Dem Tod auf der Spur. Spannende Fälle aus der Hamburger Rechtsmedizin. Der Crime-Podcast vom Hamburger Abendblatt. Moin und herzlich willkommen zu unserem Abendblatt Crime-Podcast. Ich bin Bettina Mittelacher, Gerichtsreporterin beim Hamburger Abendblatt. Und in diesem Podcast geht wie immer nichts ohne Rechtsmediziner Klaus Püschel. Er ist der Mann, der sich mit Tod und Verletzungen so gut auskennt wie kaum jemand anderes. In meinen Augen der beste Rechtsmediziner der Welt.
Moin Bettina und moin auch an die Hörer. Herzlich willkommen. Ja, wir werden heute wieder einmal über den nicht natürlichen Tod eines Menschen sprechen. Und wie es dazu kam, dass dieser Mensch gestorben ist. Aber wir Rechtsmediziner untersuchen ja nicht nur Verstorbene, sondern wir sind auch zuständig für Verletzungen bei Lebenden in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Und in unserem heutigen Fall hat die Rechtsmedizin in vielerlei Hinsicht wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Einerseits über die Menschen, die Opfer eines tragischen Geschehens wurden. Andererseits haben wir auch den Mann untersucht, der sich später wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten musste. Und ich konnte auch entscheidend zu der technischen Rekonstruktion des Geschehens beitragen. Lass uns mal darüber sprechen, was überhaupt geschehen ist. Ein Mann hat einen schweren Verkehrsunfall verursacht mit wirklich dramatischen Folgen.
Der 73-Jährige fuhr beim Ausparken am Hauptbahnhof in Hamburg versehentlich in eine Menschengruppe. Ein Vierjähriger starb daraufhin, nachdem das Auto den kleinen Jungen überrollt hatte. Und die Mutter des Kindes und auch der Onkel des Jungen wurden schwer verletzt. Ja, das war wirklich ein sehr tragischer Fall. Der hat auch große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden in vielerlei Hinsicht.
Ich erinnere mich speziell an diese Geschehnisse sehr gut, obwohl das Unglück mittlerweile mehr als 15 Jahre zurückliegt. Das war der 11. Mai 2010. Ein Mann setzt sein Renault rückwärts aus einer Parklücke im Bereich des Hauptbahnhofs. Dabei gibt er so viel Gas, dass der Wagen erst Absperrungen durchbricht und dann fast wie ein Geschoss auf dem Gehweg drei Personen erfasst. Das alles geschieht so schnell, dass die Opfer überhaupt keine Chance haben zu reagieren bzw. auszuweichen.
Warum der Mann so viel Gas gab, war später Thema in einem Prozess gegen den 73-Jährigen. In diesem Verfahren musste sich der Mann unter anderem wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten. Der Verdacht war zunächst, er habe Gas und Bremse verwechselt. Aber die Erklärung dafür, dass er es so stark beschleunigte, war letztlich eine andere.
Klaus, bevor wir uns thematisch dem Unfallverursacher zuwenden über den Prozess gegen den 73-Jährigen reden, lass uns bitte über die drei Personen sprechen, die bei dem Unglück zu Schaden gekommen sind. Ja, vielleicht kurz auch noch einiges zu dieser Situation prinzipiell. Pkw-Fußgängerunfall. Wenn ein Auto Menschen erfasst oder auch überrollt, so wie das hier der Fall war bei dem Kind, dann ist ja völlig klar, dass mit schwersten Verletzungen zu rechnen ist.
Das liegt schon an den sehr diametral entgegengesetzten Kräfteverhältnissen, den Materialeigenschaften, wobei man in der Biologie, also auch bei Menschen vom Material sprechen kann. Ein PKW wiegt mehrere hundert Kilogramm, nicht selten sogar ein oder zwei Tonnen, je nach Fabrikat. Ein Erwachsener bringt vielleicht 60 bis 100 Kilo auf die Waage. Ein Kind im Kindergartenalter natürlich noch deutlich weniger, also vielleicht 20 Kilo plus minus.
Menschen haben einem Auto also schon allein aus physikalischen Gründen bei einer Kollision überhaupt nichts geradezu entgegenzusetzen. Sie können das Fahrzeug nicht aufhalten, nicht stoppen, sondern sie werden umgefahren und eventuell auch überrollt, zerquetscht und dann entstehen schwerste Verletzungen, Brüche, Gewebequetschungen. Blutungen, schwerste innere Verletzungen, Organzerreißungen, ja im Grunde so die ganze Bandbreite.
Besonders schlimm hat es bei diesem Unfall, über den wir heute reden, den Vierjährigen erwischt. Der Junge, den wir hier im Podcast Anton nennen wollen, der aber in Wahrheit ganz anders hieß, dieser Junge geriet, nachdem der PKW die Familie erfasst hatte, unter das Auto. Nachdem der kleine Anton zunächst von Rettungskräften geborgen worden war, Ja, tatsächlich auch unter Einsatz von schweren Geräten. Da musste er noch am Unfallort wiederbelebt werden.
Rettungskräfte flogen Anton mit einem Hubschrauber in das Universitätsklinikum. Dort erlag der Junge seinen sehr schweren inneren Organverletzungen. Die 32 Jahre alte Mutter des Kindes wurde ebenfalls schwer verletzt, hatte unter anderem innere Blutungen. Sie musste sofort operiert werden. Der 28 Jahre alte Onkel von Anton erlitt ebenfalls Verletzungen. Die waren allerdings nicht so schwer. Es handelte sich überwiegend um Schnittwunden.
Außerdem hatte er einen schweren Schock. Ja, so nennt man das ja in dieser Situation. Es wurde später ermittelt, dass der Wagen ein Tempo, also zum Zeitpunkt der Kollision mit den Fußgängern, von mindestens 15 Kilometer pro Stunde hatte. Als er auf diese Personengruppe traf, die Wucht, mit der der Wagen da aufprallt, ist in etwa so, als wäre das Auto aus einem Meter Höhe auf die Opfer gefallen. Vorher hatte der Wagen übrigens noch einen Poller umgefahren.
Also wenn du das so erzählst, dieser Vergleich, dass das Auto mit einer Wucht auf die Menschen eingewirkt hat, als wäre es aus einem Meter Höhe auf sie draufgefallen, dann wird natürlich deutlich, welche massiven Kräfte da auf diese Personen, die da dann erfasst wurden, gewirkt haben. Im Prozess vor dem Amtsgericht, wo sich dann der Unfallfahrer verantworten musste, wurde später deutlich, wie sehr es ihm leid tut, den Unfall verursacht zu haben, bei dem der Vierjährige starb.
Der Verteidiger des Angeklagten sagte im Namen des 73-Jährigen, ich zitiere, Ich möchte den Eltern mein tiefstes Mitgefühl und Bedauern aussprechen. Ich bin verantwortlich für den Tod ihres Sohnes. Es ist mir unerträglich zu wissen, dass es nichts gibt, was ihn wieder lebendig machen kann, obwohl ich bereit wäre, alles Erdenkliche dafür zu tun. Klaus, wenn man das so hört, das klingt doch wirklich so, als hätte der Mann sich da schwere Vorwürfe gemacht.
Ich finde auch, das war übrigens auch mein persönlicher Eindruck, dass das nach aufrichtigem Bedauern klingt. Das ist ja auch eine wirklich sehr, sehr tragische Situation, wenn man als Erwachsener ein Kind totfährt. Aber natürlich gibt es überhaupt nichts, was irgendjemand dafür tun könnte, dass der kleine Junge wieder lebendig wird. Ja, das ist ja nur ein Spruch, ob der so gut ankommt, weiß ich auch nicht.
Wichtig und richtig wäre aus meiner Sicht vielmehr gewesen, damals am Steuer umsichtiger zu reagieren, die Verkehrssituation richtig zu erfassen und einfach den Unfall gar nicht erst herbeizuführen, ihn eindeutig zu vermeiden. Der Angeklagte hat doch Bettina vor Gericht erzählt, warum es zu dem Unfall gekommen sei und ich finde, er hat versucht sich da rauszureden. Erzähl mal. Also seine Version, was unmittelbar vor dem Unfall passiert sei, war folgende.
Er habe seinen Automatikwagen rückwärts aus einer engen Parklücke gesetzt und dabei ganz plötzlich einen Krampf im rechten Bein verspürt, erzählte er, beziehungsweise der Verteidiger in seinem Namen. Dem Autofahrer sei, Zitat, ganz weiß oder trüb vor Augen geworden. Und das nächste, woran er sich erinnere, sei ein lauter Knall gewesen. Die Ehefrau des Angeklagten ist damals dann auch als Zeugin im Prozess gehört worden.
Und sie schilderte, dass sie damals ihren Mann aus der Parklücke gelotst habe. Sie sagte dann, der Wagen wurde immer schneller. Ich habe versucht, das Auto mit beiden Händen zu packen, aber es entglitt mir. Und das sagte sie unter Tränen. Und sie erzählte dann weiter, als sie nach der Kollision nach ihrem Mann gesehen habe, der ja auf dem Fahrersitz saß, habe sie im ersten Moment geglaubt, er sei tot.
Und diesen Eindruck hatte sie deshalb, das hat sie dann weitererzählt, ein Unterkiefer hing herunter, er war völlig bewegungslos. So hat sie die Situation auf jeden Fall in dem Moment wahrgenommen. Aber was sie auch erzählte war, dass sie nie mitbekommen hatte, dass ihr Mann vor diesem besagten Tag einen Krampfanfall gehabt habe.
Für mich eine ganz wichtige Aussage. Ich war damals als Sachverständiger in dem Prozess und in diesem Fall nicht nur, um die Verletzungsbefunde bei den Opfern, insbesondere auch bei dem toten Jungen darzustellen. Ich war auch gefragt zur Unfallrekonstruktion. Ich habe deswegen auch die Krankenvorgeschichte von dem Unfallfahrer wirklich in allen Details sorgfältig analysiert.
Und ich konnte danach ausführen, dass ich die Aussage des Angeklagten, er aber einen Krampf erlitten und deshalb zu viel Gas gegeben, überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Das war extrem unwahrscheinlich, weil es überhaupt gar keinen Anhaltspunkt aus der Vorgeschichte gab, dass solche Zustände bei ihm eine Rolle spielen könnten. Es gab keinerlei medizinisches Indiz für eine Erkrankung mit Neigung zu Krämpfen oder zur Bewusstlosigkeit.
Vielmehr konnte ich tatsächlich aus dem Ablauf des Geschehens und den Zeugenaussagen auch der Ehefrau rekonstruieren, dass es sich hier um eine eindeutige Fehlreaktion des Mannes handelte. Der Unfallablauf war wirklich sauber zu rekonstruieren. Der 73-Jährige hatte, als sein Wagen, also hinter dem Platz, auf dem er geparkt hatte, in so eine Senke geriet, die tatsächlich dem Ablauf von Wasser dient, kurz angehalten, gestoppt.
Der stand also sozusagen in der Senke und dann hat der Mann am Steuer viel zu viel Gas gegeben, um diesen Widerstand zu überwinden. Also es gab demnach keine körperliche Einschränkung des Fahrers, die zu dem Unglück geführt hat. Also so habe ich dich jetzt eben verstanden. Ja, das ist auch richtig so. In der Richtung hatte ich null Anhaltspunkt. Ich hatte aber klare Anhaltspunkte dafür, dass er bei diesem Ausparkvorgang tatsächlich fehlerhaft viel zu viel Gas gegeben hat.
Allerdings nicht wegen eines Krampfes oder weil die Automatik nicht funktioniert hat, sondern selber, weil er einen Fehler gemacht hat oder weil er selber einen Fehler gemacht hat. Es hieß damals, dass der 73-Jährige, der am Steuer des Wagens gesessen hatte, wegen des Unfalls einen Schock erlitten habe und er dann auch sogar behandelt werden musste, ebenso wie seine Ehefrau, die ja ursprünglich Beifahrerin war und dann aber ihn aus der Parklücke lotsen wollte.
Also so ein Satz, ich war total geschockt. Ich denke oder habe die Erfahrung gemacht, dass so eine Bemerkung einem leicht mal herausrutscht, wenn man das etwas Überraschendes oder Trauriges erlebt hat. Aber ein Schock ist ja tatsächlich streng genommen ein medizinischer Zustand. Wie genau äußert er sich? Nun, in diesem Falle glaube ich, man muss unterscheiden zu den Feststellungen, die zu dem Mann zu treffen waren und zu der Frau.
Die Frau hat ja durchaus beschrieben, dass er hinter dem Steuer saß, fast wie tot. In diesem Fall handelte es sich allerdings sicher nicht um ein Schockgeschehen im engeren medizinischen, physiologischen Sinn. Ein solcher Schock tritt ja auf bei einem größeren Blutverlust oder bei einer plötzlichen Herzschwäche, zum Beispiel einem Herzinfarkt. Und die Personen, die hier von sich sagen, dass sie schockiert waren, die stehen sehr stark unter dem Eindruck des Geschehens.
Das ist also eine kurzfristige, starke psychische Reaktion. Sie sind kurzfristig nicht dazu imstande, vernünftig zu reagieren, wirken abwesend, fahrig, unkontrolliert. So ist das mit diesem Schock zu verstehen. Aber es gibt ja auch tatsächlich einen Schock, der im Krankenhaus oder beziehungsweise ärztlich behandelt werden muss. Wie würde das dann funktionieren?
Naja, zurück zu dieser Situation. Wenn die Personen wegen dieser Unfallsituation, ohne selber Opfer zu sein, unter Schock stehen, dann muss man sie tatsächlich beruhigen und zeugen oder tatsächlich auch wie in diesem Fall die Ehefrau als indirekt Beteiligte, bekommen dann unter ärztlicher Aufsicht manchmal ein Beruhigungsmittel. Oder sie werden durch Personen tatsächlich beiseite geführt und beruhigt.
Also dieser Schock, der wird dann tatsächlich medikamentös und durch die anderen Personen behandelt. Wenn es ein Kreislaufschock ist mit Blutverlust oder plötzlichem Herzversagen, dann muss man natürlich einen Rettungseinsatz mit einem Notfallteam organisieren. Das war hier aber nur erforderlich für die verletzten Personen, nicht für den Fahrer und für seine Ehefrau.
Kommen wir zurück zum Prozess. Als Zeugin ausgesagt hat auch die Mutter des getöteten Jungen, die ja selber ebenfalls schwer verletzt wurde. Du hast es vorhin kurz geschildert. Die 32-Jährige war auch Nebenklägerin in dem Verfahren. Vor Gericht erschien sie ganz in schwarz gekleidet, also offenbar immer noch in Trauer, verständlicherweise. Also sie erzählte dann unter Tränen, dass sie damals ganz plötzlich von dem Wagen erfasst worden sei.
Kurz vorher habe sie noch gehört, wie ihr Bruder ausrief, Vorsicht, der hält nicht an. Also der Bruder hatte das offenbar mitbekommen, dass sich da was anbart, eine gefährliche Situation.
Und dann erzählte die Frau weiter, im nächsten Moment habe sie selber unter dem Auto gelegen, sei also vorher erfasst worden und dann unter dem Auto liegend habe sie dort auch ihren Sohn in ihrer Nähe liegen sehen, unter dem Auto und sie sagte, ich habe noch seine Hand gehalten, Er hat sich nicht bewegt und dann habe sie in der Situation gerufen, mein Sohn, mein Kind.
Sie kam dann selber ins Krankenhaus, war ja schwer verletzt, wurde operiert und als sie dann aus der Narkose erwachte, erfuhr sie, dass ihr kleiner Sohn leider verstorben war. Also auch daran kann ich mich gut erinnern. Ich habe mit der Frau auch persönlich gesprochen. Das war für sie eine geradezu entsetzliche Situation. Wenn das eigene Kind stirbt, dann ist es wahrscheinlich das Schlimmste, was eine Mutter durchleiden kann.
Wir haben in mehreren anderen Fällen Angehörige, deren Kind durch einen Unfall oder durch ein Verbrechen ums Leben gekommen sind, diese Person erzählt, wie schmerzhaft das für sie war. Das ist für einen Rechtsmediziner, denke ich, auch immer wieder eine sehr einprägsame Erfahrung. Wenn er mitbekommt, was sich bei den Angehörigen der Opfer für Dramen abspielen, Manche dieser Angehörigen haben mir erzählt, dass sie dann lange Zeit überhaupt nicht gewusst haben, wie sie selbst weiterleben sollen.
Dass sie nicht wissen, ob sie überhaupt jemals den Tod des Kindes verwinden können. Und Bettina, in dieser Situation hatte ich dann tatsächlich auch noch die persönliche Erfahrung, dass die Mutter bei uns in der Leichenhalle einen Abschied von ihrem toten Kind genommen hat.
Also stell dir vor, das Kind liegt bei uns, wir haben es auch obduziert und die Frau ist Patientin im Krankenhaus und wird noch vom Krankenbett tatsächlich zu uns in die Leichenhalle gebracht, um sich im Abschiedsraum von ihrem Kind zu verabschieden. Also da bleibt auch beim Rechtsmediziner schon ein tiefer Eindruck zurück. Ja, das kann ich mir vorstellen. Ein wirklich sehr, sehr schlimmes Schicksal, dass die Familie dadurch leiden musste.
Dass das wirklich furchtbar für die Familie war, das haben offenbar auch andere so empfunden. Und vielleicht wollten diese Menschen der trauernden Familie zu verstehen geben, dass sie eben mit ihr empfinden. Aber wie im Prozess zu erfahren war, gab es nicht nur Beileidsbekundungen für die Angehörigen des toten Jungen. Es gab außerdem auch Hetze gegen die Familie des Mannes, der den Unfall verursacht hatte. Stimmt, das war so. Ich erinnere mich, dass damals darüber berichtet wurde.
Ich habe es tatsächlich auch im Prozess dann selber noch mal gehört. Der 73-Jährige bekam zum Beispiel anonyme Anrufe mit doch sehr beängstigendem, bedrohlichem Inhalt. Und es gab sogar auch Drohbriefe. Also die Ehefrau des Unfallfahrers hat das im Prozess auch so geschildert und sie fasste das so zusammen, ihr Leben sei seit dem Unglück komplett aus den Fugen geraten.
Der Telefon-Terror, so nannte sie das, habe einen Tag nach dem Unfall begonnen und dann erhielt der Unfallfahrer und seine Ehefrau, erhielten dann laut Schilderung der Ehefrau anonyme, teils auch blutverschmierte Briefe, in denen das Ehepaar und deren Kinder mit dem Tod bedroht worden seien. So hat das dann die Zeugin geschildert. Um das mal kurz und trocken zu kommentieren, das Bild war nicht von uns, ganz klar. Ich darf das auch nochmal verstärken, was du gerade gesagt hast, Bettina.
Es gibt also nicht nur ein totes Kind, sondern es gibt die schwer betroffenen Eltern und weitere Angehörige. Und auf der anderen Seite gibt es dann nicht nur den Täter in dem Fall, also den Unfallfahrer, sondern auch seine Familie, die mit betroffen ist. Und in dem Fall gibt es in Richtung des Unfallfahrers sehr eskalierende. Ja wirklich dramatische Drohungen. Das ganze Geschehen ist also wirklich extrem ausgeufert. Wie hat denn das Ehepaar hierauf reagiert?
Erzähl mal. Also die Ehefrau des Unfallfahrers sagte dazu im Prozess, dass sie und ihr Mann aus Angst danach dann die Abende in ihrer Wohnung im Dunkeln verbracht hätten. Sie erzählte weiter, die ganze Hetze habe sie so zermürbt, dass sie sich in eine psychiatrische Klinik letztlich dann einweisen ließen.
Sie hätten außerdem für den verstorbenen Jungen gebetet und drei Briefe an die Eltern des Vierjährigen geschrieben, in denen sie ihre, ich zitiere, tiefe Trauer und tiefe Scham, Zitat Ende, bekundet hätten. Und dann sagte die Frau des Unfallfahrers weiter, ich dachte, vielleicht sehen Sie, dass wir einfache Menschen sind, die immer gearbeitet haben, dass wir ein bisschen Vergebung bekommen.
Ich habe in einigen Fällen mitbekommen, dass manche Menschen, die um jemanden trauern, es gar nicht wollen, dass von Fremden Kontakt zu ihnen aufgenommen wird. Konkret auch, dass sie es als höchst unpassend und als befremdlich empfinden, wenn jemand sich an sie wendet, der den Tod beispielsweise ihres Kindes, des Bruders oder der Mutter schuldhaft verursacht hat.
Ja, offenbar kam der Versuch des 73-Jährigen mit der Familie des getöteten Vierjährigen Kontakt aufzunehmen auch überhaupt nicht gut an. Die Mutter des jungen, des verstorbenen Jungen sagte dazu im Prozess, sie glaube denen nicht. Und mit dieser Aussage, dass sie ihnen nicht glaube, damit meinte sie wohl, dass sie dem Ehepaar, also dem Unfallfahrer und dessen Frau nicht abnimmt. Dass sie wirklich bestürzt darüber sind, dass Anton sterben müsste.
Dazu sagte die Mutter des Vierjährigen, ich zitiere, sie reden von ihrem harten Leben, aber sie haben doch das meines Sohnes genommen. Und der Vater des Jungen verließ sogar den Gerichtssaal, als der Angeklagte erzählte, wie es ihm seit dem Unglück ergangen sei. Der Vater von Anton empfand das so. Das hat er so formuliert, hier macht der Täter auf Opfer. Nach dem Unfall gründete übrigens Antons Vater die Initiative Alt am Steuer. Also die hieß wirklich so, alt am Steuer.
Und von dieser Initiative wurden dann verpflichtende Eignungstests für Autofahrer ab 60 Jahre gefordert. Also verpflichtende Tests für Autofahrer ab einem bestimmten Alter, das ist doch immer wieder Thema in der Öffentlichkeit, wenn ein älterer Mensch einen Verkehrsunfall verursacht hat. In Hamburg gab es ja beispielsweise mehrere Fälle, in denen ältere Autofahrer beim Einparken versehentlich so viel Gas gaben, dass ihre Autos beispielsweise in Schaufenster von Läden fuhren.
Das wurde dann immer größer in der Presse dargestellt und von unterschiedlichen Menschen kommentiert. Ja Bettina, du sprichst von der Weizstraße und darüber ist ja tatsächlich vielfach berichtet worden. Übrigens auch über viele andere Unfälle unter Beteiligung alter Menschen. Ich glaube, dass da auch wirklich ein gewisses Ungleichgewicht ist. Diese Unfälle werden weitergehend wahrgenommen und tatsächlich dargestellt, als das bei anderen Unfällen ansonsten der Fall ist.
Was sagen denn Experten dazu? Ja, auch Experten fordern immer wieder spezielle Eignungstests für ältere Mitbürger. Dafür gibt es auch viele Argumente. Ich habe das mehrfach selber dargestellt, publiziert. Wir haben Verkehrsunfälle analysiert, auch unter Berücksichtigung des Lebensalters der Fahrer, auch mit Berücksichtigung der Unfallsituationen und der Versagenszustände der Unfallfahrer.
Man kann schon feststellen, das ist ganz eindeutig, dass ab 75 Lebensjahren die Unfallhäufigkeit und die Schwere nahezu exponentiell zunimmt. Also 75 ist da tatsächlich so eine Schallgrenze. Also ab 75 wirken sich dann körperliche Versagenszustände stärker aus, also Krankheiten zum Beispiel. Dazu gehören dann zum Beispiel auch eine nachlassende Sehkraft. Nachlassende Reaktionsfähigkeit, orthopädische Probleme und die Demenz spielt auch eine zunehmende Rolle.
Also ich finde ab 75 muss tatsächlich stark darüber nachgedacht werden, ob man seinen Führerschein tatsächlich noch weiterhin halten will. Im Prozess klang an, dass etwaige Bestimmungen oder verpflichtende Tests für den Angeklagten nicht mehr relevant seien. Der 73-Jährige sagte damals, also seit dem Unfall habe er sich nie wieder hinter das Steuer gesetzt und das werde auch so bleiben. Das ist sehr gut möglich, dass er sich das so vorgenommen hat und das dann auch im Prozess erklärt hat.
Das wäre für mich eine verständliche Konsequenz, die er aus dem Geschehen gezogen hat. Allerdings, ich gebe mal zu bedenken, erklärt wurde das erst, als die Nebenklage dies ausdrücklich gefordert hatte. Und insofern ist es dann nicht mehr ganz so überzeugend. Es kam also nicht ganz freiwillig. Bettina, letztlich endete der Prozess doch mit einer Bewährungsstrafe für den Angeklagten.
Das ist richtig. Der Angeklagte wurde dann wegen fahrlässiger Tötung sowie fahrlässiger Körperverletzung, das wiederum in zwei Fällen, verurteilt und das Gericht verhängte eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten gegen den Mann. Dazu sollten wir ergänzen, dass der Strafrahmen, den das Gesetz für fahrlässige Tötung vorsieht, bei Geldstrafe und maximal fünf Jahren Freiheitsstrafe liegt.
Ich habe viel Erfahrung mit solchen Fällen. Ich kann sagen, dass diese Strafe, also zehn Monate Haft mit Bewährung, vergleichsweise eine nicht ganz geringe Strafe ist. Also das Gericht hat da doch stark zugelangt, das Amtsgericht. Das stimmt. Bei der Urteilsverkündung wandte sich die Richterin an die Mutter des getöteten Jungen und sagte dann, wieder Zitat, Das ist ein furchtbarer, trauriger, schrecklicher Fall, der uns alle hier betroffen hat.
Es gebe keine Strafe, die das Leid irgendwie mindern könne. Und die Richterin sagte weiter, wieder Zitat, das kann der Strafvollzug auch nicht leisten. Die Vorsitzende sagte dann weiter in der Begründung, das Gericht sei überzeugt, dass ein vermeidbarer Fahrfehler des Angeklagten zu dem folgenschweren Unfall geführt habe. Demnach war der Rentner beim Ausparken mit seinem Wagen erst in eine Senke gefahren. Klaus, du hast das vorhin auch erwähnt, beziehungsweise schon geschildert.
Und als dann der Automatikwagen des Mannes sich durch ein Lösen, der nicht durch ein Löse der Bremse bewegte, da habe er dann bewusst Gas gegeben, um das Hindernis zu überwinden, sagte die Richterin weiter, also um aus dieser Senke herauszukommen mit seinem Wagen. Und dann sagte die Richterin weiter an den Angeklagten gewarnt und das in einer Situation, in der sie nicht gut gucken konnten.
Der Wagen sei dann zurückgeschossen und wiederum an den Angeklagten gewarnt, sagte die Richterin dann weiter, innerhalb von wenigen Sekunden haben sie sich falsch entschieden. Noch einmal, der Darstellung des Angeklagten, er habe einen durchdringenden Schmerz im Bein gespürt, dann sei ihm weiß vor Augen geworden, schenkte das Gericht keinen Glauben. Das war auch meine Überzeugung als Sachverständiger und meine Rekonstruktion.
Also hast du das offenbar überzeugend rübergebracht und das Gericht hat sich dem angeschlossen. Ja, die Richterin hat jedenfalls gesagt, das halte ich für eine Schutzbehauptung. Und das ist ja auch so ins Urteil eingegangen. Sie sagte außerdem, es wäre viel besser gewesen, wenn der Angeklagte seinen Führerschein nicht erst auf Vorschlag der Nebenklage zugegeben hätte. Unabhängig davon, dass er nach dem Unfall nie mehr hinter dem Steuer gesessen habe.
Dem kann ich mich nur anschließen und vielleicht noch etwas. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, er hätte diesen Führerschein schon nicht mehr genutzt, als er damals vor dem Hauptbahnhof mit seiner Frau stand und dann losgefahren ist. Bettina, nochmal von dir eine Beschreibung, wie der Angeklagte auf die Verurteilung reagiert hat.
Du warst dabei. Also der Hamburger nahm das Urteil, wie ich finde, relativ gefasst auf und er hat sich dann kurz mit seinem Verteidiger besprochen, da gab es einen kurzen Wortwechsel und dann wurde noch an diesem Prozestag erklärt, dass der Angeklagte bzw. Die Verteidigung keine Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Gut, damit war das rechtskräftig. Und wie haben die Eltern des kleinen Jungen, der hier getötet wurde, dann reagiert?
Also der Vater von Anton nannte die Strafe, ich zitiere, okay. Er sei froh, dass es nun vorbei sei, sagte der Mann nach der Urteilsverkündung. Seine ehemalige Partnerin, also Antons Mutter, die ja in dem Verfahren als Nebenkliegerin aufgetreten war, die zeigte sich hingegen enttäuscht. Sie sagte dann, ich hätte eineinhalb Jahre für angemessen gehalten, immerhin hat er ein Kind getötet.
Übrigens, wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass die Familie des Unfallfahrers unter anderem Drohanrufe bekommen hatte. Dazu hat in dem Prozess auch der Staatsanwalt noch etwas gesagt. In seinem Plädoyer sagte er nämlich, das waren inakzeptable Diffamierungen gegen die Familie, von der sich die Nebenklage bis heute leider nicht distanziert hat.
Und die Mutter von Anton hatte sich vor dem Plädoyers noch persönlich an den Angeklagten gewandt und gesagt, sie bedauert, dass er sich nach dem Unfall nicht direkt und persönlich bei ihr gemeldet und entschuldigt habe. Sie sagte weiter statt Mitgefühl und Reue zu zeigen habe er ein Lügengebilde aufgebaut und sich hinter seiner Frau und dem Sohn versteckt und die Mutter sagte weiter zu dem Angeklagten die Strafe, die sie meines Erachtens verdient haben werden sie heute hier nicht bekommen.
Und über seinen Verteidiger hatte der Angeklagte noch angeboten sich in seinem letzten Wort persönlich bei der Familie zu entschuldigen. Aber das wollte die Mutter bzw. Die Familie von Anton nicht mehr. Die Mutter sagte dazu, zu spät. Bettina, lass mich nochmal zwei Dinge allgemein sagen. Diese Frage der Überprüfung, der Fahreignung bei älteren Menschen, Die ist in Europa eindeutig geklärt.
Also das Europäische Parlament hat gesagt, dass eine Altersgrenze für diese Überprüfung nicht in Betracht kommt. Entsprechendes hat auch in Deutschland das Verkehrsministerium erklärt. Also da sind keineswegs verpflichtende Eignungstests vorgesehen, abgesehen vom Sehtest. Das ist die eine Seite. Ich finde das letztlich so in Ordnung. Kontrolle von außen ist schon sehr problematisch. Der zweite Aspekt, die Selbstkontrolle, die Selbstüberprüfung,
das ist etwas, wofür ich immer wieder plädiere. Ich nehme mich als Beispiel. Also seitdem ich 65 bin, mache ich tatsächlich alle zwei, drei Jahre Überprüfungsfahrten mit einem Fahrlehrer und lasse zu, dass dieser mich dann sozusagen begutachtet und mir deutlich macht, was er von meiner Fahreignung hält. Bisher tatsächlich mit positivem Ergebnis.
Also diese Eigenkontrolle ist etwas, was natürlich jedem offen steht und das gibt einem dann auch so ein bisschen innere Bestätigung in der Richtung, dass man ja mit mehr Selbstvertrauen fährt. Eine weitere Anregung möchte ich noch geben. Ich finde, dass die Ärzte hier eine sehr, sehr wichtige Rolle spielen.
Ärzte sind häufig Vertrauenspersonen für die Patienten und die Ärzte sollten schon so ab 60, 65 Jahren ihre Patienten auch fragen, wenn sie die Anamnese erheben, ob sie tatsächlich noch Auto fahren. Und dann unter verkehrsmedizinischen Aspekten die Patienten beraten, ob sie Defizite haben. Die kann man ja eventuell auch noch ausgleichen durch rehabilitative Maßnahmen.
Also Eigenkontrolle ist wichtig und die Ärzte sollten tatsächlich die Fahreignung ihrer älteren Patienten bei der Anamneseerhebung und bei der Therapieberatung mehr berücksichtigen. Allen ist uns klar, dass der Führerschein wichtig ist, tatsächlich für Mobilität, Eigenständigkeit, aber wenn auf der anderen Seite das Leben eines Kindes in Gefahr ist.
Muss man natürlich schon darüber nachdenken und was hier dem Unfallfahrer passiert ist, war für ihn sicherlich so fast das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Also du plädierst definitiv für Eigenverantwortung und dass man sich selber als Autofahrer immer wieder kritisch selber begutachtet oder beobachtet und sich immer wieder fragt und möglicherweise das auch mit seinem Arzt bespricht, ob man denn noch klar genug ist, um am Straßenverkehr teilzunehmen.
Und das gehört auch zu den Themen, die man im Freundeskreis besprechen muss, im Familienkreis und da spielen natürlich auch die eigenen Kinder eine Rolle, die Partner und der Arzt und für diese Kritik sollte man tatsächlich immer offen sein. Ich weiß auch, dass der öffentliche Nahverkehr in einigen ländlichen Regionen problematisch ist, aber alles das sind keine Argumente, die irgendwie zulassen würden, dass man tatsächlich, wenn man nicht mehr dafür geeignet ist, weiter Auto fährt.
Also es wäre ja schön, wenn dieser Podcast von uns vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken gebracht hat, ob er sich wirklich noch hinter das Steuer setzen soll. Damit soll natürlich nicht gemeint sein, dass Menschen ab einem bestimmten Alter per se oder automatisch nicht mehr Auto fahren sollten, aber vielleicht ist es wirklich wichtig, dass man eben sich selber beobachtet oder vielleicht Beifahrer dazu anhält und sagt.
Guck doch mal oder schau mir mal so ein bisschen auf die Finger, wie reagiere ich? Bin ich wirklich noch geeignet, um am Straßenverkehr teilzunehmen. Wenn da jeder, ich sag mal, eine Selbstverantwortung, selbstkritisch wahrnehmen würde, wäre das sicherlich gut für die allgemeine Sicherheit. Ja genau und es ist ein sehr wichtiger persönlicher Aspekt, dass man diese gewissen Defizite im Alter realistisch einschätzt, ohne dass daraus irgendeine Art von Diskriminierung resultieren soll.
Aber wie schon jetzt mehrfach gesagt, wenn andere dadurch gefährdet werden, dann setzt das eigentlich Grenzen. Vielen Dank, Klaus, für diese Ausführung und das war wieder, finde ich, ein sehr interessanter Fall, auch ein wirklich wichtiger Fall. Denn die allermeisten Menschen nehmen ja in irgendeiner Form am öffentlichen Verkehr teil, am öffentlichen Straßenverkehr, bewegen sich als Fußgänger oder Fahrradfahrer oder Autofahrer auf den Straßen.
Deshalb geht das uns alle an und vielen Dank, dass du hier wieder dazu beigetragen hast, die Sache aufzuklären aus Expertensicht und ansonsten freue ich mich auf einen nächsten Fall, wenn es wieder heißt, dem Tod auf der Spur. Ein Podcast von Funke. Weitere Podcasts vom Hamburger Abendblatt finden Sie in unserer Abendblatt-Podcast-App und auf abendblatt.de slash podcast.