Das Rätsel um Ovids Exil – Selbstinszenierung zwischen Wahrheit und Fiktion - podcast episode cover

Das Rätsel um Ovids Exil – Selbstinszenierung zwischen Wahrheit und Fiktion

Dec 13, 202429 min
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Summary

Diese Episode von Einfach Antike untersucht das rätselhafte Exil des römischen Dichters Ovid im Jahr 8 n. Chr. Es werden die Umstände seiner Verbannung, die Ungereimtheiten in seinen Schilderungen aus dem Exil und die möglichen Gründe für die Verbannung durch Kaiser Augustus diskutiert. Die Episode beleuchtet auch, wie Ovid sein eigenes Leben in ein literarisches Werk verwandelte.

Episode description

Im Jahr 8 nach Christus erhielt der römische Dichter Ovid eine niederschmetternde Nachricht. Ohne Prozess, ohne Beschluss des römischen Senats wurde ihm befohlen, Italien zu verlassen und in die Verbannung zu gehen. 

Vieles an dieser Verbannung ist rätselhaft. Auch aus dem Exil hat uns Ovid Briefe und Elegien hinterlassen, doch das Bild, das er von seinem Aufenthalt am Schwarzen Meer zeichnet, ist voller Widersprüche.

Und was war überhaupt der Grund für sein Exil? Wie kam es dazu, dass einer der bekanntesten und berühmtesten Dichter seiner Zeit vom Kaiser verbannt wurde? Auch hier stößt man auf zahlreiche Fragen.

In dieser Folge unterstützt uns Sophia vom Podcast "Das Chaos und seine Kinder". Wenn ihr euch für antike Mythologie begeistert, solltet ihr unbedingt bei ihr vorbeischauen. Sie stellt die faszinierenden Geschichten der griechisch-römischen Sagenwelt lebendig und packend vor:

https://chaoskinderpodcast.wordpress.com

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Zum Weiterlesen:

  • Michael von Albrecht, Ovid. Eine Einführung, Stuttgart 2003
  • Niklas Holzberg, Ovid – Gedichte aus der Verbannung. Eine Auswahl aus "Tristia" und "Epistulae ex Ponto" lateinisch/deutsch, Stuttgart 2013

Transcript

Im Jahr 8 nach Christus erhielt der römische Dichter Ubit eine niederschmetternde Nachricht. Ohne Prozess Ohne Beschluss des römischen Senates wurde ihm befohlen, Italien zu verlassen und in die Verbannung zu gehen. Ovid war schon zu Lebzeiten einer der bekanntesten und am meisten gefeierten Dichter Roms.

Seine Liebesdichtung war ein Erfolg gewesen und sein mythologisches Hauptwerk, die Metamorphosen, zählt noch heute zu den meistgelesenen Werken der Antike. Viele Aspekte rund um das Exil des berühmten Dichters sind bis heute von Rätseln umgeben. Wie kam es dazu und warum gibt es so viele Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten? Und was genau verraten uns Ovis Werke, die er noch aus der Verbannung schrieb? Und damit willkommen zurück zu einer neuen Folge unseres Podcasts bei Einfach Antike.

Zunächst mal ein paar Worte zu Ovid, also über wen wir hier überhaupt reden. Ovid war ein römischer Dichter und lebte von 43 vor Christus bis vermutlich 17 nach Christus. Bekannt ist er auch heute noch vor allem für ein Werk. Wenn man sich für antike Mythologie interessiert, wird man nämlich früher oder später über seinen Namen stolpern. Er ist der Verfasser der Metamorphosen. Dabei handelt es sich um ein Epos in 15 Büchern, in denen er mythologische Geschichten bearbeitet und erzählt.

Das Werk heißt Metamorphosen, weil Ovid diese mythologischen Geschichten als Verwandlungsgeschichten erzählt. Das heißt, am Ende einer jeden Geschichte steht eine wie auch immer geartete Verwandlung. Ein einfaches Beispiel wäre die Geschichte von Akteon. Der ist Jäger und stolpert aus Versehen bei einem seiner Jagdzüge in eine Szenerie hinein, in der die Götin Diana gerade ein Bart nimmt.

Sie ist verständlicherweise nackt dabei. Und zur Strafe dafür, dass Akteon die Göttin nackt gesehen hat, wird er in einen Hirsch verwandelt. und später von seinen eigenen Hunden zerrissen. Von diesen Verwandlungsgeschichten erzählt Ovid um die 250 Stück in seinem Werk und sie sind ziemlich kunstvoll ineinander verschachtelt oder schließen aneinander an. Die Metamorphosen werden daher auch heute noch gerne gelesen.

Sie hatten auch eine große Nachwirkung in der neuzeitlichen europäischen Literatur und Kunst. Aber um dieses Werk soll es heute nicht gehen, sondern um den Dichter selbst. Genauer, um den letzten Abschnitt seines Lebens, um die Verbannung. Genau, denn Ovid wurde im Jahr 8 nach Christus von Kaiser Augustus ins Exil geschickt.

Das römische Recht unterschied mehrere Formen einer Verbannung und hier handelte es sich genau genommen um eine sogenannte Relegatio. Das bedeutet, Ovid durfte sein Vermögen und sein Bürgerrecht behalten. Er musste aber auf Befehl des Kaisers Rom bzw. Italien verlassen und einen kleinen Küstenort am Schwarzen Meer aufsuchen, Tomi, das heutige Konstanzer in Rumänien. Dort starb er dann vermutlich im Jahr 17 nach Christus. Genau wissen wir es nicht, da sein Todesjahr nirgendwo bezeugt ist.

Aber aus seinen Werken, die er noch aus der Verbannung schrieb, kann man zurückschließen, dass er nach dem Jahr 17 nicht mehr lebte. Oder zumindest nichts mehr verfasste. Und das ist auch ein wichtiger Punkt, denn ein Problem bei Ovids Exil ist die Quellenlage. Das alles, was du gerade erzählt hast, wissen wir nur von Ovid selbst. Es gibt keine andere zeitgenössische Quelle für Ovids Exil. Genau und das hat gewisse Folgen gehabt.

Denn da stellt sich eine ganze Reihe von Fragen. Was war der Grund für das Exil? Wie glaubhaft sind Ovids Schilderungen aus dem Exil? Und man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen, wenn keine andere Quelle dieses Exil bestätigt. Hat es das vielleicht überhaupt gar nicht gegeben? Und das sind die Fragen, denen wir heute mal nachgehen wollen. Aber zum Einstieg wollen wir Ovid erst mal selbst zu Wort kommen lassen.

Du hast es ja gerade schon mal erwähnt, er hat auch noch aus der Verbannung weiter Werke verfolgt. Dabei handelt es sich einmal um Elegien, also Klagegedichte, und einmal um eine Sammlung an Briefen, also literarischen Briefen. Das heißt, das sind keine Briefe, wie man sie normalerweise so schreiben würde. Sie sind in Versform verfasst und auch ansonsten sehr stark literarisch ausgestaltet. Möglicherweise hatte Ovid den einen oder anderen davon sogar wirklich abgeschickt.

Also einen Brief in Versform zu schreiben, das würde man ja einem Schriftsteller durchaus zutrauen. Gedacht waren sie aber eigentlich für eine breite Leserschaft. Dass diese Briefe sich teilweise an einen konkreten Adressaten richten, könnte man fast schon als nebensächlich betrachten. Sie waren nur oberflächlich an die jeweilige Person gerichtet.

haben aus seinen elegien mal drei textauszüge herausgesucht und zusammengefasst in denen das leben und die leute beschreibt unter denen er jetzt leben muss Schlecht geht es mir. Das ist die kurze Zusammenfassung meines Elends.

Und jedem, der den Kaiser beleidigt hat und noch lebt, wird es so gehen. Du möchtest erfahren, wie die Menschen in der Region um Tomi sind und unter welchen Sitten ich lebe? Auch wenn diese Gesellschaft aus Griechen und Gethen gemischt ist, So hat sie äußerlich mehr von den schlecht zivilisierten Geten. Eine größere Anzahl Sarmaten und Geten reitet auf Pferden durch die Straßen hin und her. Darunter ist keiner, der nicht Köcher und Bogen sowie Pfeile trägt, die vom Schlangengift gelb sind.

Sie haben eine raue Stimme, ein finsteres Gesicht, ein echtes Abbild des Kriegsgottes Mars. Ihr Haupthaar, ihr Bart ist nicht gestuppt. Die rechte Hand ist schnell darin, jemanden mit dem Dolch zu durchbohren, den jeder Barbare an seiner Seite trägt. Unter solchen Leuten lebt dein Dichter nun. Die Liebesdichtung hat er schon völlig vergessen. Ein solcher Anblick bietet sich ihm. Solche Dinge hört er.

wenn er doch unter ihnen nur leben und nicht sterben müsste und wenigstens sein Totengeist dereinst fern von diesem verhassten Ort wäre. Ich beschäftige meinen Verstand mit Arbeit, versuche mir meinen Schmerz auszureden und meine Sorgen zu betrügen. Was soll ich auch anderes machen, allein an einem verlassenen Ort? Oder welche andere Abhilfe soll ich zu finden versuchen? wenn ich mir die Gegend anschaue.

Sie ist überhaupt nicht liebenswert und es gibt auf der ganzen Welt keinen Ort, der trostloser wäre. Wenn ich mir die Leute anschaue, es sind Menschen, die kaum diese Bezeichnung verdienen. noch wilder als Wölfe. Sie fürchten keine Gesetze, vielmehr weicht die Gerechtigkeit. Das Recht liegt besiegt unter dem kampflustigen Schwert danieder. Mit Fellen und locker an den Beinen liegenden Hosen schützen sie sich vor der Kälte, die ungepflegten Gesichter werden von langen Haaren bedeckt.

Einige wenige beherrschen noch die Reste der griechischen Sprache, aber auch die klingen schon wie die getische Barbarensprache. Niemanden gibt es hier. Wenn es doch jemanden gibt, der sich an den Namen Oviz erinnert, der euch entrissen wurde und dieser Name ohne mich in der Stadt noch bekannt ist, soll er wissen, dass ich in fremden Landen lebe, unterhalb des Sternbilds, das nie das Wasser berührt. Die Sauromaten umgeben mich, Die Bessen und Geten, was für Namen unwürdig meines Genies.

Solange die Temperaturen angenehm sind, werden wir durch die Donau geschützt, die zwischen uns liegt. Sie wehrt mit ihren flüssigen Wassern Kriegszüge ab. Aber wenn der düstere Winter sein starres Gesicht zeigt, die Erde von marmornen Frost ganz weiß... dass man sich im Freien aufhält, dann steht der Fluss diesen Völkern offen, sodass sie ihn mit ihren Wagen befahren können.

Der Schnee liegt hier unberührt und nicht einmal Sonne oder Regen lösen ihn auf, denn der Nordwind härtet ihn und macht ihn beständig. Wenn der erste noch nicht mal geschmolzen ist, kommt daher schon der nächste, und an vielen Orten bleibt er so zwei Jahre lang liegen. Die Kraft des Nordwinds ist so stark, wenn er entfesselt ist, dass er hohe Türme dem Erdboden gleichmacht und Dächer abdeckt. Mit Fellen und zusammengenähten Hosen wehren die Leute.

als einzige Körperteile unbedeckt. Oft klirren die Haare vom Eis, wenn sie sich bewegen, und der Bart leuchtet weiß vom Frost. Der Wein bleibt ohne Umhüllung stehen und behält die Form seines Gefäßes. Sie trinken den unverdünnten Wein nicht, sondern lutschen ihn in Brocken. Ich brauche wohl nicht zu erzählen, dass die Flüsse in der Kälte zufrieren und dass man Wasser aus den Seen heraushackt. Selbst die Donau, die nicht schmaler ist als der Nil und sich in vielen Mündungen ins Meer ergießt,

friert zu, wenn die Winde ihr blaues Wasser erhärten und schlängelt sich mit ihren Fluten, die nun eine Decke tragen, ins Meer. Wo sonst Schiffe fuhren, bewegt man sich zu Fuß fort. und auf die vom Frost festgewordenen Wellen trampeln die Hufe von Pferden.

Die Stimme, die ihr gerade gehört habt, ist übrigens die von Sophia aus dem Podcast Das Chaos und seine Kinder. Sie hat sich freundlicherweise bereit erklärt, den Text für uns einzulesen und deswegen an dieser Stelle ein großes Dankeschön an Sophia.

Und wenn ihr euch für die griechisch-römische Mythologie interessiert, dann hört doch gerne mal bei ihr rein, denn in ihrem Podcast erzählt sie mythologische Geschichten anschaulich und spannend nach. Den Link zu Das Chaos und seine Kinder setzen wir euch natürlich in die Shownotes. Wenn man sich also den Text von Ovizo anschaut, dann war sein Aufenthalt in Tommy am Schwarzen Meer also nicht so besonders beraut.

Ja, kann man so sagen. Wenn man es auf den Punkt bringen will, das Klima ist rau, die Landschaft ist unwirklich und die Menschen sind mehr oder weniger so halb zivilisierte Barbaren. Man muss aber ein großes Aber dahinter setzen. Wer schon mal zufällig in Rumänien war oder einigermaßen fit in Geografie ist, wundert sich jetzt vielleicht ein wenig über Ovids Schilderungen.

Von seiner geografischen Lage befindet sich Tomy, also das moderne Constanza, nämlich auf einem ähnlichen Breitengrad wie Rom. Ich habe das mal nachgeschaut. Das Klima ist dort ziemlich gemäßigt und selbst im Januar liegen die Temperaturen dort im Schnitt tagsüber deutlich über dem Gefrierpunkt. Dazu kommt noch ein zweiter Aspekt. Tomi war eine griechische Kolonie. Das bedeutet, Ovid befand sich keineswegs nur unter Fremden. Es gab auch eine große Gruppe griechischsprachiger EinwohnerInnen.

Das deutet Ovid in dem Text, den wir gehört haben, auch an. Aber er lässt es so aussehen, als wäre von dieser griechischen Kultur so gut wie gar nichts mehr übrig durch den kulturellen Einfluss der benachbarten Völker. Ovid beschreibt also unter anderem seinen Aufenthalt am Schwarzen Meer und das jetzt nicht gerade in den schönsten Farben. Seine Briefe umfassen jedoch vier Bücher, seine Elegien nochmal fünf.

Es geht darin ja sicher nicht nur ums Wetter. Worum geht es denn noch in Ovids Verbannungsliteratur? Die Themen sind recht breit gestreut. Ovid beschreibt seinen Abschied von Rom und seine Reise ins Exil. Als er den Befehl erhält, in die Verbannung aufzubrechen, beschreibt er die Trauer, die bei seiner Frau und seinen Freunden ausbricht. Die Stimmung sei wie bei einem Begräbnis gewesen. Er beschreibt die schlaflose Nacht vor seinem Aufbruch und wie schlechte Omina seine Abreise verzögerten.

Er aber auch selbst immer wieder Gründe sucht, den Aufbruch zu verzögern. Seine Reise führt ihn dann erst über Land auf die andere Seite Italiens an die Adria-Küste. Von dort fährt er mit dem Schiff nach Korinth. überquert die Landbrücke zur Ägäis und steigt erneut auf ein Schiff.

Zwischendurch gibt es natürlich den einen oder anderen schweren Sturm, der ihn in Gefahr bringt und sogar sein Leben bedroht. Er segelt an der Küste entlang Richtung Osten, dreht dann aber wieder um und geht in Thrakien an Land. Seinen Weg nach Tome setzt er über Land durch das heutige östliche Griechenland und das heutige Bulgarien und Rumänien fort, während sein Schiff seine Habseligkeiten weiter über das Meer transportiert.

Leider können wir jetzt hier im Podcast keine Karte einblenden. Teilweise ergibt seine Route Sinn. Aber warum segelt er am Ende erst nach Osten? Kehrt dann wieder um und setzt seine Reise über Land fort. Ja, das klingt etwas merkwürdig, aber es gibt mögliche Erklärungen. Ovid sagt, dass seine Begleiter unzuverlässig seien und deutet an einer Stelle an, sein Leben sei in Gefahr. Vielleicht spielte diese Gefahr eine Rolle für die Änderung seiner Route.

Und dann gibt es noch eine mögliche Erklärung, die in eine ganz andere Richtung geht. Was wir vor uns haben, ist ein autobiografischer Text. Dass man es da mit subjektiven Schilderungen zu tun hat, muss man wohl nicht erklären. Man kann aber noch einen Schritt weiter gehen, denn es handelt sich ja nicht um eine reine Beschreibung, sondern um Dichtung. Das, was Ovid hier abliefert, ist ein hochgradig poetischer Text.

Er streut bewusst immer wieder Anklänge an große mythologische Figuren wie Aeneas oder Odysseus ein. Sein Schicksal sei sogar schlimmer als das des Odysseus, sagt er an einer Stelle. Auch die Sturmbeschreibungen erinnern in ihrer Gestaltung sehr stark an mythologische Werke wie die von Vergil oder Homer. Das heißt, vielleicht haben wir es hier gar nicht mit einer realistischen Darstellung der Reiseroute zu tun.

Sowas ähnliches hatten wir eben auch schon mal bei der Beschreibung von Ovids Leben im Exil. Seine Schilderungen sind höchstwahrscheinlich maximal literarisch gestaltet, wenn man es so neutral formulieren möchte. Will man es kritisch formulieren, müsste man sagen, es ist alles maximal übertrieben und verzerrt. Immerhin findet Ovid einen gewissen Trost in seiner Dichtung. Ja, das stimmt. Aber auch seine sozialen Beziehungen, um das mal so zu nennen, spielen in der Exilliteratur eine große Rolle.

Briefe sind ja seine einzige Möglichkeit mit den Menschen, die er liebt oder mag, in Verbindung zu bleiben. Das stimmt natürlich. Also er richtet sich mehrfach in seinen Elegien und Briefen auch an seine Frau, die in Rom zurückgeblieben ist. Er leidet darunter, dass seine Frau jetzt mit dem gesellschaftlichen Makel leben muss, dass sie die Frau eines Verbanden ist. Überhaupt ist es für ihn schrecklich, dass seine Frau durch die Trennung für etwas leiden muss, was Ovids Schuld ist.

Und er zitiert einige berühmte mythologische Paare, die ebenfalls getrennt wurden, wie zum Beispiel Andromache, Hektors Frau aus der Ilia. Der Haken daran, diese Paare wurden durch den Tod getrennt. Und an einer Stelle sagt Ovid dann auch relativ deutlich, dass er nicht davon ausgeht, dass er seine Frau jemals wiedersehen wird.

Was seine Freunde und Bekannten angeht, gibt es eine ganz interessante Beobachtung im Verlauf seines Werks. In den Elegien werden sie in der Regel nicht persönlich genannt oder angesprochen, weil sie Repressionen durch den Kaiser befürchten müssen, wenn der Kontakt bekannt wird.

In den Epistole ex ponto, also dem zweiten Teil der Exilliteratur, dreht sich das komplett um. Hier werden die meisten Adressaten mit Namen genannt und nur wenige bleiben anonym, weil sie weiter darauf beharren, nicht mit Ovid öffentlich in Verbindung gebracht zu werden.

Natürlich erhofft sich Ovid von seinen Freunden auch Hilfe, indem sie auf die öffentliche Meinung in Rom oder den Kaiser direkt einwirken, aber hauptsächlich beschwört Ovid immer wieder die Treue seiner Freunde und verdeutlicht, wie viel ihm das bedeutet. Und auch hier zitiert er wieder berühmte mythologische Freundespaare, wie zum Beispiel Orest und Pylades.

Ein weiteres Thema ist natürlich sein Verhältnis zum Kaiser und der Grund für seine Verbannung. Warum musste so eine berühmte Persönlichkeit wie Ovid, ein Star seiner Zeit, eigentlich Rom verlassen? Warum hat der Kaiser ihn verbannt? Ja, das ganze zweite Buch seiner Elegien richtet sich ausschließlich an Augustus. Worum geht's da? Man kann es vielleicht so zusammenfassen. Ovid tritt als Bittstelle auf und fleht Augustus geradezu an, ihn zu begnadigen und wieder nach Rom zurückzuholen.

Er kommt dabei auch auf die Gründe für seine Verbannung zu sprechen und versucht ihm klarzumachen, dass das quasi Alles doch gar nicht so schlimm gewesen sei, was er getan hat. Was hat er denn nun getan? Das ist die Frage, über die sich die Forschung seit Jahrhunderten den Kopf zerbricht. Es gibt unzählige Annahmen, Hypothesen, Vermutungen. Ovid selbst nennt den Grund nirgendwo. Und auch abseits von Ovid gibt es eben keine antike Quelle, die Licht ins Dunkel bringen könnte.

Stattdessen deutet Ovid aber an sehr vielen Stellen immer mal wieder irgendwas an. Das ist, als ob er seine LeserInnen quälen wollte. Er wirft uns immer mal wieder was hin, aber es gibt nie eine eindeutige Äußerung von ihm. Angeblich liegt das daran, dass er nicht darüber reden dürfe. So begründet er jedenfalls selbst seine kryptischen Andeutungen. Okay, werfen wir trotzdem einen Blick auf diese Andeutungen. Ja, sehr gerne. Also Ovid spricht von Carmen et Error. Das heißt, ein Gedicht...

Und ein Fehler seien die Ursache für seine Verbannung gewesen. Es gibt also zwei Gründe für seine Verbannung, auch wenn diese beiden Gründe möglicherweise in einem Zusammenhang stehen. Mit dem Gedicht ist vermutlich seine Ars Amatoria gemeint. Dabei handelt es sich um ein Werk aus seiner frühen Schaffensperiode, das so etwas wie ein Leitfaden für die Liebeskunst ist. Das heißt, Ovid beschreibt darin, wie ein Mann eine Frau kennenlernt, für sich gewinnen und behalten kann.

es geht durchaus auch um sexuelle aspekte aber die stehen nicht im vordergrund Als das Werk in Rom zu einem Erfolg wurde, ließ er einen weiteren Band folgen, in dem er das Ganze aus weiblicher Perspektive dargestellt hat. Okay, das klingt jetzt aber erstmal noch nicht nach einem Werk, für das ein Dichter ins Exil gehen sollte.

Nein, also wenn die Ars Amatoria bei der Verbannung eine Rolle spielte, dann war sie eher ein willkommener Anlass. Dass die Ars Amatoria hier überhaupt so in den Fokus rückt, liegt an Ovitz selbst. Denn der deutet das in seinem Bitttext an Augustus recht deutlich an. Fakt ist, die Ars Amatoria ist schon, um mal dieses Wort zu benutzen, ein frivoles Werk. Es ist aber nicht obszön.

Das kann man, denke ich, kaum sagen. Aber es passte nicht ganz zu Augustus' gesellschaftlichen Konservatismus. Die traditionellen Werte der römischen Ehe waren ein wesentlicher Bestandteil seines politischen Programms. Die Ars Amatoria wirkt da eher so ein bisschen fehl am Platz.

Aber man merkt schon an meinen Formulierungen, ein bisschen und eher, so ganz nachvollziehbar ist das eigentlich nicht. Ich persönlich würde sagen, da hat Ovid schon recht, so schlimm kann das ja alles gar nicht gewesen sein. Dazu kommt noch, das Werk war jahrelang im Umlauf, bevor es aus Roms öffentlichen Bibliotheken entfernt wurde.

Aber man kann durchaus auch Ovids weitere Werke mit einbeziehen, dann wird das Bild vielleicht ein bisschen klarer. In Ovids früher Schaffensperiode drehen sich noch weitere Werke um Liebe, Verführung und auch um Erotik. Das wären dann vor allem die Amoris, also Liebesgedichte und die Remedia Amoris, was man mit Heilmittel gegen Liebe oder Liebeskummer übersetzen könnte.

Und dann gibt es noch ein weiteres großes Thema für Ovid und das ist die Mythologie. Auch die Metamorphosen, über die wir ja am Anfang schon mal kurz gesprochen haben, sind in gewisser Weise ein anstößiges Werk. aber in einer anderen Hinsicht als die Liebesdichtung. Wie gesagt, Augustus trat mit einem politischen Programm an, das auf Restauration römischer Werte setzte. In Ovids Metamorphosen geht es die ganze Zeit um den Wandel in der Welt. Nichts bleibt so wie es ist.

Man bekommt hier insgesamt den Eindruck, dass hier ein progressiver Dichter gegen den konservativen Zeitgeist des Augustus anschreibt. Auch wenn man mit solchen Einordnungen immer ein bisschen vorsichtig sein muss, weil das moderne Konzepte und Begriffe sind. Jedenfalls macht er das sehr geschickt, denn Ovid kritisiert den Kaiser nirgendwo offen.

Das alles könnte den Hintergrund gebildet haben für den eigentlichen Verbannungsgrund. Oder anders formuliert, Ovid war vielleicht nicht gerade der beliebteste Autor im Kaiserhaus. Aber er war zu klug, sich direkt mit dem Kaiser anzulegen. Fehler beging, wie er es selbst ausdrückt, war das ein bekommener Anlass für Augustus, den missliebigen Schriftsteller loszuwerden. Aber dieser Error, wie Ovid es sagt, ist für uns auch nicht wirklich gut greifbar.

Fehler deckt als Übersetzung übrigens nur einen Teil des lateinischen Begriffs ab. Error kann auch Irrung bedeuten, eine Fehleinschätzung oder ähnliches. Jedenfalls sagt Ovid an mehreren Stellen, dass er etwas gesehen habe, was er nicht hätte sehen dürfen. Und das ist so ziemlich alles. An anderer Stelle betont er noch, dass diese Beobachtung unabsichtlich geschehen sei und bringt einen auffälligen mythologischen Vergleich. Und die Stelle zitiere ich deswegen mal.

Warum habe ich etwas gesehen? Warum habe ich meine Augen schuldig gemacht? Warum wurde mir eine Schuld bekannt, ohne dass ich es erahnte? Aus Unwissenheit sah Akteon die Göttin Diana ohne Kleidung. Trotzdem wurde er für seine Hunde zur Beute. Das ist die Stelle, an der Ovid am deutlichsten über seinen Fehler spricht. Wir erfahren außerdem noch, dass er von einer Schuld erfahren hat.

Und dann erwähnt er diese Akteon-Geschichte, über die wir am Anfang schon mal kurz gesprochen haben. Ovids Version der Geschichte zeichnet sich übrigens dadurch aus, dass Akteon aus Versehen in diese Szenerie hinein stolpert, in der die Göttin nackt ist. Das ist nicht in allen antiken Bearbeitungen der Geschichte so. In einigen ist es auch Absicht.

Man bekommt also das Gefühl, dass Ovid hier durch diese mythologische Geschichte etwas andeuten will. Die Menschen in der römischen Oberschicht zu seiner Zeit haben die Andeutung möglicherweise auch verstanden. Wir heute stehen aber vor einem großen Fragezeichen. Spekulationen gibt es genug. Die einfachste. Ovid hat eine weibliche Person des Kaiserhauses aus Versehen nackt gesehen.

Dass sowas als Verbannungsgrund dienen kann, ist ziemlich unwahrscheinlich. Wir sprechen hier über Rom zur Zeit des Augustus und nicht über Nordkorea. Nächste Variante. Ovid hat eine Frau aus dem Kaiserhaus bei einer wie auch immer gearteten sittlichen Verfehlung beobachtet, zum Beispiel Ehebruch. Damit entfernt man sich allerdings schon deutlich von der Akteon-Geschichte. Und die letzte Variante, Ovid war Mitwisser einer Intrige im Kaiserhaus.

Das hätte dann mit der Akteon-Geschichte gar nichts mehr zu tun. Aber immerhin könnte es sich immer noch um eine unwissentliche Beobachtung von irgendwas handeln. Ovid hat sich, wie er betont, aber nirgendwo selbst schuldig gemacht. Dass er also selbst mit einer Frau aus dem Kaiserhaus was am Laufen hatte oder selbst in eine Intrige eingebunden war, können wir ausschließen. Zumindest nach dem, was Ovid uns sah.

An der Stelle wäre es also sehr hilfreich, wenn wir eine andere Quelle aus der Antike hätten, die uns dazu etwas sagen könnte. Ja, und die fehlt uns. Es kommt aber noch härter. Es gibt aus der Antike gar keine Quelle, die das Exil überhaupt erwähnt. Es kommt nur bei Ovid selbst vor. Das ist ja auch schon auffällig. Auf jeden Fall. Es gibt ja etliche Quellen zu Augustus, aber keine davon erwähnt Uvids Exil.

Das hat in der modernen Forschung sogar zu der These geführt, dass es Ovids Exil vielleicht gar nicht gegeben habe. Okay, ist das glaubwürdig? Ich mache es kurz, nein. Das würde bedeuten, dass Ovid insgesamt neun Bücher Exilliteratur verfasst haben soll, während er in Rom saß. Und dass er den Kaiser darin öffentlich mit Bitten und Flehen überhäufte, ein nicht vorhandenes Exil zu beenden. Da stellt sich schon die Frage, wozu? Also welchen Sinn soll das gehabt haben?

Seinem Publikum hätte eine neunbücherlange Litanei über das Grauen des Exils wohl kaum auf Dauer gefallen. Und Augustus wäre er damit ziemlich sicher gewaltig auf den Wecker gegangen. Diese Fragen bzw. Probleme müsste man schon sehr schlüssig beantworten oder aus dem Weg räumen, wenn man die These weiterverfolgen wollte.

Es bleiben natürlich die Ungereimtheiten, von denen man einige nie wird abschließend erklären können, wie zum Beispiel den Grund für das Exil. Die Tatsache, dass es sich um hochliterarische Texte handelt, erklärt aber sehr gut, warum Ovid sein Exil so beschreibt, wie er es beschreibt. Natürlich war die Landschaft am Schwarzen Meer längst nicht so trostlos und die Menschen mit Sicherheit auch nicht so roh und unzivilisiert, wie Ovid das darstellt. Das spielt aber für ihn auch keine Rolle.

Was kann man also aus dieser ganzen Geschichte um Ovid, sein Exil und seine Exilliteratur mitnehmen? Viele Fragezeichen, würde ich sagen. Ihm ist es sehr kunstvoll gelungen, über sein Exil zu schreiben und dabei auch immer wieder Andeutungen zur Ursache und zum Grund zu machen, ohne an irgendeiner Stelle explizit zu werden. Aber ich finde noch einen zweiten Aspekt ziemlich spannend und dafür muss man vielleicht das Ganze mal in den Blick nehmen.

Ovid wurde ins Exil geschickt und hat sich trotzdem nicht von seiner schriftstellerischen Tätigkeit abbringen lassen. Im Gegenteil, er nutzt das, was ihm da widerfahren ist, sogar als Inspiration für seine Dichtung. Im Grunde kann man fast sagen, er hat einen Teil seines Lebens selbst zu einem literarischen Werk gemacht. Und das ist in der Form neu. Ovid ist der erste Autor, der sein Leben ganz offen ins Zentrum seines literarischen Schaffens rückt.

Er geht aber noch einen Schritt weiter. Er schreibt nicht einfach nur auf, was er erlebt hat. Er gestaltet das Ganze zu einem komplexen Werk, das mit mythologischen Bezügen durchsetzt ist und mit Gattungstraditionen spielt. Und wie wir am Beispiel der geografischen und ethnologischen Schilderungen gesehen haben,

Was nicht passt, das macht er passend, um ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen. Das, was Ovid uns da präsentiert, ist im Grunde genommen seine eigene letzte Welt, in der die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Aber so lässt er uns ziemlich plastisch teilhaben an dem sicherlich für ihn persönlich sehr traurigen und leidvollen letzten Kapitel seines Lebens.

Das Prinzip kennen wir aus der modernen Zeit sicherlich auch von vielen KünstlerInnen, ob jetzt in der Musik, im Film oder sonst wo. Eigentlich gehört es ja heute schon fest dazu, auch abseits vom eigentlichen Betätigungsfeld ein Image zu erzeugen und Fans am eigenen Leben teilhaben zu lassen.

Auch wenn jetzt heute dafür selten jemand erst ins Exil gehen muss. Ja, aber dafür werden sie vielleicht entmündigt und von Familienangehörigen ausgebeutet. Alles schon da gewesen, aber das nur am Rande. Ja, stimmt. Free Britney und so. Aber im Kleinen gibt es das ja auch. Jeder persönliche Social Media Account ist im Grunde ja auch so ein kleines Kunstwerk, in dem man sein Leben öffentlich macht und dabei auswählt, Dinge weglässt.

Oder ein kleines bisschen anders darstellt, als es in Wirklichkeit war oder ist, um eben ein Bild von sich selbst zu erzeugen. Echt? Würde ich nie tun. Natürlich nicht. Ich auch nicht. Meine ganzen nicht vorhandenen Social-Media-Profile sind alle super realistisch.

Na dann, damit sind wir auf jeden Fall am Ende unserer Folge über Wied, den Dichter im Exil, angekommen. Wenn euch die Folge gefallen hat, ihr wisst schon, lasst gerne ein Like oder ein Abo da. Und besucht uns auch gerne mal auf unserem YouTube-Kanal oder auf einfach minus. Und wenn ihr immer up to date bleiben wollt, was unsere Inhalte angeht, abonniert gerne auch unseren Newsletter.

Wir wünschen euch auf jeden Fall schöne Festtage, kommt gut ins neue Jahr und wir hören uns dann im Januar 2025 wieder. Bis dahin. Ciao.

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