LdN366 Scholz und Taurus, EU-Hilfe für Ukraine, Verfassungsgericht schützen, Politische Stimmung in Deutschland, AI Act (Interview Prof. Philipp Hacker, Rechtswissenschaftler), Haftpflichtversicherung, Social Media Redakteurin - podcast episode cover

LdN366 Scholz und Taurus, EU-Hilfe für Ukraine, Verfassungsgericht schützen, Politische Stimmung in Deutschland, AI Act (Interview Prof. Philipp Hacker, Rechtswissenschaftler), Haftpflichtversicherung, Social Media Redakteurin

Feb 01, 20242 hr 48 minEp. 366
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LdN366 Scholz und Taurus, EU-Hilfe für Ukraine, Verfassungsgericht schützen, Politische Stimmung in Deutschland, AI Act (Interview Prof. Philipp Hacker, Rechtswissenschaftler), Haftpflichtversicherung, Social Media Redakteurin

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Ulf

Herzlich willkommen zur Lage der Nation Ausgabe Nummer 366 vom 1. Februar 2024. Und an den Mikrofonen begrüßen euch wie eigentlich fast in jeder Woche Ulf Buermeyer, das bin ich, Jurist aus Berlin und:

Philip

Philip Banse, Journalist aus Berlin. Ganz herzlich willkommen zu unserem wöchentlichen Politikpodcast, in dem wir die Lage hierzulande und in der Welt analysieren und zusammenkehren.

Ulf

Zu unserem ersten Thema. In der Ukraine tobt immer noch Krieg. Vor fast zwei Jahren hat Russland sein Nachbarland, die Ukraine, überfallen. Und die Ukraine ist zwar viel kleiner als Russland, hat insbesondere auch viel weniger militärisches Potenzial, konnte aber den russischen Vormarsch bisher stoppen, sogar einige Gebiete wieder von der russischen Besatzung befreien.

Aber Philip, ich glaube, man kann es nicht anders sagen, die militärische Lage in der Ukraine ist trotzdem weiterhin oder vielleicht sogar in den letzten Monaten besonders ernst.

Philip

Ja, es ist so, dass,laube ich, Russland ungefähr 17 % der ukrainischen Staatsfläche besetzt hält und hier und da tatsächlich jetzt auch wieder kleinere Territorien erobert, die zunächst von der Ukraine besetzt waren. Die Sommeroffensive der Ukraine letztes Jahr, in die ja alle Seiten, zumindest Ukrainer und auch große Teile des Westens, natürlich große Hoffnungen gesetzt hatten, die, muss man sagen, ist weitgehend gescheitert. Und seitdem herrscht ein ziemlich tödliches Patt.

Ulf

Genauso muss man das sagen. Es sterben jeden Tag Menschen auf beiden Seiten. Vor allem werden auch gerade auf ukrainischer Seite immer noch Zivilisten getötet, weil Russland ja weiterhin insbesondere mit Drohnen auch die Zivilbevölkerung der Ukraine ins Visier nimmt. Aber bislang gibt es aus einer militärischen Perspektive keine klare Entscheidung. Es erinnert ein bisschen an den Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs.

Auf der anderen Seite ist die mittel- bis langfristige Perspektive der Ukraine sehr ernst. Ich glaube, das ist nicht zu viel gesagt, denn Russland ist natürlich einfach viel, viel, viel größer als die Ukraine und hat einfach viel mehr wirtschaftliche Ressourcen.

Philip

Wirtschaftliche Ressourcen und auch muss man leider sagen Menschressourcen, also die schmeißen wirklich viele, viele junge Leute an die Front und in den Tod, die drehen die da wirklich durch den Fleischwolf. Es klingt brutal, aber ich glaube, das ist so und sie rücken eben, das habe ich gesagt, an verschiedenen Fronten vor, unter großen, großen Verlusten

zum Teil. Die Ukraine kämpft weiter, kann aber eben, und das ist auch seit langem klar und wird immer deutlicher, nur mithilfe aus dem Westen überleben, sei es mit Geld oder vor allen Dingen auch mit Lieferungen von Waffen.

Ulf

Ja, und ein dauerndes Problem auf ukrainischer Seite ist der Munitionsmangel. Das betrifft zum einen, ich sag mal vergleichsweise dumme Munition, also einfach Artilleriegranaten. Das betrifft aber mindestens ebenso sehr smarte Munition, also zum Beispiel Lenkwaffen, Marschflugkörper. Und deswegen ist heute jedenfalls die Perspektive, dass die Zeit eher für Putin spielt, weil er eben mehr militärische Ressourcen hat und weil es ihm offenbar auch gelungen ist, das westliche Embargo weitgehend zu

umgehen. Er schafft es zum Beispiel über Waffenlieferungen aus Nordkorea, über andere Schmuggelrouten oder auch durch Waffenlieferungen aus dem Iran weiter Drohnen zu bauen. Mit Mikrochips zum Beispiel. Also so richtig sieht man jetzt noch nicht, dass die russische Militärmaschine in irgendeiner Art und Weise ausgehungert-

Philip

Ausgetrocknet würde.

Ulf

Ne, überhaupt gar nicht.

Philip

Dazu muss man aber sagen, dass bei den Waffenlieferungen aus dem Westen es Licht und Schatten gibt. Vor allen Dingen gibt es ja immer viel Debatten, auch um Munitionslieferung. Das hattest du gesagt. Das wird besonders dringend benötigt. Und da, das haben wir mal reingenommen, weil es eben nicht nur Schatten gibt, sondern auch ein bisschen Licht, scheint sich die Lage, die Situation in der EU etwas zu verbessern oder zumindest besser zu sein, als ich das zumindest erst mal so wahrgenommen habe.

Das erklärte Gustav Gressel vom Think Tank European Council on Foreign Relations im NDR Podcast Streitkräfte und Strategien. Da sagte Gressel, die EU hatte ja versprochen, 1 Million Schuss Artillerie zu liefern, glaube ich. Das war eigentlich das Ziel bis Ende letzten Jahres. Das hat offensichtlich nicht geklappt. Er sagt aber, das werde klappen, aber eben erst zum

Sommer. Im letzten Jahr seien in Europa etwa 650.000 Schuss Artilleriemunition produziert worden, aber eben rund nur die Hälfte davon sei in der Ukraine angekommen, weil europäische Staaten eben auch die eigenen Bestände aufgefüllt haben und eben nicht alles einfach weitergeben an die Ukraine. Aber, sagt Gressel, die EU Kommission habe doch dann letztlich einen ziemlich guten Job gemacht, im Herbst dann Verträge abgeschlossen.

Und jetzt, sagt Gressel, gehe tatsächlich die Produktion von Artilleriemunition in Europa auch los.

Gustav Gressel

Wir haben ja in Europa 18 Produktionsstraßen für Artilleriemunition, und das kommt am Ende des Tages schon was zusammen. Es ist nicht so, dass wir da ganz unfähig wären. Aber wie gesagt, das ist, im Krieg in der Ukraine an der Front kommt davon wenig an, und durch das EU Kommissionsgeld, das muss auch gesagt werden, wird Europa, die Europäische Union, die 1 Million Schuss pro Jahr Marke dieses Jahr auch knacken in der Herstellung und wahrscheinlich auch überschreiten.

Das heißt, es wird von Monat zu Monat die Lage für uns, die Amerikaner zu substituieren gerade im Bereich Artilleriemunition besser.

Ulf

Das ist eben die wichtige Artillerie, aber die vergleichsweise dumme Munition. Steckt man in ein Rohr, schießt sie ab und dann fliegt sie halt. Dort ist Besserung in Sicht. Nicht ganz so gut sieht es bei intelligenterer Munition aus. So jedenfalls Herr Gressel.

Gustav Gressel

Schwierig wird die Lage bleiben bei Spezialmunition, also Patriotraketen zum Beispiel sind da ein Klassiker. Da wird es bedeutend schwieriger, die Amerikaner zu substituieren, weil die Produktion in Europa da erst jetzt die Verträge zustande gekommen sind. Und bis die hochgefahren wird, ist natürlich noch ein langer Weg und das ist noch viel komplexer ist als Artielleriemunition. Dann reden wir von sehr langen Lieferzeiten, die neue Patriotraketen in Europa

haben. Da müssen wir dann schauen, dass wir in dieser Zeit irgendwie mit dem Bestand umschichten, um die Ukraine weiter zu versorgen. Und das wird natürlich auch zunehmend schwieriger.

Philip

Ja, europäische Eigenständigkeit ist hier aber dringend nötig.

Ulf

Ja, denn die Hilfen aus den Vereinigten Staaten kommen jetzt schon ins Stocken. Und vor allem ist die mittel- bis langfristige Perspektive sehr problematisch. Akut geht es darum, dass die Republikaner im amerikanischen Parlament die Hilfe für die Ukraine bisher blockieren. Das hat auch erhebliche innenpolitische Gründe. Also die Republikaner nehmen potenzielle Milliarden für die Unterstützung der Ukraine quasi als Pfand, um Zugeständnisse der Demokraten an anderer Stelle zu erreichen.

Aber insbesondere Donald Trump, der ja sehr wahrscheinlich der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei sein wird bei den Wahlen jetzt im Herbst, ist für seine Nähe zu Wladimir Putin bekannt. Er rühmt sich so seiner Männerfreundschaft mit Putin, und damit drohen die Vereinigten Staaten als wichtigste Stütze der Ukraine, was die Militärhilfe angeht, einfach wegzubrechen also was das für die Ukraine bedeuten würde, also Militärlieferung.

Und man muss ja eigentlich sagen, es geht natürlich auch, darüber wird weniger geredet, aber es geht ja auch viel um das, was man im Englischen so schön intelligence nennt, also nachrichtendienstliche Erkenntnisse zum Beispiel über russische Positionen, Satellitenüberwachungsbilder und so. Also, wenn da tatsächlich aus dem Weißen Haus die Order käme, diese Informationen nicht mehr weiterzuleiten, dann hätte die Ukraine auch ein Problem.

Philip

Und Deutschlands Rolle ist wenig überraschend, etwas zwiespältig. Einerseits leistet Deutschland nach den USA die meiste Militärhilfe für die Ukraine, also mehr als Frankreich und UK.

Ulf

Und das ist, das ist schon mal was. Ich meine Deutschland ist ja eigentlich gerade nicht als Militärmacht bekannt, seit dem Zweiten Weltkrieg jedenfalls. Und dass wir dann trotzdem so umfangreich die Ukraine unterstützen, ist einfach ein Statement.

Philip

Andererseits zögert Olaf Scholz seit Monaten, der Ukraine die sogenannten Taurus Raketen zu liefern. Also Taurus, das sind moderne Marschflugkörper. Da gibt es natürlich auch verschiedene andere aus England und Frankreich vor allen Dingen, aber der USP, also sozusagen das Einzigartige dieser Taurus Rakete ist, dass sie eben sehr, sehr autonom ist. Sie braucht, so wie ich das verstanden habe, kein GPS von außen. Sie kann quasi nur mit Bordmitteln und dem einprogrammierten Weg ihr

Ziel finden. Also das wird dann halt einprogrammiert. Dann fliegt die Rakete links, rechts kann durch, Täler, hat eine eigene Höhenkontrolle, kann die Umgebung mit Infrarotsensoren lesen und so halt den Weg in ihr Ziel finden. Und sie hat eine viel größere Reichweite. Ungefähr 500 Kilometer, was ungefähr doppelt so viel ist wie die Konkurrenz aus Frankreich und Großbritannien.

Ulf

Und sie fliegen halt sehr schnell und sind noch gleichsam resistent gegen die Flugabwehr. Also nun muss man ganz ehrlich sagen, wenn man sich so die Geschichte des Krieges in der Ukraine anschaut, dann war schon öfter von fast Wunderwaffen die Rede. Also es wurden schon immer Waffensysteme hochgejazzt, die dann angeblich der Game Changer sind. Und bislang hakt's da, wenn ich mal ehrlich bin.

Auf der anderen Seite ist jedenfalls nicht zu verkennen, dass das schon ein sehr potentes militärisches Instrument wäre. Wie gesagt, das ist jetzt nicht die eine Wunderwaffe, aber die Taurus würden wahrscheinlich deswegen schon helfen, weil sie es eben ermöglichen würden, präzise Schläge gegen weit entfernte Infrastruktur auszuführen. Da wäre Taurus denke ich schon eine starke Hilfe.

Philip

Ja, gerade zum Beispiel die Brücke zwischen Krim und dem ukrainischen Festland, wo viel Nachschub für die russische Armee rüberkommt. Das kann man natürlich mit dieser Rakete erreichen. Grüne und FDP wollen liefern, schon seit langem. Olaf Scholz ziert sich und die SPD.

Ulf

Ja, da haben wir im Grunde so eine, so eine Vorstellung von täglich grüßt das Murmeltier. Wir hatten ja solche Debatten jetzt schon mehrfach, dass einfach in der Diskussion war, ein bestimmtes Waffensystem sollte geliefert werden, wird von der Ukraine eingefordert. Ganz viele sind dafür, interessanterweise FDP und Grüne typischerweise. Die SPD und Olaf Scholz hingegen haben immer wieder große Bedenken. Das Thema ist immer, überschreiten wir mit dieser Lieferung nicht eine rote Linie?

Philip

Ja und da muss man sagen, also, wenn es diese roten Linien je gab, dann wurden sie alle überschritten, ohne dass es wirklich signifikante Konsequenzen gehabt hätte seitens Moskau. Also das war beim Thema Kampfpanzer so. Alle haben gedacht, wenn wir Kampfpanzer liefern, dann eskaliert das, dann ist eine rote Linie überschritten. Da wurde monatelang drüber debattiert. Das hat Monate gedauert, bis Deutschland, bis Scholz sich endlich mal durchgerungen haben, Leopard 2 Panzer zu liefern.

Irgendwann gab dann Scholz nach. Konsequenzen: Keine.

Ulf

Ja, keine, insofern, dass Russland jetzt nicht irgendwie in Polen einmarschiert ist oder so, wohl aber massive Konsequenzen für die ukrainische Sommerinitiative. Denn jedenfalls nach Aussage einiger militärischer Analysten hat die Sommeroffensive massiv darunter gelitten, dass Panzer eben zu spät kam, dass die Besatzungen nicht gut genug trainiert werden konnten usw. Usw. Also ich will jetzt nicht so monokausal so tun, als sei Olaf Scholz verantwortlich für das Scheitern der Sommeroffensive.

Aber jedenfalls hat das Zögern beim Liefern von schweren Kampfpanzern da einen negativen Beitrag geleistet.

Philip

Und es ist halt ein Muster erkennbar. Das ist, finde ich, das Bizarre, dass es immer Forderungen gibt und Experten Expertinnen sagen, das macht Sinn, das sollten wir tun. Viele in der Regierung sind dafür. Scholz zögert, zögert, zögert, zögert, bis er dann irgendwann nicht mehr zögert.

Ulf

Und zwar ohne, dass sich was geändert.

Philip

Ohne, dass sich was geändert hat.

Ulf

Das ist, finde ich, der Witz bei dem bei dem Muster von Olaf Scholz. Er zögert monatelang und ohne Veränderung der Sachlage ändert er dann seine Meinung, so dass man jedes Mal eigentlich sich fragen muss, warum haben wir diese Panzer nicht schon vor einem halben Jahr geliefert? Das finde ich, also wenn man, wie soll ich sagen, das finde ich persönlich nicht so wahnsinnig plausibel. Olaf Scholz hat offensichtlich einfach Angst.

Philip

Er hat Angst. Er hat Angst, dass die Ukraine jetzt konkret mit den Taurus Raketen russisches Territorium angreifen würde. Das dürfte die Ukraine völkerrechtlich. Sie greifen ja auch russisches Territorium an, haben das aber eben bisher nicht mit westlicher Technik getan, soweit man weiß, weil westliche Technik immer nur geliefert wird mit der Ansage, hier könnt ihr gerne einsetzen, aber bitte nicht auf russischem Territorium.

Ulf

Wobei man sich auch die Frage stellen kann, warum eigentlich diese Anforderung von westlicher Seite gestellt wird. Aus einer politischen Perspektive ist es klar, Russland nicht provozieren, aber aus einer völkerrechtlichen Perspektive darf ein angegriffener Staat sich natürlich nicht nur auf seinem eigenen Staatsgebiet verteidigen, sondern er darf durchaus auch militärische Einrichtungen auf dem Hoheitsgebiet des angreifenden Staats angreifen.

Also wenn die Ukraine zum Beispiel die Brücke zur Krim in die Luft jagen würde, dann wäre das völkerrechtlich völlig gedeckt. Wobei man da noch sagen muss, kann man sich noch die Frage stellen, ob das nicht ohnehin auf ukrainische Staatsgebiet ist, oder ob das internationale Gewässer sind. Schwierig, weiß ich nicht auswendig. Hängt wohl auch davon ab, wo die Bombe einschlagen wird. Aber auf jeden Fall, das wäre völkerrechtlich in Ordnung.

Der Westen macht sich da große Sorgen, dass das passieren könnte. Die Ukraine ist nebenbei relativ erfolgreich, sogar bei Angriffen auf russischem Staatsgebiet. Also gerade zum Beispiel hat es Explosionen gegeben in einem Treibstofflager in Sankt Petersburg, über 1000 Kilometer entfernt vom ukrainischen Staatsgebiet. Vieles spricht dafür, dass das ukrainische Drohnen waren. Das wird dann von ukrainischer Seite immer wieder bestätigt noch bestritten.

Aber ich meine, warum soll also ein Spritlager oder mehrere Tanks aus dem Spritlager über Nacht mit einmal in die Luft fliegen?

Philip

Also Stand heute will Olaf Scholz Taurus nicht liefern. Wie gesagt, es ist ein Muster zu erkennen. Es war bei den Leoparden so, es war auch am Anfang bei den Haubitzen so, dass es dann auf einmal doch ging. Und in der Zeit leidet eben die Ukraine. Und die Frage ist, warum ist das so? Woher dieser Schlingerkurs?

Ulf

Also wir haben uns das lange gefragt, weil das halt so auf den ersten Blick so irrational erscheint, einfach lange Zeit nicht zu machen, dann irgendwann doch zuzustimmen, ohne dass sich eigentlich die Grundlagen dieser Entscheidung verändert hätten.

Und meine große Sorge ist, das können wir natürlich nicht belegen, aber das erscheint mir eine plausible Annahme.,Meine große Sorge ist, dass es letztlich der Bundesregierung um Olaf Scholz, um eine quasi relativ stabile Mittellage geht, also quasi darum, diesen Konflikt nicht einzufrieren, sondern quasi am Köcheln zu halten, ohne dass der eine oder andere gewinnen soll. Sie wollen natürlich nicht, dass die Ukraine zusammenbricht. Warum wollen sie das nicht?

Weil das ein fatales Beispiel wäre, das sich Überfälle auf Nachbarstaaten wieder lohnen. Wir wollen natürlich eigentlich keine Angriffskriege, schon mal gar nicht in Europa. Und deswegen darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen. Das hat Olaf Scholz auch häufig gesagt. Aber meine große Sorge ist, dass er eigentlich auch nicht will, dass die Ukraine gewinnt, um Russland eben nicht zu provozieren. Da ist dieses ganz starke Moment, den russischen Bären nicht zu sehr

zu reizen. Und ich persönlich glaube, dass das ein ziemlich zynisches Kalkül ist, weil das natürlich ein enorm hohen Preis hat.

Philip

Das würde ich sagen und der Gedanke zu Ende gedacht ist, wenn die Ukraine gewinnt, was passiert dann mit Putin? Wird er gestürzt? Was kommt danach? Bricht dann das Chaos aus und so? Also erstens muss man sagen, das ist Spekulation. Wir können nicht reingucken. Also weder gibt es Stimmen aus dem Kanzleramt, aus seiner Nähe die das irgendwie nahelegen, dass er so was mal geäußert hätte. Das ist reine Spekulation. Wir gucken uns die Lage an und denken, was könnte das Motiv

sein? Wir können nicht in seinen Kopf gucken. Und es gibt auch keinerlei Indizien, dass das das Kalkül ist. Ich finde, und du hast das gesagt, es wäre extrem zynisch, weil es bedeutet, einfach Leute sterben zu lassen, um so ein Patt aufrecht zu erhalten. Das möchte ich ihm ehrlich gesagt nicht unterstellen. Und das zweite ist, dass die Unterstützung ja schon sehr groß ist. Also Deutsche haben es gesagt, Deutschland ist der zweitgrößte militärische Unterstützer nach den USA für die Ukraine.

Und das spricht, finde ich dagegen, dass es ihnen darum geht, das möglichst auf kleiner Flamme zu halten. Auch wenn natürlich dann bei einzelnen Waffensystemen immer gezögert wird, hast du natürlich zu Recht gesagt. Es gibt nicht die eine Wunderwaffe. Wenn wir Taurus liefern, dann gewinnt die Ukraine. So ist es einfach nicht mehr. Wenn wir Leopard liefern, gewinnt die Ukraine.

Und das, weil wir das nicht wollen, liefern wir den Leoparden nicht oder erst spät und weil wir das nicht wollen, zögern wir Taurus hinaus. So ist es halt nicht. Also das mag ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Auch weil die Kosten nicht nur für die Menschen in der Ukraine und für die Soldaten Soldatinnen in der Ukraine so hoch sind, sondern weil das ja auch für uns mit unfassbarer Unsicherheit verbunden ist wirtschaftlich, finanziell, Energieversorgung.

Dieser Krieg in der Ukraine sorgt für so viel Instabilität an allen Ecken und Enden. Das es, glaube ich, auch aus dieser Perspektive mehr Vorteile gäbe, wenn dieser Krieg zu Ende wäre.

Ulf

Ja, aber glaubst du wirklich, dass Olaf Scholz ernsthaft möchte, dass dieser Krieg mit einem Sieg der Ukraine endet? Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst an diese, diese vielfältigen, skurrilen Interviewsituation, wo er immer wieder gefragt wurde, soll nicht die Ukraine gewinnen? Und er hat das nie gesagt. Soweit ich mich erinnern kann, hat er sich immer um diese Aussage gedrückt, sondern das immer umgedreht und gesagt, ich will, dass Russland nicht gewinnt. Oder die Ukraine darf nicht

verlieren. Das war, also ich habe nicht jetzt noch mal gegoogelt, aber das ist nach meiner Erinnerung quasi der O Ton von Olaf Scholz gewesen, während er auf der anderen Seite aber nie gesagt hat, wir wollen, dass die Ukraine gewinnt.

Philip

Weil das immer geheißen hätte, zu definieren, was heißt das denn konkret?

Ulf

Ne, das muss er ja nicht.

Philip

Na gut, aber das hätte zumindest nahe gelegen. Aber was heißt das denn, Herr Bundeskanzler? Heißt das, die Krim mit einnehmen? Heißt, dass die Ostgebiete außer der Krim zurückzuerobern, heißt, dass einen Waffenstillstand herzustellen und die Ukraine geht in die NATO. Was heißt gewinnen?

Ulf

Klar, natürlich ist gewinnen auch nicht scharf definiert, aber ich finde es einfach total spannend, dass er sich konsequent nach meiner Erinnerung geweigert hat, diese politische Forderung aufzustellen. Und natürlich schon mal gar nicht, was das konkret bedeutet. Ich finde das einfach sehr verdächtig und ich finde, an ihren Taten werdet ihr sie erkennen.

Also jedenfalls, ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht, oder generell ja auch in den Vorschlägen der Bundesregierung, das sind ja auch keine einsamen Entscheidungen. Aber ich finde, vom Ergebnis her ist das, was die Bundesregierung tut, diesen Konflikt in einer Mittellage zu halten. Keine Seite gewinnt. Unter anderem auch, weil die Bundesregierung natürlich auch andere europäische Staaten eben so viel Unterstützung leisten, aber eben auch nicht alles tun, was

sie könnten. Also ich glaube, wir kommen nicht um die Erkenntnis drum herum, dass jedenfalls die Bundesregierung nicht all in geht.

Philip

Sie geht nicht all in, aber sie geht schon mit sehr viel in.

Ulf

Absolut!

Philip

Einerseits diese Stelle zweitgrößter Unterstützer nach den USA. Und, da kommen wir jetzt zum nächsten Aspekt, sie machen extrem viel Druck in der EU, dass auch andere EU Länder Geld in den Topf werfen und die Ukraine mehr unterstützen.

Ulf

Ja, und dieser Druck von Olaf Scholz auf europäischer Ebene, der war jetzt ja offenbar auch von Erfolg gekrönt. Heute Mittag, während wir hier unsere Sendung aufnehmen, kam eine ehrlich gesagt ziemlich überraschende Meldung rein.

Philip

Ja, richtig, denn die EU Chefs und Chefinnen haben sich getroffen. Es gibt einen Gipfel und der sollte eigentlich schon im Dezember sollte das eigentlich Thema schon abgefrühstückt worden sein. Es geht um die Hilfen für die Ukraine, um 50 Milliarden Euro. Und da gab es und gibt es aktuell ein Gipfel, gibt es am Wochenende ein Gipfel und da kam jetzt gerade die Meldung, dass die sich geeinigt haben, dass vor allen Dingen Ungarn den Zahlungen

zugestimmt hat. Und jetzt bekommt also die Ukraine 50 Milliarden Euro über die nächsten vier Jahre von der EU. Und diese 50 Milliarden Euro sind substanziell, Die sind für die Ukraine überlebenswichtig. Das sind halt Haushaltshilfen. Die Ukraine steckt aktuell rund die Hälfte ihrer Steuereinnahmen ins Militär, in die Verteidigung ihres Landes. Und natürlich klafft da ein Riesenloch. Und dieser ukrainische Haushalt, der kann nur mit internationalen Hilfen

überleben. Und ein Löwenanteil dieser Hilfen trägt heute schon die EU. Und jetzt war halt die Frage, wie geht es weiter? Was passiert in den nächsten vier Jahren? Da waren sich in der EU alle einig. Wir zahlen 50 Milliarden Euro, damit die Ukraine überleben kann. Der einzige, der da immer blockiert hat bis eben vor, weiß ich nicht einer Stunde oder zwei Stunden war eben Viktor Orbán aus Ungarn.

Ulf

Genau der ist jetzt also überraschend eingeknickt. Also man hatte schon erwartet, dass man sich irgendwie einigen kann. Aber auf der anderen Seite hatten die anderen Mitgliedsstaaten der europäischen Union auch schon quasi so das Folterbesteck ausgepackt. Da war schon die Rede von Sanktionen, Einschränkung des Stimmrechts und so, das ist jetzt alles vom Tisch. Aber natürlich ist jetzt die spannende Frage, was ist das Gegengeschäft? Also was hat Orban für seine doch recht überraschende Zustimmung

bekommen? Was hat er für sein Einknicken bekommen? Und das wissen wir jetzt einfach noch nicht. Da müssen wir mal abwarten, ob das in den nächsten Tagen noch durchsickert. Aber grundsätzlich ist beschlossen, über die nächsten vier Jahre wird die Ukraine von der EU mit 50 Milliarden unterstützt.

Philip

Richtig, das ist super wichtig und das muss man ehrlicherweise sagen, das ist wahrscheinlich auch ein bisschen das Verdienst von Olaf Scholz.

Ulf

Zu unseren Hausmitteilungen. Und da haben wir in dieser Woche für euch eine schöne Nachricht. Wir hatten ja schon vor einiger Zeit mal angedeutet, dass wir unseren Instakanal also ein Stück weit zu einem eigenen journalistischen Format ausbauen wollen. Also natürlich soll der weiterhin beruhen letztlich auf der Rechercheleistung, die wir hier so für unseren Podcast machen.

Aber unser Ziel ist es, dass Insta eben nicht nur so ein Hinweis ist, hallo, es gibt da so einen Podcast, sondern man soll unseren Kanal mit inhaltlichem Gewinn lesen können.

Philip

Richtig. Und da freuen wir uns sehr, dass wir für diese Aufgabe eine tolle neue Kollegin haben gewinnen können, nämlich Anja Lordieck. Erst mal ganz herzlich willkommen, Anja. An dieser Stelle auch noch mal im Team der Lage der Nation. Wir freuen uns extrem, dass wir Anja haben gewinnen können. Die hat schon einige Erfahrung gesammelt auf Insta, auch so mit journalistischen Formaten auf Instagram.

Und wir haben jetzt eine Weile auch gebraucht über meine Babypause und dann irgendwie das grafisch so ein bisschen aufpeppen, bis das jetzt so ein bisschen ins Rollen kommt. Aber seit hier auch wieder der Betrieb so ein bisschen normalen Beat gewonnen hat, denke ich, kommen wir da auch gut ins Rollen. Und ja, wir sind auch gespannt, was ihr dazu sagt. Also euer Feedback. Was könntet ihr euch auch

vorstellen? Welche Formate, welche Inhalte, welche Ideen könnten wir auf Insta ja vielleicht in diesem Sinne auch mal vorantreiben, würde ich sagen. Begrüßt doch mal Anja, auch Insta. Geht mal zu Insta, Lage der Nation.

Ulf

Genau da freut sie sich bestimmt. Wir freuen uns auf euer Feedback. Wir alle freuen uns auf eure Vorschläge. Und falls ihr dem Kanal der Lage noch nicht folgen solltet lagedernation auf Insta. Da sind wir zu finden.

Philip

Wir haben das in den USA gesehen. Wir haben es in Polen gesehen, wir haben es in Ungarn gesehen. Wenn Autokraten gewählt werden und die Macht übernehmen in einem eigentlich demokratischen Staat, bringen sie oft die obersten Gerichte als erstes auf Linie. Und zwar, indem sie halt die Regeln ändern, nach denen diese Gerichte funktionieren.

Ulf

Warum ist das so? Na ganz einfach. Autoritäre Parteien wollen eigentlich nur genau eine Wahl gewinnen müssen. Und danach, wenn sie einmal die Macht haben, versuchen sie sich typischerweise mit allen Mitteln an der Macht festzuklammern, damit sie nie wieder abgewählt werden können. Und das zentrale Problem, das sie bei dieser Umgestaltung zum Beispiel von Wahlrecht haben, ist das jeweilige Verfassungsgericht.

Das Verfassungsgericht könnte diesen Versuch, einen Staat gleichzuschalten, eine Gesellschaft gleichzuschalten, Medien auszuschalten, blockieren. Deswegen ist normalerweise immer als allererstes Mal das jeweilige Verfassungsgericht im Visier. Philip, und da zum Beispiel kann man beispielhaft nach Polen.

Philip

Ja, Polen, Polen, haben wir gesagt. Die PiS hatte den Bearbeitungsmodus zum Beispiel geändert des Obersten Gerichts. Da hieß es dann auf einmal first come first serve. Also Verfahren, die reinkommen, werden in der Reihenfolge abgearbeitet, wie sie halt eingehen. Und das lähmt natürlich so ein Gericht, weil es selber nicht mehr priorisieren kann. Was ist eigentlich hier wichtig? Was müssen wir abarbeiten, was ist unwichtig und was nicht?

Dann hat aber auch natürlich die PiS das Wahlgremium für die Wahl von Richter und Richterinnen, einfach besetzt mit linientreuen Personen, um eben sicherzustellen, dass in diesem Gericht nur linientreue Richter und Richterinnen sitzen. Anderes Beispiel ist Ungarn. Die haben eine andere beliebte Strategie unter Autokraten gewählt.

Ulf

Ja, das klassische sogenannte Court packing. Also auf Deutsch könnte man das überspitzen mit Vollstopfen eines Gerichts. Sie haben einfach eine Reihe neuer Stellen geschaffen am ungarischen Verfassungsgerichtshof und die mit linientreuen Richterinnen und Richtern besetzt. Da gab es dann mit einmal 15 statt elf Stellen. Die vier neuen Stellen wurden mit linientreuen Leuten besetzt. Damit kippte die Mehrheit und das Verfassungsgericht war schachmatt.

Also die Erfahrung zeigt einfach, für Regierungen ist es sehr verlockend, das Verfassungsgericht auszuschalten.

Philip

Das hat auch noch mal der ehemalige Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, auf den Punkt gebracht, der sagt, Verfassungsgerichte sind immer ein, wie er sagt, Stachel im Fleisch der Machthaber. Denn sie sichern die Rechte von Minderheiten gegen die Mehrheit. Sie stellen daher eine Art von, wie er das nennt, struktureller Opposition dar. Und er sagt, vor allem politische Systeme mit totalitären Tendenzen tut sich damit natürlich schwer.

Ulf

Die glauben ja in der Tendenz, sie vertreten den einen wahren Volkswillen, und deswegen müssten sie durchregieren können. Diese klassischen checks and balances, die es eben in Demokratien gibt, Opposition, Medien, Justiz und so, das ist denen alles ein Dorn im Auge. Und ein weiterer Angriff auf eine demokratische Ordnung kann man ebenfalls in Ungarn beobachten. Dort nämlich hat Viktor Orbán Änderungen des Wahlrechts durchgesetzt.

Philip

Einfach so, das ist auch ein beliebter Sport bei autokratischen Systemen, dass die einfach zum Beispiel Wahlsysteme einführen und so verändern, dass wir auf dem Papier zwar noch demokratisch sind, aber de facto darauf hinauslaufen, dass die einmal an der Macht befindlichen Leute de facto nicht mehr abgewählt werden können.

Ulf

Genau das ist das große Problem dass eben autoritäre Parteien das versuchen und wirklich verhindern könnte das nur das jeweilige Verfassungsgericht. Das war in Polen und Ungarn so und das wäre auch in Deutschland so, wenn man tatsächlich am Wahlrecht rumfummelt, dann wäre das Bundesverfassungsgericht letztlich die einzige Instanz, die das noch verhindern könnte. Es sei denn, man hat es vorher ausgeschaltet.

Philip

Richtig. Und angesichts der Umfragewerte, vor allem der Umfragewerte für die AfD in den Bundesländern, in denen in diesem Jahr Landtagswahlen stattfinden, aber eben auch angesichts der Umfragewerte bundesweit bei rund plus minus 20 % gibt es auch in Deutschland eine Debatte?

Ulf

Ja, wo du sagst 20 % Philip, kleine Kurzmeldung. Es gibt erste Anzeichen, dass die breiten Demos gegen die AfD tatsächlich dazu führen, dass die Zustimmung zu dieser extremen Partei langsam abbröckelt. Also ich habe jetzt eine Umfrage gesehen 19 %. Da kann man natürlich sagen okay, das liegt noch in der Schwankungsbreite. Also die AfD bricht jetzt nicht zusammen. Natürlich verbreitet sie auch alle möglichen Lügengeschichten, das seien von der Regierung gesteuerte Demos.

Aber sagen wir so es gibt jedenfalls so ganz sanfte Tendenzen.

Philip

Aber ich würde dafür plädieren, auch bei 19 % sollten wir uns der Frage stellen, müssen wir das Bundesverfassungsgericht gegen Autokraten jeder Couleur, vor allen Dingen in der Farbe Hellblau von der AfD, müssen wir das Gericht schützen? Und die Frage ist, wenn ja, wie sollen wir das machen?

Ulf

Also Stand heute und das ist eine traurige Erkenntnis wäre die Rolle, die Macht, die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts einfach zu ändern. Ganz zentral ist hier das sogenannte Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, kurz BVerfGG im Jurist:innenslang. Und dieses BVerfGG ist so eine Art Verfahrensordnung, so eine Art Satzung für das Bundesverfassungsgericht. Und das regelt eine ganze Menge wichtiger Details dazu, wie unser Bundesverfassungsgericht eigentlich arbeitet.

Philip

Und vor allen Dingen in erfreulich klarer Sprache. Also es gibt ja Gesetze, die sind so formuliert und so formuliert. Aber ich habe mir das auch mal angesehen und das habe sogar ich verstanden. Da steht dann drin sinngemäß, wer kann eigentlich Richter Richterinnen am Bundesverfassungsgericht werden? Gibt es ein paar Kriterien. Unter anderem müssen diese Personen mindestens 40 Jahre alt sein, aber dann auch skizziert, wie werden denn diese Richter und Richterinnen eigentlich gewählt?

Und dann steht da na ja, die eine Hälfte der Richter und Richterinnen, die wird eben vom Bundestag gewählt, und zwar jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit. Und die andere Hälfte der Richter Richterinnen am Bundesverfassungsgericht wird vom Bundesrat gewählt, also der Ländervertretung, und zwar ebenfalls jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit. Dann steht da auch, wie lange können denn eigentlich diese Menschen Richter und Richterinnen am Bundesverfassungsgericht

sein? Nun steht da zwölf Jahre und es ist keine Wiederwahl möglich. Also nach zwölf Jahren ist definitiv aus Ende vorbei. Aus wie vielen Richtern und Richterinnen besteht dann eigentlich das Bundesverfassungsgericht? 16. Und wie viele Senate gibt es? Zwei.

Ulf

Ja, also die wesentlichen Spielregeln. Und das sind jetzt quasi so die Formalien, wie viele, wie lange und so. Und dann gibt es da natürlich noch ganz viele Regelungen dazu, wie die Verfahren ablaufen. Also wenn man eine Verfassungsbeschwerde einreicht, wie wird über die entschieden? Das steht da drin. Wie ist das bei bei Normenkontrollen, wie ist das bei Organstreitverfahren so? Diese ganzen Spielregeln stehen da drin und da würde man ja denken, wo ist das Problem, Ist doch alles

geregelt. Das Problem ist ganz einfach Das BVerfGG ist ein einfaches Bundesgesetz und das bedeutet, es kann mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geändert werden und das ermöglicht gravierende Änderungen. Richterinnen Richter könnten mit einem Mal absetzbar sein, Richter könnten nach zwölf Jahren wiedergewählt werden können. Klammer auf, so dass sie dann vielleicht ein Interesse daran hätten, im Sinne der Mächtigen zu entscheiden, Klammer zu.

Oder Richterinnen und Richter könnten mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag oder Bundesrat ernannt werden. Mit anderen Worten dann bräuchte es gerade keinen breiten gesellschaftlichen Konsens mehr, um sie zu wählen. All das könnte man mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag ändern.

Philip

Richtig einfache Mehrheit, dahinter steht die Vorstellung, was, wenn die AfD mal eine Mehrheit im Bundestag stellt und vielleicht sogar die Regierung stellt? Dann könnte sie halt mit ihrer Mehrheit, mit der Mehrheit der AfD oder vielleicht eines rechten Koalitionspartners dieses Gesetz ändern und das Bundesverfassungsgericht, so wie wir es heute kennen, de facto abschaffen. Und deswegen gibt es in Deutschland eine Diskussion.

Sollen wir das Bundesverfassungsgericht dagegen absichern und wenn ja, wie? Und da sind sich eigentlich viele einig, dass wir das machen sollten. Und da gibt es im Kern zwei, drei Vorschläge, die gerade debattiert werden.

Ulf

Genau also der naheliegende Vorschlag ist ja eigentlich okay, wenn das Problem doch darin liegt, dass die wichtigen Regeln nur in einem einfachen Gesetz stehen, dann schreiben wir doch die wichtigsten Regeln einfach ins Grundgesetz, also in unsere Verfassung. Da steht nämlich bislang zum Bundesverfassungsgericht extrem wenig drin. Da stehen nur die Verfahrensarten drin. Und dann noch das Richterinnen und Richter zur Hälfte vom Bundestag, zur Hälfte vom Bundesrat gewählt

werden. Das war's auch fast schon. Und da kann man sich natürlich vorstellen, ganz viele wesentliche Fragen fehlen im Grunde im Grundgesetz. Wenn man sie dort hineinschreiben würde, dann könnten sie nur noch mit Zweidrittelmehrheit geändert werden. Das wäre schon eine sehr gute Absicherung, so der wesentlichen Arbeitsweise des BVerfGG.

Philip

Ein alternativer Vorschlag dazu kommt von einem bekannten Berliner Rechtsanwalt, der argumentiert, na lass uns doch jetzt hier nicht jedes Detail ins Grundgesetz schreiben, dafür ist das einfach der falsche Ort. Im Grundgesetz sollten wir lieber festschreiben, dass das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden kann.

Ulf

Ja, das ist, wenn man, wenn man so ein bisschen verfassungsrechtlich bewandert ist, erst mal ein ziemlich skurriler Vorschlag. Ich glaube, er wird auch nur deswegen diskutiert, weil dieser Rechtsanwalt einfach einen sehr, sehr guten Ruf genießt, gute Verbindungen auch ins politische Berlin hat. Und ich persönlich kenne ihn auch, also wirklich ein sehr, sehr fähiger Mensch. Deswegen denke ich, wird dieser Vorschlag diskutiert. Ich bin, wenn ich ehrlich bin, trotzdem so ein bisschen skeptisch.

Dann gäbe es nämlich mit einem Mal ein, quasi ein Supergesetz, also ein Gesetz, das anders als alle anderen Gesetze nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden könnte. Also dieses Gesetz hätte so eine Sonderstellung und das gibt es halt sonst überhaupt nicht. Und das heißt, man müsste sich dann Gedanken darüber machen, was bedeutet das für das Gesetzgebungsverfahren? Man müsste das Grundgesetz an vielen Stellen ändern und es würde auch ein stückweit zu einer Versteinerung führen, glaube ich.

Denn es sind ja jetzt auch nicht alle Regeln im Bundesverfassungsgerichtsgesetz unmittelbar so relevant, dass ihre Änderung das Bundesverfassungsgericht quasi abschießen würde. Also denken wir daran die jüngste Änderung zum Beispiel betraf den elektronischen Rechtsverkehr. Damit man endlich nach Karlsruhe nicht mehr faxen muss.

Philip

Müsstest du dann mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag ändern.

Ulf

Ja, und ob das wirklich so sachdienlich ist? Also ich glaube ganz ehrlich, also ich verstehe den Ansatz. Die Sorge des Rechtsanwalts ist halt, was ist denn, wenn wir das ins Grundgesetz schreiben, die wichtigsten Punkte und dabei was vergessen, dann wird die AfD doch wieder irgendwie kreativ und so, das sehe ich. Auf der anderen Seite aber sehe ich auch, dass es nicht ganz ungefährlich wäre, wenn es damit einmal ein Gesetz gäbe, das anders ist als alle anderen.

Philip

Deswegen gibt es einen dritten Vorschlag, der hin und her geworfen wird. Und danach würde das Bundesverfassungsgericht selbst ein Veto bekommen bei Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Also das Gesetz kann ja, wie eben schon gesagt, heute mit einfacher Mehrheit geändert werden. Das wäre dann auch weiterhin so, aber das Gericht selbst könnte dann ein Widerspruchsrecht bekommen. Könnte sagen, ihr habt das da mit einfacher Mehrheit geändert, aber wir widersprechen dieser Änderung.

Ihr müsst euch was anderes überlegen, aber der Änderung widersprechen wir. Aber auch dafür müsste das Grundgesetz geändert werden.

Ulf

Also beispielsweise könnte man im Grundgesetz ja regeln, dass ein Gesetz, das das BVerfGG ändert, also dieses Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, dass das frühestens drei Monate nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten darf und dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Plenum, also mit der Versammlung der Richterinnen und Richter, innerhalb dieser drei Monate mit Zweidrittelmehrheit beschließen kann, dass dieses Gesetz nicht in

Kraft tritt. Das wäre aus meiner Sicht eine pragmatische Lösung. Also ich würde quasi die Option eins und drei kombinieren. Ich würde sagen, man schreibt die wesentlichen Regeln zur Arbeit des Gerichts ins Grundgesetz und dann bekommt das Bundesverfassungsgericht noch so ein Vetorecht. 2/3 Mehrheitsbeschluss des Plenums innerhalb der drei Monate nach dem Gesetz. Dann, glaube ich, wäre eigentlich das Bundesverfassungsgericht gut abgesichert.

Philip

Und das Argument ist ja auch von den Befürwortern und Befürworterinnen, na ja, de facto gibt es dieses Veto heute schon in vielen Fällen. Denn heute schon ist es so, wenn das Bundesverfassungsgerichtsgesetz geändert wird, fragen wir schon meistens beim Gericht mal nach, wie seht ihr das denn? Haben wir da irgendwie ein Knoten im Kopf? Gibt es irgendwelche Probleme?

Dann kommt zurück, nein, könnt ihr so machen und dann wird das verabschiedet und der Charme wär halt naja, wir würden halt so eine informelle kulturelle Praxis, die meist angewendet wird, einfach in Gesetzesform gießen.

Ulf

Ja, da kann man natürlich sagen, das ist natürlich so ein bisschen Problem, dann entscheidet das Gericht ja selber darüber, was so an Spielregeln gilt. Aber ich denke so eine 2/3 Mehrheit im Plenum des Bundesverfassungsgerichts, die würde auch nur dann zustande kommen, wenn die Richterinnen und Richter wirklich den Eindruck haben, diese Änderung, die zerschießt uns im Prinzip unsere ganze Arbeit.

Das heißt also, da würde, glaube ich, jetzt nicht nur aus parteipolitischen Motiven ein Veto kommen, sondern dann, wenn man, wenn sich die Richterinnen und Richter wirklich Sorgen machen um ihr Haus. Und wie gesagt, die wesentlichen Grundsätze könnte man ja oder sollte man sogar trotzdem noch im Grundgesetz festlegen. Und dann hätte man insgesamt, glaube ich, eine sehr gute Absicherung, solange das Gericht eben nicht schon gekippt ist. Aber dann muss man ganz ehrlich sagen, dann ist eh Essig.

Philip

Dann ist eh vorbei. Genau. Welche Änderung des Grundgesetzes auch immer. Alle diese Vorschläge laufen darauf hinaus, im Prinzip sind alle dafür. Scholz, Die Grünen, FDP, alle wollen das. Auch die Union ist im Kern im Boot. Die müssen ja zustimmen, wenn das Grundgesetz wie auch immer geändert wird. Die zentrale Frage jetzt ist halt, na ja, wie viel soll denn ins Grundgesetz? Alle Vorschläge beinhalten irgendeine Art von Änderung. Man kann aber nicht jede Verfahrensregel reinschreiben, haste

gesagt. Aber zu wenig Regeln im Grundgesetz schützen das Gericht dann eben auch nicht. Aber du hast ja eben schon deine Lösung skizziert. Schreibt das Wesentliche rein, gebt dem Gericht ein Veto eine bestimmte Periode, innerhalb derer 2/3 des Gerichts eben widersprechen können und dann ändern wir das Gesetz nicht aber dann heißt es, das geht nicht, da müsst euch was Besseres überlegen.

So, das sind aber alles Überlegungen und Vorkehrungen für den Fall, die AfD oder irgendwelche anderen Demokratiefeinde haben eine Mehrheit im Bundestag. Das ist nicht wahrscheinlich, aber jetzt auch nicht völlig undenkbar. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass die AfD durch Wahlen wächst, größer wird und mehr als 1/3 der Sitze im Bundestag bekommt.

Ulf

Keine Mehrheit.

Philip

Keine Mehrheit, aber sie bekommen mehr als 1/3 der Sitze im Bundestag und das hätte auch so seine ganz eigene Problematik.

Ulf

Genau dann kann sie natürlich keine Gesetze ändern, keine Gesetze beschließen. Aber sie könnten dann die Wahl von Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts blockieren, weil dafür ja eben im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Genauso für die Richterinnen und Richter, die vom Bundesrat gewählt werden eben eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.

So, das wäre natürlich eine Katastrophe, wenn die AfD es in der Hand hätte, Richterinnen und Richter zu blockieren, bis ihnen irgendwann mal eine Kandidatin oder wahrscheinlich eher ein Kandidat passt. Man nennt das eine sogenannte Sperrminorität, eine Sperrminderheit. Und dazu würde eben schon 1/3 der Stimmen im Deutschen Bundestag reichen. Momentan sieht es nicht so aus, aber das ist jedenfalls auch nicht völlig esoterisch. Und das ist ehrlich gesagt schon ein Problem.

Philip

Aber es ist, glaube ich, schon lösbar. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag, na ja, wenn der Bundestag einfach keine Wahl zustande kriegt, weil die AfD zum Beispiel mehr als 1/3 der Stimmen hat, ja, dann könnte man sagen, erstens kann dann nach X Monaten der Bundesrat wählen. Dann geht also das Wahlrecht vom Bundestag auf den Bundesrat über. Das hätte auch den Charme, so ein bisschen Zeitdruck entstünde einfach, dass sie halt, ihr habt X Monate Zeit, um zu wählen.

Wenn ihr es nicht schafft, dann übernimmt das eben der Bundesrat.

Ulf

Das ist nämlich total eingerissen. Also beispielsweise hab ich ja mal für Winfried Hassemer gearbeitet am Bundesverfassungsgericht als wissenschaftlicher Mitarbeiter, und der musste monatelang nachsitzen, obwohl er eigentlich schon eine neue Stelle hatte in einer Kanzlei zum Beispiel, bis dann irgendwann sich mal die Parteien in Berlin auf Andreas Voßkuhle geeinigt haben, bei dem ich da noch ein paar Monate gearbeitet habe. Also, und das war für alle Beteiligten ehrlich gesagt ziemlich

unangenehm. Deswegen, dieser Zeitdruck wäre durchaus heilsam, damit eben das politische Berlin nicht das Gericht so hängen lässt.

Philip

So, aber dann ist natürlich die Frage okay, dann ist der Bundesrat zuständig. Aber was, wenn auch dort die AfD über Beteiligungen an Landesregierungen ein de facto Veto hat, weil sie mehr als 1/3 haben?

Ulf

Also ich denke, die pragmatische Lösung für diesen Fall, also Deadlock in beiden Kammern wäre, dass dann das Bundesverfassungsgericht eine Vorschlagsliste nach Berlin schicken sollte. Ja, dann einigt sich das Plenum auf eine Liste von meinetwegen drei oder fünf Menschen, wo sie sagen, die haben die fachliche Expertise und auch die Persönlichkeit, dass wir sie uns in unserer Runde vorstellen

könnten. Und dann könnte der Bundestag aus dieser Liste in zwei Wahlgängen eine neue Richterin oder einen neuen Richter wählen. Also im ersten Wahlgang würde man quasi eine Platzierung vornehmen. Wer ist Erster, Zweiter, Dritter, Vierter, Fünfter von den Stimmen im Bundestag und dann in einem zweiten Wahlgang aus den beiden Bestplatzierten jemanden wählen. Das heißt, wer sich dann in diesem Zweiwahlgangsystem durchsetzt, der wäre dann gewählt, auch wenn er keine 2/3-

Philip

Sondern mit einfacher Mehrheit.

Ulf

Mit einfacher Mehrheit. Der wäre dann gewählt und wahrscheinlich würde es dann ja eine absolute Mehrheit, wenn in der Stichwahl nur zwei Personen auf dem Zettel sind, müsste in der Regel jemand eine absolute Mehrheit kriegen, aber eben keine Zweidrittelmehrheit. Und dadurch könnte dann auch ohne die Zweidrittelmehrheit aber sichergestellt werden, dass hinter dieser Person einfach ein, wie soll ich sagen, eine breite gesellschaftliche Mehrheit steht.

Einfach weil die Person ja zunächst mal vom Plenum in Karlsruhe nominiert werden müsste.

Philip

Ich finde, so einen Einwand gegen dieses Prinzip ist natürlich so eine Art Selbstrekrutierung der Eliten. Also wenn das, wenn das Gericht anfängt, selber Listen zu schreiben, wer denn jetzt hier uns genehm wäre in diesem Gericht, wen wir für geeignet hielten, dann ist es natürlich das Gericht selber, was den Nachwuchs quasi mit-, zumindest maßgeblich, mitbestimmt. Und so eine richtige Frischzellenkur und so ein richtiger Austausch weiß nicht, wird dann zumindest unwahrscheinlicher.

Ulf

Das teile ich absolut. Das ist ein Schönheitsfehler. Man kann auch ein ganz bisschen natürlich zweifeln an der demokratischen Legitimation. Also wenn das Parlament zwar noch wählt, aber nicht mehr völlig frei aus allen Menschen, die 40 sind. Sehe ich durchaus dieses Problem.

Auf der anderen Seite muss man sagen, wir reden hier ja im Grunde von einer Situation des Rekrutierungsnotstands, wenn eben das normale Wahlverfahren mit Zweidrittelmehrheit nicht mehr funktioniert, weil die Autoritären schon so weit vorgedrungen sind. Und ich denke mal, in einer solchen Notstandssituation muss man ja irgendwie schauen, dass das Gericht neu besetzt werden kann. Und da scheint mir ein Vorschlag aus Karlsruhe plus absolute Mehrheit ein guter Kompromiss.

Wie gesagt, für eine Notsituation. Das hält dann zumindest so lange die Arbeitsfähigkeit des Gerichts aufrecht, wie das nicht selber gekippt ist. Aber wie gesagt, das haben wir eben schon gesagt. Wenn das Gericht gekippt ist, dann ist Essig. Dann weiß man auch nicht mehr, was dann passiert.

Philip

Wir kommen zum nächsten Thema und das ist ehrlicherweise ein bisschen ein persönliches, was wir hier aber mal reingenommen haben, weil ich glaube, dass es auch insgesamt ein Abbild der gesellschaftlichen Stimmung durchaus sein könnte, was sich bei uns, in mir, bei mir so, so abspielt. Ich muss nämlich ehrlich sagen, mich hat vor allen Dingen in der letzten Woche diese politische Situation ja mindestens nachdenklich gemacht und sie ist auch ein bisschen auf's Gemüt geschlagen, finde ich.

Also diese Umfragen der AfD und dann auch diese Performance der Ampel oder das Erscheinungsbild der Ampel. Ich habe mich da manchmal ein bisschen hilflos und ein bisschen machtlos gefühlt, weil ich mich immer so gefragt hab, ja, wo geht es denn jetzt weiter? Was ist denn jetzt hier der Pfad für die nächste zweite Halbzeit? Die Baustellen sind bekannt. Wie geht es denn jetzt los? Und mir fehlt da so der Spirit und auch so der konstruktive Ansatz.

Und ich habe dann überlegt und saß dann auch im Auto auf dem Parkplatz neulich und so und hab gedacht, was ist denn hier eigentlich das Problem? Und ich glaube das Problem und warum einen das so ein bisschen runterziehen kann, diese aktuelle politische Situation sind weniger, die Inhalte, sind weniger die Gesetze, die die Ampel macht und für die sie steht. Also wenn du dir den Koalitionsvertrag anguckst, der ist ganz okay.

Wenn du dir diese von uns ja auch schon zitierte Bertelsmannstudie anguckt, was haben die sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, was sind sie zumindest angegangen, was haben sie auch schon abgeschlossen? Da sind sie wirklich gut dabei. Da haben sie schon überdurchschnittlich viel umgesetzt und auch abgeräumt. Wir haben einen Boom bei der Photovoltaik, wir haben ein neues Einwanderungsrecht, das nicht perfekt ist, aber doch verbessert

wurde. Wir haben Megakrisen gemeistert, wir sind raus aus dem russischen Gas. Klar, es ist nicht alles super. Ich meine, wir haben ein Buch geschrieben, das heißt die Baustellen der Nation.

Ulf

400 Seiten über Baustellen.

Philip

Über Baustellen. Also da ist durchaus einiges zu machen. Dass wir in dieser Situation kaum investieren, kaum neue Schulden machen und uns auf unsere Schuldenbremse immer berufen, ich würde sie jetzt mal Deutschlandbremse nennen, weil sie einfach ein Problem ist für dieses Land, das ist alles doof, aber die Ampel hat in diesen zwei Jahren, würde ich sagen, mehr Wandel geschafft und mehr Umbau geschafft als Merkel mindestens in ihrer letzten Amtszeit.

Also an den Inhalten liegt es nicht diese Krise der Ampel und mein Stimmungstief. Bei mir liegt es eher daran, wie A) diese Umfragen natürlich sind. AfD 20 % bundesweit, 19, meinetwegen 18, aber es sind immer noch zu viel. Und dann diese 30, 40 % in einigen ostdeutschen Bundesländern. Bei mir liegt es eher so ein bisschen daran, dass ich das Gefühl habe, die Kommunikation stimmt einfach nicht. Und ich finde, diese Demonstrationen, die wir gesehen haben, die spiegeln das eigentlich

ganz gut wieder. Du hast diese Demonstrationen, die finden statt, das sind Hunderttausende, die auf der Straße sind. Und das, finde ich, spricht ja auch so ein bisschen für die These, oder scheint eine Manifestation dieser These von Soziologen zu sein, wie zum Beispiel Steffen Mau. Die sagen, unsere Gesellschaft ist nicht polarisiert. Es gibt nicht die beiden großen Lager, die sich gegenüberstehen und gleich groß sind, sondern es gibt eine große, große Mitte.

Die ist total heterogen, kann sich aber auf sehr Mitte orientierte, konsensorientierte, schon so ein bisschen mainstreamig demokratieorientierte Inhalte einigen und dann gibt es am Rand die Extremisten. Das ist das Bild, was sich aktuell, finde ich, auch in diesen Demonstrationen manifestiert.

Was mir fehlt ist, die Ampel schafft es nicht, diesen Spirit umzusetzen und kommunikativ aufzunehmen, um ihre Inhalte zu verkaufen und so einen Aufbruch zu kommunizieren, der sich eigentlich in diesen Demonstrationen manifestiert.

Ulf

Ja, man muss da ganz ehrlich sagen, diesen Aufbruch hat sie ganz am Anfang ja durchaus kommuniziert. Also als diese Koalition Ende 2021 geschlossen wurde, fand ich, gab es durchaus was von einem Aufbruch. Sie hat sich ja auch selber als Fortschrittskoalition bezeichnet. Da gab es dieses berühmte Foto auf Insta von den Verhandlungspartnerinnen und -partnern von Grünen und FDP, die schon den Eindruck vermitteln wollten wir machen das jetzt hier mal zusammen.

Aber Philip, trotzdem, da hat sich tatsächlich eine Menge getan. Du bist da ja auch überhaupt nicht alleine mit deiner Wahrnehmung. Also es gibt zum Beispiel ja auch Umfragen, so quasi zur Stimmungslage der Menschen in Deutschland. Und die genauen Zahlen hab ich jetzt gar nicht im Kopf, aber im Kern ist es so, 70, 80 % sind total skeptisch, was die Situation Deutschlands, was die Zukunft des Landes angeht.

Obwohl die persönliche Situation von über 80 % als überwiegend gut oder sogar sehr gut eingeschätzt wird. Also den Leuten geht es gut, aber sie haben das Gefühl, mit dem Land geht es bergab. Und interessant ist ja auch, dass dieses Gefühl, mit dem Land geht's bergab, sich überhaupt nicht in den Kennzahlen der Wirtschaft widerspiegelt. Die Wirtschaft ist ja alles andere als im Keller. Ja, sie wächst zurzeit nicht. Es gab kurz sogar eine Rezession, also ein Minuswachstum.

Zurzeit kann man sagen, mehr oder weniger Nullwachstum, wird vielleicht diese kurze Rezession gerade aufgeholt? Das klingt jetzt erst mal nicht doll, aber der Dax ist auf einem Allzeithoch. Viele Unternehmen fahren riesige Gewinne ein, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung im Land, überall fehlen Arbeitskräfte. Mit anderen Worten, also eigentlich der Wirtschaft geht es gut, den Menschen persönlich geht es gut. Wo kommt diese schlechte Stimmung

her? Das ist ja, das ist ja auf eine bestimmte Weise total irrational. Und deswegen haben wir uns in dieser Sendung gedacht,.lohnt sich das, sich dieser Frage noch mal zu öffnen? Wo kommt diese irrational schlechte Stimmung her?

Philip

Ja, ich würde, bei der Wirtschaft würde ich einhaken. Ich gebe dir bei der Stimmung insgesamt recht, aber bei der Wirtschaft will ich einhaken, da ist das Bild nicht ganz so eindeutig. Ich meine, du sagt Vollbeschäftigung. Wir haben jetzt aktuell glaube ich, 6 % Arbeitslosigkeit. Das ist, würde ich sagen, immer noch historisch nicht so viel, aber es ist nicht Vollbeschäftigung und wir haben halt-

Ulf

Ich hab gesagt annähernd Vollbeschäftigung und also 100 % Vollbeschäftigung hast du nie, weil nie das Angebot an Arbeitskraft exakt eins zu eins passt zu der Nachfrage nach Arbeit. Das hast du nie.

Philip

Ich will nur sagen, ich will, ich will, ich sage es mal so, dieses nur positive Bild der deutschen Wirtschaft ein bisschen

relativieren. Aber trotzdem hast du recht, uns geht es relativ gut und die Frage ist, warum schafft die Ampel es nicht, diese relativ gute Wirtschaft und diese Dynamik, diese gesellschaftliche Aufbruchsdynamik und dieses Bekenntnis für Demokratie und Vielfalt, die sich in diesen Demonstrationen zeigt, warum schafft die Ampel das nicht aufzunehmen und zu übersetzen in eine politische Dynamik? Und ich glaube, das liegt an der mangelnden Kommunikationskompetenz dieser Regierung.

Die Ampel schafft es nicht, diese kommunikative Wende hinzukriegen. Sie finden keine Worte für die Wende. Ja, nimm Merkel, wir schaffen das. Nimm Mario Draghi, whatever it takes.

Ulf

Die hat damals im Grunde den Euro gerettet mit einem Satz ja.

Philip

Auch Scholz, Zeitenwende.

Ulf

Da hat das mal funktioniert. Also Olaf Scholz kann ja durchaus eine Vision kommunizieren, wenn er das mal will.

Philip

Und diese Aussagen zeigen, welche Macht Kommunikation hat, welche Macht gute Politiker und Politikerinnen haben, die zur richtigen Zeit die richtigen Worte finden. Da braucht es nicht viel. Wir schaffen das. Whatever it takes, das sind drei Worte. Ja, drei Worte, die natürlich jetzt nicht die Welt verändert haben, aber die unglaubliche Macht entfaltet

haben. Und was mir fehlt, ist, dass die Ampel für diese Zeit, in der wir stecken, und für die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nämlich unsere Gesellschaft zu wandeln, umzubauen zu mehr Klimaneutralität, dass ihnen dafür die Worte fehlen. Dafür haben sie keine Begriffe gefunden, die die Leute verstehen, die die Leute unterschreiben und die die Leute dazu bringen, in ihrer Mehrheit da mitzugehen. Und dazu gehört, dass man den Leuten reinen Wein einschenkt.

Du kannst nicht hingehen, wie Scholz sagen ja, ja, Wandel. Aber der wird euch nicht betreffen. Ihr werdet davon gar nichts mitkriegen. Du musst den Leuten reinen Wein einschenken, dass sich was ändern wird und dass das auch nicht alles super sein wird. Aber du musst ihn gleichzeitig vermitteln, dafür gibt es einen Plan. Und diesen Plan verfolgen wir langfristig.

Ulf

Da wäre natürlich das Thema Migrationspolitik wieder so ein ganz zentrales Kommunikationsversagen aus meiner Sicht. Man müsste den Menschen sagen, Migration ist gut und sie ist ohnehin auch nicht zu verhindern. Das wäre die Wahrheit. Nicht irgendwie Abschiebeinitiativen, sondern man müsste den Menschen sagen, wir können unser Land ohnehin nicht abschotten. Das ist völlig aussichtslos. Vielleicht kann man die EU abschotten. Schwierig. Aber Deutschland abschotten funktioniert nicht.

Es ist auch eine Schnapsidee, Deutschland möglichst unattraktiv zu machen. Wir werden nie unattraktiver sein als bestimmte Herkunftsländer, als Afghanistan und Syrien. Und man müsste es den Leuten einfach ehrlich sagen. Die Menschen werden kommen. Und der zweite Gedanke wäre, das ist auch gut so. Wir brauchen diese 400.000 Menschen und man müsste dann vernünftig reden über den Umgang mit Migration.

Das, find ich, ist ein klassisches Beispiel, wo einfach die SPD, die FDP, partiell auch die Grünen rechtsextremen Narrativen hinterherrennen mit den bekannten Folgen. Wo steht die AfD? Und natürlich auch mit so Schnapsideen, die jetzt im politischen Raum wieder Platz greifen, die Bezahlkarte, Philip. Die Bezahlkarte, wo die Kommunen sagen ist Quatsch, wo alle wissen riesen Bürokratieaufwand. Wo alle wissen, wird natürlich die Transfers in die Heimatländern nicht

verhindern. Diese Bezahlkarte kommt jetzt. Das ist einfach nur noch absurde Politik und ich finde, das ist einfach ein schönes Beispiel für Kommunikationsversagen.

Philip

Und ich würde sagen, zum reinen Wein gehört aber auch, wir haben in Berlin Tegel ein Übergangslager. Ja, da sind 5-6000 Geflüchtete aus der Ukraine, aus der ganzen Welt. Die sollten da ursprünglich mal, als das eingerichtet wurde, Krieg in der Ukraine beginnt Frühjahr 22 wenige Tage verbringen.

Ulf

Wie das so geht.

Philip

Die sitzen da, weißt du, die finden keine Wohnung, die finden keine Arbeit. Das findet in Berlin ein bisschen außerhalb der Öffentlichkeit statt, weil die da halt so abgekesselt sind. Aber das sind natürlich Probleme, die wir haben.

Ulf

Ja, da muss man das eben so kommunizieren. Da muss man sagen, die Leute sind da, die wollen wir auch nicht wieder zurückschicken, im Fall der Ukraine können wir nicht, geht gar nicht aus humanitären Gründen. Aber es kommen eben auch noch viele andere Leute, die wir aber objektiv nicht wieder loswerden, warum auch immer. Da können wir Abschiebeinitiativen starten, bis wir schwarz werden. Die werden wir nicht los, die sind hier und die bleiben hier auch.

Das wäre ehrliche Kommunikation, nicht irgendwie so Failkommunikation, abschieben wie so ein Weltmeister, das wird ohnehin nicht funktionieren. Was sagt das Innenministerium? 600 Leute mehr von den 350 oder 300.000 etwa, die im Land grundsätzlich ausreisen.

Philip

Durch diese letzte Abschiebeinitiative.

Ulf

Eine solche Quatschkommunikation. Und das ist jetzt das Thema Migration, wo man einfach sieht, da hat sich die Ampel selber ein Bein gestellt. Die FDP klebt jetzt in Berlin Plakate irgendwie so mit, dass sie irgendwie Migration kontrollieren will. Was für eine Schwachsinnskommunikation!

Sie verspricht den Leuten, dass man das irgendwie nennenswert beeinflussen könnte, anstatt das zu tun, was eine progressive Politik jetzt machen müsste, für die möglichst gute Integration zu sorgen, die Leute so schnell wie möglich in Arbeit bringen, das wäre doch Zukunftskommunikation.

Philip

Das ist richtig. Aber ich würde dir widersprechen, dass man Migration nicht kontrollieren kann.

Ulf

Ja, das hatten wir ja schon mal.

Philip

Hatten wir schon mal.

Ulf

Ich habe das ja differenziert. Deutschland kann das nicht. Man kann das an den europäischen Außengrenzen vielleicht. Da gibt es alle möglichen Ideen mit irgendwelchen Staaten in Afrika, wo man die Leute parken könnte und so. Ich glaube, das Fass müssen wir nicht wieder aufmachen. Aber aus einer deutschen Perspektive wäre die ehrliche Kommunikation, wir können da überhaupt gar nichts machen. Wir können 600 Leute mehr abschieben, Philip, bei 300.000.

Philip

Abschieben, gebe ich dir recht. Aber ich-

Ulf

Was willst du denn machen? Willste die Mauer wieder aufbauen?

Philip

Nein, ich will nicht die Mauer wieder aufbauen. Aber es gibt ja international viele Beispiele, wie du es schaffst, Leute, die irgendwie irgendwelche Gewässer überqueren, daran zu hindern, diese Gewässer zu überqueren und darin zu sterben und ihn trotzdem Schutz zu gewähren.

Ulf

Das ist aber, das ist aber kein deutsches Thema. Wir haben, soweit ich weiß, keinen Strand am Mittelmeer. Das ist wenn überhaupt eine EU Thema. Und aus einer deutschen Perspektive wäre die ehrliche Kommunikation, wir können da überhaupt gar nichts machen. Wenn überhaupt, können wir uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen. Stand heute müssen wir davon ausgehen, die Leute sind hier, die Leute werden kommen und die Leute bleiben auch hier.

Und deswegen reden wir darüber, wie wir mit diesen Menschen am besten umgehen. Es ist einfach eine Quatschkommunikation, dieses Regelungsnarrativ aufrechtzuerhalten, dieses Narrativ, wir können Migration nennenswert beeinflussen. Wie gesagt, vielleicht auf EU Ebene, aber der Bundeskanzler ist nun eben nicht der Chef der EU Kommission, weißt du?

Und deswegen nervt das, dass der Bundeskanzler den Leuten da nicht, das sind ja deine Worte, dass der Bundeskanzler den Menschen nicht reinen Wein einschenkt. Und ich finde, das ist einfach ein unglaubliches Politikversagen. Das trägt wahnsinnig bei zum Aufstieg der AfD. Und wir haben natürlich noch ein zweites wichtiges Politikfeld, nämlich die Klimapolitik. Weil auch da wird ja den Menschen jedenfalls nicht in der nötigen Weise gesagt, was einfach die politischen Realitäten sind.

Philip

Ja, und das habe ich ja eben auch schon gesagt, du kannst den Leuten diesen Wandel nicht schmackhaft machen, indem du sagst, jaja, das wird sich viel ändern, aber euch wird das nicht betreffen und letztlich verlangen, das ist ja übrigens jetzt gerade auch neu, große Unternehmen der deutschen Wirtschaft, 50 Unternehmen, haben Appell geschrieben von Aldi über Rossmann bis Thyssenkrupp, dass sie sagen, Deutschland muss klimaneutral werden. Okay, so weit, so gut.

Sie sagen aber, Klimaneutralität sei eine Chance für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland. Und jetzt kommt's, aber dafür braucht es eben einen klaren, langfristig und gut kommunizierten Plan, damit die Leute das verstehen, damit auch die Wirtschaft sich drauf einstellen kann. Das sagt die Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft, die das quasi vorgebracht hat Sabine Nallinger.

Sabine Nallinger

Die Politik muss jetzt klare Perspektiven, quasi ein Leitbild für 2045 für den klimaneutralen Standort Deutschland aufzeigen. Das geht nur, wenn alle demokratischen Parteien in der Regierung und der Opposition zusammenarbeiten. Wir brauchen einen verlässlichen Plan, der mehr als eine Legislaturperiode überdauert. Investitionen in die Transformation sind langfristig angelegt und brauchen einen verlässlichen Fahrplan als Basis.

So schaffen wir neue Wachstumsperspektiven und halten rechtsextreme politische Ränder klein.

Philip

Die Ampel, würde ich sagen, macht aber fast das Gegenteil. Die wirkt halt nicht geschlossen, nicht planvoll, nicht energisch. Es gibt bei der Ampel kaum ein Projekt, das sie nicht selber torpediert.

Ulf

Jedenfalls kommunikativ.

Philip

Jedenfalls kommunikativ. Ich meine, die härtesten Debatten, die wir in Deutschland erleben, ist nicht zwischen der Regierung und der Opposition. Das ist zwischen den Koalitionsparteien, und das finde ich, das kann nicht sein.

Ulf

Ja, und ein Beispiel dafür war ja die Rede des Bundesfinanzministers Christian Lindner vor einigen Tagen vor so einer Bauerndemo in Berlin. Das hat also auch die Historikerin Hedwig Richter im Spiegel in einer Kolumne vor einigen Tagen sehr deutlich kritisiert. Sie sagte sinngemäß, dass diese Rede eigentlich ein Tiefpunkt der Kommunikation der Ampel war, weil Christian Lindner sich im Grunde die ganze Zeit nur in Opposition begeben hat zu den gerade von der Ampel gefassten Beschlüssen.

Man kann ja lange streiten über die Subventionen für die Bäuerinnen und Bauern, aber wenn man die in der Koalition einmal beschlossen hat, dann muss man es halt auch durchziehen. Oder man darf es gar nicht erst beschließen. Aber ein solches Chaos jedenfalls darf nicht eintreten.

Philip

Sie hat halt argumentiert, und das fand ich halt ganz interessant, deswegen fand ich diese Kolumne auch lesenswert, warum diese diffuse, widersprüchliche, inkohärente Kommunikation und dieses zerstrittene und chaotische Bild von der Regierung, was dadurch entsteht, warum das so schädlich und problematisch ist. Sie beschreibt dieses chaotische Bild in der Öffentlichkeit, was von der Ampel selbstverschuldet mit entstanden ist als Humus, würde ich das mal paraphrasieren, für Extremisten.

Und wir haben sie quasi noch mal gebeten, dieses Argument uns in einer kleinen Sprachnachricht auszuformulieren.

Hedwig Richter

Okay. Also ich denke, dass wirklich ganz prinzipiell das Chaos der Tummelplatz der Rechtsextremisten ist, weil sie ja das in Anführungsstrichen System attackieren. Also sie sind ja grundsätzlich gegen die liberale Ordnung, gegen die liberale Demokratie und je schlechter das scheinbar funktioniert desto

wichtiger. Und deswegen ist ja in ihrer Kommunikation ganz wichtig, dass sie diese Vorstellung stark machen und dass sie in dieser Vorstellung leben, dass sie quasi in einem failed state sind, bzw. ganz kurz davor. Und das muss ja immer und immer wieder wach gehalten werden, dass überhaupt nichts mehr funktioniert. Und da ist es natürlich gut, wenn dann die Regierung sich selber widerspricht, sich selber attackiert, sich selber despektierlich über andere Regierungsmitglieder äußert.

Und wenn dann noch sogar ein Minister sagt, dass diese Politik schlecht ist und sich darüber lustig macht und sich den Populisten offiziell in so einer Rede, in einer öffentlichen Rede anbiedert, das finde ich wirklich ganz fatal.

Ulf

Ich finde das total überzeugend. Wie soll denn eine Regierung die Menschen in Deutschland überzeugen, insbesondere die Menschen, die ihr vielleicht politisch zunächst mal nicht so wahnsinnig nahestehen, wenn sie sich noch nicht mal selber überzeugt? Also das ist doch gedanklich ein klarer Schritt. Erst muss man sich in einer Koalition auf irgendwas einigen. Und dann müssen eben auch wirklich alle dazu stehen.

Und wie gesagt, wenn das selbst schon die einflussreichste Persönlichkeit bei der FDP nicht schafft wie Christian Lindner in diesem Fall, dann muss man sich natürlich auch nicht wundern, wenn die Menschen in Deutschland das Gefühl haben, die haben keinen klaren Kurs, die da in Berlin und, und das ist eben gerade bei den Bauernprotesten ja so deutlich geworden, wenn wir nur eine Riesenwelle machen, dann werden die schon wieder einknicken.

Und das mal ganz ehrlich, so kann natürlich Reform auch nicht funktionieren, wenn alle Partikularinteressen jeweils eine große Welle machen und damit das Land lahmlegen.

Philip

Richtig. Und natürlich gucken dann alle, finde ich zu Recht, auch auf Olaf Scholz, weil er derjenige wäre, der diese Kohärenz herstellen könnte und auch müsste. Aber ich glaube, dazu passt sein Politikverständnis einfach nicht. Wir haben diesen Satz damals auch hier zitiert. Ich paraphrasiere, aber er hat so was gesagt wie, jeder Beschluss für Klimaschutz, der muss hier in Deutschland ein Plebiszit überstehen.

Ulf

Also eine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich haben.

Philip

So und da finde ich, so funktioniert das nicht. Deswegen haben wir eine repräsentative Demokratie, deswegen wählen wir alle vier Jahre. Übertragen auf den Bundestag Macht. Der Bundestag, wählt den Bundeskanzler, die Bundeskanzlerin und dann muss er vier Jahre voraus gehen und wird nach vier Jahren wiedergewählt oder eben auch nicht für das, was er mit seiner Macht in diesen vier Jahren angestellt hat.

Ulf

Das ist ja der Witz bei der repräsentativen Demokratie ist ja eben gerade, dass nicht die Menschen in Deutschland ständig Volksabstimmungen entscheiden, sondern dass wir Abgeordnete wählen. Und die sollen eben idealerweise schlauer sein als der Schwarm, schlauer sein als der Stammtisch, schlauer sein als irgendwelche Gruppen auf Telegram, sondern die sollen sich eben mit Themen beschäftigen, sich da eine fundierte Meinung bilden und dann später für ihre Meinung

kämpfen. Wir reden natürlich viel mit Menschen, die im Bundestag Verantwortung tragen und da war ich jetzt gerade vor zwei, drei Wochen noch mal bei einer Gruppe, war vertraulich, deswegen sage ich jetzt nicht, wo ich da genau war, aber was ich andeuten will, ist, die wiederum sagen dann, ja, können wir ja gerne versuchen, wir werden halt nicht mehr gehört mit dem, was wir sagen. Wir kommen mit unserer Nachricht nicht durch. Und ich muss gestehen, sie haben da auch ein stückweit einen Punkt.

Also wenn man sich zum Beispiel erinnert, die SPD hat vor sechs Wochen auf ihrem Bundesparteitag-

Philip

100 Milliarden für die Bildung.

Ulf

100 Milliarden für die Bildung. So wie es eben 100 Milliarden für die Bundeswehr gibt zurzeit, wollte die SPD parallel ein 100 Milliarden Programm für die Bildung. Und wer das Bildungssystem in Deutschland kennt, der weiß, dass ist jedenfalls im Ergebnis eine großartige Idee. Und sie hatte auch, sage ich jetzt mal ganz kurz, klassisch sozialdemokratische Ideen, wie man das finanzieren könnte. Philip, im Ernst. Hat es irgendwen

interessiert? Nein. Wir hatten sogar die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, in der Lage, eine halbe Stunde zu dem Thema. Hat es irgendwen interessiert? Nein, also insofern, man kann schon, man kann schon mitgehen ein stückweit, wenn Abgeordnete sagen, wir versuchen ja rational zu kommunizieren, die Medien interessieren sich nicht dafür. Das ist, glaube ich, gehört zum fairen Bild auch mit dazu. Es ist nicht einfach.

Philip

Wir haben ja diesen Teil so ein bisschen angefangen mit meinem persönlichen Befinden. Und wir haben uns überlegt okay, was bringt das hier in der Lage? Und ich habe nach Antworten gesucht, wie man persönlich mit dieser, mit dieser Unzufriedenheit, mit dieser Hilflosigkeit und auch Machtlosigkeit umgehen kann. Und bei uns in der Lage, bei dir wird das nicht anders sein als bei mir, geht es natürlich immer auch darum, irgendwie Lösungen zu finden, irgendwie konstruktiv zu sein.

Und das ist natürlich ein guter Anspruch. Aber ich würde argumentieren, Erleichterung und ein besseres Lebensgefühl lässt sich schon durch Kommunikation erreichen, ohne dass wir immer sofort wissen, wie es weitergeht. Und mit Kommunikation meine ich Austausch mit anderen und auch die Formulierung von Stimmung, von von eigenen Zuständen, von eigenen Ängsten helfen schon dabei, mit diesen Ängsten und diesen Stimmungen umzugehen.

Und deswegen haben wir das hier auch mal in die Lage reingenommen, weil ich glaube, ein Mehrwert der Lage kann auch sein, dass wir hier versuchen, Stimmungen vielleicht von euch, die hier zuhören, auch zu formulieren, ja, und ein bisschen auseinanderzunehmen und ihnen so ein paar Worte zu geben, weil das helfen kann, wenn man hört, aha, genau, so fühle ich mich auch. Daher kommt dieses Gefühl. Durch diesen und jenen Missstand wird dieses Gefühl verursacht.

Ich habe für mich das Gefühl, dass das schon hilft, mit schwierigen Situationen besser umzugehen. Das schafft Raum für Lösungen, ohne dass man die sofort hat. Das schafft Raum für Gedanken. Wie gehen wir denn jetzt damit konstruktiv um? Ohne dass man das schon sofort weiß. Aber mir hilft das so ein bisschen zu analysieren, woher kommt denn dieses komische Gefühl? Woher kommt diese Unzufriedenheit und auch dieses bedrückte Gefühl?

Und vielleicht, weiß ich nicht, hilft so ein Segment hier in der Lage, denjenigen unter euch, die das vielleicht ähnlich empfinden, damit ein bisschen besser und positiver umzugehen.

Ulf

Na ja, ich meine, das ist ja auch etwas, was viel an uns herangetragen wird, wenn wir so öffentliche Veranstaltungen machen. In den letzten Wochen war ich das hauptsächlich, Philip, wegen deines Babys habe ich ja die Lesungen gemacht und was da so war, und das ist schon etwas, wo ich immer wieder gespiegelt bekommen habe in den letzten Wochen, dass die Lage da einfach zum Ausdruck bringt, was viele so empfinden, ohne da vielleicht direkt Worte für zu

haben. Und zugleich versuchen wir aber natürlich auch immer eine konstruktive Perspektive einzunehmen. Also die Dinge zu benennen, ist glaube ich ganz wichtig. Aber dein zweiter Aspekt ist dann ja auch immer, einfach deutlich zu machen, was man tun kann und was wirklich jeder tun kann, ist, zu einer Demo zu gehen, zum einen oder eben Briefe zu schreiben. Wir haben es in der letzten Woche ausführlich gemacht.

Ich glaube gerade Briefe an Abgeordnete, Briefe an Medien, das sind so die beiden Wege, wie wir, wie wir alle uns einsetzen können für einen Erhalt unserer Demokratie, eben gegen rechtsextreme Narrative zum Beispiel. Und ich glaube, das hilft. Also ich habe jetzt auf Twitter, auf anderen sozialen Netzwerken viele Nachrichten gesehen, wo Leute einfach Briefe

geschrieben haben. Und ich hoffe, dass nicht nur, wenn das jetzt Lager Hörenden tun, sondern auch, wenn viele andere Leute einfach sagen, Demokratie ist mir wichtig, bitte trefft auch demokratische Entscheidungen, die unser Land wirklich voranbringen. Ich glaube, dass das auf Dauer auch nicht ohne Folgen bleibt, zum Beispiel in den Parlamenten.

Philip

Unser nächstes Thema. Da müssen wir ein bisschen grundsätzlich werden. Es passiert ja wirklich nicht oft, dass eine neue Technik auftaucht und eigentlich wirklich mehr oder weniger allen sofort klar ist, diese Technik wird die Welt wird unser Leben revolutionieren.

Ulf

Ja, und bei Artificial Intelligence, kurz AI oder auch künstlicher Intelligenz, kurz KI, sind Synonyme, da bezweifelt diesen revolutionären Effekt einfach niemand mehr. Allerspätestens seit vor gut einem Jahr die Software ChatGPT veröffentlicht wurde, der man ja gefühlt quasi alle Fragen dieser Welt stellen kann, die einem so ziemlich alle Antworten geben kann. Und Philip, Millionen Menschen sind davon fasziniert. Und auch die Wirtschaft ist natürlich elektrisiert ob der Chancen, die das bietet.

Philip

Ja, genau. Und das war wirklich so ein Wasserscheidenmoment. Du kannst halt bei ChatGPT in einem simplen Textchat, den wirklich jeder und jede versteht, jedes Kind versteht, einfach mit einer Maschine reden und ihr sagen code mir mal das Programm XY, schreib mir mal ein Gedicht, generiere mir mal ein Bild hier von diesem Foto, das so aussieht wie im Stil von Van Gogh.

Dieses Programm ChatGPT, diese KI, kann Stimmen erzeugen, dann die Stimme erzeugen von Olaf Scholz, von mir, von dir, von Joe Biden. Diese KI kann Studienarbeiten schreiben. Alles in dem man ein paar Worte in diesen Chat schreibt. Und da war wirklich, das war zu spüren, das haben alle sofort benutzt. Das hat sich sofort in ganz viele Anwendungen, in ganz viele Alltagsbereiche rein

gefressen. Der Nutzen war sofort erkennbar in so vielen Bereichen, dass eigentlich allen klar war, das wird nicht mehr weggehen.

Ulf

Es ist im Grunde ja heute schon sehr schwer, einen Bereich in Wirtschaft und Verwaltung und auch in der Lehre zum Beispiel in der Forschung zu finden, wo keine KI eingesetzt wird. Versicherungen, Steuersoftware, die Medizin zum Beispiel bei der Erkennung von Krebs in irgendwelchen Bildern zum Beispiel, Drogerieketten kippen ihre Businessdaten rein, schauen mal was da so rauskommt.

Philip

Ja, das ist halt so, wenn du, wenn du wissen willst, was passiert in deinem Unternehmen, dann machen so Drogerieketten kippen alle ihre Daten, Rechnungen, Lieferungen, Kunden, bla bla bla alles in so ein Modell und können das Modell dann fragen, wie viel Umsatz haben wir denn hier gemacht? Welche Lieferanten haben uns am meisten geliefert? Und diese KI wirft das in Textform einfach aus.

Ulf

Nicht, dass man das nicht auch früher irgendwie hätte machen können, aber mit deutlich mehr Aufwand. Und es gibt eben auch viele Anwendungen, die mit früherer IT so nicht möglich gewesen wären. Die Lage zum Beispiel nutzt KI inzwischen auch zum Transkribieren von Lage olgen. Also ihr wisst ja, wenn man ein plus Abo hat, kann man die Transkription der Lage mitlesen auf unserer Website. Wir lassen die noch mal redaktionell prüfen.

Wir haben eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter, die so im Wechsel diese Transkripte noch mal mit dem Audio abgleichen. Das ist so quasi unsere Qualitätskontrolle. Aber wir merken schon, die beiden sagen uns auch, das wird einfach immer besser. Auf der anderen Seite, glaube ich, Philip, muss man auch immer ganz deutlich sagen, passieren mit KI natürlich fiese Sachen, wie das so ist. Jede neue Technologie kannst du natürlich auch missbrauchen.

Das Messer, mit dem du deinen Apfel schneidest, kannst du auch nutzen, um jemanden zu erstechen. Und KI ist da leider keine Ausnahme.

Philip

Richtig. Haben wir jetzt gerade gesehen. X, vormals Twitter, wurde geflutet von Pornobildern, die so aussahen wie Nacktbilder von Taylor Swift, natürlich durch eine KI generiert. X war völlig überfordert, hat am Ende alles sperren müssen, weil das einfach nicht mehr beherrschbar war. Während der Vorwahlen haben einige Wähler und Wählerinnen in den USA Anrufe bekommen, gefakte Anrufe bzw. Anrufe bekommen, wo ihnen die Stimme von Joe Biden erklärt hat, so geh man nicht zur Wahl.

Braucht ihr nicht machen. Natürlich war diese Stimme generiert von einer KI.

KI

Voting this Tuesday only enables the republicans in their quest to elect Donald Trump again. Your vote makes a difference in november, not this tuesday.

Philip

KI kann auch automatisiert Schadsoftware schreiben, programmieren, ohne dass Menschen das können müssen. Sie können einfach sagen, schreib mir mal eine Software, die das und das macht, das funktioniert. Die KI halluziniert auch. Die tut so, als wüsste die Dinge, schreibt einfach Sachen auf, die aber einfach nicht stimmen, die frei erfunden sind. Die kommen aber in dem Gewand der absoluten Sicherheit und Faktizität daher.

Ulf

Kleines Beispiel unsere Transkriptionen für die Lage. Mitunter finden sich darin Sätze, und zwar komplette Sätze, die in der Lage nie gefallen sind. Das heißt also, diese KI hat einfach ganze Sätze dazu fantasiert und ich meine, das ist natürlich extrem gefährlich. Philip hat es gerade schon angedeutet. Diese Ergebnisse einer KI, die kommen ja aus einem Computer, einem Computer, der einfach den Eindruck enormer Leistungsfähigkeit verbreitet.

Und deswegen haben auch diese Ergebnisse immer so intuitiv eine enorme Überzeugungskraft. Und sich dagegen zu wenden und zu sagen, was die KI da ausgespuckt hat, das ist Quatsch, das ist einfach sehr, sehr schwer, weil Menschen eben spontan geneigt sind, der KI zu glauben. Bei der Transkription ist es noch einfach, da gibt es ja das Audio, da kann man hören und dann sieht man krass, dieser Satz da, der fällt einfach nicht. Die KI hat den stumpf erfunden.

Aber es gibt natürlich auch Beispiele, wo es wesentlich schwerer ist, so eine Einschätzung einer KI zu widerlegen.

Philip

Richtig. Und diese Magie, wirklich anders kann man das nicht beschreiben, dieses Gefühl von Magie und tatsächlich Intelligenz, das sich vermittelt bei so was wie ChatGPT aber auch anderen Modellen, die ist um so erstaunlicher, als dass das Prinzip von KI, von dieser KI, im Kern eigentlich überraschend simpel ist.

Ulf

Ja, im Zentrum stehen sogenannte Modelle. Das sind quasi die Ergebnisse eines Lernprozesses. Also KI bedeutet eine Software, die lernfähig ist. Das heißt also, programmiert wird nur eine Methode zum Lernen. Und diese Software wird dann angelernt mit gigantischen Datenmengen, die sie quasi in so einem Modell in letzten Endes Entscheidungsregeln umsetzt. Und diese Entscheidungsregeln sind häufig gar nicht so wahnsinnig

komplex. Beispielsweise wenn es um textbasierte Modelle geht, dann lernt es typischerweise nur, wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass nach einem bestimmten Wort ein bestimmtes anderes Wort kommt.

Philip

Richtig. Da wird also Text, wirklich gigantische Mengen an Text, Büchern, Wikipedia, Internet reingestopft und analysiert und dann wird halt eine Wahrscheinlichkeit entwickelt. In diesem Kontext kommt aller Wahrscheinlichkeit nach diesem Wort jenes Wort. Und zu dem Lernen gehört wie beim Menschen ja auch Feedback. Also dann wird im Programm gesagt, zeige mir Bilder von Katzen und dann sagt das Programm, hier sind Bilder von Katzen und Menschen sagen, ja, das ist eine Katze, das eine Katze, das

ist eine Katze. Aber dies hier ist ein Hund. Oder zum Beispiel bei ChatGPT ist es auch so, dann wurde ChatGPT angelernt, dann hat ChatGPT eine bestimmte Frage bekommen und Menschen haben entschieden, ob die Antwort, die ChatGPT auswirft, treffend ist, gut ist, wie nah sie an der Wahrheit ist. Und mit dem Feedback von diesen Menschen, sei es jetzt auf Hundebilder oder eben solche Antworten, lernt das Modell.

Das heißt es verändert Parameter, mit denen es bestimmte Inhalte kategorisiert, wirft dann neue Bilder aus oder neue Antworten aus, versucht es einfach nochmal und gibt dann wieder Feedback. Und so lernt ein System wie zum Beispiel GPT.

Ulf

Genau und das geht im Kern schon seit vielen Jahren. Aber Training und Aufbau eines solchen Basismodells kostet Millionen oder sogar Milliarden von Dollar. Das heißt also, zentral für die Revolution der letzten zwei, drei Jahre ist jetzt eben das Rechenpower, also insbesondere die Power von bestimmten Chips, sogenannten GPUs und eben auch Geld da investiert wurde, um diese Modelle zu trainieren, und zwar heute mehr als zuvor.

Und dadurch wird das jetzt zu einer wichtigen Triebfeder dieser industriellen Revolution. Kann man glaube ich sagen.

Philip

Und der große Unterschied zu früher ist auch, bisher waren, du hast es gesagt, so ganz neu ist diese Möglichkeit nicht, beispielsweise Katzenbilder auszuwerfen. Das macht Google schon seit vielen Jahren eigentlich. Wenn du Katze eingibst, dass es auch Katzenbilder auswirft. Das war aber lange deterministisch. Das bedeutet, man konnte vorhersagen, bestimmte Eingaben führen zu bestimmten Ausgaben, die der Code dieses lernenden Systems eben festlegt. Und heute ist es fundamental anders.

Der Code dieser Maschine, dieses Modells, der bestimmt nur noch wie die Programme lernen, aber nicht mehr, was sie ausspucken. Das heißt, selbst die Coder können nicht vorhersehen, wenn du eine bestimmte Frage rein gibst in so ein System, was wird die Antwort sein? Das ist nicht vorherzusehen. Nicht mal von den Leuten, die dieses lernende System geschrieben haben.

Ulf

Und das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Die Programmierung liegt nur noch das Lernen fest, aber nicht mehr die Ergebnisse des Lernens.

Selbst Entwickler können nicht mehr vorhersagen, was ChatGPT auswerfen wird und daher, und das ist auch das, was ganz wichtig ist, gleich für die Diskussion von Problemen und Risiken, daher ist im Grunde viel wichtiger als die Programmierung des Systems heute das Training, weil eben vor allem das Training eines Modells über den Output bestimmt, also das Training des Modells, mit welchen Daten hat man das gefüttert?

Wie hat man diesem System Feedback gegeben, das bestimmt, was hinterher ausgespuckt wird. Und das bedeutet eben auch, dass systematische Fehler in den verwendeten Trainingsdaten später im Output reproduziert werden.

Philip

Es ist ja nicht so, dass das nicht schon passiert wäre.

Ulf

Ganz im Gegenteil. Da gibt es zum Beispiel wirklich ganz problematische Beispiele aus den Vereinigten Staaten. Da haben Richter und Richterinnen in einem Bundesstaat, von dem ich es konkret weiß, zum Beispiel eine KI eingesetzt, um Bewährungssentscheidungen zu treffen, also die Frage, ob jemand, der schon im Gefängnis ist, auf Bewährung entlassen werden soll.

Und da ist natürlich ein ganz wesentlicher Faktor, ist im deutschen Recht so, aber auch im Amerikanischen, die Frage, ob dieser Mensch in Zukunft weitere Straftaten begehen wird oder ob dieser Mensch sich straffrei führen wird. Und da hat man dann eben eine KI mit Akten gefüttert und dabei kam dann hinterher heraus, dass diese KI Menschen, die eben keine Weißen waren, wesentlich seltener freigelassen

hat. Diese KI hat also diesen Menschen, die zum Beispiel People of Colour waren, wesentlich schlechtere Sozialprognosen gestellt. Und dann hat man später rausgefunden, das hängt selbstverständlich nicht an der Hautfarbe, sondern das liegt daran, wie arm oder nicht arm die sind. Das heißt also, wie auch in Deutschland, es ist nicht etwa der Migrationshintergrund entscheidend dafür, ob jemand kriminell wird, sondern es geht um die sozioökonomische Situation.

Arme Weiße werden häufig kriminell, reiche Weiße jedenfalls seltener. Und auch auf anderen Kriminalitätsfeldern. Eher mal eine Steuerhinterziehung als ein Raubüberfall. Und das gilt eben auch zum Beispiel für schwarze Menschen. Nur dieses System hat das eben nicht erkannt und hat damit einen systematischen Bias produziert, wo People of Colour, wo schwarze Menschen, wesentlich schlechter wegkommen bei Bewährungssentscheidungen. Und das ist so einer der ganz großen KI Skandale, der Schlagzeilen

gemacht hat. Und woran liegt es? Na ja, die Trainingsdaten enthielten eben eine schlechtere Sozialprognose von People of Colour, aber diese Modelle hatten einfach nicht die wichtige Information enthalten, ob diese Menschen in Armut leben oder ob diese Menschen in vernünftigen finanziellen Verhältnissen leben. Denn das ist das, was wirklich ausschlaggebend ist.

Das heißt also, es gab quasi eine zufällige Korrelation zwischen Hautfarbe und Sozialprognose, während eigentlich der wesentliche Faktor gewesen wäre, ob diese Menschen in Armut leben oder in soliden Verhältnissen.

Philip

Also das macht deutlich, wie wichtig es ist, mit welchen Daten werden solche lernenden Systeme gefüttert? Davon hängt ganz entscheidend ab, welche Ergebnisse sie produzieren, ob diese Ergebnisse unseren Vorstellungen von Gerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit und so was entsprechen. Gleichzeitig bei allen Gefahren muss man natürlich sagen, das Potenzial für uns, für die Gesellschaft von KI ist gigantisch. Das wurde halt auch allen klar, die sofort da mit ChatGPT mal herumgespielt haben.

Das hat sich halt überall sofort rein gefressen und es gibt eigentlich kaum noch Wirtschaftsbereiche, die KI nicht nutzen. Die Innovationspotenziale, die Wertschöpfungspotenziale durch KI, die wachsen in einem eigentlich selten gesehenen Tempo, auch die Weiterentwicklung dieser Techniken. Und trotzdem ist natürlich die Missbrauchsgefahr ganz erheblich. Einige fürchten sogar, dass KI, AI sich irgendwann mal dem Willen und der Macht der Menschen entziehen

wird. Führende Forscher und KI Entwickler, die haben schon vor knapp zwei Jahren eine Pause der KI Forschung gefordert in einem offenen Brief und damals hieß das:

Ulf

Heutige KI Systeme werden bei allgemeinen Aufgaben immer konkurrenzfähiger für den Menschen. Und wir müssen uns fragen, sollen wir zulassen, dass Maschinen unsere Informationskanäle mit Propaganda und Unwahrheiten überfluten? Sollten wir alle Jobs automatisieren, auch die erfüllenden? Sollten wir nicht menschliche Intelligenzen entwickeln, die uns irgendwann zahlenmäßig überlegen sind, die uns überlisten, überflüssig machen und ersetzen

könnten? Sollen wir den Verlust der Kontrolle über unsere Zivilisation riskieren? Solche Entscheidungen dürfen nicht an nichtgewählte Technikführer delegiert werden. Leistungsstarke KI Systeme sollten erst dann entwickelt werden, wenn wir sicher sind, dass ihre Auswirkungen positiv und ihre Risiken überschaubar sein werden.

Philip

Also sollen wir unsere Zivilisation quasi an die KI ausgliedern? Das sind natürlich erhebliche Befürchtungen und damals gab es noch nicht mal ChatGPT. Und by the way, diese Übersetzung aus dem Englischen hat deepl.com geleistet, auch eine KI, by the way. Das ist also ein bisschen der Hintergrund, vor dem jetzt die Staaten in der EU zum ersten Mal auf der Welt versuchen, KI gesetzlich zu regeln.

Der AI Act, also KI Act, AI Act, wie auch immer man es nennen will, soll das weltweit erste große Gesetz werden zur Regulierung von künstlicher Intelligenz.

Ulf

Und die Grundidee der Europäischen Union ist dabei, je riskanter die Anwendung ist, desto strenger sollen die Regeln sein. Bestimmte Hochrisikoanwendungen von KI sollen ganz verboten werden. Je unbedenklicher ein KI System hingegen ist, desto weniger streng soll es künftig reguliert werden. Seit über drei Jahren wird jetzt verhandelt und Anfang Februar soll der AI Act oder die KI Verordnung, ist also technisch eine Verordnung der Europäischen Union, in Brüssel endgültig verabschiedet werden.

Philip

Wie regelt man also so etwas ambivalentes, kompliziertes, vielschichtiges wie künstliche Intelligenz und wie gut ist das vor allem der EU gelungen?

Ulf

Ja, und dazu haben wir uns mit einem Experten verabredet, nämlich mit Professor Dr. Philipp Hacker. Er ist Professor für Ethik und Recht der Digitalen Gesellschaft an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Ganz herzlich willkommen in der Lage der Nation, Professor Hacker.

Philipp Hacker

Ja, Schönen guten Tag. Freut mich sehr, dass ich dabei sein darf.

Philip

Herr Hacker, Vielleicht zum Anfang mal, was genau ist die Herausforderung beim Versuch, so etwas vielschichtiges, gefahrvolles, aber auch potenziell unglaublich hilfreiches wie KI, Künstliche Intelligenz, gesetzlich zu regeln? Was ist die Herausforderung?

Philipp Hacker

Ja, das ist eigentlich, wenn man so will, die doppelte Quadratur des Kreises. Einmal deshalb, weil man abwägen muss natürlich zwischen Innovation einerseits. Man will das nicht alles abwürgen.

Ja, wir brauchen ja auch dringend KI, beispielsweise im Medizinbereich, im Bildungsbereich, wenn sie denn gut gemacht ist, weil wir da zum Beispiel Fachkräftemangel haben oder andere Probleme, dass wir zum Beispiel Krebs nicht so gut erkennen können oder jedenfalls nicht in der Fläche, zum Beispiel Brustkrebs bei Frauen, wie es manchmal eine KI kann.

Und die andere Seite der Medaille ist, wie schon gesagt, dass KI auch für ganz schlimme Zwecke missbraucht werden kann und dass wir daher ganz massiven Grundrechtsschutz benötigen. Und da ist erst mal so ein klares Spannungsverhältnis. Man will den Unternehmen schon erlauben, KI einzusetzen, aber halt nicht irgendwie und irgendwohin, sondern ganz klar mit dem Ziel verantwortungsvoll, nachhaltig. Das ist die erste Quadratur des

Kreises. Und die zweite, die besteht jetzt darin, dass die modernen KI Systeme jetzt ja auch noch so sind, dass man die für alles mögliche einsetzen kann. Also gerade so Basismodelle wie ChatGPT, wo man ja sozusagen Geburtstagskarten mit schreiben kann, aber eben auch Schadsoftware programmieren kann. Da ist es sehr schwer, das Regelungsmodell durchzuhalten, das man bisher gefunden hatte. Wo man nämlich gesagt hat, ja, wir regulieren die Anwendung.

Also wenn jemand KI einsetzt, dann ist das nicht per se reguliert oder ganz scharf reguliert, sondern nur dann, wenn es in besonders sensiblen Bereichen geschieht, eben Bildung, Medizin usw. Und das ist aber eben schwierig mit solchen Modellen, die im Prinzip für alles genutzt werden können. Und das hat die EU jetzt vor ganz erhebliche Herausforderungen gestellt.

Ulf

Trotzdem bleibt ja die EU schon bei dem Modell, dass sie jedenfalls bestimmte, besonders riskante Anwendungen auch grundsätzlich verbieten will. Haben Sie da mal ein paar Beispiele für uns, was nach dem KI Act, der jetzt in Brüssel auf dem Tisch liegt, in Zukunft in der EU illegal wäre?

Philipp Hacker

Ja, das sind im Wesentlichen Modelle, bei denen sich auch ganz breite Teile der Gesellschaft einig sind, dass wir die hier so nicht wollen. Das erste und Wichtigste ist zum Beispiel Social Scoring á la China, dass also wirklich massiv Daten abgegriffen werden, um dann Vorhersagen über einzelne Personen zu treffen, die zum Beispiel dann deren Kreditwürdigkeit oder die Chancen, andere Verträge abzuschließen, beeinflussen würden.

Was auch im Grundsatz verboten ist, ist jegliche Form der psychologischen Manipulation. Also wenn man gewissermaßen unterschwellig jetzt versucht, man kennt das vielleicht noch von früher aus dem Kino, wo dann angeblich immer so Eiswerbung eingeblendet wurde, sodass man die nicht sieht, Immer nur ein Bild von 24, wenn man KI jetzt in so einer Weise einsetzen wollte, um unterbewusst Leute zu beeinflussen, das ist auch verboten.

Und dann kommen die Fälle, die zwar verboten sind, die aber einige Ausnahmen beinhalten. Und das war auch Teil des größten Zankapfels, muss man sagen, im Bereich der KI Regulierung. Da geht es dann um die Fernüberwachung mithilfe von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Das ist grundsätzlich verboten, aber da gibt es relativ breite Ausnahmen, besonders für den Bereich der Verbrechensbekämpfung, Terrorismus, entführte Personen und andere Dinge, Schwerstkriminalität.

Da kann man das dann einsetzen, auch leicht und das ist ein Kompromiss, den man jetzt erst mal so hinnehmen muss. Da sind auch gewisse Vorkehrungen getroffen, dass da die Grundrechtsstandards nicht völlig ausgehöhlt werden. Aber was extrem problematisch ist meiner Ansicht nach, ist, dass nun auch erlaubt werden bestimmte Teile der ex post Fernüberwachung, wo man also im Nachhinein dann das Bildmaterial sichtet. Und da sind wiederum die Vorgaben der EU nur relativ dünn.

Philip

Das sind so Anwendungen, die größtenteils verboten sind. Jetzt gibt es aber auch, das ist ja das Konzept dieses KI Acts, riskante Anwendungen oder hochriskante Anwendungen, die zwar nicht verboten sind, die aber durch Auflagen gezähmt werden sollen. Wie funktioniert das? Welche Anwendungen sind das und durch welche Auflagen werden die eingezäunt?

Philipp Hacker

Ja, das ist richtig. Das ist eigentlich das Herzstück des AI Acts. Das ist auch das, was eigentlich, bevor dann ChatGPT wie so eine Abrissbirne einmal quer durch den AI Act gepflügt ist, eigentlich das Zentrum der Regelungsarchitektur ausgemacht hat. Das sind also Anwendungen, die unter ganz bestimmte Bereiche fallen, zum Beispiel Beschäftigung oder Kreditscoring, Versicherungen, aber auch Migration, Polizeiarbeit und letztlich auch der medizinische

Bereich. Das sind wirtschaftlich oder gesellschaftlich sehr relevante Bereiche. Und da gilt dann, dass diese Anwendungen nicht per se verboten sind. Ganz im Gegenteil, sie sind erlaubt. Aber es müssen bestimmte, ich sage mal Best Practices eingehalten werden, die ohnehin von vernünftigen, verantwortungsvollen Unternehmen berücksichtigt würden.

Philip

Mal ein Beispiel.

Philipp Hacker

Genau. Also wenn ich jetzt eine KI einsetzen möchte, um Bewerber und Bewerberinnen zu ranken für einen Job, dann kann das ja im gewissem Rahmen sinnvoll sein, weil ich vielleicht irgendwie 1000 Bewerbungen kriege oder weil ich auch die Erfahrung gemacht habe, das menschliche, meine Human Resources Leute vielleicht manchmal unbewusst auch gewisse Biases haben. Also sage ich, da nutzt ich doch ein Computerprogramm um es schneller, effizienter zu machen.

Jetzt muss ich dann erst mal ein Risikomanagementsystem aufsetzen, in dem ich mir schon mal überlege, was sind denn die potenziellen Probleme, wenn ich diese KI implementiere. Nämlich zum Beispiel, dass sie auf nicht hinreichend diversen Datensätzen trainiert wurde und dass deshalb vielleicht diese KI gelernt hat, dass Frauen oder Menschen anderer Herkunft irgendwie per se angeblich schlechter abschnitten in diesem Jobprofil.

Ich muss also diese Risiken erkennen und muss Maßnahmen implementieren, und wo das nicht möglich ist, das zumindest dokumentieren, wie diese Risiken minimiert werden können. Dann muss ich ein Programm nehmen, das die Trainingsdaten in gewisser Weise divers und repräsentativ hält. Die KI muss weiterhin auch transparent sein, sodass derjenige, der sie anwendet, irgendwie versteht, was da los ist. Und sie muss hinreichend akkurat sein. Sie muss robust sein, auch gegenüber Cyberangriffen.

Also es sind so eine ganze Reihe von eben Best Practices, wo man sagen würde, eigentlich in der Industrie gilt das ohnehin schon so als guter Standard, aber jetzt müssen sich halt alle auch verpflichtend dran halten. Es kann überprüft werden. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es heftige Bußgelder und es muss dokumentiert werden, damit im Zweifelsfall eben nachgeschaut werden kann. Passt das jetzt oder passt es nicht?

Ulf

Ja, ein weiteres wichtiges Feld der Regulierung in dem geplanten KI Act betrifft ja die sogenannten Basismodelle, wie zum Beispiel GPT. Was sind denn so Basismodelle? Was macht sie so gefährlich und wie kann man das einhegen?

Philipp Hacker

Ja, das sind ja die Modelle, die jetzt besonders Furore gemacht haben seitdem Ende November 2022 ChatGPT auf den Markt gebracht wurde. Das sind also gewissermaßen Modelle, die deshalb auch Basismodelle genannt werden, weil sie erstens mit ganz großen Datenmengen gefüttert werden und dann zweitens die Basis, die Grundlage bilden für ganz viele weitere Applikationen, die diese Modelle nutzen. Man kann so fast sagen, es ist wie so eine Art neues Betriebssystem.

Bisher haben wir ja Windows oder Apple Betriebssysteme und da kann man jetzt sagen, das ist sozusagen so eine neue Plattform, auf der ganz viele Entwicklerinnen und Entwickler aufsetzen, um neue Modelle zu bauen. Und das ist eben extrem relevant, weil das quasi dann einmal durch die gesamte Wirtschaft, durch die ganze Wertschöpfungskette durchgeht. Das heißt, wenn wir da an der Quelle Probleme haben, dann verzweigt sich das nach unten in ganz viele Anwendungen.

Und deshalb ist es meiner Ansicht nach auch vollkommen richtig, dass wir versuchen, diese Modelle gesondert mit Mindestanforderungen auszustatten. Was ist das? Also sind Modelle, eben so was wie GPT 4, ChatGPT, in Deutschland gibt es Aleph Alpha, die haben ein Modell, das heißt Luminous. In Frankreich gibt es eines von der Firma Mistral, aber die meisten, wie zum Beispiel auch Google Bard, oder auch Gemini, die sind aus den USA kommend.

Trotzdem gilt der EU AI Act für diese Firmen, auch wenn die in den USA verortet sind. Wenn sie ihre Modelle auch in oder ihre Services in Deutschland und der EU anbieten und das tun sie ja im Regelfall. Was müssen die jetzt machen? Die müssen im Wesentlichen erst mal überhaupt Transparenzanforderungen erfüllen. OpenAI hat ja diesen schönen Namen gewählt, weil sie ursprünglich vielleicht tatsächlich mal vorhatten, irgendwie alles ganz offen zu gestalten.

Mittlerweile müsste das ja eigentlich eher ClosedAI heißen, weil deren System völlig unbekannt ist und man einfach nicht weiß, womit das trainiert wurde, was mit den Daten genau passiert. Das soll sich jetzt ändern. Die müssen also sagen, mit welchen Trainingsdaten das gefüttert wurde.

Sie müssen auch so eine Abschätzung darüber abgeben, ob vielleicht Urheberrechte betroffen sind und müssen dafür die Grundlage eben legen, dass andere Marktteilnehmer oder Nutzerinnen Nutzer dann sagen können, ah, das Modell würde ich vielleicht nehmen und das eher nicht. Das ist mir irgendwie sehr suspekt hinsichtlich der Trainingsdaten. Und dann gibt es noch eine weitere Kategorie von Modellen, die besonders potent

sind. Das macht man jetzt, weil es keine besseren Kriterien gibt, an der Rechenleistung fest. Und wenn diese Modelle mit sehr, sehr viel Rechenleistung trainiert werden mussten, also für die Profis zehn hoch 25 Flops, Floating Operation Points, dann müssen sie noch mal weitere Kriterien erfüllen. Und meiner Ansicht nach hätten diese Kriterien eigentlich auch für alle Foundationmodels, also für alle Basismodelle, gelten müssen.

Man hat sich jetzt entschlossen, das im Grunde nur auf diese Höchstleistungsmodelle anzuwenden. Das gilt wahrscheinlich nur für momentan GPT 4 und vielleicht Gemini von Google. Und was müssen die jetzt machen? Die müssen auch noch sicherstellen, dass sie ein nochmal spezielles Risikomanagementsystem haben, das ganz genau guckt, wie diese Basismodelle funktionieren und da auch wieder Risiken minimiert.

Sie müssen auch weiterhin angeben, zum Beispiel wie viel Energie verbraucht wird durch diese Basismodelle. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt, weil zum Beispiel der Energieverbrauch ja immens hoch ist bei diesen Modellen, auch der Wasserverbrauch.

Und, und das ist auch ein ganz wichtiger Punkt, sie müssen state of the art, also sozusagen die heute üblichen Cybersecurity, also IT Sicherheitsrichtlinien, beachten, damit, man kann sich das so vorstellen, nicht gewissermaßen da oben in der Quelle im Betriebssystem so eine Hintertür eingebaut wird versehentlich, durch die dann Angreifer reinkommen können und sich dort gewissermaßen einnisten und dann sich in tausende weitere Programme hineinspielen lassen, weil diese

Basismodelle dann dort eben überall Anwendung finden.

Philip

Sie haben jetzt ein paar Ideen, Werkzeuge, Hebel genannt, mit der der AI Act, die Zivilgesellschaft, die Staaten diese KI und Modelle einhegen, transparenter machen wollen, besser kontrollierbar machen wollen. All das gilt aber oft nicht, wenn die KI und die Modelle im Namen der nationalen Sicherheit oder für das Militär betrieben werden, ist das richtig und ein Problem?

Philipp Hacker

Ja, das ist richtig, dass militärische Anwendungen und nationale Sicherheit im Wesentlichen ausgenommen sind, wenn man jetzt mal absieht von diesen Fällen der remote biometric identification, also der biometrischen Gesichtserkennung beispielsweise zu Strafverfolgungszwecken. Die sind ja in gewisser Weise schon geregelt, aber der weitere Teil ist ausgenommen. Das ist im Grunde der europäischen Regelungsarchitektur geschuldet, weil die EU da nur sehr schwer eine Rechtsetzungskompetenz hat.

Das ist im Grundsatz jedenfalls den Nationalstaaten anheimgestellt. Die wollen eben nur ungern auf diese für sie ja doch irgendwie essenziellen Themen verzichten und das an die EU abgeben. Es ist aber trotzdem natürlich problematisch, dass wir da keine Regelungen haben. Denn es ist ganz klar, KI spielt gerade in militärischen Kontexten eine zunehmend wichtige Rolle. Es ist meiner Ansicht nach auch richtig, dass da KI eingesetzt

wird. Nicht weil das jetzt besonders schön wäre, dass man mit KI dann präziser Militärschläge ausführen kann, sondern weil es einfach schwer ist, dazu Alternativen zu entwickeln, wenn wir in einem geostrategischen Umfeld momentan sind, das halt im Wesentlichen durch Konflikt, durch auch den unprovozierten Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine, auch durch die Bedrohung Chinas geprägt ist, wo diese Akteure ganz klar auf autonome Waffensysteme setzen und wir gewissermaßen

nur reagieren können, indem wir uns da auch selber fit machen, wenn wir nicht sozusagen Soldatinnen und Soldaten da an der Front in Situationen bringen wollen, wo sie dann ihr Leben verlieren, was vielleicht durch eine KI verhindert werden könnte. Ich will damit keine Werbung für militärische KI machen. Ich glaube nur, dass es sozusagen notwendig ist, sich darüber klar zu sein, dass wir ohne militärische KI nicht wirklich verteidigungsfähig sein werden.

Aber gleichzeitig brauchen wir meiner Ansicht nach klare Handhabung dafür, wie weit wir gehen können, zum Beispiel in der Automatisierung und in der Autonomie solcher Systeme. Wann brauche ich immer einen Mensch, der noch sozusagen den sign off macht? Oder gibt es Situationen, in denen man das dann nicht mehr braucht? All das muss gesellschaftlich verhandelt werden und dafür brauchen wir klare Regeln.

Ulf

Und das ist natürlich jetzt ein Problem, wenn der KI Act dieses Feld ausklammert. Ein weiteres Thema, was stark kritisiert wird, ist die Tatsache, dass nationale Sicherheit ja auch Migration erfassen soll, also beispielsweise die Frage, ob Menschen mit KI daraufhin durchleuchtet werden, aus welchem Land sie möglicherweise stammen und so. Also da gibt es, da gibt es noch ein weites Feld für Kritik, aber wir wollten noch auf einen anderen

Aspekt. Und zwar ist es ja heute schon so, dass rund 75 % der KI Modelle nach Schätzung in den Vereinigten Staaten betrieben werden, etwa weitere 15 % in China. Und die restlichen 10 % verteilen sich dann auf die ganze Welt. Das heißt, insbesondere die Europäische Union hat da bislang nur ein klitzekleines Stückchen vom Kuchen. Und nun schafft der KI Act ja neue Regelungen, neue Auflagen, neue Hürden für den Einsatz und für die Entwicklung von KI.

Ist das nicht ein erheblicher Wettbewerbsnachteil? Werden da nicht IT Unternehmen der EU komplett abgehängt international?

Philipp Hacker

Also das ist eine Gefahr, die aber immer bei Regulierung gewissermaßen besteht. Das wäre sonst jetzt auch ein Argument dafür, jeglichen Grundrechtsschutz einfach sein zu lassen. Das wäre natürlich gewissermaßen für Unternehmen am besten, ist aber trotzdem etwas, was man gesellschaftlich nicht will. Wir wollen ja nicht Innovation um ihrer selbst willen, sondern verantwortungsvolle, sozial nützliche Innovation.

Jetzt muss man sagen, die Zahlen, die Sie genannt haben, die sind richtig, die gelten für foundation models, also für Basismodelle. Und in der Tat ist es so, dass wir da eine ganz bedrohliche Abhängigkeit haben von den USA und China bzw. Firmen, die dort ansässig sind. Man könnte sogar sagen, dass wir da sehenden Auges in die nächste Abhängigkeit á la Öl und Gas hineinlaufen. Denn wenn wir uns jetzt mal vorstellen, China ist einfach momentan kein verlässlicher Partner, muss man so sagen.

Aber auch die USA sind es ja nicht mehr wirklich. Wenn jetzt Trump 2025 wiedergewählt würde, ist durchaus nicht völlig absurd zu sagen, dass er dann Forderungen erhebt, die EU soll jetzt dies und jenes tun, die Ukraine nicht mehr unterstützen oder whatever, ansonsten drehte er die API von amerikanischen Modellen ab. Das heißt, wir brauchen dringend mehr europäische Modelle, europäische Souveränität bei diesen Basismodellen. Da allerdings ist meiner Ansicht nach der AI Act kein Störfaktor.

Denn wenn ich solche Basismodelle, solche hochpotenten Modelle entwickeln will, dann hat Future Society mal ausgerechnet, braucht man schon für zehn noch 24 Flop Modelle, das sind also solche, die ungefähr so gut sind wie GPT 3.5, also wie der jetzige ChatGPT, dann braucht man dafür ungefähr 60 Millionen Euro. Und da fallen diese bisschen Compliance Kosten dafür, dass man dann adäquate Cybersicherheit usw. einbaut, überhaupt nicht mehr ins Gewicht. Das sind ungefähr 1 % der Kosten.

Das heißt, da wird wirklich bei den Basismodellen nur verlangt, was ohnehin guter Industriestandard ist. Wer in der Champions League mitspielen will, der muss sich halt auch an die Champions League Regeln halten und kann nicht sagen, ich möchte da gern mitspielen, aber dann 20 mal wechseln.

Ulf

Kleine Nachfrage noch mal dazu. Für wen gelten denn eigentlich die Anforderungen des KI Acts, wenn er denn so beschlossen werden soll? In der Datenschutzgrundverordnung insbesondere sind ja viele Regelungen enthalten, die eben gerade nicht nur für Unternehmen gelten, die in Europa ansässig sind, sondern schon dann gelten, wenn diese Firmen quasi doing business in der Europäischen Union sich auf die Fahnen geschrieben haben, wenn sie europäische Verbraucher:innen in den Blick nehmen.

Wie soll das beim KI Act aussehen?

Philipp Hacker

Ganz ähnlich wie in der DSGVO. Also auch da, dieses sogenannte Marktortprinzip, wenn ich praktisch auf dem europäischen Markt tätig sein will und hier Produkte anbiete, dann muss ich auch mich an die europäischen Regeln halten. Es geht sogar so weit, dass wenn ich nur die Ergebnisse eines KI Systems hier in Europa anwenden will, dann reicht das auch schon, damit das KI System davon erfasst ist bzw. der Hersteller dann davon erfasst ist. Aber man muss dann schon sehen, das hat einen sehr breiten

Reach. Ob die EU das letztlich alles durchsetzen kann, ist fraglich. Das ist auch bei der DSGVO ein Kritikpunkt. Und man muss natürlich sehen, die großen Hersteller, die können das natürlich auch von den Compliance Kosten ja durchaus Schultern. Auch diejenigen, die sozusagen diese großen Basismodelle herstellen, für die wird das auch kein Problem sein. Oder jedenfalls eines, das sie mit ihren Mitteln lösen können.

Wo wir tatsächlich erhebliche Probleme sehen werden, ist in der Adaptation von KMU, also kleinen und mittleren Unternehmen. Gerade der Mittelstand versucht ja ganz massiv, auch um international wettbewerbsfähig zu bleiben, KI anzuwenden und darin zu investieren. Und die müssen jetzt erst mal sozusagen ihr Personal schulen, müssen jetzt die Leute auf Zack bringen, müssen gucken, dass gewissermaßen die Systeme da in ihr Compliance System eingebaut werden oder erst mal Neues schaffen.

Das ist für diese Unternehmen ein ganz erhebliches Problem. Und da wird noch viel Arbeit zu leisten sein mithilfe von technischen Standards, mit Guidelines, auch mit Beratung, um zu versuchen, dass wir da sozusagen bei den KMU nicht in Wettbewerbsnachteil geraten.

Philip

Sie haben es eben schon geschildert. KI ist überall schon heute im Einsatz, sei es jetzt bei Bewerbungsgesprächen, sei es bei Creditscoring, Schufa, solchen Sachen. Was machen denn Menschen, Verbraucher Verbraucherinnen und Bürger Bürgerinnen, wenn sie das Gefühl haben, ah, ich bin hier in eine KI geraten, sei es beim Auswahlgespräch, beim Bewerbungsgespräch oder eben bei so einem Schufa Scoring, Kreditscoring und hab das Gefühl, ich bin benachteiligt worden. Da ist irgendwas schiefgelaufen.

Ich bin damit nicht einverstanden. Ich beschwere mich darüber. Ich glaube, da ist was faul. Was machen die?

Philipp Hacker

Das war ein Kritikpunkt ganz lange und zu Recht finde ich auch, vor allem seitens der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Organisationen am AI Act. Der AI Act hat nämlich ursprünglich nur Regeln oder Vorschriften vorgesehen für die Hersteller dieser Modelle und für die Anwender gewissermaßen in gewisser Weise auch, aber nicht für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Jetzt ist am Ende tatsächlich noch hinein verhandelt worden ein Beschwerderecht. Sie erwähnten es sozusagen gerade

schon. Das heißt, man kann sich wenden an seine nationalen Aufsichtsbehörden zum Beispiel, und sagen, guck mal, da ist irgendwie vielleicht was faul im Staate Dänemark, da müsstet ihr vielleicht mal nachschauen. Weiterhin gibt es jetzt ein neues Recht auf Erklärung eines KI Systems. Das ist allerdings relativ schwach ausgeprägt. Das gibt es auch schon nach der DSGVO.

Und wenn man sich die neueste Rechtsprechung da in der DSGVO anschaut, da gab es grade ja Fälle, wo über die Schufa was entschieden wurde. Da gibt es gerade Fälle, die in den Niederlanden entschieden werden über Uber und Ola. Dann geht das meiner Ansicht nach eigentlich schon weiter als das im AI Act vorgezeichnete.

Ich glaube, dass dieses Recht auf Erklärung im AI Act, das ist so ein politisches Symbol, das ist mehr ein zahnloser Tiger, das Beschwerderecht, weil, ja, das ist auch nice to have sozusagen, aber ob das so viel bringt am Ende des Tages, da bin ich mir auch nicht so sicher.

Ich glaube, was spannender ist, ist zu sehen, dass erstens das DSGVO Instrumentarium momentan geschärft wird durch die Rechtsprechung und dass zweitens wir parallel zum AI Act eine Haftungsrichtlinie haben, eine Produkthaftungsrichtlinie, die jedem Geschädigten jeder Geschädigten einen Anspruch gibt, insbesondere in KI Kontexten Informationen vom Hersteller zu bekommen und dann erleichtert klagen zu können, häufig mit einer Beweislastumkehr.

Das heißt, wenn ich da das Gefühl habe, es ist was schiefgelaufen, dann wird es geben deutlich erleichterte Möglichkeiten, da Rechtsschutz zu erlangen. Das ist sicherlich aus einer Bürgerrechtsposition her durchaus positiv zu bewerten, ist natürlich andererseits dann aber auch damit verbunden, dass man zu Gericht gehen muss. Das wird nicht jede und jeder machen. Dafür gibt es dann eben niedrigschwelliger dieses Beschwerderecht nach dem AI Act.

Philip

Also wir stehen jetzt ja wirklich ganz, ganz, ganz, ganz nah am Ende der Entwicklung des AI Acts. Der lief jetzt ja über drei Jahre, der soll jetzt Anfang Februar aller Wahrscheinlichkeit nach beschlossen werden. Er ist aber noch nicht abschließend beschlossen, unter anderem, weil Deutschland und Frankreich bis zuletzt Kritik geübt haben und immer noch überlegt haben, stimmen wir jetzt zu oder versuchen wir es noch mal zu verschieben? Was waren deren Einwendungen?

Und wird das Ding jetzt beschlossen anfang Februar oder nicht?

Philipp Hacker

Also ich leg mich jetzt mal fest. Das wird zu 98 % Wahrscheinlichkeit beschlossen werden. Ich war da immer schon relativ optimistisch, was damit zusammenhängt, dass diese Fundamentaloppositionslinie, die Frankreich und zum Teil auch Deutschland gefahren haben, sehr inkohärent war. Was möchte Frankreich?

Frankreich möchte einerseits sein Unicorn, also sein Hochleistungsunternehmen Mistral, die eben diese Basismodelle bauen, beschützen und will, dass Mistral nicht zu viele Regulierungsanforderungen hat. Das ist in gewisser Weise gelungen, weil, wie gesagt, diese strengeren Vorschriften für Basismodelle nur für ganz, ganz Hochleistungsmodelle gelten. Und da fällt Mistral momentan noch nicht runter.

Das zweite, was Frankreich gerne möchte, ist möglichst wenig Einschränkungen beim Einsatz von KI in der Überwachung, vor allem bei der Gesichtserkennung. Warum? Weil die Olympischen Spiele in Paris vor der Tür stehen und man das da ganz massiv verwenden möchte. Für Deutschland hingegen, da sieht es ganz anders aus.

Da hat man einerseits zum Teil im Wirtschaftsministerium, vor allem im Ministerium für Digitales und Verkehr, also bei Herrn Wissing, den Eindruck, dass man auch die Basismodelle gar nicht wirklich regulieren sollte. Da ist der Schulterschluss mit Frankreich. Aber was die Gesichtserkennung anbelangt, da ist Deutschland eigentlich genau am anderen Ende und wollte eigentlich stärkere

Vorschriften. Gerade die FDP hat sich dafür stark gemacht, sodass diese Allianz schon von Anfang an so etwas unheilig war. Und da muss man jetzt sagen, ich finde glücklicherweise, hat sich die Stimme der Vernunft in Deutschland auch durchgesetzt.

Es gab jetzt auch noch mal einen großen offenen Brief seitens der Zivilgesellschaft, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ich habe da auch unterschrieben, der vielleicht auch noch mal ein bisschen was bewegt hat, sodass jetzt Deutschland oder sagen wir mal Wissing eingelenkt hat und Deutschland seine Ja Stimme abgeben wird. Und das bedeutet zugleich, dass jetzt schon eine sehr breite neue Front sich aufmachen müsste gegen den AI Act. Das sehe ich nicht.

Es kann sein, dass Frankreich sich vielleicht enthält oder auch dagegen stimmt. Aber das würde nicht reichen. Es braucht schon mindestens vier Nationen, die dann auch einigermaßen groß sind. Und wenn Deutschland jetzt dabei ist, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass der AI Act noch scheitert.

Ulf

Ja, ganz herzlichen Dank. Das war im Gespräch mit der Lage der Nation Professor Dr. Philipp Hacker. Er ist Professor für Recht und Ethik der Digitalen Gesellschaft an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Ganz vielen Dank, dass Sie heute Zeit für uns hatten.

Philipp Hacker

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Philip

Wir machen ja manchmal hier so auch ein bisschen Verbraucherjournalismus und das finde ich auch total wertvoll und wichtig. Das ist jetzt hier nicht die Hauptaufgabe, glaube ich, der Lage. Aber hin und wieder, glaube ich, müssen wir mal auf ein paar wichtige Sachen hinweisen. Für ganz, ganz viele von euch wird das eine absolute Selbstverständlichkeit

sein. Aber ich erlebe doch immer häufig mal, dass Leute mich mit großen Augen angucken, wenn ich ihnen sage, natürlich brauche jeder eine private Haftpflichtversicherung.

Ulf

Das ist im Grunde unsere zentrale Botschaft in dieser Woche. Jeder Mensch braucht eine Haftpflichtversicherung. Und zwar deswegen, weil es eben einfach sein kann, dass man durch eine kleine Unachtsamkeit einen riesengroßen Schaden anrichtet. Beispielsweise riesengroßer Schaden in finanzieller Hinsicht, aber auch in persönlicher Hinsicht tritt natürlich ein, wenn man zum Beispiel einen Unfall eines Menschen verursacht, der dann vielleicht nicht mehr arbeiten kann.

Man stelle sich vor, der Mensch ist dann querschnittsgelähmt. Da entstehen einfach riesige Behandlungskosten, medizinische Kosten. Natürlich ist das für den Menschen furchtbar und er wird auch in der Tendenz weniger Geld verdienen. Das heißt, man ist dann möglicherweise auch für Einnahmenausfälle verantwortlich. Da können also schnell Hunderttausende von Euro zustande kommen und für die ist man dann persönlich verantwortlich.

Und das bedeutet, wenn man jetzt nicht gerade sehr reich ist, dann ist man einfach pleite. Und für diesen Fall braucht man eine Haftpflichtversicherung, die dann eben in solchen Extremfällen einspringt. Philip, du hast eine Haftpflichtversicherung. Ich habe natürlich auch ein Haftpflichtversicherung und du hast damit auch schon so bestimmte Erfahrungen gemacht. So für Pipifax, für Kleinkram ist die nicht gemacht.

Philip

Nein. Das habe ich ehrlich gesagt auch nicht so richtig verstanden. Also man klickt sich eine Haftpflichtversicherung. Das ist deswegen auch ein Nobrainer, weil die in aller Regel total billig sind. Die kosten 40, 50, 60 € für eine einzelne Person im Jahr und decken im Zweifel Millionen Euro von Schäden ab. Die verhindern, dass ihr wirklich privat bankrott geht.

Und ich habe dann gedacht, na gut, jetzt habe ich so eine Haftpflichtversicherung, was weiß ich, ich habe dann im Urlaub mal einen Stuhl kaputt gemacht. Was heißt, ich habe mein Sohn hochgehoben-

Ulf

War eine geile Party.

Philip

Nein, ich hab mein Sohn hochgehoben, der war ein bisschen kleiner. Der Stuhl war ein bisschen morsch. Dann ist der Stuhl zerbrochen. Da hab ich gesagt. Okay, was weiß ich, natürlich kaufe ich neuen Stuhl. Kein Thema, was weiß ich, 60 € oder was das Ding gekostet hat. Und da hat meine Haftpflicht gesagt, hier, Ich habe übrigens den Stuhl kaputt gemacht, bitte zahlt doch mal. I selben Urlaub ist, dann irgendwo noch eine Scheibe kaputt gegangen, was? weiß ich, von irgendeinem

Kamin. Da hab ich dann irgnedwie den Kamin zugemacht. Das Stück Holz hat das Kaminglas durchbrochen. Kam Ersatz. 100 €? Ich weiß es nicht. Habe ich auch der Haftpflichtversicherung gemeldet. Haben die gezahlt, und mich rausgeworfen.

Ulf

Das ist halt das Problem, wenn man die ständig mit kleinen Summen behelligt. Da hat man zwar eigentlich einen Anspruch drauf, wenn man jetzt keine-

Philip

Haben sie ja auch gezahlt!

Ulf

Haben sie auch bezahlt, aber da haben natürlich die Versicherungen keinen Bock drauf, dass man ständig mit kleinen Sachen ankommt. Deswegen, man hat die am besten, meldet aber Kleinkram nicht, sondern man meldet Schäden, die wirklich die eigenen finanziellen Möglichkeiten sprengen.

Philip

Die private Haftpflichtversicherung ist wirklich für den absoluten Worst Case gedacht. Wenn es wirklich richtig nach Süden geht und ihr vor einer Privatinsolvenz steht. Euch stehen tausende, hunderttausende Euro von Forderungen ins Haus, dann zieht ihr diese Privathaftpflichtversicherung. Ich hab das jetzt gemacht. Die haben mich halt rausgeworfen.

Natürlich kann ich woanders eine neue abschließen, aber da wirst du halt gefragt, hatten Sie denn in letzter Zeit eigentlich schon mal woanders eine Privathaftung? Aha, da sind Sie rausgeflogen. Aha. Das muss man natürlich ehrlicherweise beantworten. Na gut, dann kriegst du schon eine neue Haftpflicht. Die ist halt ein

bisschen teurer. Und die gibt es halt nur mit einem gewissen Selbstbehalt, das heißt Schäden, was weiß ich unter 300 € oder so, keine Ahnung, die musst du halt per se selbst bezahlen.

Ulf

Das sollte man vielleicht sowieso machen, aber generell werden sich jetzt natürlich viele Fragen okay, brauche ich, hat mich überzeugt, aber welche klicke ich da jetzt? Und da hat in dieser Woche finanztip.de eine Übersicht veröffentlicht. Sie empfehlen auch drei Tarife ganz

konkret. Und diese Pressemitteilung, die finanztip verschickt hat, war für uns ehrlich gesagt auch der Anlass, mal wieder darauf hinzuweisen, dass man eine solche private Haftpflichtversicherung braucht, eben um den privaten Supergau zu verhindern. Wir haben euch diese Übersicht mal in die Shownotes gepackt, könnt ihr euch anschauen. Da werden verschiedene Versicherungen getestet, werden auch ein paar empfohlen.

Aber schaut doch mal, dass ihr da nicht irgendein Risiko eingeht, das echt nicht sein muss.

Philip

Und damit ist die Lage für diese Woche ausführlich und abschließend natürlich wie immer beurteilt und analysiert. Wir danken euch für die Aufmerksamkeit, für das große Interesse, sind gespannt auf Feedback, gerne auch bei Instagram unter Lage der Nation.

Ulf

Habt noch eine schöne Woche und wenn euch die Sendung gefallen hat, ihr könnt die Lage auch unterstützen. Da gibt es dieses plus Abo unter plus.lagedernation.org. Das machen auch schon einige Leute. Davon leben wir zu einem nicht ganz unerheblichen Teil und wir freuen uns über eure Unterstützung.

Philip

Bis dann. Bis nächste Woche. Ciao.

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