Mord mit der Schrotflinte: Verbrechen wie im Fernseh-Krimi - podcast episode cover

Mord mit der Schrotflinte: Verbrechen wie im Fernseh-Krimi

Mar 21, 202542 minEp. 145
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Episode description

Innerhalb kurzer Zeit wurden zwei Menschen durch Schüsse mit der Schrotflinte umgebracht. Wie die Rechtsmedizin dazu beigetragen hat, die Fälle aufzuklären, hören Sie in der neuen Folge unseres True-Crime-Podcasts "Dem Tod auf der Spur"

Transcript

Dem Tod auf der Spur. Spannende Fälle aus der Hamburger Rechtsmedizin. Der Crime-Podcast vom Hamburger Abendblatt. Moin und herzlich willkommen zu unserem Crime-Podcast des Hamburger Abendblattes. Ich bin Bettina Mittelacher, Gerichtsreporterin beim Abendblatt. Und bei mir im Podcast-Studio ist Rechtsmediziner Klaus Püschel. Er ist der Mann, der die Toten versteht. Moin Bettina, auch von mir ein Hallo an die Hörer.

Ja, üblicherweise kann ich bei Toten herausfinden, woran sie gestorben sind. Dafür bin ich da. Dabei kann ich inzwischen auf fast fünf Jahrzehnte Erfahrung in der Rechtsmedizin zurückgreifen. Häufig finden sich an den Toten, die gewaltsam ums Leben gekommen sind, auch Hinweise auf den Täter. Das können zum Beispiel charakteristische Verletzungen sein, die auf ein bestimmtes Tatwerkzeug hindeuten.

Es können auch spezielle spurenkundliche Befunde sein, wie Haare, Blut, Spermien, bei denen wir dann durch Abstriche DNA des Täters nachweisen können. Und wir können dann auch aus bestimmten Verletzungsmustern Rückschlüsse auf den Täter gewinnen, beispielsweise im Hinblick auf seine Körpermaße und seine Bewegungsmuster. Klaus, du sprachst eben von bestimmten Verletzungsmustern. Das ist für den besonderen Fall, mit dem wir uns heute befassen wollen, ein gutes Stichwort.

Denn bei den beiden Opfern, die Ende des Jahres 2002 bzw. Anfang 2003 in Hamburg starben, kam eine besondere Waffe zum Einsatz, nicht wahr? Genau, das ist richtig. Beides waren Tötungsdelikte, die hier bei uns in Hamburg stattfanden. In einem Fall wurde eine 38 Jahre alte Frau ermordet. Das andere Opfer war ein 37 Jahre alter Mann. Und das Besondere, bei beiden Taten nutzte der Mörder eine Schrotflinte. Eine Schrotflinte.

Nun haben wir in unserem Podcast in den vergangenen Jahren bald 150 Fälle besprochen. In sehr vielen ging es um Mord oder Totschlag, aber eine Schrotflinte kam nach meiner Erinnerung in keinem der Fälle zum Einsatz. Nun, Schussverletzungen gibt es natürlich vergleichsweise häufig, aber Tötungsverbrechen, die mit einer Schrotflinte verübt werden, sind tatsächlich sehr selten. Ich finde, das kommt im Fernsehen sogar häufiger vor als in der Praxis.

Man sieht ja dort zumindest auch öfter mal jemanden, der mit einer solchen Waffe hantiert oder droht. Aber im wirklichen Leben, da haben Morde mit einer Schrotflinte echt seltenheitswert. In dem Fall, dem wir uns heute widmen wollen, deutete bald vieles darauf hin, dass sich bei beiden Verbrechen derselbe Täter ans Werk gemacht hatte. Seine Handschrift war doch prinzipiell die gleiche. Das war tatsächlich derselbe Modus operandi. Ja, das wollte ich gerade fragen. Derselbe Modus operandi.

Und war es nicht vielleicht auch so, dass möglicherweise mit derselben Waffe geschossen wurde? Genau, so war das. Aber dann lass uns doch erstmal darstellen, was hier im Einzelnen passiert ist, Bettina. Unbedingt. Also es gab in Hamburg Ende 2002 und zu Beginn des Jahres 2003 zwei kaltbrütige Morde im Abstand von zwei Monaten. Beide scheinbar ohne Motiv. Das erste Opfer war eine Frau, die im Hamburger Stadtteil Stellingen getötet wurde.

Das andere Opfer war ein Supermarkt-Filialleiter, dessen Leichnam im Volkspark in Hamburg gefunden wurde. Sofort fiel bei beiden Verbrechen eine Parallele auf. Beiden Opfern wurde mit einer Schrotflinte ins Gesicht geschossen. Klaus, erzähl doch mal bitte unseren Hörern, was ist das Besondere an einer Schrotflinte? Wohin funktioniert die überhaupt? Also im legalen Gebrauch wird Schrotmunition insbesondere für die Jagd verwendet. Also Schrotgewehre werden bei der Jagd eingesetzt.

Diese besonderen Waffen finden allerdings auch Einsatz bei Spezialkräften der Polizei und auch beim Militär. Dabei finden vor allen Dingen auch sogenannte Pumpguns Verwendung. Dadurch diese Pumpguns auf kurze Distanz großer Schaden entsteht, haben derartige Waffen eine sofort mannstoppende Wirkung. Und sie werden tatsächlich gerade deswegen auch im illegalen Bereich, also zum Beispiel bei Bedrohungen, bei Entführungen, bei Tötungsverbrechen eingesetzt.

Hier werden sowohl herkömmliche Waffentypen als auch deren Modifikationen eingesetzt. Und zwar häufig insbesondere diese abgesägten Schrotflinten, bei der vor allen Dingen zur agileren Verwendung der Lauf erheblich verkürzt wurde. Die sieht man dann auch nicht sofort, man kann sie fast bedienen wie Handfeuerwaffen. Die häufigsten Waffentypen sind die Quer- bzw. Bockflinten, die als Jagdwaffe Verwendung finden.

Speziell auch deswegen, weil mit ihnen zwei Schüsse kurz hintereinander abgegeben werden können. Damit ist man dann ganz sicher, dass man das Tier auch wirklich trifft. Und ferner kann diese Schrotenmunition allerdings auch durch Repetierflinten, dass speziell diese Pumpgans verschossen werden.

Also ich verstehe das ja im Moment so, dass es schon mal unterschiedliche Waffen sind, aber dann auch sicherlich andere Verletzungen, die dadurch verursacht werden, als wenn beispielsweise ein normales Projektil, also das was man landläufig als Kugel bezeichnet, verwendet wird. Ja, genau. Noch einmal, tödliche Schrotschussverletzungen sind im rechtsmedizinischen Alltag selten. Es handelt sich dabei dann fast immer um Nahschussverletzungen.

Durch die genaue äußere Leichenschau sind wundmorphologische Besonderheiten herauszuarbeiten, die dann insbesondere auch zur Schussentfernungsbestimmung herangezogen werden können. Also das kannst du dir vor allen Dingen so vorstellen, dass das Schussloch bei Schüssen aus der Nähe relativ klein ist, während natürlich mit zunehmender Entfernung die Schrote sich breiter verteilen und dann viele kleine Hautperforationen machen.

Das kann man sehr gut unterscheiden. Bildgebende Verfahren, insbesondere die dreidimensionale Rekonstruktion mittels postmortaler Computertomographie, spielen heute eine ganz besondere Rolle, um diese Schrotmunition zu visualisieren und dann im Zusammenhang mit der Einschusswunde auch gleich einen Hinweis auf die Schussentfernung zu geben. Der Schussentfernungsbestimmung dient natürlich auch das Ausmaß der Beschmauchung. Das kennen wir ja von anderen Schussverletzungen.

Was macht einen Schuss aus einer Schrottflinte denn so gefährlich oder gegebenenfalls sogar tödlich? Also ich möchte jetzt keine Gebrauchsanweisung für potenzielle Täter geben, aber vielleicht kannst du da erklären, was da passiert im menschlichen Körper. Naja, sagen wir das mal so. Durch die Schrotmunition wird ja der Verletzungsbereich geradezu durchsiebt.

Es entstehen viele kleine Verletzungskanäle, die irgendwo auch immer Arterien treffen, also zu starken Blutungen führen, die sehr grobe Organzerreißungen machen. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, dass es insbesondere auch für die Ärzte, also die Chirurgen, besonders schwierig ist, Schrotschussverletzungen auszuschneiden, eine Blutstillung zu erreichen und tatsächlich alle Schrotkörner zu finden und das Opfer dann wieder herzustellen.

Also Schrot-Schuss-Verletzungen aus der Nähe sind in aller Regel tödlich, wenn man sie am Rumpf findet oder im Bereich des Kopfes. Und allgemein kann man sagen, dass diese Schrot-Gewehre unbedingt tödliche Waffen sind, bei denen der Täter natürlich ganz genau weiß, dass das Opfer kaum eine Überlebenschance hat. Kommen wir zurück zu den beiden Tötungsverbrechen von Ende 2002 beziehungsweise Anfang 2003.

Damals ergaben sich bei Ermittlungen die Erkenntnisse, dass die beiden Opfer offenbar vom selben Täter umgebracht wurden, denn man fand heraus, dass in beiden Fällen die gleiche Munition benutzt wurde. Genau das war eine Parallele bei diesen Fällen. Was ebenfalls dann auch bei den Ermittlungen herauskam, war folgendes. Die Hausfrau und der Kaufmann kannten sich relativ gut.

Das sagten jedenfalls Zeugen bei der Mordkommission aus. Doch in welcher Beziehung die beiden konkret zueinander standen, das blieb unklar. Was nach den Ermittlungsergebnissen allerdings eindeutig war. Die Frau hatte kurz vor ihrer Ermordung am 6. Dezember 2002 noch in eben diesem Supermarkt in Hamburg-Stellingen eingekauft, in dem ihr 37 Jahre alter Bekannter der Filialeiter war. Ob sich die beiden an diesem Tag dort begegneten, das war und blieb unklar. Unklar.

Auch das Motiv für die beiden Tötungsdelikte war zunächst ein großes Rätsel. Denkbar war ja zunächst, dass es eine Beziehungstat gewesen sein könnte, vielleicht sogar aus Eifersucht. Der Supermarktleiter war verheiratet, lebte aber von seiner Frau getrennt. Und die später getötete 38-Jährige wohnte mit ihrem Freund und ihrer 18 Jahre alten Tochter zusammen. Bettina, erzähl bitte nochmal weiter, was über diese beiden Taten da bekannt geworden ist.

Gern. Also die 38 Jahre alte Hamburgerin, die wir hier Maria R. Nennen wollen, die aber eigentlich anders hieß. Ja, diese Frau war gelernte Friseurin und am 6. Dezember 2002, also am Nikolaustag, war sie nach einem Einkauf in diesem Supermarkt zusammen mit ihrem Hund auf dem Rückweg nach Hause. Kurz vor der Haustür ihrer Wohnung in Hamburg-Stellingen traf sie dann auf ihren Mörder. Ja, der hat ihr da ganz offensichtlich aufgelauert. So muss es doch gewesen sein, oder?

Also so eindeutig war das wohl nicht, aber es sprach jedenfalls einiges dafür, dass er ihr aufgelauert hat. Jedenfalls fielen vor der Haustür Schüsse und eine Nachbarin, die das gehört hatte, lief dann sofort auf die Straße. Diese Nachbarin fand die Frau auf dem Bürgersteig und das Opfer lag in einer großen Blutlache und war tot.

Ein Zeuge hat sich dann später gefunden und der hat erzählt, dass er einen Mann vom Tatort habe weglaufen sehen und dieser Mann, der da vom Tatort weglief, der sei schwarz gekleidet gewesen. Naja, das alleine ist ja keine besonders vielsagende Beschreibung, würde ich sagen. Eher nicht. Da kann die Polizei nicht so viel mit anfangen. Im Fall des 37-Jährigen, der gut zwei Monate später getötet wurde. Wurde die Tat doch folgendermaßen rekonstruiert.

Dieser Hamburger Supermarkt-Filialleiter wurde am 11. Februar 2003, kurz nachdem er die Filiale verlassen hatte, Von dem Täter überfallen. Offenbar wurde auch diesem Täter aufgelauert. Diesem Opfer meinst du? Ja, der Täter hat dem Opfer aufgelauert. Der Täter schoss aber jetzt nicht direkt vor Ort mit seinem Gewehr auf sein Opfer, sondern dieser Filialleiter wurde sehr wahrscheinlich unter Bedrohung mit einer Waffe, vielleicht diesem Schrotgewehr, in seinem Auto dann zum Volkspark dirigiert.

Das ist ja nicht so weit weg, aber immerhin, da hat sich also noch eine gewisse Handlungskette abgespielt. Also dieses zum Volkspark dirigieren, möglicherweise unter Vorhalt einer Waffe, das ergibt sich jedenfalls aus den Ermittlungen. Und dort im Volkspark wurde das Opfer dann gefesselt und getötet. Ein Spaziergänger entdeckte die Leiche am folgenden Tag auf einer Aussichtsplattform. Schon vorher war der Pkw dieses 37-jährigen Filialleiters entdeckt worden und der Wagen war völlig ausgebrannt.

Jetzt überlege ich, ein Toter, der auf einer Aussichtsplattform gefunden wird, also quasi das Gegenteil davon, eine Leiche zu verstecken, das klingt doch so, als wolle der Täter damit eine Botschaft verknüpfen, beispielsweise, so ergeht es demjenigen, der sich mit uns anlegt? Naja, das war ja sozusagen eine halböffentliche Hinrichtung. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das irgendwie als eine Art Warnung verstanden werden sollte. So eine Mafia-Art vielleicht sogar. Ja, das könnte alles sein.

Klaus, bei euch in der Rechtsmedizin wurden die beiden Opfer obduziert. Es gab doch offenbar bei der eigentlichen Tatausführung Parallelen. Das ist völlig richtig. Also die Sektionsbefunde waren ganz eindeutig. Wir haben damals übrigens auch schon mit Röntgenuntersuchungen gearbeitet und es ließ sich klar feststellen, dass Täter und Opfer sich bei Abgabe der tödlichen Schüsse vermutlich sozusagen Auge in Auge gegenüberstanden.

Wir haben festgestellt, dass beide Opfer jeweils von vorne einen Schuss ins Gesicht abbekommen haben und beide Opfer dann auch noch in den Rumpf geschossen wurden. Die Frau. Auf die rechte Brustseite und der Mann erlitt einen Bauchschuss. Alle Schussverletzungen waren für sich genommen tödlich. Im Verlauf der Schusskanäle ist es zu schwersten Verletzungen gekommen. Beide Opfer waren auch sofort handlungsunfähig. Also das war schon ein sehr, sehr, sehr schweres Verletzungsbild.

Und ja, beide Opfer sofort tot. Also das Muster der Verletzung auch ganz ähnlich, um das nochmal zu betonen, ein Schuss ins Gesicht, ein Schuss in den Rumpf. Das war offensichtlich ein Gewehr, wie ich das vorhin beschrieben habe, mit zwei Läufen, aus denen kurz hintereinander zweimal geschossen werden konnte. Und beide Opfer wurden tatsächlich mit dem gleichen Modus operandi ermordet. Die Polizei hat damals nach den beiden Verbrechen weit mehr als 150 Spuren ausgewertet.

Als Verdächtiger wurde schließlich ein 38-Jähriger ermittelt und dann vor Gericht gestellt. Dem Mann, den wir hier in unserem Podcast Norbert G. Nennen wollen, er hieß Anders, dem wurden später in diesem Prozess Mord in zwei Fällen vorgeworfen. Ja, also erstmal muss man betonen, dass die Mordkommission hier einen guten Job gemacht hat mal wieder und dass die Kriminaltechnik auch eindeutige Ergebnisse festgestellt hat. Also mit der Ermittlung der Schusswaffe, der Schussentfernung und so weiter.

Der Prozess konnte deswegen noch im Jahr 2003 beginnen, also gar nicht allzu lange nach der Tat. Richtig. Dem Angeklagten wurde konkret vorgeworfen, am 6. Dezember 2002 die 38 Jahre alte Maria R. In Stelling erschossen zu haben und laut Staatsanwaltschaft feierte der Angeklagte an jenem Tag gegen 18.30 Uhr zwei Schüsse aus einem abgesägten Schrotgewehr auf das Opfer ab. Die Frau war demnach kurz vorher gerade mit ihrem Hund vom Einkaufen gekommen.

Aus der Anklage ging weiter hervor, dass auch Marktleiter Carsten P., der ja am 11. Februar 2003 gestötet wurde, ebenfalls durch zwei Schüsse starb. Du hast es vorhin ausgeführt. Es war demnach ein Mord, der einer Hinrichtung glich. Die Schlüsse trafen den Marktleiter aus einer Entfernung von unter 70 Zentimetern, hieß es in der Anklage. Die Staatsanwaltschaft nannte in der Anklage zwei sogenannte Mordmerkmale, nämlich Heimtücke und niedrige Beweggründe.

Nebenher Bettina nochmal zu erwähnen, der Mann war ja mit Kabelbindern gefesselt und der hatte von daher null Chance überhaupt. Ich wollte nochmal auf dieses Detail zurückkommen, dass in der Anklage davon geredet war, dass die Schüsse aus einer sehr geringen Distanz, also aus einer Entfernung von weniger als 70 Zentimetern abgefeuert wurden. Ich gehe davon aus, die Erkenntnisse kamen aus der Rechtsmedizin, also von euch.

Jetzt mal abseits dieses konkreten Falls, wie findet ihr heraus, aus welcher Distanz ein Opfer getroffen wurde? Du hast vorhin schon von Schmauchspuren gesprochen. Genau, darum geht es. Das Ausmaß der Beschmauchung und die Breite der Beschmauchung sagt etwas über die Schussentfernungs aus. Hier war natürlich vor allen Dingen auch festzustellen, dass Schrot...

Überhaupt noch nicht breit gestreut war. Also es war eine zentrale Einschussöffnung, durch die alle Schrotkörner aus der Waffenmündung in den Wundbereich hineingeschossen worden sind. Auch das ein eindeutiger Hinweis auf die kurze Entfernung. Es gab insofern noch eine Besonderheit, dass wir bei einer Schussverletzung, das war der Bauchschuss bei dem Mann, tatsächlich die Waffenmündung sozusagen abgedrückt fanden auf der Haut. Das ist ein Zeichen dafür, dass das ein aufgesetzter Schuss war.

Und durch die Kleidung hat sich tatsächlich noch die Mündung auf der Haut abgezeichnet. Also von daher, 70 Zentimeter ist schon eher die obere Grenze. Der Täter hat aus allernächster Nähe jeweils zweimal tödliche Schüsse auf seine Opfer abgegeben und von daher finde ich es völlig berechtigt, dass man in diesem Fall von einer regelrechten Hinrichtung spricht. Dass hier eine Tötungsabsicht dahinter stand, das war völlig eindeutig.

Du hast das gerade erklärt, wie er das herausfindet, wie er euch dem annähert zu sagen, aus welcher Distanz der Schuss sehr wahrscheinlich abgegeben wurde. Ich weiß, dass ihr häufig in der Rechtsmedizin Experimente macht. Gibt es auch solche mit Schrotmunition, dass ihr ausprobiert, euch hinstellt oder andere Leute sich hinstellen lässt und sagt, nun mach mal und ihr wertet das dann aus? Ja, tatsächlich.

Gerade in diesem Fall, weil das insgesamt so eine besondere Konstellation war, haben wir Vergleichsschüsse mit dieser Waffe abgegeben und haben von daher natürlich auch die Schussentfernung noch viel besser einschätzen können.

Ganz allgemein ist das für einen Rechtsmediziner durchaus relevant, dass er sich zumindest orientierend mit diesen Waffen auskennt, um die Wirkung und die Handhabung einschätzen zu können und dann auch abgrenzen zu können, was der Täter alles an Details bedacht haben muss, als er die Schüsse abgegeben hat und wie gut er sich selber mit der Waffe auskennen musste. Jetzt von den allgemeinen Erwägungen wieder zurück zu unserem konkreten Fall, also zu diesen beiden Morden mit der Schrotflinte.

Dieser Prozessauftakt bzw. Der Angeklagte, das war wirklich bemerkenswert. Erzähl mal Bettina, was war denn da los? Also ich stelle mir zumindest vor, dass das ein sehr harter Typ gewesen sein muss. Also der Angeklagte fiel insbesondere damit auf, dass er Schimpftiraden und Drohungen gegen den vorsitzenden Richter ausstieß. Unter anderem fiel das Wort Drecksau.

Andere Formulierung möchte ich hier besser nicht wiederholen, aber man kann auch sagen, es war zu beobachten, auch der Blick des Angeklagten war, ja ich möchte sagen, voller Hass. Dieses Verhalten, also das unflätige Schimpfen und die Drohungen kann man natürlich auf unterschiedliche Weise interpretieren. Dass der Angeklagte sich zu Unrecht verfolgt fühlt und deshalb wütend ist, dass ihm der Prozess gemacht wird, das kann ich übrigens nicht verstehen.

Denn das war ja hier wirklich ein eindeutiges Mordgeschehen. Und was der sich rausgenommen hat mit seinen Opfern, kann man ja gedanklich eigentlich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich glaube eher, dass der so wütend war, weil er erwischt worden ist, weil die Polizei all das so sauber ausermittelt hat und weil ihm jetzt der Prozess gemacht wurde. Naja und natürlich denke ich auch, dass der Typ einfach schlicht überhaupt gar

keinen Respekt vor der Justiz hatte. Also was wirklich in den Mann vor sich ging, das wissen wir natürlich nicht. Auf jeden Fall sprach einiges dafür, dass dieser Mann, übrigens ein kräftig gebauter Mann, Gelegenheitsarbeiter und Ex-Boxer, dass dieser Mann also schon vor Prozessbeginn wahrscheinlich in der Untersuchungshaft ein aggressives und wohl auch bedrohliches Verhalten an den Tag gelegt hat.

Das schließe ich daraus, dass er im Gerichtssaal Fußfesseln trug und eine seiner Hände war tatsächlich an den Tisch gekettet. Beides ist etwas, was man sonst in Hamburger Verhandlungssälen sehr, sehr selten sieht. Womöglich hatte man Sorge, der Angeklagte könnte jemanden im Prozess angreifen wollen. Norbert G. sagte übrigens auch noch zum Vorsitzendenrichter, draußen würdest du die Beine in die Hand nehmen.

Naja, das ist ja eine eindeutige Drohung. Ich finde es auch schon eine Unverfrorenheit, überhaupt den Vorsitzenden Richter zu duzen. Und diesen Satz, den du gerade zitiert hast, also... Draußen würdest du die Beine in die Hand nehmen, das kann man ja als völlig unverholene Drohung interpretieren, das muss man so interpretieren, finde ich.

Also der Verteidiger hat noch versucht beruhigend auf den Angeklagten einzuwirken, nach dem Motto ein bisschen mäßigen, etwas ruhiger bitte, benimm dich, so in der Art.

Aber es war vergebens und als auch die Appelle des Vorsitzenden Richters, dass der Angeklagte sich doch mäßigen solle, ohne Wirkung blieben und der Angeklagte im Gegenteil im Prozess immer unflätiger und aggressiver wurde, hat das Gericht schließlich entschieden, Norbert G. Von der Verhandlung auszuschließen und zwar wegen sogenannter Ungebühr, das nennt sich so. Darüber hinaus musste der Angeklagte ein Ordnungsgeld von 200 Euro zahlen, weil er sich so eben daneben benommen hatte.

Und als Norbert G. aus dem Verhandlungssaal geführt wurde, zertrümmerte er noch so quasi im Vorbeigehen mit einem Handschlag ein Saalmikrofon. Dazu fluchte und schimpfte er, aber er wurde dann ja rausgeführt. Also ganz offensichtlich ein unangenehmer Zeitgenosse. Bettina, nochmal zurück zur Sache. Interessant ist ja, wie Norbert G. als Verdächtiger ermittelt wurde. Offenbar ist diese Tatwaffe...

Das war eine abgesägte Schrotflinte aus spanischer Produktion, in der Wohnung des Angeklagten gefunden worden. Außerdem hieß es, Munition mit demselben Kaliber, das bei den Morden gebraucht wurde, sei ebenfalls in der Wohnung des Angeklagten entdeckt worden. Naja, und insgesamt der Verdächtige war doch für die Justiz schon vorher kein Unbekannter. Das ist richtig. Norbert G. war seit seiner Jugend Polizei bekannt. Also die Vorwürfe gegen ihn reichten von Körperverletzung bis Waffenbesitz.

Und im Mai 1990 wurde er dann tatsächlich auch zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Und zwar wegen Vergewaltigung und wegen Raubes. Zehn Jahre ist ja auch schon eine ziemlich lange Zeit. Also harter Junge, der viel auf dem Kerbholz hat. Ja, das würde ich jetzt ausdaraus schließen.

Und als er diese beiden Morde, über die wir heute ja sprechen, begangen hat oder begangen haben soll, laut Anklage, da war er nach dieser mehrjährigen Verurteilung zu eben zehn Jahren Freiheitsstrafe noch nicht so sehr lange wieder auf freiem Fuß. Bettina, es wurden doch im Prozess mehrere Zeugen gehört. Einige dieser Aussagen ließen sich so deuten, dass dafür sprach, dass der Angeklagte ein Motiv gehabt hätte.

So erzählte eine Zeugin, sie habe beobachtet, wie Norbert G. Sich mal vehement mit Marktleiter Carsten P., also einem der späteren Opfer, gestritten habe. Offensichtlich gab es da irgendeine Art von Beziehung. Also möglicherweise oder sehr wahrscheinlich haben die sich vorher gekannt. Das ließ sich auf jeden Fall aus den Zeugenaussagen herausinterpretieren. Es wurde ebenfalls eine Frau als Zeugin gehört, mit der Marktleiter Carsten P. Zuletzt liiert war. Und diese Frau erzählte, dass sie am 11.

Februar 2003, also kurz bevor der Mann dann erschossen wurde, noch mit Carsten P. telefoniert hatte. Die 24-Jährige sagte dann im Prozess aus, ich zitiere, ich rief ihn an, er machte gerade die Kassenabrechnung und danach sei dann das Handy von Carsten P. ausgeschaltet gewesen. Die Zeugin sagte dann, das fand ich merkwürdig, ich rief ihn die ganze Nacht an. Naja, das war ja dann wohl offensichtlich vergeblich. Ja, er konnte auch nicht antworten. Er wurde ja schon an jenem Abend ermordet.

Wann hat die Frau denn erfahren, dass ihr Partner getötet wurde? Offenbar am nächsten Tag. Interessant war in dem Prozess um die beiden sogenannten Schrotflintenmorde auch, was psychiatrische Sachverständige über den Angeklagten Norbert G.

Gesagt haben. Sie sagten, dieser Mann, ein vorbestrafter Gewaltverbrecher, wie wir ja inzwischen wissen, der schon zehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte, also dieser Mann habe zwar eine Persönlichkeitsstörung, gleichwohl sei diese nicht so gravierend, dass sich daraus Hinweise auf eine verminderte Schuldfähigkeit ergeben. Das sollten wir noch versuchen zu erklären. Wenn einem Angeklagten eine verminderte Steuerungsfähigkeit.

Beziehungsweise eine verminderte Schuldfähigkeit attestiert wird, liegt das manchmal daran, dass er oder sie unter einer sogenannten krankhaften seelischen Störung leidet. Das könnte beispielsweise eine Schizophrenie sein oder auch eine andere Psychose. Übrigens könnte auch starker Alkohol- oder Drogenkonsum zu einer sogenannten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung führen und damit dann auch zu einer verminderten Schuldfähigkeit.

Eine verminderte Schuldfähigkeit kann aber nur dann zu einer Strafminderung führen, wenn sie erheblich ist. Das ist wichtig. Und es kann zu einem geringeren Strafmaß führen, aber das Strafmaß muss nicht unbedingt gemildert werden. Im Fall von Norbert G. kam die Sachverständige zu dem Schluss, der angeklagt habe, eine sogenannte antisoziale Persönlichkeitsstörung.

Ja, das ist ein Ausdruck, den kann ich nachvollziehen. Das heißt dann zusätzlich auch, er ist unter anderem emotional instabil, um das mal so ein bisschen vornehm auszudrücken. Ja, das ist genau richtig. Die Experten meinten auch, der Mann sei leicht kränkbar, er reagiere schnell aggressiv und er habe so gut wie kein Schuldbewusstsein. Nein. Es hieß von den Experten über Norbert G., ich zitiere, er zeigt seine dauerhafte Missachtung gegenüber den Regeln der Gesellschaft.

Es ergab sich aber nach Einschätzung der Sachverständigen kein Hinweis darauf, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten Norbert G. deutlich vermindert sei. Zugleich führten die Experten aber aus, dass er weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich sei. Und das wiederum würde bedeuten, dass das Gericht im Falle einer Verurteilung neben einer Freiheitsstrafe auch noch eine Sicherungsverwahrung anordnen könnte. Und das hieße wiederum, dass ein Angeklagter möglicherweise für immer in Haft bleibt.

Also wenn ich mich recht entsinne, dann war das Urteil des Landgerichts, also des Schwurgerichts, dann auch dementsprechend, oder Bettina? Ja, das erinnerst du ganz richtig. Das Gericht sprach nämlich letztlich in dem Urteil eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen zweifachen Mordes aus. Zudem ordnete die Kammer die Sicherungsverwahrung an und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Das ist also die höchste Strafe, die das deutsche Gesetz zulässt. Mehr geht nicht.

Übrigens wurde das Urteil gegen den Angeklagten in dessen Abwesenheit verkündet. Weil er wieder das Gericht beschimpft und beleidigt hat, so wie er sich auch an anderen Verhandlungstagen so unmöglich benommen hat, wie du es vorhin schon geschildert hast. War das so? Ja, in der Tat. Also Pöbeln, Schimpfen, Stänkern und dabei das Gesicht voller Hass. Also das war schon das übliche Verhalten des 38-jährigen Gerichtssaal.

Das kann man wirklich so zusammenfassen. und was Norbert G. An übelsten Beleidigungen gegenüber dem Gericht äußerte, das überstieg das, was man sich sonst vielleicht an Beleidigungen vorstellen kann oder möchte. Ich möchte das wieder nicht im Einzelnen ausführen, aber jedenfalls mit diesem Verhalten, diesem beleidigenden, missachtenden Verhalten blieb sich der Angeklagte in diesem Prozess gewissermaßen selber treu.

Das ging ja schon am ersten Prozesstag so los, dass er sich da sehr unflädlich benommen hatte. Ja, also er hatte sich immer wieder wirklich unmöglich benommen und dass er eben immer wieder von der Hauptverhandlung hatte ausgeschlossen werden müssen. Ja, jetzt noch einmal zur Strafe. Lebenslange Freiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung und eine besondere Schwere der Schuld für diesen Angeklagten.

Es kam bei Norbert G. also zu der höchstmöglichen Strafe überhaupt, die nach den in Deutschland geltenden Gesetzen verhängt werden kann. Das ist also ein Urteil, das im wahrsten Sinne des Wortes lebenslänglich bedeuten könnte. Ja, der vorsitzende Richter sagte auch in der Urteilsbegründung, dass Norbert G. Ein Mann sei, der, Zitat, außerordentlich gefährlich ist und der nicht die geringste Achtung vor anderen hat.

Und der, wie der Zitat, aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zwei Menschen aus nächster Nähe mit einer Schrotflinte erschoss. Es sei eine Tat, die auch erfahrene Richter besonders erschüttert, sagte der Vorsitzende weiter. Kaum ein Fall führt zu so einem Entsetzen wie dieser, so formulierte es der Richter. Und ich zitiere weiter, praktisch ohne Grund, allenfalls wegen verletzter Eitelkeit lauert der Täter seinen Opfern planvoll in der Dunkelheit auf und schießt sie kaltblütig nieder.

Noch einmal, verletzte Eitelkeit, war das also das Motiv, weshalb Norbert G. Die beiden Morde begangen hat? Woher resultierte das? Also ein anderes Motiv ergab sich jedenfalls nicht aus der Beweisaufnahme in diesem Prozess. Zeugen hatten erzählt, dass der 38-Jährige über zwei Jahre immer wieder versucht habe, bei der 38-jährigen Hamburgerin, die dann schließlich ermordet wurde, zu landen.

Also er wollte offenbar eine Beziehung mit ihr oder ihr näher kommen, doch sie habe seine Annäherungsversuche stets abgelehnt und schließlich habe er gedroht, irgendwann knalle ich die ab. Das hatte eine Zeugin im Prozess so ausgesagt, das hatte sie offenbar gehört. Naja und er hat es dann auch getan, also ein Stalker der schlimmsten Art überhaupt.

Was war denn laut dem Gerichtsurteil das Motiv für den Mord an dem Filialleiter des Supermarktes, also an Carsten P., der dann zwei Monate später im Februar 2003 ermordet wurde? Also zu diesem Verbrechen hieß es, der Urteilsverkündung am wahrscheinlichsten sei, dass Norbert G. Den Marktleiter entführen und so Zugang zur Supermarktkasse erzwingen wollte. Wir erinnern uns, Carsten P. war ja vor dem Mord entführt und gefesselt worden.

Sein Auto wurde in Brand gesetzt. Also da sprach einiges dafür, dass diese Entführung tatsächlich ursprünglich geplant und das Motiv war. Übrigens, ich würde gerne noch ergänzen, wir reden ja über diese Taten von 2002 beziehungsweise 2003. Wir haben jetzt inzwischen 2025. Ich habe mich erkundigt, Norbert G. ist bis heute hinter Gittern. Ja, noch einmal aus meiner Sicht. Tödliche Schrotschussverletzungen sind vergleichsweise selten.

Erfahrungsgemäß handelt es sich bei Einsatz dieser Waffe meist um besonders aggressive und brutale Tätertypen. Ich denke, das war auch hier der Fall. Zwei hinrichtungsartige Morde kurz hintereinander. In dieser Art und Weise habe ich sonst noch nie untersucht, speziell nicht mit einer solchen Waffe. Also ein sehr exzeptionelles Geschehen, einmalig aus meiner Sicht. Ja, vielen Dank wieder mal.

Ich glaube, ich habe das schon das eine oder andere Mal in diesem Podcast gesagt, wieder mal ein wirklich besonderer und besonders spannender Fall. Schrotflinte ist uns beiden in unseren jeweils jahrzehntelangen Berufen noch nicht oft oder sogar vorher sonst gar nicht untergekommen. Beim nächsten Mal wird es dann wieder um einen ganz anderen Fall gehen. Unsere Hörer dürfen gespannt sein und damit sage ich Tschüss. Ja, Tschüss, bis zum nächsten Mal.

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