LdN367 Nahost-Konflikt weitet sich aus, Warum machen Krankenhäuser Miese?, FDP bremst EU-Lieferkettengesetz, Gaskraftwerke gegen Dunkelflaute, Wahlwiederholung in Berlin - podcast episode cover

LdN367 Nahost-Konflikt weitet sich aus, Warum machen Krankenhäuser Miese?, FDP bremst EU-Lieferkettengesetz, Gaskraftwerke gegen Dunkelflaute, Wahlwiederholung in Berlin

Feb 08, 20242 hr 41 minEp. 367
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LdN367 Nahost-Konflikt weitet sich aus, Warum machen Krankenhäuser Miese?, FDP bremst EU-Lieferkettengesetz, Gaskraftwerke gegen Dunkelflaute, Wahlwiederholung in Berlin

Transcript

Philip

Herzlich willkommen zur Lage der Nation. Ausgabe Nummer 367 sind wir vom 8. Februar 2024. Ganz herzlich willkommen! Mein Name ist Philip Banse.

Ulf

Und ich bin Ulf Buermeyer. Herzlich willkommen! Schön, dass du zum Ersten Mal vielleicht in dieser Woche oder wieder dabei bist. Wir begrüßen wahrscheinlich eine ganze Reihe neuer Menschen an den Empfangsgeräten draußen im Lande. Denn es gab diese Woche relativ viel Wind um die Lage mit Interviews mit Hart aber fair. Und ja, umso schöner, dass ihr den Weg hier in unseren Podcast gefunden habt.

Philip

Genau. Ich habe ja vom Team zur Geburt meines Kindes, unseres Kindes einige süße Geschenke bekommen und eins dieser Geschenke war ein Strampler mit einem ironisch natürlich unterlegten Aufdruck Baby der Nation. Und das.

Ulf

Mit einem wunderschönen Schnuller.

Philip

Genau.

Ulf

Richtig geiles Logo.

Philip

Richtig, richtig, richtig netter Strampler. Und der war so nett, dass wir gesagt haben: Komm, das stellen wir auch in den Store. Dazu gibt es dann auch noch eine Tasse mit dem Logo und so.

Ulf

Oder ein Lätzchen. Mützchen.

Philip

Also da gibt es jetzt jede Menge Kindermerch. Ein Baby der Nation. Weil unser Kind natürlich nicht das einzige Baby der Nation ist, sondern es gibt natürlich ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz viele mehr Babys der Nation. Und deswegen also ein Hinweis LagederNation.org/Shop. Dort gibt es Babymerch.

Ulf

Genau Babymerch für die Babys der Nationen. Dann unterstützt ihr uns. Wir kriegen ein paar Cent 50 von allem ab, was ihr da so kauft. Mein persönlicher Favorit ist die Emaille Tasse mit Baby der Nation drauf. Das finde ich schon sehr sweet. Wenn ihr Bock habt, klickt euch rein. LagederNation.org/Shop.

Philip

Unser erstes Thema ist der Nahe Osten. Da breitet sich dieser Krieg zwischen Israel und den Palästinensern ja mittlerweile auf die ganze Region aus. Die Hintergründe jetzt konkret dieses Krieges zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen, die breiten wir jetzt hier nicht noch mal en detail aus, das haben wir Anfang Oktober getan in der Ausgabe Nummer 352. Da hatten wir eine ausführliche Analyse, auch Hintergründe mit einem Interview zum Hamas Terror geliefert.

Deswegen nur der Verweis findet ihr in den Shownotes die Folge. Aktuell muss man sagen, ist die Lage eigentlich nach wie vor extrem verfahren. Ich habe es gesagt, der Konflikt breitet sich eher aus.

Ulf

Genau deswegen haben uns gesagt: Mach mal eine ganz kurze Zusammenfassung, wo stehen wir? Und schauen uns dann an, was hat sich in den letzten Wochen getan? Werden das Thema ja schon länger nicht mehr in der Lage. Am 7. Oktober gab es einen Anschlag islamistischer Terroristen auf den Süden Israels. Ausgangspunkt dieser Attacke war der von der Hamas kontrollierte Gazastreifen. Dieser Angriff hat mehr als 1000 Tote zur Folge gehabt.

Mehr als 1000 Menschen wurden da teils bestialisch ermordet im Süden Israels. Natürlich hat das Israel nicht auf sich sitzen lassen. Seitdem gibt es also einen israelischen Gegenangriff auf den Gazastreifen, zunächst in Form von Luftangriffen auf Ziele im Gazastreifen. Israel sagt: Das haben wir gemacht, um die Hamas auszuschalten.

Es gibt aber eine sehr breite internationale Kritik, nicht zuletzt von den Vereinten Nationen, die anführt, es habe zu viele zivile Opfer gegeben schon bei diesen Luftangriffen. Seit einigen Wochen ist die israelische Offensive jetzt aber noch ausgeweitet worden und sind auch Bodentruppen im Einsatz, unter anderem auch mit Panzern.

Philip

Ja, es geht dabei vor allen Dingen auch um Geiseln, die die Hamas bei ihrem Überfall, bei ihrem Angriff genommen hat. Das waren ursprünglich mal über 200 Geiseln. Es sollen jetzt noch so 136 in den Händen der Hamas sich befinden. Davon sollen mittlerweile 31 gestorben sein und mindestens drei wurden irrtümlich von der israelischen Armee auch erschossen. Und die Zwischenbilanz heute, muss man sagen, ist ziemlich niederschmetternd.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal, wird eigentlich jeden Tag katastrophaler. Es mangelt an Strom, Lebensmitteln, Treibstoff. Nur noch 13 der ehemals 35 Krankenhäuser sind wenigstens teilweise in Betrieb. Und der Gazastreifen ist massiv zerstört.

Ulf

Genau die Zahlen, die jetzt kommen, sind alle von Al Jazeera, also einem Fernsehsender aus der Region. Massive Zerstörungen, die insbesondere auch die zivile Infrastruktur und Wohngebäude betreffen, haben Zerstört wurden rund 360.000 Wohnungen, fast 400 Schulen und Universitäten, mehr als 200 Moscheen. Also man kann sich das gar nicht vorstellen, aber diese dieser Gazastreifen ist einfach ein Trümmerfeld inzwischen.

Eigentlich lebten 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen, fast die Hälfte davon sind Kinder und 85 % dieser Menschen sind vertrieben worden, sind inzwischen auf der Flucht innerhalb des Gazastreifen. Oder sie können nicht raus, weil die Grenzen einfach zu sind. Der Gazastreifen ist ja umgeben von Israel und von Ägypten und die können da nicht raus. Die Grenzen sind zu. Also sind das quasi Binnenflüchtlinge. 85 % von 2,3 Millionen. Fast 2 Millionen Menschen sind da auf der Flucht.

1,7 Millionen davon leben in Flüchtlingslagern. Die anderen sind vermutlich irgendwie bei Familien oder Freunden untergekommen. Aber 1,7 Millionen in Flüchtlingslagern muss man sich vorstellen. Das ist eine enorme humanitäre Katastrophe, denn deren Versorgung ist extrem schwierig. Die ist eigentlich nur möglich über den einen Grenzübergang von Ägypten in den Gazastreifen, also den Grenzübergang Rafah. Da kommt viel zu wenig rüber.

Die Menschen hungern und vor allem können auch Krankheiten nicht ordentlich behandelt werden. Also das ist schon ein absoluter Ausnahmezustand.

Philip

Die USA machen Druck auf Israel, vor allen Dingen, weil dieser Krieg vor allen Bidens Wiederwahl gefährdet, weil es unter den Demokraten viele, viele, viele gibt, die sagen, wir unterstützen Israel zu sehr, also die USA, wir müssen den Palästinensern mehr helfen. Also dieser Krieg ist für beiden und seine Wiederwahl ein echtes Risiko. Jetzt laufen natürlich schon länger Verhandlungen in Katar.

Die Hamas fordert ein Ende der Angriffe, den Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen und will dann auch Geiseln entlassen. Aber Israels Premierminister Netanjahu hat jetzt noch mal gesagt: Da machen wir nicht mit, wird kein Waffenstillstand geben. Da ist also eine Lösung, wenn man ehrlich ist, nicht wirklich in Sicht. Im Gegenteil.

Die wirklich rechtsradikalen radikalen Minister in diesem Kabinett zündeln erheblich und legen schon den Verdacht nahe, so würde ich das mal formulieren, dass sie eigentlich anstreben, die Palästinenser aus dem Gazastreifen zu vertreiben. Es wird davon geredet, da soll eine Atombombe geworfen werden, ne kleine. Oder so soll eine Insel gebaut, aufgeschüttet werden im Meer vor dem Gazastreifen, wo dann doch die Leute aus dem Gazastreifen hinziehen könnten.

Also da gibt es erhebliche Stimmen, die nahelegen, nicht alle im Kabinett, aber es gibt ein paar wirklich radikale rechtsradikale Minister, die mit ihren Äußerungen nahelegen eigentlich sollten wir die Palästinenser doch da aus dem Gazastreifen vertreiben. Tja, und Netanjahu widerspricht immer, das sei nicht die offizielle Position und so, aber da gibt es doch erhebliche Kräfte, die darauf hinarbeiten.

Ulf

Ja, und die Demokraten in den Vereinigten Staaten sind jetzt auch nicht die einzigen, die massive Kritik an der israelischen Art der Kriegsführung im Gazastreifen üben, also dass Israel sich verteidigen darf, ist international abgesehen von einigen arabischen Staaten, nicht umstritten. Die Frage kreist letztlich darum, wie konkret Israel Krieg führt, insbesondere welche zivilen Kollateralschäden die Art der Kriegsführung nach sich zieht.

Und Südafrika hat aufgrund der schweren Bedenken gegen die Art der Kriegsführung nun gegen Israel offiziell den Vorwurf des Völkermords erhoben, hat also Klage erhoben vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Jetzt ist nicht ganz richtig. Schon Ende des vergangenen Jahres war das, und ich denke, es lohnt sich, sich einfach mal anzuschauen,

was das bedeutet. Also Völkermord ist jetzt nicht einfach nur so eine Art moralischer Vorwurf, sondern da gibt es eine ziemlich klare juristische Definition. Und Südafrika ist offenbar davon überzeugt, dass das Vorgehen Israels im Gazastreifen diese Definition von Völkermord erfülle.

Philip

Und die steht im Artikel zwei der Völkermordkonvention. Da geht es um alle Handlungen, die geeignet sind, eine nationale, ethnische, "rassische" in Anführungszeichen, weil es den Begriff ja eigentlich nicht gibt oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise als solche zu zerstören. Das ist also Völkermord, also die geeignet sind, nicht die das vollenden, sondern Handlungen, die dazu geeignet sind, eine Gruppe als solche

zu zerstören. Und solche Handlungen sind unter anderem die Tötung von Mitgliedern der Gruppe, die Verursachung von schweren körperlichen und seelischen Schäden, die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für diese Gruppe, die geeignet sind, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, so wie Verhinderung zum Beispiel von

Geburten. Das sind alles Taten, Handlungen, die als Völkermord gewertet werden können, wenn sie dazu geeignet sind, nicht wenn sie es am Ende abschießen, sondern nur, wenn sie schon dazu geeignet sind.

Ulf

Genau. Und es geht eben auch immer um das Motiv, also die, die rassische, religiöse, ethnische, nationale Gruppe zu zerstören. Ja, und der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat nun am 26. Januar, also vor rund zwei Wochen, entschieden in einem Eilverfahren, ist also nicht die endgültige Entscheidung noch keine Verurteilung Israels wegen tatsächlichen Völkermordes. Es hat auch insbesondere keine Anordnung getroffen, jetzt unmittelbar einen Waffenstillstand

einzuleiten. Das war die eigentliche Idee von Südafrika. Aber in diesem Eilverfahren schon hat der Gerichtshof eine Reihe ganz konkreter Anordnungen gegen Israel getroffen, um Völkermord zu vermeiden. Denn, und das muss man eigentlich sagen, ist schon harter Tobak. Nur weil nämlich das Gericht davon ausgeht, dass alle vier der genannten möglichen Formen des Völkermords immerhin im Raum

stehen. Also es hat gesagt, das haben wir jetzt noch nicht endgültig entschieden, aber es gibt erhebliche Bedenken, ob nicht diese vier verschiedenen Alternativen des Völkermordes tatsächlich von israelischen Truppen hier erfüllt werden. Sämtliche dieser Varianten legt der Internationale Gerichtshof jetzt seiner Anordnung zugrunde. Und das muss man schon ganz ehrlich sagen, ist gegenüber einem demokratischen Staat wie Israel

schon krass. Da sieht man also schon, die Art der Kriegsführung ist echt nicht ohne Philip. Aber was sagt denn jetzt der Internationale Gerichtshof? Was muss Israel denn dringend tun?

Philip

Also vorläufig hat er jetzt entschieden, Israel müsse dringend, wie es heißt, alles tun, was in seiner Macht steht, um die Lebensbedingungen für die Zivilbevölkerung in Gaza wieder erträglicher zu machen und um den Menschen eben eine Perspektive zu geben. Der Staat Israel müsse auch dringend aufhetzende Reden seiner eigenen Politiker unterbinden, mit denen die palästinensische Bevölkerung entmenschlicht werde.

Das sind unter anderem Bemerkungen, die ich oben quasi paraphrasiert habe von rechtsradikalen Mitgliedern des israelischen Kabinetts.

Ulf

Tja, und da, und das fand ich auch schon sehr interessant, da hat der Internationale Gerichtshof sehr deutliche Kritik geübt an der Rhetorik von israelischen Kabinettsmitgliedern. Und sogar der israelische Richter Aharon Barak hat dieser Kritik zugestimmt. Minutenlang zitierte da die Gerichtspräsidentin Joan Donio, eine Amerikanerin, Aussprüche von Kabinettsmitgliedern, die, so ihre Schilderung, dazu geeignet seien, Menschen zu Hass und Willkürmaßnahmen gegenüber Palästinensern aufzustacheln.

Und solche Aussprüche seien eben nach der UN Völkermordkonvention, die wir eben oben zitiert haben, verboten. Und die Kritik richtete sich eben tatsächlich gegen die Creme de la Creme der israelischen Politik.

Philip

Ja, den Staatspräsidenten Isaac Herzog, den israelischen Verteidigungsminister, den rechtsextremen israelischen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Einen weiteren Rechtsextremen am Kabinettstisch Finanzminister Bezalel Smotrich. Von denen kam also Aussagen, die in die Richtung gehen, also.

Ulf

Schickt sie in die Wüste!

Philip

Schickt sie in die Wüste. Tiere müssen wir wie Tiere behandeln.

Ulf

Also diese Richtung. Das waren wirklich krasse Aussagen. Auf der einen Seite muss man sehen, das eigentliche Ziel, das Südafrika mit seinem Verfahren vor diesem IGH verfolgt hatte. Das hat es jedenfalls im Stadium dieser einstweiligen Anordnung noch nicht erreicht. Denn das Ziel war ja eigentlich, dass der Gerichtshof Israel zu einer Waffenruhe verpflichten würde, also eine Einstellung aller Kampfhandlungen.

Auf der anderen Seite war das aber wohl auch wohl nicht zu erwarten, sagte jedenfalls der Göttinger Juraprofessor Kai Amboss unserem Kollegen Ronen Steinke von der Süddeutschen Zeitung. Denn, sagt er, aus einer völkerrechtlichen Perspektive könne man eigentlich nicht die Tatsache kritisieren, dass Israel sich verteidige. Deswegen auch kein unmittelbarer Waffenstillstand, sondern nur die Art und Weise, wie es das tut.

Philip

Aber diese Art und Weise der Kriegsführung Israels ist natürlich nicht nur völkerrechtlich heikel und umstritten. Wie wir gesehen haben, ist auch, ich denke schon mittlerweile ein PR Desaster. Die Kritik wird immer lauter. Diese Anordnung des Internationalen Gerichtshofs, die erging eben auch mit einer großen Mehrheit der Richterstimmen, also mindestens 15 zu zwei, je nach Anklagepunkt teilweise auch 16 zu eins.

Auch der deutsche Richter Georg Nolte stimmte für diese kritische Bewertung der israelischen Kriegsführung. Also das war im Internationalen Gerichtshof nicht besonders umstritten.

Ulf

Das muss man sich überlegen. Und auch unabhängig von einem juristischen Forum gibt es weltweite massive Kritik an Israel. In Deutschland bekommt man das Ding nur so halb mit. Wir haben natürlich aus naheliegenden historischen Gründen da eine sehr große Beißhemmung, eine große Hemmung, deutliche Worte zu finden. Deutschland ist zum Beispiel auch diesem Verfahren Südafrikas gegen Israel aufseiten Israels also quasi auf Seiten der Verteidigung beigetreten.

Aber eben außerhalb Deutschlands wird doch sehr allgemein dieser Vorwurf des Völkermords zumindest erhoben. Auch die Präsidentin des IGH bezeichnete einen Genozid in Gaza als "nicht ausgeschlossen." Und das, wie gesagt, ist gegenüber einem demokratischen Land schon also eine ganz außerordentlich deutliche Rhetorik, denke ich mal. Und diese Kritik an der israelischen Politik mündet fatalerweise natürlich auch in eine neue Welle des Antisemitismus.

Und das ist aus meiner Sicht eine ganz besonders tragische Konsequenz. Die Hamas hat mit ihrem Terroranschlag, leider muss man sagen, eine israelische Reaktion provoziert, die dann eben dazu führt, dass jedenfalls mal Hass auf Israel weltweit im Vormarsch ist. Und das schlägt eben sehr schnell dann auch um in Hass auf Juden allgemein.

Philip

Das jetzt gibt es ja, ich glaube, in der New York Times, die haben so eine Konfliktforscherin interviewt, die halt Konflikte generell weltweit untersucht hat. Und die hat die These aufgestellt, dass Israel da in die Falle der Hamas getappt ist, dass die Hamas Israel eine Falle aufgestellt hat. So nach dem Motto hier, wir greifen euch an und wir verleiten euch dazu, so hart zu reagieren, dass sie euch selbst delegitimiert.

Und in diese Falle, sagt diese Konfliktforscherin, sei Israel eben getappt.

Ulf

Ja, ich würde sagen, tatsächlich. Außerhalb des deutschen Diskurses trifft diese Rekonstruktion, denke ich, zu. In Deutschland ist es ein bisschen anders. In Deutschland gibt es aus historischer Verantwortung heraus natürlich ein ganz besonders großes Verständnis für Israel und auf der anderen Seite auch eine besonders große Zurückhaltung, auch fragwürdiges Verhalten wirklich in Zweifel zu ziehen.

Es gibt ja in Deutschland zum Beispiel auch eine, wie ich finde, sehr spannende, aber auch sehr problematische Diskussion überhaupt um die Definition von Antisemitismus. Also rollen wir bei anderer Gelegenheit mal genauer auf. Aber es gibt zum Beispiel eine These, die so etwas verkürzt in die Richtung geht, dass Kritik an Israel sehr schnell antisemitisch sei. Wie gesagt, ist eine schwierige Diskussion deswegen. In Deutschland hält sich Kritik an der israelischen Kriegsführung sehr zurück.

Aber außerhalb Deutschlands, im Rest der Welt ist diese Kritik sehr deutlich. Und ja, man muss sie sehen. Philip, Ich glaube, dass diese dieses Stichwort von der Falle beschreibt die Situation da sehr gut. Jedenfalls führt die Reaktion Israels dazu, dass Hass auf Israel und leider eben auch generalisiert Hass auf jüdische Menschen weltweit auf dem Vormarsch ist.

Philip

Und vor diesem Hintergrund gibt es jetzt seit einigen Wochen Trittbrettfahrer, die halt versuchen, diese israelfeindliche Stimmung für sich zu nutzen. Und so hat sich dieser Konflikt auf die gesamte Region längst ausgeweitet. Das liegt vor allem und zuallererst an Israels Erzfeind in der Region, dem Iran. Also dieses Mullah Regime. Das greift jetzt nicht, noch nicht direkt in diesen Konflikt ein, lässt aber seine ganzen Proxytruppen in der Region Raketen abschießen. Also es sind.

Ulf

Proxytruppen, in deutscher Theologie wäre das ein Stellvertreter.

Philip

Der Iran finanziert seit vielen, vielen Jahrzehnten militante Gruppierungen im Irak, in Syrien, im Libanon, im Jemen. Und überdies übt der Iran in der Region halt Macht und Gewalt aus. Diese Truppen sind jetzt verstärkt im Einsatz. Greifen amerikanische Truppen an, greifen alle möglichen anderen Ziele an, sorgen für erhebliche Unruhe im Iran und haben halt diese Gefahr heraufbeschworen eines direkten Kriegs zwischen den USA und dem Iran. Das wollen beide Seiten unbedingt verhindern.

Niemand, sagen sie zumindest. Niemand will das. Aber die Gefahr wächst doch jeden Tag.

Ulf

Ja, und eine dieser Stellvertreter Kriegertruppen ist die sogenannte Huthi Miliz. Das ist also eine schiitische Miliz, die ihre Basis im Jemen hat. Das ist also zunächst mal einfach eine Partei in einem Bürgerkrieg, der im Jemen schon seit etwa 20 Jahren tobt.

Und diese Huthi Miliz, die nutzt nun die große Solidaritätswelle, in der inzwischen in der arabischen Welt, aber ja auch in der westlichen Welt mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen als Legitimation für Angriffe auf alle, die sie wiederum wahrnehmen als Freunde Israels. Und das äußert sich darin, dass diese Huthi Miliz seit dem Beginn des neuen Krieges in Gaza, also schon seit Oktober, immer wieder Schiffe angegriffen hat. Und dazu nutzt sie die strategische Lage des Jemen.

Philip

Ja, der kürzeste Weg einfach von Asien, also letztlich China, auch nach Europa führt, eben durchs Rote Meer und dann schließlich durch den so wichtigen Suezkanal. Wer da nicht durch will, der muss halt ganz unten rum. Südafrika, Kap der Guten Hoffnung. riesen Umwege, riesen Verzögerung, riesen Kosten auch. Also der Jemen liegt eben am südlichen Ende dieses Roten Meeres und da müssen letztlich alle Schiffe vorbei, die von Europa nach China und umgekehrt fahren.

Ulf

Wenn sie nicht rund um Afrika wollen. Wobei es jetzt schon Schiffe gibt, die tatsächlich diesen weiten Umweg nehmen, Verzögerungen von zwei Wochen in Kauf nehmen und natürlich einen viel teureren Transport, viel mehr Treibstoffverbrauch, um die Attacken der Huthi Milizen zu umgehen. Diese Angriffe sind auch nicht von schlechten Eltern. Da werden also Raketen abgeschossen.

Ist immer eine massive Bedrohung der Seefahrt, hat auch schon zu Großbränden geführt auf Schiffen und in einem Fall wurde sogar ein Schiff von Huthis Milizen entführt.

Philip

Diese und andere Attacken, speziell zum Beispiel eine Attacke auf einen US Posten im Irak war es glaube ich, wo drei US Soldaten ums Leben gekommen sind. Die haben das halt noch mal neu befeuert. Das wird auch einer Iran finanzierten Miliz zur Last gelegt und deswegen haben die USA sich gezwungen gesehen halt massiver zu reagieren, als sie das bisher getan haben. Haben glaube ich insgesamt 160 oder 180 Ziele bombardiert in der gesamten Region.

Und diese Spannung, diese auch vor allen Dingen vom Iran finanzierten Spannungen im Nahen Osten wachsen weiter und es droht einfach die Gefahr einer weiteren Eskalation.

Ulf

Denn die Huthi sind eben nicht irgendeine Miliz. Die liefern sich seit 20 Jahren einen blutigen Bürgerkrieg mit der Regierung des Jemen. Und vor allem werden sie eben ebenso wie die Hisbollah im Libanon massiv vom Iran unterstützt. Wie gesagt, wir haben es hier mit einem Stellvertreterkrieg zu tun. Vordergründig Huthi gegen Schiffe. Aber dahinter steht einfach viel mehr eine. Eigentlich geht es letztlich immer um den Konflikt zwischen Iran und Israel.

Iran schickt seine seine Stellvertreter Truppen, seine Milizen in den Kampf. Und die greifen dann eben Schiffe an, die irgendwie im weitesten Sinne zum Kreis der Freunde Israels gerechnet werden. Und dieser Konflikt eskaliert auch insofern immer weiter, als es natürlich jetzt auch Reaktionen gibt. Inzwischen haben die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich Luftangriffe geflogen auf Ziele im Jemen. Was die jetzt tatsächlich gebracht haben, ist völlig unklar.

Aber das Ganze trägt eben das große Risiko in sich, dass es immer weitergeht. Spätestens wenn es tatsächlich zu unmittelbaren Luftangriffen auch auf iranisches Territorium kommen sollte.

Philip

Also so vielleicht mal so zum zum Bild. Wir haben da jetzt keine abschließende Lageposition oder so, das ist einfach, fanden wir ganz interessant, das mal so ein bisschen zu skizzieren für all jene, die das vielleicht jetzt nicht so immer en detail mitverfolgen, aber das ist so ein bisschen die Großwetterlage und vor allen Dingen die USA spielen natürlich große Rolle, weil diese Wahl vor der Tür steht, weil Biden extrem unter Druck steht, da irgendwie eine Lösung zu finden.

Da gibt es Optimisten in den USA, die dann hoffen, dass es so gelingt, eine Allianz zu schmieden mit Saudi-Arabien, das Saudi-Arabien und Israel sich dann vielleicht annähern. Aber ja, das ist alles offen und das müssen wir einfach mal weiterverfolgen.

Ulf

Genau. Also insofern dachten wir, auch wenn wir jetzt keine steile These für euch haben, lohnt es sich da noch mal das Bild aktuell zu zeichnen.

Philip

Unser nächstes Thema ist ein grundsätzliches, das wir hier noch nicht so oft behandelt haben. Aber wir dachten, das nehmen wir hier mal auf ins Programm, weil ihr wahrscheinlich in den letzten Wochen und Monaten öfter mal davon gehört habt, dass es den deutschen Krankenhäusern schlecht gehen soll. Viele Krankenhäuser seien verschuldet, es drohe ein ein Krankenhaussterben.

Ulf

Das ist fällt jetzt auch quasi so in die Rubrik Grundlagenforschung. Wir wollen auch da einfach mal so ein bisschen Grundlagen vermitteln, wie es auf diesem Politikfeld aussieht. Da gibt es nämlich aktuelle Themen, und die werden wir euch in den nächsten Wochen auch nachliefern. Aber heute kommt jetzt erst mal so die Grundlage. Was hat es mit diesen Krankenhäusern

auf sich? Wenn ihr von diesen Diskussionen gehört habt Krankenhaussterben oder Reformen habt euch wahrscheinlich gedacht: Hä, moment mal, wir haben doch eigentlich Krankenkassen, die Leistungen bezahlen? Wie kann das sein, dass da Krankenhäuser pleitegehen? Vielleicht habt ihr auch gehört, dass Karl Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, die Finanzierung der Krankenhäuser, aber auch den Bau von Krankenhäusern reformieren will, was nicht so richtig klappt.

Ich glaube, ein Warnsignal ist, und das war für uns auch der Anlass, uns mal etwas grundsätzlicher dem Thema Krankenhausfinanzierung zu widmen. Ein Warnsignal ist das in diesen Tagen schon der allererste Schritt von Karl Lauterbach zu Reformprogramm für die Krankenhäuser gescheitert ist.

Philip

Ja, es ist das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz. Nicht durchgekommen ist gescheitert am Widerstand der Länder.

Ulf

Im Bundesrat.

Philip

Im Bundesrat. Und mit diesem Gesetz sollten Bürger Bürgerinnen eigentlich schlicht online sehen können, welches Krankenhaus ist in welchem Bereich, wie gut, wie erfolgreich?

Ulf

Einfach nur eine Statistiktool. Sollte zunächst mal gar nichts geändert werden, sondern die Menschen sollen sehen können okay, Krankenhaus XY hat bei der und der Erkrankung oder bei der und der Therapieform die und die Erfolgsquote zum Beispiel OPs, welche Sterblichkeitsquote haben die eigentlich? Da gibt es nämlich in Deutschland interessanterweise krasse Unterschiede von bis zu 100 % Unterschied.

Also die die Wahrscheinlichkeit, an einer Operation zu sterben, verdoppelt sich je nachdem in welches Krankenhaus man geht. Und das möchte man ja vielleicht vorher wissen.

Philip

Würde man sagen: eigentlich ein No brainer. Aber die Länder haben sich quer gestellt, unter anderem mit dem Argument na ja, die Daten, die man da sieht, die sind ja alle alt, es ist ja nicht aktuell, sondern es wird ja immer hoben, Dann dauert es zwei Jahre und dann ist es in dieser Statistik. Es gibt jetzt aber auch Studien, die sagen, daran ändert

sich aber nichts. Ein Krankenhaus, was vor zwei Jahren schlecht war, ist, das wissen wir mit sehr, sehr, sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit zwei Jahre später auch noch schlechter.

Ulf

Also es ist ein Vorwand, wenn man ehrlich ist, oder jedenfalls liegt, wenn man so was ganz vorsichtig formuliert. Es liegt der Verdacht nahe, dass es ein Vorwand ist, weil die Länder nämlich gar nicht wollen, dass die Menschen in Deutschland so wahnsinnig genau entscheiden können, welches Krankenhaus ist wie gut.

Aber wie gesagt, warum sie das vielleicht nicht wollen, was ja auf den ersten Blick merkwürdig ist, das hat sehr viel damit zu tun, wie überhaupt in Deutschland Krankenhäuser gebaut werden und finanziert werden. Und deswegen dachten wir, erklären wir euch mal die Ausgangslage.

Philip

Also tatsächlich ist es so: Viele Krankenhäuser in Deutschland stehen finanziell sehr schlecht da, viele, einige auch tatsächlich vor der Pleite. Also 2022 ist die letzte Zahl, die man so hat, hatten wir ungefähr 1893 Krankenhäuser in Deutschland. Grob ganz grob, nur um das jetzt so ein bisschen bildlich zu machen. Im Detail ist es ein bisschen anders, aber ganz grob 1/3 davon sind öffentliche

Krankenhäuser. Die gehören also dem Staat, also dem Bund oder den Kommunen oder einem Landkreis oder einer Gemeinde oder so.

Ulf

Bund ist, glaube ich echt die Ausnahme, ist in aller Regel kommunal.

Philip

Kommunale oder Landkreise so, aber die gehören dem Staat, sind staatlich betrieben und das ist zwar 1/3 ungefähr der Krankenhäuser an sich, aber die haben die meisten Betten, das sind die großen Krankenhäuser, die meisten Betten. Das andere Drittel, das zweite Drittel ungefähr ganz grob sind Krankenhäuser, die als frei gemeinnützig bezeichnet werden. Das sind so Krankenhäuser, die betrieben werden, zum Beispiel vom Deutschen Roten Kreuz.

Und das letzte Drittel ungefähr sind Krankenhäuser, die von privaten Krankenhausträgern betrieben werden, also so Klinikketten wie Helios Aktiengesellschaft.

Ulf

Oder Vivantes.

Philip

Die haben natürlich eine Gewinnerzielungsabsicht, aber sie können ganz normal mit gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen, anders als Privatkliniken. Die gibt es natürlich auch. Die sind auch in diesen 1800 Krankenhäuser mit drin. Aber das sind Kliniken, die halt wirklich entweder wo man selber zahlen muss oder wo man eben nur reinkommt, wenn man privat versichert. So, das ist so ganz grob die Struktur der Krankenhäuser Deutschlands.

Ulf

Die finanzielle Situation dieser knapp 1900 Krankenhäuser wird immer schlechter. Das zeigt ziemlich eindeutig das Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts, kurz DKI. Grundlage ist da eine jährlich durchgeführte Befragung der allgemeinen Krankenhäuser in Deutschland und vom Stand Dezember 2023. Also ganz aktuell und auch repräsentativ ergeben sich da folgende Zahlen. Philip, fast 80 % der Krankenhäuser in Deutschland erwarten für das vergangene Jahr ein Minus.

Philip

Verlust! Die machen einfach Miese. Nur 7 % der Kliniken rechnen mit einem Plus. Mit einem Gewinn. 24, also jetzt in diesem laufenden Jahr, rechnen 75 %, also fast 3/4 der Krankenhäuser, mit einer Verschlechterung ihrer finanziellen Situation. Nur 4 % mit einer besseren Situation.

Ulf

Da muss man natürlich fairer Weise immer dazu sagen: Das ist jetzt eine Befragung. Und natürlich gehört Jammern auch dazu. Aber keiner sagt, wir schwimmen im Geld, wir hätten gerne weniger.

Philip

Richtig. Aber das deckt sich schon auch mit anderen Zahlen. Das ist jetzt wenig umstritten, dass diese Krankenhäuser finanzielle Probleme haben. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft also, so der Dachverband, die Cheflobbyisten der deutschen Krankenhäuser, die sagen, wir hatten 2023 40 Pleiten. Fast. Und rechnen 2024 mit 80 Pleiten. Gut, sind Lobbyisten und so, aber es wird Krankenhauspleiten geben. Und das ist ein langfristiger Trend.

In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland um fast 1/4 gesunken.

Ulf

Jedes fünfte Krankenhaus eines kommunalen Trägers in Deutschland sei sogar insolvenzgefährdet, sagt der Deutsche Städtetag. Und auch Karl Lauterbach macht sich Sorgen. Er sagt, gerade auf dem Land sei die Lage dramatisch. "Kleinere Häuser werden in Zukunft in ein unregelmäßiges, aber sehr schnell sich beschleunigendes Krankenhaussterben übergehen." Ein wunderbarer Lauterbach Satz, aber ich meine seine Konsequenz ihr daraus zieht, ist schon auch

besorgniserregend. Er sagt, die Daseinsvorsorge auf dem Land sei "nicht mehr sicher".

Philip

Und da fragt man sich: Wie kann das sein? Die Krankenversicherung in Deutschland, die zahlt doch echt viel Geld an die ganzen Krankenhäuser. 2022: Die gesetzliche Krankenversicherung gibt 1/3 ihrer Ausgaben für die Krankenhausversorgung aus. Das waren 88 Milliarden €.

Ulf

Das ist eine ganze Menge Geld. Und man muss dazu sagen, wir sind ja auch im internationalen Vergleich schon sehr gut krankenversichert. Was nötig wird an Behandlung, wird normalerweise auch bezahlt. Gibt in Grenzbereichen berechtigte Kritik. Stichwort Homöopathie sollte vielleicht lieber nicht bezahlt werden. Gibt auch ein paar sinnvolle Behandlungen, die sie nicht machen werden. Aber im Grundsatz wird bezahlt, was nötig ist und das lassen wir uns auch was kosten als Gesellschaft.

Und es ist kein Vergleich, was die Versorgungssicherheit angeht, zum Beispiel mit den Vereinigten Staaten, wo einfach eine Erkrankung auch schnell mal dazu führt, dass das Eigenheim versteigert wird.

Philip

Richtig. Und das stimmt natürlich auch. Es fließt von der gesetzlichen Krankenversicherung viel Geld an die Krankenhäuser, Aber mit diesem Geld der Krankenversicherung wird eben nur der Betrieb bezahlt.

Ulf

Also die laufenden Kosten.

Philip

Laufende Kosten, also Heizkosten, Strom, die Gehälter der Ärzte und Ärztin, der Pfleger und Pflegerin, also dass auch das ganze medizinische Material, also das, was so tagtäglich in so einem Krankenhaus passiert, an medizinischer Leistung, alles was dafür notwendig ist, das wird eben mit diesem Geld der Krankenversicherung bezahlt.

Ulf

Und das sei schon eng. Also das Geld, das sie dafür bekommen, sei knapp bemessen, sagen jedenfalls Lobbyisten der Krankenhäuser, weil die Kosten für das Personal steigen. Aber Krankenhäuser können eben die Preise nicht einfach so erhöhen, weil es da ganz klare Kostenstrukturen gibt. Gibt es einfach so Tabellen, was die Krankenhäuser wofür bekommen, das erzählen wir euch gleich noch ein

bisschen genauer. Das heißt, die Krankenhäuser können nicht einfach sagen: Wir haben jetzt keine Ahnung, 3 % oder fünf oder 10 % höhere Kosten , erhöhen die Preise. So funktioniert es nicht. Sondern wenn die Preise steigen, müssen die Krankenhäuser irgendwo sparen. So, aber das waren jetzt erstmal nur die laufenden Kosten.

So ein Krankenhaus hat aber natürlich nicht nur laufende Kosten, sondern das muss ja auch zunächst mal gebaut und instand gehalten werden, der also zu den laufenden Kosten kommt noch hinzu die Technik, Gebäudeunterhalt, Investition in das Gebäude, Digitalisierung des Gesundheitswesens. Wer zahlt denn das eigentlich?

Philip

Das müssten die Bundesländer zahlen müssen, denn das ist zum Beispiel eine Sache, die ich auch erst gelernt habe. Auch Krankenhäuser sind im Kern Ländersache. Die Länder stellen sogenannte Krankenhauspläne auf, und in diesen Krankenhausplänen steht genau drin: Wie viel Krankenhäuser haben wir in unserem Land? Was bieten diese Krankenhäuser an? Wie viel Betten haben die?

Nur Krankenhäuser, die in diesem Krankenhausplan eines Bundeslandes stehen, dürfen auch mit der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen. Die Länder haben einen ganz massiven Einfluss darauf und bestimmen fundamental, welche und wie viel Krankenhäuser es in ihrem Bundesland gibt. Im Gegenzug dafür müssten die Bundesländer aber ihren Krankenhäusern Geld überweisen, vor allem für Investitionen, Digitalisierung, Instandhaltung, Neubauten. Alles, was nicht den täglichen Betrieb betrifft.

Das machen die Länder auch, aber eben nicht ausreichend. Es gibt kein Gesetz, in dem genau steht, die Länder müssen soundso viel Euro überweisen. Es ist aber Konsens. Das, was die Länder den Krankenhäusern überweisen, ist zu wenig. Der Krankenhausreport 2023, das ist ein maßgeblicher Indikator in der Branche. Der wird erstellt vom RWI Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung. Der hat mal in Zahlen gegossen, wie viel zu wenig die Länder den Krankenhäusern überweisen.

Ulf

Um alleine die Substanz der Gebäude, der Infrastruktur der Krankenhäuser zu erhalten, müssten etwa 7 % der Erlöse der Krankenhäuser in Investitionen fließen. Das wären so irgendwas zwischen 5,7 und 6,6 Milliarden €. Zuletzt überwiesen haben die Länder aber alles zusammengenommen an die Krankenhäuser nur rund die Hälfte, nämlich 3,3 Milliarden €, nur die Hälfte des Nötigen. Und das RWI zieht daraus die naheliegende Konsequenz: Es komme zum "Substanzverzehr."

Philip

Und dann kommt der lustige Satz, "lustig" in Anführungszeichen: "Besonders stark war dieser Substanzverzehr bei den ostdeutschen Krankenhäusern, die sich dem niedrigen Niveau der westdeutschen Krankenhäuser immer weiter annähern."

Ulf

Also auf Deutsch: Nach der Wende in den letzten 30 Jahren wurde natürlich in den neuen Ländern massiv in Krankenhäuser investiert. Alles neu gemacht, alles saniert, alles einmal auf Weststandard gebracht. Tja, und nun lässt man das verrotten und die Krankenhäuser im Osten gehen in den Sinkflug über. Genauso wie die Krankenhäuser im Westen schon seit den 60er.

Philip

Und diesen Substanzverfall, der ja wissenschaftlich nachgewiesen ist, den wollen die Krankenhäuser natürlich nicht einfach hinnehmen, sondern die versuchen natürlich, was geht, um ihren Laden am Laufen zu halten und auch zu modernisieren und zu investieren. Und sie versuchen also, diese Lücke, die diese Unterfinanzierung durch die Länder lässt, zu stopfen.

Ulf

Tja, und sie haben nun vor allem eine Möglichkeit, an mehr Geld zu kommen, wenn es von den Ländern nicht kommt. Sie müssen einfach mehr mit den Krankenkassen abrechnen. Und wie können sie mehr abrechnen? Sie müssen mehr Leistung erbringen. Und das führt dazu: Sie versuchen nicht nur, aber vor allem mehr Operationen abzurechnen.

Philip

Denn diese Operationen, wenn sie durchgeführt werden, werden bezahlt, ob nötig oder nicht. Es gibt Stichproben der Krankenkassen, die gucken dann mal und im Einzelfall mag es da dann auch mal irgendwie Geldforderung zurück geben und so, aber in aller Regel heißt das, wenn ein Arzt, eine Ärztin entscheidet, wir operieren und der Patient stimmt zu, dann wird das gemacht und auch abgerechnet. Diese Stichproben ändern nichts an dem Grundanreiz.

Und das hat schon vor Jahren, 2016, die Leopoldina gesagt.

Ulf

Das ist so eine Art Wissenschaftsgremium, so ein Wissenschaftsrat, wo also besonders etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenkommen und Gutachten schreiben über verschiedenste Themen.

Philip

Und damals hat dann auch, glaube ich, der ehemalige Chef der Berliner Universitätsklinik Charite und so an diesem Werk mitgearbeitet. Und die schrieben schon 2016, dass die derzeit vorhandenen Erkenntnisse mit hinreichender Sicherheit belegen, dass es aufgrund des Abrechnungssystems und nicht primär aus medizinischen Gründen in bestimmten Bereichen der Medizin zu Fallzahlensteigerungen gekommen ist.

Ulf

Auf Deutsch: Krankenhäuser operieren mitunter nicht etwa, weil Patienten die Behandlung brauchen, sondern weil die Klinik das Geld braucht.

Philip

Und wir haben natürlich auch rumtelefoniert. Und ich habe auch mit einem Manager eines privaten Krankenhauskonzerns telefoniert, der auch anonym bleiben will und der sagt: Also, das habe ich noch nie erlebt und kenne auch keine Fälle. Also das medizinisch nicht notwendige Operation durchgeführt worden und um mehr Geld in die Kasse zu tun.

Ulf

Aber der ist nun halt auch Manager, das heißt, er kann es medizinisch vielleicht gar nicht so richtig einschätzen. Denn ein Chefarzt eines Klinikums in Norddeutschland, Philip, mit dem du für dieses Thema ja auch gesprochen hast, der bestätigt: "Ja, es werden Sachen gemacht, die medizinisch nicht zwingend nötig sind."

Philip

Und das ist nicht nur teuer, weil natürlich die Krankenkassen dafür zahlen müssen, sondern es ist eben auch eine Gefahr potenzielle Gefahr für die Patienten und Patientinnen. Denn jede OP ist immer ein Risiko, sie ist oft mit Narkose verbunden, was immer ein Risiko ist. Und du bist immer im Krankenhaus. Das sprich du bist immer diesen Keimen ausgesetzt, die in ganz, ganz vielen Krankenhäusern vorkommen.

Ulf

Du wirst halt einfach aufgeschnitten. Das verursacht ja Wunden und man muss ja immer sehen: Nicht immer ist eine Operation die beste Lösung für ein medizinisches Problem. Aber sie bringt halt immer viel Geld. Und jetzt kann man natürlich sagen jetzt aus so einer volkswirtschaftlichen Perspektive, Na gut, also die Krankenhäuser brauchen das Geld. Entweder müssen es die Länder direkt zahlen, so zahlen es die Krankenkassen. Ist das nicht eigentlich egal? Nein, das ist eben nicht egal.

Genau aus diesen Gründen, also rein volkswirtschaftlich, kann man dieses Argument machen, egal wo das Geld herkommt. Aber weil die Krankenhäuser eben das Geld nur bekommen, wenn sie OPs durchführen, werden dann eben nicht zwingend notwendige OPs durchgeführt mit diesen genannten Risiken. Und da muss man sagen, da kommt man zu einer doch ziemlich kritischen Konsequenz.

Philip

Wir haben die Finanzierung der Krankenhäuser so gebaut, dass die Kliniken mindestens einen sehr hohen Anreiz haben, im Extremfall ihr ökonomisches Wohl vor das Wohl der Patient zu stellen. Das heißt nicht, dass das in jedem Einzelfall so ist.

Ulf

Nein, natürlich nicht. Es gibt viele sinnvolle OPs.

Philip

Aber die Anreizstruktur ist, glaube ich, unbestritten. Und das liegt im Kern an den sogenannten Fallpauschalen.

Ulf

Also das bedeutet, jeder Patient ist ein Fall oder im Grunde eigentlich jede Erkrankung und für jeden Fall bekommt das Krankenhaus eine Pauschale und der Zugrunde liegt immer dieser sogenannte Landesbasisfallwert. Das sind zurzeit 4.000 €.

Philip

Von Land zu Land unterschiedlich. Darüber hinaus aber sagen wir mal 4.000 €.

Ulf

Und die genaue Höhe der Pauschale richtet sich dann nicht nach dem Erfolg der Behandlung zum Beispiel, sondern nach der Diagnose. Und die sind im Fallpauschalenkatalog gelistet. Kann man sich runterladen und das ist eine ein wie soll ich sagen sehr amüsante Lektüre.

Philip

Ja, ich fand das. Ich fand es einfach interessant, dass das man in so einem Fallpauschalenkatalog so ein erst mal sehr abstraktes politisches Problem wie die Finanzierung der Krankenhäuser schwarz auf weiß nachlesen kann. Also da kann man sich das PDF oder auch die Excel Tabelle runterladen.

Haben wir verlinkt und im Fallpauschalenkatalog 2023 da stehen zum Beispiel 1292 Fallpauschalen und Diagnosen drin, also von der Lebertransplantation mit Beatmung von mehr als 179 Stunden und kombinierter Dünndarmtransplantation bis zur Gabe von Embolizumab. Parenteral. Was auch immer das ist, aber das ist wohl eine Diagnose, eine Behandlung, die man abrechnen kann. Und dann steht halt hinter jeder dieser 1292 Diagnosen ein sogenannter Faktor.

Und mit diesem Faktor wird dieser von Dir schon erwähnte Landesbasisfallwert von plusminus 4.000 € multipliziert. Und das ist dann das, was das Krankenhaus für diesen Fall bekommt.

Ulf

Kleines Beispiel: Ihr geht ins Krankenhaus, war ihr Bluthochdruck habt habt irgendwie zu oft Lage gehört und habt jetzt richtig Puls. Und dieser Bluthochdruck hat zu Veränderungen an eurem Herzen und an der Niere geführt. Euer Blutdruck ist aktuell stark gestiegen. Die Ärzte im Krankenhaus könnte dann zum Beispiel diagnostizieren: hypertensive Herz- und Nierenkrankheit mit kongestiver Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz mit Angabe einer hypertensiven Krise.

Philip

Und diese Diagnose hat natürlich im Katalog der Fallpauschalen einen Eintrag, und zwar gleich viermal: F 62 A bis F62 D. F steht in diesem Fall für das betroffene Organ, 62 für die Prozeduren, die bei euch da angewendet wird und der Buchstabe am Ende, also A bis D, der zeigt an, wie schwer eure Krankheit ist oder eben verläuft. Also im einfachsten Fall D habt ihr einfach keine weiteren Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Zucker oder so was.

Und in diesem einfachen Fall beträgt der Faktor im Jahr 2023, mit dem dieser zum Beispiel jetzt niedersächsische Landesbasiswert von 3.993,44 € dann mit 0,194 multipliziert wird. Also Landesbasisfallwert mal Faktor für die Diagnose. Das Krankenhaus bekommt in diesem einfachen Fall für euch also 774,73 €.

Ulf

Tja, das ist nicht die Welt. Was aber, wenn die Ärztin weitere Erkrankungen entdeckt? Die können den ganzen Fall weiter verkomplizieren. Dann wird aus F 62 D schnell eine F 62 A und die Rechnung für das Krankenhaus ändert sich erheblich. Dann geht quasi die Sonne auf, mit äußerst schweren Vorerkrankungen oder Komplikationen, zum Beispiel mit einer Dialyse oder komplizierender Diagnose liegt der Faktor dann nicht mehr bei 0,194, sondern bei 2,715.

Und das Krankenhaus bekommt nicht etwa nur 774 € und ein bisschen, sondern 10.842 €. Das ist rund 14 Mal so viel Geld.

Philip

Und wenn dann besonders teure Medikamente dazukommen oder besonders teure Geräte nötig sind, dann kann das noch mal Zuschläge geben zu dieser Pauschale. Aber das zeigt: Zentral ist die Diagnose. Zentral ist das, was das Krankenhaus, was die Ärzte, was die Ärztin bei euch diagnostizieren, auch im Verlauf des Krankenhausaufenthalts vielleicht noch finden. Deswegen wird das alles dokumentiert, weil das alles die Diagnose verändern kann und dass die Fallpauschale extrem nach oben treiben.

Ulf

Da muss man sich überlegen. 14 mal so viel Geld für im Prinzip dieselbe Erkrankung, nur mehr oder weniger Komplikationen. Und das liegt auf der Hand der Anreiz, OPs oder andere Behandlung im Beispiel jetzt sind Dialyse zu machen, die nicht zwingend nötig sind, ist enorm. Anderes Beispiel Rücken. Philip, Das hast du im Spiegel gefunden.

Philip

Ja, das hat der Spiegel mal ausgegraben. Rücken ist so Volkskrankheit. Die operativen Behandlungen mit Rücken am Boomen, sagt der Spiegel. Von 2006 bis 2020 nahmen die Rückenops in Deutschland um 71 % zu.

Ulf

Und da geht man davon aus, die Rücken sind nicht 71 % so kaputt.

Philip

Schlechter oder die Leute machen überhaupt keinen Sport mehr oder sitzen nur noch auf dem Stuhl oder so, gucken Fernsehen. Der Spiegel sagt also Ist das Zufall? Und zitiert also ein Schmerzmediziner, Michael Köster, der sagt Nein, diese Zunahme der Rücken OPs ist kein Zufall. In der Rückenmedizin, sagt er, wird Röntgen, Stechen, Schneiden besonders gut vergütet. Folglich wird das auch viel gemacht.

Zitat Ende. Und tatsächlich schaut man in diesen Katalog der Fallpauschalen und sucht nach Eingriffen, die irgendwas mit Wirbelsäule zu tun haben. Dann stößt man doch auf Wirbelsäulen OPs, die extrem viel Geld bringen. Nehmen wir zum Beispiel die Diagnose B null zwo A, komplexe Kraniotomie oder Wirbelsäulenoperation bei Neubildung des Nervensystems oder intensiv medizinischer Komplexbehandlung. Da liegt der Faktor bei 9,42.

Damit wird der Landesbasisfallwert multipliziert und man landet dann in Niedersachsen bei knapp 4.000 € bei 37.600,18 €.

Ulf

Das für Bandscheibe. Komplexe Bandscheibe.

Philip

Rücken. Und der Arzt und Versorgungsforscher Michael Überall. Der sagt auch im Spiegel, ein Großteil dieser OP Empfehlung bei Rückenleiden sei nicht gerechtfertigt.

Ulf

Er wertete mit Kolleginnen 1000 Fälle aus. Exemplarisch und jedenfalls seine Einschätzung war bei aller Vorsicht. Er hielt die OP Empfehlung nur in fünf Prozent davon für gerechtfertigt, was bedeuten würde 95 % dieser Rücken OPs waren medizinisch gar nicht notwendig und dienten im Grunde der Querfinanzierung der Krankenhäuser, die diese Rücken OPs durchgeführt haben.

Philip

Diese überflüssigen OPs sind also nicht nur generell gefährlich, sie sind auch deswegen gefährlich, weil klamme Krankenhäuser aus Geldnot Leistungen erbringen, für die sie gar nicht kompetent sind. Die haben da keine Spezialtechnik. Die machen vielleicht bestimmte OPs nur sehr, sehr selten, weil sie klein sind, weil da mit den Beschwerden selten Leute kommen. Entsprechend wenig Erfahrung haben Ärzte und Ärztinnen dann mit ganz konkreten OPs.

Wenn diese Kliniken aber in Geldnot stecken, dann ist der Anreiz sehr hoch, auch unter diesen Bedingungen auch mit wenig Erfahrung Operationen durchzuführen, die vielleicht sehr viel Geld bringen.

Ulf

Und das macht natürlich besonders heikel. Also wir haben eben schon angesprochen. Volkswirtschaftlich könnte man sagen, Hauptsache, das Geld kommt irgendwie im Krankenhaus an, aber wie gesagt, die OPs sind aber ein Problem, weil sie natürlich für die Patienten unangenehm sind, weil sie Risiken mit sich bringen. Das nächste Ding ist jetzt Krankenhäuser haben jedenfalls Anreize, OPs zu machen, die sie eigentlich gar nicht gut machen. Und das hat auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach

erkannt. Und er hat deswegen 2022 eine Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung einberufen. Und die ist zu dem Ergebnis gekommen: "Es werden zum Teil Leistung erbracht, für die die Fachabteilungen technisch, personell und qualitativ nicht adäquat ausgestattet sind."

Philip

Zu einem ähnlichen Schluss kam 2018 schon die sogenannten Wirtschaftsweisen, also dieser Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also das wichtigste Beratergremium der Bundesregierung. Und die haben damals geschrieben, dass teilweise Operationen in Krankenhäusern durchgeführt werden, "die nicht über die eigentlich dafür erforderliche Ausstattung verfügen."

Ursache sei eine "durch viele kleine und wenig spezialisierte Krankenhäuser gekennzeichnete Krankenhauslandschaft. Die Wirtschaftsweisen diagnostizierten gleichzeitig eine Über- und eine Fehlversorgung." Also zu viel Krankenhäuser. Die sind aber nicht gut genug ausgerüstet, sprich es gibt einfach zu viel vom Falschen.

Ulf

Also Krankenhäuser machen Miese, weil die Länder nicht genug zahlen. Krankenhäuser zerbröseln, Krankenhäuser stopfen die Lücken durch Operation und andere Leistungen, die zum einen medizinisch jedenfalls nicht immer überhaupt erforderlich sind und für die sie oft zum anderen weder technisch noch von den Kompetenzen der Ärztin her qualifiziert sind. Und das ist teuer und gefährlich, das kann man so deutlich

sagen. Deswegen ist die Gesundheitsversorgung im Krankenhausbereich in Deutschland einfach nicht gut, obwohl wir eine ganze Menge Geld da reinstecken. Also wir könnten von diesen 88 Milliarden, die die Krankenhäuser zahlen, eine ganze Menge Geld einsparen. Wenn diese sinnlosen OPs wegfallen

würden. Andere sinnlose Behandlungen. Wir müssten dafür auf der anderen Seite ein paar Milliarden Euro mehr in die Hand nehmen von Seiten der Bundesländer, um die Krankenhäuser in der Basisfinanzierung besser aufzustellen.

Philip

Außerdem muss man natürlich sagen: Diese finanziellen Engpässe, die führen nicht nur zu diesen ganzen Problem, die du skizzierst, sondern die machen natürlich auch einen enormen Druck auf das Personal. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die aufgrund der Fallpauschalen dazu gezwungen sind, alles zu dokumentieren.

Denn alles, was gemessen wird, jeder Bluthochdruck, jeder Zucker irgendwelche Beschwerden können am Ende dazu führen, dass man sagt Oh, das ist doch kein einfacher Fall, der ist doch ein bisschen komplizierter. Die Fallpauschale steigt.

Ulf

Wunderbar!

Philip

Das heißt, sie haben enormen Dokumentationsdruck und sind wahnsinnig viel damit beschäftigt, irgendwelche Sachen aufzuschreiben. Aber natürlich ist es auch so, dass zu wenig Personal eingestellt wird, weil die Kliniken sparen müssen. Das erhöht den Druck auf das bestehende Personal, macht den Job noch unattraktiver, das Personal brennt aus und die Kliniken haben noch viel mehr Probleme, gute Leute zu finden. Das ist also eine weitere Konsequenz dieser finanziellen Engpässe.

Ulf

Und die Expertinnen und Experten, die sich das angeschaut haben. Wir haben ja eine Reihe von Gremien zitiert, von Leopoldina bis Wirtschaftsweise. Die sind sich durch die Bank einig. Die Lösung für das Problem wäre ja zum einen Mal eine Reform der Krankenhausfinanzierung, vor allem aber weniger, aber dafür bessere Krankenhäuser. Das ist die zentrale Stellschraube. Weniger Häuser kosten einfach weniger Geld. Das würde die Länder entlasten.

Oder anders herum gerechnet: Das wenige Geld der Länder würde dann mehr bringen, würde dann vielleicht sogar reichen. Weniger Krankenhäuser bringen eine bessere Versorgung. Eine Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung, kurz Images im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, schlug schon 2019 vor eine ziemlich Radikalkur, nämlich die Hälfte aller Kliniken in Deutschland zu schließen, um den Patienten in den übrigen eine bessere Versorgung zu garantieren.

Auf den ersten Blick kontraintuitiv weniger Krankenhäuser, bessere Versorgung. Macht aber Sinn, wenn man sich das überlegt. Weniger Fixkosten, mehr Spezialisierung, mehr Routinen.

Philip

Ja, das große Vorbild ist immer Dänemark. Die haben das gemacht, die haben ihre Krankenhausstruktur komplett umgebaut. Die haben wenige große, zentral stationierte Kliniken, wo rund um die uhr alles angeboten wird, wo die Ärzte Ärztinnen sehr viel Erfahrung sammeln können, auch mit exotischen Krankheiten, wo du sehr viel Technik reinstecken

kannst. Und dann haben die halt dezentral so Zuweisungsstellen, wo dann halt im Fall des Falles entweder ambulant behandelt wird, das was nicht unbedingt ins Krankenhaus muss, was ja noch so ein deutsches Problem, dass zu viel stationär gemacht wird und dann werden die Leute halt mit Hubschrauber Krankenwagen in das Krankenhaus gebracht, was dann für sie am besten geeignet ist. Und so wäre das auch in Deutschland.

Große Kliniken so, die sind einfach effizienter, weil wenige und große Kliniken besser ausgestattet sind. Machen eben mehr und diverse OPs haben also mehr Erfahrung. Ja, unter Umständen kann die Anfahrt im Einzelfall mal länger dauern, aber dafür ist dann eben die Qualität der Behandlung auch besser.

Ulf

Und die Auslastung. Das oben zitierte RWI dieses Wirtschaftsforschungsinstitut hat für 2021 berechnet, dass die rund 430.000 Betten in deutschen Krankenhäusern nur zu 66 %, also genau 2/3, ausgelastet waren. Wenn man aber zu 85 % ausgelastet wäre und außerdem mehr ambulant gemacht würde, dann bräuchte es eben nur 316.000 Betten, 100.000 Betten, weniger 100.000 Betten, die natürlich massiv Fixkosten verursachen.

Philip

Und die Idee ist dann auch in Deutschland oder von diesem vom RWI halt zu sagen ja, es gibt halt lokale Gesundheitszentren, die dann Patienten Patientin auch optimal verteilen auf die Krankenhäuser, die für ihre Diagnose und Behandlung eben optimal ausgestattet und erfahren sind.

Ulf

Das ist jetzt im Grunde ist das jetzt, wo man ehrlich ist, der berühmte Lage No Brainer. Ob man das so hört, wenn man sich die wissenschaftlichen Studien dazu anschaut, gibt es da überraschend wenig Streit. Es gibt ja viele Themen, gerade auf ökonomischem Gebiet, wo dann auch hin und her gestritten wird. Schuldenbremse ja, nein vielleicht und so? Im Bereich Krankenhäuser gibt es eine überraschende Einigkeit. Das wäre eigentlich der Weg.

Es gibt quasi Vorbilder. In Dänemark zum Beispiel, wo man sehen kann, wie das laufen könnte, aber weniger Krankenhäuser. Philip Das finden die Länder überhaupt nicht gut, weil es die Menschen auf den ersten Blick nicht toll finden. Das ist also, wenn man ehrlich ist und populistischer Impuls. Die Leute wollen ihr süßes kleines Kreiskrankenhaus, wo sie schon geboren wurden, dann möchten sie auch sterben.

Philip

Und sie möchten kurze Anfahrten haben. Das ist einfach attraktiv zu wissen, da ist ein Krankenhaus in meiner Kreisstadt, da brauche ich eine Viertelstunde hin mit dem Auto oder kann sogar mit dem Fahrrad hinfahren, wenn was ist. Die Leute vergessen dann halt, das dort aber die Behandlungsqualität nicht immer wirklich gut ist.

Ulf

Und das ist, ich finde, ich habe das deswegen so ein bisschen zugespitzt mit diesem, mit diesem Stichwort Populismus, mit diesem Stichwort, wo sie geboren sind, weil man einfach sieht, das ist auf den ersten Blick emotional total verständlich. Natürlich ist es nice, sein Krankenhaus quasi vor der Tür zu haben. Verstehe ich sofort. Im ländlichen Raum ist es, wie man weiß, ein Riesenproblem, von A nach B zu kommen.

Ganz viele Menschen sagen uns immer wieder Leute, macht mal locker mit eurer Kritik am Automobil, wir können ja überhaupt nicht ohne. Das ist total richtig. Wir kommen ja beide vom kleinen Kaff. Also wir haben sehr genau vor Augen, wie die Situation im ländlichen Raum ist. Ich will mich da gar nicht drüber lustig machen, aber bei rationaler Betrachtung muss man ganz ehrlich sagen, ist das einfach nicht so wahnsinnig vernünftig.

Denn wenn man ins Krankenhaus will, dann will man doch ehrlich gesagt nicht primär in kurzen Weg dahin. Man will doch vor allem, dass man wieder gesund wird, dass man möglichst nur so lange im Krankenhaus ist, wie es wirklich nötig ist, dass keine sinnlosen Operationen durchgeführt werden. Und deswegen denke ich, wenn man den Leuten das mal so ein bisschen erklärt, wenn man da so ein bisschen in Ruhe drüber nachdenkt, dann glaube ich, findet man in Deutschland relativ leicht eine

Mehrheit dafür. Okay, das lohnt sich, unsere Krankenhausstruktur umzubauen.

Philip

Speziell wenn du die ambulanten Strukturen auch noch ausbaust, wenn du nur vor Ort niederschwellige ambulante Strukturen hast, wo sehr viele dieser Leute dir dann ins Krankenhaus jetzt latschen ins Kreiskrankenhaus, ambulant behandelt werden und gar nicht vielleicht ins Krankenhaus müssen.

Ulf

Oder kürzer, das ist ja nicht schwarz weiß. Nur zwei, drei Tage und der Rest ambulant.

Philip

Natürlich gibt es Länder und Kommunen, die ihre Krankenhäuser zusammengelegt haben. Natürlich sind da jetzt nicht alle und sagen Ich will mein Krankenhaus und wir machen gar nichts. Natürlich gibt es in einigen Regionen, in einigen Ländern Krankenhauszusammenlegungen. Die Länder haben das verstanden, schon im Kern. Aber trotzdem ist der große Umbau bisher nicht eingetreten. Dafür tritt Karl Lauterbach ein mit seiner vorgelegten Krankenhausreform. Darauf gehen wir in dieser Folge

nicht ein. Wir haben jetzt, würde ich mal sagen, die Grundlage gelegt und den Hintergrund geliefert.

Ulf

20, 30 Minuten Krankenhaus Nerdtum. Aber ihr könnt euch schon vorstellen, also die Konfliktlinie ist ja klar, Karl Lauterbach will da ran und ihr könnt euch vorstellen, da brennt einfach die Luft zwischen Lauterbach und den Ländern. Die Länder sagen also, das ist nun wirklich unser Thema, da soll der Bundesgesundheitsminister mal die Finger davon lassen. Wir planen hier die Krankenhäuser.

Philip

Das ist das Argument von Bayern: Krankenhäuser sind Ländersache, wir lassen uns da nicht reinreden vom Bund. Der Bund soll uns nicht vorschreiben, welche Behandlungen in welchen Krankenhäusern durchgeführt werden können. Lauterbach schwebt da also so eine Abstufung vor, dass bestimmte Krankenhäuser nur bestimmte Sachen noch machen dürfen. Und wenn es komplexer und teurer wird, dann muss man halt in ein anderes Krankenhaus. Und die Universitätskliniken dürfen das Schwierigste machen.

Aber um diese Reform, da kümmern wir uns ein andermal.

Ulf

Aber der Move von Lauterbach war jedenfalls cool zu sagen, wir schaffen erst mal Transparenz. Er hat einfach gesehen Es gibt bislang nicht die nötige Bereitschaft zu einer grundlegenden Reform. Also machen wir doch mal Transparenzgesetz, damit die Leute sehen Sorry, euer Kreiskrankenhaus ist zwar irgendwie ganz süß, aber einfach kein gutes Krankenhaus. Oder jedenfalls nicht für alles ein gutes Krankenhaus. Vielleicht müssen wir da mal ran.

Vielleicht sollte das in Zukunft dann doch nur noch Fuß machen und nicht mehr Knie. Aber wie gesagt, wie es weitergeht mit diesen Reformansätzen, das erklären wir euch bei Gelegenheit.

Philip

Kennt ihr eigentlich diesen Ausdruck? German vote habe ich jetzt auch erst gelernt, muss ich ehrlich sagen. Also in letzter Zeit kam schon öfter mal auf, aber was das genau ist, habe ich jetzt erst verstanden.

Ulf

Tja, kleiner Spoiler es wäre auch besser, wenn es diesen Begriff gar nicht gäbe, denn er steht dafür, dass Deutschland auf europäischer Ebene immer mehr als Wackelkandidat gilt, als unzuverlässiger Verhandlungspartner, gar als ein wichtiger Staat in der Europäischen Union, der aber die politische Arbeit auf EU Ebene immer schwieriger macht, in Punkten sogar sabotiert. Worum geht es?

Philip

Zum ersten Mal hatten wir mit diesem Muster so in der breiten Öffentlichkeit eigentlich zu tun bei der Diskussion um das sogenannte Verbrenneraus, also dass die EU entschieden hat, ab 2035 sollen keine neuen Verbrenner Autos mehr zugelassen werden. Da hatte es natürlich monatelange Verhandlungen gegeben. Deutschland war immer mit dabei, hat immer zugestimmt.

Erst als dann alles wirklich in trockenen Tüchern war und ganz kurz vor dem finalen Ziel Durchgang, da die FDP dann die Hand gehoben und sagt Ja, da wollen wir jetzt nicht zustimmen, wir wollen da noch ein bisschen was rausholen. Das hat dann nicht wirklich geklappt.

Ulf

Aber es musste immerhin erst mal ein Scheinkompromiss gefunden werden auf den letzten Metern.

Philip

Und schon damals war das allgemeine Rezeption so nach dem Motto: Ey, ihr Deutschen, bitte kriegt euch doch mal klar, ihr seid jetzt seit Monaten dabei und jetzt fällt euch irgendwie ein oder einem kleinen Koalitionspartner, dass da irgendwas nicht stimmt. Bitte, wie sollen wir dann mit euch noch richtig verhandeln? Und damals dachte man na gut, das ist jetzt halt mal so gegangen. War halt mal so ein Ausrutscher. Jetzt sehen wir, das war kein Einzelfall.

Ulf

Tja, das konkrete nächste Beispiel für ein German Vote ist die geplante EU Richtlinie zur nachhaltigen Unternehmensführung. Wird meist umgangssprachlich das EU Lieferkettengesetz genannt. Aber das Problem, für das das Stichwort German vote steht, ist viel grundsätzlicher. Aber schauen wir uns doch mal an, worum es im konkreten Fall geht. In Deutschland gibt es schon seit ein paar Jahren ein sogenanntes Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder kurz Lieferkettengesetz.

Das hatten wir damals auch schon in der Lage. Das stammt so aus den letzten Monaten der Großen Koalition. Die Idee dabei ist: Unternehmen in Deutschland kaufen ja oft Produkte oder Rohmaterialien in anderen Ländern ein, häufig eben auch in Ländern des globalen Südens. Früher sagte man Entwicklungsländer und dort halten sich bei weitem nicht alle Firmen an menschenrechtliche oder ökologische Standards.

Philip

Also Schutz vor Kinderarbeit zum Beispiel. Recht auf faire Löhne, Schutz der Umwelt, Arbeitssicherheit, Prävention von Arbeitsunfällen. Das sind alles so Sachen, die eigentlich für eine faire Arbeit beachtet werden müssen. Passiert da aber nicht immer. Und deswegen sind durch dieses Gesetz jetzt eben deutsche Firmen, die im globalen Süden einkaufen, auch verpflichtet, da genauer hinzugucken, weil sie eben großen Einfluss nehmen können auf die Produktionsbedingungen ihrer Zulieferer.

Ulf

Und in Deutschland gilt das eben schon seit immerhin etwas über einem Jahr. Also Große Unternehmen müssen menschenrechtliche und ökologische Risiken in ihrer Lieferkette ermitteln und bewerten. Unternehmen ab 3000 Mitarbeitende schon seit Anfang 23 und Anfang 2024 sind jetzt in Deutschland auch Unternehmen ab 1000 Mitarbeitende hinzugekommen. Wie gesagt, hatte noch die GroKo beschlossen. Das haben wir damals mit einem Interview auch genauer analysiert. So weit, so gut.

Aber das gilt bisher eben nur national in Deutschland, nur deutsche Unternehmen müssen sich auch dran halten.

Philip

Seit Jahren gibt es aber parallel dazu eine Initiative der EU Kommission, die einen ähnlichen Plan verfolgt, nämlich diese Regeln auf die ganze EU auszudehnen oder in der ganzen EU ähnliche Regeln einzuführen. Sagen wir es mal so. Und Auftakt war - Tata - die deutsche Ratspräsidentschaft 2020 und wesentlicher Akteur auf deutscher Seite ist Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales.

Und auch im Koalitionsvertrag hat die Ampel sich festgelegt darauf, dass Deutschland sich für ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene einsetzen wird. "Wir unterstützen ein wirksames EU Lieferkettengesetz basierend auf den UN Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte, dass kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert." So steht es im Koalitionsvertrag der Ampel.

Ulf

So sind im Detail die geplanten Regeln auf EU Ebene etwas strenger als die Deutschen. Zum Beispiel sollte diese Pflicht zur Sorgfalt in der Lieferkette nach der EU Regelung schon für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden gelten, nicht erst ab 1000. Und es gab auch die Sorge jedenfalls, dass die zivilrechtliche Haftung, also Schadenersatzhaftung, etwas ausgeweitet werden könnte gegenüber der Rechtslage in

Deutschland. Aber im Kern geht es um dieselben Pflichten zur Sorgfalt in der Lieferkette, nur eben nicht mehr nur in Deutschland, sondern in der ganzen Europäischen Union. Deswegen muss man sagen, ist die deutsche Wirtschaft auch nicht eindeutig dagegen. Im Gegenteil, da gibt es sehr unterschiedliche Positionen, teilweise im selben Unternehmen.

Die einen, die sagen so, die anderen sagen so, also einige sagen Oje, oje, oje, diese Pflichten sollen ja jetzt nach der EU Richtlinie schon für mittlere Unternehmen gelten.

Philip

Also 500 Mitarbeitende, nicht Tausende wie in Deutschland, sondern 500. Das sind also mehr Unternehmen, auch relativ kleine. 500 ist jetzt auch nicht klein, aber die machen 1 Million Umsatz und so, aber die müssen dann eben bestimmte Vorkehrungen treffen, Dokumentation machen und solche Sachen. Andererseits gibt es aber auch Menschen, die in Unternehmen zuständig sind für diese Pflichten nach dem deutschen Gesetz, die sagen na ja, bisher müssen sich eben nur deutsche Unternehmen dran halten.

Wenn diese EU Richtlinie jetzt kommt, dann gilt das wenigstens für alle europäischen Unternehmen. Und das würde dann eben auch ein Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmen im Binnenmarkt ausgleichen. Also dann gäbe es halt wenigstens gleiche Spielregeln für alle Unternehmen in Europa.

Ulf

Genau das ist dieser dieses alte Stichwort, das Level playing Field, das ebene Spielfeld quasi. Deswegen gibt es auch viel positive Stimmen aus deutschen Unternehmen, die sagen: Wieso soll das eigentlich nur für uns gelten und für Spanier nicht? Und im Binnenmarkt konkurrieren wir unmittelbar miteinander? Das ist doch eine gute Idee, dass es dieses level playing field gibt.

Philip

Jetzt muss man sagen, die Verhandlungen auf EU Ebene sind abgeschlossen eigentlich. Der Trilog, also diese sogenannte Verhandlungen zwischen EU Kommission, Parlament und dem Rat, also der Vertretung der Länder, der ist abgeschlossen und der hatte sich Ende letzten Jahres, Ende 2023 auf einen finalen Entwurf der Richtlinie geeinigt. Damit ist nach EU Procedere die inhaltliche Verhandlung eigentlich beendet.

Ulf

Genau. Es gibt dann immer noch so einen letzten finalen Schritt. Also diese Einigung muss dann eben noch vom EP und vom Rat abgesegnet werden. Aber da gibt es keine weiteren Verhandlungen. Das ist einfach normalerweise eine reine Formsache. Und in diesem Fall auch. Da war der Termin zur Abstimmung im Rat über diese Richtlinie für diesen Freitag angesetzt, galt als Formsache. Aber völlig klar. Wir haben zu einem Trilog geeinigt, also rutscht das durch. Und dann kam die FDP um die Ecke.

Christian Lindner

Wir haben große Sorgen hinsichtlich der europäischen Lieferkettenregulierung. Gerade in der jetzigen Situation der deutschen Wirtschaft ist es eine zusätzliche Belastung, und deshalb können wir das nicht mittragen.

Philip

Das war also Finanzminister und FDP Chef Christian Lindner und eine etwas ausführlichere Begründung, warum denn die FDP jetzt auf einmal, nachdem eigentlich alles eingetütet ist, diese Lieferkettengesetzgebungrichtlinie nicht mehr mittragen will. Die lieferte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP Fraktion im Bundestag, heute Morgen, also Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk.

Otto Fricke

Warum haben wir denn Bürokratieaufbau? Weil wir ständig wollen, dass der Staat neue Regeln macht. Wir sind auf der einen Seite, sagen wir alle Bürokratieabbau, auf der nächsten Seite sagen wir aber am nächsten Tag Ja, aber das muss der Staat kontrollieren. Da muss man aufpassen. Die Diskussion über das Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene würde wieder zu mehreren hunderten Beamten und Aufbau und Rechtsstreitigkeiten usw führen, anstatt dass es bei dem was wir bisher davon haben.

Aber nein, wir sagen nie, weil es zu einem guten Grund ist, den ich durchaus hier wollen wir es noch die Regelung wollen noch das machen.

Philip

Also Kern Kern Kritik ist das bringt zu viel Bürokratie, zu viel Belastung für die Unternehmen.

Ulf

In diesem Fall bezieht er sich ja sogar eher noch auf staatliche Bürokratie. Deswegen ist es sogar so ein bisschen so eine verschobene Argumentation also. Lindner ging es eher um die Unternehmen. Die sagen aber eigentlich Level playing field ist doch cool.

Philip

Nicht alle, aber zumindest viele.

Ulf

Und jetzt kommt Fricke um die Ecke und sagt: Na ja, aber Bürokratie in Behörden.

Philip

Stimmt, wollen wir auch nicht. Das mag ja auch alles sein. Das sind ja, finde ich, Argumente, über die man durchaus diskutieren kann. Nur die kommen zu spät.

Ulf

Ja. Erstens sind die eben in der Wirtschaft nicht unumstritten, Stichwort Level playing field. Und zweitens muss man einfach sagen: Dieser Zug hatte den Bahnhof längst verlassen. Ja, so funktioniert Gesetzgebung in der Europäischen Union nicht. Inhaltlich sind Verhandlungen mit dem Trilog abgeschlossen, und dann wird eigentlich nur noch formal beschlossen im Rat und im Europäischen Parlament.

Deswegen werden zum Beispiel Beschlüsse über Richtlinie und Verordnung auf europäischer Ebene noch nicht mal immer in dem fachlich zuständigen Rat beschlossen, sondern die werden im Rat einfach nur noch durchgewinkt. Da beschließt der Rat der Finanzminister, sozusagen der Rat, der gerade dran ist. Da sitzen einmal die, die die Finanzminister zusammen und beschließen irgendwas im Sozialrecht. Oder es sitzen die Landwirtschaftsminister zusammen und beschließen irgendwie eine Justizrichtlinie.

Philip

Einfach weil das Formsachen sind.

Ulf

Es geht nur daru: Okay, wir haben uns im Trilog geeinigt. Ja, und das wird jetzt noch mal quasi formal mit Stempel und Siegel versehen.

Philip

Jetzt kommt also Christian Lindner auf den letzten Metern um die Ecke und widerspricht also dieser Einigung, die längst getroffen ist.

Ulf

Und auch Justizminister Buschmann.

Philip

Buschmann ebenfalls. So und deswegen muss jetzt Deutschland bei der Abstimmung morgen, heute, Donnerstag nehmen wir auf, Morgen ist die Abstimmung im Rat. Deswegen muss Deutschland sich morgen der Stimme enthalten. Warum? Das steht einfach in der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Wenn sich die Bundesregierung nicht einig ist, wie bei solchen Abstimmungen abgestimmt werden soll, dann muss sie sich enthalten. Und das heißt de facto: Sie stimmt mit Nein.

Ulf

Genau. So ein bisschen wie im Bundesrat auch. Für bestimmte Dinge braucht es eine Mehrheit der Ja Stimmen Enthaltung wirkt wie ein Nein. Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil hat das auch kürzlich noch mal bestätigt. Die Bundesregierung wird sich da enthalten. Die Umwelt und Menschenrechtsorganisation Germanwatch reagiert auf diese Nachricht mit Entsetzen.

Philip

Sie schreibt: "Die Ankündigung der Bundesregierung kommt nach 2-jährigen Verhandlungen, welche die Bundesregierung, insbesondere auch Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP in allen entscheidenden Punkten mitgestaltet hat. Die EU Staaten hatten sich schließlich im Dezember auf einen Kompromiss geeinigt. Erst danach meldete die FDP Bedenken an und düpiert damit die übrigen EU Mitgliedsstaaten." Jetzt ist es natürlich ein bisschen unklar, wie es jetzt mit dieser Richtlinie weitergeht.

Es ist gut möglich, dass die Richtlinie wegen der deutschen Enthaltung scheitert. Das ist noch nicht ganz klar, wie da die Mehrheiten liegen. Germanwatch sagt: So richtig gescheitert ist sie noch nicht, aber es ist zumindest offen. Natürlich geht es einerseits auch um diese Richtlinie Kommt die jetzt? Kommt die nicht? Welche Regelung gelten? Aber in Sachen German Vote geht es ja hier noch um was Größeres.

Ulf

Ja, es geht ja letzten Endes darum, dass Deutschland auf europäischer Ebene sich zum Horst macht. Deutschland? Ja, muss man sagen. German Horst. Also Deutschland zeigt sich hier einfach als unzuverlässiger Verhandlungspartner, weil es an einer Stelle auf die Bremse tritt, wo das einfach die europäische Rechtsordnung nicht mehr vorsieht. Ja, formal wird abgestimmt. Aber die oder die jedenfalls die Rechtspraxis der Europäischen Union seit Jahrzehnten geht in die Richtung Verhandelt wird bis zum

Trilog. Wenn es im Trilog eine Einigung gibt, dann ist das Ding durch. Und diese, diese Strategie, die die FDP jetzt der Bundesrepublik quasi aufdrückt, jahrelang mitverhandeln, der EU Ratspräsidentschaft die Unterstützung zusichern, eigene Wünsche durchsetzen, der Beschlussfassung im Trilog zustimmen und am Ende ein Vorhaben doch blockieren. Ja, sorry, nicht mit uns ist uns dann etwas eingefallen. Das macht Deutschland einfach unzuverlässig und das funktioniert

einfach nicht. Und zwar ganz egal, was auf dem Tisch liegt. So geht es quasi prozedural.

Philip

Und das ist, finde ich, ein gutes Beispiel für politische Kultur. Es ist so eingeübt. Ja, formal müssen wir da jetzt nicht zustimmen. Formal kommt dann noch eine Zustimmung. Aber die Kultur, die politische Kultur ist einfach so, dass das einmal verhandelt ist und jetzt nur noch formal zugestimmt wird. Und die FDP grätscht dagegen und die Kosten sind enorm.

Die Zeit kritisiert: Diese schwankende Haltung Deutschlands, zerstört das Vertrauen in die Verlässlichkeit Deutschlands als seriöser Partner in der europäischen Demokratie. Die FDP schadet der politischen Kultur in Brüssel. Zugleich ist es ein eindrucksvolles Zeugnis für die Führungsschwäche des Bundeskanzlers Olaf Scholz, schreibt Die Zeit.

Ulf

Ja.

Philip

Also ich glaube, daran besteht kein Zweifel. Scholz hat sich wieder vorführen lassen von der FDP. Die FDP will halt dieses Lieferkettengesetz nicht.

Ulf

Neuerdings. Sie fanden es lange super.

Philip

Und Scholz könnte natürlich sagen, ich hab hier die Richtlinienkompetenz. Das mag ja alles sein, dass ihr das nicht mögt, aber natürlich stimmen wir da jetzt zu, weil wir das schon die ganze Zeit zugestimmt haben. Und die europäische Verlässlichkeit Deutschlands ist wichtiger als eure Bürokratieeinwände. Passiert nicht. Die Frage ist ja warum ist Scholz, vielleicht passt ihm das vielleicht auch ganz gut? Hat er vielleicht keinen Bock auf diese Lieferkettengesetz?

Ulf

Ich finde, das geht jetzt zu weit. Da haben wir einfach keine Anhaltspunkte. Denn das würde ja vor allem auch bedeuten, dass er seinen Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil düpiert. Also da muss ich ganz ehrlich sein, das hätte er dann auch schon 2020, als Deutschland die Ratspräsidentschaft hatte, gut ausbremsen können. Das hätte er ja hinter den Kulissen quasi sang und klanglos killen können als als quasi deutsches Thema.

Gut, aber es war noch Finanzminister, nicht Bundeskanzler, das war noch Angela Merkel. Aber trotzdem. Da hätte er schon viel früher seinen Einfluss geltend machen können, wenn er wirklich ein Gegner dieser Lieferkettenregulierung wäre. Ich glaube das, das kann man ihm nicht unterstellen. Ich denke eher, dass dieses Beispiel mal wieder zeigt, da ist eigentlich ein Update fällig der Geschäftsordnung der Bundesregierung.

Man kann an dieser Stelle einfach nicht auf Einstimmigkeit setzen, sondern das deutsche Abstimmungsverhalten im Rat muss aus meiner Sicht hier einfach im Zweifel einer Mehrheitsentscheidung unterliegen. Da sollte die Bundesregierung im Zweifel einfach abstimmen. Und wenn es eine Mehrheit dafür gibt, dann stimmt Deutschland zu. Denn mal ganz ehrlich das schadet dem Ruf Deutschlands ganz enorm und das schadet uns ganz unabhängig von diesen Lieferketten vorhin.

Selbst wenn das alles stimmt mit hunderten zusätzlichen Beamten und was weiß ich das schadet Deutschland so fundamental. Heute habe ich im Deutschlandfunk noch gehört, O-Töne von einer niederländischen Ministerin, die sich also wirklich aufgeregt hat. Und das funktioniert so einfach nicht. Also ich persönlich sehe das ganz große Problem, dass die FDP einfach in Panik ist, weil sie momentan in Umfragen bei 4 % steht. Also bei Neuwahlen aus dem Bundestag fliegen würde.

Und von dieser Partei lässt sich Olaf Scholz hier vorführen. Da kann man sich echt nur noch wundern. Und das Problem ist ja Philip, mir scheint, das ist auch nicht das letzte Mal, wo die FDP diese Blutgrätsche spielt.

Philip

Ich gucke gestern Abend noch mal so ein bisschen durch die Online News und um zu gucken, ob wir noch irgendwie was hier einbauen müssen und lese dann im Spiegel den Titel: Deutschland blockiert EU Klimavorgabe für LKW und Busse. In letzter Minute hat die FDP offenbar Bedenken angemeldet. Wegen der unklaren deutschen Position wurde die Abstimmung über eine fertig ausgehandelte EU Regelung über CO2 Sparziele für LKW und Busse verschoben. Finde das Muster.

Ulf

Zu unserem nächsten Thema. Wir sind ja bei der Versorgung mit Elektrizität in Deutschland auf dem Weg hin zu 100 % grünem Strom. Aber ein durchaus ernst zu nehmendes Problem dabei ist die sogenannte Versorgungssicherheit. Etwas wissenschaftlicher wird sie diskutiert unter dem Stichwort Dunkelflaute.

Philip

Ich weiß nicht, ob das der wissenschaftliche Ausruck dafür ist, aber ok. Es ist auf jeden Fall ein Wort für das Phänomen. Sagen wir es mal so.

Ulf

Gut. Dunkelflaute. Was bedeutet das? Das bedeutet einfach. Was passiert denn eigentlich, wenn die Sonne nicht scheint und auch kein Wind weht? Denn logo, wenn die Sonne nicht scheint, gibt es keine Photovoltaik, keine Solarenergie. Und wenn kein Wind weht, dann dreht sich auch kein Windrad. Also Preisfrage: Woher kommt dann noch der Strom?

Philip

Ja genau. Und da hat sich jetzt diese Woche die Ampel auf ein wichtiges Puzzlestück geeinigt für die Energiewende. Denn sie hat eine Strategie veröffentlicht für diesen Fall. Wie wollen wir mit dem nicht wahrscheinlichen, aber doch möglichen Fall umgehen, dass in Zukunft unser Stromsystem zu nahezu 100 % von erneuerbaren Energien lebt, aber eben dann eventuell Sonne und Wind dann mal die Nachfrage nicht komplett befriedigen können. Was machen wir dann? Woher kommen diese Backupkraftwerke?

Und dazu muss man natürlich sagen, Deutschland ist da schon auf einem guten Weg, du hast es gesagt.

Ulf

Also beim Ökostrom.

Philip

Beim Ökostrom generell, also zuletzt kam eben über die Hälfte des Stromsverbrauchs aus erneuerbaren Energien 2030. Das klingt immer wie nächstes Jahrtausend, das ist schon in sechs Jahren. Sollen wir bei 80 % sein, also 80 % des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen.

Ulf

Aber trotzdem Philip, ich meine, es wird immer so gesagt Riesenherausforderung. Ist ja auch alles richtig. Ich finde es trotzdem beeindruckend zu sagen, dass wir jetzt innerhalb von paar Jahren es geschafft haben, bei einer Quote von 50 % anzukommen. So richtig angefangen hatte der Ausbau, kann man sagen, so um das Jahr 2010 rum.

Philip

Naja 2000. Das Erneuerbare Energien Gesetz. Das war glaube ich 2000, da hat es richtig angefangen. Und deswegen wir haben jetzt fast 24 Jahre gebraucht, um zu guter Hälfte zu kommen.

Ulf

Natürlich auch mit mit so fast zehn Jahren, wo insbesondere unter, unter Schwarzgelb und dann am Anfang unter der GroKo wirklich alle möglichen Leute mit beiden Füßen auf der Bremse standen.

Philip

Die große Bremse war auch damit eingebaut, aber so ist es. In wenigen Jahren, in sechs Jahren sollen wir über 80 % haben. Gleichzeitig muss man sagen, ist auch der Kohleausstieg auf einem relativ guten Weg. Also EnBW in Baden Württemberg will 2028 raus sein aus der Kohle. 2030, das ist das wichtigere Revier, will das Rheinische Revier raus sein aus der Kohlekraft.

Ulf

Das ist hier diese Braunkohle. Ja, besonders schmutzige Braunkohle in Lützi und so.

Philip

Und dann idealerweise, da gibt es jetzt auch noch Verhandlungen, das ist noch nicht in trockenen Tüchern, soll auch die Lausitz dann nicht erst 2038 raus sein, sondern auch schon 2030. AKW Atomkraftwerke sind eh jetzt weg.

Ulf

Ganz kleine Fußnote nur zum Thema AKW, weil wir das häufig gefragt. Das ist ein super spannendes Thema, wird ständig im Lage Forum diskutiert. Das kommt in der Lage bislang ganz wenig vor, weil das für uns immer völlig klar war Atomkraft ist weg, so wie du es jetzt beschrieben hast. Es gibt natürlich draußen im Land Millionen Menschen, die sich fragen Wieso denn eigentlich nicht Atomkraft?

Wir wollen jetzt hier keine Riesendiskussion aufmachen, aber die wichtige Information an der Stelle ist Selbst die Firmen, die Atomkraftwerke in Deutschland betrieben haben, sagen unisono: Wollen wir nicht. Ist vollkommen durch das Thema, reine politische Scheindebatte. Das muss man leider insbesondere der Union, natürlich auch der AfD und in Teilen der FDP ins Stammbuch schreiben. Das ist eine totale Quatschdebatte. Wenn man jetzt anfinge, mit neuen Atomkraftwerken...

Philip

Neue Genehmigungen.

Ulf

15 Jahre Bauzeit, zweistellige Milliardensummen an Investitionen ist also komplett unökonomisch, Macht überhaupt gar keinen Sinn. Also, das muss man in dieser krassen Deutlichkeit sagen, weil ich den Eindruck habe, dass es da in Deutschland immer noch Leute gibt, die das einfach aus welchen Gründen auch immer nicht verstanden haben. Das ist ausnahmsweise mal keine Frage, über die man politisch sinnvoll diskutieren kann, sondern Atomkraft ist tot.

Siehe die Einschätzung der Unternehmen, die sie betreiben könnten müssten.

Philip

Ein Kohleausstieg ist auf dem Weg, AKW sind raus. Und dann ist halt die Frage ja was machen für den Fall wie vorsorgen für den Fall, dass Erneuerbare irgendwann mal zumindest, da geht es nicht um Wochen, sondern da geht es immer um Stunden oder so was nun mal nicht genug Energie liefern können. Experten sagen so 20 bis 30 Gigawatt Kapazität fallen weg, wenn alle Kohlekraftwerke, alle anderen Kraftwerke abgeschaltet sind. Das ist also schon erheblich.

Und da gibt es einige Hebel, die man im Stromnetz und bei der Marktgestaltung einsetzen kann, um diesen Wegfall der Kraftwerkskapazität zu begegnen.

Ulf

Also in einem geringfügigen Maß spielen da Stromspeicher eine Rolle. Es ist gar nicht so einfach, ganz viel Strom zu speichern. Es geht am besten eigentlich noch in Pumpspeicherkraftwerken.

Philip

Wasserstoff.

Ulf

Oder in Wasserstoff. Das ist die zweite Möglichkeit. Es ist aber jedenfalls nicht so ganz einfach. Stromspeicher im engeren Sinne ist dann tatsächlich vor allem mit Pumpspeicherkraftwerken möglich. Es gibt natürlich auch einzelne Projekte mit Akkumulatoren, aber das ist nicht so wahnsinnig überzeugend, wie gesagt. Die großtechnische Methode, die jetzt am Horizont ist, ist tatsächlich das Umwandeln in Wasserstoff. Da ist aber die Frage, in welchem Ausmaß das tatsächlich funktionieren

wird. Denn auch den Wasserstoff muss man ja wiederum speichern und das ist, wenn man verliert, natürlich auch viel Energie bei der Umwandlung.

Philip

Richtig. Das gilt für alle diese Hebel. Sie sind alle in die Zukunft gerichtet und wir wissen bei allen nicht so richtig genau, wie sich das entwickelt. Wir wissen nicht genau, wie entwickelt sich die Sonne? Sonneneinstrahlung im Klimawandel. Wir wissen nicht genau, wie entwickelt sich der Wind. Wir wissen nicht genau, welche Rolle werden Stromspeicher spielen, aber sie werden eine Rolle spielen. Damit kann man dann auch Flauten abfangen, weil dann Strom eben aus solchen Speichern

kommen kann. Der zweite Hebel sind natürlich Importe aus europäischen Verbundnetz. Ist auch wichtig.

Ulf

Das ist eine extrem wichtige Ergänzung. Zum Beispiel weil, wenn man das Stichwort Dunkelflaute hört, das klingt ja erst mal so fatal Was soll man tun? Keine Sonne, kein Wind, Wir sind quasi verloren. Der Witz ist aber: Klar, die Sonne geht zu etwa zur selben Zeit in Europa unter, mit so plusminus einer Stunde. Aber dass der Wind überall in Europa gar nicht weht, das ist wirklich überraschend

selten. Mit anderen Worten mit Stromaustausch über die Grenzen der Staaten der Europäischen Union hinweg kann man die allermeisten Dunkelflaute schon mal ganz gut ausgleichen. Vorausgesetzt, die Leitungen halten das durch. Und vorausgesetzt, die Länder haben alle so große Überkapazitäten bei Windkraft, dass sie tatsächlich auch Nachbarstaaten mit versorgen.

Philip

Und der dritte große Hebel ist die, wie das ja immer so heißt die Flexibilitäten, die Flexibilisierung. Das ist ziemlich abstrakt, meint aber, dass man einfach die Nachfrage an das Stromangebot anpassen kann. Was ist damit gemeint? Heute steckst du dein eAuto in die Dose und es lädt. Punkt. In Zukunft müsste es eigentlich so sein. Du steckst das eAuto in die Dose und es lädt dann, wenn halt besonders viel Strom zur Verfügung steht und lädt eben eher nicht dann, wenn Strom gerade knapp ist.

Ulf

Ja, und in der nächsten Ausbaustufe zum Beispiel könnte man sich sogar überlegen, dass Strom aus Auto Akkus sogar wieder ins Netz eingespeist wird. Also wenn es quasi so eine Art negativen Strompreis gibt in den Situationen, wo man aus dem privaten Stromspeicher wie der Strom ins Netz einspielt.

Philip

Und das gilt auch für Wärmepumpen mit Speicher. Also alle Verbraucher, die irgendwie ihre Arbeit an den Strompreis, an das Stromangebot anpassen können, ohne dass ihre Funktion signifikant eingeschränkt wird. So will ich es mal formulieren, sind diese Flexibilitäten oder sind Wärmepumpen. Das sind eAutos vor allen Dingen und das sind überhaupt alle privaten Verbraucher auch Waschmaschine. Die läuft dann halt nachts, wenn der Strom günstig ist oder meinetwegen auch tagsüber, wenn halt...

Ulf

Im Sommer.

Philip

...Sonne da ist und das Angebot groß ist. Also das Potenzial ist bisher kaum genutzt, weil du brauchst natürlich Smartmeter dafür. Du brauchst halt einen Hausanschluss, der das dann halt auch regeln und abrufen und abrechnen kann. Du brauchst auch Geräte, die das können.

Ulf

Die preissensibel sind.

Philip

Ddu brauchst Tarife, Stromtarife, die dir halt den Strom unterschiedlich am Tag berechnen, je nachdem wie das Strom Angebot ist. Das gibt es In Ansätzen, aber eben noch nicht wirklich.

Ulf

Und der Witz dabei ist wirklich, dass so ein richtiges Umdenken dahinter steht und ein richtiger Paradigmenwechsel. Denn die Atomkraftwerke, die wir eben früher hatten, die konnte man ja extrem schlecht regeln. Auch Kohlekraftwerke kann man nicht so wahnsinnig gut regeln, sondern die produzieren halt dauernd Strom. Und da gab es seit den 60er Jahren immer wieder das Problem, dass man eben ganz viel Strom hatte, der irgendwo hin musste, weil man die Kraftwerke nicht abriegeln

konnte. So ist in Deutschland vor allem die Straßenbeleuchtung entstanden. Also hat in 60er Jahren angefangen, ganz viel Straßenlaternen aufzubauen.

Philip

Und Autobahnen.

Ulf

Und Autobahnen in Belgien, vor allem Autobahnen zu beleuchten, weil der Strom irgendwo hin musste. Man hatte einfach zu viel Strom nachts, weil man die die Kapazitäten der Atomkraftwerke und der Kohlekraftwerke halt ausgerichtet hat an den Peak Kapazitäten, die tagsüber verbraucht wurden. Und heute muss man jetzt eben umdenken.

Jetzt muss man eigentlich mal überlegen, ob man nicht zum Beispiel bei der Straßenbeleuchtung, die wie gesagt ursprünglich mal gebaut wurde, um Strom zu verschwenden ehrlich gesagt, ob man da nicht auch mal wieder so ein bisschen zurückbauen könnte. Vielleicht gibt es einfach auch eine ganze Menge an quasi elektrischen Verbrauchern, an die wir uns gewöhnt haben, die eigentlich gar nicht sein müssten.

Philip

Und der vierte Hebel neben Stromspeicher, Importe, Flexibilisierung sind eben Kraftwerke. Flexible Gaskraftwerke, die noch gebaut werden müssen. Gas heißt fossil, aber natürlich idealerweise eigentlich Wasserstoff. Das funktioniert dann letztlich wie so ein normales Gaskraftwerk auch. Da wird dann halt Wasserstoff verbrannt. Das hat so ein paar technische Herausforderungen. Die Flamme da stabil zu halten, ist nicht so ganz einfach.

Außerdem entstehen so ein paar andere, sagen wir mal, Gase, mit denen man irgendwie umgehen muss.

Ulf

Stickoxide vor allem.

Philip

Das scheint man in den Griff zu kriegen. Also ist der Neubau von Kraftwerken ein wichtiger Hebel, um sich abzusichern in einem 100 % erneuerbaren Stromsystem.

Ulf

Und das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln schätzt, dass bis 2030 eben wegen dieser Umstellungen es ein Bedarf geben werde an zusätzlicher Kapazität im Bereich von Gaskraftwerken von immerhin 23 Gigawatt. Das ist schon eine enorme Kraftwerksleistung. Das wird erforderlich sein, so die Schätzung, wenn tatsächlich alle Kohlekraftwerke vom Netz gegangen sind.

Philip

Ja, genau. Und da muss man sagen, diese Gaskraftwerke, die werden halt von den Unternehmen aus, ich will nicht sagen gar nicht gebaut, aber zu wenig gebaut. Einfach schlicht und ergreifend deshalb, weil die Betriebswirtschaft dahinter zu unklar ist. Diese Gaskraftwerke, diese neu gebauten Gaskraftwerke, die sollen ja im Idealfall gar nicht laufen. Und wenn, dann nur im Notfall sollen sie halt Strom liefern. Und das ist natürlich dann super schwer zu kalkulieren.

Kriegen wir da unsere Ausgaben wieder rein? Außerdem wird CO2 natürlich immer teurer und wenn die mit Gas laufen, ist das auch unkalkulierbar oder schwerer zu kalkulieren. Deswegen werden diese Backupkraftwerke aus dem Markt heraus von der Industrie viel zu wenig gebaut.

Ulf

Und die Ampel hat jetzt endlich eine Antwort darauf gegeben, wie mit diesem Problem umzugehen sein könnte. Sie hat nämlich die seit Monaten erwartete Kraftwerksstrategie vorgelegt. Auf Deutsch bedeutet das: Wir subventionieren den Bau neuer Gaskraftwerke, weil die Industrie das eben nicht von allein tut. Und die Kraftwerksstrategie sieht dazu vor, dass immerhin zehn Gigawatt an Leistung von Gaskraftwerken ausgeschrieben

werden soll. Das heißt also, der Bund sagt im Grunde, wir hätten gern diese Kraftwerke, wer möchte es denn bauen? Und den Zuschlag für diesen Bau bekommt dann, wer am wenigsten Subventionen dafür braucht.

Philip

Ja, dafür hat die Regierung jetzt 16 Milliarden € Förderung veranschlagt. Für die nächsten 20 Jahre also plus minus 1 Milliarde pro Jahr, sage ich mal so ganz grob. Das Geld soll halt aus diesem schon viel zitierten KTF Klima- und Transformationsfond kommen, in dem im Wesentlichen die Gelder aus dem Verkauf der CO2 Zertifikate landen. Reine Wasserstoffkraftwerke soll es nur mit einer Kapazität von 500 Megawatt im Forschungsbereich geben. Das ist dann mal so die kleine ernüchternde Fußnote.

Der Rest dieser ganzen Kraftwerke soll zwischen 2035 und 2040 vollständig mit Wasserstoff betrieben werden, also in frühestens zehn Jahren.

Ulf

Das bedeutet natürlich auf Deutsch, dass diese Kraftwerke zuerst mal mit Gas, und zwar mit fossilem Gas, weit überwiegend betrieben werden. Das heißt also, sie werden weiterhin CO2 Emissionen produzieren, Sie werden keinen grünen Strom produzieren, wenn es nicht ausnahmsweise Biogas ist. Und das ist zwar aus der CO2 Perspektive immer noch ein großer Fortschritt, weil Braunkohlekraftwerke und andere Kohlekraftwerke wesentlich mehr CO2 emittieren.

Gas ist ein Fortschritt. Und Gas ist auch insofern ein Fortschritt, als er eben quasi ermöglicht, dass man ansonsten umstellt auf erneuerbare Energien. Aber es ist eben bei weitem nicht der ganz große Wurf im Bereich der CO2 Einsparung, weil Wasserstoff eben prinzipiell CO2 frei verbrannt werden könnte.

Philip

Wenn es grüner Wasserstoff ist. Richtig, genau. Jetzt ist natürlich die Frage auch wieso nur zehn Gigawatt? Ich dachte, der Bedarf, der entsteht, wenn die ganzen Kraftwerke abgeschaltet werden, liegt so eher bei 24 25 Gigawatt. Na ja, im Kern ist das eigentlich eine Sparmaßnahme. Denn mehr Gigawatt, mehr Kraftwerke bedeuten eben auch mehr Subventionen. Und das wollte die FDP nicht.

Da haben sie gesagt: Also ja, wir können das gerne subventionieren, aber erst mal bitte nur zehn Gigawatt und nicht 20 oder gar 30.

Ulf

Das natürlich richtig für den Einstieg in diese, in diese Transformation. Es ist wichtig für den Einstieg in die in den Bau dieser Reservekraftwerke. Aber Philip, da entsteht doch dann eine Versorgungslücke in der Größenordnung von 10 bis 20 Gigawatt.

Philip

Das kommt eben darauf an, diese anderen Hebel wirken ja auch. Na ja, wir haben gesagt, Batterien, Importe und vor allen Dingen Flexibilisierung. Das heißt auch da für den Fall, dass du mal mehr Nachfrage hast als Strom aus Erneuerbaren geliefert werden kann, ist dann die Erwartung, dass wir durch zum Beispiel Flexibilisierung die Nachfrage einfach senken und der Bedarf an Strom so weit runtergebracht werden kann, dass er eben befriedigt werden kann durch erneuerbare Energien.

Wie viel das am Ende genau ausmacht, ob jetzt fünf, zehn oder 15 Gigawatt danach, das ist halt noch ein bisschen offen. Aber einig sind sie sich glaube ich auch, dass zehn Gigawatt neue Kraftwerke mal der Anfang sind.

Ulf

Ich meine, ich finde es erst mal richtig, dass man damit anfängt, dass überhaupt diese diese heute Gas später H2 Kraftwerke gebaut werden. Was mich interessieren würde wirklich so informatorisch, das haben wir jetzt nicht vorbereitet, aber vielleicht weißt du das ja spontan. Gibt es denn auch schon Anreize der Bundesregierung für diese anderen Maßnahmen, die da im Bereich Flexibilisierung eine Rolle spielen?

Also zum Beispiel gibt es da Smart Meter Förderungen, zum Beispiel, oder gibt es Förderungen für Stromtarife, die die eben so nach, die die flexiblen Strompreise anbieten?

Philip

Also Förderung nicht in dem Sinne für Smart Meter. Also gibt es glaube ich auch ein bisschen Förderung. Aber was bei Smart Meter vor allen Dingen passiert ist, ist Der Einbau ist extrem vereinfacht worden.

Ulf

Okay.

Philip

Also es war lange so, dass Smart Meter Hersteller unglaubliche Sachen vorbringen mussten, um überhaupt zugelassen zu werden von der Bundesnetzagentur. Da gab es ein Datenschutzbedenken gegen alles Mögliche. Und dieser Prüfprozess für Smart Meter, dieser Zulassungsprozess ist deutlich vereinfacht worden. Das heißt, es ist jetzt viel, viel leichter, es Smartmeter einzubauen in privaten Haushalten. Das ist auf jeden Fall eine Erleichterung, die in diese Richtung geht. Punkt.

Dann ist natürlich die zweite Sache, du hast das ja auch schon angesprochen, jetzt laufen diese Dinger, wenn sie denn gebaut werden, ja mindestens zehn Jahre noch mit fossilen Gas. Wie soll das denn passen? Wir haben ja Klimaziele. Wir haben ja auch noch andere Emissionen in der Industrie, die sich wahrscheinlich nicht vermeiden lassen. Wir haben einen Autoverkehr, wir haben alles Mögliche noch.

Und da sagt die Ampel: Na ja, wir fördern ja gleichzeitig auch CCS, also Carbon Capture in Storage, zu deutsch Kohlenstoff einfangen und lagern. Also diese Idee, wir nehmen CO2, was nicht völlig vermeidbar ist, fangen das aus der Luft und verbuddeln es in der Erde, verprassen es in der Erde oder verbauen es halt in anderen Produkten.

Ulf

Und da hatten wir ja im Dezember schon die Frage diskutiert, weil die ja, weil die auch schon bei der letzten Klimakonferenz eine Rolle gespielt hat: Wie sinnvoll ist der Einsatz von CCS? Und Also klar, gerade in der Industrie macht das auf jeden Fall Sinn, weil es einfach bestimmte, zum Beispiel chemische Prozesse gibt, wo Kohlendioxyd zwingend entsteht. Also ein klassisches Beispiel ist die Produktion von Zement. Ganz ohne CO2 geht es nicht.

Und dann ist halt die Idee, dass man dieses CO2 nicht in die Umwelt emittiert, sondern dass man es einfängt und in irgendeiner Art und Weise entsorgt, zum Beispiel durch Verpressen und da zum Beispiel viele sind auch glaube ich Umweltverbände d'accord, weil sie sagen hilft ja nix, das CO2 entsteht nun mal, dann lass es wenigstens nicht in die Atmosphäre.

Philip

Richtig, das ist eine relativ neue Entwicklung. Es sind noch nicht alle Umweltverbände damit der d'accord aber so wesentliche, der NABU ist, glaube ich dabei, der WWF und so, die haben sich neulich mit Gewerkschaften dazu geäußert und zusammengetan und gesagt: Ja, für die Industrie kann das durchaus Sinn machen. Greenpeace und ich glaube, BUND sind da immer noch skeptisch. Aber bei der Industrie können sich zumindest viele drauf einigen.

Da kann CCS eine wichtige Rolle spielen und wird jetzt erst auch eine wichtige Rolle spielen. Anders ist das aber bei der Energieerzeugung, also speziell bei der Stromerzeugung. Da ist CCS einfach viel zu teuer. Natürlich kostet CCS auch Energie und Strom und Geld, um das zu machen, aber bei der Stromerzeugung lohnt sich das einfach nicht, sagen viele Umweltverbände, weil es halt viel, viel günstiger Alternativen gibt, Ökostrom herzustellen, nämlich direkt mit Wind oder PV.

Deswegen sei CCS in diesem Kontext, also speziell jetzt zum Beispiel bei den neuen Gaskraftwerken, die Strom erzeugen sollen der falsche Weg und würde letztlich nur dazu dienen, dass eben der fossile Betrieb oder der Betrieb von fossilen Kraftwerken verlängert wird. So nach dem Motto Ja, ja, wir haben ja diese fossilen Gaskraftwerke. Die sind zwar ein bisschen nervig, aber wir haben ja CCS, fangen das CO2 teuer wieder ein und deswegen können wir diese Gaskraftwerke weiter betreiben.

Das ist die Argumentation und die Befürchtung vieler Umweltverbände. Denn es gibt wie gesagt bessere Alternativen für diese Gaskraftwerke, zum Beispiel Wasserstoff.

Ulf

Und wenn man da jetzt mal dieses Thema so ein bisschen abbindet, würde ich auch sagen, also eigentlich wäre es doch viel sinnvoller, wenn die Ampel von vornherein gleich Wasserstoffkraftwerke anschieben würde. Meinethalben nicht nur weil natürlich die Frage auch immer ist, wo kommt der Wasserstoff her? Ist der wirklich grün? Aber jedenfalls eine höhere Quote. Ich meine, jetzt sind es irgendwie 500 Megawatt, also 0,5 Gigawatt von zehn. Das sind mal gerade 1/20 der Kapazität.

Philip

Ich glaube sogar, diese 500 sind extra.

Ulf

Also okay, jedenfalls im Verhältnis ist es einfach nur 1/20 dessen, was da an Gaskraftwerken sonst angeschoben wird. Also da hätte man sich schon eine andere Quote vorstellen können. Man hätte sich ja zum Beispiel auch eine gestaffelte Subventionierung vorstellen können, dass es zwar letztlich die Kraftwerksbetreiber sich auswählen können, aber dass es einfach mehr Geld gibt für H2, denn dann kämen wir der Klimaneutralität einfach schneller näher.

Ich glaube, die Ampel wollte ja ursprünglich auch noch viel mehr auf Wasserstoff setzen, aber dass das jetzt nicht passiert, ist davon auch eine Sparmaßnahme.

Philip

Ja, Habecks Ministerium wollte viel mehr auf Wasserstoff, vor allem den grünen Wasserstoff, für diese Backupkraftwerke setzen. Aber letztlich genau du sagst, es ist das eine Sparmaßnahme, weil einfach Wasserstoff, zumal grüner, heute noch extrem knapp ist, damit extrem teuer ist. Das wird sich in nächster Zeit auch nicht grundlegend ändern.

Und das heißt, wenn du jetzt sagst, wir verfeuern in unseren Backupkraftwerken Wasserstoff, grünen Wasserstoff, dann wäre das wesentlich teurer als fossiles Gas. Das heißt, es würde viel mehr Subventionen kosten und dagegen hat sich die FDP gesperrt.

Ulf

Auf der anderen Seite entsteht natürlich jetzt auch so eine Art Henne Ei Problem. Das ist ja immer so ein bisschen das Ding, wenn man, wenn man etablierte Prozesse in der Wirtschaft oder in diesem Fall in der Stromerzeugung umstellen will, auf was Neues, also zum Beispiel Kraftwerke jetzt in Zukunft mit Wasserstoff betreiben will, dann stellt sich ja nicht nur die Frage was kostet der

Wasserstoff? Es stellt sich auch die banale Frage Na, wie kommt denn der Wasserstoff eigentlich zuverlässig in die verschiedenen Kraftwerke und wie wird er erzeugt? Und mit diesen Wasserstoffkraftwerken hätte man einfach einen ausgesprochen willkommenen Anreiz geschaffen, sowohl die Leitungen zu bauen, als auch die sogenannte Elektrolyseure zu bauen, also die entsprechenden Geräte, die aus idealerweise grünem Strom Wasserstoff machen.

Und das wird natürlich beides jetzt dann schwieriger und länger dauern.

Philip

Ja, zumal ja die Bundesregierung ein sogenanntes Wasserstoffkernnetz plant und auch mit sehr viel Geld subventioniert, fast 10.000 Kilometer durch Deutschland. Und natürlich ließe sich das wesentlich wirtschaftlicher betreiben, gäbe es dort zehn 15 Wasserstoffkraftwerke an zentralen Orten. Jetzt sind die halt frühestens in zehn Jahren, wenn das mal reicht, da. Also das macht natürlich dieses Wasserstoffkernnetz so, dass es nicht attraktiver und wirtschaftlicher.

Ulf

Aber wenn jetzt mal ein Strich drunter macht. Phillip, Stichwort Versorgungssicherheit. Reicht das denn, was die Ampel da plant? Oder geht irgendwann der Strom aus?

Philip

Also es ist wie gesagt, es ist ein Blick in die Zukunft und ich habe mir auch noch mal ein paar wissenschaftliche Statements angeguckt und so und da sagen viele, es ist halt mit großen Unsicherheiten behaftet. Ich habe die oben genannt. Die FDP hat noch als Antwort auf diese Unsicherheit ein weiteres Konzept mit angeschoben und jetzt in diese Strategie mit eingebracht. Und das ist der sogenannte Kapazitätsmarkt.

Also da ist die Idee, wir haben einen Strommarkt, auf dem Strom gehandelt wird, der abgerufen wird, und wir haben einen zweiten parallelen Markt, auf dem Kapazitäten gehandelt werden. Also ich sage mal so die Möglichkeit, das Angebot Hallo, ich könnte wenn ihr wollt jetzt Strom produzieren, macht das aber nicht. Stelle mich als Backup zur Verfügung und dafür hätte ich gern Geld. Das ist ein viel diskutiertes Konzept. Es ist in einigen an ein, zwei europäischen Ländern auch

gemacht, glaube ich. Belgien oder die haben so was. Der Vorteil aus Sicht der FDP ist auf diesen Kapazitätsmärkten, da können nicht nur Wasserstoffkraftwerke ihre Kapazitäten anbieten und dann auch bezahlt bekommen, obwohl sie gar keinen Strom liefern, sondern nur die Kapazität bereithalten, sondern eben auch Braunkohlekraftwerke zum Beispiel oder Biogasanlagen. Das wäre dann so technologieneutral.

Denn der Nachteil daran ist a) natürlich könnte das ein Anreiz sein, um fossile Kraftwerke im Markt zu halten, weil die ja mit so Kapazitäten dann auch ihr Geld verdienen können. Der andere Punkt ist, wenn man das denn will, muss man damit am besten gestern anfangen, weil das extrem komplex ist. Das ist extrem bürokratieaufwendig. In Belgien glaube ich, hat das sieben Jahre gedauert oder so nur diesen Markt aufzubauen.

Und das führt auch zur Generalkritik, die man an dieser Strategie jetzt üben kann. Sie kommt einfach verdammt spät. Sie kommt einfach verdammt spät und es dauert auch, diese fossilen Gaskraftwerke zu bauen mehrere Jahre, sechs, sieben Jahre, bis die überhaupt da sind. Dann sollen sie kurze Zeit später mit Wasserstoff betrieben werden. Also da ist die Ampel spät dran. Soll ja in sechs Jahren schnell den ersten Kohleausstieg geben. Ich würde sagen, es ist ein wichtiger erster Schritt.

Es ist gut, dass sie das jetzt machen, aber es ist doch in vielen Punkten bisschen kurz gesprungen.

Ulf

Zu unserem nächsten Thema. An diesem Sonntag ist Bundestagswahl. Das mag für viele von euch überraschend kommen und natürlich gilt das auch nicht in ganz Deutschland, aber doch immerhin in Berlin in einer ganzen Reihe von Wahlbezirken. Also auf Deutsch. Wie sagt man da Wahlbüros.

Philip

Wahllokal. Und da ist natürlich erste Frage: Wieso wird jetzt in Berlin zumindest ein Teil der Bundestagswahl wiederholt? Na ja, also Berlin hat ja versucht, die Bundestagswahl 2021 zu organisieren.

Ulf

Gemeinsam mit einem Marathon und einer Landtagswahl und einer Volksabstimmung.

Philip

Das hat hat nicht funktioniert. Genau da haben sie sich verorganisiert. Der Ablauf war katastrophal, ist komplett in die Binsen gegangen.

Ulf

Ich war da ja unter anderem an der Front im Einsatz, als Wahlhelfer, also als Schriftführer, wie das so schön heißt in meinem Wahllokal. Und wir kamen ja nicht rein. Wir mussten erst mal schön die Feuerwehr rufen, um uns quasi das Wahllokal aufbrechen zu lassen. Wir hatten wir eine Schlüsselkarte bekommen, die nicht funktionierte. Herzlichen Glückwunsch!

Philip

Das hat überhaupt nicht funktioniert. Es gab zu wenig Wahlkabinen, zu wenig Wahlzettel usw. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Und deswegen hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Das sind so schwere Wahlfehler, das macht ihr bitte noch mal.

Ulf

Nicht in allen Wahllokalen, aber eben in einer ganzen Reihe. Und das bedeutet, dass unter dem Strich immerhin aufs ganze Bundesgebiet bezogen knapp 1 % der Stimmen der Bundestagswahl aus dem Jahr 2021 letztlich ungültig sind. Und nun wählen eben Teile von Berlin neu. Das passiert an diesem Sonntag. Und viele werden jetzt sagen: Na klar, nur knapp 1 %. Who cares? Das wird ja am Ergebnis der Bundestagswahl nichts ändern.

Und das stimmt insofern, als sich jetzt Olaf Scholz nicht direkt Sorgen machen muss, dass er an diesem Sonntag aus dem Kanzleramt fliegt. Aber Philip, trotzdem kann die Nachwahl doch etwas an der Zusammensetzung des Bundestags ändern.

Philip

Zum einen sind da natürlich Erststimmen. Also es gibt natürlich für diese ganzen Wahlkreise, für diese Wahlbezirke natürlich Direktkandidatinnen, Kandidaten, die stehen jetzt auch noch mal zur Wahl. Und wenn da jetzt natürlich andere Leute diese Wahlkreise gewinnen als 2021, dann kommen halt andere Leute in den Bundestag. Möglicherweise gehören die auch einer anderen Partei Fraktion dann an, aber so ein Wechsel ist nach Berechnung des Tagesspiegels in Berlin so eigentlich nur in vier Wahlkreisen

realistisch. Und auch da sitzen die meisten Kandidatinnen, die da antreten, sowieso schon im Bundestag und sind dort über die Liste reingekommen, also beispielsweise Tempelhof-Schöneberg. Da tritt Kevin Kühnert an und gegen Renate Künast von den Grünen. Beide sitzen schon im Bundestag. Wenn der eine jetzt also Kühnert dazu 2021 bei dieser für ungültig erklärten Wahl gewonnen. Wenn jetzt Künast gewinnt, dann ändert sich im Kern nicht viel.

Aber wenn neue Leute klar in den Bundestag kommen, dann verschiebt sich schon was. Was genau, hängt aber vor allem von den Zweitstimmen ab.

Ulf

Die Zweitstimme liegt ja letztlich fest, wie viele Sitze jede Partei im Bundestag bekommt. Stichwort Verhältniswahl. Und diese Sitze im Bundestag werden dann so besetzt, dass erst mal die 299 Gewinnenden aus den Direktmandaten ihren ihr Mandat im Bundestag bekommen. Und danach werden die verbleibenden Plätze mit Leuten von den Landeslisten aufgefüllt. Das ist so der Teil des Wahlsystems, die noch so halbwegs auf dem Zettel

hat. Aber im Vorfeld gibt es erst mal noch ein anderes Berechnungsverfahren, wo die Frage geklärt wird: Welches Bundesland darf denn eigentlich wie viele Politiker in den Bundestag schicken? Und das wiederum hängt von der Anzahl der Stimmen ab, die insgesamt in dem Land abgegeben wurden. Also wie viele Leute zum Beispiel von der Landesliste der Berliner SPD ziehen in den Bundestag ein? Das hängt davon ab, wie viele Leute in Berlin zur Wahl gegangen sind, also von der Wahlbeteiligung.

Philip

Richtig. Und der Tagesspiegel und hat mit wahlrecht.de das mal durchgerechnet. Ein paar Szenarien im Detail doch recht komplex. Haben wir natürlich verlinkt. Wir können das mal so ein bisschen eindampfen. Das Ergebnis dieser Berechnung ist, wenn die Wahlbeteiligung am Sonntag in Berlin ziemlich hoch ist. Wir haben ja jetzt 76 % genommen, dann bleibt im Kern alles, wie es ist. Keine Fraktion gewinnt oder verliert ein Sitz im Bundestag durch die Berliner Wahl.

Das ist aber eher unwahrscheinlich, dass so viele Leute zur Wahl gehen. Realistischer ist eine Wahlbeteiligung von eher 60 %, was auch schon relativ optimistisch ist. Dann könnte je nach konkretem Abstimmungsergebnis Union, Grüne und FDP je einen MdB je einen Sitz im Bundestag verlieren. Noch wahrscheinlicher ist das Ganze, wenn die Wahlbeteiligung dann noch niedriger ist und so was wie gegen 40 % geht.

Der Grund ist, wenn die Wahlbeteiligung in Berlin niedrig ist, wenn also in Berlin wenig Leute ihre Stimme abgeben, vor allen Dingen im Verhältnis dann zu den restlichen Bundesländern, dann bedeutet das Berlin insgesamt kriegt halt weniger Sitze im Bundestag. Und deswegen können dann unter Umständen für Berlin auch ein paar wegfallen. Manche werden ersetzt durch Leute aus derselben Partei in anderen

Bundesländern. Es gibt aber auch Szenarien, wo dann Fraktionen wirklich einen Sitz verlieren, vor allen Dingen Union, Grüne, FDP. Muss man mal abwarten.

Ulf

Ja, und daher ist die Wahl unterm Strich doch ziemlich wichtig. Also die großen Mehrheiten im Deutschen Bundestag werden sich diesen Sonntag nicht verschieben. Aber Berlin könnte insgesamt weniger repräsentiert sein. Und so im Nachkommabereich könnte sich durchaus auch die Stärke der Fraktionen verschieben.

Philip

Das war es für diese Woche. Die Lage der Nation ist wie immer ausführlichst und abschließend natürlich erörtert und analysiert. Wir danken euch auch für eure Aufmerksamkeit und möchten euch nicht ins Wochenende verabschieden, ohne noch einmal hingewiesen zu haben auf unseren Babymerch.

Ulf

Genau. Also wenn ihr immer schon mal eine lustige kleine Tasse mit einem Schnuller drauf haben wolltet vom Baby der Nation, klickt euch rein. LagederNation.org/Shop. Und natürlich freuen wir uns auch, wenn euch diese Sendung gefallen hat, über ein paar Sternchen in der App eures Vertrauens oder auch einen freundlichen Satz. Das hilft uns immer sehr, gefunden zu werden in diesem bunten Potpourri von Podcasts, die man inzwischen auf den verschiedenen Plattformen findet.

Philip

Danke für das Interesse. Bis nächste Woche. Winke, winke.

Ulf

Und Tschüss.

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