eingespart werden wird. Und einfach nur zu sagen ja, ja, das wird schon irgendwann mal digitalisiert, das ist ja jetzt alles noch nicht der Fall. Das soll ja auch erst alles noch kommen und zu sagen: Ja, ja, und da wird das dann eingespart und deswegen brauchen wir nicht ganz

5000. Das mag alles sein, es ist nur viel zu wenig und ich würde sagen fahrlässig, mit so was in so einer Diskussion zu gehen.

Ulf Buermeyer

Das würde ich, würde ich teilen Philip. Und ich finde dann, wenn aus dieser Perspektive auch diesen Rettungsversuch von Ricarda Lang letztlich nicht so wahnsinnig geschickt, indem sie jetzt sagt, das wird keine 5000 neuen Stellen geben. Damit begibt sie sich im Grunde in die Defensive. Vielleicht sind es dann vielleicht nur viereinhalbtausend. Ich finde, man müsste dieses Gesetz viel offensiver verteidigen und sagen 5000 Stellen dafür, dass 5 Millionen Kinder nicht mehr in

Armut leben. Das ist verdammt gut investiertes Geld. Also ich finde die die Grünen räumen da eigentlich schon die Verteidigungslinien viel zu früh. Sie rennen jetzt quasi weg vor diesem Konflikt. Und ich glaube, das ist ein Konflikt, den man gewinnen könnte, wenn man sich ein bisschen besser vorbereitet hätte.

Und letzte Bemerkung dazu: Ich finde das für den Zustand unserer Gesellschaft auch ehrlich gesagt ganz schön traurig, dass wir jetzt wirklich über 5000 Stellen diskutieren, wenn es doch darum geht, 5 Millionen junge Menschen in unserem Land aus der Armut zu holen. Wie unmenschlich kann man sein, das wir, dass man wirklich sagt 5000 Stellen wollen wir nicht investieren um fünf oder im Grunde ja noch viel mehr, 5,6 Millionen Kinder sind ja nur die, die bisher nicht alle Leistungen

bekommen. Aber wir wollen 5000 Stellen nicht investieren, um fünf, sechs, 7 Millionen Kinder aus der Armut zu holen. Also, das muss ich sagen, das finde ich schon einigermaßen hartherzig.

Philip Banse

Ja, oder zumindest dann zu sagen, 500 Millionen kostet das Ganze an Personalkosten jedes Jahr, das ist auch noch mal eine andere Zahl.

Ulf Buermeyer

Wie gesagt, das finde ich nebenbei sogar zu hoch gegriffen. Wie gesagt, das sind 100.000 € pro Nase.

Philip Banse

Die kosten dann auch noch Miete und räume und so was. Aber ja.

Ulf Buermeyer

Ja, aber das sind keine Personalkosten. Na ja, also 5000 Stellen kosten jedenfalls sehr wahrscheinlich keine 500 Millionen €, selbst mit allen Rückstellungen für Pensionen nicht.

Also ich weiß das deswegen ziemlich genau, weil ich ja mal ein Jahr für die Senatsverwaltung für Justiz am Funkzellentransparenzsystem gearbeitet habe und da ist jetzt in irgendeiner Berechnung aufgetaucht Personalkosten 58.000 €. Also ich habe anscheinend, während ich daran gearbeitet habe, während dieses ein Jahres 58.000 € gekostet und ich würde mal behaupten, Richter werden jetzt nicht gut bezahlt, aber auch nicht ganz schlecht.

Philip Banse

Das war war nämlich für mich die Erkenntnis aus diesem Projekt, wie unfassbar in meinen Augen unterbezahlt Richter sind.

Ulf Buermeyer

Zu unserem nächsten Thema. Viele von euch werden es lieben, sich in der Natur zu entspannen. Beim Wandern, beim Joggen, beim Radfahren. Und für viele Menschen ist das besonders schön im Wald. So ein bisschen Wald und dann machst du die Google Map auf und du siehst. Wenig hilfreich. Alles Grün, keine Wege, denn Google und viele andere Kartenanbieter haben nämlich längst nicht alle Wege im Programm, insbesondere keine kleinen Wege im Wald und auf der Wiese.

Philip Banse

So, wer wirklich schöne Wege im Wald erwandern will, erfahren will, erlaufen will, der braucht de facto einen anderen Kartendienst als Google und die großen kommerziellen, nämlich die OpenStreetMap. Es gibt da viele verschiedene Apps, über die man sozusagen die OpenStreetMap nutzen kann, die die OpenStreetMap für ihre Dienste

nutzen. Da ist zum Beispiel Komoot nutze ich viel, ist halt eine App, die nutzt OpenStreetMap, mit der kann man halt Wanderrouten eingeben, Joggingrouten, Radrouten eingeben, sich dann auch routen lassen und so Super App. Vor allen Dingen eben mit vielen, vielen Waldwegen, die alle da verzeichnet sind. Die nutzen OpenStreetMap. Aber es gibt natürlich auch Ulfs App Mapalarm, die ist auch zu empfehlen und die nutzt auch natürlich OpenStreetMap.

Da gibt es kein Routing, aber man kann sich eben Orte merken, kann Orte speichern. Man kann so ein Archiv anlegen von Orten, an denen man schon mal war, wo man vielleicht Reiseplanung auch noch hin möchte. Auch Mapalarm funktioniert ganz hervorragend auf Basis von OpenStreetMap. Und übrigens Mapalarm könnt ihr euch natürlich laden unter lage.Link/Karten, lage.Link/Karten. Wer das noch nicht installiert hat, bitte jetzt mal machen und Feedback geben.

Ulf Buermeyer

Aber wie gesagt, intern nutzen de facto alle diese Apps fürs Wandern, Joggen, Radeln, wenn sie nicht gerade Google Maps heißen die OpenStreetMap. Die Frage ist bloß wie lange wird das noch gehen? Denn ein Gesetz aus dem Landwirtschaftsministerium droht nun das Mapping von wegen im Wald zu zerschießen.

Philip Banse

Und damit könnte es deutlich erschwert werden, eben den Wald auch zu nutzen. Also OpenStreetMap habt ihr vielleicht OSM heißt es dann immer so OpenStreetMap. Habt ihr vielleicht noch nicht gehört. Es ist technisch gesehen, es ist einfach eine Datenbank mit Millionen, wahrscheinlich Milliarden von Punkten, die bestimmte Eigenschaften haben können. Und aus dieser Datenbank lassen sich dann eben Punkte auslesen und als Karte zum Beispiel darstellen.

Ulf Buermeyer

Und das interessante ist dabei, wie diese OpenStreetMap zu Stande kommt. Das ist so was wie eine Wikipedia für Karten, also freies Wissen. Alle Menschen auf der Welt können dabei mitmachen und für viele Gegenden kommt auf diese Art und Weise die beste Karte zustande. Wie kommt denn nun so ein Weg in die OpenStreetMap?

Philip Banse

Ja an der OSM, also an der OpenStreetMap, da bastelt jetzt nicht irgendwie eine große Firma mit riesen Gewinninteressen, sondern es sind Millionen Menschen, die freiwillig alle möglichen Datenpunkte in die OpenStreetMap eintragen, von Telefonzellen über Bahnhöfe bis eben zu Waldwegen. Deswegen auch Stichwort Wikipedia.

Und deswegen gibt es wie gesagt glaube ich auch für außerhalb von Städten, also in der Natur draußen in den Wäldern de facto nichts besseres an Kartenmaterial, zumindest digital als die OpenStreetMap.

Ulf Buermeyer

Da sind halt einfach ganz viele Wege vorhanden, die nirgends anders zu sehen sind, weil sich das für große Unternehmen gar nicht lohnen würde, da irgendwie diese kleinen Wege nachzuzeichnen. Aber es gibt eben viele, viele Menschen, die sich engagieren, die mitmachen bei der OpenStreetMap, die da in ihrer Freizeit Daten eintragen. Zum Beispiel Menschen wie Peter Fit. Peter Fit, der zeichnet ehrenamtlich in seiner Freizeit Wege in die OpenStreetMap ein.

Und wir haben ihn jetzt gefragt, wie er denn eigentlich so einen Waldweg erfassen würde, wenn er den findet, der noch nicht in das OpenStreetMap drin ist.

OpenStreetMapper

Ja, also ich würde meine Handyapp starten zur Aufnahme des GPS Tracks, würde den Weg dann entsprechend ablaufen. Würde mir dann vor Ort anschauen, wie der Weg aussieht, eventuell auch ein Foto machen, um dann nachher noch mal nachgucken zu können, ist das nun ein Feldweg? Ist das ein ausgefahrener Feldweg, ist der geschottert, asphaltiert oder so was? Das sind alles Merkmale, die man sich dann unterwegs notiert bzw per Foto abspeichert.

Später zu Hause, dann wird dann der GPS Track in einen Editor geladen, gibt's verschiedene Editoren bei der OpenStreetMap. Da wird dann der GPS Track eingelesen und dann tauscht man sozusagen diesen GPS Track ab. Und wenn man damit glücklich ist mit dem Ergebnis, dann wirds einfach in die Open Street Map hochgeladen.

Philip Banse

Das klingt jetzt alles so ein bisschen nerdig und wie so ein Hobby und so, aber man muss einfach mal festhalten, das ist so ein bisschen wie bei der Wikipedia halt am Anfang auch, da auch alle drüber gelächelt und da kann jeder reinmalen. Und so gibt es ein paar Nerds. Heute ist die Wikipedia, muss ich nicht erzählen, DIE Wissensquelle online, wo man zumindest mal anfängt um über Sachen sich zu informieren. Und ähnlich ist es eben auch mit dieser OpenStreetMap.

Diese Arbeit von diesen ganzen Millionen von Freiwilligen, das ist der Weg, wie sich Millionen von Menschen den Wald erschließen.

Ulf Buermeyer

Häufig sogar ohne zu wissen, dass hinter ihrer App eigentlich die OpenStreetMap steht. Also natürlich gab es auch immer mal Wanderkarten auf Papier, aber da weiß man auch, sind die aktuell und so und häufig hat man die einfach nicht dabei, während man das Handy halt immer dabei hat. Insofern ist die OpenStreetMap der Schlüssel zum Wald im Grunde. Und wichtig zu wissen noch: diese Wege im Wald, die darf man zu Fuß auch nutzen.

Das ist jetzt auf gar keinen Fall irgendwas illegales und zwar ganz egal, wem der Wald gehört. Denn das Spazieren im Wald, das fällt unter den sogenannten Gemeingebrauch. Also das ist eine Landesregelungen, da hat jedes Land so ein bisschen seine eigenen Vorstellungen. Aber im Grundsatz ist das überall dasselbe und zum Beispiel geregelt in Artikel 27 des bayerischen Naturschutzgesetzes.

Philip Banse

Da steht in Absatz eins: Alle Teile der freien Natur, insbesondere Wald, Bergweide, Felsödungen, Brachflächen, Auen, Uferstreifen und landwirtschaftlich genutzte Flächen können von jedermann unentgeltlich betreten werden.

Ulf Buermeyer

Das heißt, egal wem der Wald gehört, alle dürfen ihn erwandern, alle dürfen durch joggen. Und insbesondere dürfen die Waldbesitzenden auch nicht einfach mal so irgendwie eine Mauer oder einen Zaun um ihren Wald bauen, denn es gibt eben den Gemeingebrauch des Waldes. Die Öffentlichkeit soll den Wald zu Erholungszwecken nutzen können.

Philip Banse

Jetzt hast du gesagt Wandern, joggen. Soweit alles problemlos. Aber was ist dann eigentlich mit Mountainbiking? Auch ein beliebtes Hobby im Wald.

Ulf Buermeyer

Und auch in den Bergen. Und tja, da sind die rechtlichen Regelungen jetzt einigermaßen unübersichtlich. In Bayern heißt es so schön: Geeignete Wege dürfen auch mit den Mountainbikes befahren werden. Es stellt sich die Frage was ist geeignet? Baden Württemberg ist ein bisschen konkreter. Da gibt es irgendwie eine neue Regelung, die sagt 2 Meter breit muss ein Weg sein. Das Ding ist bloß was sind jetzt 2 Meter genau? Gerade im Wald Ist ja gar nicht so einfach.

Philip Banse

Immer Maßband dabeihaben. Ganz wichtig.

Ulf Buermeyer

Haben wir alle immer. Gerade so beim Radeln steigen wir immer mal ab und messen nach. Und außerdem schwankt ja auch die Wegbreite gerade im Wald. Wo endet der Weg? Ist er erst am nächsten Baumstamm zu Ende oder?

Philip Banse

Also ich drehe immer um, wenn das auf eins 90 die Breite sinkt. Dann drehe ich um.

Ulf Buermeyer

Oh schade! Dann radelst du die 20 Kilometer zurück. Philip ist einfach ein rechtstreuer Bürger. Das ehrt ihn auch. Da gibt es auch nachher noch ein Fleißbienchen mit so einem kleinen Paragraphen auf dem Flügel.

Philip Banse

Du bist mir das Essen aus dafür, das reicht schon. Also kurz radeln kann erlaubt sein. Im Wald auf Waldwegen, ist es aber nicht per se. Und hier beginnt das Problem, an dem sich nun leider kann man fast sagen das Landwirtschaftsministerium angenommen hat. Es gab immer mehr und gibt immer mehr Konflikte zwischen Wandernden und eben Mountainbikern und -bikerinnen.

Und auch Waldbesitzende, die fühlen sich halt durch viele Biker, Mountainbiker, Fahrradfahrende gestört und offenbar haben die einen guten Draht nach Berlin.

Ulf Buermeyer

Irgendjemand hat muss einen sehr guten Draht ins Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft haben. Jedenfalls strickt man dort an einem neuen Entwurf für ein Waldgesetz und da ist vor kurzem im Winter ein Entwurf geleakt. Und der hat, das kann man nicht anders sagen, für einige Panik gesorgt bei der deutschen OpenStreetMap Community. Denn der Gesetzentwurf schreibt:.

Philip Banse

In Paragraph 33 Anlage und Markierung von Wegen und Routen im Wald, Anlage und Markierung von Routen und Wegen im Wald. Absatz drei lautet das erstmalige digitale Anzeigen oder digitale Ausweisen von noch nicht vorhandenen Pfaden sowie von Wildwechseln, Fußpfaden, Rückgekassen und Fahrspuren als virtuelle Routen oder Trails durch bislang weglose Flächen im Wald bedarf der Zustimmung des Waldbesitzenden und der Genehmigung der zuständigen Behörde.

Das heißt, wer einen neuen Weg eintragen will in die OpenStreetMap, der muss a) alle Waldbesitzenden fragen und b) die Behörde fragen.

Ulf Buermeyer

Also wenn das so Gesetz wird, das ist ein Entwurf des Ministeriums, aber ist noch nicht Gesetz. Aber wenn das so Gesetz würde, dann hätte das offenbar gravierende Folgen. Wir haben jetzt also mal Freiwillige gefragt, die bei der OpenStreetMap mitmachen. Haben sich ehrlich gesagt leider nur Männer gemeldet, sonst hätten wir das natürlich besser gemischt. Aber es waren eben nur Männer. Gut, wir haben die also gefragt, was das jetzt in der Praxis bedeuten

würde. Und die Mapper Jens Kubizie, Andreas Heigel und Peter Fit glauben ziemlich unisono, das wäre das Ende der OpenStreetMap im Wald.

OpenStreetMapper

Also wenn ich die Waldbesitzerin oder den Waldbesitzer fragen müsste, glaube ich, würd ich vermutlich drauf verzichten. An der Stelle wäre jetzt meiner Meinung nach für mich am Ende würde ich sagen okay, dann trag ich den Weg halt nicht ein. Na ja, wenn ich den fragen muss, habe ich ein riesengroßes Problem, weil ich habe keine Ahnung, wer der Waldbesitzer ist. Also so aus dem Bauch raus würde ich sagen, das würde das Ding eigentlich mehr oder weniger unmöglich machen.

Das würde dazu führen, dass ich ja den Weg erst mal auf irgendein Grundbuch oder Katasteramt setzen müsste, um zu gucken, wer ist überhaupt eventuell davon betroffen? Mit den Flurnummern Flurstücke müsste ich dann wahrscheinlich eine Besitzerabfrage machen. Dann wäre wahrscheinlich erst mal die Frage: Darf ich überhaupt für den Besitzer raus finden, hab ich Interesse

dafür? Aber das müsste ich ja dann theoretisch für jedes tangierte Flurstück tun um dann im Nachgang jeden einzelnen Besitzer abzufragen ist. Also aus dem Bauch raus würde ich sagen, das würde das mehr oder weniger unmöglich machen, dass man da wirklich sinnvoll die Wege hochlädt.

Philip Banse

Ja, also ich denke, aus diesen Äußerungen aus der Praxis wird klar vorher fragen, ob man ein Weg veröffentlichen darf, der ja existiert, ist keine gute Idee.

Ulf Buermeyer

Das kann man glaube ich so deutlich sagen. Das ist halt einfach völlig praxisferne Vorstellung. Mal abgesehen davon, dass das natürlich auch massiven Bürokratieaufbau bedeuten würde. Wie gesagt, man müsse die Besitzenden fragen. Man müsste aber ja auch in der Behörde nachfragen, Wer soll denn da in der Behörde diese ganzen Anfragen von den OpenStreetMap Leuten bearbeiten? Dafür sind ja gar keine Stellen vorgesehen. Also das ist glaube ich keine richtig gute Idee.

Da stellt sich schon die Frage, warum soll man eine Pflicht zum Fragen überhaupt schaffen, wenn viele Mapper schon das schon gar nicht erst machen werden? Und selbst wenn man fragen würde, gibt es das Risiko, dass der Weg dann doch nicht angezeigt werden soll.

Philip Banse

Und in Berlin kursiert deswegen noch eine andere Idee. Man könnte die Regel ja auch so gestalten, dass man nicht mehr vor der Veröffentlichung fragen muss, sondern man könnte sagen: Na gut, dann veröffentlicht erst mal aber wir schaffen eine rechtliche Grundlage, damit hinterher eine Behörde hingehen kann und sagen kann: Oh, diesen Weg würde ich gerne streichen aus der Karte, den würde ich gerne verbieten.

Also Mapper würden dann erst mal anlegen, aber wenn dann irgendwas nicht passt, dann kriegt man einen Bescheid von der Behörde und sagt hier, den Weg da bitte wieder streichen.

Ulf Buermeyer

Also eine solche, man sagt ja recht technisch dazu, eine solche Ermächtigungsgrundlage für Löschungsanordnung einer Behörde, das wäre sicherlich besser, als wenn die Mapper und Mapperinnen vorher fragen müssten (was sie im Zweifel nicht tun würden). Aber auch eine solche Ermächtigungsgrundlage für Verbotsbescheide brächte Probleme ohne Ende mit sich. Also formal ist die OpenStreetMap zum Beispiel ein Dienst eines Vereins aus dem UK.

Bekommt dieser Verein dann Post aus Deutschland: Hallo, hier Wald Behörde Blubber. Nehmen Sie mir bitte den Weg aus der Karte? Kann mir irgendwie nicht so richtig vorstellen, dass Sie sich dafür groß interessieren. Oder bekommt am Ende der Mapper in Deutschland typischerweise Post, der den Weg eingetragen hat. Was, wenn es zum Beispiel ein amerikanischer Tourist ist, der diesen Weg eingetragen hat, weil er in Deutschland wandern war? Bekommt er dann Post?

Und vor allem wie soll eigentlich die Behörde an die Adresse von diesem Mapper kommen?

Philip Banse

Also das hängen so viele Probleme dran. Es gibt aber auch wenn ich ein grundsätzliches wo man schon so sich fragen muss, wo leben wir eigentlich? Was ist denn das für eine merkwürdige Idee? Da gibt es einen Weg im Wald, der existiert. Jeder, der da vorbeigeht, sieht ihn. Jeder, der da vorbeigeht, kann ihn auch belaufen. Er darf ihn auch bejoggen. Aber eine Behörde kann hingehen und sagen, Ja ja, aber dieser Weg, den hätten wir gern aus der Karte raus, weil der darf nicht

sein. Da sind ja Leute mit einem Fahrrad lang gefahren. Und um das zu verhindern, hätten wir gerne das der aus der OpenStreetMap gelöscht wird, damit Fahrradfahrer nicht auf der Karte sehen und da weniger durchfahren.

Ulf Buermeyer

Also da muss man ganz ehrlich sagen, das wäre ja quasi ein Lügengebot. Also man würde die Karte zwingen, die Realität auf der Erdoberfläche falsch darzustellen. Und da muss ich ganz ehrlich sagen, das halte ich auch für verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft, ob ein solches Verbot, quasi die Wahrheit, die Realität auf der Erdoberfläche in einer Karte anzuzeigen, überhaupt möglich wäre. Mit anderen Worten: Das ist besser als das, was in dem geleakten Gesetzentwurf steht.

Aber es ist aus unserer Sicht immer noch keine überzeugende Lösung des Problem. Und man muss ehrlich sagen, wenn es im Kern, so hört man auch aus dem Ministerium, doch darum geht, dass Radfahrende bestimmte Wege nicht nutzen. Wäre es denn da nicht besser, die Wege durchaus in der Karte einzuzeichnen? Aber sie dann so zu markieren, dass allen klar wird, was erlaubt ist? Zumal die Regelung in Deutschland ja extrem uneinheitlich ist.

Philip Banse

Richtig das wäre, wenn es eine einheitliche Regel wäre, dann könnte man ja sagen okay, gut, das haben jetzt alle verstanden und so, aber wenn es, weil es eben so uneinheitlich ist, macht es vielleicht doppelt Sinn, das in diesen Karten auch einzutragen. Und möglich wäre das. Man kann in der OpenStreetMap ja nicht nur einfach einen Weg eintragen oder eben auch nicht eintragen. Man kann zu diesem Weg, den man da einträgt, auch sehr genau definieren, was ist das

für ein Weg? Und vor allen Dingen, wie darf der eigentlich genau genutzt werden?

Ulf Buermeyer

Beispielsweise kann man an so einen Weg in der Karte quasi so ein kleines Etikett dran kleben, also in der Fachsprache der Mapper heißt das taggen. Ja, man kann diesen Weg taggen mit "nicht mit dem Fahrrad benutzen" und das würden Routingmaps wie Komoot sicher auch respektieren. Nicht zuletzt deswegen, weil sie ja ein Interesse daran haben, dass die OpenStreetMap nicht ganz sabotiert

wird. Und daher sagte uns ein Mapper, mit dem wir telefoniert haben: Wenn ein Weg in der Natur da ist, der nicht in der Karte steht, dann nutzt man den vielleicht einfach. Man weiß es ja nicht. Aber wenn ausdrücklich in der Karte steht, dass man ihn nicht benutzen soll, dann hält man sich ja hoffentlich auch dran. Mit anderen Worten, das Wege in die Karte nicht einzeichnen ist auch aus rein pragmatischen Gründen gar

keine gute Idee. Viel besser ist es, dass es den Weg in der Karte gibt und der dann aber so markiert ist, wie man ihn benutzen darf.

Philip Banse

Ja, und da sagen natürlich jetzt viele auf der einen Seite jaja, ist ja viel Arbeit, wer soll das eigentlich machen? Aber wenn denn die Regeln auch so heterogen sind, woher sollen denn die ganzen Mapper wissen, Was gilt denn jetzt genau für diesen Waldweg? Was hätte denn der Besitzende, die Besitzerin gerne, dass sie auf dem Waldweg passiert und was nicht?

Ulf Buermeyer

Und wir würden daher zurückfragen Können nicht einfach diejenigen, die die Regeln in ihrem Wald ja kennen, diese Regeln auch einfach selbst eintragen? Das haben wir auch den Mapper Andreas Heigel gefragt.

OpenStreetMapper

In der Grundsätzlichkeit ja, weil mein Gott, OpenStreetMap, Open Source. Da kann jeder dran machen, was er will. Wenn der Waldbesitzer ein Problem damit hat, soll er das ändern.

Philip Banse

Soll sich einen Account klicken und dann eintragen. Der Weg bitte keine Fahrräder und Danke Ende. Dito für Behörden. Da kann man natürlich sagen Ja, aber die Behörden? Und wo kann ich denn das Fax hinschicken, damit der Wald richtig getaggt wird? Da würde ich jetzt halt mal sagen Ja mein Gott, die sollen sich halt auch einen Account klicken bei der OpenStreetMap und eben da Verbote eintragen. Das ist im Zweifel wirksamer und billiger als zum Beispiel Schilder aufstellen zu müssen.

Ulf Buermeyer

Genau. Also es eigentlich ein total pragmatischer Weg. Ich habe selber schon so ein paar Sachen in die OpenStreetMap eingetragen. Also wenn ich irgendwie im Urlaub bin zum Beispiel, da gibt es auch sehr schöne Smartphone Apps, mit denen man die Karte sogar bearbeiten kann und man kann das aber natürlich auch auf dem Desktop machen. Und es ist total einfach.

Man muss sich ja nur so bestimmte Taggs merken, das werden ja immer dieselben Taggs sein, bitte nicht mit Fahrrad und so, Also das ist ehrlich gesagt auch den Menschen in Behörden durchaus zuzumuten. Ich finde ehrlich gesagt Philip, nicht Verbote oder Bescheide oder so sollten im Jahr 2024 das Mittel der Wahl sein, sondern Kooperation. Da muss sich dann so eine Behörde schon mal darauf einlassen, wie die Dinge bei der OpenStreetMap

funktionieren. Es gibt ja jetzt auch nicht 50 Millionen Karten, sondern es gibt genau eine digitale Karte der Welt und das ist diese digitale Karte, die OpenStreetMap gibt. Das liegt, denke ich, im allgemeinen Interesse, weil alle Menschen was davon haben und die OpenStreetMap bis eben die eine relevante Karte neben den Google

Maps. Google Maps kann man halt nicht so richtig bearbeiten, aber die OpenStreetMap kann man bearbeiten und sie ist zugleich Grundlage für praktisch alle relevanten Kartenapps außer Google. Und gerade im Wald gibt es de facto nur OpenStreetMap. Deswegen denke ich mal, kann man da schon auch von Behörden verlangen, dass sie sich einen Account klicken und da mitmachen.

Philip Banse

So, jetzt ist das Ganze ein Gesetzentwurf, ein Gesetzentwurf des Landwirtschaftsministeriums in Berlin. Das ist noch nicht mal abgestimmt, noch nicht mal das Kabinett. Änderungen sind da also durchaus noch denkbar. Und wir haben natürlich auch beim Landwirtschaftsministerium nachgefragt: Sagt mal, wie seht ihr das denn? Wollt ihr da nicht mal drüber nachdenken? Und sagen wir mal so, die scheinen das Problem zu sehen und auch verstanden zu haben. Ein Sprecher sagte uns:.

Ulf Buermeyer

"Ziel ist, dass die Menschen weiter den Wald zu Erholungszwecken nutzen können. Nur mit dem Rad eben nur auf Wegen, die dafür auch in der Realität ausgewiesen sind.".

Philip Banse

Und ich würde mal sagen, das lässt sich ja mit den skizzierten Ideen hier durchaus umsetzen. Also speziell Waldbesitzende und Waldbesitzer können einfach Wege markieren und sagen: Hier bitte nicht mit dem Fahrrad. Und es sollte einfach auch Standard für Gemeinden werden, nicht nur teure Schilder drucken zu lassen, sondern eben diese Regelung auch in die Karte einzutragen.

Und wenn das neue Waldgesetz dazu eben ein Anreiz geben könnte, dann wäre das ja schon auch mal ein sinnvoller Schritt hin zu wirklich mehr Digitalisierung.

Ulf Buermeyer

Das würde ich genauso sehen. Und ich bin im Übrigen auch überzeugt, dass die OpenStreetMap Community in Deutschland da auch Behörden unterstützen würde. Also wenn jetzt eine Gemeinde sagt Mensch, ihr erzählt uns doch mal, wie das funktioniert. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die OpenStreetMap Community, die ja auch in Vereinen organisiert ist, beim FOSSGIS e.V. zum Beispiel. Transparenzhinweis, bin ich auch Mitglied.

Ja, also diese Community würde sich im Zweifel freuen, wenn Gemeinden sagen, wir fangen an auch zu schauen, dass das zum Beispiel Details in den Karten richtig eingetragen sind. Wir investieren da ein bisschen. Ich glaube, da wäre die Community im Zweifel happy. Wir schauen in den Sudan. Bei allem Leiden im Gazastreifen oder in der Ukraine vergessen wir schnell andere Konflikte, wo auch sehr viele Menschen furchtbares Leid

erfahren. Aufgrund kriegerischer Zusammenstöße und einer dieser vielen Konflikte auf der Welt tobt im Sudan.

Philip Banse

Ja, der Sudan liegt ja südlich von Ägypten, also östlich vom Tschad. Im Osten grenzt das Land so ans Rote Meer und an Äthiopien. Und eben auch dort herrscht Krieg. Und in dieser Woche jährt sich dieser Krieg zum Ersten Mal. Ein sehr trauriges, einjähriges Jubiläum, denn so genau weiß man das ja immer nicht. Aber so grob geschätzt leiden 18 Millionen Sudanesen, Sudanesinnen und natürlich auch viele Kinder Hunger. 8 Millionen Menschen wurden aus ihrem Zuhause vertrieben.

Das muss man sich mal vorstellen. Das ist die zweifache Einwohnerzahl ungefähr von Berlin.

Ulf Buermeyer

Eher noch mehr.

Philip Banse

Eher noch mehr, die quasi von zu Hause vertrieben wurden.

Ulf Buermeyer

Und in dieser Region im Sudan unterwegs ist gerade Dr. Annette Weber. Sie war lange Wissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Da haben wir auch schon mal mit ihr gesprochen vor einigen Jahren. Heute ist sie Repräsentantin der Europäischen Union für das Horn von Afrika und hat für uns gerade da danken wir sehr herzlich eine wichtige Sitzung verlassen. Herzlich willkommen der Lage der Nation, Frau Weber.

Annette Weber

Hallo! Guten Tag.

Philip Banse

Frau Weber. Bevor wir hier einsteigen ins Thema, müssen Sie einmal ganz kurz erklären, weil das viele nicht wissen werden: Was macht eigentlich eine EU Repräsentantin und für wen arbeiten Sie?

Annette Weber

Also eine EU Sonderbeauftragte repräsentiert den Hohen Vertreter. Also Josep Borel hat quasi für Hotspots Vertreter und Vertreterinnen Repräsentantinnen, Repräsentantinnen, die ihn vertreten als ich, ich verkürze das jetzt mal in seiner Außenministerrolle und das ist letztendlich unsere Aufgabe. Also ich bin das quasi für das Horn von Afrika, wo alle möglichen Konflikte sind und reise letztendlich in dieser Region ständig unermüdlich hin und her um die EU, um das gesamte EU Gebilde

zu vertreten. Und das ist quasi so eine mini regionale Außenministerin, Vertretungsposition für eben Hotspots.

Philip Banse

Dann geben Sie uns doch mal so eine Executive Summary. Wenn Sie jetzt sagen ein Jahr Krieg im Sudan, geben Sie mal so einen Überblick, wer kämpft da warum gegen wen?

Annette Weber

Also das wäre es einfach. Die beiden Kriegsparteien sind letztendlich zwei Seiten einer Münze des Militärs des Sudan und das ist natürlich hyperkomplex. Aber man kann sagen, die Putschisten von 2021 sind jetzt Kriegsparteien, die gegeneinander kämpfen. Also Nummer eins und Nummer zwei, die Generale Buhan, der quasi die Regionale, die der die nationale Armee anführt und Hemeti, der sein Stellvertreter seit dem Putsch 21 war, der eine Miliz anführt. Das sind die beiden, die gegeneinander kämpfen.

Aber wie in jedem Krieg ist es natürlich viel komplizierter. Es sind Kämpfe, wo die Peripherie gegen das Zentrum kämpft, die Ethnien sich aufsplitten und beginnen, gegeneinander zu kämpfen. Es ist nicht so einfach. Es ist eben nicht nur diese beiden Männer, die, die da Krieg angefangen haben, sondern es beginnt jetzt tatsächlich, sich so langsam in einen Bürgerkrieg im Sudan zu entwickeln.

Ulf Buermeyer

Mit anderen Worten im Ansatz ist es ein Bürgerkrieg. Aber natürlich führt das für die Menschen im Sudan zu ähnlichen humanitären Problemen, als wenn es ein Krieg zwischen verschiedenen Staaten wäre. Wie sieht denn die humanitäre Situation konkret vor Ort aus?

Annette Weber

Also ich würde sagen, mit Abstand ist der Sudan im Augenblick die größte humanitäre Katastrophe, die wir weltweit haben. Wir haben sie schon genannt 8 Millionen Vertriebene im Land, über 2 Millionen Geflüchtete in Nachbarländer und Nachbarländer. Das muss man sich schon konkret vorstellen. Sowohl Tschad als auch Südsudan, also Länder, in denen humanitäre Versorgung für die eigene Bevölkerung schwer bis gar nicht vorhanden ist. Wir haben eine totale Zerstörung der Infrastruktur, zum Beispiel

in der Hauptstadt. Also Khartum, die Hauptstadt Sudans ist einfach nicht mehr wiederzuerkennen. Wasserversorgung funktioniert nicht, Stromversorgung funktioniert nicht. Das macht es natürlich auch ganz schwierig, mit Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. Die humanitäre Katastrophe sieht so aus, dass wir ab Mai erwarten nicht schlechte Ernährung, sondern auf noch offenem Hunger auf einer Ebene des Hungers fast 1/4 der Bevölkerung im Sudan vorzufinden.

Die Leute konnten aufgrund des Krieges quasi letztes Jahr nicht anpflanzen und deswegen auch nicht ernten. Also wir haben es mit der größten humanitären Katastrophe der Welt zu tun. Und wir haben beide Kriegsparteien, die eben nicht nur nicht in der Lage, sondern nicht willens sind, Zugänge, humanitäre Zugänge zu erlauben und schon gar nicht zu erlauben, dass die Bevölkerung, die quasi unter Kontrolle des des Gegners stehen, dass die versorgt werden.

Und das führt natürlich zu einer ganz brutalen Auswirkung auf die Zivilbevölkerung.

Philip Banse

Ja, Sie haben das eben schon beschrieben Hilfskonvois werden angegriffen, Lager von Hilfsorganisationen werden geplündert. Es gibt Berichte von unbeschreiblicher Grausamkeit aus diesem Krieg, die ich uns jetzt hier mal erspare. Aber diese Berichte deuten darauf hin, dass das wirklich auf beiden Seiten auch und das sagt ja auch der US Außenminister blinken wirklich zu Kriegsverbrechen gekommen ist und auch zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Woher nehmen Sie noch die Hoffnung, dass man diesen Krieg befrieden kann?

Annette Weber

Das mit der Hoffnung ist immer schwierig, bleibt aber die Grundlage, um überhaupt nach vorne blicken zu können. Ich habe, ich würde sagen, die Hoffnung aus zwei Hintergründen. Die eine auf Hoffnung, sind die Sudanesen, Sudanesinnen selbst. Also Sie erinnern sich vielleicht, diese große Öffnung 2018, 2019. Die Sudanesen auf der Straße haben sich quasi gegen ihren Diktator für 30 von 30 Jahren gestellt und haben es geschafft. Und das ist ja das Perfide.

Sie haben es geschafft, auch mit Unterstützung dieser beiden Kriegsführenden General Baschir damals loszuwerden, haben es geschafft, quasi in eine demokratische Transition zu gehen oder eine zivile Transition zu gehen. Und diese Energie von 2018, 19, das gibt irre Hoffnung, weil natürlich ein Großteil der Bevölkerung möchte zurück zu einer zivilen Transition. Die wollen nicht im Krieg leben und die wollen aber auch nicht unter dem Militär und einer Militärregierung

leben. Das ist die eine Hoffnung auf der anderen Seite. Die Hoffnung ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt, aber es ist klar: Beide Seiten haben ausreichend Waffen, um diesen Krieg noch sehr, sehr lange fortführen zu können. Aber eben nicht so viele Waffen, dass sie den Krieg klar gewinnen können. Und das ist Hoffnung, ist vielleicht das falsche Wort, aber es ist eigentlich klar. Am Ende müssen sie sich an den Tisch setzen und verhandeln.

Von daher ist natürlich die Hoffnung, dass Sie das früher besser, früher als später einsehen und ein bisschen die Hoffnung, dass zunehmend auch die internationale Staatengemeinschaft und wir haben am Anfang wirklich nicht die beste Rolle da gegeben. Wir waren nicht besonders geeint, dass es zunehmend in eine Richtung geht, dass zunehmend der Druck erhöht wird und eben beide, beide Seiten gleichermaßen gedrängt werden, zu Verhandlungen zu kommen.

Also das, das sind so ja die Ursprünge der Hoffnung, dass es vielleicht doch gelingt, bevor es noch viel schlimmer wird.

Ulf Buermeyer

Ja, versuchen wir das doch noch ein bisschen konkreter zu machen. Welche Optionen hat denn die Europäische Union? Welche Optionen hat vielleicht auch die UNO, um tatsächlich die beiden Parteien an den Verhandlungstisch zu bekommen? Also wenn Sie sagen, streng genommen hat keine Seite Aussicht auf einen Sieg über die andere Seite, dann müsste doch eigentlich so eine gewisse Verhandlungsbereitschaft auch relativ schnell zu erreichen sein.

Annette Weber

Also erst mal zu den Optionen. Wir haben schon vor dem Krieg sehr viel mit den zivilen Kräften und den zivilen Akteuren gearbeitet, also auch nach dem Putsch 21, weil für uns klar war, das sind die Leute, die, die sich 2019 auf die Straße gestellt haben, die, die die zivile Transition begonnen haben. Diese Leute unterstützen wir.

Wir unterstützen jetzt noch ein größeres Spektrum an zivilen Akteuren, also wirklich von politisch alles, quasi die gesamte politische Landschaft um, und das ist wichtig, um auch die politischen Kräfte, die zivilen Kräfte im Sudan dazu zu befähigen und zu unterstützen, dass sie den den Kriegsparteien Kontra geben und dass sie ihnen einfach klarmachen: Leute, ihr führt diesen Krieg nicht in unserem Sinne, Das ist nicht ein Krieg für uns. Ihr führt den Krieg gegen uns.

Wir brauchen die zivilen Kräfte im Sudan quasi als ganz starke Front gegen gegen die Kriegsparteien. Das ist das eine. Das andere ist, wir arbeiten natürlich in sehr engen Verbund ich sage jetzt mal mit der Afrikanischen Union, mit ICAT, mit den, mit den Amerikanern auch mit den Nachbarstaaten, mit den Ägyptern, den Saudis zusammen. Und natürlich mit der UN.

Auf der einen Seite eng mit den Amerikanern, was Sanktionen angeht gegen eben beider Seiten und auf der anderen Seite, was die Unterstützung für verschiedene Mediationsmöglichkeiten angeht. Es gibt im Augenblick aktiv eine Facilitation, würde ich das nennen, wo es vorrangig um humanitären Zugang geht. Das wird von Saudiarabien und den USA geleitet und ich shuttle jetzt auch zwischen den beiden Kriegsparteien hin und her, um letztendlich auch diesen Druck zu erhöhen.

Es gibt nicht entweder oder, ihr müsst beide dahin. Ihr müsst beide quasi Schritte einleiten, um humanitären Zugang zu erlauben. Wir sind noch sehr weit weg von einem Waffenstillstand, aber quasi lokale Waffenstillstände, um humanitäre Zugänge zu erlauben, ist jetzt glaube ich, der nächste Schritt und das muss erreicht werden können. Dazu brauchen wir natürlich wirklich eine geeinte internationale Gemeinschaft.

Philip Banse

Wo Sie das gerade ansprechen, als letzte Frage vielleicht noch. Es gibt ja das vielleicht so ein bisschen Bigger Picture. Es gibt ja in Afrika immer wieder diese Geschichte von Staaten, wo sich die Bevölkerung aus dem Joch eines Diktators befreit. Man hat das in Kenia gesehen, man hat das in anderen Staaten gesehen. Wir haben das jetzt im Sudan

gesehen. Dann gelingt es der Bevölkerung, dort einen Diktator wegzuputschen, wegzukriegen und sehr, sehr, sehr fragile demokratische Strukturen aufzubauen. Dann gibt es immer wieder den Fall, dass diese demokratischen Strukturen nicht lange halten und untergehen. Warum gelingt es der internationalen Gemeinschaft nicht, wenn sich das immer wiederholt doch da mehr zu helfen und mehr dazu beizutragen, dass diese anfangs sehr zarten demokratischen Strukturen länger überleben?

Annette Weber

Also ich glaube, das ist ein absoluter Fluch und ich glaube, das liegt schon darin, wenn man sich die Verläufe anguckt. Wir hatten jetzt 30 Jahre Diktatur unter Baschir. Wir hatten im Sudan seit der Unabhängigkeit in den 50er Jahren, ich würde mal sagen immer mal ein paar Monate eine demokratische Transition und alles davor und danach immer Militärregierung. Und das ist natürlich, man kann Demokratie nicht wie ein Schalter umknipsen. Das ist eine Praxis. Man muss es jeden Tag praktizieren.

Und wenn man quasi fast nie die Möglichkeit hat, das zu praktizieren, dann bleibt es eben, wie Sie gesagt haben, ein sehr fragiles Pflänzchen. Und dann, wenn es wie im Sudan so ist, dass nicht nur die Macht, sondern eben auch die Ökonomie eigentlich durchs Militär geführt und geleitet wird, dann sind die Hauptkomponenten, die, die dann eben auch Macht in einem Staat ausmachen, bleiben quasi auf der einen Seite und da kann man die Zivilen unterstützen von außen.

Das haben wir auch gemacht, auch sehr früh, aber es hat einfach nicht ausgereicht. Es hat nicht ausgereicht. Die zwei Jahre, die die zivile Übergangsregierung in Power war, hat einfach nicht ausgereicht, um wirklich diese Triebfeder Demokratie stark genug aufzufächern. Sie haben also nicht nur die Triebfeder der Demokratie. Die Wirtschaft ist eben nicht entkoppelt worden von den Militärs. Die haben da natürlich ihre Krallen dran gehalten oder drin gelassen.

Und das ist ein Prozess, den kriegt man nicht über Nacht hin. Und ich glaube, deswegen war das ja auch so eine unglaublich frustrierende Geschichte. Schon mit dem Putsch im Oktober 21, dass eben das, was so langsam sich transformiert hat, eine Demokratie, die die Entkopplung der der Wirtschaft vom Militär und der Verschiebung langsamer Aufbau von Institutionen, die eben nicht aus dem Militär kamen und nicht quasi aus dem alten Regime kamen, sowas dauert ja.

Man kann ja Institutionen, so einen Apparat, Außenministerium, die Ministerien nicht von heute auf morgen mit vollkommen neuen Leuten austauschen, schon gar nicht nach 30 Jahren. Und das ist ein Prozess, da braucht man, da braucht man einfach Zeit. Und diese Zeit hat letztendlich das Militär der zivilen Bevölkerung nicht gelassen.

Ulf Buermeyer

Ja, ja, ganz herzlichen Dank. Das war im Gespräch mit der Lage der Nation Dr. Annette Weber, EU Repräsentantin für das Horn von Afrika. Ganz herzlichen Dank, dass Sie Zeit hatten für dieses Interview.

Annette Weber

Ich danke Ihnen. Vielen Dank.

Ulf Buermeyer

Und damit ist die Lage der Nation für diese Woche abschließend und umfassend erörtert. Wir hoffen, diese Sendung hat euch gefallen. Wenn ihr die Lage der Nation grundsätzlich mögt, dann stimmt doch vielleicht für uns ab beim Publikumspreis des Deutschen Podcastpreises Voten könnt ihr unter lage.Link/Preis.

Philip Banse

Damit danken wir für euer Interesse, wünschen euch alles Gute und wir hören uns, wenn ihr mögt, wieder. Nächste Woche. Alles Gute bis dahin.

Ulf Buermeyer

Und Tschüß!

Philip Banse

Tschüß!

Transcript source: Provided by creator in RSS feed: download file