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LdN363 Infrastruktur #1: Bröselnde Brücken und Löcher im Haushalt - wie wir beides fixen können

Dec 28, 20231 hr 12 minEp. 363
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LdN363 Infrastruktur #1: Bröselnde Brücken und Löcher im Haushalt - wie wir beides fixen können

Transcript

Brückensprengung

Drei! Zwo! Eins! Zündung! Wow.

Philip

Was ihr hier hört und gehört habt, das ist die Liveübertragung der Sprengung der Rahmedetalbrücke, einer Autobahnbrücke bei Lüdenscheid.

Ulf

Und damit ganz herzlich willkommen zur Lage der Nation Nummer 363, unserer Sonderfolge Teil eins zum Thema Krise der Infrastruktur in Deutschland.

Philip

Mein Name ist Philip Banse, ich bin Journalist und mir gegenüber, im Berliner Lagezentrum sitzt...

Ulf

Ulf Buermeyer, Jurist aus Berlin. Herzlich willkommen! Ja, Brückensprengung im Livestream. So viel Aufmerksamkeit hat die Infrastruktur in Deutschland leider lange, lange nicht bekommen.

Apostolos Tsalastras

Was das Thema Infrastruktur angeht, stellen wir ja immer mehr fest, dass die Dinge in die Jahre gekommen sind. An allen Ecken und Enden wird deutlich, was gerade nicht mehr funktioniert. Das ist schon massiv und man hat in der Vergangenheit aufgrund der Finanzsituation der Stadt auch an vielen Stellen nur das Notdürftigste gemacht. Das muss man auch sehen und irgendwann reicht das Notdürftigste dann nicht mehr aus und dann muss man richtig drangehen. Und das kommt jetzt langsam.

Philip

Das war Apostolos Tsalastras, er ist Kämmerer in der Stadt Oberhausen im Ruhrgebiet. Also so eine Art Finanzminister dieser Kommune.

Ulf

Und er legt den Finger in die Wunde. Man hat sich jahrzehntelang in Deutschland nicht so wirklich um Infrastruktur gekümmert, und deswegen ist sie jedenfalls teilweise in einem bedenklichen Zustand. Nun ist das nicht das schillerndste Thema. Damit gewinnt man so unmittelbar keine Wahlen. Aber ist natürlich sehr, sehr wichtig. Beispielsweise schrieb kürzlich der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz:.

Philip

"Erhebliche Teile der Infrastrukturen, der großen Transportnetze, Straße, Wasser, Bahn sind überaltert, vor allem Brücken, Tunnel, Schleusen und Wehre", schreibt der Wissenschaftliche Beirat, wo über 40 Ökonomen und Ökonominnen aus Deutschland sich zusammengesetzt haben, um eben dieses Kapitel mal zu beleuchten. Und sie sagen: Erhebliche Teile der Infrastruktur in Deutschland sind überaltert.

Ulf

Beispielsweise ist fast jede zweite Straßenbrücke in den Kommunen in keinem guten Zustand, sodass dringend saniert werden muss. Und der dramatische Zustand unserer Straßen, Brücken und Schienen usw hat eben auch Folgen für den Umbau Deutschlands zu einer CO2 freien Wirtschaft, sagte uns im Juli 2023 in unserem großen Interview der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck.

Robert Habeck

Die Windkraftanlagen, die Kabel rollen, die Transformatoren werden teilweise nicht transportiert. Es ist alles genehmigt, kann alles gebaut werden. Aber die Genehmigungen für die Autobahn Transporte sind unter anderem wegen der maroden Brücken oder der kaputten Straßen stapeln sich. Das ist jetzt wirklich ein massives Problem. Man kann zur Autobahn stehen wie man will, kaputte Autobahnen sind schlecht.

Das nützt der Volkswirtschaft gar nichts, wenn wir die Windkraftanlagen nicht transportieren können. Also die sollen fix und gerne heile gemacht werden. Kein Grüner hat was dagegen, wenn Brücken befahrbar sind. Die müssen schnell befahrbar sein.

Philip

Straßen sind aber nicht die einzige Baustelle. Dazu kommen Behörden, Schulgebäude, Schleusen. Die sind oft nicht mehr aus dem letzten, sondern aus dem vorletzten Jahrhundert, zum Teil.

Ulf

Aus Kaisers Zeiten, muss man sich mal überlegen.

Philip

Netzinfrastruktur der Deutschen Bahn braucht eine Generalsanierung für fast 90 Milliarden €. Einfach weil wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu wenig investiert haben.

Ulf

Obwohl der Staat sich viele, viele Jahre lang das Geld angesichts der sehr niedrigen Zinsen fast umsonst hätte leihen können, um es in die Infrastruktur zu investieren, im Bestreben, Euro Schulden zu minimieren. Schuldenbremse oder gar die berühmt berüchtigte schwarze Null. Stattdessen haben wir über die letzten Jahrzehnte enorme Infrastrukturschulden angehäuft. Das ist ein Begriff, den wir auch gelernt haben bei der Recherche zu unserem Lagebuch.

Es gibt eben nicht nur Euroschulden, wo der Staat tatsächlich Kredite aufnimmt. Nein, man kann auch Infrastrukturschulden anhäufen, wenn man sich um seine Straßen, Brücken, Gebäude, was alles so da ist, nicht kümmert. Wenn die also einen Investitionsreparaturrückstau anhäufen, dann hat man im Prinzip Schulden gemacht bei seiner Infrastruktur.

Philip

Und jetzt geht es eben nicht nur darum, diese alten Schulden abzubauen, also diese kaputte Infrastruktur aus früheren Zeiten zu renovieren und zu sanieren, sondern wir müssen auch massiv in neue Infrastruktur investieren, um unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft umzubauen zu einer klimaneutralen Gesellschaft. Das soll ja 2045 abgeschlossen sein. Da sollen wir quasi als Gesellschaft fast kein CO2 mehr produzieren.

Und dazu brauchen wir eben neue Infrastrukturen, mehr Stromnetze, mehr Windräder, Ladestationen, neue Industrieanlagen, Wasserstoffnetze und und und.

Ulf

Aber wie sollen wir das angehen? Woher kommt das Geld? Wo jetzt auch gerade vor ein paar Wochen noch der Klima und Transformationsfonds geplatzt ist? Diese 60 Milliarden, die früher mal Coronamittel waren, die dann in diesen Fonds, den sogenannten KTF umgebucht worden waren, das hat das Bundesverfassungsgericht verboten. Das heißt, dieses Geld fehlt nun. Und wie soll da wo das Geld herkommen, wenn viele Kommunen heute schon mehr oder weniger pleite sind? Welche Strukturen brauchen

wir dafür? Und das ist einfach ein sehr, sehr komplexes Problem. Wird auch oft verdrängt. Also genau das Richtige für die Lage der Nation.

Philip

Das ist der Stoff, aus dem echte Lagen sind und deswegen eine Sonderfolge. Genau genommen sind es zwei Sonderfolgen. Ist natürlich wieder so lang geworden ist, dass wir dachten, also das können wir euch jetzt nicht ins Ohr schieben in einem Stück, das müssen wir ein bisschen aufteilen. Also deshalb zwei Sonderfolgen zum Thema Infrastruktur in Deutschland. Wie können wir das Geld auftreiben und was sollten wir ändern?

Ulf

Da fragt sich natürlich zunächst mal Was ist denn die Infrastruktur? Der Duden sagt dazu:.

Philip

"Infrastruktur ist der notwendige wirtschaftliche und organisatorische Unterbau für die Versorgung und Nutzung eines bestimmten Gebiets.".

Ulf

Also Einrichtungen, die wir alle brauchen, damit unser Leben funktioniert: Behörden, Schulen, Bahnhöfe, Stromnetze, Wasserleitungen, Glasfaserleitungen, technische und soziale Infrastruktur und natürlich auch Straßen und Schienen. Der Witz dabei ist: Die Gemeinschaft, der Staat oder häufig staatliche oder halbstaatliche Firmen baut diese Infrastruktur, manchmal auch Privatunternehmen, aber immer mit dem Hintergedanken, dass alle sie nutzen können.

Philip

Aber nicht alle nutzen sie wirklich. Manche nutzen sie total viel, manche nutzen sie aber auch gar nicht. Aber ohne diese Infrastruktur würde unsere Gesellschaft glaube ich, schlicht und weg kollabieren. Das Problem haben wir schon skizziert: In Deutschland wird seit vielen Jahren deutlich zu wenig in die öffentliche Infrastruktur investiert. Das ist die Bilanz des oben schon erwähnten wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2020 in einem ausführlichen Gutachten dazu.

Also seit Jahren fließt zu wenig Geld in diese Infrastruktur.

Ulf

Und das sieht auch Dr. Katja Rietzler so. Sie ist Ökonomin bei der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung.

Katja Rietzler

Wir haben lange zu wenig investiert, wir haben zeitweise etwas aufgeholt, und das ist bei weitem noch nicht genug.

Philip

Wenn wir hier also nicht die Kehrtwende schaffen und ausreichend in die Infrastruktur investieren, dann bedroht das ziemlich viel: die wirtschaftliche Leistung und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, die Lebensqualität der Menschen, das Funktionieren des Staates im Alltag und damit eben auch letztlich muss man so sagen potenziell die Demokratie, weil die Leute natürlich anfangen zu zweifeln, wenn Infrastruktur nicht mehr funktioniert.

Ulf

Das ist so, das ist, finde ich, eine ganz wichtige Erkenntnis, die wir auch gewonnen haben, als wir dieses Thema bearbeitet haben. Infrastruktur, insbesondere auch Infrastruktur in den Gemeinden, in den Städten. Das ist so quasi der Bereich, wo der Staat den Menschen unmittelbar begegnet.

Also keine Ahnung: Mit dem Bund in Gestalt der Bundeswehr zum Beispiel kommt man ja normalerweise relativ wenig in Kontakt, aber man sieht jeden Tag, ob Straßen in Ordnung sind, wie so ein Schulgebäude aussieht, ob es eine Kita gibt. Das ist das, was die Menschen jeden Tag sehen. Und deswegen ist der Zustand der Infrastruktur so wichtig für das Gefühl: unser Staat funktioniert, ja oder nein.

Philip

Deswegen regen sich die Leute auch so über die Bahn auf, weil das eine Infrastruktur ist, wenn die läuft, ist alles super. Aber wenn sie nicht funktioniert, dann nervt das natürlich maximal im Alltag. Aber bei mir kommen dann tatsächlich auch immer so Systemzweifel auf, wo ich denke, das kann doch nicht sein, dass wir das als Staat nicht hinkriegen. Also kommen wir mal zu den Fakten: Wie ist es denn eigentlich um den Zustand der Infrastruktur bestellt und was ist der Infrastruktur Bedarf?

Ulf

Wir behaupten hier, dass Infrastruktur zerfällt und das deckt sich ja auch mit der Alltagserfahrung. Aber wir wollten es natürlich für eine solche Sonderfolge genauer wissen. Wir wollten wissen: Ist das wirklich so und vor allem lässt sich das messen?

Philip

Wäre der Staat eine AG, also eine Aktiengesellschaft, dann wäre die Sache relativ einfach. Da steht nämlich die komplette Hardware, die komplette Infrastruktur einfach schlicht und ergreifend in der Bilanz. Alle Gebäude, alle Autos, alle Computer finden sich da als sogenannte Aktiva und werden eben jedes Jahr etwas weniger wert. Und dann nennt man das eine Abschreibung, weil man eben diesen Wert aus der Bilanz dann rausnehmen

kann. So kann man den Verfall dieses sogenannten Anlagevermögens in der Bilanz einfach nachlesen und supergut messen.

Ulf

Ja, also Beispiel: Wir haben eine AG, die baut eine Werkshalle, eine Fabrikationshalle, die hat mal irgendwann 1 Million gekostet. Die steht dann vielleicht im ersten Jahr mit einer Million in der Bilanz. Und jedes Jahr, während diese Halle verschleißt, wird die in dieser in dieser Bilanz abgeschrieben. Das heißt, dann steht die, eie viel Prozent Abschreibung ist egal, aber dann steht die vielleicht nach einem Jahr nur noch mit 950.000 in der Bilanz, nach ein paar Jahren nur noch mit

900.000. Und das heißt, man kann in der Bilanz so richtig nachschauen, wie diese Halle immer weniger wert wird. Und das ist in gewisser Hinsicht einfach auch ehrlich. Man kann sich über die Prozente der Abschreibung streiten, ob die zu hoch oder zu niedrig sind. Da hängen natürlich auch viele steuerliche Ergebnisse dran. Aber jedenfalls im Grundsatz ist es total sinnvoll zu sagen, dieses Anlagevermögen wird immer weniger wert und der Staat macht

es nicht. Für den Staat gibt es einfach keine vergleichbare Rechnung.

Philip

Nein, es gibt in Deutschland, das ist der erste Kritikpunkt, keine genaue Übersicht über den Wert der öffentlichen Infrastruktur, also wie man das so nennt, den Wert des öffentlichen Kapitalstocks. Spricht: Was ist das eigentlich alles wert, was Deutschland besitzt? Brücken, Schulen, Verwaltungsgebäude, Schwimmbäder. Und so weiter und so fort.

Da gibt es leider keinen genauen Überblick und somit haben wir auch keinen genauen Überblick über den Zustand dessen, was dem Staat an Infrastruktur gehört. Denn es fehlen einfach in vielen Bereichen, nicht in allen, aber in vielen Bereichen kontinuierliche und vor allen Dingen vergleichbare Berichte.

Ulf

Und weil es keine Bilanzierung der öffentlichen Infrastruktur gibt, ist auch umstritten, wie sie sich ganz genau entwickelt. Nimmt der Wert dessen, was der Staat besitzt, nun ab oder nimmt er zu? Investiert der Staat wirklich ausreichend? Ganz vieles beruht ehrlich gesagt auf Schätzungen.

Philip

Dennoch lässt sich in den letzten Jahrzehnten eine klare Tendenz ausmachen, sagt die Ökonomin Katja Rietzler, die wir eben schon hatten. Die ist Referatsleitung für Steuer- und Finanzpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Der Trend, sagt sie, der geht eindeutig in eine Richtung. Und zwar nehme der Wert ab.

Katja Rietzler

Wir hatten ja eine sehr starke Investitionstätigkeit in den 90er Jahren. Da gab es ja auch Nachholbedarf durch die Wiedervereinigung. Ende der 90er Jahre kam das dann doch so langsam an allen Fronten allmählich zum Erliegen.

Ulf

Zwischendurch ist dann kurzfristig wieder etwas mehr geschehen.

Katja Rietzler

Auch ganz besonders auf der kommunalen Ebene. Aber seit 2020 sehen wir schon wieder einen leichten Abwärtstrend bei den öffentlichen Investitionen. Und da muss man halt sagen, das ist sowohl Bau als auch bei den Ausrüstungen und auch bei den sonstigen Investitionen, was im Wesentlichen so Forschung und Entwicklung auf der Staatsebene ist.

Und wenn man da noch mal guckt, welche Gebietskörperschaften da eigentlich dahinterstehen, dann sieht man, dass die Kommunen doch recht tapfer weiter investieren, aber eben eigentlich da so nicht richtig von der Stelle kommen. Während wir ganz zuletzt jetzt auch beim Bund einen sehr starken realen Rückgang gesehen haben.

Philip

Dass die öffentlichen Investitionen seit den 90er Jahren zurückgegangen sind, ist zwar nicht unmittelbar ein Beleg dafür, dass sie generell zu niedrig sind. Es könnte ja auch sein, dass in den Jahren zuvor wahnsinnig viel investiert wurde und deswegen in den 90er Jahren gar nicht so viel investiert werden musste, um den Wert zu erhalten.

Ulf

Oder auch heute vielleicht gar nicht so viel investiert werden muss. Deswegen betrachtete der eben schon zitierte Beirat des Wirtschaftsministeriums auch die Qualität der vorhandenen Infrastruktur. Also nicht nur Was geht rein, sondern was kommt hinten raus? Wie sieht es denn konkret aus bei der Infrastruktur, die wir schon haben? Sind die Einrichtungen, sind die Straßen, Sind die Brücken noch leistungsfähig, sofern jedenfalls die Daten dafür vorlagen?

Und dabei ist herausgekommen: "Es ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Verschlechterung des Zustands der Infrastruktur gekommen.".

Philip

Ja, im internationalen Vergleich stehen wir noch relativ gut da. Aber der Zustand, das muss man so sagen, der Zustand der Infrastruktur in Deutschland hat sich verschlechtert. Das krasseste Beispiel, ich habe es oben schon gesagt, ist wahrscheinlich die Deutsche Bahn. Immerhin, muss man sagen, kann man hier die Misere mittlerweile klar beziffern, denn es gibt mittlerweile den sogenannten Netzzustandsbericht der DB AG Netz und der lässt ehrlich gesagt keine Fragen offen.

Kurzgefasst heißt es da: Es steht eine Generalsanierung an, kosten knapp 90 Milliarden €.

Ulf

Und das sind heutige Zahlen. Bis das dann wirklich gebaut ist, sind sicher 100 Milliarden. Mit anderen Worten: Fast das gesamte Netz der Deutschen Bahn ist so marode, dass dringend was passieren muss, mit Ausnahme einiger weniger Neubaustrecken. Und das muss man sich ja auch immer anschauen vor dem Hintergrund der politischen Großwetterlage. Die Ampel will möglichst viel Verkehr auf die Schiene verlegen, jedenfalls offiziell.

Man kann bei den Ampel Parteien glaube ich, unterschiedliche Neigung dazu erkennen, aber jedenfalls im Grundsatz ist das die Linie. Die Leistung im Personenverkehr soll offiziell bis 2030 verdoppelt werden und immerhin 1/4 aller Güter sollen bis dahin per Bahn transportiert werden. Bisher klappt das überhaupt nicht. Diese Verkehrswende kommt nicht vom Fleck. Der Verkehr auf der Straße hingegen nimmt weiter zu.

Philip

Also der Güterverkehr vor allen Dingen auch.

Ulf

Genau. Und woran liegt das? Na ganz klar, Die Bahn ist das Rückgrat der Verkehrswende. Und dieses Rückgrat ist kaum und brüchig. Die Bahn ist ein Sanierungsfall.

Philip

Sanierungsfall, dieses Wort haben wir uns jetzt nicht ausgedacht, sondern das stammt aus einem sehr lesenswerten Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem März 2023. Und da steht: "Die Eisenbahninfrastruktur ist in vielen Bereichen überaltert, vor allem Gleise, Oberleitungen und Weichen." Ja, hier wurde jetzt zuletzt einiges auf den Weg gebracht. Es gibt diese Infrastrukturgesellschaft InfraGO, haben wir auch drüber berichtet.

Da soll es Gleissanierungen auf 40 Hauptstrecken geben, in den nächsten sechs Jahren bis 2030. Da sollen 12,5 Milliarden zusätzliches Eigenkapital in die DB AG rein fließen. Insgesamt sollen 40 Milliarden € investiert werden. Aber eben auch 12,5 Milliarden € davon sollen stammen aus dem Klima- und Transformationsfonds, der ja nun wirklich mehr als zur Hälfte entleert wurde durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende des Jahres.

Ulf

Das heißt also völlig unklar, wie es da um die Finanzierung steht. Aber die Probleme bei der Bahn, über die ja viel gesprochen wird, lenken den Blick oft weg von den zahlreichen Versäumnissen an anderer Stelle. Denn auch an anderer Stelle bröckelt und bröselt die Infrastruktur und die Zahlen bei Brücken, öffentlichen Gebäuden, Wohnungen, digitale Infrastruktur und und und stellen die immerhin 90 Milliarden schweren Infrastrukturschulden bei der Bahn locker in den Schatten. Das ist klar.

Aber wir haben uns immer die Frage gestellt: Von wie viel Geld reden wir denn?

Philip

Ja, und da stellt sich raus die Investitionsbedarfe, wie das so heißt, also Investitionen an mehreren Ecken und Enden sind gar nicht so leicht zu ermitteln. Es gibt verschiedene Studien und verschiedene Schätzungen, die jeweils ein bisschen andere Ergebnisse zutage bringen und die, weil sie eben auch zum Teil unterschiedlich rechnen.

Eine viel beachtete Zahl steht seit 2019 im Raum und das sind 457 Milliarden €, die gesamtstaatliche also vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen investiert werden müssen. Gut 450 Milliarden €, das stammt aus einer gemeinsamen Studie vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft und dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans Böckler

Stiftung. Deswegen hat das so viel Beachtung gefunden, weil da eben so zwei Denkschulen auch zusammengearbeitet haben. Und an dieser Studie zur Abschätzung des Investitionsbedarf 2019 hat mitgearbeitet Katja Rietzler vom IMK.

Katja Rietzler

Wir haben 2019 zusammen mit dem IW Köln eine sehr viel beachtete Studie gemacht, in der wir festgestellt haben, dass man in etwa in zehn Jahren knapp 460 Milliarden an zusätzlichen Investitionen brauchen würde. Mittlerweile, muss man sagen, sind diese Zahlen schon wieder etwas überholt. Also das war natürlich auch der Stand 2019, auch in Preisen von 2019.

Wir haben grob das versucht zu aktualisieren und kamen dann halt in so eine Größenordnung irgendwo zwischen 600 und 800 Milliarden für zehn Jahre, aus heutiger Sicht.

Philip

Also 600 bis 800 Milliarden über die nächsten zehn Jahre, das heißt 60, 80, 90 Milliarden € jedes Jahr...

Ulf

Über zehn Jahre!

Philip

Über zehn Jahre. Kontinuierlich ist so die Größenordnung, von dem wir jetzt mal ausgehen müssen, dass investiert werden müsste, um...

Ulf

Nur den bisherigen Stand der Infrastruktur wieder fit zu machen und soweit die Infrastruktur schon nicht mehr zu retten ist, weil sie zu lange nicht repariert wurde, sie zu ersetzen. Also Stichwort Rahmedetalbrücke, die Brücke, die ganz am Anfang gesprengt wurde. Warum ist die gesprengt worden? Nicht etwa, weil die einfach nur das Ende ihrer Lebenszeit erreicht hätte, sondern weil sie so lange nicht vernünftig saniert wurde, dass sie irgendwann quasi unrettbar zerfallen war.

Philip

Und nun neu gebaut werden muss. Also das sind diese 60, 80 Milliarden pro Jahr über die nächsten zehn Jahre, von denen Katja Rietzler hier spricht. Und jetzt sind das ja, wie sie sagt, die gesamtstaatlichen Investitionen, also Investitionen, die Bund, Länder und Kommunen aufbringen müssen. Über den Bund reden wir sehr viel, über die Kommunen reden wir relativ wenig.

Ulf

Genau. Und die Kommunen sind so ein bisschen das Sorgenkind auch der Infrastrukturinvestitionen, weil die Finanzlage der Kommunen in Deutschland extrem unterschiedlich ist. Aber weil leider zur Wahrheit auch dazugehört, dass es in Deutschland viele, viele bettelarme Kommunen gibt. Und diese bettelarmen Kommunen können beim besten Willen warum werden wir gleich erklären, nicht das für die Infrastruktur investieren, was eigentlich erforderlich wäre.

Deswegen schauen wir uns jetzt noch mal die Kommunen ein bisschen genauer an, denn das ist, glaube ich, auch aus der Perspektive der Menschen, aus der Perspektive der Demokratie ganz wichtig. Wir haben es eben schon angedeutet: In den Kommunen erleben die Menschen den Staat ganz unmittelbar.

Philip

Ja, denn da leben ja die Menschen, das haben wir am Anfang gesagt, Da gibt es direkten Kontakt, vor allen Dingen auch zu dieser Infrastruktur. Und da haben wir aktuell einen Investitionsrückstand von gut 160. Milliarden Euro. Das ist also Teil dieser ungefähr 600 bis 800 Milliarden €. Gut 160 davon fallen halt in die Kommunen. Und diese Zahl stammt aus dem KfW Kommunalpanel.

Das wird erhoben, also im Auftrag der KfW, also der Kreditanstalt für Wiederaufbau, so einer staatlichen Bank gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Urbanistik. Und da werden halt Kommunen nach ihrem wahrgenommenen Investitionsrückstand gefragt. Also was müsstet ihr sozusagen investieren um auf einen guten Stand zu kommen? Und da fallen halt diese 166 Milliarden € raus.

Ulf

Und das ist nur das, was man bezahlen müsste, um zu erhalten, was schon da ist, also um das zu bezahlen, was in den Kommunen in den letzten Jahren und Jahrzehnten längst hätte gemacht werden müssen. Wir reden hier also noch nicht von neuen Schwimmbädern und Sporthallen und wir reden auch nicht von Windkraftanlagen, sondern wir reden nur von Instandhaltung und Reparatur.

Das sind 166 Milliarden, die nötig sind, damit nicht Sporthallen und Schwimmbäder in Bälde geschlossen werden müssen, die es längst gibt, weil sie nicht vernünftig in Schuss gehalten wurden.

Philip

Das Deutsche Institut für Urbanistik hat dieses Jahr noch mal gesondert in einer Studie erhoben, wie viel die Kommunen bis 2030 investieren müssten, um nachhaltige Verkehrsinfrastruktur zu schaffen, also 166 Milliarden, um das zu erhalten, was da ist. Aber nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, das wären noch mal dazu 372 Milliarden €.

Ulf

Das wäre also das, was erforderlich ist für die Hardware der Verkehrswende. Das bedeutet auf Deutsch Straßenbahnnetze in größeren Städten. Weil das einfach so das effizienteste Verkehrsmittel ist im öffentlichen Personennahverkehr. Aber auch Buslinien einrichten, Buswartehäuschen einrichten, Schienenwege bauen.

Philip

Straßen umbauen.

Ulf

Genau, also mehr Platz für Fahrräder. Also alles das, was passieren müsste, damit wir ein bisschen weniger abhängig vom Auto werden. 372 Milliarden €.

Philip

Warum ist die Zahl nun höher als die 166? Naja, es gibt eben eine andere aufwendige Erhebungsmethode um die projizierten Bedarfe zu errechnen. Es geht auch über einen längeren Zeithorizont und vor allen Dingen geht es halt um Rückstand und Umbau. Also bei der Verkehrswende müssen also bei der Verkehrswende modernisieren. Aber wir müssen halt auch umbauen. Da kommt also nicht nur Erhaltung einer Brücke, sondern die müssen wir halt auch umbauen, um Fahrradstreifen zum Beispiel einzurichten.

Ulf

Also ihr seht schon, diese Zahlen sind alle, wie soll ich sagen, mit so ein bisschen Vorsicht zu genießen, weil diese Zahlen immer sehr davon abhängig sind, was man sich gerade anschaut. Aber ich denke, ob nun 166 Milliarden für Aufholen des Rückstand, 372 für Rückstand plus neu Investition im Verkehr im Verkehrsbereich. Was ihr jedenfalls seht ist, da sind unfassbare Summen aufgelaufen, die längst hätten investiert werden müssen, die aber nicht investiert wurden.

Und da haben wir uns natürlich gefragt: Wenn das doch alles so offensichtlich ist und wenn das auch niemand so richtig bestreitet, ja, das ist jetzt überhaupt kein parteipolitisches Thema. Da kommen jetzt nicht Christian Lindner und sagt Quatsch, Infrastruktur muss man nicht, muss man nicht in Schuss halten oder so! Da fragt man sich natürlich schon: Warum haben Regierungen aller Couleur in den letzten Jahren zu wenig investiert? Und dafür gibt es einen ganzen Strauß an Erklärungen.

Philip

Zum einen gibt es fehlende Anreize, also der politische Prozess bei uns in der Demokratie begünstigt in der Tendenz eher Konsumausgaben, das ist Nummer eins. Dann zweitens natürlich leere Kassen. Bei sehr vielen Kommunen, zumindest in der Vergangenheit waren es sehr viel, ist ein bisschen weniger geworden, aber bei vielen Kommunen fehlt einfach das Geld.

Dann gibt es natürlich auch fehlende Kapazitäten und Expertise in den Kommunalverwaltungen, um solche Infrastrukturprojekte aufs Gleis zu setzen. Dann sind natürlich auch Planungs- und Genehmigungsverfahren oft sehr langwierig und bürokratisch. Und natürlich vielleicht auch hier die Schuldenbremse. Das ist so der Strauß, an Ursachen.

Ulf

Die jedenfalls in Betracht kommen und ernsthaft diskutiert werden. Und wie valide die sind, wie großen Anteil sie jetzt haben an dem Entstehen der Infrastruktur, Schulden, dem gehen wir jetzt mal nach. Und wir fangen mal an mit der Frage der politischen Anreize. Warum haben Politiker:innen aus allen Parteien seit Jahrzehnten viel zu wenig Geld in Hardware investiert?

Philip

Grundsätzlich hat Infrastruktur ein Handicap im politischen Prozess, würde ich mal sagen. Es dauert einfach sehr lange, sie aufzubauen. Dafür hält sie auch lange. Ja. Investitionen, die wir heute tätigen, entfalten aber erst in Jahren, vielleicht Jahrzehnten ihre Wirkung. Und das gilt leider eben auch für die eingesparten Investitionen. Also selbst wenn jetzt die Brücken nicht erneuert und nicht repariert und die Schulen nicht baut, dann merkt man das unter Umständen eben erst in vielen

Jahren. Das heißt, man kommt lange damit durch, nicht zu investieren.

Ulf

Ja, das ist ein bisschen so wie mit den Vorsorgeuntersuchungen beim Doktor. Man kann das mal verschieben, Man muss da nicht unbedingt hin wie beim Zahnarzt. Er muss da jetzt nicht in dieser Woche genau hin, kann schon mal ein bisschen verschieben. Aber wenn man das zu lange verschiebt, dann hat man halt einfach irgendwann fetten Karies. Und genauso genauso ist das eben auch mit den Investitionen. Das Problem ist bloß: Wahlen funktionieren anders.

In Wahlen bewerten wir die Leistung von Politikerinnen und Politiker nämlich alle 4 bis 5 Jahre. Und dabei schaut kaum jemand bei seiner Wahlentscheidung auf langfristige Investitionen. Sagt jedenfalls Gerd Landsberg, der ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Der kommunale Spitzenverband in Deutschland, der die Interessen der Kommunen vertritt.

Gerd Landsberg

Politikerinnen und Politiker denken, das kann ich schon auch irgendwie verstehen, in erster Linie ja in Wahlperioden. Stehe ich hinterher gut da? Und das erlebe ich auch auf der kommunalen Ebene. Wenn Sie sich entscheiden: Also ich mache jetzt die Innenstadt schöner und ich mache den Bahnhof neu und ich schaffe mehr Grün und mehr blau in der Innenstadt.

Wenn das nicht fertig ist bis zum Ende ihrer Wahlzeit, dann wird gesagt: Der hat ja gar nichts geschafft, der hat ja gar nichts gemacht, den wählen wir ab. Und das ist natürlich ein Problem, auch den Leuten zu kommunizieren. Wir packen das an, wir wollen es schaffen, aber es sind kleine Schritte, und das müsst ihr akzeptieren.

Philip

Dass die Anreize, Geld für öffentliche Infrastruktur auszugeben, so niedrig sind, liegt aber auch daran, wie sich der Wert und der Nutzen öffentlicher Infrastruktur bemisst. So gemeinschaftlich, möchte ich mal sagen. Also das eine ist ja die Gemeinschaft bezahlt, die Kosten sind ziemlich schnell klar. Aber wie messen wir als Gesellschaft den Nutzen?

Ulf

Denn manche nutzen eine vielleicht frisch gebaute neue Brücke nie, andere nutzen sie mehrmals täglich. Aber normalerweise bezahlt niemand direkt für die Nutzung. Und wir sind es aber sehr gewöhnt, dass im Regelfall sich der Nutzen von etwas dadurch bemisst, welchen Preis wir dafür zahlen müssen. Wir sind total daran gewöhnt, über den Preis auszudrücken, wie sehr wir etwas wertschätzen. Und genau das passiert natürlich bei öffentlicher Infrastruktur

nicht. Und dann ist die Frage Wenn die Nutzenden eben nicht direkt bezahlen, wie messen wir denn dann den Wert öffentlicher Infrastruktur?

Philip

Und das passiert, wie oben schon erwähnt, eben durch Wahlen. Diese Bewertung ist aber extrem ungenau. Es finden also alle vier fünf Jahren Wahlen statt. Man macht sein Kreuz. Aber dieses Kreuz für einen Politiker oder eine Politikerin, das sagt halt nicht spezifisch: Toll, dass du diese Brücke saniert hast, sondern es sagt so allgemein ja Kita Straßen, so, insgesamt finde ich dein Gesicht gut.

Und daraus ist wahnsinnig schwer abzuleiten, ja, wie viel wert war es denn jetzt, diese Brücke zu sanieren durch dieses eine Kreuz? Das verschwimmt einfach und das übermittelt sich in Wahlen nur sehr, sehr, sehr diffus. Wie, welchen Wert messen die Leute denn jetzt dieser Brücken Sanierung bei?

Ulf

Tja, und so fehlt für politisch aktive Menschen häufig der Anreiz für Infrastrukturinvestitionen politisch zu kämpfen. Das ist einfach etwas, was natürlich total wichtig ist für die Menschen, was aber in dieser Mechanik des Politikbetriebs häufig unter die Räder kommt, das ist so ein Aspekt. Aber ich glaube, Philip, wenn man sich ehrlich macht, ist doch die finanzielle Situation der Kommunen der ganz zentrale Aspekt.

Denn die Kommunen sind in unserer Gesellschaft jedenfalls für die wahrgenommene, alltägliche, wichtige Infrastruktur die zentralen Player. Die Kommunen nämlich entscheiden darüber, ob eine Schule gebaut wird, ob ein Schwimmbad saniert wird, ob eine Straße repariert wird. Richtig. Und sehr viel Infrastruktur planen und bezahlen denn auch die Kommunen. Das sagt Henrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik.

Henrik Scheller

Die Infrastruktur ist eben auch in den Kommunen verortet, zu großen Teilen. Wichtige Infrastrukturen, vor allen Dingen auch, die die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen die Straßen, die Brücken, Kitas, Schulen, Verwaltungsgebäude. Überall begegnet den Bürgerinnen und Bürgern in der Kommune der Staat über seine Infrastrukturen.

Philip

Und deswegen schauen wir auch in dieser Folge mal ein bisschen näher und genauer hin auf die Rolle der Kommunen. Wenn es nämlich dort läuft, dann nehmen die Leute das positiv wahr, den Staat. Wenn es aber schlecht läuft, dann untergräbt das eben auch sehr schnell den Glauben an den Staat und das Vertrauen in die Funktionsweise letztlich auch der Demokratie.

Ulf

Und die Bedeutung der Kommunen lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. Kommunen stemmen den relativ größten Anteil der öffentlichen Investitionen neben Bund und Ländern, nämlich 39 %. Das heißt, die anderen 60 % teilen sich auf Bund und Länder auf. Schaut man mal auf die öffentlichen Bauinvestitionen, so sind es sogar rund 60 %, also für Straßen, Brücken und Schulgebäude.

Philip

Die durch die Kommunen bezahlt 60 %. Denn die Kommunen sind für eine ganze Menge zuständig: Schulen, Kitas, über 700.000 Kilometer an kommunalen Straßen. Sie sind zuständig für die Trinkwasser- und Abwasserversorgung, für Energie- und Abfallwirtschaft, für Sportstätten, Kulturstätten, Sportplätze und solche Sachen, Brand- und Katastrophenschutz. Außerdem sind kommunale Investitionen natürlich mega zentral auch für die Wende zur Nachhaltigkeit. All das verantworten die Kommunen.

Ulf

Und das sind wichtige Infrastrukturen für den Alltag der Leute und eben auch wichtige Standortfaktoren für Unternehmen. Ob sie sich entscheiden, ob sie in der Kommune A einen neuen Sitz für Unternehmen einrichten oder in der Kommune B und ob und in welcher Form hier jeweils investiert wird, hängt ganz wesentlich an der Kassenlage der Kommunen.

Denn in ganz vielen Kommunen fehlt einfach das Geld für die nötigen Investitionen, schreibt auch der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums in seinem Gutachten.

Philip

Und dementsprechend groß war auch der Rückgang öffentlicher Investitionen in der Vergangenheit, vor allem bei den Kommunen. Da sei dieser Rückgang der Investitionen besonders stark gewesen. Und die Folgen sind dramatisch, sagt Gerd Landsberg. Der, würde ich mal sagen, Cheflobbyist der deutschen Städte und Gemeinden.

Gerd Landsberg

Also die kommunale Infrastruktur ist insgesamt in einem sehr schlechten Zustand. Nach der letzten Umfrage liegen wir bei einem Investitionsrückstand von 166 Milliarden.

Philip

Diese Zahl stammt aus dem aktuellen Kommunal Panel von 2023. Und addiert man diese mitgeteilten Investitions Rückstände, kommt man auf die genannten 166 Milliarden. Und besonders hoch sind nach diesem Kommunalpanel die Rückstände bei Schulen, Straßen und Verwaltungsgebäuden, sagt Herr Landsberg.

Gerd Landsberg

Allein bei Schulen sind es 47,4 Milliarden. Das beobachten wir seit Jahren. Es wird nicht besser, es wird schlechter. Wir reden ja alle sehr viel über Bildung. Aber viele Schulen, sage ich immer, sind eher Baracken als Kathedralen der Bildung. Das führt zu großer Unzufriedenheit vor Ort. Die Schule ist schlecht, die Kita ist auch nicht im besonders guten Zustand, die Straßen nicht, es gibt Umleitungen, es gibt Schlaglöcher. Und eine richtige Lösung ist jedenfalls zurzeit nicht in Sicht.

Philip

Aber zum Bild gehört eben auch dazu, dass die finanzielle Situation der Kommunen in Deutschland regional sehr unterschiedlich ist. Das hat ein Paper noch mal herausgearbeitet vom Institut der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2020. Danach geht es den Kommunen in Süddeutschland überdurchschnittlich gut. Die haben so gut wie keine Kassenkredite, also Kassenkredite, so der Dispo, letztlich der, der der Gemeinde.

Die haben die besten Steuereinnahmen, die haben auch die höchsten Investitionen, was wiederum begünstigt wird dadurch, dass sie die niedrigsten Sozialausgaben haben, also in Süddeutschland.

Ulf

Kommunen in Ost und West liegen eher im Mittelfeld. Besonders arg ist die Situation der Kommunen ganz weit im Westen. Die haben die höchsten Schulden, die höchsten Sozialausgaben und deswegen auch die niedrigsten Investitionen. Und das betrifft insbesondere das Ruhrgebiet, also die Region Deutschlands, wo viele Jahrzehnte Kohle- und Stahlwirtschaft ganz wesentlich zur Wirtschaftskraft beigetragen haben.

Und diese Wirtschaftszweige sind vor allem in den 70er und 80er Jahren weitgehend abgebaut worden, und die Region hat sich davon heute...

Philip

Offensichtlich noch nicht hundertprozentig erholt. Also es gibtl, natürlich hat sich da viel getan, aber der Unterschied zwischen den Ländern, der liegt vor allen Dingen, das sagen auch alle an den unterschiedlichen Strukturen, die dort vorherrschen. Und das hat viel mit Zufall zu tun. Das kann man jetzt nicht den einzelnen Bundesländern anlasten oder ihnen gutschreiben. Natürlich machen die auch ihre Politik, aber viele Gründe für diese regionalen Unterschiede liegen eben in unterschiedlichen

Strukturen. Und das ist eben in NRW eine völlig andere Struktur als in Bayern. Und daher kommen halt diese Unterschiede. Da gehen wir auch gleich noch mal näher drauf ein.

Ulf

Aber das ist halt fatal. Das ist halt fatal, wenn man so extrem hohe Sozialausgaben hat, weil sich das wiederum unmittelbar auswirkt auf die Investitionstätigkeit. Das schreibt das Institut der Deutschen Wirtschaft ebenfalls in der bereits zitierten Analyse aus dem Jahr 2020.

Philip

Und diese regionalen Unterschiede, die zeigen sich eben besonders auch bei der Investitionstätigkeit, also beim Geldausgeben für Infrastruktur, möchte ich es mal nennen. Das sieht man zum Beispiel an den Bauinvestitionen pro Kopf, pro Einwohner, pro Einwohnerin. Und die lagen zum Beispiel zwischen 2011 und 2021, also im Zeitraum von zehn Jahren in Bayern bei 428 € pro Kopf, in NRW bei 156 € pro Kopf.

Also weniger als die Hälfte, hat NRW pro Kopf für Investitionen für Bauinvestitionen ausgegeben als Bayern in der Zeit. Und das ist ein signifikanter Unterschied. Und der sammelt sich natürlich auch an, also wenn man langfristig pro Kopf mehr als das Doppelte investiert, dann ist die Infrastruktur natürlich in völlig anderem Zustand. Und dann haben die Menschen natürlich auch das Gefühl, hier ist heile Welt. Und in Nordrhein läuft es eben genau andersherum.

Warum die Unterschiede so groß sind, dazu kommen wir gleich. Klar ist aber Vor allem In finanzschwachen Kommunen ist die Investitionstätigkeit schon lange zu gering. Das ist also nicht irgendwie Jux und Dollerei oder eine falsche politische. Die haben einfach das Geld nicht. Und viele von diesen finanzschwachen Kommunen liegen in Rheinland Pfalz, im Saarland und in Nordrhein Westfalen. Zum Beispiel die Stadt

Oberhausen. Das ist eine der Städte mit den allerhöchsten Schulden in Nordrhein Westfalen.

Apostolos Tsalastras

Mein Name ist Apostolos Tsalastras. Ich bin der Stadtkämmerer der Stadt Oberhausen und gleichzeitig auch dort der Kulturdezernent. Und ja, meine Aufgabe ist, die Finanzen der Stadt in Ordnung zu halten.

Philip

Und das ist gar nicht so einfach. Werden wir sehen, wo, wie und ob es vielleicht muss. Ja, ich muss ja irgendwie Europa zusammenhalten. Und Rhein und Also Oberhausen wird vielleicht nicht jeder oder jede kennen. So 210.000 Einwohner liegt im Ruhrgebiet. Wie viele Städte im Ruhrgebiet ist es nach wie vor? Wir haben es gesagt, geprägt vom Strukturwandel der 70er bis 90er

Jahre. Also raus aus Kohleabbau, Stahlproduktion hin zu anderen Industrien, die damals halt dann billiger waren und Kohle also teurer wurde. Und heute ist es halt der Strukturwandel hin zu Klimaneutralität. Ja, aber ich finde, du machst das schon deutlich. Niemand weiß bis heute, wohin eigentlich. Also eigentlich ist das große Problem des Ruhrgebiets von seit 1970 bis heute niemand weiß, was anstelle von Kohle und Stahl passieren soll.

Natürlich gibt es also zahllose Leuchtturmprojekte, aber es ist jetzt auch keine völlige Wüste. Es herrscht nicht 100 % Arbeitslosigkeit. Natürlich hat das Ruhrgebiet sehr unterschiedlich diesen Strukturwandel bewältigt. Aber so einem Masterplan weiß man, was man tun kann, um diese beiden früher mal dominierenden Wirtschaftszweige zu ersetzen. In einen Masterplan gibt es eben einfach nicht. Und das hat bis heute dramatische Folgen für die Kassenlage.

So erzählt es uns der Kämmerer von Oberhausen.

Apostolos Tsalastras

Bei uns sind fast sämtliche Industrien, die wir hatten, von Kohle und Stahl nicht mehr vorhanden. Die Stadt hat verschiedenste Anläufe genommen, auch sehr erfolgreiche, den Strukturwandel zu gestalten, so dass wir da eigentlich auf einem sehr guten Weg sind. Und trotzdem fehlt nach wie vor die Steuerkraft, um die Aufgaben, die Kommunen haben, auch vollumfänglich erfüllen zu können.

Philip

Also Steuerkraft heißt schlicht Es fehlt Geld, vielleicht auch ein bisschen. Wir haben so wenig Geld und können deshalb unsere Politik wenig steuern, haben wenig Einfluss auf das Schicksal unserer Kommune. Sicherlich. Aber es läuft darauf hinaus. Kommunen, viele Kommunen, unter anderem Oberhausen, haben schlicht zu wenig Geld. Und die große Frage ist natürlich Wo kommt denn das Geld für Kommunen eigentlich her?

Kommunen wie Oberhausen bekommen ihr Geld zunächst im ersten Schritt vor allem aus der Gewerbesteuer. Also wenn örtliche Unternehmen Gewinne machen, dann zahlen sie die Gewerbesteuer und aus der Einkommensteuer. Also wenn ihre Bewohner Bewohnerinnen arbeiten und Steuern zahlen, zahlen müssen, dann kriegt ein Teil davon auch die Kommunen. Und wenn da dann was schiefgeht bei den Unternehmen oder eben bei den Einkommen der Menschen, die dort wohnen, dann rutschen Kommunen schnell in die Schulden.

Und das kann man wiederum mustergültig in Oberhausen bewundern. In Oberhausen stand mal ein großes Stahlwerk, das wurde dann geschlossen. Heute steht da ein Einkaufszentrum.

Apostolos Tsalastras

Allein auf diesem riesigen Gelände sind 30.000 Arbeitsplätze weggefallen über die Jahre. Das ist ein riesen soziales Problem. Sie haben also eine Menge Arbeitslosigkeit, die Sie da produzieren. Sie haben hohe Sozialleistungen, die sie dadurch tragen müssen. Das kann ein Haushalt allein schon

nicht tragen. Und parallel dazu haben sie gleichzeitig natürlich extreme Steuerverluste, weil sie keine Gewerbesteuer mehr bekommen für die Unternehmen, die bisher da waren und eigentlich auch kräftige Steuerzahler waren, weil es ja riesige Unternehmen waren. Die sind dann alle weg. Das heißt, Sie haben von zwei Seiten einmal von der Einnahmeseite wie auch von der Ausgabenseite großen Druck auf den Haushalt und den können sie über die Jahre gar nicht ausgleichen.

Und so sammeln sich natürlich auch entsprechend Defizite an und führt zu der Gesamtverschuldung, die wir auch aufgebaut haben.

Philip

Also Oberhausen sind also einerseits die Einnahmen weggebrochen, das ist allerdings nur die eine Hälfte der Finanzprobleme.

Apostolos Tsalastras

Hinzu kommen natürlich auch zusätzliche Aufgaben, die Bund und Länder beschließen, die wir umsetzen müssen, die sehr viel Geld kosten und die wir auch nicht erstattet bekommen oder nicht vollumfänglich erstattet bekommen. All das sind Auswirkungen, die über die Jahre so eine Stadt ja sozusagen an den Rand der Handlungsfähigkeit treiben. Das ist einfach so.

Philip

Also das Problem vieler Kommunen, vor allem im Westen, aber nicht nur da, ist so ein Teufelskreis, der damit losgetreten wird. Betriebe haben Probleme, entlassen Leute. Bewohner, Bewohnerinnen brauchen Hilfe, sprich Sozialleistung. Die müssen die Kommunen bezahlen. Die Kommune muss Schulden machen und hat dann eben kein Geld mehr, um teure Infrastruktur zu bezahlen. Und das macht sie dann wiederum als Standort für neue Unternehmen weniger attraktiv. Und so gibt es eben eine Abwärtsspirale.

Ulf

In Bayern und Baden Württemberg. Hingegen ist es oft umgekehrt, sagt das Institut der deutschen Wirtschaft in seiner Studie aus dem Jahr 2020. Hier herrscht eher eine gute Thermik, also quasi so eine Art Auftrieb.

Philip

Regionen, schreiben sie, Regionen mit einer hohen Steuerkraft und geringen Sozialausgaben weisen eine geringe Verschuldung und hohe Investitionen auf. Mit diesen Investitionen kann langfristig die Standortattraktivität und somit die Steuerkraft weiter erhöht werden, wodurch wiederum die Investitionen weiter ansteigen können. Und so weiter. Dies könnte somit eine Aufwärtsspirale in Gang setzen, sprich gute Thermik.

Ulf

Aber kommen Kommunen in eine Abwärtsspirale, so kommen sie da von alleine fast nicht mehr wieder raus. Mit der Folge, dass immer weniger in Infrastruktur investiert wird. Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums stellt fest: Die Kommunen, die besonders wenig investieren, sind zugleich die Kommunen mit besonders hohen Sozialausgaben, die außerdem noch besonders verschuldet sind. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schreiben:.

Philip

"Es ergibt sich das Bild, dass Kommunen, die relativ hohe Sozialleistungen zu tätigen haben, diese zum einen durch Kreditaufnahme, zum anderen durch eine geringere Investitionstätigkeit finanzieren.

Ulf

Erst seit wenigen Jahren hat zum Beispiel die Stadt Oberhausen wieder eine Investitionsquote von über 100 %. Das klingt ja erst mal mega. 100 %, denkt man, alles läuft bei denen. Das heißt aber nur, dass sie genug investieren, dass die Sachen nicht an Wert verlieren. Das ist eigentlich das absolute Minimum. Denn neue Infrastruktur schaffen sie jedenfalls rechnerisch überhaupt nicht.

Apostolos Tsalastras

In den Jahren davor hatten wir Investitionsquote von 40 bis 50 %. Das heißt, wir hatten einen Substanzverlust von 50 % jedes Jahr. Und das baut natürlich einen riesen Investitionsstau auf. Beziffern kann ich dir nicht, aber der ist immens. Das merken wir jetzt gerade bei Schulen. Ich muss eine neue Schule bauen. Das sind 100 Millionen €, die die Schule kosten wird. Wir müssen erweitern an verschiedenen, an vielen Schulen und gleichzeitig parallel die alten Gebäude instand setzen.

Das ist schon eine Riesenherausforderung. Allein das Thema Schule.

Philip

Ich finde das ein ganz gutes Beispiel, weil es eben deutlich mal woher diese Schulden kommen. Jetzt sind sie vielleicht gerade wieder da, dass sie das so erhalten können. Aber das ändert nichts daran, dass in den letzten Jahren zu wenig investiert haben, die Substanz an Wert verloren hat, verfallen ist und jetzt immer noch so ist. Und natürlich gibt es in Oberhausen nicht nur Schulen, sondern noch viel mehr Infrastruktur, die Geld bräuchte. Theater zum Beispiel.

Ulf

Da ist lange aus Geldmangel immer nur notdürftig geflickt worden. Aber das reicht halt auf Dauer nicht, schildert der Kämmerer von Oberhausen.

Apostolos Tsalastras

Am Ende des Weges hat die Feuerwehr und der Brandschutzbeauftragte gesagt, das geht nicht mehr. Ihr müsst das Theater schließen, wenn ihr jetzt nicht da investiert.

Ulf

Um überhaupt das Nötigste zu schaffen, muss Oberhausen ganz hart priorisieren. Also entscheiden: Was ist noch dringender als dringend und was ist einfach nur dringend und muss deswegen leider auf die lange Bank geschoben werden, zum Beispiel Investitionen in Schulen. Auch das Theater wird jetzt endlich saniert, weil es sonst geschlossen werden müsste.

Aber um das zu schaffen, muss Oberhausen sehr viel Arbeit in die Beantragung von Fördergeldern stecken und außerdem diese Instandhaltung über einen langen Zeitraum strecken. Und das wiederum hat seine ganz eigenen Nachteile.

Apostolos Tsalastras

Wir können nicht wie andere Städte jetzt hingehen und sagen: Wir machen jetzt in einem Rutsch das Theater fertig, das können wir nicht. Das heißt, wir haben, was das Thema Brandschutz angeht, einen Deal gemacht mit der Feuerwehr und den Brandschutzbeauftragten, dass wir sukzessive das Theater umbauen, jetzt innerhalb von drei Jahren versuchen, den Brandschutz umzusetzen.

Die Bühnentechnik, die nicht nur veraltet ist, sondern auch nicht mehr funktioniert, umzusetzen, sodass wir die Sachen immer auf Zeit strecken müssen, was sehr viel Aufwand bedeutet. Auch Mehrkosten am Ende des Weges. Weil wenn sie die Sachen immer unterbrechen müssen und dann wieder neu anfangen, dann wird es natürlich teurer und das ist natürlich sehr personalintensiv.

Philip

Also wenn du Deal mit dem Brandschutzbeauftragten machen musst, um dein Theater zu sanieren über drei Jahre...

Ulf

Dann ist es Code Red.

Philip

Aber priorisieren heißt ja auch Dinge verschieben, gar nicht machen, weil einfach das Geld nicht reicht.

Ulf

In Oberhausen sind das ausgerechnet die Brücken. Der Bereich Verkehrsplanung hat beim Kämmerer ganze sieben Brücken als sanierungsbedürftig angemeldet. Aber so einfach ist das nicht.

Apostolos Tsalastras

Die können wir gar nicht finanzieren im Augenblick. Das heißt, wir gehen jetzt, jedes Jahr machen wir eine Brücke statt die sieben, die unbedingt gemacht werden müssen. Auf einmal können wir nicht.

Philip

Ich find das so geil, weil das so plastisch macht, wo da das Problem ist. Wir haben nicht genug Geld. Ja, dann machen wir das Theater über drei Jahre, machen so einen Deal. Für sechs Brücken reicht das nicht, da kriegen wir nur eine hin.

Ulf

Musst du dir mal überlegen, jedes Jahr nur eine Brücke. Mal ganz ehrlich, Philip: Das ist ein Beispiel aus Deutschland. Wir reden jetzt nicht von Subsahara Afrika, sondern wir reden von Deutschland, dem viert reichsten Land der Welt. Je nach Statistik und in dem ihr reichsten Land der Welt gibt es Städte wie Oberhausen. Und es gibt ja hunderte dieser Art, die haben nicht mal die Kohle, um längst existierende Brücken in Schuss zu halten.

Philip

Es geht nicht um acht neue Brücken, es geht um die sieben, die es gibt. Und die müssen halt saniert werden. Und das Erschreckende ist, wir reden hier von Oberhausen, aber Oberhausen ist ja nur pars pro toto. Oberhausen steht ja nicht alleine da. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik ist fast jede zweite Straßenbrücke im Verantwortungsbereich der Kommunen in keinem guten Zustand.

Ulf

Und warum die Kassen in Kommunen wie zum Beispiel Oberhausen so leer sind, dass sie sich um ihre Infrastruktur nicht vernünftig kümmern können, das liegt an der Art und Weise, wie wir die Kommunen finanzieren.

Philip

Wie bereits erwähnt, gibt es sehr große regionale Unterschiede zwischen den Kommunen. Im Süden gehts den Kommunen im Schnitt deutlich besser als im Westen. Aber auch im Osten und Norden gibt es reiche und arme Kommunen. Es gibt Kommunen, die viel investieren, und es gibt eben andere, die völlig überschuldet sind und wenig investieren, wie zum

Beispiel Oberhausen. Das Problem ist: Ob eine Kommune Geld hat oder nicht, hat eben sehr viel mit Faktoren zu tun, die diese Kommune selbst nicht beeinflussen kann. Die Kommunen haben sehr wenig Möglichkeiten, an ihrer eigenen Situation, vor allem an ihrer eigenen Finanzsituation, etwas zu ändern.

Ulf

Und das liegt daran, wie wir die Kommunen finanzieren. Die Kommunen können ihre Kassenlage nur ganz bedingt beeinflussen und so aus einer Schieflage wieder rauskommen, denn sie haben kaum Kontrolle. Das war uns auch neu. Sie haben kaum Kontrolle über ihre Einnahmen und ihre Ausgaben.

Philip

Fangen wir mit den Einnahmen an. Man könnte ja meinen okay, Ausgaben steigen, da muss man mehr Einnahmen generieren. Für die Kommunen ist das aber nicht so einfach. Die bekommen ihr Geld im Kern hauptsächlich aus zwei Quellen. Das eine, musste ich auch lernen, ist der sogenannte kommunale Finanzausgleich. Und ich dachte erst: Na gut, das ist so ein Finanzausgleich, da zahlen die reichen Kommunen was an die Armen und am Ende haben alle

gleichviel. Das ist aber nicht so, Im Kern läuft es letztlich darauf hinaus: Der kommunale Finanzausgleich ist der Kanal, über den die Bundesländer ihren Kommunen Geld überweisen. Das ist also der Kanal, da fließt Geld von den Ländern zu den Kommunen. Denn das muss man sagen, die Länder sind für ihre Kommunen verantwortlich. Die Kommunen sind eigentlich Kinder oder Konstrukte

der Länder. Und deswegen sind die Länder verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Kommunen letztlich ausreichend Geld haben. Und für arme Kommunen wie Oberhausen ist dieser kommunale Finanzausgleich, also Geld vom Land, der wichtigste Geldtopf.

Ulf

Und den wiederum können sie nicht selber beeinflussen. Denn über das Geld entscheidet das Land und nicht die Kommune. Und nicht viel besser ist das bei kommunalen Einnahmen direkt aus Steuern. Die Kommunen bekommen Anteile an sogenannten Gemeinschaftssteuern, also zum Beispiel Anteile an der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer. Wie viel Anteil entscheiden aber nicht sie, sondern Bund und Länder. Da können also nicht die Kommunen selbstständig am Knöpfchen drehen, sondern das entscheiden Bund

und Länder. Der Bund und die Länder sind aber auch chronisch klamm. Und da ist der Anreiz groß, einfach in die Kassen der Kommunen zu greifen und denen strukturell zu wenig Geld zuzuweisen.

Philip

Selbst beeinflussen können die Kommunen nur die Gewerbesteuer und die Grundsteuer. An diesen Steuern können sie selber schrauben, indem sie diese sogenannten Hebesätze ändern, also senken oder steigern. Das Problem ist aber: Sowohl die Gewerbesteuer als auch die Umsatzsteueranteile sind erfolgsorientiert, denn diese Gewerbesteuereinnahmen hängen natürlich ab von der Zahl und dem Erfolg der ansässigen Unternehmen.

Ulf

Und der Ökonom Björn Kauder vom Institut der deutschen Wirtschaft, kurz IW, erklärt das am Beispiel der Gewerbesteuer, also jener Steuer, die alle Gewerbetreibenden zahlen müssen, abhängig von ihrem jeweiligen Gewinn.

Björn Kauder

Die Gewerbesteuer ist im Prinzip ein Relikt aus alten Tagen. Das Problem ist ja, dass wirtschaftlich starke gemeinden ihren Hebesatz senken können und so Unternehmen aus anderen Gemeinden anlocken und noch stärker werden, was ökonomisch aber keinen Sinn ergibt, weil die Einnahmen schlussendlich nur das gewinnen, was die anderen verlieren.

In den schwachen Gemeinden geht spiegelbildlich die Bemessungsgrundlage verloren, wenn die Unternehmen abwandern, wodurch sie die Steuern erhöhen müssen und noch schwächer werden. Im Ergebnis haben wir regionale Ungleichgewichte.

Philip

Das heißt, die Gewerbesteuer treibt diese Spirale oder diese Spiralen kräftig an, sowohl nach oben wie als nach unten. Reiche Kommunen werden immer attraktiver. Arme Kommunen werden durch die Gewerbesteuer in der Tendenz noch unattraktiver. Und das ist so ziemlich eigentlich das Gegenteil von Ausgleich.

Ulf

Und außerdem schwankt die Gewerbesteuer noch extrem mit der Konjunktur. Stagniert die Wirtschaft, müssen die Kommunen zwar mehr für Soziales zahlen, zum Beispiel mehr Wohngeld oder mehr Arbeitslosengeld. Aber gleichzeitig bricht auch ihre Gewerbesteuer ein. Das heißt, sie haben an beiden Seiten bei den Ausgaben und bei den Einnahmen ein Problem. Und auch bei diesen Ausgaben können die Kommunen nur bedingt mitreden. Denn für was Kommunen Geld ausgeben müssen, das bestimmt in der Regel

der Bund. Beispiel Sozialausgaben generell steigen oder es gibt einen neuen Anspruch auf einen ganztägigen Kitaplatz. Ist natürlich sozialpolitisch eine sehr gute Idee. Wenn wir zum Beispiel die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Arbeitsleben fördern wollen, dann muss es eben eine ganztägige Kita Betreuung geben. Aber wer darf den Spaß bezahlen? Die Kommunen. Und dasselbe gilt für die Unterbringung von Geflüchteten. Darüber haben wir der Lage schon oft

gesprochen. Der Bund beteiligt sich daran zwar, aber letzten Endes erledigen müssen es die Kommunen. Das heißt, sie haben zumindest den Verwaltungsaufwand. Und sie argumentieren auch, dass nach wie vor ein Teil der Kosten bei ihnen hängenbleibt.

Philip

Und im Groben ist die Praxis immer Der Bund macht ein Gesetz, der Bundestag beschließt ein Gesetz, die Bundesregierung beschließt ein Gesetz, die Kommunen müssen es umsetzen und bezahlen. Und der Bund erstattet aber wenn überhaupt, nur ein Teil der Kosten, die dieses von ihm verabschiedete und gemachte Gesetz verursacht. Und das ist eine zentrale Kritik, die auch Apostolos Tsalastras, der Kämmerer von Oberhausen, teilt.

Apostolos Tsalastras

Wir kriegen Aufgaben von Bund und Land zugewiesen, die eine Regelung haben in dem Moment, wo sie eingeführt werden. Die Kostensteigerungen, die sich entwickeln. Veränderungen in der Struktur haben oft zur Folge, dass die Kosten bei den Kommunen hängen bleiben. Ob das jetzt das Thema Arbeitslosigkeit ist, ob das das Thema Flüchtlinge ist, ob das das Thema Offener Ganztag, das jetzt auf uns zukommt, ist, ob das das Thema Kita.

Wir sind verpflichtet, den Gesetzesanspruch der Eltern zu erfüllen, dass sie einen Kitaplatz bekommen. Das kostet sehr viel Geld, das zur Verfügung zu stellen. Es wird nicht auskömmlich finanziert. Diese Mehrkosten bleiben bei den Kommunen. Sie haben aber keine zusätzlichen Einnahmen, um das zu finanzieren. All das sind so Beispiele, wo Bund und Land die Kosten eigentlich tragen müssen, was sie nicht tun. Oder wenn sie es tun, dann nur am

Anfang. Und die Kostensteigerung werden dann nicht mehr, nicht mehr übernommen, bleiben dann bei uns hängen.

Ulf

Bund und Länder verpflichten die Kommunen also zu neuen Aufgaben, die oft viel Geld kosten, ohne dass Bund und Länder aber wirklich von Anfang an die vollen Kosten dafür tragen. Das kritisieren die Kommunen und fordern: Wer eine Aufgabe verteilt, der muss auch die Kosten dafür übernehmen. Das einfache Prinzip: Wer bestellt, der zahlt. Kennt man aus dem Restaurant. Und das wollen die Kommunen eben auch im Bereich der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Das nennt man auf schlau das Konnexitätsprinzip.

Philip

Das kann man ja im Restaurant erst mal fallen lassen. Gilt ja auch das Konnexitätsprinzip. Ich habe bestellt, muss ich auch zahlen. Im Restaurant ist das eine Selbstverständlichkeit, in der deutschen föderalen Finanzstruktur keinesfalls. Konnexus kommt natürlich von Verknüpfung, Verbindung. Und das heißt einfach: Wer bestellt, muss zahlen.

Dass dieses Konnexitätsprinzip aber in der Regel ganz häufig nicht beachtet wird, das sei eine der Hauptursachen für die schlechte Lage der Kommunen, sagt Hendrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik.

Henrik Scheller

Das ist die Forderung der Kommunen, dass die sagen, das Konnexitätsprinzip muss hier wieder eingehalten werden. Der Bund darf definitiv nicht solche Aufgaben formulieren, wo er sich nicht dafür interessiert, wie die Aufgabe finanziert wird.

Ulf

Auch der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums kritisiert die Praxis, nicht immer konsequent auch für eine Gegenfinanzierung neuer kommunaler Aufgaben zu sorgen. Hohe Pflichtausgaben führen dazu, dass Kommunen Steuern erhöhen müssen, wofür sie kaum Spielraum haben, was Gewerbebetriebe vertreibt oder sparen müssen. Und wenn es ans Sparen geht, dann gibt es eben oft nicht viel Spielraum. Sozialausgaben zum Beispiel sind gesetzlich vorgegeben, Dann kann man nicht viel sparen.

Sparen kann man eigentlich nur bei, ihr habt es euch gedacht Infrastrukturinvestitionen und so kommen die Lücken zustande.

Philip

Ja, höhere Sozialausgaben der Kommunen, die alle vom Bund beschlossen wurden, muss man dazu sagen, führen auf der anderen Seite eben dazu, dass zu wenig in den Kommunen investiert wird. Das ist wissenschaftlich untersucht und gut belegt, sagt Björn Kauder vom Institut der deutschen Wirtschaft.

Björn Kauder

Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Investitionen wenig überraschend von hohen Steuereinnahmen begünstigt und durch hohe Sozialausgaben beeinträchtigt werden. Auch haben die hoch verschuldeten Kommunen natürlich eine viel höhere Last der Sozialausgaben und natürlich auch niedriger Steuereinnahmen und niedrigere Investitionen.

Wir haben mal für NRW berechnet, dass 1 € mehr Sozialausgaben pro Kopf, die Investitionen pro Kopf kurzfristig um 37 Cent senken und langfristig sogar um etwa 1,50 €. Das heißt, wir haben eine klare, ich sage mal substitute Beziehung zwischen Sozialausgaben und Investitionen.

Ulf

Substitute Beziehung. Das klingt wahnsinnig schlau. Auf Deutsch bedeutet das Entweder oder. Sozialausgaben verdrängen also Investitionen, weil die Kommunen Sozialausgaben kaum senken können, weil sie ja der Bund anordnet. Wohl aber können Kommunen Investitionen in Infrastruktur streichen, bis die Brücke irgendwann gesperrt oder gar gesprengt werden muss.

Philip

Jetzt muss man aber sagen: Es ist ja nicht so, dass Bund und Länder seit Jahren gar nichts machen, um den Kommunen zu helfen und die Kommunen zu unterstützen. Sie haben natürlich erkannt, dass die Finanzierung der Kommunen nach der reinen Lehre so nicht mehr funktioniert. Und so argumentiert der Bund, vor allen Dingen das Bundesfinanzministerium in einem Bericht vom März 2023: Die Schulden des Bundes wachsen, sagt das Ministerium.

Während die Schulden einiger Länder und der Kommunen zurückgehen, stagnieren und einige Kommunen sogar Plus machen und einige Länder, hat der Bund früher das größte Stück vom Steuerkuchen bekommen, bekämen das größte Stück heute die Länder. Also da hätte sich sozusagen der Anteil der Steuereinnahmen verschoben. Und das liege vor allem daran, sagt das Ministerium, dass der Bund den Ländern immer mehr von der Umsatzsteuer abgebe, haben wir gesagt. Die Kommunen kriegen Teil der Umsatzsteuer.

Und dieser Anteil, der sei eben gewachsen. Und zwar gebe der Bund im letzten Jahr gut 19 Milliarden € pro Jahr aus der Umsatzsteuer an die Länder weiter, und für die nächsten Jahre rechnet das BMF das Finanzministerium mit 12 bis 15 Milliarden pro Jahr allein aus der Umsatzsteuer. Außerdem helfe der Bund, Ländern und Kommunen an 1000 anderen Ecken. Bei den Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten haben wir gesagt, bei den Kosten für Wohnen und Heizen, von Bürgergeldempfangenden.

Der Bund helfe mit Geldleistungsgesetzen, Finanzhilfen. Es gibt 10 Milliarden € sogenannte Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr und auch für das 49 € Ticket. Es gibt Krisenhilfen für Geflüchtete und diverse andere Modellvorhaben. Alles Kanäle, auf denen der Bund den Kommunen Geld zukommen lasse. Und das ist das Argument vom BMF vor allem für Aufgaben, die eigentlich Kernaufgaben der Kommunen sind.

Der Bund argumentiert, die Transfers vom Bund an, die Länder addierten sich für das Jahr 2023 allein für ausgewählte finanzielle Entlastung auf insgesamt 53 Milliarden €. Dazu kämen noch 38 Milliarden € in mehreren überjährigen Sondervermögen des Bundes, die unmittelbar den Ländern und Kommunen zugutekommen. Das ist die Argumentation des Bundes. Die Länder reichen einen Teil oder viele dieser Milliarden über den oben schon erwähnten kommunalen Finanzausgleich dann an die Kommunen weiter.

Ulf

Die Kommunen halten dann dagegen. Ja, dass das unsere Aufgaben sind, mag ja sein, aber die haben wir ja nicht quasi von Natur aus. Und die haben wir ja genau deswegen, weil der Bund uns diese Aufgaben übergeholfen hat. Das heißt also, dieser Zuschreibung, das sei ja schließlich quasi euer Problem, etwas flapsig formuliert halten die Kommunen entgegen: Das ist ja nur deswegen unser Problem, weil der Bund das so entschieden

hat. Aber auch wenn man jetzt mal nur auf die Geldzahlungen schaue, und dann sei das, was der Bund da argumentiert, doch nur die halbe Wahrheit. Denn zum einen sei das eben immer noch viel zu wenig Geld, es reiche eben einfach nicht, auch wenn es eine ganze Menge Geld sei, wie man schon an den fehlenden Investitionen sehen könne. Und zum anderen werde ein großer Teil der Mittel ja auch nicht direkt gezahlt, sondern über bürokratische Förderprogramme, die ihre ganz eigenen Probleme

hätten. Das kritisiert auch der Cheflobbyist für die Kommunen, Gerd Landsberg.

Gerd Landsberg

Es gibt immer wieder irgendwelche Förderprogramme, die will ich nicht schlechtreden. Aber die sind teilweise so kompliziert, dass eine Kommune sagt: Also bevor ich damit anfange, dann lass ich das ganz.

Philip

Oberhausen zum Beispiel bewirbt sich auf solche Förderprogramme, wann immer es geht, sagt der Stadtkämmerer von Oberhausen Tsalastras.

Apostolos Tsalastras

Ich brauche für jeden Fahrradweg ein Förderprogramm. Wenn ich den nicht habe, kann ich den Fahrradweg nicht bauen. Und so ist es bei vielen Dingen, die den Klimawandel angehen. Wenn es Fördermittel gibt, dann nutzen wir die. Es wird immer gesagt, die Fördermittel werden nicht abgerufen. Das gilt zumindest nicht für Oberhausen. Also wir versuchen wirklich alles, was wir an Fördermitteln bekommen, auch umzusetzen, was auch sehr anstrengend ist.

Besser wäre, wir würden einfach Geld bekommen, damit wir das machen. Das verzögert natürlich ganz, ganz viele Prozesse.

Ulf

Auch Hendrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik sagt, dass die existierenden Förderprogramme zu bürokratisch seien.

Henrik Scheller

Kommunen spiegeln uns, dass es inzwischen zu viele Förderprogramme gibt. Die Programmlandschaft mit weit über 1000 Förderprogrammen ist einfach zu unübersichtlich. Viele, vor allen Dingen kleinere und mittlere Kommunen, können das überhaupt nicht mehr im Blick behalten. Die haben gar nicht die Manpower mehr, um zu schauen, welches Förderprogramm passt denn jetzt nun womöglich in der einen oder anderen Weise auf meine geplanten Investitionsvorhaben?

Wir müssen von diesem voller Dschungel tatsächlich wegkommen.

Philip

Also kurze Zwischenbilanz: Die Kommunen haben zu wenig Geld. Das Geld wird schlecht verteilt. Sie haben zu wenig Einfluss auf ihre Einnahmen, zu wenig Einfluss auf ihre Ausgaben. Sie haben quasi wenig Möglichkeiten, an ihrer eigenen Situation was zu ändern.

Ulf

Und wenn dann der Bund Geld zur Verfügung stellt, dann eben allzu oft über komplexe bürokratische Förderprogramme, anstatt quasi für eine ausreichende finanzielle Grundausstattung zu sorgen. Das ist natürlich politisch wiederum erklärbar. Der Bund will natürlich über diese Förderprogramme letztlich auch hineinregieren in die Kommunen. Er will natürlich sich da ein Mitspracherecht sichern, wofür Kommunen Geld ausgeben. Und das Argument ist dann immer: Das ist ja Geld des Bundes.

Aber die Kommunen würden da wiederum sagen Nein, das, dass das überhaupt Geld des Bundes ist, dass das Geld nicht in unseren Kassen von vornherein landet, ist einfach Ergebnis einer ungerechten Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Der Bund sollte einfach für eine vernünftige Grundausstattung sorgen.

Dann könnte man massiv Bürokratie abbauen, Bürokratie abbauen in den Kommunen, die ja eben diese komplexen Förderanträge schreiben müssen, aber natürlich auch auf der anderen Seite, in den Bundesbehörden zum Beispiel, die dann das Geld für diese Förderprogramme bewilligen. Auch dort könnte man massiv Bürokratie abbauen. Das scheint uns jedenfalls ein sehr pragmatischer Weg zu sein für bessere finanzielle

Grundausstattung. Und dann kann man sich diese Förder Bürokratie von 1000 Förderprogrammen jedenfalls zu einem erheblichen Teil auch sparen.

Philip

Ja, denn was die Kommunen als allerletztes brauchen, ist noch mehr Bürokratie für noch mehr Förderprogramme, denn die haben ja ohnehin schon zu wenig Leute, um selbst in vielen Fällen ihre Grundversorgung zu sichern, geschweige denn davon, irgendwelche Förderprogramme zu beantragen. Und auch das ist einer der Gründe für diesen Investitionsstau. Die Kommunen sagen, sie haben einfach nicht genug Personal.

Ulf

Und das hindert sie teilweise daran, sich schon für Förderprogramme zu bewerben. Aber es ist generell ein Problem, wenn es darum geht, Infrastrukturmaßnahmen umzusetzen. Auch das bestätigt der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums. Denn die Komplexität der Verfahren hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen. Während vor allem in den frühen 2000ern im Zuge der Haushaltskonsolidierung, neoliberale Welle, Personal sogar abgebaut

wurde. Und deswegen werden heute noch nicht mal alle Projekte umgesetzt, für die Geld da wäre, sagt wiederum Oberhausens Stadtkämmerer Tsalastras.

Apostolos Tsalastras

Wenn ich mir unseren Investitionshaushalt angucke, dann setzen wir davon 60 bis 70 % maximal um. Mehr schaffen wir gar nicht. Das liegt zum einen an fehlendem eigenen Personal. Wir haben natürlich auch Personal abgebaut in der Vergangenheit aufgrund der Finanzsituation, in der wir sind, sodass wir jetzt nicht über Massen an Personal verfügen, um wenn jetzt ein besonderer besondere Aufgaben auf uns zukommt, dass wir die sofort eins zu eins umsetzen können.

Philip

Also man muss dazu sagen, wie groß der Einfluss dieses behaupteten Personalmangels auf die Investition ist, ist umstritten. Katja Ritzer zum Beispiel vom IMK Ökonomin, sagt, das mit den Personal Kapazitäten als Investitionshemmnis höre sie oft aus den Kommunen, zum Beispiel in dem schon erwähnten Kommunal Panel. Aber sie könne es an einer Studie, die das genauer ansieht, bisher nicht wirklich bestätigen.

Ulf

Aber das bedeutet eben nur es ist nicht empirisch nachweisbar. Und es ist vielleicht auch nicht in allen Kommunen im gleichen Maße ein Problem. Bei unseren Recherchen für unser Buch ist uns das Problem aber immer wieder begegnet. Ja, viel zu wenig Geld. Aber es scheitert eben auch am Personalmangel, und zwar letzten Endes aus zwei Gründen. Zum einen, weil das Beantragen von Fördergeldern personalintensiv ist, aber auch die Betreuung von Investitionsprojekten.

Also das geht dann von der Planung bis zur Projektsteuerung. Das braucht ja alles Menschen, Ingenieurinnen zum Beispiel oder eben Projektmanager. Und da fehlt es in manchen Kommunen, jedenfalls an allen Ecken und Enden.

Philip

Das letzte Problem, was wir so identifiziert haben, ist, dass, wenn die Kommunen investieren, sie häufig gezwungen sind, zum falschen Zeitpunkt zu investieren. Also Investitionen in Deutschland werden eben nicht nur alleine durch Personal und Geldmangel verursacht, sondern das vorhandene Geld wird eben oft auch zum falschen Zeitpunkt ausgegeben. Und das kommt so.

Ulf

Wenn kein Geld in der Kasse ist, wird nicht investiert, geht ja nicht mehr. In der Folge bauen die Kommunen auch Personal ab. Also Personal für Planung und Steuerung von Investitionen.

Philip

Weil wird ja nicht gebraucht.

Ulf

In der Folge bauen dann natürlich auch Handwerksfirmen, Baufirmen zum Beispiel oder auch Architekturbüros Personal ab und sie lagern auch kein Material mehr ein, denn mit öffentlichen Investitionen ist ja gerade nicht zu rechnen. Dann bessert sich irgendwann die Haushaltslage wieder, zum Beispiel, weil die Konjunktur anspringt, die Gewerbesteuereinnahmen etwas steigen. Nun würde die Kommune gerne investieren, aber dann kann bei weitem nicht direkt alles gebaut werden, was man vorher vertagt hat.

Denn es fehlen Personal, Baustoffe, Handwerker an allen Ecken und Enden, wurde ja abgebaut. Und dann ist das Problem: Wenn die Wirtschaft brummt, dann will natürlich auch nicht nur der Staat bauen, sondern auch alle anderen. Dann gibt es Investitionen von Privatleuten, dann gibt es Investitionen von Unternehmen. Kurz: Die Nachfrage nach Bauleistungen im weitesten Sinne ist riesig. Also sind Handwerker und Baumaterial knapp und teuer. Die Kosten sind hoch, wenn überhaupt gebaut werden kann.

Die Kommunen bekommen also weniger für ihr Geld. Und das bedeutet, man quasi immer so mit dem Wirtschaftszyklus zu investieren. Das nennt man prozyklisches investieren. Und das will man eigentlich vermeiden.

Philip

Besser wäre antizyklisches investieren. Also wenn die Wirtschaft kriselt, dann bekommen die Kommunen mehr für ihr Geld, wenn sie in dieser Zeit bauen. Es wäre aber auch gut für die Wirtschaft, weil sie natürlich viel gleichmäßiger ausgelastet wäre. Also nicht nur dann, wenn irgendwie alle bauen, auch die privaten, sondern wenn die Wirtschaft kriselt, dann machen es die Privaten vielleicht nicht. Aber es wäre cool, wenn die Kommunen und der Staat die öffentlichen Kassen dann investieren würden.

Das würde vieles leichter machen, auch kontinuierlich Personal zu entwickeln. Und dafür muss aber Geld da sein, wenn die Wirtschaft schwächelt und alle anderen Kassen leer sind. Das ist der Casus Kaktus.

Ulf

Also braucht es neue Wege, um Investitionen in den Kommunen zu finanzieren. Das ist so unsere Zwischenanalyse. Die Einnahmen vieler Kommunen sind zu gering, die Einnahmen aller Kommunen schwanken enorm, die Kommunen haben kaum Einfluss auf ihre Einnahmen. Auch ist ein Großteil ihrer Ausgaben ihrem Einfluss entzogen. Das Geld geht eben weg für Sozialausgaben. Der politische Handlungsspielraum ist extrem begrenzt. Die Kommunen brauchen also eigene, besser sprudelnde Geldquellen.

Und diese Geldquellen oder Finanzierungsinstrumente mal ganz allgemein formuliert, die sollten idealerweise auch ein antizyklisches Investieren ermöglichen. Also gerade dann Geld auszugeben, wenn die Wirtschaft schwächelt.

Philip

Und woher dieses ganze Geld kommen kann, das gucken wir uns an im zweiten Teil unserer Sonderfolge Infrastruktur in Deutschland. Bröselnde Brücken und vielleicht auch ein paar Lösungen. Ich würde sagen, für den ersten Teil war's das.

Ulf

Genau. Wir danken ganz herzlich unserer Mitarbeiterin Maren Fußwinkel, die zu dieser Folge substanzielle Beiträge geleistet hat. Insbesondere hat sie fast alle der O-Töne organisiert, die ihr gehört habt. Hat das Interview zum Beispiel geführt mit dem Kämmerer Tsalastras und so und hat auch inhaltlich ganz viel beigesteuert. Ganz herzlichen Dank an Maren Fußwinkel an dieser Stelle.

Euch wünschen wir ein paar gute letzte Tage 2023 einen guten Rutsch, ein schönes Silvesterfest und schon mal alles Gute für 2024.

Philip

Und dann hören wir uns, wenn ihr mögt, im neuen Jahr wieder mit dem zweiten Teil unserer Sonder Folge zum Zustand und zur Finanzierung der Infrastruktur in Deutschland. Danke für euer Interesse, Danke für ein ganz, ganz ganz ganz tolles Jahr 2023.

Ulf

Macht es gut. Und bis bald. Tschüss.

Philip

Und tschüss.

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